Zwei Weihnachtsgeschichten von Roland Bunzenthal

1.

Was wäre wenn … ja, wenn heute und hier passieren würde, was vor gut 2000 Jahren woanders geschah?

Die werdenden Eltern sind erschöpft. Auf der Flucht vor der Gewalt in ihrer Heimat sind Maria und Josef heimlich nach Deutschland eingereist. Dort registriert sie die Ausländerbehörde zunächst als Asylbewerber und illegale Einwanderer. Weil Maria schwanger ist, erhalten sie eine vorläufige Duldung, müssen aber im Auffanglager für Flüchtlinge bleiben. Doch dort herrscht gerade Aufbruch. Da es immer weniger Flüchtlinge schaffen, über die hiesigen Grenzen zu gelangen, wird das Auffanglager geschlossen. Im ursprünglich als Erweiterung gedachten, ungeheizten und halb fertiggestellten Anbau hat man jedoch die beiden Flüchtlinge aus dem Nahen Osten glatt vergessen. Das Paar versucht sich in dem Holzverschlag so gut es geht einzurichten. Um sie herum tummelt sich diverses Getier wie Ratten und Kakerlaken. Hier soll nun die junge Palästinenserin Maria ihr Kind – Vater unbekannt – zur Welt bringen. Ihr gegenwärtiger Lebensgefährte Josef, erst seit kurzem mit ihr liiert, steht ihr zwar redlich zur Seite. Aber er ist eben ein etwas ungeschickter Zimmermann und kein gelernter Geburtshelfer. So beschränkt er sich darauf, das Ungeziefer zu verscheuchen und zärtlich die Hand seiner Partnerin zu halten, die sich vor Schmerzen krümmt. Zu einem Arzt wollen sie dennoch lieber nicht gehen, schließlich sind sie illegal hier, sprechen kaum deutsch und verfügen kaum noch über Geld.

Marias Schmerzen nehmen zu. Die Wehen kommen immer häufiger. Doch Hilfe naht. In dem kleinen Dorf, mitten in den letzten abgelegenen Gebieten Deutschlands, gibt es nur eine einzige organisierte Gruppe­: Die noch relativ junge freiwillige Feuerwehr. Zur selben Zeit erleuchtet eine Supernova, die Explosion eines Fixsterns, den nächtlichen Sternenhimmel. Die Feuerwehr-Männer halten das Auftauchen der Supernova zunächst für einen Feuerschein und forschen nach seinem Ursprung. Im zugigen Anbau des Lagers stoßen sie dabei auf die Kleinfamilie in dem Bretterverschlag. Sie sehen und hören Maria, die laut stöhnt. Rasch holen die drei Feuerwehr-Männer warme Wolldecken. Nach kurzer Diskussion beschließen sie, ihre Erste-Hilfe-Kenntnisse aus dem jüngsten Kurs anzuwenden. Denn um einen Arzt aus der nächsten Stadta zu holen, ist es in dem verlassenen Dorf zu spät. Dank der erst vor kurzem genossenen Ausbildung gebiert Maria ohne große Komplikationen. „Der hat aber einen großen Kopf“, meint einer der jungen Leute, als sie das Neugeborene notdürftig säubern, „das wird bestimmt mal ein schlaues Kerlchen.“

Doch auch andere sind der Supernova, die senkrecht zur Erde ihr fernes Licht sendet, gefolgt. Drei arabische Astrophysiker, entfernt verwandt mit dem saudischen Königshaus, folgen schon tagelang der weithin sichtbaren Spur. Da sie aber die unhygienischen Verhältnisse in Deutschland bereits kennen, bringen sie arabische Duftstoffe mit – zum eigenen Nutzen und als Gastgeschenk bei Bedarf.

Als sie die Stelle erreichen, an dem nach ihren Berechnungen die beste Sicht auf die Supernova besteht, entdecken sie ebenfalls das karge Lager der Familie aus Nazareth. „Das stinkt hier ja noch mehr als sonst in diesem Land“, klagt einer – nicht zuletzt, weil das Baby keine Windeln zum Anziehen hat. Die Wissenschaftler haben zwar Mitleid mit den Dreien, wollen aber weiterziehen. Ein wissenschaftliches Symposium über Humanität wartet auf sie.

Mangels anderer Geschenke übergeben sie dem vermeintlichen Vater ihre Duftstoffe und angesichts der offensichtlichen Armut noch ein paar hübsch verpackte Petrodollar. Als sie jedoch gewahr werden, dass es sich bei der Familie um Palästinenser handelt, brechen die drei Weisen sogleich auf. Für ihre astronomischen Forschungen wollen sie zunächst bei einer schwäbischen Optik-Firma ein paar Bundeswehr-Präzisionsfernrohre erwerben.

Derweil bekommt nahe dem Verschlag der einzige Polizist des Dorfes Wind von der Sache. Schließlich ist der Aufzug der drei weisen Orientalen ebenso auffällig wie die Sirene, die die Feuerwehrleute kurz einschalten. Der Dorfpolizist waltet sofort seines Amtes und betritt mit viel Mühe – wegen seines Leibesumfangs – den Verschlag. Sogleich fällt ihm der unbekannte Exoten-Geruch auf. „Aha“, stößt er hervor, während er sich die Nase zuhält. „Haschisch!“ Ein nahezu euphorischer Taumel erfasst ihn, handelt es sich doch offenbar um einen seiner recht seltenen Einsätze im Kampf gegen das Böse in der Welt. „Aha“, wiederholt er jetzt bereits etwas strenger, „keine Ausweispapiere – da wird man Sie wohl ausweisen“. Ein kleiner Wortwitz, den er mal gehört hat.

Weil Maria nicht gleich seine dialektgefärbten Fragen versteht, verleugnet sie nach Ansicht des eifrigen Polizisten offensichtlich ihr noch jugendliches Alter. „Möglicherweise Unzucht mit Minderjährigen“ , notiert der uniformierte Amtsträger in sein Notizbuch. Kaum hat er sich alle erkennbaren Indizien notiert, das begonnene Verhör jedoch auf Grund sprachlicher Verständigungsprobleme abgebrochen, als die angeforderte Verstärkung naht – ein zufällig in der Gegend patrouillierender Streifenwagen mit zwei Kollegen. Der juristische Lokal-Matador übergibt die drei Flüchtlinge – über ihr weiteres Schicksal sollen nun die Gerichte entscheiden.

Wie diese Entscheidung ausfällt, lässt sich tagtäglich in deutschen Amtsstuben nachverfolgen.

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2.

Familie aus dem Geschlecht Davids verhaftet wegen Terrorismusverdacht – Wie die deutschen Medien über den Vorfall berichten:

Polizeimeldung: in einem Stall in der Provinzstadt Bethlehem wurde am Freitag gegen 18 Uhr ein neugeborenes Kind aufgefunden, das Anzeichen von Verwahrlosung aufwies. Die Eltern wurden unter dem Verdacht des Drogenmissbrauchs sowie der Vorbereitung terroristischer Aktivitäten vorläufig festgenommen.

Bild: Skandal im Stall – Baby entpuppt sich als Revoluzzer

FAZ: Volkszählung wird durch neugeborenes Kind verfälscht – Römisches Reich weist zu hohe Geburtenrate auf

frankfurter Rundschau : Partnerschaft über die Grenzen – Könige und Hirten verbünden sich im Stall

Das gelbe Blatt der Frau: Die rührende Geschichte der jungen Maria – als Kind geschändet, als Mutter getrennt von ihrem einzigen Kind

Tagesschau: Wie unser Nahost-Korrespondent berichtet, soll es sich im Stall von Bethlehem um eine antirömische Guerilla-Gruppe gehandelt haben

ZDF (eine Stunde später): Horst K., Können Sie schon was erkennen? Es sollen auch Waffen im Stall gefunden worden sein. Was haben Sie erfahren?

Tageszeitung: Der O-Stern und der falsche Weihnachtsmann – Die Wahrheit über den Besuch des Hochadels im Stall: Wer war der Esel?

Spiegel: Zwischen dem Vieh – Geheimcode der Anti-Herodes-Fraktion entdeckt. Geburt des Gottessohnes als Zeichen zum Aufstand. Razzia der Römer

Die Zeit: Das trügerische Idyll im Tierstall – Umfrage Roms zeigt zu hohen Bevölkerungsanstieg. Der Kaiser will dagegen vorgehen.

Landbote, Magazin für die deutsche Scholle: Hirten helfen aus. Schafmützen können Geburtshelfer ersetzen. Ratgeber: Der kleine Kaiserschnitt für den Hausgebrauch

FR-Blog: Islamophobische Hysterie in Bethlehem – Ein Baby und sein „Sprengstoffgürtel“

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Liebe Userinnen, liebe User,

ich wünschen Ihnen allen ein frohes und friedliches Weihnachtsfest in Gesundheit.

Ihr Bronski

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2 Kommentare zu “Bethlehem ist überall

  1. Sehr nett geschrieben, aber leider wahnsinnig viele Tipp-Fehler. Besonders im zweiten Teil mit den Medien-Zitaten.

  2. Die Alternative zur alternativlosen Welt der Angela M.

    Diese Geschichte ist schon sehr oft so oder ähnlich nacherzählt worden. Literarisch wie ganz persönlich. Viele Menschen haben offenbar eine Sehnsucht, die Weihnachtsgeschichte oder das Geschehen auf moderne Verhältnisse umzuschreiben. Das ist auch ganz richtig so. Und immer geht es dabei um etwas, was ich als den Kern dieser Geschichte sehe: was würde mit Gott, denn das, was da liegt, ist Gottes Sohn, jedenfalls wird es auch von Ihnen, lieber Geschichtenerzähler, so weitertradiert, geschehen, wenn er genau so arm, machtlos und vielleicht sogar elend aussehend und sich elend fühlend, plötzlich vor der Tür steht: der Amtstür, der Zeitungstür, der privaten Tür, der Tür des Bundeskanzleramtes?

    Übereinstimmend: nichts, jedenfalls nichts Gutes. Der Sinn dieser Parallelisierung ist ja zu zeigen, dass wir alle nun schon gar nichts gelernt haben, dass wir vor allem das christliche Liebesgebot nicht ernst nehmen. Dabei versucht dieses Kind an jedem Heiligen Abend wieder bei uns „Fuß zu fassen“. Es hat wirklich keine Chance. Denn die Botschaft ist verstellt durch Glanz, Flimmern, Glitzern, Konsum, Egoismus und was nicht immer dem Menschengeschlecht vorgeworfen werden kann. Alle unsere zum Teil süßlich – verlogenen Weihnachtsbräuche und – Lieder tragen nicht nur nichts dazu bei, diese Geschichte endlich an ihr gutes Ende kommen zu lassen, sie verstellen es gar.

    Was also ist die Botschaft, wofür ist er geboren, wofür liegt er arm und „ohne Windeln“ in seiner Krippe, für welche Sünden ist er gestorben, wovor hat er uns gerettet? „Christ, der Retter ist da“. Und die – wir – Protestanten glauben innig daran, dass er uns von unserer Sünde losmacht. Auch ich bin persönlich Christ, allerdings mit schwersten Bedenken gegen all diese Bräuche und gegen die Mähr, dass dieses Kind für irgend welche Sünden, die ein Mensch persönlich, vielleicht noch in tiefster Not oder weil der nicht anders kann, begangen haben soll, gestorben ist. Das was da lag, geboren wurde, gelebt, gelehrt, gepredigt hat und elend umgekommen ist, mahnt uns seit 2000 Jahren, jene „strukturellen“ Sünden nicht zu begehen, die aber immer wieder die Friedensbotschaft der Heiligen Nacht übertönen, weil sie mächtig im Menschen – der einen freien Willen hat – lebendig sind: Kriege führen, betrügerisch Finanzgeschäfte abwickeln, die Menschenwürde weltweit missachten, auch hier in Deutschland, oder ist das, was mit armen Kindern geschieht, menschenwürdig? Der Verstoß gegen die Mitmenschlichkeit ist auch nach den Lehren des erwachsen gewordenen Kindes eine grobe „Sünde“: „was ihr einem dieser geringsten Brüder nicht getan habt, das habe ihr auch mir nicht getan“. Mit Folgen, jedenfalls nach Matthäus 25.

    Jawohl, Frau Bundeskanzlerin, in dieser Krippe liegt die Alternative zu ihrer angeblich alternativlosen Welt: alternativlos sind angeblich die Sozialreformen, die Bankrettungsschirme, Stuttgart 21, die Europapolitik, die Sie betreiben. Die strukturellen Sünden, die in diesem Gerede von der Alternativlosigkeit begründet sind, gilt es mit dem Kind in der Krippe und mit oder ohne Windeln zu überwinden.

    Gesegnete Weihnachten Ihnen allen.
    Ihr
    Dr. Hans-Ulrich Hauschild

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