Bundesgesundheitsminister will mit einem neuen Gesetz erreichen, dass gesetzlich versicherte Patienten schneller an Arzttermine kommen. Er will verordnen, dass die Mindestzahl der wöchentlichen Sprechstunden von 20 auf 25 anzuheben ist. Bestimmte Fachärzte müssen mindestens fünf Stunden pro Woche als offene Sprechstunden abhalten, das heißt ohne Terminvergabe. Dafür soll es mehr Geld geben. Die Ärzte sperren sich dagegen, und ihre Argumente sind nicht schlecht. Niedergelassene Ärzte arbeiten in der Regel ohnehin schon 50 Stunden wöchentlich mit Luft nach oben. Vor allem aber ist das zweifellos vorhandene Problem mit den langen Wartezeiten – vor allem auf Termine bei Fachärzten – ein strukturelles Problem, das durch Spahns Vorstoß recht einseitig allein bei den Ärzten abgeladen wird. Darum hat auch Dr. Hontschik in seiner Kolumne in der FR den Minister mal ein wenig eingekocht.
Gesundheitspolitik ist ein mächtig kompliziertes Feld, auf dem es viele Mitspieler gibt, die alle ihre eigenen Interessen verfolgen. Bei all dem Gerangel um Kostenverteilung und -einsparungen, die jahrelang das Thema prägten, scheint irgendwo und irgendwie die Erkenntnis unter die Räder gekommen zu sein, dass es ohne Ärzte kein Gesundheitssystem gibt. Doch auch die Arbeit der Ärzte wurde vor allem von der Kostenseite her betrachtet. Es wurde anscheinend eine Menge dafür getan, diese Arbeit möglichst unattraktiv zu machen. Die Folgen zeigen sich zum Beispiel in der Zahl der niedergelassenen Ärzte in Deutschland, die seit Jahren sinkt – von 120.700 im Jahr 2015 über 119.600 im Jahr 2016 bis auf 118.400 im Jahr 2017 (Angaben laut Bundesärztekammer). Diese Zahlen sind allerdings nur ein grober Indikator dafür, dass eine Menge schiefläuft. In den Städten ist die ärztliche Versorgung (noch) recht gut, trotz teilweise langer Wartezeiten von mehreren Wochen. Auf dem Land hingegen ist der Ärztemangel bereits vielfach deutlich spürbar.
Auch wenn das neue Gesetz die Ärzte besser bezahlen will – es bietet keine Lösung für das Gesamtproblem an, sondern nur ein Herumdoktern an den Symptomen. Schnelle Lösungen gibt es nicht. Wenn wir mehr Ärzte brauchen, muss womöglich bereits am Medizinstudium und beim Numerus Clausus angesetzt werden. Eine Verbesserung der Verhältnisse würden wir dann womöglich in zehn Jahren erleben. Vor allem aber muss die Politik darüber nachdenken, wie es gelingen kann, den Arztjob wieder attraktiver zu machen. Und nicht darüber, wie man den Ärzten fremdbestimmt noch mehr Arbeit aufbrummt.
Und nun zwei Wortmeldungen von einer Ärztin und einem Arzt zu diesem Thema.
Leserbriefe
Dr. Anja Hellenbrecht aus Frankfurt meint:
„Wie Prof. Starke sehr richtig erwähnt hat, wird das Problem des Ärztemangels auf diejenigen Ärzte umverteilt, die noch ambulant die Stellung halten. Und um kurz aufzuklären: 20 oder 25 Stunden Sprechstundenzeit bedeutet nicht, dass wir den Rest der Woche das viele Geld ausgeben dass wir angeblich verdienen. Durchschnittlich 40 bis 60 Nettoarbeitstage im Jahr verbringen wir nicht mit der Versorgung von Patienten, sondern nur mit Bürokratie! Das beinhaltet die ärztliche Dokumentation und Berichte an Versorgungsamt, Rentenversicherung, Arbeitsamt, Medizinischer Dienst, Gutachten, Telefonate, E-mail usw.. Auch eine Praxis organisiert sich nicht von selbst. Wir müssen Personalmanagement, Fortbildung, Supervision, QM etc. in unserer Arbeitszeit unterbringen. Niedergelassene Ärzte arbeiten somit im Durchschnitt 50 h in der Woche.
Und was niemals in den Berichten erwähnt wird sind die Termine, die von Patienten ausgemacht, aber dann ohne Absage einfach nicht in Anspruch genommen werden. Wir reservieren für jeden Neupatienten 30 Minuten, für jeden Altpatienten 15 Minuten. Jede Woche verfallen bei uns zehn bis 15 Termine. Uns bleibt nichts anderes übrig, als einige Termine „auf gut Glück“ gleich doppelt zu vergeben. Würde man diesem Missstand Abhilfe schaffen, indem es für Patienten irgendeine Konsequenz hätte, Termine ohne Absage verfallen zu lassen, so bräuchte man weder Terminservicestellen noch neue Gesetze zur Regelung ärztlicher Arbeitszeiten.“
Dr. Harald Reinemer aus Bad Vilbel:
„Es erinnert sehr an die Geschichte mit den Autos und den Straßen. Je mehr Straßen gebaut werden um den Staus entgegen zu wirken, desto mehr Autos fahren plötzlich darauf und das Problem bleibt somit das gleiche. Genau darum geht es aktuell auch (wiedermal) im Gesundheitssystem. Der Gesundheitsminister will, typisch für einen Politiker, immer die potenziellen Wähler im Blick, die Verhältnisse ändern, didue Ärzte in die Verantwortung nehmen, mehr Sprechzeiten und Termine einfordern, also mehr Straßen bauen. Dafür soll dann auch etwas mehr Geld locker gemacht werden. Wie genau das funktionieren soll, ist zwar unklar, klingt aber erstmal gut.
Nun gibt es unzweifelhaft strukturschwache Gebiete, in denen Patienten auf einen Facharzttermin mitunter ein halbes Jahr oder länger warten müssen. Das ist in der Tat, vor allem, wenn es sich z.B. um das Fachgebiet Kardiologie handelt, unzumutbar. Sofern sie können, weichen Patienten dann oft in die nächste Großstadt aus, wo es meist schnellere Termine gibt. Hier ist es tatsächlich an der Politik, Anreize zu schaffen, die Verhältnisse zu ändern damit sich mehr Ärzte auch in solchen Regionen niederlassen.
Ganz anders sieht es aber in Großstädten wie z.B. Frankfurt/Main aus. Oft wird dort eine Wartezeit von 3 oder 4 Wochen schon als unzumutbar angesehen, es besteht eher der Anspruch, dass am besten sofort ein Termin vergeben werden muss und das bei offensichtlichen Bagatell-Beschwerden, wie sich in den meisten Fällen dann herausstellt. Sind diese aber in der Zwischenzeit von selbst verschwunden, kommt man zum vereinbarten Termin einfach nicht, selbstverständlich ohne abzusagen. Dieses Phänomen, des einerseits unter Druck gesetzt, andererseits aber versetzt Werdens, scheint in der öffentlichen Diskussion unbekannt zu sein. Das macht es doppelt ärgerlich, zeigt aber wie vielschichtig das Problem wirklich ist. Die Anspruchshaltung , Alles am besten sofort und möglichst umsonst bzw. all-inclusive zu erhalten, ist sehr verbreitet. Aber sowohl Krankenkassen als auch Politiker scheuen sich davor, dies klar auszusprechen und zeichnen stattdessen lieber Bilder von bösen Ärzten, die nur schnelle Termine an Privat-Patienten vergeben bzw. von armen Kassen-Patienten, die deswegen leiden oder gar sterben müssen. Letztlich natürlich , weil sie fürchten sonst ihre Kunden oder Wähler zu verprellen.
Aber auch wir Ärzte tragen selbst nicht unerheblich zu diesem Problem bei. Anscheinend sehen sich viele hausärztlich Kollegen zunehmend weniger in der Lage mit den vielfältigen und zahlreichen an sie herangetragenen Problem anders als mit einer umgehenden Überweisung zum Facharzt zu reagieren. Nicht selten wird der Patient wegen eines Bagatell-Problems auf eine Facharzt-Rallye geschickt, an deren Ende erwartungsgemäß kein relevanter Befund erhoben wird, aber ein verunsicherter Patient steht. Das führt zunehmend , so meine Erfahrung in den letzten Jahren, zu einer „Ausschluss-Medizin“. Fachärzte werden so zu Ausschluss-Medizinern und Allgemeinärzte zu Befunde-Sammlern. Das ist teuer und ineffektiv und hat mit ärztlicher Kunst wenig bis nichts mehr zu tun und zu allem Übel, werden dadurch für die Patienten, die die Termine/Untersuchungen wirklich brauchen, diese dann eben rar.
Diese Problematik kann aber im Gegensatz zur erstgenannten nicht durch eine Änderung der Verhältnisse (mehr Straßen), sondern nur durch eine des Verhaltens erreicht werden. Letzteres erscheint ungleich schwieriger.“
Eine mir sehr nahe stehende Person, die ich inzwischen auch pflege, leidet seit Jahrzehnten an einer Erkrankung, für die es weder eine Therapie noch Medikamente gibt. Ihr bleibt insofern allein, den körperlichen, geistigen und seelischen Verfall ohnmächtig zu erdulden. Das zeigt, wie überaus sinnlos die gegenwärtige Debatte beispielsweise um erweiterte Arztsprechstunden ist, wenn die Konsultation eines Mediziners sich von vornherein erübrigt, weil von dort ohnehin keine Hilfe zu erwarten ist. Mithin scheinen in der Tat eher die Gesunden für die völlig überfüllten Wartezimmer in den Arztpraxen verantwortlich zu sein als die unheilbar Kranken, denen nichts anderes bleibt, als ihr Schicksal auf sich allein gestellt zu meistern. Zu wünschen wäre angesichts dessen, dass die immensen öffentlichen Gelder, welche nicht zuletzt die Krankenversicherung ausreicht, nicht weiter für die Behandlung von Bagatellen verwendet werden, sondern einer Forschung zur Verfügung stehen, die noch daran interessiert ist, solch eine tiefe Lebensnot wenigstens im Ansatz zu lindern.