Erst hat die Frage, ob er eingeführt werden soll, endlose Diskussionen ausgelöst, nun sorgt er selbst dafür: der Videobeweis im Hochleistungsfußball. Ziel seiner Einführung ist, das Spiel bzw. die Entscheidungen im Spiel gerechter und transparenter zu machen. Wer unter den Freunden des Fußballs kennt sie nicht, die ewigen Diskussionen über die Schiedsrichterentscheidungen und ihre Richtigkeit. Neben dem berüchtigten Wembley-Tor von 1966, das keines war, England aber dennoch zum Weltmeister machte. Ein anderes prominentes Beispiel für eine Schiedsrichter-Fehlentscheidung war das 1:0 im Viertelfinale der Fußball-WM 1986, Argentinien gegen England, das als reguläres Tor gegeben worden war, weil der Schiedsrichter nicht gesehen hatte, wie Diego Maradona mit der Hand nachgeholfen hatte. Er selbst kokettierte hinterher mit der „Hand Gottes“.
Es gibt viele solcher Beispiele, die Fußballgeschichte ist voll von ihnen. Doch trotz allen technologischen Fortschritts, das haben die Erfahrungen mit dem Videobeweis in der Fußball-Bundesliga gezeigt, kommt es weiterhin auf die Schiedsrichter an, die Bilder zu interpretieren und sie abzuwägen. Denn oft genug bleibt Spielraum für Interpretationen. Und dann wird gestritten. Es mag ja richtig sein, dass zwei Paar Augen mehr sehen als eines – doch wenn die Hirne hinter diesen Augen das Gesehene unterschiedlich auslegen? Dann kommt es mitunter zu Diskussionen zwischen den Schiedsrichtern, zu langen Spielunterbrechungen, die dem Spiel die Magie oder zumindest die Spannung rauben. Wäre es also nicht besser, dem einen Schiedsrichter auf dem Spielfeld und seinen Kollegen am Spielfeldrand die Allmacht zu lassen, obwohl sie sich als Menschen irren können?
Der DFB diskutiert über das Thema, er sieht Optimierungsbedarf. Die FR widmete sich dem Thema mit Pro und Kontra: Frank Hellmann stellt für das Pro das Streben nach mehr Gerechtigkeit in den Vordergrun. Ulrich Fuchs sieht den Video-Assistenten als Angriff auf das Wesen des Spiels, in dem es auch ungerecht zugehen dürfe. Peter-André Alt ging in seinem Artikel „Schafft den Videobeweis ab!“ noch etwas weiter:
„Der Fußball wird tiefgreifend verändert. Wer im Stadion sitzt, kann nur selten verstehen, was gerade geschieht, wenn der Schiedsrichter das Spiel unterbricht, da auf der Anzeigentafel des Stadions keine Wiederholung der jeweils strittigen Szene erscheint. Das Medium hat vom Spiel Besitz ergriffen, die Fernsehaufzeichnung gerät zum Tribunal, bei dem das mediale Bild den Ausschlag gibt. Im Grunde ist das eine wissenschaftliche Konstellation.“
Fußball ist keine demokratische Veranstaltung
„Die Antreiber der Versuche der Modernisierung des Fußballs sind dabei, das Wesen des Spiels zu zerstören. Interessengeleitet vom Einsatz gewinnbringender Technologien und vom Drang nach Perfektion, entsteht ein neues Expertentum, das das Publikum immer weiter von der Lebendigkeit dieses Ballsports entfernt.
„Der Fußball ist schön, weil er einer antiken Tragödie gleicht. In ihr gibt es weder das ganz Gute noch das ganz Schlechte“, schreibt Peter-André Alt. Wie Recht er hat! Der Fußball ist keine demokratische Veranstaltung und er ist auch nicht gerecht. Verlangt allerdings feste Spielregeln, die bereits zu Gründerzeiten im 19. Jahrhundert ein geniales Regelwerk schufen. Nahezu alle späteren Änderungen der Regeln vom berühmten grünen Tisch (Paradebespiel neue Abseitsregeln – aktives, passives Abseits) haben mehr Verwirrung erzeugt, denn das Spiel lebendiger gemacht.
Der Videobeweis hat bereits in der sogenannten Probephase gezeigt, dass er das Spiel nicht gerechter macht (denn, siehe oben), sondern nur mehr TV-Bildschirme und Entscheider in die Stadien transportiert. Die häufigen Unterbrechungen im Spiel, um auf den Videoassistenten zu reagieren, rauben dem Zuschauer im Stadion und dem vor dem Bildschirm den letzten Nerv. „Das Medium hat vom Spiel Besitz ergriffen, die Fernsehaufzeichnung gerät zum Tribunal …“ (Alt).
Der Fußball lebt von der Emotionalität, der Faszination des Augenblicks, der Fehlerhaftigkeit und auch der Ungerechtigkeit. Es hat nur einer auf dem Spielfeld die Entscheidung über Foul oder Nicht-Foul, über Tor oder Nicht-Tor zu entscheiden: Das ist der Schiedsrichter und sein Linienrichtergespann. Dem Frust und der Freude unterliegen diese Entscheidungen des Mannes (oder der Frau) mit der Trillerpfeife. Alles andere ist der langsame Tod eines faszinierenden und nervenaufreibenden Spiels!“
Jürgen Malyssek, Wiesbaden
Zwei Experten, zwei Meinungen
„Am letzten Bundesligaspieltag bekam Hoffenheim einen Elfmeter zugesprochen. Der Reporter des Spiels bei SKY sagte sofort, klarer Elfmeter, dafür brauchen wir keinen Videobeweis. Kurze Zeit später meldete sich der Schiedsrichterexperte Merck, kein Elfmeter, da der Hoffenheimer Spieler aus dem Abseits kam und daher nicht eingreifen durfte. Der Reporter sprach danach nur noch von einer Fehlentscheidung des Schiedsrichters, die er vorher so gelobt hatte! In der Berichterstattung der ARD-Sportschau zum gleichen Spiel kam auch ein Schiedsrichter zu Wort und erklärte, dass vor dem Eingreifen des Hoffenheimer Spielers ein Abwehrspier der Hertha den Ball gespielt habe, es somit eine neue Spielsituation gegeben habe und der Elfmeterpfiff zu Recht erfolgte! Zwei Experten, zwei Meinungen! Wie auch immer der Videoschiedsrichter entschieden hätte, es wäre wieder kontrovers diskutiert worden, also lasst den Blödsinn, akzeptiert doch einfach die Entscheidung des Schiedsrichters. Alle machen Fehler. Der Stuttgarter Beck macht einen eklatanten, stümperhaften Fehler im Mittefeld, was zum Gegentor führt. Der Schalker Torwart macht zwei grobe Fehler, die den Sieg seiner Mannschaft kosten. Ist da ein Trainer wie wild aufgesprungen und hat seinen Spieler beschimpft? Nein, die armen Profis müssen geschützt werden aber den Schiedsrichter darf man bedrängen und hart kritisieren. Es ist doch nicht mehr mitanzusehen, wenn Spieler, die ein Foul begangen haben, den Schiedsrichter bedrängen und bereden. Mannschaftskameraden kommen über den halben Platz gelaufen und reden auf den Schiedsrichter ein, höchstwahrscheinlich nicht immer mit der feinen Wortwahl! Wenn man das Foul in der Wiederholung sieht, kann man doch häufig genug feststellen, dass der Spieler nur mit einer Verwarnung gut bedient wurde. Diese Meckerei von Spielern und Trainer muss aufhören und hart bestraft werden! Der Spieler muss nur registrieren: Für mich oder gegen mich und dann geht es weiter!“
Ralf te Heesen, Altenberge
Der Schiedsrichter, der arme Kerl
„Wer wie ich das Zuschauen beim Fußball noch zu Zeiten der alten Oberliga Süd am Riederwald, auf dem Bieberer Berg oder am Bornheimer Hang gelernt hat, der kann die Träumereien des Lesers Malyssek von diesen seligen Zeiten sehr gut nachvollziehen. Jedoch – gewinnbringende Technologien einzusetzen oder dem Drang nach Perfektion zu folgen, sind zwar auch Gründe für die derzeitige befremdliche Entwicklung des Geschäftes der Fußballschiedsrichter, aber die eigentliche Ursache ist – natürlich – das Geld, um das es geht.
Alfred Pfaff, Hermann Nuber oder Richard Herrmann haben damals als Vertragsspieler ein paar hundert Mark „Entschädigung“ erhalten und mussten nachweisen, dass sie einer beruflichen Tätigkeit nachgehen. Wer hat schon damals daran gedacht, dass aus diesem biederen Volksvergnügen Fußball das alle Grenzen sprengende Millionenspiel von heute werde würde, bei dem ein Paradiesvogel wie Aubameyang 10 Millionen Euro im Jahr einstreichen kann.
Im gleichen Maß wie dann die Umsätze der Vereine anstiegen, stieg auch die Verantwortung der Schiedsrichter. Wenn der Pfiff des Schiedsrichters im Relegationsspiel darüber entscheidet, ob eine Mannschaft absteigt oder nicht, oder wenn durch einen Elfmeter einer Mannschaft die Champions-League-Teilnahme verwehrt wird, dann geht es dabei um Millionen! Hinzu kommt, dass durch den Einsatz von dutzenden Fernsehkameras pro Spiel jede Entscheidung des Schiedsrichters überprüft werden kann, und dadurch die armen Kerle noch zusätzlich unter Druck geraten. So ist es nur folgerichtig, wenn man mit allen Mitteln technischer Art und durch die Verteilung der Entscheidungsmacht auf mehrere Schultern versucht, die Schiedsrichterentscheidungen zu objektivieren und den Druck auf die Schiedsrichter zu vermindern. Mit „demokratisch“ hat das herzlich wenig zu tun.
Dieses System wird sich genauso wenig verändern lassen wie unser Gesellschaftssystem, es kann also nur darum gehen, die Auswüchse abzuschwächen, um die Faszination des Spiels zu retten; denn die ist zweifellos in Gefahr. Mein schüchterner Vorschlag wäre, wie beim Handball oder Eishockey zwei Schiedsrichter einzusetzen und den ganzen technischen Firlefanz wegzulassen.“
Was mich hauptsächlich stört, ist die zunehmende Kapitalisierung des Fussballs. In Zusammenhang damit wollen die Konzerne FIFA, UEFA oder DFB unbedingt die Kontrolle über das Spielgeschehen behalten bzw. erweitern. Diverse Auslosungsverfahren sorgen dafür, dass möglichst auch, wenn nicht auf das Ergebnis, so doch auf ein gewisses Ranking der Vereine oder Nationalmannschaften Einfluss genommen, bzw. deren Kapitaleinfluss berücksichtigt und für rentable TV-Quoten gesorgt werden soll. Ich sehe den Videobeweis als ein weiteres Indiz, uns mit Gerechtigkeit zu ködern, um mehr Einfluss auf das Ergebnis des Spielgeschehens zu nehmen. Die Rolle der Schiedsrichter als Abhängige und Gegängelte des DFB einerseits, und als autoritäre Herrscher den Spielern gegenüber andererseits, tragen zu diesem Bild bei. Auch die Abseits- und die Handspieregelung geben Schiedsrichtern einen zu großen Interpretationsspielraum, sprich zu viel Macht. Anderes Beispiel: Letzten Samstag erhielt Ribery für eine offensichtliche Tätlichkeit eine gelbe Karte. Hätte sich dies ein Afrikaner bei einer Zweitligamannschaft erlaubt, wäre er womöglich bei selben Schiri vom Platz geflogen. Ich unterstelle dem Schiedsrichter damit keine bewußte Haltung, sondern einen unbewußten Affekt, indem er das ganze System Fussball nicht reflektiert, auch nicht seine Macht, die manchem hin und wieder zu Kopf steigt.
@ Peter Bläsing
Ja, Romantik im Fußball ist es nicht mehr. Auch der sehr patente Präsident von Darmstadt 98, Rüdiger Fritsch, hat das im Interview im letzten „Kicker“ so sagen müssen.
Im Profifußball überlebt man damit nicht mehr. Das Traurige daran ist, dass sich das mit dem Geld und dem Profit bis in die letzte Kreisklasse fortsetzt, wenn auch mit überschaubaren Summen. Damit auch viele Unarten, die der große Fußball medial zur Schau stellt.
Und ich gebe zu, ich bin ein Fußball-Romantiker, wenn auch nicht ganz blauäugig, so doch sind mir Prinzipien im unteren Amateurbereich (also Basis) sehr wichtig. Das gilt jedenfalls für unseren Verein.
Da geht es mir glaube ich wie Ihnen: Wir wissen noch, was Hermann Nuber und Alfred Pfaff oder auch Fritz Walter und Horst Eckel „verdient“ haben. Lang lang ist’s her. Und die volksnahen Stadien, usw.usw.
Wenn sich ein Aubameyang wie ein Paradiesvogel benimmt, so finden Sie auch in den unteren Ligen diese kleinen Abbilder wieder. Hauptsache originell sein. Eine Auswahl natürlich.
Damit ich nicht mein Thema hier verfehle, sehe ich natürlich auch, wie Sie, dass die Anforderungen an die Schiedrichter sehr groß sind und wie Fehlentscheidungen sogar über Auf- und Abstieg entscheiden können.
Ich bleibe dennoch bei den menschlichen Lösungen und bei der notwendigen Autorität des Schiedrichters, auch wenn es mir nicht fremd ist, sie manchmal in den Boden stampfen zu wollen. So ist es eben mal, wenn man etwas fußballverrückt ist.
Aber dieses Bildschirm-Theater, das dann schon Trainer und Manager am Spielfeldrand veranstalten, das kann mir gestohlen bleiben.
Und es ist durchaus zutreffend, vom „Wesen des Fußballs“ zu sprechen, welches diese technischen Hilfsmittel nach und nach kaputt machen.
Alles übrigens, was auch Ralf te Heesen oben sagt zum Fehlermachen aller Akteure und zur ständigen Bedrängung der Schiris, kann ich gut abnicken.
Dann hätten wir auch noch diese abstrusen Abseits- und Handspielregelungen (Robert Maxeiner), die es dem Schiedsrichter nun wirklich schwer machen, noch alles richtig zu pfeifen. Das Problem liegt bei den Regelmachern am grünen Tisch, die sich hinterfragen müssten, was ihnen da wieder in den Kopf gekommen ist, die guten alten Regeln spannender machen zu wollen und dabei viel fachlichen Mist zu produzieren.
In den unteren Ligen muss man als Schiedsrichter damit rechnen, auch schon mal zusammengeschlagen zu werden. Bei uns haben daher im letzten Jahr die Schiedsrichter mal einen Spieltag gestreikt.
Da fragt man sich, was mit «Wesen des Fußball» gemeint sein könnte.
@ Henning Flessner
Wir brauchen uns nicht darüber zu streiten, dass es das nicht gibt – gerade in den unteren Ligen und häufig Gewalt auf den Plätzen, insbesondere bei Jugendspielen. Diese Ausschreitungen, im Jugendbereich, oft von den Eltern der Jugendspieler ausgehend, sprechen ja nicht gegen das eigentliche „Wesen des Fußballs“ – also das Spiel selbst und seine Dramatik, seine Faszination.
Hier liegen bekannterweise die tieferen Ursachen der Gewaltprobleme und Grenzüberschreitungen in der Gesellschaft,dass es auch bei diesem Sport oft so geworden ist, wie Sie es beispielhaft schreiben. Die Streiks der Schiedsrichter (war es Niedersachsen?) sind bekannt gewesen.
Und das Schiedsrichter-Thema ist auch bei uns im Kreis und anderswo auf der Tagesordnung.
Zum Wesen des Fußballs habe ich ja bereits was gesagt. Ich könnte auch mehr dazu sagen. Aber vielleicht reicht es erst einmal so.
Ein Schiedsrichter sollte Autorität ausstrahlen und von den Spielern mit Respekt behandelt werden. Leider untergräbt der DFB selber ständig die Autorität seiner Schiedsrichter durch unangemessene und rigide Kontrollen. Ich erinnere an das Buch von Babak Rafati. Der Mann am Computer in Köln trägt wesentlich zu dieser Autoritätsuntergrabung bei. Er soll nur beraten, greift aber allzu oft in das Spielgeschehen ein, bzw. beeinflußt die Entscheidungen des Schiedsrichters. Mich beschleicht der Verdacht, dass der DFB aus dieser ambivalenten Haltung gar nicht raus will, um weiterhin von aussen, besser von oben Einfluss auf Entscheidungen zu nehmen. Und die Schiedrichter können nur überfordert sein und treffen dadurch um so mehr Fehlentscheidungen, denn es steht im wahrsten Sinn des Wortes zu viel auf dem Spiel.
@Jürgen Malyssek
Ich habe nie vereinsmäßig Fußball gespielt. Ich war Basketballer und Marathonläufer, aber nie im Verein.
Ein Umringen und Bedrängen eines Schiedsrichters wie im Fußball habe noch nie woanders gesehen. Selbst im doch sehr harten Eishockey wird jede Schiedsrichterentscheidung akzeptiert.
Im Basketball, wo es auch um viel Geld geht, bedrängt kein Spieler den Schiedsrichter, weil das sofort als Foul geahndet wird und mit 5 Fouls kann man duschen gehen.
Warum ist es im Fußball anders? Warum gibt es die meisten Hooligans beim Fußball? Liegt das nur daran, dass der Fußball so beliebt ist.
Das Wesen des Fußballs hat Sepp Herberger mMn am besten beschrieben: Die Leute gehen zum Fußball, weil sie nicht wissen, wie es ausgeht.
Mit antiker Tragödie hat Fußball nichts zu tun. In der Tragödie scheitert der Held unausweichlich. Der Held ist zweifach gut. Das eine Gute siegt auf Kosten des anderen Guten. Helmut Rahn ist vielleicht gescheitert, aber nicht als Held.
@ Henning Flessner
Das sind freilich ganz verschiedene Sportarten und auch mit einem anderem Publikum, obgleich sich das beim Fußball seit den 1970ern sehr viel geändert hat.
Den Marathonlauf können wir durchaus als Leichtathletik-Disziplin mal so stehen lassen. Aber Basketball oder Volleyball, ja sogar Hallenhandball haben ein anderes Zuschauerambiente und eine andere SpielerInnen-Kultur. Insofern nicht wirklich vergleichbar.
Aber Sie haben recht, beim Fußball entlädt sich eine ganz andere Emotion oder besser gesagt, ist eine andere Stimmung.
Der Fußball, sieht man mal von der Gründungszeit an englichen Hochschulen ab, ist bis weit in die 1960er Jahren ein Arbeitersport gewesen (großes Beispiel der Ruhrpott mit seinen Koslowskis, Sawitzkis oder Konopkas. Mit einem hohen Grad an Identifikation zum Verein (siehe Schalke 04 mit seinem Mythos der „Knappen“, der Bergarbeiter). Um nur eine altes und vielleicht bekanntestes Beispiel zu nennen. Eine ganz andere Atmosphäre auf den Spielplätzen als in einer „vornehmeren“ Ballspiel-Halle oder beim Judosport, Ringen, Eislaufen, Tennis oder oder …
Der Schiedsrichter beim Fußball war immer schon in einer exponierten Stellung, mitten drin auf dem Platz, möglichst auf Ballhöhe, Entscheidungen treffend, die der Zuschauer mal wieder anders gesehen hat oder sowieso alles besser weiß …
Der „Pfeifenkopf“, der „Blinde mit der Pfeife“, „auf einem Auge blind“, „Heimschiedrichter“ u.v.a.m.
Ich kenne die Spielregeln beim Basketball nicht gut oder garnicht. Kann mir aber vorstellen, dass es eine andere Kultur des Spielerverhaltens gibt, die es zwecklos macht, irgendetwas gegen SR-Entscheidungen zu tun. Da kenne ich mich aber nicht aus.
Warum es Hooligans beim Fußball gibt? Weil es da eben ein ganz spezielles Publikum ist, das in die Stadien zieht, das sich in verschiedene Gruppen aufteilt und sich in eine gewisse Siegerstimmung manövriert, da wiederum auf Kontrahenten (so wie auf dem Spielfeld) trifft und das Spektakel liebt. Mal Pause macht vom normalen Leben und möglicherweise auch vom eintönigen Alltag. Leider auch Krawallmacher.
Ohne Frage ist der Fußball deshalb so beliebt, weil er am treffendsten die Spannungen und die Entlastungsmomente des geregelten oder bedeutungslosen Alltags kompensieren kann: Mannschaft, Spiel, Sieg oder Niederlage. Frustrationsersatz sein kann oder aber auch Leidensschaft erzeugen kann bis zum Fanatismus. Eben auch ein Spiegel der Gesellschaft. Alles auch etwas verrückt. Man sagt ja auch: Um da über viele Jahre beim Fußball mitzumachen, dazu muss man halt auch ein bisschen „bekloppt“ sein. Zweifelsohne eine Leidenschaft und auch geprägt sein von einem Zugehörigkeitsgefühl einer Liebe zur Gemeinschaft. Was auch an vielen Stellen in Hass übergehen kann, wie wir bei den Ausschreitungen erleben können.
Dazu eine Haltung zu kriegen, als Aktiver, auch als Verantwortlicher, ist eine der wertvollen Aufgaben im Vereins- und Fussball-Leben.
Insofern kann Fußball auch eine Schule des Lebens sein.
Sepp Herberger war übrigens ein kluger Kopf. Der wusste genau, was in den Köpfen der Fußballer vor sich ging und wer zu wem und was zu was passt. Insofern ist alles, was er zum Fußball gesagt hat, richtig!
„Vor dem Spiel, ist nach dem Spiel“. „Der Ball ist rund und muss ins Eckige“ usw.
Nur „Das Spiel dauert 90 Minuten“, das ist nicht mehr und kann ersetzt werden mit: „Das Spiel dauert so lange, bis der Schiedrichter es abgepfiffen hat.“
Zur antiken Tragödie: Peter-André Alt sagte ja: „Es gibt weder das ganz Gute noch das ganz Schlechte“ (s.o.)
Helmut Rahn ist der Typus eines Fußballhelden, der privat überhaupt kein Held war und es auch nie sein wollte. Fritz Walter ist etwas anders gestrickt gewesen. Sepp Herberger steckte 1954 in Spiez, in der Schweiz, die beiden klugerweise zusammen auf ein Zimmer, weil sie beide zusammen eine Balance der verschiedenen Gemüter ausmachten und in der Wechselseitigkeit für die Mannschaft unentbehrlich waren („Der Geist von Spiez“).
Das Ergebnis ist bekannt.
@ Jürgen Malyssek
Da haben Sie ein wahres Wort gesprochen: Der Fußball ist ein Spiegel der Gesellschaft. Je weiter man aufsteigt, umso totaler die Gier nach dem Geld, die Kommerzialisierung. Und bei Spielern und Zuschauern auf allen Ebenen eine Zunahme von Hass und Rücksichtslosigkeit.
Das ist traurig, denn im Jugendsport hatte der Fußball bisher eine wichtige erzieherische und integrative Aufgabe, der er aber nur noch begrenzt nachkommen kann, wenn die Vorbilder auf höherer Ebene die Regeln der Fairness, die eigentliche Grundlage jedes Sports, zunehmend verletzen.
Manchmal wundere ich mich, dass die Fans „ihrem“ Verein noch so leidenschaftlich anhängen können und nicht merken, dass es doch nur noch darauf ankommt, welcher Verein das meiste Geld hat, mit dem er dann die besten Spieler kaufen kann.
Da sind es bei der Eintracht nicht mehr vorwiegend lokale Größen wie Grabowski, Möller oder Alexander Schur, denen man zujubelt, sondern überbezahlte Söldner, die sich für ein paar Kröten mehr jederzeit abwerben lassen. Mit Sport hat das meiner Ansicht nach nur noch wenig zu tun.
Fußball als Spiegel der Gesellschaft?
Vor langer Zeit erschien mal in der FR(?) ein Artikel, der erklärte warum es in den USA keinen Fußball wie in anderen Teilen der Welt gibt. Es sei der gleiche Grund, warum es keine starken Gewerkschaften und keine Sozialdemokratie gäbe. Der Rest des Artikels war leider Soziologen-Chinesisch, das ich nicht verstanden habe.
Fußball ist eigentlich kein besonders interessantes Spiel: alle 30 Minuten ein Tor, hauptsächlich Geplänkel im Mittelfeld.
Trotzdem fasziniert es viele Menschen. Es scheint, irgendwie zu polarisieren. Entweder man ist für Bayern München oder man ist gegen Bayern München. Jeder Zuschauer ist im Stadion ist Partei. Man geht nicht hin, um ein schönes Spiel zu sehen, sondern um die eigene Mannschaft siegen zu sehen. Wenn die eigene Mannschaft hoffnungslos hinten liegt, gehen viele nach Hause, mag das Spiel noch so schön sein.
Damit ist die beste Grundlage gelegt, um Emotionen zu wecken. Der Zufall, der im Fußball eine große Rolle spielt (40% alle Tore fallen ungeplant.), erzeugt Spannung und Hoffnung bis zum Ende der Nachspielzeit. Die Regeln sind so gemacht, dass fast jede Situation, ob nun Foul, Handspiel oder Abseits, verschieden ausgelegt werden kann und sie werden von den Zuschauern natürlich emotional ausgelegt. Auch das Bedrängen des Schiedsrichters, das Toben des Trainers heizt die Emotionen an. Jede ungerechter der Sieg ist, umso höher schwappen die Emotionen und je länger wird über das Spiel geredet. Es darf nicht immer die bessere Mannschaft gewinnen.
Wenn man mit technischen Hilfsmitteln immer objektiv feststellen könnte, ob es ein Foul, ein Handspiel, ein Abseits, ein Tor ist, würde man die Emotionen aus dem Spiel nehmen. Das ist der Nachteil des Videobeweises.
Wenn das Spiel aber keine Emotionen mehr weckt, würden die Zuschauer vielleicht feststellen, dass es eigentlich ein ziemlich langweiliges Spiel ist.
@ Henning Flessner
„Entweder man ist für Bayern München oder man ist gegen Bayern München.“
Was ich dabei nicht verstehen kann, ist, dass sich das von Spiel zu Spiel ändern kann.
Mein Mann kann normalerweise die Bayern nicht ausstehen, weil er sie für arrogant hält und es ihn ärgert, dass sie den Sieg in der Bundesliga dank ihres vielen Geldes seit Jahren quasi gepachtet haben. Wenn sie dann allerdings gegen eine ausländische Mannschaft, etwa Madrid oder Lissabon, spielen, hält er plötzlich zu ihnen. Das finde ich schizophren.
@Brigitte Ernst
Schizophren ist ein bißchen hart ausgedrückt, vielleicht nur ein wenig irrational, aber so sind Emotionen nun mal.
Darf ich die Damen und Herren Kommentatoren daran erinnern, dass das Thema „Pro und Contra Videobeweis “ hieß?
@Peter Bläsing
Ich hatte geschrieben, dass der Fußball von Emotionen lebt, und dass der Videobeweis dafür nicht förderlich ist.
Wer für Fußball ist, sollte also dagegen sein, wer gegen Fußball ist, dafür.
@ Brigitte Ernst
Das eine ist die allgemeine Entwicklung in der Gesellschaft, die sich auch auf den Fußballsport niederschlägt (so auch immer mehr Technik, wie der Videobeweis, Torlinienkamera usw.). Oder der Kommerz überhaupt. Das andere ist aber immer noch das Potenzial an förderlichen Wegen der Entwicklung und Prägung von heranwachsenden Menschen: Fairness, Teamgeist, Kameradschaft, Gemeinschaft, Individualität, Integration und …
Da der Fußball Leidenschaft erzeugt, ist es auch nicht verwunderlich, dass Fans sehr treu und anhänglich „ihren“ Vereinen folgen.
Sie stehen dem Geldgeschäft und dem Spielerhandel letztlich machtlos gegenüber.
@ Henning Flessner
„Wenn das Spiel keine Emotionen mehr weckt, würden die Zuschauer vielleicht feststellen, dass es eigentlich ein ziemlich langweiliges Spiel ist.“
Der Satz gibt jetzt keinen Sinn. Entweder weckt ein Spiel Emotionen oder weckt es nicht.
Etwas anderes ist, dass es langweilige Spiele gibt und spannende Spiele. Je nachdem ist der Grad der Begeisterung, der Gefühle.
@ Jürgen Malyssek
Ich kenne die erzieherischen und integrativen Leistungen des Fußballs im Jugendbereich, ich war selbst Fußballermutter.
Was den Videobeweis anbetrifft, so kann ich einerseits Herrn Flessners Argumenation nachvollziehen, dass häufige Unterbrechungen den Spielfluss und damit die Spannung lähmen. Ich habe das in den USA bei einem Footballspiel erlebt: Fünf Minuten Aktion auf dem Spielfeld, danach verschwinden die Schiedsrichter in den Kabinen, um lang und breit das Ergebnis zu besprechen, danach wieder eine kurze Spielphase und so weiter. Ich fand das todlangweilig.
Andererseits kann ich verstehen, dass man sich eine gerechte Entscheidung wünscht, zumal die Fehlentscheidung ja von der Fernsehkamera festgehalten wird und später jahrzehntelang um die Welt geht (z.B. das Tor Englands, das gar keines war, im Endspiel 1966). Weder für den unrechtmäßigen Sieger noch für den Verlierer ist es leicht, mit einer solchen objektiv feststellbaren Ungerechtigkeit zu leben.
@Jürgen Malyssek
Das Spiel ist langweilig. Erst durch die Mischung mit den Emotionen wird es im Gehirn des Fans interessant. Wenn man das Spiel so organisiert, dass es keine umstrittenen Entscheidungen mehr gibt und das Tor so vergrößert, damit immer der Bessere gewinnt, wird es den Zuschauern irgendwann zu langweilig.
Ich habe große Zweifel, dass Fußball im Verein der Charakterbildung förderlich ist. Dort geht es doch nur ums Gewinnen, nicht um den Spaß am Spiel. Ich habe mein ganzes Leben Sport getrieben. Zweimal wollte ich es aufgeben: ich hatte begonnen in einem Verein mit zu trainieren. In der Wirtschaft habe ich niemals einen derartigen Leistungsdruck empfunden.
@ Brigitte Ernst
Der Videobeweis macht das Spiel und das Ergebnis nicht gerechter, weil auch die mehr Augen, die auch das Spielfeld schauen, zu unterschiedlichen Wahrnehmungen kommen und zum Schluss der leitende Schiri die Entscheidung treffen muss und darüber hinaus mit Kompromissen befasst ist.
Das haben ja die vielen strittigen Auseinandersetzungen der letzten Zeit gezeigt.
@ Henning Flessner
Nee, da treffen wir uns wirklich nicht! Das Spiel ist eben nicht langweilig. Das ist sowas von hypothetisch, das Spiel so zu organisieren, dass es keine umstrittenen Situationen mehr gäbe. Und die Vergrößerung der Tore! Das ist mir jetzt zu theoretisch und hat mit Fußball nichts mehr zu tun. Das habe ich im Leserbrief bereits beschrieben.
Auch habe ich ganz andere Erfahrungen mit dem Fußball im Verein gemacht, was Prägung und auch Charakterbildung angehen. Natürlich geht es ums Gewinnen, aber auch zu lernen mit dem Verlieren zurecht zu kommen. Ich habe das jedenfalls in der Jugendzeit gelernt. Und ich weiß, dass es nicht heute einfach verloren gegangen ist, auch wenn die Zeiten auf Sieg und Meisterschaft getrimmt sind. Wenn ein Fußballer kein Spaß mehr am Spiel hat, dann hat er in der Tat keine große Chance mehr weiterzumachen. Das geht selbst den Profis so. Schauen Sie sich Robben und Ribery an: Teure Profis, aber ohne Spaß mam Spiel, würden die nicht mehr auf der Bildfläche sein.
„Ich würde sagen: Mann aus dem Ohr, Stecker ziehen. Fußball spielen. Entscheidungen im Stadion und sonst nicht“
sagt Fritz Keller, Präsident des Fußball-Bundesligisten SC Freiburg und plädiert für die Abschaffung des Videobeweises.