„Weißt du noch, Roland, damals auf dem Dach des alten Rundschauhauses an der Großen Eschenheimer?“ Ja, das weiß Roland Bunzenthal noch. Seit 30 Jahren ist er FR-Redakteur, und sowas vergisst er natürlich nicht. Wir standen da oben neben dem „Penthouse“, in dem Altkarikaturist Felix Mussil gewirkt hatte und das kaum mehr als eine schäbige Baracke war. Von dort aus schauten wir auf Frankfurt, und einer sagte mit Blick auf seine Füße: „In diesem Haus ist Geschichte geschrieben worden.“ Er meinte eigentlich: In diesem Haus ist über Geschichte geschrieben worden; aber die melancholische Überhöhung traf den Nerv. An diesem Abend „feierten“ Verlag und Redaktion der FR den Auszug aus dem Rundschauhaus, das inzwischen längst abgerissen ist. Die nächste Ausgabe kam schon aus dem Colosseo.
Und jetzt liegt das Colosseo, das Interimsdomizil, ebenfalls hinter Roland, mir und der FR. Wir stehen in einer der Teeküchen des neuen Domizils im ehemaligen Straßenbahndepot am Frankfurter Südbahnhof und sehen uns befremdet um. Alles ist neu und blitzeblank. Das Gebäude ist erstmal nur ein Gebäude. Es muss noch eingelebt werden, ehe es zum Zuhause werden kann. Aber eines funktioniert von Anfang an reibungslos: Schon mit der Montagsausgabe haben wir wieder über Geschichte geschrieben.
Wie unterschiedlich die letzte Ausgabe aus dem Colosseo von Ihnen, liebe Leserinnen und Leser, aufgenommen wurde, das können Sie an der Auswahl der Leserbriefe erkennen. Es wird auch deutlich, wie unterschiedlich die Erwartungen an eine Tageszeitung sind. Eine Tageszeitung zu machen, das ist der tägliche Versuch, den gemeinsamen Nenner der Leserinteressen zu finden und dabei bestmöglich zu informieren. Ein Scherz hin und wieder muss und darf aber drin sein. Auch und gerade im neuen Domizil.
So, und nun die Auswahl aus den Leserbriefen. Den Anfang macht Jürgen Klonk aus Hofheim:
„Liebe umziehende Redaktion, mit großem Genuss haben wir Ihre Samstagsausgabe gelesen. Solche Erfrischungen, sich einmal um ganz etwas anderes zu kümmern, tun gut. Mein Liebling war die sportliche Beschreibung der Wirtschaft, meiner Frau gefiel diesmal sogar der Sport, nicht so ergebnisorientiert wie sonst, sondern mehr auf die handelnden Personen eingegangen. Oder das Windelwechseln als Topthema aus dem Bundestag … Vielleicht haben die jeweils Ressortfremden den alten Hasen ja was zu sagen?“
Felicitas Joseph aus Frankfurt:
„Meinen Glückwunsch an alle Beteiligten zu den ‚vertauschten Rollen‘ – das muss ich jetzt einfach mal loswerden! Nachdem ich schon etliche Artikel dieser „Serie“ mit großem Vergnügen gelesen hatte, jetzt auch noch ‚Chaos und Kreativität – Die Wanderung der Rosinen im Teig‚. Einfach Spitze! Schade, dass das Ganze wohl ein einmaliger ‚Streich‘ bleiben wird.“
Gesa von Leesen aus Esslingen:
„Als ich heute morgen die FR aus dem Briefkasten holte, dachte ich zunächst, ich sei noch nicht ganz wach … ‚Wir ziehen um‘, prangt auf dem Titel! Sonst alles klar? Das ist das Wichtigste, was passiert ist? Dafür vergeben Sie Ihre Seite 1? Haben wir in diesem Land keine anderen Themen? Oder ist das nun die endgültige Festlegung, dass die FR nur noch eine Frankfurter Regionalzeitung ist? Und dann noch so was Witziges wie Redaktionen- bzw. Ressorttausch! Wie informativ, dass ein Redakteur mit Baby im Bundestag war. Wie informativ, dass Herr Bergius den neuen Wirtschaftsminister eloquent findet, dafür das zweite Konjunkturpaket in sieben Stichworten abhandelt, was ungefähr den Nachrichtenwert eines Fernsehbeitrages hat. Auf Seite 2 und 3 denke ich, ich bin beim Friseur und habe die Bunte in der Hand; Auslandsberichterstattung fällt fast komplett aus, in der Wirtschaft wird’s sportlich und so weiter. Herr Vorkötter hofft auf Seite 1, dass ich mich gut informiert fühle. Nein, Herr Vorkötter, tue ich nicht. Ich fühle mich verarscht.
Ich lese eine überregionale Tageszeitung, weil ich Informationen über die vorabendliche Nachrichtensendung hinaus will. Ich will Hintergrund und Erklärungen und keine dämlichen Spielereien wie Ressorttausch. Machen Sie das in Ihrer Freizeit. Bunte nichtssagende Blätter gibt es genug, machen Sie eine gute TAGESzeitung! Und noch ein Hinweis: Gute Grafik ersetzt keine guten Inhalte.“
Cornelia Deckenbach aus Berlin:
„Wer braucht einen solchen Beitrag? Elternzeit-Väter, die Nabelschau betreiben und an mangelnder Aufmerksamkeit leiden? Eine Zeitung, die Umzugslöcher stopfen muss? Vielleicht Journalisten, die nicht wissen, dass der Bundestag per se kein Ort für Kleinkinder ist? Eltern, die den Begriff ‚frühkindliche Bildung‘ falsch verstehen? Oder Eltern, denen der Kleinkind-Alltag zu langweilig ist? – Ich weiß nicht, was in die Köpfe der Redaktion gefahren ist. Dieser Beitrag war überflüssig wie ein Kropf.“
Peter Leiß aus Berlin:
„Mit Ihrem Umzug und den damit (häufig) verbundenen chaotischen Aspekten haben Sie mit dem ‚Blickwinkel-Wechsel‘ aus der Not eine Tugend gemacht. Eine gelungene Sache -und den daran beteiligten Journalisten hat’s offenkundig viel Spaß gemacht.“
Lieber Herr Bronski,
da muss ich mich gleich an die „Kiste“ setzen und schreiben. Ich fand Ihre Samstagsausgabe einfach herrlich!!!
Die kritischen Stimmen von heute sind anscheinend nur darauf zurück zu führen, dass diese Leser noch keinen Firmenumzug mitgemacht haben und über wenig „feinen“ Humor verfügen.
Ich finde es bewundernswert, trotz Umzug eine komplette Zeitung zu erstellen und diese zu nachtschlafender Zeit bereits in meinem Rohr vorzufinden!!! Ich werde diese Samstagsausgabe aufheben.
Ziemliche Angst macht mir die angedrohte 48-seitige Sonderausgabe über den Umzug am kommenden Samstag. Interviews mit Möbelpackern? Mehrspaltige Artikel über nicht funktionierende Telefone? Oder war das hoffentlich „ein Scherz hin und wieder“? Fällt Ihnen sonst nichts mehr ein? Hilfe!
Also wenn ich manche der Leserbriefe oben lese platzt mir fast die Hutschnur. Gesa von Leesen möchte eine TAGESzeitung – ja die kriegt sie doch alle Tage. und die hat sie auch am lezten Samstag gekriegt. Na gut, das Nachrichtiliche wurde in Randspalten abgefeiert. zum Prozess um den „Ehrenmord“ hätte ich mir auch was ausführlicheres gewünscht, um nur ein Beipsiel zu nennen. Aber der Kommentar von Brigitte Kols hat es für meine Geschmack zurechtgerückt. Damit war ch dann wieder zufrieden. Und dann war so viel anderes aus interessanten Perspektiven in der Zeitung, z.b. der Bericht über Union Investment aus der Perspektive eines Sportjournalisten – das war doch klasse!!! Jürgen Klonk, volle Zustimmung!
Vielleicht liegt es daran, dass die FR ein Teil meines Lebens war und ist. Ich freue mich jedenfalls, dass die FR mich an ihrem Leben in ganz anderer, ganz neuer und sehr erfrischender Art telhaben lässt. Solche Ausgaben sind ja nicht die Regel sondern die Auisnahme. Davon würde ich mir aber mehr wünschen. Aber liebe FR, vernachlässigt das Tagesgeschäft nicht darüer.
Ich kann den Ausführungen von Frau von Leesen nur zustimmen. Sie beschreibt sehr treffend, warum ich seit über 25 Jahren die FR abonniert habe! Allerdings hat sich das Niveau in dieser Zeit leider auch verschlechtert. Zu häufig hat man bei der heutigen FR das Gefühl, der Boulevard ist wichtiger als gute Recherche. Längst vorbei auch die Zeiten, als die FR wichtige Äußerungen im Wortlaut abdruckte, damit sich jeder selbst ein Bild von der Sache machen konnte!
Zwar fand ich einerseits die Idee ganz gut – ähnlich wie Herr Leiß aus Berlin – aber in der Umsetzung fehlten mir dann doch die Informationen, die ich von der FR erwarte.
Auch am Montag suchte ich vergeblich nach ausführlichen Informationen über die Geschehnisse vom Wochenende. Z. B. habe ich bis heute keinen ausführlichen Bericht und Hintergrundinfos zur Tarifauseinandersetzung im öffentlichen Dienst vom Wochenende gelesen. Lediglich eine kleine Notiz über die Vertagung am Montag.
Ich hoffe, dass die Qualität wieder besser wird und der Boulevard nicht noch größer in die Zeitung einfließt!
Die „Umzugsausgabe“ ist zwar einmalig (hoffentlich), aber dennoch: Man erkennt in den letzten Jahren schon eine klare Entwicklung hin zur Belanglosigkeit. Vor 10 oder 15 Jahren wären so ungemein wichtige Beiträge gar nicht oder nur am Rande vorgekommen. Vielleicht mal als Magazin-Seite am Samstag. Höchstens.
Heute ist es gleich eine Titelseite wert; und dann noch dazu die Windelwechselgeschichte auf den Folgeseiten. Da hat Frau von L. durchaus recht: Die wichtigsten Seiten einer Tageszeitung für die eigenen Randnotizen zu verwenden, das macht den sonst geneigten Leser nachdenklich. Die fundierte Durchleuchtung der nicht gerade an Ereignissen armen Zeiten bleibt bei der FR zunehmend auf der Strecke. Viele Meldungen werden z.B. doppelt in einer Ausgabe gebracht – nicht etwa zur Vertiefung des Inhalts, sondern z.T. mit exakt den gleichen Sätzen (muss man die Seiten füllen, weil die Anzeigenkunden ausgeblieben sind?) – und die letzte Seite ist zu einer Boulevard-Postille verkommen, die jeden Huster von irgendeinem B-Promi verlautbart, dem man schon Tage zuvor im Internet nicht entgehen konnte. Da gab es früher unter dem Titel „Aus aller Welt“ wesentlich unterhaltsamere Beiträge.
Schade, dass die Einsparungsmaßnahmen in letzter Zeit mehr als deutlich herauslesbar sind. Bleibt zu hoffen, dass aus den Tiefen der Umzugskisten auch ein paar Einsichten zur Verbesserung der inhaltlichen Qualität zu Tage gefördert werden …
Beste Grüße und Wünsche
Leonard
Auch ich war über 20 Jahre FR-Leser, bin aber nach der Umstellung auf das gegenwärtige Layout ausgestiegen. Z. Zt. bekomme ich ein Probeabo – kostenfrei. Letztlich fühle ich mich aber dadurch und insbesondere durch die „Umzugsausgabe“ in meinem Ausstieg bestätigt. Spätestens seit Samstag ist die Wahrscheinlichkeit, dass ich wieder FR-Abonnent werde, auf Null gesunken. Für Menschen, dies sich für die Probleme eines Vaters mit Säugling im Bundestag interessieren, gibt es die Zeitschrift „Eltern“. Ich brauche das nicht.
Kleiner Tipp am Rande: Wenn umzugsbedingt für eine vernünftige Ausgabe keine Zeit ist, macht eine verbilligte Notausgabe anstatt unnötiger Füllartikel.
Wie wegweisend in dieser verwirrenden Welt aus Politik und Wissenschaft ist doch in der FR vom 14. 2. 09 Ihr Artikel “ Die Wanderung der Rosinen im Teig“ mit dem genialen Satz : „Wobei das eine wundersam in das andere greift, wir es also mit einem Amalgam aus diffuser und exakter Wissenschaft zu tun haben.“
Die FR hat sich durch ihren experimentellen, mutigen Wechsel der Ressorts am Samstag erneut positiv profiliert!
Hallo Frankfurt,
habe die Wochenendzeitung diesmal mit großer Freude und Ausführlichkeit gelesen, weil die Ansichten mal erfrischend anders dargestellt waren. Die Aktualität hat halt ein bischen gefehlt, wie ich diese im neuesten Layout auch immer mehr vermisse. Statt immer größerer Bilder wären mir Texte einfach lieber. Auch die Titelseite sollte das wichtigste des Vortages im Text beinhalten !
Großes Lob für Ihr Panorama: immer interessant, heiter, nachdenklich, und und und…
Auflagen-/Verkaufsententwicklung FR 2008
FR (Mo-Sa) 1/2008 4/2008 +/-%
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Verbreitung 163.310 165.122 1,11
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Remittenden 33.461 33.392 -0,21
Bordexemplare 15.468 19.244 24,41
Sonst. Verkauf 30.037 30.265 0,76
Druckauflage 198.844 203.917 2,55
Auflagen-/Verkaufsententwicklung FR 07-08
FR (Mo-Sa) 1/2007 4/2008 +/-%
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Verbreitung 153.644 165.122 7,47
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Abonnement 92.555 84.405 -8,81
EV-Verkauf 20.075 18.418 -8,25
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Remittenden 20.712 33.392 61,22
Bordexemplare 10.956 19.244 75,65
Sonst. Verkauf 26.445 30.265 14,45
Druckauflage 179.936 203.917 13,33
Quelle: http://daten.ivw.eu/
Anmerkung: Das Quartal 1/2007 war das Letzte unter Wolfgang Storz vor DuMont Schauberg.
Man beachte den Rückggang des Abonnments und Einzelverkaufs, das Ansteigen der Remittenden
Ich kann allen nur zustimmen, die den Verfall der alten FR beklagen. FR im Depot – wie wahr! Ins Depot geht, was nicht mehr gebraucht wird oder dringender Überarbeitung bedarf. Das fing mit dem neuen Format an – mir bis dato nur aus dem lokalen Anzeigenblättchen bekannt. Unterscheidungskennzeichen zur FR: auf der Titelseite stehen im Anzeigenblättchen mehr Informationmen. Bei der FR: Bildchen. Ditto im Innenteil – da gehören Meldungen und Kommentare hin! Und Kommentare: wo mal Gerold und Flach schrieben, dürfen sich jetzt Herr D und ein Gänschen mit Migrationshintergrund in ungekonnter Satire üben. Oder gar Gastkommentare, wie von abgehalfterten ex-RAFlern. Die vor ihren Verbrechen Marx nicht studiert haben und das leider auch in der Zeit im Knast verabsäumt haben. Uns dafür aber die Finanzkrise aus marxistischer Sicht erläutern wollen.
Kurz: FR, ändre Dich und zwar zügig. Sonst gilt auch bei mir nach 40 Jahren: FR ins Depot, d.h. Abo abbestellen und Lesen lieber noch journalistisch tragbaren Publikationen wie der FT oder dem Economist zuwenden.
@ Götz Mackensen
Also: „ein Gänschen mit Migrationshintergrund“ dürfen sie politisch korrekt wirklich nicht sagen! „Gänschen“ ist eine sexistische Herabwürdigung, und den Migrationshintergrund kann man tatsächlich nicht für irgendeine Art von Beschränktheit der entsprechenden Individuen verantwortlich machen noch auch eine solche Beschränktheit damit rechtfertigen.
Die FR-Blogs sind aber ja, wie ersichtlich, offenkundig dazu da, gewisse Defizite der redaktionellen Beiträge auszugleichen bzw. zu revidieren.
Zu der „ungekonnten Satire“ von MELY KIYAK „Liebes Konjunkturpaket II!“ siehe z.B. hier:
http://hebel.frblog.de/was-ist-links-herr-muntefering/
# 175!