Bundesumweltminister Norbert Röttgen hat anscheinend Sympathien für die „charmante“ Idee, Reststrommengen für den Weiterbetrieb deutscher Atomkraftwerke unter den Energiekonzernen zu versteigern. Juristisch sei diese Lösung nicht anfechtbar, anders bei einem Deal, bei dem die Gewinne der Konzerne aus dem Weiterbetrieb teilweise abgeschöpft würden. Würde sich die Bundesregierung beispielsweise auf eine Verlängerung der Laufzeiten um acht Jahre einigen, ergäbe das eine Reststrommenge von 1120 Terawattstunden für die 17deutschen AKWs. Diese Menge würde in Tranchen zerlegt und diese Tranchen würden meistbietend versteigert. Mit solchen Versteigerungen hat der Bund bereits bei den UMTS-Frequenzen gute Erfahrungen gemacht. Als „markwirtschaftliche Lösung“ lobte die FDP diese Idee, die SPD nennt sie „russisches Roulette“: „Bei Atomlaufzeiten geht es um Sicherheit, nicht um das Staatssäckel,“ sagte SPD-Generalsekretärin Andrea Nahles.
Was die marktwirtschaftliche Lösung betrifft: „Durch eine Auktion der Lizenzen für den befristeten Weiterbetrieb könnten die Zusatzgewinne der Energieunternehmer weitgehend abgeschöpft werden, der Staat würde viel mehr einnehmen als durch eine Steuer“, sagte Ideengeber Justus Haucap, Düsseldorfer Wirtschaftsprofessor und Chef der Monopolkommission, der FR. Zudem würden die wirtschaftlichen Risiken wie die Strompreisschwankung auf die Konzerne übertragen und sie zur Offenlegung der erwarteten Gewinne gezwungen. „Sie müssten selbst einschätzen, wie viel sie in längere Laufzeiten investieren.“ Die Energiekonzerne reagieren jedoch verärgert. „Das ist ein alter Vorschlag, der wegen vieler rechtlicher und wirtschaftlicher Bedenken zu Recht nicht weiterverfolgt wurde“, sagte ein Eon-Konzernsprecher.
Und die Sicherheit? Wir die „verramscht“, wie Greenpeace-Experte Tobias Münchmeyer kritisierte? Die Politik müsste den Konzernen bei einer Versteigerung freie Hand lassen, für welche Atomkraftwerke die Strommengen eingesetzt werden. Allerdings darf die Politik nach wie vor eingreifen, zum Beispiel mit harten Sicherheitsauflagen für alte Meiler. Damit könnte erreicht werden, dass sich der Weiterbetrieb maroder AKW trotz Versteigerung nicht lohnt. Marode AKWs? Der Kernkraft-Experte Wolfgang Renneberg, ehemaliger Abteilungsleiter für Reaktorsicherheit um Bundesumweltministerium, hat im Auftrag der Grünen eine Studie erstellt. Ergebnis: „Kein Kernkraftwerk in Deutschland entspricht dem Sicherheitsstandard, der spätestens seit 1994 … für neue Anlagen zugrunde gelegt werden müsste.“ Die acht besonders kritisierten Meiler sind auch die ältesten. Negativ-Beispiel Biblis A: Es gibt dort kein unabhängig funktionierendes Notfall-Kühlsystem, die Wasser-Reserven für die Notkühlung sind geringer als bei moderneren Druckwasserreaktoren, und der Schutz gegen Brandeinwirkungen innerhalb und außerhalb der Anlage ist schlechter. Nach dem Atomkonsens müsste Biblis A ebenso wie Neckarwestheim 1 2010/2011 aus dem Betrieb genommen werden. Deren hohe Fehlerereignisrate erkläre sich auch durch Materialermüdung: Versprödung, Korrosion, mechanischer Verschleiß. Wie wäre es also mit Nachrüsten? Lohnt sich nicht, schreibt Renneberg: „Jeder Versuch, die alten Reaktoren auch konzeptionell auf den heutigen Sicherheitsstandard zu bringen, käme wirtschaftlich und technisch einem Neubau nahe.“ RWE, der Biblis-Betreiber, hat nach eigenen Angaben in den letzten zehn Jahren rund 1,4 Milliarden in Nachrüstung und Modernisierung gesteckt. Das Reaktor-Duo Biblis habe ein „gutes Sicherheitsniveau“.
Das Bundesumweltministerium taxiert die Nachrüstkosten bei einer sehr langen Laufzeitplus von 28 Jahren übrigens auf bis zu 50 Milliarden Euro.
Dieter Lehmann aus Hattersheim meint zur Versteigerungsidee:
„Die Koalition möchte also Reststrommengen versteigern. Polemisch, aber deutlicher formuliert, will man in Berlin unsere Gesundheit an den Meistbietenden verhökern und Atomkraftwerke unnötig lange am Netz lassen. Um den Standort des dringend erforderlichen Endlagers für den atomaren Giftdreck kann Herr Röttgen dann ja würfeln, oder das ZDF veranstaltet eine Kernkraftgala mit Heinz Olaf Henkel als Schirmherrn. Thomas Gottschalk animiert Zuschauer, leicht verstrahlten Müll im eigenen Garten zu entsorgen. Nur keine Hemmungen, die Leute gehen erst auf die Straße, wenn es Fußball gibt.
Der dauergrinsende Herr Rösler von der FDP sägt zur selben Zeit am solidarischen Gesundheitssystem, um das uns viele andere Länder beneiden. Aber wie schon erwähnt, keine Hemmungen. Nur Public Viewing bringt die Menschen nach draußen.
Als Sahnehäubchen hat Merkels neuer Bundespräsident Fußballtrainer Jogi Löw jetzt das Bundesverdienstkreuz verliehen, während der verblödete Rest der Republik immer noch mit albernen Fähnchen an den Autos auf der Suche nach dem Sommermärchen hin und her fährt.
Die Koalition erwägt, Reststrommengen zu versteigern. Aus Sorge um den Erhalt unserer Demokratie schlage ich daher vor, dass wir diese Koalition versteigern. Wollen wir Afghanistan wirklich Herrn Karsai überlassen? Und wie alt sind eigentlich die Castro-Brüder?“
Markus Daschner aus Berlin:
„Was passiert, wenn Unternehmen Gewinne privatisieren, Risiken aber auf die Gesellschaft abwälzen dürfen, hat zuletzt die Finanzbranche gezeigt. Eine solche Konstellation dürfte die jeweiligen Akteure systematisch dazu verleiten, übermäßige Risiken einzugehen.
Auch Atomkraftbetreiber riskieren Werte, die ihnen nicht gehören. Etwa Gesundheit und Menschenleben über tausende Generationen, oder viele Billionen Euro, die im Fall eines Reaktorunglücks fällig würden. Würde dieser Kredit platzen, wäre die aktuelle Finanzkrise dagegen nur ein lästiger Schluckauf.
Kernkraftbetreiber gehen also kaum betriebswirtschaftliche Risiken ein, sondern überwiegend volkswirtschaftliche. Mit dieser Strategie vervielfachen sie ihre Kraft, können künstlich billig produzieren, Konkurrenz klein halten und astronomische Gewinne einfahren. Aus Konzernsicht mag das klug erscheinen. Kluges Regierungshandeln bestünde jedoch meines Erachtens darin, solche gefährlichen Konstellationen zu vermeiden. Man fasst es nicht, dass unsere jetzige Regierung trotz der Erfahrungen mit der Finanzkrise immer noch Laufzeitverlängerungen durchdrücken will! Obwohl eine komplette Umstellung der Stromerzeugung auf erneuerbare Energien mit bereits heute verfügbaren Technologien machbar wäre.“
Dipl.-Phys. Matthias Holl aus Essen:
„Jetzt wird’s ja richtig bunt: Zuerst werden die Laufzeiten der Kernkraftwerke durch ideologische Politik willkürlich verkürzt, dann gibt es Hickhack über die unausgegorenen Restlaufzeiten, und jetzt noch ihre Versteigerung! Jetzt darf wohl jeder seine Schnapsideen zu diesem Thema ausposaunen?! Weit weg von der Sicherheitsfrage, um die es bei vernünftigen Menschen doch eigentlich vordringlich ginge. Und sicher sind die Anlagen: Das ist schon dadurch belegt, dass sie genehmigt betrieben werden, denn unsicheren Anlagen müssten die Behörden nach dem Atomgesetz unverzüglich die Genehmigung entziehen.“
Beat Leutwyler aus Oberentfelden:
„Was mich erstaunt, ist die Frage, wieso sich Energiekonzerne überhaupt interessieren sollten, für ein paar wenige Jahre der Laufzeitverlängerung Milliarden ausgeben zu wollen. Denn was für diese Konzerne noch ansteht, ist der Bau und der Unterhalt eines Atom-Endlagers. Und diese Fässer werden über 20000 Jahre strahlen.
Nach dem Verursacherprinzip sind die Energiekonzerne für diese Endlager vollumfänglich finanziell verantwortlich und dieser Betrag wird schätzungsweise im höheren zweistelligen Milliarden-Bereich liegen. Also liebe Parlamentarier, bevor Sie Gedanken über Versteigerung von AKW-Laufzeiten als ‚interessant‘ bezeichnen (und damit dem Volk Sand in die Augen streuen), sollten Sie eine finanzielle Bestätigung (Confirming Statement) von den Energiekonzernen für den Bau der Endlager verlangen und diese dem Volk vorlegen.
Durch die Erfahrungen der letzten Jahre, bei der Konzerne nicht in der Lage waren solch riesige Beträge aufzubringen, sage ich nach der Banken-Krise hier mal die AKW-Krise voraus.“
Wenn es die ganzen Argumente die gegen eine Laufzeitverlängerung sprechen nicht gäbe und es wirklich um die Versteigerung unstrittiger Strommengen gehen würde, müßte man diese Vergehensweise trotzdem in Zweifel ziehen. In Leipig an der Börse werden derzeit jeden Tag Strommengen verkauft an den best Preis bietenden. Ich glaube es gibt niemanden der der Meinung ist das dort Triumphe der Marktwirtschaft zu sehen sind. Deshalb müssten schon Regel ähnlich der UMTS-Versteigerung vorgegeben werden um gute Preise zu erzielen. Man muß bedenken das nur 4 Bieter an der Versteigerung teilnehmen. Wer aber soetwas von dieser Regierung erwartet glaubt wohl auch noch an den Wheinachtsmann.
Bevor sich Frau Merkel und Co sich an den Arbeitslosen und deren Familien vergreifen, sollten endlich die Verursacher der Krise(n) zur Kasse gebeten werden !
Laßt die gierigen Bänker und Spekulanten nicht ungeschoren davon kommen !
Unsere Meinung dazu hier:
http://www.youtube.com/watch?v=qCYRxHz-OY0&feature=channel
@ Beat Leutwyler:
Die Rücklagen für die Endlagerung werden von den Kraftwerksbetreibern schon seit Jahrzehnten gebildet.
zu @ Beat Leutwyler
Ich stimme Ihnen im Prinzip zu, nur in Deutschland geht es nicht nach dem Verursacherprinzip beim Thema Atom. Beispiel Asse, die Verursacher zahlen aus Ihren Rückstellungen ein paar hundert Millionen. Der Steuerzahler zahlt ein paar Milliarden.
Kanzlerin Angela Merkel hat sich gegen eine Versteigerung der Atomkraftwerks-Laufzeiten ausgesprochen. Sie nimmt damit Stellung zu folgender Überlegung von Umweltminister Röttgen: “Statt den vier großen Energiekonzernen längere Laufzeiten für ihre Atomkraftwerke einfach kostenlos zuzuteilen, sollen sich die Betreiber Lizenzen für jede Terawattstunde ersteigern, die sie zusätzlich zu den bisher schon vereinbarten Reststrommengen produzieren möchten.“
Hier sträuben sich bei mir alle Federn. Es wird nämlich der Anschein erweckt, der im Jahre 2001 von der damaligen rot-grünen Bundesregierung mit der Elektrizitätswirtschaft vereinbarte und der Bevölkerung als Atomausstieg verkaufte Kuhhandel, nämlich die Beschränkung der Laufzeiten der Kernkraftwerken auf 32 Jahre wäre eine energiepolitische Großtat gewesen. Statt dessen war diese Beschränkung ein Schildbürgerstreich, geeignet um Volksvermögen zu vernichten. Statt sich auf die Hausnummer 32 festzulegen, sollten sicherheitstechnische Überlegungen den Ausschlag geben und die Anlagen so lange betrieben werden, wie es die Reaktorsicherheit zulässt. Nun will Röttgen die Vernichtung von Volksvermögen doch vermeiden und die entsprechenden Milliarden dem Staatssäckel zuführen. Aber eigentlich sollte der Nutzen des Weiterbetriebs der Kernkraftwerke den Stromkunden zugute kommen, damit die Strompreise wegen der immer höher werdenden Einspeisevergütungen für Solar- und Windstrom nicht ins Uferlose steigen.
zu@ Reinhard Wolf
Auf den Schutz vor Preiserhöhungen durch AKW kann ich gerade noch verzichten. Angesichts der Tatsache das dieser Schutz zu den mit höchsten Stromkosten in Europa geführt hat ist es damit auch nicht so weit her. Ich verlasse mich da lieber auf die sinkenden Kosten durch das EEG(Preis je kw/Std.) Wenn man davon spricht das Volksvermögen gefährdet ist fallen mir Stichworte wie Wertverlust von Imobilien in der Umgebung von Asse oder Gorleben ein. Ob Preise für Imobilien im Umkreis von 5 km um ein AKW am steigen sind weiß ich nicht kann ich mir aber auch nicht vorstellen. Wenn die Energieversorger ihre Kraftwerke weiter betreiben wollen so sollten sie um auch nur annähernd glaubwürtig zu sein erst einmal selbst ihre Kraftwerke Haftpflicht versichern sonst ist wirklich Volksvermögen in Gefahr.
Ich denke den neusten Witz der Atomlobby kann man hier auch einmal einstellen
http://www.taz.de/1/zukunft/umwelt/artikel/1/nicht-ohne-staatliche-hilfen/
Herr Birol outet sich durch seine Äußerungen ganz offensichtlich als Sprachrohr der Atomlobby. Ohne dass der Interviewer Jakob Schlandt die platten Äußerungen von Herrn Birol über die Wirtschaftlichkeit von Solarenergie oder zur Laufzeitverlängerung von Atomkraftwerken hinterfragt, werden diese dem Leser zugemutet. Wer in einem Interview die Aussage „… weil in manchen Fällen die Endlager-Frage nicht geklärt ist.“ nicht hinterfragt, ist entweder nicht informiert genug oder möchte der Atomlobby behilflich sein. In jedem Fall wird der Leser für dumm verkauft. Auf der ganzen Welt gibt es nach Aussagen von Experten kein einziges sicheres Endlager für Atommüll. Neben den Risiken des Betriebs der Atommeiler kommt der ungelösten Endlagerfrage als Hauptargument für den sofortigen Ausstieg die größte Bedeutung zu. Niemand würde ein Flugzeug besteigen, wenn die Frage der Landung nicht geklärt ist. Wie verantwortungslos sind wir künftigen Generationen gegenüber, dass wir trotz dieser ungelösten Frage weiter am Betrieb von Anlagen festhalten und sogar noch weitere bauen wollen?