TTIP: Viele Knüppel zwischen die Beine

TTIP scheint vor dem Aus zu stehen. Das Freihandelsabkommen war in Deutschland im Lauf der Jahre aus den verschiedensten Gründen zunehmend in die Kritik geraten. Da wurde völlig zu recht die Geheimhaltung kritisiert, mit der hinter verschlossenen Türen Dinge ausgekungelt wurden, die hunderte von Millionen Menschen in Europa wie in den USA betrafen. Über deren Köpfe hinweg wurde da verhandelt — es war unausweichlich, dass dieser Eindruck entstand. Dann die Sache mit den Schiedsgerichten. Mit den Umweltstandards. Mit den Arbeitsnormen. Und noch vieles mehr, worüber eigentlich niemand genau Bescheid wusste, weil außer ein paar geleakten Dokumenten nichts bekannt war. Hier im FR-Blog gab es mehrere Diskussionen dazu, die alle recht einseitig verliefen.

Kürzlich hat Greenpeace Hunderte von Seiten TTIP-Material zugespielt, das keine Verhandlungsergebnisse, sondern Handlungspositionen dokumentiert. Daraus geht vor allem eines hervor: wie hart in den geheimen Hinterzimmern verhandelt worden sein muss. Vor dem Hintergrund dieser geleakten Dokumente lässt sich das Bild von den willfährigen EU-Kapitalisten, die den USA freiwillig überall hineingekrochen seien, nicht aufrecht erhalten. Die US-Verhandler haben die EU-Verhandler schwer unter Druck gesetzt, heißt es in der Berichterstattung. Aber so schlecht scheint die Verhandlungsposition der EU-Verhandler nicht gewesen zu sein.

Für Greenpeace und viele andere NGOs ist die Sache klar: TTIP ist ein Angriff auf europäische Standards. Es ist sicher richtig, dass die Amerikaner auf unsere Standards zielen, um nicht nur ihr Hormonfleisch bei uns zu platzieren. Mir kommen trotzdem leise Zweifel daran, ob es richtig ist, die TTIP-Verhandlungen einfach abzubrechen, Zweifel, die ich hier mal laut äußere: Bei aller Furcht vor Marktmacht und Konzernen könnte es sein, dass sich die EU von der globalen wirtschaftlichen Weiterentwicklung abkoppelt, denn mit Inkrafttreten der pazifischen Freihandelszone TPP ist der globale Freihandel ein Stück nähergerückt. Das kann schlecht sein oder gut. Gegen freien Handel kann jedoch eigentlich niemand etwas haben — wenn er klug reguliert wird und wenn alle was davon haben. Also nicht so wie im Fall Nafta. Doch die EU war und ist gegenüber den USA in einer ungleich stärkeren Verhandlungsposition als damals Mexiko bei Nafta, und die Greenpeace-Dokumente belegen ja, wie selbstbewusst die EU-Verhandler aufgetreten sind. Leider erlauben auch diese Dokumente keine endgültige Einschätzung dessen, was TTIP unterm Strich brächte, da sie keine Verhandlungsergebnisse dokumentieren. Daher heißt es für mich trotzdem: Finger weg von TTIP!

Reiner Fröhlich aus Kierspe meint:

„Auch der Besuch von Obama und das Schönreden der Bundeskanzlerin kann es nicht übertünchen: der Prozess um das TTIP – Handelsabkommen steht kurz vor dem Aus. Das hört man aus dem Interview mit Hubertus Heil heraus. Der besonnene Frank-Walter Steinmeier hatte schon in einem Interview am 24.4. signalisiert, dass es ganz, ganz schwer werde, TTIP noch durchzubringen. Er wirkte genervt. Die SPD erinnert sich, dass sie bis 1999 zur Arbeiterbewegung gehörte.
Greenpeace hat mit der Veröffentlichung der Positionen der Amerikaner (FR 2.5.16) dem TTIP-Abkommen wahrscheinlich den Todesstoß versetzt. Die Positionen der Amerikaner sind genau die, die von TTIP-Gegnern immer benannt wurden und von den Schönrednern der Bundesregierung weggeredet wurden und werden. Wenn man nun liest, dass die Einfuhrzahlen von europäischen Autos in die USA im Kuhhandel als Tausch gegen den Abbau von Verbraucherschutz vorgesehen sind, wissen wir, was von unseren europäischen Abgesandten in den TTIP-Verhandlungen zu halten ist.
Auf jeden Fall hat sich das immense Engagement der Zivilgesellschaft gelohnt, diesem Machwerk möglichst viele Knüppel zwischen die Beine zu werfen: 250 000 Demonstranten im letzten Oktober in Berlin, 70 000 aus dem Stand (weil nur kurz geplant) zum Obama-Besuch in Hannover, über drei Mio. Unterschriften bei der europäischen Bürgerinitiative gegen TTIP, unzählige Eingaben und Kongresse. TTIP ist K.O.? Es lebe die Demokratie! Es leben die durch die Arbeiterbewegung erkämpften europäischen Rechte!“

Friedrich Grimm aus Weinsberg:

„Es ist sehr zu begrüßen, wenn die SPD über die „Rote Linie“, die sie auf einem ihrer Parteitage, in Absprache mit dem DGB, gezogen hat, hinausgeht und ein zumindest vorläufiges Nein sagt. Wer die Kommentatoren zu diesem Artikel liest wird unschwer erkennen, dass es vielen davon vor allem darum geht, die SPD weiter zu diskreditieren. Kaum einer erwähnt, dass es besonders unserer Bundeskanzlerin, Frau Merkel, darum geht, den Vorgaben aus den USA Folge zu leisten. Gabriel, vielleicht auch wegen seiner Statur, eignet sich offenbar für Merkel besonders gut als Sichtschutz. Und was das Wissen um die Inhalte von TTIP angeht so behaupte ich, dass weder Gabriel noch Merkel, noch sonst irgend jemand besondere Kenntnisse über den wirklichen Inhalt von TTIP oder auch CETA je hatten. Und doch möchte Frau Merkel, trotz der Veröffentlichungen durch Greenpeace, bei den Verhandlungen „Gas geben“. Doch wird dieser Frau auch diese Verantwortungslosigkeit mit Sichheit vergeben werden.“

Rasmus Ph. Helt aus Hamburg:

„Die Forderung der Parteilinken innerhalb der SPD nach einem Abbruch der TTIP-Runden greift zu kurz. Denn wenn man wirklich die richtigen Schlüsse aus den  nun aufgetauchten Papieren ziehen will, deren Inhalt wahrlich keine  Überraschung bedeutet, da er eigentlich bereits länger bekannt ist, dann muss  man jetzt insbesondere die EU-Kommission beim Wort nehmen und eine grundlegende  Kurskorrektur für einen glaubwürdigen Verbraucherschutz einfordern. Schließlich  lehrt bereits die Spieltheorie, dass Verhandlungen, die zumindest  halböffentlich durchgeführt werden, in der Regel gerade aus Gemeinwohlsicht zu  einem besseren Ergebnis beitragen, da dann Kompromisse, bei denen man doch  gewisse Standards senkt, nicht mehr so einfach von der anderen Seite  durchzusetzen sind. Deshalb liegt in dieser (Vertrauens-)Krise keine geringe  Chance für die Sozialdemokratie, wenn sie Alternativkonzepte für die  Globalisierung, wie etwa Willy Brandts leider ziemlich in Vergessenheit geraten  Nord-Süd-Dialog, zusätzlich ins Spiel bringt sowie stärker darauf hinweist,  dass von Angela Merkel nach wie vor ein echtes kritisches Statement bezüglich  der höchst umstrittenen Schiedsgerichte mit ihren exorbitanten Anwaltsgagen  fehlt!“

Helga Nitsche aus Obertshausen:

„Ich bin irritiert und ratlos. Da wurde in Berlin ein Leseraum eingerichtet, in dem Abgeordnete in Verhandlungsunterlagen Einsicht nehmen können, ohne jedoch Kopien anfertigen zu dürfen oder über ihre Erkenntnisse zu reden. Und nun veröffentlicht Greenpeace angeblich sogar aktuellere Inhalte – und was geschieht? Nichts! Weder die EU, noch die Amerikaner noch die Bundesregierung regen sich groß auf oder stellen gar Strafanträge. Es gibt lediglich Medienbeiträge. ‚TTIPLeaks‘ oder ‚alles nichts Besonderes‘? Wo liegt die Wahrheit?
Vor längerer Zeit als die ersten Verhandlungsdokumente im Internet freigegeben wurden, habe ich versucht, mir selbst ein Bild zu machen, um entscheiden zu können, ob ich die Online-Unterschriftenaktion gegen das Abkommen auch unterschreiben sollte oder nicht. Damals fand ich keinen stichhaltigen Grund dafür, es zu tun. Allerdings war auch die Recherche sehr schwierig – nicht allein deswegen, weil der Text in Englisch war. Weder meine eigene Recherche noch die von den Umweltverbänden bereitgestellten Positionspapiere gaben mir den Eindruck, wirklich gut informiert zu sein.
Im Laufe der weiteren Diskussion – zu den Statements der Umweltverbände kamen weitere Stellungnahmen anderer Verbände und auch der Kirchen – habe ich mich der Unterschriftenaktion angeschlossen.
Die jetzige Entwicklung wirft allerdings bei mir neue Fragen auf. Wer hat das größte Interesse daran, daß die Verhandlungen so geheim ablaufen – die Amerikaner? die EU? Wirtschaftsverbände? Sind es tatsächlich ‚die Amerikaner‘ die ‚die Europäer‘ hier über den Tisch zu ziehen versuchen? Oder gibt es auch auf EU-Seite Kräfte, die ein solches Abkommen nutzen wollen, um lästige Standards loszuwerden? Welchen Wert hat eine Aussage des Bayrischen Ministerpräsidenten Seehofer, daß er dem Abkommen nicht zustimmen werde? Wird er überhaupt gefragt? Warum ist offenbar derzeit noch unklar, welche Möglichkeiten dem Parlament gegeben werden, die Ratifizierung des Abkommens zu beeinflussen? Sollte eine so wichtige Frage nicht längst geklärt sein? Davon hängt ja wesentlich ab, ob man der Argumentation folgen kann, daß gegenwärtig noch Vieles nicht ausverhandelt und damit nicht zu beurteilen sei. Wenn ‚ausverhandelt und unterzeichnet‘ nachher quasi gleichbedeutend mit ‚ratifiziert‘ wäre, weil eine parlamentarische Kontrolle nicht mehr wirksam würde sondern nur noch Formsache wäre, dann muß man tatsächlich sofortige Öffentlichkeit fordern und dann gibt es für mich kein Verständnis für das Verfahren des Wirtschaftministeriums mit den Leseräumen und der damit verbundenen Geheimhaltung.
Ein anderer Gesic htspunkt wird m.E. in der jetzigen Diskussion kaum beleuchtet: welche der möglichen schädlichen Folgen des Abkommens haben wir sowieso zu befürchten, auch wenn die TTIP-Verhandlungen tatsächlich gestoppt werden sollten? Besteht die Gefahr, daß man sich jetzt auf dies Abkommen konzentriert und dabei vielleicht übersieht, daß Entwicklungen ablaufen und Fakten geschaffen werden, die am Ende diese Bemühungen substanzlos machen? Ich denke zum Beispiel an die Diskussion um die Privatisierung der Wasserressourcen. Oder umgekehrt: könnte es sein – entsprechend vernünftige Verhandlungsführung vorausgesetzt – daß ein Abkommen auch einen gewissen Schutz gegen völligen Wildwuchs und Willkür rein wirtschaftlicher Interessen bringen könnte?“

Wilfried Jannack aus Hannover:

„Stefan Sauer weist darauf hin, dass in den USA Wachstumshormone in der Tiermast eingesetzt werden dürfen. Ractopamin wird in USA zu 60 bis 80% bei Rindern, Truthähnen und Schweinen eingesetzt, trotz gesundheitlicher Risiken für Mensch und Tier. Die Tiere werden hyperaktiv, bekommen Herzrasen und können unvermittelt sterben. Ractopamin und Somatotropin stehen im Verdacht krebsfördernd und erbgutschädigend zu sein.
In Europa verboten heißt das aber nicht, dass die hiesige Agrarindustrie diese Verbote nicht gerne geschliffen hätte. Die berechtigte Kritik an TTIP – in diesem Fall an der amerikanischen Landwirtschaft – sollte sich deshalb nicht in Antiamerikanismus erschöpfen. Wir können da gut vor den eigenen Haustür kehren, wenn wir z.B. feststellen, dass ca. 1.600 t Antibiotika jährlich in Deutschland im Nutztierbereich angewendet werden (Humanbereich ca. 800 t), davon 20% Reserveantibiotika, die im Notfall für Patienten mit multiresistenten Keimen gedacht sind.
Am 23.4.2016 protestierten in Hannover mehr als 50.000 TTIP-Gegner gegen das Freihandelsabkommen. Anlass war der Besuch Obamas. Am nächsten Tag demonstrierten 300 Antiamerikaner gegen Obama. TTIP diente hier als Anlass. Das Polizeiaufgebot war gefühlt an beiden Tagen gleich groß.
Neben den ISDS-Schiedsgerichten und neben diesem Zur-Ware-machen (Kommodifizierung) von Lebensgütern, Patenten und Daten sind die regulatorische Kooperation und die Einführung von Negativlisten extrem problematisch. Unter regulatorischer Kooperation versteht man die Einbeziehung der industriellen Interessen in die Gesetzgebung. Das geht aus meiner Sicht gar nicht, dass die Lobbyisten die Demokratie kapern.
Früher wurde in Positivlisten aufgeführt, was verändert werden darf. Mit TTIP findet ein Paradigmenwechselstatt. Im Annex wird es Negativlisten geben, die listen, was nicht einbezogen wird. Diese Listen sind eher kurz. Dies ist gemeint, wenn von Abschaffung nichttarifärer Handelshemmnisse die Rede ist.“

Alfred Bein aus  Neu-Isenburg:

„Gut 46.000 überbezahlte und überversorgte EU-Beamte treiben in Brüssel, Straßburg und
sonstwo ihr Unwesen und werden dabei von ca. 20.000 Lobbyisten, überwiegend aus der
Grossindustrie „beraten!“
„Völlig losgelöst von der Erde…“ – sprich europäische Bevökerung — verhandeln diese Bewohner eines Paralelluniversums im Stil eines Geheimbundes absolut konspirativ und abgeschottet mit den USA über das Freihandelsabkommen TTIP. Und es ist nur wieder eimal einem Whistleblower zuverdanken, dass jetzt bekannt wurde, welche Ungeheuerlichkeiten da auf uns (die Bürger Europas) zukommen werden.
Ich habe mal irgendwo gelesen: Die Staatsgewalt geht vom Volke aus! – Arikel 20 GG, wenn
ich mich richtig erinnere. Dieses hehre Ansinnen unserer Verfassung wird hier ja absolut mit
Füssen getreten. Da ist es doch absolut kein Wunder, dass Europamüdigkeit und -skepsis und
die allgemeine Staatsverdrossenheit immer mehr zunehmen und sich am rechten Rand der
Parteienspektren in Eurpa immer mehr und immer stärkere ungewollte Gruppierungen bilden.
Selbst schuld „liebe Altparteien!“
In unserer heutigen Informationsgesellschaft mit all deren Kommunikationsmöglichkeiten sollte
es eigentlich kein Problem sein, bei gesellschaftlich relevanten Fragen viel mehr Basisdemokratie einzuführen und zu wagen, etwa durch Volksbegehren oder ähnlichen Mitteln (s. Niederlande!), aber das scheint mir bei uns politisch nicht gewollt. Alle vier, fünf Jahre Stimmvieh bei Wahlen, alles andere ist viel zu anstrengend und gefährlich.“

 

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3 Kommentare zu “TTIP: Viele Knüppel zwischen die Beine

  1. Herr Jannack, es ist ganz normal und im Sinn des Tierschutzes, der ja mittlerweile sogar im Grundgesetz verankert ist, dass kranke Tiere mit effektiven Medikamenten behandelt werden. Von daher finde ich Ihre Gegenüberstellung von 1600t Antibiotika im Nutztierbereich und 800t Antibiotika in der Humanmedizin irreführend und unvollständig.

    Selbstverständlich bekommen kranke Tiere Medikamente. Es ist seit mehr als 30 Jahren gesetzlich klar geregelt, dass Medikamente nicht zur Wachstumsbeschleunigung, quasi als Anabolika, eingesetzt werden dürfen (in den 80ern hatten wir ja diverse Skandale rund um Nutztiere und Medikamente). Aber zur Heilung ist es doch ganz normal, dass man wirksame Medikamente einsetzt und keine Glaubuli.

    Im Nutztierbereich gibt es klare Vorgaben für Wartezeiten, die eingehalten werden müssen, bevor die Tiere dann verwertet werden. Meine Frau ist Tierärztin und sogar im Hobbybereich muss sie die Tierbesitzer über Wartezeiten aufklären, wenn bestimmte Medikamente verabreicht werden (z.B. an Kaninchen u.ä., die gelegentlich auch gegessen werden).

  2. Es fällt mir schwer Verhandlungen zu bewerten die noch kein Ergebnis haben .Wenn ich aber denke die hohen Umweltstandards die in den USA bei der Kohleverstomung gelten könnten über TTIP nach Euroland kommen wäre das mal ein Schritt in die richtige Richtung.

  3. @ ths
    Kann es sein, dass Ihre Frau sich wirklich nur mit dem „Hobby-Bereich“ (Hund, Katze, Hamster Kanarienvogel) beschäftigt?

    Sonst hätte Sie ihnen sagen müssen, dass Antibiotika zwar als Masthilfe verboten sind, nachdem man die Lücke verraten hatte, auch als Prophylaxe, dass aber in der Praxis in der Massentierhaltung zwischen Prophylaxe und der weiterhin erlaubten Metaphylaxe nicht unterschieden werden kann.

    Ich habe damit zwar die richtigen Suchwörter vorgegeben, aber kann das Suchen ersparen, es gab mal eine ganz gute Zusammenfassung in der Welt:
    http://www.welt.de/gesundheit/article139461780/Tiere-werden-mit-Antibiotika-regelrecht-gemaestet.html

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