Grausiger Mix aus Vorurteilen und historischer Unkenntnis

Wenn es einen Ort in der FR gibt, an dem ausnahmsweise einmal Texte stehen dürfen, die nicht journalistisch ausgewogen sein müssen, einen Ort, an dem Autorinnen und Autoren richtig vom Leder ziehen dürfen, an dem die pointierte, vielleicht gar satirisch zugespitzte Meinung gefragt ist, dann ist das – nein, nicht die Leserbriefseite. Das heißt: Doch, die natürlich auch. Ich meine aber die „Kolumne“ auf der Meinungsseite. Täglich teilen hier namhafte Autoren mit, was sie gerade loswerden wollen. Sie schreiben zum Beispiel über so interessante Phänomene wie Schreibblockaden. Oder über die Kirche, so wie jüngst Mely Kiyak in ihrem Text „Liebe Kirche und Gesellschaft!

Blog-User Max Wedell hat mal den Verdacht geäußert, dass ich wohl hin und wieder Leserbriefe bekomme, in denen wegen mancher Kolumnentexte Unmut geäußert werde: Das Maß sei voll, jetzt wird das Abo gekündigt. Er meinte das damals in Bezug auf Götz Aly und wollte in solchen Reaktionen ein Toleranzdefizit von links eingestellten Menschen erblicken. Tatsächlich habe ich im Zusammenhang mit diesem aktuellen Text von Mely Kiyak solche Mails bekommen. Das Erstaunliche: Mely Kiyak zieht in ihrer Kolumne gegen die römisch-katholische Kirche vom Leder. Linke Menschen wollen ihr Zeitungs-Abo kündigen, weil die römisch-katholische Kirche kritisiert wird?

Um das vorwegzunehmen: Niemand hat wirklich gekündigt. Ich konnte erreichen, dass die Leute – eine Leserin, ein Leser – die Kolumne als das sehen, was sie ist, nämlich als absolut subjektive Meinungsäußerung einer freien Publizistin. Der Leser, der sich als Katholik beleidigt fühlte, schrieb mir sinngemäß letztlich zurück: Na gut, er sei mit den veröffentlichten Leserbriefen zufrieden, darin werde Mely Kiyak ordentlich eins mitgegeben, und er müsse Mely Kiyaks Kolumne ja nicht lesen, wenn stets zu befürchten sei, dass er sich nur darüber ärgern werde. Hmmm – nicht die optimale Lösung, würde ich sagen, denn Mely Kiyaks Texte sind ja durchaus lesenswert. Aber gut. Die Leserin alsdann, ebenfalls Katholikin, war dann auch nicht mehr böse, aber sie merkte an: Auch Meinungstexte dürfen gern wenigstens ein Zipfelchen eines einzelnen Arguments enthalten.

Wie gut, dass es die Institution der Leserbriefseite und des FR-Blogs gibt, denn hier ist der Platz, gegen die Institution der Meinungsseite Position zu beziehen. Die Kolumne, um die es geht, verlinke ich hier noch einmal; jeder kann sie schnell nachlesen. Und schon geht es los mit den Leserbriefen. Eberhard Kaus aus Wunstorf meint:

„In ihrem Beitrag wendet sich Frau Kiyak zunächst gegen ihres Erachtens völlig unrealistische Reformansprüche an die Adresse der katholischen Kirche, um dann gegen die „Lobbyarbeit“ der Kirchen im parlamentarischen Rahmen zu wettern. Dabei stört mich (als Katholik) im ersten Teil ihrer Ausführungen vor allem die Undifferenziertheit. Frau Kiyak verengt den Kirchenbegriff auf die Amtskirche, ohne zu berücksichtigen, dass „Kirchesein“ sich nach christlichem Verständnis darin nicht erschöpft. Dass es – selbst in der katholischen Kirche – spätestens seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil wichtige Veränderungen mit dem Ziel einer Öffnung zur „Welt“ gegeben hat, wird nicht wahrgenommen, ebenso wenig, dass christliche Botschaft und „real existierende“ Kirche nicht dasselbe sind. Orte der Abgrenzung zu sein, trifft im übrigen auf Kirchen genauso zu oder nicht zu wie auf andere gesellschaftliche Gruppierungen wie Parteien oder Gewerkschaften.
Politisch problematisch scheint mir indes Frau Kiyaks Auffassung von einem angeblichen kirchlichen Lobbyismus. Ist ein wesentliches Merkmal von Lobbyismus nicht gerade die unbemerkte Einflussnahme auf politische Entscheidungen? Hiervon kann in den beschriebenen Fällen aber kaum die Rede sein. Gerade Politiker, die sich in kirchlichen Laienvertretungen engagieren, vertreten klare und der Amtskirche gegenüber (man denke z. B. an die Diskussion zur Schwangerschaftskonfliktberatung 1999) oft kritische Positionen. Ähnliches gilt für das Eintreten kirchlicher Kreise gegen menschenverachtende politische Maßnahmen wie Abschiebung (Stichwort Kirchenasyl) oder arbeitnehmer- und familienfeindliche Strukturen wie normalisierte Sonntagsarbeit. Dass politische Mandatsträger einen weltanschaulichen Standpunkt (ob religiös oder areligiös bis atheistisch) offen vertreten, ist als notwendige Grundlage eines gesellschaftlichen Diskurses vielmehr mit Nachdruck zu fordern.“

Helge Nyncke aus Mühlheim a.M.:

„Auch wenn man dieser Tage kaum unterscheiden kann, ob der eigene Hustenreiz eher von einer Erkältung kommt oder von dem schier unausweichlichen, stickigen weißen Rauch, der einem aus allen Medienkanälen so penetrant entgegenqualmt – das erleichternde Aufatmen davon verdanken wir eindeutig wieder einmal der unnachahmlich klaren Sprache der besten Kolumnistin, die die FR je hatte und hoffentlich noch lange haben wird: Mely Kiyaks Resümee zu den irreal überspannten Heilserwartungen an kirchliche Führungswechsel und ihr schonungsloser Frühjahrsputz in den schmierigen Filzecken von Kirche und Politik sind das Erfrischendste und Erfreulichste zu diesem Thema, das den FR-Lesern derzeit geboten wird.“

Uwe Riederer aus Viernheim:

Liebe Mely Kiyak, als Katholik tut es mir sehr leid, dass Sie Kirche offensichtlich nur als Ort der Abgrenzung und somit „feindliches Gelände“ erlebt haben. Sie stellen Kirche so dar, wie mancher im Vatikan sie gerne hätte: als monolithischen papsthörigen Block, dessen Mitglieder ihren Verstand und ihr Gewissen im Weihwasser ertränkt haben. Selbst wenn sie ihre diesbezüglichen Informationen ausschließlich aus der FR beziehen, sollte Ihnen aufgefallen sein, dass Kirche vielfältiger ist. Der tiefe Griff in die Mottenkiste des Bismarck’schen Kulturkampfs ist weder originell noch lustig. Und Ihre Schlussfolgerung, die sämtliche politisch aktiven Kirchenmitglieder zu einem Problem für Staat und Gesellschaft stilisiert, hat mich ehrlich gesagt sprachlos gemacht. Schade, dass diese Schlussfolgerung basierend auf einer Mischung aus Wahrem, Halbwahrem und Unwahrem den Weg auf die Meinungsseite gefunden hat.
Ihr Artikel ist mindestens so diskriminierend wie Manches an der Kirche, dass – zu Recht – auf Kritik stößt.“

Rolf Walter aus Biblis:

„Seltsam! Definiert die Autorin wirklich jeden aktiven Angehörigen einer irgendwie verfassten Gemeinschaft als Lobbyist? Sollen wirklich nur die Bürger in die Parlamante, die sonst gar nichts tun? Ist es Frau Kiyak nicht bekannt, daß i.d.R. nur solche Menschen Spaß an Parlamentsarbeit finden, die sich auch sonst aktiv irgendwo beteiligen? Gibt es irgendein historisches Vorbild für ein solch untypisches Utopia?“

Wolfgang Krüger aus Flörsheim-Dalsheim:

„Liebe Mely Kiyak,
ich lese Ihre Kolumnen gern, stimme Ihnen meist zu und erhoffe noch viele weitere Beiträge dieser Art. Doch Ihre Kolumne von letzten Samstag hat mich sehr enttäuscht, gar entsetzt.
Sie müssten doch wissen, dass die Kirchen viel älter sind als die Parteien, dass die europäischen Staaten durch die Kirchen das geworden sind, wie sie sich heute darstellen., dass Demokratie kein Zustand ist,sondern eine Entwicklung, die nur aus ihren Ursprüngen zu verstehen und eigentlich nie abgeschlossen ist, und dass Demokratie mehr ist als Mitbestimmung und Gleichberechtigung. Freiheit muss immer wieder erkämpft werden, und das geschieht auch in den Parlamenten.
Sie glauben doch wohl nicht im Ernst, liebe Mely Kiyak, dass Karin Göring-Eckardt oder Wolfgang Thierse als bekennende Christen im Bundestag sitzen, um Mitbestimmung und Gleichberechtigung zu verhindern, sie sitzen mit anderen bekennenden Christen dort trotz ihrer christlichen Einstellung, weil sie nicht nur an Christus, sondern auch an die Demokratie und an deren vielfältige Weiterentwicklung glauben.“

Eckard Bretzke aus Barsinghausen:

„Obwohl ich Mely Kiyaks Kolumnen sehr gerne lese – die über den NSU-Untersuchungsausschuss gehören mit zu den besten Beiträgen, die die FR im letzten Jahr publiziert hat – , hat mich ihre dies wöchige enttäuscht, weil sie einfach zu oberflächlich dahin geschrieben ist.
Falsch ist zum Beispiel „Katholik ist, wer sich an die Regeln des Katholizismus hält“. Katholik ist vielmehr, wer katholisch getauft ist. Die katholische Bewegung „Wir sind Kirche“ kämpft seit Jahren gegen einige von der Hierarchie – die in der Tat nicht demokratisch legitimiert ist – aufgestellten „Regeln des Katholizismus“. Sie sind ebenso katholisch wie die Mehrheit der Katholiken, die gegen die“katholischen Regeln“ empfängnisverhütende Mittel anwendet.
Falsch ist: „Denn die Demokratie, Aufklärung und Reformen werden nicht in Kirchen gemacht, sondern in Parteien.“ Das sollte etwas differenzierter gesehen werden. Die evangelischen Synoden sind z.B. demokratisch legitimiert. Es gibt reichlich Aufklärung in den Kirchen. Die Friedensgebete und die Montagsdemos haben sogar zu einer Umwandlung der DDR-Diktatur in eine Demokratie geführt.
Frau Kiyak möchte nicht zulassen, „dass Lobbyverbände (Kirchen sind nichts anderes) ihre Mitglieder in Parteien schleusen „und mit einem Bein qua politischem Mandat im Parlament stehen“. Welcher Parlamentarier steht denn nicht im Verdacht, irgendwelche Interessen zu vertreten? Deswegen Menschen die Wählbarkeit abzusprechen ist doch wohl absurd und mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.
Dem berechtigten Anliegen, über die katholische Hierarchie und ihre Auswüchse aufzuklären,ist so ein schlechter Dienst erwiesen worden. Schade, es gibt genügend gute, differenzierende Argumente.“

Marion Gnuschke aus Kassel:

„Liebe Frau Kiyak,
vielen Dank für Ihre Kolumne, mit der sie ein auch für mich immer wieder ärgerliches Thema wunderschön auf den Punkt bringen! Seit einigen Wochen bereits empfinde ich die Berichterstattung in der Tagesschau als Unverschämtheit: Zehn volle Minuten, als der Papst seinen Rücktritt angekündigt hat, zwei Minuten echte Nachrichten, dann Sport und Wetter. So etwas ist einfach unfaßbar!
Schließlich haben diese „Nachrichten“-Macher auch noch eine ganze Sendung damit verbraten, den vollgestellten Petersplatz mit Blick auf leeren Balkon zu präsentieren, untermalt mit äußerst dummem Interview-Gelaber. Wir haben nicht glauben können, daß die das ernsthaft die ganze Sendung weiter durchziehen, nach zehn Minuten haben wir umgeschaltet. Als Bevölkerung eines angeblich demokratischen Landes können wir uns das eigentlich nicht gefallen lassen, aber ich bin ratlos darüber, wie das aussehen sollte. Gerade die ARD (das ZDF war früher schon so schlimm, sind die inzwischen besser geworden?) sendet oft nur noch unvollständige Berichte, wo man schon automatisch auf Fragen kommt, die in dem betreffenden Bericht eigentlich hätten vorkommen müssen, weil man sonst aus den präsentierten Fakten die falschen Schlüsse zieht. Das heißt, die Verantwortlichen wissen offensichtlich nicht mal mehr, wie man einen Bericht so kürzt, dass die Fakten nicht verfälscht werden!
In diesem Zusammenhang möchte ich eigentlich auch nichts mehr darüber hören, was die christlichen Kirchen zu irgendwelchen bestehenden oder geplanten Gesetzen denken. Aber auch diesem räumen unsere angeblich öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten immer wieder große Wichtigkeit ein. Als Frau bin ich da natürlich besonders empfindlich; ich finde, dieKirchen können ihren Mitgliedern gerne verbieten, was sie verbieten wollen, aber daß die denken, über Gesetze auch mir ihre Vorstellungen aufzwingen zu können, wäre meinem Empfinden nach eine Strafanzeige wert. Leider käme man damit wohl nicht durch.
Also, liebe Frau Kiyak, schreiben Sie bitte weiter solch kluge Kolumnen!“

Katharina Blätgen aus Dorsten:

„Was für eine Vision! Allen Kirchenmitgliedern, die entsprechend der presbyterial-synodalen Ordnung (das ist das protestantische Pendant zur Basisdemokratie) in ihrer Kirche Verantwortung übernehmen, wird jede Form von politischem Mandat entzogen. Ich denke an Tausende von Presbyterinnen und Presbytern, die evangelische Ortsgemeinden leiten und doch tatsächlich die Unverschämtheit besitzen, sich zugleich für das Gemeinwohl in ihrem Stadtteil zu engagieren. War auch Johannes Rau (der aufgrund seiner evangelischen Frömmigkeit oft „Bruder Johannes“ genannt wurde) als Bundespräsident untragbar? Übrigens: Rom und Hannover (Sitz der Evangelischen Kirche in Deutschland, EKD) sind in vielerlei Hinsicht nicht so mal eben in einen Topf zu werfen. Die EKD ist wie die BRD ein föderales Gebilde. Meine Kirche (Evangelische Kirche von Westfalen, EKvW) wird von einer Frau geleitet. In meiner Stadt gibt es evangelische Segnungsgottesdienste für gleichgeschlechtliche Paare ebenso wie schwule Pfarrer und lesbische Pfarrerinnen.
Die Kolumnistin offenbart erschütternde Inkompetenz im Blick auf die Unterschiede zwischen den christlichen Konfessionen und dazu ein geradezu gruseliges Demokratieverständnis. Wenn alle aus der politischen Verantwortung aussortiert werden, die sie für ungeeignet hält, wer soll sie dann noch wahrnehmen?“

Wolfgang Nordmann aus Bad Überkingen:

„Liebe Mely Kiyak,
Ihre Kolumnen schätze ich in der Regel, nicht zuletzt weil sie öfters recht unorthodox daherkommen. „Liebe Kirche und Gesellschaft“ ist offensichtlich aber ein Thema, das Sie überfordert: M.E. einfach daneben geschossen bzw besinnungslos runtergeschrieben – als ein grausiger Mix aus Vorurteilen und historischer Unkenntnis. Da haben Sie wohl insgesamt so“ getan, als ob“ (Sie was von der Sache verstünden).
Die mindeste Überlegung, nämlich z.B. wer das von Ihnen zu recht geschätzte Grundgesetz unserer westdeutschen Demokratie einst beschlossen hat: zum erheblichen Teil solche Leute, die christliche Einstellung mit politischem Mandat verbanden, hätte Sie zu differenzierteren und vorsichtigeren Formulierungen bewegen müssen.
Mit Haudrauf-Sprüchen ersetzt man keine Recherche, nicht bei einem anspruchsvollen Thema und auch nicht unter Zeitdruck. Versuchen Sie sich lieber an anderen Themen.“

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9 Kommentare zu “Grausiger Mix aus Vorurteilen und historischer Unkenntnis

  1. Warum nochmal diese Kolumne ?
    Hatte Mely Kiyak zu viel Beifall bekommen ? Soll das nun „zurechtgerückt“ werden`?
    Was ich herauslesen konnte war dies : Die Parteien sind allgemein – bis auf die LINKE und PIRATEN, in ihren Spitzenpositionen zusehr mit den Kirchen verbandelt. Das fällt eben allmählich auf. Wenn jetzt langsam eine Bewegung im entstehen ist, die endlich die im Grundgesetz geforderte Trennung von Staat und Kirche umsetzen will, so ist das bei 40% konfessionfreien Bürgern doch verständlich.

  2. Hoppala, ich sah zunächst gar nicht, daß dies jetzt auch Hauptthema wurde, als ich Rudi im anderen Thread antwortete…

    Den zitierten Kiyak-kritischen Leserbriefen kann ich selbstverständlich nur zustimmen. Katharina Blätgens Diagnose „ein geradezu gruseliges Demokratieverständnis“ trifft den Nagel auf den Kopf. Eckard Bretzke sagt es deutlich: „…mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.“ Daß sich eine solche Abschaffung von Grundrechten für Kirchen-Lobbyisten bald auch auf andere Lobbyisten ausweiten würde, wenn man erst einmal damit angefangen hat, sieht auch Rolf Walter so, wenn er fragt: „Sollen wirklich nur die Bürger in die Parlamente, die sonst gar nichts tun?“

    Bleibt jetzt nur die Frage, welches Demokratieverständis Menschen wie maderholz, Marion Gnuschke und andere haben, die im Zusammenhang mit Kiyaks Kommentar das Wort „klug“ verwendeten. „Schlau“ attestiere ich sofort, aber „klug“ ist nun wirklich das falsche Wort.

    @ maderholz,
    „Trennung von Staat und Kirche“ kommt in dieser Wortzusammenstellung nicht im Grundgesetz vor, und wird somit dort auch nicht „gefordert“. Das Grundgesetz fordert allerdings, daß Staat und Kirchen getrennte institutionelle Einrichtungen sind, und das ist in Deutschland auch eindeutig der Fall, sodaß überhaupt nicht etwas umgesetzt werden muß, was das Grundgesetz fordert, aber was nicht der Fall ist.

    Kiyak nun moniert, daß ein Mitglied einer Kirche (oder eines religiösen Vereins) auch in einer Rolle Mitglied des Staates ist, die staatstragend ist… Ein solcher Sachverhalt verstößt nicht gegen die institutionelle Trennung von Staat und Kirche, genausowenig wie die Trennung der institutionellen Einrichtungen Kunstverein und Kirche dadurch aufgehoben würde, wenn ich gleichzeitig Mitglied im Vorstand des Kunstvereins und in der Kirche wäre.

    Ein grobes Mißverständnis liegt dann vor, wenn jemand meint, „Trennung von Staat und Kirche“ würde bedeuten, daß ein tragendes Mitglied des Staates (z.B. ein Parlamentarier) nicht politische Ziele verfolgen dürfte, die auch Ziele von Kirchenfunktionären sind (etwa weil es sich um ein und dieselbe Person handelt)… selbstverständlich darf er das! Das einzuschränken wäre ein unzulässiger Eingriff in die grundgesetzlich garantierte Meinungsfreiheit. Solange dem Bürger die politische Einstellung bekannt ist, ist das völlig in Ordnung… er kann ihn daraufhin wählen oder nicht.

    Im andern Thread verwies ich auf die DDR… in der DDR war klar, was unter „Trennung von Kirche und Staat“ zu verstehen war. Alle in ihren Zielen irgendwie religiös Orientierten waren vom politischen Prozeß auszuschließen, das Religiöse wurde aus dem Politischen verbannt. GENAU SO möchte es Kiyak auch hierzulande haben, obwohl unser Grundgesetz so etwas überdeutlich verbietet.

    Und noch was: Sollte jemand der Meinung sein, daß „die Hauptaufgabe von Frauen die Führung des Haushalts ist“, so kann das allein nicht dazu führen, dieser Person das Grundrecht auf politische Betätigung zu verwehren (über die Möglichkeit der einzelnen Parteien hinaus, die Aufnahme dieser Person aufgrund ihrer speziellen Meinung zu verweigern). Auch Art. 3 Abs. 2 des GG kann nicht dazu verwendet werden, um dieser Person die Ausübung ihres Grundrechts zu verweigern.

    Man wird also in dem Fall, wo es am allerschlechtesten läuft, abwarten müssen, bis die Person in ein Parlament oder den Bundesrat gewählt wurde (eine nicht zu unterschätzende Hürde), dann dort ein Gesetz mithalf, auf den Weg zu bringen, das die Gleichberechtigung von Frauen in irgendeiner Form behindert… und dieses Gesetz dann auf dem Wege des Verfassungsgerichts einkassieren.

    In der Regel werden aber andere am Gesetzgebungsprozeß beteiligten Personen in den Parteien, die ein besseres Verständnis vom grundgesetzlichen Rahmen haben, einen solchen Ablauf früh genug zu verhindern wissen… oder spätestens der Bundespräsident, der alle Parlamentsgesetze vor Inkrafttreten auf Verfassungsmäßigkeit überprüfen muß.

  3. @ maderholz

    „Warum nochmal diese Kolumne?“

    Nicht noch mal! Im Thread über den Papst hat sich die Diskussion vom eigentlichen Thema wegentwickelt. Tatsächlich ist das hier der eigentliche Thread für die Kiyak-Kolumne vom letzten Samstag, zu der ich zahlreiche Leserbriefe bekommen habe.

    Gruß, Bronski

  4. @ Max Wedell #2
    „Das Grundgesetz fordert allerdings, daß Staat und Kirchen getrennte institutionelle Einrichtungen sind, und das ist in Deutschland auch eindeutig der Fall, sodaß überhaupt nicht etwas umgesetzt werden muß, was das Grundgesetz fordert, aber was nicht der Fall ist.“

    da klingt für mich das GG aber anders. Dabei geht es um den Artikel 138 der deutschen Verfassung vom 11. August 1919, der bei uns in Artikel 140 übernommen wurde. Darin heißt es:
    Art. 138
    (1) Die auf Gesetz, Vertrag oder besonderen Rechtstiteln beruhenden Staatsleistungen an die Religionsgesellschaften werden durch die Landesgesetzgebung abgelöst. Die Grundsätze hierfür stellt das Reich auf.

    Diese Ablösung hat bis heute nicht stattgefunden. Genaueres dazu und zu der peinlichen Bundestagsveranstaltung, die gerade zu diesem Thema abgelaufen ist, kann man bei Carsten Frerk im hpd nachlesen: http://hpd.de/node/15222.

    Es ist zwar richtig, dass ein Verbot kirchlicher Lobbyisten im Bundestag schon rechtlich nicht geht, genauso auffällig ist aber die Durchsetzung der Parteiführungen mit christlichen Seilschaften. Der Ärger, den es in der SPD gab, als dort „Arbeitskreis Laizistinnen und Laizisten in der SPD“ gegründet werden sollte, spricht Bände. Der Einfluss der Kirchen in Parteien und Institutionen wie z.B. dem Bundesverfassungsgericht entspricht nicht mehr dem Stellenwert der Kirchen in der Bevölkerung und ist in dieser Form nicht wirklich demokratisch legitimiert.

  5. @Frank Wohlgemuth,

    die institutionelle Trennung von Staat und Kirche fordert Art. 137 Abs. 1 der Weimarer Reichsverfassung, der über den von Ihnen genannten Art. 140 ins GG eingebunden ist, und der lautet:

    „Es besteht keine Staatskirche.“

    Trennung von Staat und Kirche bedeutet aber nicht, daß sich die Tätigkeiten beider nicht überschneiden dürfen, und ganz selbstverständlich müssen auch zur Regelung dieser Überschneidungen Verträge miteinander abgeschlossen werden. Wenn das passiert, ist das keine Verletzung der Trennung von Staat und Kirche, sondern eher eine Bestätigung.

    Was die Leistungen des Staates an die Kirchen angeht, so weiß ich persönlich nicht genau, ob die nur als Gegenleistungen für irgendwelche Kirchen-Enteignungen durch den Staat vor über 200 Jahren gedacht sind. Wenn das so wäre, wäre das ein starkes Stück. Das müsste selbstverständlich schnellstmöglich geändert werden, da stimme ich Ihnen völlig zu. Ich kann jetzt nicht genau sagen, ob ihr Link eher Recht hat, daß das erstmal nicht passieren wird, oder der Spiegel, der es auf einem guten Weg sieht, denn ich habe leider momentan nicht die Zeit, das Bundestagsprotokoll dazu zu lesen.

    Nehmen wir aber einmal an, der Vorstoß der LINKEN würde scheitern. Dann empfehle ich jedem, den das stark stören würde, folgendes:

    Schriftliche Proteste bei den parlamentarischen Akteuren, die sich dagegen stemmten, nebst Erklärung, sie bzw. ihre Parteien künftig deshalb nicht mehr zu wählen. Schriftliche Belobigungen bei den parlamentarischen Akteuren, die das zum Thema machten, nebst Erklärung, sie bzw. ihre Partei künftig wählen zu wollen, wenn die Bemühungen fortgesetzt werden, nebst Aufforderung, dies bei öffentlichen Auftritten zum Thema zu machen, um Bewußtheit zu schaffen. Alle Gelegenheiten wahrnehmen, mit den lokalen gewählten Bürgervertretern in Kontakt zu treten, und denen klar sagen, daß einem persönlich eine endgültige Regelung sehr am Herzen liegt und auch persönliche Wahlentscheidungen davon abhängig gemacht werden. Auch die Medien (z.B. Zeitungen wie die FR) könnten schriftlich aufgefordert werden, dies doch stärker oder überhaupt erst einmal zum Thema zu machen. Rechtsanwälte, die sich einen Namen machen wollen, könnten prüfen, ob die Umsetzung von Art. 138 vor dem Verfassungsgericht erzwungen werden kann und das dann versuchen… eine Menge Gratiswerbung wäre Ihnen sicher.

    Ich fürchte, das ist erstmal alles, was ich dazu jemandem vorschlagen kann, der nicht gleich selber aktiv werden will, Bürgerinitiaven dazu gründen will usw…

    Die Tatsache, daß hier von staatlicher Seite möglicherweise jährlich fast eine halbe Milliarde ausgegeben wird, und Gegenleistungen sind möglicherweise nicht erkennbar, kann aber nicht eine Begründung dafür sein, daß wichtige Grund-Pfeiler des Rechtsstaats beschädigt oder gleich umgestürzt werden müssen, wie die weltanschauliche Neutralität des Staates, das Recht auf freie Religionsausübung oder, ganz grundlegend in unserer Demokratie, das uneingeschränkte Recht auf politische Betätigung.

  6. @ Max Wedell
    „Trennung von Staat und Kirche bedeutet aber nicht, daß sich die Tätigkeiten beider nicht überschneiden dürfen, und ganz selbstverständlich müssen auch zur Regelung dieser Überschneidungen Verträge miteinander abgeschlossen werden. Wenn das passiert, ist das keine Verletzung der Trennung von Staat und Kirche, sondern eher eine Bestätigung.“ (Max Wedell #5)
    Trennung zwischen Staat und Kirche bedeutet eine organisatorische Trennung, die bei uns schon durch das Eintreiben der Vereinsbeiträge durch den Staat nicht gegeben ist. Wie sehr der Staat diese Vereinsmitgliedschaft zur bürgerlichen Selbstverständlichkeit erhebt, können Sie u.A. daran festmachen, dass der Mitgliedsbeitrag für einem dieser Vereine sich sogar in der Höhe des Arbeitslosengeldes niederschlägt. Dazu kommen noch kirchensteuerunabhängige Zahlungen des Staates an die Kirchen wie Bonzengehälter. Auch die Nachwuchsaquise über die staatlichen Schulen durch die Organisation und Bezahlung eines konfessionellen Unterrichts ist nicht unbedingt ein Zeichen dieser Trennung. Das Soll, das der von Ihnen zitierte Art. 137
    (1) „Es besteht keine Staatskirche.“ der deutschen Verfassung vom 11. August 1919 beschreibt, ist nicht Realität.

  7. Was Leute so alles aus der Kolumne von Mely Kiyak herauslesen. Ist schon erstaunlich.
    Was ich herauslese :
    Wer Veränderung will, muss es über Parteien tun.
    Dabei gibt es das Problem, dass viele Abgeordnete mit einem Bein auch in kirchlichen Gremien stehen und Veränderungen wohl nicht so zugeneigt sind.
    Und das, bei 40% Konfessionsfreien und dass nur noch 10 bis 20% von den Amtskirchenmigliedern als gläubige Kirchgänger gelten.

    Reformen im Verhältnis Staat zu Amtskirchen sind dringend geboten.

  8. Noch ein Nachtrag.
    Wenn a l l e Abgeordneten auch in Kirchlichen Gremien gebunden wären – eine wahrhaft gruselige Vorstellung !

  9. @ 3, Bronski,

    da muss ich dir Recht geben, das Thema „Papst“ ist abgerutscht zu
    „Kiyak“. Ich nehme einen Teil der Schuld auf mich. (Aber ich bereue nichts. ;-).)

    Gruß
    maderholz

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