Bin Ladens schlimmste Niederlage

Da reibt sich so mancher die Augen. Ein ganzes Land steht auf und fordert Demokratie. Und zwar ein ganzes arabisches Land! Ja, was ist denn jetzt los? Einfach so, ohne dass es vorher in Grund und Boden gebombt werden musste! Ohne dass ihm die Demokratie „gebracht“ werden musste. Das tunesische Volk will sie von sich aus. Araber und Demokratie? Das geht doch nicht. Diese Menschen sind, das wissen wir aus zahlreichen einschlägigen Blogs und aus „Expertisen“, generell unfähig zur Demokratie, sie sind dazu verdammt, autoritär regiert zu werden, wie es dem Islam entspricht – nicht wahr? Und ist das nicht auch gut so? Nur autoritäre Regime können islamistisch-fundamentalistische Tendenzen so niederknüppeln, wie der Westen es braucht.

Sarkasmus beiseite – für die Tunesier steht einiges auf dem Spiel. Sie haben zwar ihren Diktator davongejagt, aber dessen Seilschaften sind in Tunesien noch am Werk. Da sind seine Milizen zu nennen, die jetzt gejagt werden, aber auch die Politiker seiner Partei, der RCD, die in der jüngst gebildeten Übergangsregierung Schlüsselpositionen besetzten, mit dem Ergebnis, dass Politiker der Opposition, die ebenfalls in diese Regierung berufen wurden, ihre Ministerposten nicht antraten. Der Erfolg der tunesischen Revolution, die ein historischer Markstein ist, steht immer noch auf der Kippe. Die Menschen lassen aber nicht locker: Trotz Ausgangssperre demonstrieren sie weiter. Sie haben 21 Jahre lang gelitten. Viel zu lange.

Die Situation in Tunesien war zuletzt bedrückend und aussichtslos. Keine Jobs, selbst für bestens ausgebildete Akademiker nicht. Regionale Arbeitslosenquoten von bis zu 30 Prozent. Politische Entmündigung und Bespitzelung überall. Und die Nahrungsmittelpreise stiegen und stiegen. Letzteres ist zwar nicht dem Ex-Diktator Ben Ali anzulasten; diesem Aspekt werde ich gelegentlich noch gesondert nachgehen. Aber etwas anderes geht auf Ben Alis Konto: die Korruption, deren ganze Ausmaße erst jetzt allmählich sichtbar werden.

Für die politische Region Nordafrika, von Marokko bis Ägypten, kommt die tunesische Revolution einem Erdbeben gleich. In ganz Nordafrika sind autoritäre bzw. scheindemokratische Regimes installiert, deren Führer jetzt bangen müssen, denn in ihren Ländern herrschen die gleichen Probleme wie in Tunesien. Besonders gilt das für Ägypten. In Mubaraks Nil-Reich ist erst vor wenigen Wochen „gewählt“ worden, und eines steht fest: Der wahre Volkswille hatte bei dieser Wahl keine Chance, sich in repräsentativen Ergebnissen niederzuschlagen.

Liebe Tunesier, die Demokratie ist keineswegs das Gelbe vom Ei. Das kann man auch in Deutschland besichtigen, wo demokratisch gewählte, also vom Souverän mit Vertrauen ausgestattete Parteien unverhohlen Lobbypolitik betreiben und wo politische Führer nach ihrem Ausscheiden aus der Politik ruckzuck in lukrative Posten der freien Wirtschaft wechseln. Unsere Demokratie, liebe Tunesier, war schon mal besser. Dennoch: Lasst nicht locker! Wenn ihr es schafft, tatsächlich eine Demokratie bei euch zu installieren, werdet ihr zwar recht bald etwas kennenlernen, was euch neu ist: Parteiengezänk und lange Debatten über den richtigen Weg. Vergesst darüber nicht, was Winston Churchill einmal gesagt hat:

„Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen, ausgenommen alle anderen.“

Stefan Vollmershausen aus Dreieich meint zur tunesischen Revolution:

„Ist das Zusammenleben so richtig gestört wie nun in Tunesien, dürfte sich bei den radikalen Kräften eine vorläufige Befriedigung darüber einstellen, denn die Chance wird größer, das Land übernehmen zu können. Dabei wurde doch die Forderung der Demonstranten erfüllt, der Präsident ist zurückgetreten. Wichtig ist es also meiner Meinung nach, mäßigend auf die Demonstranten einzuwirken, natürlich auch von Seiten des Auslands. Zumal Tunesien in unmittelbarer Nachbarschaft zur EU liegt. Eine beängstigende Vorstellung ist es, Tunesien als Brückenkopf zu sehen für einen neuen Radikalismus, in welcher Ausrichtung auch immer.“

Georg Linde aus Frankfurt:

„Bei gelegentlichen Tunesien-Urlauben konnte man in den letzten Jahren spüren, dass es gärt. Aber dass der von Europa gestützte Diktator so schnell fliehen muss, ist vor allem für die Tunesier erfreulich.
In Gesprächen mit Bewohnern des Landes kam immer wieder die fehlende Berufsperspektive für Jugendliche zur Sprache, die unbezahlbare Krankenversicherung, die miese Bezahlung in vielen Branchen und natürlich die allgegenwärtige Präsenz der Polizeispitzel. Letzteres ist bei uns zum Glück nicht so perfektioniert wie in Tunesien. Im Lauf der Jahre habe ich aber festgestellt, dass sich die Verhältnisse bei uns immer mehr den maghrebinischen angleichen: Leiharbeit, Eineurojobs, Praktikum statt Job, Entsolidarisierung der Gesundheitsvorsorge. Nach der neuen ‚Reform‘ werden die Kassen immer mehr Leistungen ausgliedern müssen. Viele Bevölkerungsgruppen aber können sich risikoorientierte Private Policen nicht leisten – oder werden gar nicht genommen (Alte, Chronischkranke, Behinderte, Harz IV-Empfänger). Dass Lobbyisten der zu kontrollierenden Branchen viele Gesetzesvorlagen mitschreiben, gehört inzwischen zu gesellschaftlich akzeptierter Korruption.
Mit Geld, das konnte man in Tunesien erleben, kann man dort fast alles regeln – jenseits aller Gesetze. Steuern wir unter Schwarz-Gelb auch auf eine solche Aushebelung der Gleichheit vor dem Gesetz durch Geld als vorrangigen Maßstab hin? Arme – angeblich christliche – Leitkultur.“

Salim Samai aus Berlin:

„Nächster jetzt, Algerien, Marokko, Ägypten! Keine Macht und niemand kann die Würde und den Willen des Volkes gegen Tyrannei stoppen!  Außerdem: Nichts beweist die ‚Dummheit‘ und Blindheit der westlichen ‚Expertise‘ und die 1001 diplomatischen Thinktank-Berichte über Stabilität und Fundamentalismus in dieser Teil der Welt besser.
Das Volk, die Würde des Menschen, Facebook und Freiheit haben viel mehr geleistet als Bush, der „War on terror“, die Ideologie der NeoCons und alle westliche Interventionen in Irak und Afghanistan.
Das Spiel ist noch offen in Tunisien. Eine minimale Gefahr der Konfiszierung der Revolution und Freiheit ist noch da. Jedoch Bin Laden und der Fundamentalismus haben in Tunesien ihre schlimmste Niederlage erlebt.“

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20 Kommentare zu “Bin Ladens schlimmste Niederlage

  1. Ja, was ist denn jetzt los? In der Tat, dieser Frage schließe ich mich „alternativlos“ an. Kaum hat das tunesische Volk, ganz ohne „uneigennützige“, westliche Hilfe, seinen Präsidenten davon gejagt, tönt es von Frau „Alternativlos“ Merkel aus dem Kanzleramt: Es sei nun „unabdingbar, die Menschenrechte zu respektieren, Pressefreiheit und Versammlungsfreiheit zu garantieren“. Donnerwetter!! Und der „alternativlose“ Herr Westerwelle schließt sich, „geschmeidig“ wie er in den letzten Wochen geworden ist, natürlich dieser Forderung vollinhaltlich an. Ja, was ist denn jetzt los? Von heute auf morgen ist alles vergessen, was jahrzehntelang nahezu „alternativlos“ gewesen ist.
    Auch die schlimmsten Menschenrechtsverletzungen, unter Staatspräsident Ben Ali, warfen keinen Schatten auf die hervorragenden Beziehungen zwischen Tunesien und der Bundesrepublik Deutschland. Die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung bezeichnete das Ben Ali Regime, noch vor wenigen Tagen, als einen ausgezeichneten Partner. Was heißt hier auch Menschenrechtsverletzungen, wenn die Geschäfte wie geschmiert, so wunderbar „alternativlos“ laufen? Doch nun isser weg, der Garant für gute Geschäfte, der ehemalige enge Verbündete, und damit ist auch der überaus beliebte Produktionsort für deutsche Unternehmen in großer Gefahr, denn schließlich sind diese Moslems unberechenbar. Was wird jetzt z.B. aus den „phantastischen“ Rahmenbedingungen, mit „wunderbaren“, „alternativlosen“ Niedrigstlöhnen?
    „Ein aufgeklärtes Land mit liberaler Wirtschaftsordnung“ sei Tunesien, so jubeln die Neoliberalen angesichts der „alternativlosen“ Hungerlöhne und sonstiger kapitalistischer „Segnungen“ seit Jahren. Offenbar ist auf nix mehr Verlass, sogar die Islamisten und der Bin Laden erfüllen nicht mehr ihre heilige Pflicht. Die Welt gerät zunehmend außer Rand und Band. Jetzt machen diese Araber auch noch ihre Revolutionen selbst, so ganz ohne „unsere“ demokratischen und rechtsstaatlichen Bombenhilfen. Bei dieser „Unordnung“ stellt sich erneut die Frage: Ja, was ist denn jetzt los? Millionen „IslamexpertenInnen“, einige davon bekanntlich auch in diesem Forum, werden wohl noch „sorgenvoller“ in die Zukunft schauen. Unter gar keinen Umständen darf den westlichen Wertegemeinschaftlern das Feindbild genommen werden, zumal DER ISLAM in diesem Zusammenhang wirklich „alternativlos“ ist; das walte BIN LADEN.;-)))

    mfg
    Jutta Rydzewski

  2. Was Bin Laden mit Tunesien zu tun haben soll weiss ich nicht. Und warum die jetzigen Ereignisse seine schlimmste Niederlage sein sollen, ebenso wenig.

    Vielleicht sollte man etwas vorsichtiger sein und nicht so großspurig von „Revolution“ daherreden. Zunächst ist es eine Revolte. Die Dreigescheiten und Neunmalklugen, die jetzt lauthals „Hurra“ schreien, könnten schon morgen wieder heulen und mit den Zähnen knirschen.

    Das Spiel ist erst nach dem Abpfiff zuende. Im Moment sind gerade mal die ersten 5 Minuten gespielt.

    * Was auf dem Weg zu den geplanten Wahlen alles passieren kann und wird, weiss weder dort noch hierzulande irgendjemand.
    * Was die geplanten Wahlen bringen werden, weiss weder dort noch hierzulande irgendjemand.
    * Was nach den geplanten Wahlen alles passieren kann und wird, weiss weder dort noch hierzulande irgendjemand.

    Ich wünsche jedem Volk, sein Schicksal in freier Selbstbestimmung gestalten zu können. Das schließt aber auch ein, dass diese Selbstbestimmung auch völlig konträr zu westlichen Politik- und Gesellschaftsvorstellungen sein kann. Was ist, wenn sich das Volk mehrheitlich für islamistische Gruppierungen entscheidet? Ich erinnere mich noch dunkel an die ersten freien Wahlen in Algerien, als eben dieser Volkswille in ein Blutbad und einen Bürgerkrieg mündete.

  3. @ Schnippsel

    Das haben Revolutionen so an sich, dass keiner sagen kann, was danach kommt. Das Geschehen in Tunesien deshalb zu einer Revolte herunterzureden, ist Blödsinn – entschuldiden Sie. Als Revolten kann man vielleicht die Hungeraufstände in Haiti und anderswo bezeichnen. In Tunesien aber wurde der Diktator aus dem Amt gejagt. So wurde das Tor geöffnet zu handfesten pollitischen Umwälzungen, und das ist glasklar eine Revolution. Da beißt die Maus keinen Faden ab. Was hinterher daraus entsteht, steht auf einem anderen Blatt. Das hat man beispielsweise in der Ukraine nach der orangenen Revolution gesehen, dass Revolutionen auch scheitern können. Daher stimme ich auch Bronskis provozierendem Einstieg (bedingt) zu: Wir dürfen den Arabern, den Muslimen mehr zutrauen, als wir es gewohnt sind. Es gilt, von überholten, vorurteilsbehafteten Denkmustern Abschied zu nehmen.

    Über den Leserbrief von Herrn Samai musste ich auch erst nachdenken. Es schien mir zunächst etwas weit hergeholt, von einer Niederlage Bin Ladens zu sprechen. Das wäre zu diskutieren. Vielleicht meint er: Wenn ein islamisches Volk eine Regierungsform fordert, die in den Denkmustern der islamistischen Fundamentalisten mit westlicher Dekadenz gleichgesetzt wird, dann ist das eine ideologische Niederlage.

  4. @2 Schnippsel

    „Was Bin Laden mit Tunesien zu tun haben soll weiss ich nicht. Und warum die jetzigen Ereignisse seine schlimmste Niederlage sein sollen, ebenso wenig.“

    Was das Schauermärchen Bin Laden und Al Kaida überhaupt mit der Realität zu tun haben soll, müssen Sie die Geheimdienste und ähnlich abgedrehte Organisationen der westlichen Wertegemeinschaftler fragen. Normal denkende Menschen glauben an diesen Unsinn schon lange nicht mehr. Da Geheimdienste und normales Denken nicht kompatibel sind, wird dieses Schauermärchen jedoch so lange „leben“, bis ein neues ge- bzw. erfunden wird. Aber das kann sehr lange dauern, zumal DER ISLAM als weltweites Schreck- oder Terrorgespenst „alternativlos“ ist.

    Zu Revolution oder Revolte hat Ihnen Sigmund schon das Notwendige gesagt.

    „Ich wünsche jedem Volk, sein Schicksal in freier Selbstbestimmung gestalten zu können.“

    Das ist aber schön von Ihnen; dem Wunsch schließe ich mich, allerdings uneingeschränkt, an.

    „Das schließt aber auch ein, dass diese Selbstbestimmung auch völlig konträr zu westlichen Politik- und Gesellschaftsvorstellungen sein kann.“

    Gott sei Dank, dass es das auch einschließt. Alles andere wäre ja auch eine Katastrophe, wie an so manchen Orten der Welt deutlich zu sehen ist, wo die westlichen Wertegemeinschaftler andere Länder mit Bomben, Granaten, Mord, Totschlag, Folter „demokratisieren“ und, natürlich völlig uneigennützig, sogar „beglücken“ wollten.

    „Was ist, wenn sich das Volk mehrheitlich für islamistische Gruppierungen entscheidet?“

    Was soll dann schon sein, wenn ein Volk mehrheitlich entschieden hat? Dann hat das Volk entschieden und fertig. Oder wollen Sie mit Ihrer Frage verlautbaren, was zu tun ist, wenn den westlichen Wertegemeinschftlern die Volksentscheidung nicht in den Kram passt? Sollen „wir“ dann doch wieder zu den bekannten „Demokratisierungs- bzw. Beglückungsmitteln“ greifen, die ich einen Absatz vorher aufgezählt habe, oder wie ist Ihre Frage zu verstehen?

    „Ich erinnere mich noch dunkel an die ersten freien Wahlen in Algerien, als eben dieser Volkswille in ein Blutbad und einen Bürgerkrieg mündete.“

    Ich erinnere mich noch ganz hell an den Irak, Afghanistan, an Guantanamo, Abu Ghraib, Bagram usw. usw..

    mfg
    Jutta Rydzewski

  5. @ Jutta Rydzewski

    Selbst wenn Bin Laden nur ein Konstrukt von Geheimdiensten sein sollte, um mit Hilfe eines Anstgespensts eine bestimmte Politik durchzudrücken, hat er mit der Revolution in Tunesien eine Niederlage eingesteckt. Oder genauer: Die betreffenden Geheimdienste haben diese Niederlage eingesteckt. Ihr Angstgespenst hat deftige Kratzer abbekommen. Es ist daher aus meiner Sicht egal, ob es Bin Laden wirklich gibt oder ob er nur eine Konstruktion ist. In unseren Köpfen ist er jedenfalls präsent, also auch real. Und hier liegt das Brisante an der tunesischen Revolution. Ein arabisches Volk, das aus eigener Kraft aufsteht und Demokratie fordert, ist in dieser Weltsicht nicht vorgesehen. Arabische Völker haben zu totalitären Strukturen zu neigen und damit hinreichend unzufrieden zu sein, um Bin Ladens zu gebären. Dann funktioniert die westliche Ideologie.

  6. Ob das Volk den Diktator aus dem Land gejagt hat oder der einfach nur sein Schäfchen ins Trockene gebracht hat (auch De Gaulle hielt sich im Mai 68 zeitweilig ausserhalb Frankreichs – in Deutschland – auf): so what? Dass da irgendein Hannebambel an der Spitze ersetzt wird: das ist Revolution? Dass Leute an den Straßenecken ihres Viertels jetzt Sheriffs spielen: der Schimmer einer neuen, selbstorganisierten Gesellschaft?

    Wichtig ist, dass zum Glück die Demonstranten nicht wie in Ägypten oder Algerien niederkartätscht wurden.

    Dass das Gemisch aus Perspektivlosigkeit und steigenden Lebensmittelpreisen irgendwann explodieren würde, war klar. Erst kommt das Fressen, dann die Moral.

    Dort werden „Revolutionäre“ hochgejubelt, hier werden „Wutbürger“ diffamiert.

    Alles andere wird sich finden. Und wenn dann das tunesische Volk, trotz massiver (auch geheimdienstlicher) Einmischung aus dem Westen, sich doch ähnlich wie die Palästinenser in Gaza für die Hamas entschieden haben sollte: wo wird dann der Jubel über die Entscheidung der Tunesier bleiben? Und war es nicht Khomeini, der – ehedem bejubelt – dem „verbrecherischen Schah-Regime“ ein Ende bereitete – dessen Nachfolger dem Westen aber so gar nicht genehm sind?

    „Was soll dann schon sein, wenn ein Volk mehrheitlich entschieden hat? Dann hat das Volk entschieden und fertig.“

    Wie wäre es denn mit einer derart entschiedenen Anerkennung des mehrheitlichen Volkswillens auch hierzulande? Man denke nur daran, dass hierzulande eine Mehrheit islamkritisch eingestellt ist. Uups, da werden die Stimmchen aber auf einmal leise.

  7. @ Schnippsel

    Ei, was für einen Unfug Sie schreiben. Nach diversen kritischen, gedanklich klaren Beiträgen, die Sie hier im Blog gebracht haben, ist das nun aber wirklich der dumpfeste. Hätte ich nicht von Ihnen gedacht.

    Sie haben Angst vor der Hamas? Dann wissen Sie auch, dass die Hamas am Tropf von Teheran hängt und ohne diese Unterstützung, die ihr Wohlfahrtsprogramme in Gaza erlaubt, von denen wiederum die Zustimmung der Palästinenser in Gaza für die Hamas abhängig ist. Das heißt: Ohne Teheran liefe die Chose in Gaza nicht. Und mag es sich die iranische Führung auch leisten können, ein übersichtliches Gebilde wie Gaza zu stützen – in Tunesien liefe das nicht.

    Aber mich stört etwas anderes an Ihren Gedanken, Schnippsel. Einmal die Angst, die daraus spricht. Fragen Sie sich mal, warum Sie den Gedanken auch nur erwägen, die Tunesier könnten die Hamas bei sich haben wollen. Spricht da nicht ein Ressentiment? Ein ganz klitzekleines Ressentiment, etwa so: Wenn Araber was anfassen, kann dabei nur Fundamentalismus rauskommen?

    Ich denke, dass die tunesische Revolution ein Hoffnungszeichen dafür ist, dass die arabische Welt sich in eine völlig andere Richtung bewegen könnte. Wie gesagt: könnte. Zum jetzigen Zeitpunkt kann niemand sagen, wie es in Tunesien weitergeht.

  8. @6 Schnippsel

    Wenn Sie nicht geneigt sind, auf Fragen KONKRET einzugehen, zumal Ihre Anmerkungen nebulös „verziert“ sind, werden Missverständnisse nicht zu vermeiden sein. Wäre gut, wenn Sie zukünftig daran denken.

    Zitat:“Wie wäre es denn mit einer derart entschiedenen Anerkennung des mehrheitlichen Volkswillens auch hierzulande? Man denke nur daran, dass hierzulande eine Mehrheit islamkritisch eingestellt ist. Uups, da werden die Stimmchen aber auf einmal leise.“

    Von welch einer islamkritischen Mehrheit reden Sie? Was soll das überhaupt KONKRET sein, die islamkritische Mehrheit? Welche Muslime werden denn „kritisch“ gesehen, die mit oder ohne deutschen Pass? Befinden sich unter dieser „islamkritischen Mehrheit“ auch diejenigen, die z.B. gerne wieder einen „Führer“ haben möchten? Wer oder was bzw. welche Uups-Stimmchen sollen auf einmal leise werden und warum? Welcher mehrheitliche Volkswille hierzulande soll anerkannt werden? Wovon reden Sie überhaupt? Sie sehen, was dabei herauskommen kann, wenn zu viel „Nebel“ produziert wird. Warum sagen Sie denn nicht klipp und klar was Sie wollen, anstatt in dieser Form herumzuhampeln? Ich möchte Ihnen, wie das so meine Art ist, auch gerne klipp und klar antworten. Also, ran an den Speck.;-)

    mfg
    Jutta Rydzewski

  9. @ Sigmund #7

    Was mich stört, sind

    a) die – wie in vielen anderen Fällen auch – plötzlich auftretenden „Experten“

    b) mediale Überzeichnungen. Fehlt bloß noch, dass von „Mega-Revolution“ die Rede ist

    c) all diejenigen, die auf dem Rücken der tunesischen Akteure und Betroffenen ihr Süppchen kochen. Hier im Blog beispielsweise diejenigen, die meinen, der Westen müsse sich einmischen – in der gelindesten Form „mäßigend auf die Demonstranten einwirken“. Oder die aus durchsichtigen innenpolitischen Motiven einen Popanz aufbauen, wie es Bronski in seinem Einleitungsabschnitt getan hat, um ihn flugs relativierend als „Sarkasmus“ zu bezeichnen.

    d) die unreflektierten Hurra-Rufe, wenn das Wort „Demokratie“ fällt. Wie die Tunesier ihr politisches und gesellschaftliches Leben organisieren, ist ihre Sache!

    Und wenn sie sich für etwas entscheiden, was mit „unseren“, westlichen Vorstellungen von Demokratie wenig zu tun haben sollte, soll es mir recht sein. Und wenn sie sich für so etwas wie damals in Algerien (FIS – Front Islamique du Salut, Islamische Heilsfront) entscheiden sollten, soll es mir ebenfalls recht sein. Ich habe davor weder Angst (warum sollte ich?), wie Sie mir fälschlicherweise unterstellen, noch beabsichtige ich, mich in die inneren Angelegenheiten Tunesiens einzumischen.

    (Obwohl es im Zusammenhang mit Tunesien nicht wichtig ist: allerdings verbitte ich mir auch entschieden die Einmischung anderer Länder in die inneren Angelegenheiten Deutschlands, wie es z.B. Erdogan oder Ditib tun.)

    Ich habe jedoch meiner Befürchtung (nicht Angst!) Ausdruck gegeben, dass es mit der hiesigen Begeisterung schnell Schluss sein könnte, wenn die Tunesier den westlichen Erwartungen nicht genügen werden – sie sich also nicht weiterhin (und noch viel mehr) zum Spielball westlicher geostrategischer und ökonomischer Interessen missbrauchen lassen.

    e) diejenigen, die nur den Hoffnungsschimmer sehen. Ich habe doch ganz deutlich geschrieben „Ich wünsche jedem Volk, sein Schicksal in freier Selbstbestimmung gestalten zu können. „ und ich drücke dem tunesischen Volk auch ganz fest die Daumen.

    Dass die Tunesier, nicht zuletzt aufgrund der jahrzehntelangen Diskriminierung und der gleichzeitigen heimlichen Unterstützung der autoritären Regime durch den Westen, nun mit wehenden Fahnen das „westliche Modell“ übernehmen werden, daran habe ich so meine Zweifel.

    Wer bis zum Hals in der Scheisse steckt, darf ruhig undifferenziert sein und „nur“ Hoffnung haben. Aus einer gewissen Distanz ist es aber auch legitim, an die deutsche Redewendung zu erinnern „vom Regen in die Traufe kommen“ oder „den Teufel mit Beelzebub austreiben“.

  10. Der Angel-Merkel-Afrika-Beauftragte sagt zu Tunesien: „…die Lage in Tunesien (haben wir) falsch eingeschätzt…“. Eine Fehleinschätzung nach wie vielen Jahren Diktatur in Nordafrika und speziell in Tunesien? Mich erinnert das Statement an das Auswärtige Amt, an die Deutschen Botschaften und aktuell an die jeweils amtierenden Bundesregierungen in dem Buch „Das Amt“ für die Vergangenheit dieser Institutionen beschrieben, nämlich ein ausdrückliches Blindsein auf dem rechten Auge, was aktuell ausgeprägter zu sein scheint.
    Armes Deutschland mit seinen mangelhaften Berufsdiplomaten und Berufspolitiker!

  11. Sowohl in Tunesien wie jetzt auch in Ägypten wird Europa in toto vorgeworfen, nicht ausreichend Partei gegen die jeweiligen autoritären Regime unter Ben Ali und Hosni Mubarak genommen zu haben. Diesem globalen Vorwurf tritt der Fraktionschef der Sozialdemokraten im EU-Parlament Martin Schulz zu Recht entgegen. In der europäischen Öffentlichkeit wurde und wird sehr wohl Kritik an untragbaren innenpolitischen Verhältnissen in anderen Ländern geübt. Dies zeigt sich etwa nicht nur an der Verurteilung von Unterdrückungsregimen wie denen in Zimbabwe, Birma oder Nordkorea, sondern gerade auch im gegenwärtigen Zeitpunkt im Hinblick auf die höchst problematische Entwicklung in Ungarn, das immerhin Mitglied der EU ist. Dennoch muß jede Diplomatie bemüht sein, sich nicht leichtfertig dem Vorwurf der Einmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Länder auszusetzen. Dabei müssen sich gerade ehemalige Kolonialmächte wie Frankreich eine gewisse Zurückhaltung auferlegen, wollen sie nicht Gefahr laufen, imperialistischer Intervention bezichtigt zu werden. Insofern ist jeder voreilige Ruf nach Einmischung ein wenig zu wohlfeil.

  12. Der Diktator ist in Tunesien verjagt, herzlichen Glückwunsch den mutigen Tunesiern. Doch bis zur Einführung und Etablierung einer Demokratie ist es wohl noch ein weiter Weg.

    Dass die Revolte nun eine Niederlage für Al Qaida sein soll, erschließt sich mir nicht. Sowohl in Tunesien als auch Ägypten wurde sie von den Regimen in der Vergangenheit bekämpft. Mit dem Volksaufstand wächst bei der Terrororganisation vielmehr die Hoffnung, politisch an Einfluss gewinnen zu können. Wie in Nord-Irland die IRA, im Baskenland die ETA oder in Algerien die AQM könnte sie durch lange Arme, poltische Parteien, am Geschehen teilnehmen. Demokratische Strukturen würden sich als Vehikel für radikale Organisationen geradezu anbieten.

    Im Tagesspiegel war zu lesen:
    „Bereits am vergangenen Donnerstag wurde „Unterstützung“ angeboten. „Schickt uns eure Söhne, damit sie eine militärische Ausbildung bekommen“, deklamierte Abdelmalek Drukdal, der Anführer der nordafrikanischen Filiale „Al Qaida im islamischen Maghreb“ (AQM), in einem Video. Der Algerier empfahl den Tunesiern auch die Einführung der Scharia, des islamischen Rechts…
    Steinberg, Terrorismusexperte der Stiftung Wissenschaft und Politik, warnt, Al Qaida könnte auf bizarre Weise davon profitieren, dass der Umbruch in Tunesien islamische Diktatoren ängstigt. „Sie werden vermutlich die Repression noch steigern“, sagt er. „Das ist vor allem in Libyen zu erwarten.“ Doch Unterdrückung erleichtere Al Qaida die Propaganda.“

  13. @ fox
    Die Ereignisse in Tunesien und Ägypten zeigen, dass viele Menschen dort bereit sind, für Grund- und Menschenrechte einzutreten und dies keineswegs in Widerspruch zu ihrer Kultur oder Religion sehen. Damit widerlegen sie alle, die die Universalität der Menschenrechte bezweifeln oder den Muslimen die Fähigkeit zur Demokratie absprechen. So weit die positive Nachricht.
    Leider wissen wir aus der Geschichte, dass manches Aufbegehren gegen eine Diktatur nur ein neues Unterdrückungsregime an die Macht gebracht hat. Insbesondere in Ägypten besteht die Gefahr, dass die Moslembrüder als die einzige organisierte Oppositionskraft die Unstabilität des demokratischen Übergangs zur Machtergreifung nutzen könnten. Welche Folgen dies haben könnte, zeigt die aus der Moslembrüderschaft entstandene Hamas mit ihrer religiösen Schreckensherrschaft in Gaza.
    Ohne Einbindung des moderaten Teils der Moslembrüder wird sicher kein demokratischer Übergang möglich sein. Die USA und die EU sollten allerdings nicht den Fehler machen, aus angeblichem Realismus oder Pragmatismus vor den Gefahren die Augen zu schließen, so wie sie blind das autoritäre Regime von Mubarak gestützt haben.

  14. @ abraham
    Ich denke, dass sich die Bevölkerung in Tunesien eine neue Diktatur auf keinen Fall bieten lassen würde. Der Bildungsdurchschnitt soll nach Presseberichten dort rel. hoch sein. Die wenigen Tunesier die ich kennegelernt habe, waren zumindest ziemlich westlich orientiert und hatten weniger Probleme mit Konflikten, die sich aus einem Spannungsfeld zwischen Tradition und Moderne ergeben. Sie sprachen damals selbst davon, dass sich ihr Land in diesem Punkt von den meisten anderen unterscheiden würde.

    In Ägypten sieht das zunächst vielleicht ein wenig anders aus. Ihr Hinweis auf die rel. etablierte Moslembruderschaft gibt durchaus zu denken. Langfristig aber glaube ich, dass sich auch hier die Bevölkerung emanzipieren und die Politik im eigenen Land selbst bestimmen will. Radikale Gruppen, deren Handeln bisher fast ausschließlich destruktiv in Erscheinung trat, werden auf die Anforderungen einer modernen Gesellschaft keine Antworten haben. Die Rechnungen von Al Qaida und M-Bruderschaft werden hoffentlich nicht aufgehen.

    Interessant in diesem Zusammenhang ist das Buch von Hamed Abdel Samad: Der Untergang der islamischen Welt. Für Samad hat der tarditionalistische Islam auf Dauer keine Zukunft.

  15. @ Abraham #13

    Ich bin erstaunt, welche weitreichenden Rückschlüsse Sie aus dem ziehen, was sich momentan in Tunesien und Ägypten abspielt. Aus meiner langjährigen persönlichen Erfahrung im (engen) Zusammenleben mit Maghrebinern bin ich etwas vorsichtiger, was die Verwendung „westlicher“ Begriffe betrifft, wenn es um „arabische“ Gegebenheiten geht.

    In Afghanistan sieht man doch sehr deutlich, wie das platte Übertragen westlicher Vorstellungen und Strukturen in die Hose gehen kann. Warum sollten Stammesräte (Loya Djirga) in Afghanistan oder des Panchayat-System in Indien, Pakistan und Nepal eine weniger „demokratische“ Interessenvertretung bedeuten als die parlamentarische Filzokratie westlicher Prägung?

    Dass viele Menschen dort bereit sind, für Grund- und Menschenrechte (worin besteht da eigentlich der Unterschied?) einzutreten, mag vielleicht zutreffen. Ob es a) die Mehrheit ist und sie b) darunter dasselbe verstehen, wie „wir“ hierzulande, halte ich noch lange nicht für ausgemacht. Die umfassende Einführung der Scharia (ggf. in einer gemäßigten Form?) ist doch kein unrealistisches Hirngespinst. Aus den aktuellen Ereignissen den „Beweis“ für die Universalität der Menschenrechte herleiten zu wollen, halte ich für gewagt.

    Ob die Bevölkerungsmehrheit in den o.a. Ländern tatsächlich eine (klare) Vorstellung davon hat, was sie mit „Demokratie“ meinen, was „Demokratie“ bedeutet bzw. bedeuten kann, vermag ich nicht zu beurteilen. Ob sie wirklich dasselbe meinen wie „wir“ hierzulande? Soll es eine parlamentarische Demokratie sein? Eine präsidiale? Wie soll sie ausgestaltet sein?

    Ich warne also erneut davor, Menschen eines anderen Kulturkreises (oder meinetwegen Traditionskreises oder meinetwegen anderer Gesellschaftsstruktur) wie stets in der Vergangenheit westliche Vorstellungen anzudichten oder gar überzustülpen.

    Noch einmal: ich wünsche den Menschen dort, dass sie ihr Leben in freier Selbstbestimmung neu werden ordnen können – unabhängig von westlichem oder arabisch-moslemischem Druck. Und ich wünsche mir, dass wir ihnen dann endlich mit Respekt begegnen (so wie ich mir wünsche, dass man uns Deutschen mit Respekt begegnet).

    Dass Sie sich desselben Popanzes bedienen wie Bronski, finde ich ebenfalls erstaunlich. Soweit ich mich erinnere, fiel in diesem Blog einmal der Satz, dass Koran und Demokratie unvereinbar seien, aber nicht, dass Muslimen die Fähigkeit zur Demokratie abgesprochen wurde. (Was in sog. „einschlägigen Blogs“ behauptet wird, möchte ich nicht zur Grundlage der hiesigen Blogbeiträge machen.)

    Und ich bin tatsächlich der Meinung, dass Koran und Demokratie unvereinbar sind – im Gegensatz zur Bibel, die über Römer 13, 1-6 [1] und Markus 12,17 [2] das entsprechende Hintertürchen öffnet. Bestimmte Koraninterpretationen hingegen, will sagen: die individuelle Koranauslegung des einzelnen Moslems oder einer eher säkularen Islamschule und die jeweils individuelle Form der Religionsausübung, sind mit den Regeln einer demokratischen Gesellschaft teilweise oder weitgehend oder gar völlig vereinbar.

    Da die meisten Christen von einer wortwörtlichen Bibelinterpretation abgekommen sind, kann man bei ihnen völlig zu Recht zwischen Fundamentalisten und Nicht-Fundamentalisten unterscheiden. Der Islam hingegen verbietet die Interpretation des Korans, ja selbst bei den Abschriften (und gedruckten Büchern) werden Schreibfehler und „Tintenklekse“ weitergegeben, um das Heilige Buch nicht zu verfälschen. Von daher halte ich „den Islam“ grundsätzlich für fundamentalistisch.

    Ein aufschlussreiches, ganz frisches Video vom 18.01.2011 mit dem Titel „Verbrechen im Namen des Islam“ finden Sie in der Kategorie „Unterricht für Jugendliche“ unter http://diewahrereligion.eu/2011/01/18/verbrechen-im-namen-des-islams/ .

    „Allah und Sein Gesandter (Allahs Segen und Friede auf ihm) sagen deutlich, dass nur Muslime ins Paradies kommen. Und alles, was im Quran und in der Sunna steht (soweit dieser Hadith sahih/authentisch ist), müssen wir glauben. Es ist sehr gefährlich, auch nur eine erwähnte Stelle im Quran zu leugnen, denn somit bezichtigt man Allah und Seinen Gesandten (Allahs Segen und Friede auf ihm) der Lüge astaghfirullah.

    Der Quran ist perfekt ohne jeglichen Fehler, denn er ist das einzige Buch Allahs, welches nicht durch Menschen verfälscht worden ist und werden kann, dass ist das Versprechen Allahs…“

    Wer sich dieses Video nicht antun möchte: das „Verbrechen im Namen des Islam“ besteht übrigens darin, dass ein Hodscha seinen (christlichen) Nachbar ein frohes Weihnachtsfest wünscht!

    [1] „Jedermann sei untertan der Obrigkeit, die Gewalt über ihn hat. Denn es ist keine Obrigkeit außer von Gott; wo aber Obrigkeit ist, die ist von Gott angeordnet. Wer sich nun der Obrigkeit widersetzt, der widerstrebt der Anordnung Gottes; die ihr aber widerstreben, ziehen sich selbst das Urteil zu. … Deshalb zahlt ihr ja auch Steuer; denn sie sind Gottes Diener, auf diesen Dienst beständig bedacht. So gebt nun jedem, was ihr schuldig seid: Steuer, dem die Steuer gebührt; Zoll, dem der Zoll gebührt; Furcht, dem die Furcht gebührt; Ehre, dem die Ehre gebührt.“

    [2] „… So gebt dem Kaiser, was des Kaisers ist, und Gott, was Gottes ist!“

  16. @ Schnippsel
    Sie schreiben:“Warum sollten Stammesräte (Loya Djirga) in Afghanistan oder des Panchayat-System in Indien, Pakistan und Nepal eine weniger “demokratische” Interessenvertretung bedeuten als die parlamentarische Filzokratie westlicher Prägung?“

    Ich bin nun kein Experte für poltischen Systeme in Mittelasien. Nach dem, was ich auf die schnelle recherchieren konnte, handelt es sich bei einer Loya Djirga um eine Zusammenkunft von Stammesfürsten. Man kann annehmen, dass diese nicht demokratisch gewählt werden. Falls doch, wer darf sich an solchen Wahlen beteiligen? Frauen sicher nicht. Ich glaube kaum, dass die Menschen, die nun in Ägypten und Tunesien auf die Straße gehen, sich mit politischen Strukturen dieser Art zufrieden geben würden. Wollen die Menschen dort Politik mitbestimmen und Kontrollmöglichkeiten erhalten, geht kein Weg an einer Demokratie nach westlichem Vorbild vorbei.

  17. @ fox #16

    Auch ich bin kein Experte für politische Systeme, weder in Mittelasien noch sonstwo auf der Welt. Für mich sind Begriffe wie „Demokratie“ zunächst einmal Worthülsen. Einmal davon abgesehen, dass es ja eine Unmenge unterschiedlicher westlicher Demokratie-Modell gibt.

    Wie hoch die Attraktivität des westlichen Demokratie-Modells ist für diejenigen ist, die es tagtäglich erleben, kann man u.a. an der Wahlbeteiligung in den westlichen Demokratien ablesen. So doll ist das ja nicht gerade, oder?

    Wichtiger ist mir die tatsächliche Teilhabe des Einzelnen am gesellschaftlichen Leben, vor allem die faire Verteilung der erarbeiteten Werte. Ob das durch allgemeine Wahlen oder einen Ältestenrat oder einen Herrn von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland gewährleistet würde, wäre mir ziemlich wurscht. Auf jeden Fall würde ich weder das eine noch das andere als universell gültiges Modell für alle propagieren. (Insofern können sie mich also in die „kulturrelativistische“ Schmuddelecke stellen).

    Welchen Weg sie wählen, würde ich den jetzt in Aufruhr befindlichen Ländern gerne selbst überlassen – ich glaube nicht, dass am westlichen Wesen die Welt genesen wird. Meine Hoffnung wäre nicht, dass diese Länder den umweltzerstörenden Ressourcenverbrauch, den dumpfen Konsumismus, die architektonische Uniformität, die kulturelle Verarmung und Verblödung und die gesellschaftlliche Organisation des Westens übernehmen, sondern dass sie – aus der Kraft ihrer Traditionen heraus – einen eigenen Weg finden.

  18. Ich glaube auch nicht, daß sich der jetzige Aufruhr, ob in Tunesien oder Ägypten, gegen „Diktatur“ richtete. Es gibt zwei Hauptprobleme in vielen Ländern der arabischen Welt, die auch hier die Hauptrolle spielen: Erstens eine allgegenwärtige Korruption (die ja in Tunesien Ursache der Selbstverbrennung Mohamed Bouazizis am 4.1. war, die die Unruhen auslöste), zweitens eine wirtschaftliche Unfähigkeit, mit der ständigen Babyboomsituation fertigzuwerden, d.h. das enorme wirtschaftliche Wachstum zu erzeugen, um den zahllosen Jungen Arbeit bzw. sonstige Perspektiven zu bieten. Diese Probleme wird niemand auf die Schnelle beseitigen können, in keinem arabischen Land, weder der westorientierte Demokrat noch der arabische Traditionalist noch der Fundamentalislamist.

    @Schnipsel: „…umweltzerstörenden Ressourcenverbrauch, den dumpfen Konsumismus…“ Seien Sie mal nicht zu enttäuscht, wenn es genau darauf hinausläuft. Wenn Menschen Mangel leiden, kommen ihnen hehre Nachhaltigkeitsbedenken oder Konsumismuskritik (aus den Weltzonen der Übersättigung zu ihnen herübergerufen) erstmal luxuriös vor. Das ist in Nordafrika genauso wie in Ost- oder Südasien.

  19. Die Enttäuschung werde ich aushalten können, zumal ich innerlich bestens darauf vorbereitet bin. Ich hatte ja bereits weiter oben den berühmten Satz aus Brechts Dreigroschenoper (Ballade über die Frage: „Wovon lebt der Mensch“?) zitiert: „Erst kommt das Fressen, dann kommt die Moral.“

    Selbstverständlich wäre es die übliche westliche Doppelzüngigkeit, für „unseren“ junk food mit gehärteten Transfetten und „unseren“ E10-Kraftstoff die Regenwälder abzuholzen und gleichzeitig anderen Ländern was von Nachhaltigkeit vorzufaseln.

    Trotzdem: an geschichtlichen Bruchkanten wie der Wende in Deutschland oder den aktuellen Umwälzungen im arabischen Raum bestünde zumindest die Chance, eben gerade nicht alte Fehler neu zu begehen und den Mist, den andere schon verzapft haben, zu wiederholen und zu perpetuieren. So hätte es die Chance gegeben, Deutschland nach einer breiten Diskussion eine moderne Verfassung zu verpassen. Und andere Länder, wie jetzt die arabischen, könnten von unseren negativen Erfahrungen lernen.

    Wenn die arabischen Länder das westliche Modell übernehmen, geht unter der Einheitssoße wieder ein Stück wirtschaftlicher, politischer und kultureller Diversität flöten. Ich wäre auf einen dritten Weg gespannt, also z.B.: kann ein schariakonformes Finanzwesen die Produktivkräfte so entfesseln, dass daraus Wohlstand für alle generiert werden kann? Gibt es – aus Tradition und Kultur gespeiste – Modelle gemeinwohlorientierter gesellschaftlicher und politischer Teilhabe, die zudem den Zugriff von (internationalen) Lobbies auf das neue Gemeinwesen verhindern oder zumindest stark einschränken? Wird statt eines simplen Abklatsches westlicher Vorlagen dort etwas entstehen, das zu Recht als Bereicherung der Menschheit angesehen werden könnte?

    Aber schon die eigenen Kinder mussten ja, unter unserem gequälten elterlichen Kopfschütteln, dieselben blöden Erfahrungen machen, die man selber gemacht hat und die man ihnen gerne erspart hätte.

  20. @Schnippsel,

    das Problem wird sein, daß es keine praktikable Lösung für die Probleme der arabischen Staaten geben wird, d.h. weder Kopieren von Systemen noch das Erfinden eigener wird die Probleme, die durch den „youth bulge“ hervorgerufen werden, beseitigen können. Schauen Sie sich einmal das Diagramm auf Seite 25 der heutigen FR an… Deutschland Durchschnittsalter Männer/Frauen 43,0/45,6… Yemen 17,8/18,0, bei den anderen arabischen Staaten nur wenig höher. Hier haben wir also Länder, deren wirtschaftliche Infrastruktur gerade soeben einem Großteil der Erwachsenen Arbeit und Einkommen bieten können (wenn überhaupt)… aber in wenigen Jahren wird die Zahl der Erwachsenen explodiert sein. Ein entsprechendes Wachstum der Wirtschaft, Anwachsen der Anzahl Arbeitsplätze usw. ist in so kurzer Zeit schwer denkbar, auch nicht (oder ganz besonders nicht, je nach Ansicht) mit einer Scharia o.ä.

    Die positiven Effekte einer möglichen Islamisierung sind da noch, daß sie die Ansprüche der Menschen drosselt… das Paradies gibts ja später, nach dem Tod. Gottgefällig ist in allen Religionen ja immer auch sehr die Bescheidenheit (im Diesseits). Da trifft es sich gut, wenn die Staaten den Menschen nicht viel mehr bieten können als sich zu bescheiden, wenn der Imam das nochmal ideologisch untermauern kann.

    Dennoch wird es Millionen geben, die dies nicht akzeptieren werden, hier ist die Quelle erneuter Früchtlingswellen in die „reichen“ Staaten des Westens. Deutschland, dessen Wohlstandsniveau künftig stark abfallen wird, wird dies zusätzlich belasten und seinen Niedergang beschleunigen.

    Wer sich einst fragte, wieso China die Ein-Kind-Politik einführte, wird demnächst, mit Blick auf die arabische Welt, das vielleicht besser verstehen. Ein deutscher Bauer des 19 Jhd., der 6 Kinder hatte, vererbte einem seinen Hof, was machten die anderen? Richtig interessant wird die Frage, was die anderen Kinder machen, wenn alle Bauern im Land 6 Kinder haben, d.h. 5, die sich nach neuem Lebensunterhalt umsehen müssen. In der Vergangenheit gab es nahezu leere Kontinente, die aufgefüllt werden konnten (siehe z.B. Nordamerika). Wo aber sind die leeren Kontinente, die die Araber auffüllen können?

    Es gibt sie nicht mehr.

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