Ein paar tausend Lokführer sind in der Lage, Deutschland teilweise lahmzulegen, und sie nutzen diese Macht nun, um ihre Forderungen durchzusetzen. Leserinnen und Leser schreiben mir zu Hauf das böse Wort von der Geiselhaft, in die das Land angeblich genommen werde. Ich finde das gnadenlos überzogen. Vor allem will mir nicht in den Kopf, dass so viele Menschen nicht in der Lage zu sein scheinen, von ihrer eigenen persönlichen Situation, in der sie mehr oder weniger stark von dem Streik betroffen sind, auf das größere Ganze zu abstrahieren. Denn dieser Streik hat durchaus seine Bedeutung für das Gemeinwohl. Und das, so meine ich, in einem positiven Sinn.
Es geht gar nicht mal darum, dass Lokführer unterbezahlt und/oder überarbeitet sind, weil sie Überstunden anhäufen. Dass ein Lokführer maximal bis ca. 3000 Euro brutto verdient, ist schlicht eine Schande angesichts der Verantwortung, die diese Leute zu tragen haben. Darüber bedarf es keiner Diskussion, denke ich. Einer Diskussion bedarf es jedoch über die Frage, wie das sein kann. Offenbar haben andere Gewerkschaften als die GdL die Belange der Lokführer nicht angemessen vertreten. Von daher dürfte sich der Bedeutungsgewinn der GdL in den vergangenen Jahren erklären.
Der Punkt ist in meinen Augen nicht einmal, dass die GdL den Anspruch vertritt, auch andere Berufsgruppen als die Lokführer vertreten zu wollen, und dafür in den Revieren anderer Gewerkschaften wildert. Was die GdL da macht, ist nichts anderes, als in Wettbewerb mit diesen anderen Gewerkschaften zu treten. Das ist etwas, was Deutschland mit seinen (früheren) großen Einheitsgewerkschaften anscheinend nicht gewohnt ist. Es ist nichts als legitim, dass die GdL sich quasi an den Marktgesetzen orientiert: Jene Gewerkschaften, welche die Anliegen der organisierten Mitglieder am besten vertritt, wird den größten Zulauf haben und damit auch an Einfluss gewinnen. Das ist, wie gesagt, völlig in Ordnung so. Daher an dieser Stelle an die Adresse der Bundesregierung: Finger weg vom Streikrecht, Frau Nahles!
Genau dies ist das Unerhörte: Die GdL hat die neoliberale Ideologie von der Privatisierung zuendegedacht. Die Deutsche Bahn wurde privatisiert, weil sie an die Börse gebracht werden sollte und weil zu jener Zeit der Irrglaube noch weit verbreitet war, dass niemand die Versorgung der Menschen in diesem Land besser organisieren kann als der freie Markt. Dass dazu Konkurrenten nötig sind, mit denen Anbieter in Wettbewerb treten können, weist schon deutlich auf den Fehler dieses Gedankens hin: Die Bahn hat bis heute keine ernstzunehmende Konkurrenz. Niemand kann die Gesamtversorgung Deutschlands mit Mobilität so organisieren wie die Deutsche Bahn – und genau das ist auch der Auftrag des ehemaligen Staatsunternehmens, dem es jedoch nicht gerecht wird. Gemessen an diesem Auftrag ist die Privatisierung fehlgeschlagen. Ausgerechnet eine Gewerkschaft zeigt der Bahn nun, was es bedeutet, wenn man Wettbewerb konsequent aufzieht. Arbeitnehmer können die Marktmechanismen, denen sich so viele Menschen hilflos ausgeliefert fühlen, also zu ihren Gunsten nutzen. Ich frage mich, warum das nicht viel häufiger geschieht.
Daher ist der Streik der Lokführer gut für unser Land. Dass mal ein paar Züge ausfallen und wir vielleicht zu spät zur Arbeit kommen, mag ärgerlich und auch schädlich sein, aber wir werden es wegstecken. So wie wir vor dreißig Jahren auch die Streiks im öffentlichen Dienst, etwa bei der Müllabfuhr, weggesteckt haben. Erinnert sich noch jemand daran? Nein? So kurz kann das Gedächtnis sein.
„Kann denn streiken Sünde sein?„, titelte die FR am 18. Oktober. Peter Bläsing aus Bonn schreibt dazu:
„Ihr Aufmacher vom 18./19.10.2014 ist das Vernünftigste, was ich im Zusammenhang mit dem GdL-Streik gehört oder gelesen habe. Ich kann noch ein Fünftens hinzufügen: Die Darstellung, die GdL liefe Amok, würde die Fahrgäste als Geiseln nehmen und die Bahn erpressen, ist pure Hetze! Beweis? Ich bin Ende letzter Woche in Berlin von der Streikankündigung überrascht worden und hatte mich darauf eingestellt, dass meine Termine für die Rückreise nach Bonn und ein wichtiger Arzttermin am Montagmorgen (20.10.) platzen würden. Geplant war, am Samstagmorgen (18.10.) von Berlin mit Umsteigen in Hamm nach Unna zu einem Familientreffen zu fahren und am Sonntagabend (19.10.) von Unna über Dortmund nach Bonn zurückzukehren. Nach Abrufen von Informationen im Internet und geringfügigen Änderungen des Reiseplans ist jedoch meine Rückreise genau so verlaufen! Ich kann mich nur anschließen und Frau Nahles und den übrigen Arbeiterverrätern von der SPD zurufen: Hände weg vom Streikrecht! Weselsky, bleibe hart!“
Brigitte Heinzmann aus Frankfurt
„Oh, welch wehleidiges Gejammere der armen „in Geiselhaft“ genommenen! Welche Rechte sie für sich ableiten aus dem Gewohnheitsrecht, eine bestimmte Dienstleistung regelmäßig in Anspruch nehmen zu können. Ein Streik zieht seine Wirkung daraus, Öffentlichkeit zu finden und dem Bestreikten weh zu tun, sonst könnte man sich glatt die ganze Mühe sparen.
Am Ausmaß unserer Betroffenheit sehen wir doch, wie schön es ist, ein eigentlich funktionierendes Verkehrssystem zu haben und es sollte uns wert sein, die Menschen, die es in Gang halten, angemessen zu behandeln.“
Eberhard Drück aus Wachtberg:
„In der Berichterstattung fast aller Medien wird immer zuvorderst geschildert, die GDL verlange fünf Prozent mehr plus Arbeitszeitverkürzung. Das erweckt den völlig falschen Eindruck, es ginge um die üblichen gewerkschaftlichen Forderungen. Der GDL, besonders ihrem Vorsitzenden, geht es doch in Wirklichkeit um den Versuch, die GDL innerhalb des gewerkschaftlichen Rahmens zu stärken, auszudehnen. Ginge es um Geld oder Arbeitszeit, würde längst verhandelt und man träfe sich irgendwo in der Mitte. Die Rücksichtslosigkeit, mit der die GDL die Fahrgäste als Geiseln nimmt, hat seine Ursache nur in dem egoistischen Bestreben der GDL-Spitze, ihre Macht auszubauen.im innergewerkschaftlichen Konkurrenzdenken. Hoffentlich kommt dieser Missbrauch gewerkschaftlicher Rechte noch irgendwo vor Gericht. Als das Bundesarbeitsgericht das Streikrecht kleiner Spartengewerkschaften betonte, dachte es doch nur an das Streikrecht wegen Arbeitnehmerforderungen, nicht um das Machtstreben der Spitzenfunktionäre. Und genau darum geht es derzeit bei den Forderungen der GDL-Spitze.“
Heinz Weweler aus Rheine
„Ich darf den ständig schimpfenden Medien in Deutschland nur kurz sagen; Streik ist ein legitimes Recht der Gewerkschaften und….Streik muss weh tun, dass ist ganz wichtig, sonst werden die Gewerkschafter vornehmlich von den linken Medien nur ausgelacht, verspottet und verhöhnt. Wann soll denn gestreikt werden? Nachts von 2 Uhr bis 3 Uhr? Nein, die GDL macht das ganz toll und….weiter so!“
Heinz Abraham aus Kronberg:
„Wenn in einem Industriebetrieb oder bei Banken und Versicherungen gestreikt wird – und das ist manchmal unumgänglich, um Arbeitnehmerrechte zu wahren – , sind nur die Beschäftigten und die Geschäftsleitung (und ggf. Aktionäre) betroffen, aber keine Außenstehenden. Das aber ist bei den jetzigen Streiks nicht der Fall. Hunderttausende Reisende werden durch Verspätungen oder auch Wegfall des Verkehrs mit hineingezogen. Die Öffentliche Ordnung wird gestört und (hier sogar durch Minigewerkschaften) Unbeteiligte mit hinein gezogen. Das Vorhaben der Regierung, Tarifverträge nur gelten zu lassen, wenn sie die größte Gewerkschaft im Betrieb abschließt, und ggf. vorher streikt, ist zu begrüßen.
Zudem kommt aber bei beiden Kleingewerkschaften noch hinzu, daß der technische Fortschritt in den letzten 50 Jahren bei Triebwagen wie bei Cockpits gewaltige Vereinfachungen und Erleichterungen gebracht hat, die schon allein körperlich schwere Arbeiten weitgehend verringerten. Der bekannte Scherz, daß man die Heizer auf den neuen E-Loks weiter mitfahren lassen müsse, um Arbeitgeberrechte zu wahren – und auch Besitzstände -, kann hier getrost als Analogie eingesetzt werden.
Überstunden oder zu geringe Zwischenzeiten bei Schichtdienst gibt es auch in anderen Branchen und nicht nur bei Piloten und Fahrern der Bahn; dieses Argument ist durchsichtig. Und das Endalter 55 bei ersteren war zu einer Zeit sinnvoll, als man noch ganz andere Belastungen mit älteren Flugzeugen hatte. Übrigens: Busfahrer; Straßenbahn-Fahrer und andere Gleicharbeitende, und LKW-Fahrer müßten ja dann auch mit 55 als körperlich wie geistig ungenügend in diesem Alter abgeschossen werden, was (auch sie tragen besondere Verantwortungen) keiner will und kann.
Daß es weniger um Lohnerhöhungen und kürzere Arbeitszeiten geht, ist bekannt; die Konkurrenz der Minigewerkschaften um Biegen und Brechen sollte nicht auf dem Rücken von Arbeitnehmern anderer Betriebe und anderer Reisender ausgetragen werden.
Sollten die Unternehmen zähneknirschend nachgeben, würden nicht nur die Fahr-Preise steigen, sondern schlimme Präzedenzfälle geschaffen werden. Merkur als Gott der Reisenden schütze uns vor solchen Gewerkschaften.“
Rasmus Ph. Helt aus Hamburg
„Der Kommentar von Stephan Hebel bringt es äußerst treffend auf den Punkt. Denn erstens muss man sich schon die Frage nach dem Zustand dieser Gesellschaft stellen, wenn bereits nach einem größeren Streik viele Menschen so jammern, als wenn bald die Welt untergeht. Und zweitens gilt auch für die Gewerkschaften der Grundsatz: Wettbewerb belebt das Geschäft. Weswegen die Forderung der GDL, nicht nur für Lokführer zu verhandeln, den Beschäftigten in einem Unternehmen wie der Deutschen Bahn nur gut tun kann. Zumal sich die Arbeitsbedingungen gerade auf den untersten Hierarchieebenen, wie etwa bei den Zugbegleitern in Nachtzügen, in der Vergangenheit alles andere als zum Positiven verändert haben. Obwohl eine teure Personalie wie Ronald Pofalla eindeutig den Eindruck
hinterlässt, dass es innerhalb des Konzerns sehr wohl genügend Geld zu verteilen gibt. Weshalb sich vor allem das Teamgeist-Defizit der Führungskräfte im Bahntower ändern muss und Andrea Nahles Abstand von ihren Plänen nehmen sollte, elementarste Arbeitnehmerrechte wie die Koalitionsfreiheit einzuschränken, die in keinem geringen Maße das Image der SPD beschädigen!“
Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:
„Gern folge ich dem Ratschlag von Stephan Hebel und verteile meinen Ärger gerecht. Und um das zu tun, versuche ich zunächst zu analysieren, worum es eigentlich geht.
1. Hätte ich bei der Deutschen Bahn AG für das Wochenende 18./19. Oktober eine Fahrkarte erworben, so wäre die Bahn mein Vertragspartner gewesen. Sie hätte mich befördern, also Fahrzeuge, Schienennetz, Personal und die sonstig notwendige Infrastruktur dafür bereitstellen müssen. Mit der Gewerkschaft der Lokführer (GDL) hätte kein Vertragsverhältnis bestanden. Der unternehmensinterne Konflikt zwischen Bahn-Vorstand und Gewerkschaft würde mich eigentlich nichts angehen und dürfte nicht zu meinen Lasten ausgetragen werden. Zwar werden Streiks von der Rechtsprechung der so genannten „höheren Gewalt“ zugerechnet, aber im konkreten Fall wäre die Auseinandersetzung durchaus abwendbar gewesen; ihr fehlt die notwendige Unbeeinflussbarkeit. Denn die Deutsche Bahn hat noch nicht einmal im Ansatz versucht, die GDL als gleichberechtigten Tarifpartner neben der EVG anzuerkennen.
2. Diese Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG ist Nachfolgeorganisation der Gewerkschaft Transnet und der Gewerkschaft Deutscher Bundesbahnbeamten und Anwärter (GDBA). Vor allem Transnet war während der Amtszeit des Vorsitzenden Norbert Hansen heftig in die Kritik geraten. Sie hatte der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn zugestimmt, was für ihre Mitglieder zu Vorteilen gegenüber anderen Mitarbeitern führte (spezieller Fonds für Sozialleistungen) und Norbert Hansen einen Vorstandsposten bei der Deutschen Bahn einbrachte. Vor diesem Hintergrund ist das Misstrauen der Lokführer gegenüber der EVG verständlich. Denn diese hat bis heute nicht den Eindruck entkräften können, ein verlängerter Arm der Konzernspitze zu sein und weniger ein Interessenvertreter der Arbeitnehmer.
3. Im Zuge der Teilprivatisierung der Deutschen Bahn hatten die überwiegend beamteten Lokführer die Möglichkeit, Angestellte mit besonderen Rechten zu werden („Insichbeurlaubung“): Sie werden, soweit sie das wollten, seither nach einem Angestelltentarifvertrag entlohnt, behielten aber versorgungsrechtlich ihren Beamtenstatus. Neueinstellungen wurden ausschließlich auf der Basis des Angestelltentarifs vorgenommen.
4. Da die Privatisierung der Bahn nur aufgeschoben ist und die betriebswirtschaftliche Profitmaximierung das Konzernziel ist, will der Bahnvorstand interne Hemmnisse auf diesem Weg beseitigen. Hierzu gehört das Aushandeln von Tarifverträgen ausschließlich mit der willfährigen EVG, auch wenn diese in betriebssensiblen Bereichen wie den Lokführern nicht die Mehrheit der Mitarbeiter hinter sich hat. Auch für die Zugbegleiter scheint die kämpferische GDL zunehmend der bessere Interessenvertreter zu sein.
Ausgerechnet die Verfechter der Deregulierung plädieren jetzt für eine Regulierung des Tarifrechts bei der Bahn und setzen dabei auf die Bundesregierung. Ministerin Nahles (SPD) bereitet ein entsprechendes Gesetz vor, das aber aller Voraussicht nach vor dem Bundesverfassungsgericht keinen Bestand hätte. Doch durch dieses Gesetzesvorhaben entsteht ein zeitliches Vakuum, während dem die GDL zermürbt werden soll.
Hätte ich also für dieses Wochenende eine Fahrkarte erworben und trotzdem nicht fahren können, würde sich die Begeisterung sicherlich in Grenzen halten. Aber als politisch bewusstem Zeitgenossen wäre mich auch dann klar geworden, dass gegenüber einer von Sigmar Gabriel und Andrea Nahles repräsentierten gesellschaftlichen Entsolidarisierung kaum andere Möglichkeiten des politischen Widerstands bestehen. Wer die Deregulierung auf seine Fahnen schreibt, sollte unbedingt das Risiko des Scheiterns einkalkulieren. Denn die auserkorenen Opfer könnten wider Erwarten bereit sein, den herrschenden Verhältnissen ihre eigene Melodie vorzuspielen.“
Peter Appelrath aus Friedrichsdorf:
„Es ehrt jeden, der darauf hinweist, dass das Streikrecht ein hohes Gut ist und einen bedeutenden Stellenwert in der Verfassung hat. Aber was ist im Zuge der gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Veränderungen im Rahmen der Sozialen Marktwirtschaft und den Mechanismen der Globalisierung aus diesem Streikrecht geworden? Die Flexibilisierung am Arbeitsmarkt hat schon lange Einzug gehalten. Nicht nur dadurch ist in Tarifauseinandersetzungen das Streikrecht als Druckmittel im Arbeitskampf immer mehr zu einem zweischneidigen Schwert geworden. Angebot und Nachfrage bestimmen immer umfassender den Wert der Arbeit. Streiks sind immer seltener geworden und die Gewerkschaften als Tarifpartner sind geradezu gezwungen, bei Tarifverhandlungen Augenmaß zu zeigen.
Aus diesem Blickwinkel heraus ist es Augenwischerei, ausgerecht beim Streik der Lokführer das allgemeine Streikrecht hoch zu halten. Keine andere Berufsgruppe kann bei einem Streik mit so geringen Verlusten in der Streikkasse eine so maximale Wirkung erzielen. Um Forderungen kompromisslos durchzusetzen, wird für meine Begriffe leichtfertig und rücksichtlos der Reise- und Berufsverkehr zum wiederholten Mal lahmlegt. Damit wird die Durchsetzung der Interessen einer kleinen und überschaubaren Berufsgruppe auf dem Rücken von Millionen Menschen in sehr vielfältiger Weise und zum Teil sogar in unzumutbarer Weiseausgetragen. Rücksichtslos ist das auch deshalb, weil der Zeitpunkt eines erneuten Streiks für den Reisenden nicht kalkulierbar ist, wie sich an diesem Wochenende herausgestellt hat.
Als ich vor mehr als 40 Jahren Gewerkschaftsmitglied wurde, hätte ich mir nicht träumen lassen, dass mir mit Blick auf einen organisierten Streik der Begriff der Erpressung in den Sinn kommen könnte.
Ich bin der Überzeugung, dass diese maßlose Machtdemonstration der GdL allen Gewerkschaftern, denen die Grundsätze von Solidarität und sozialer Gerechtigkeit sehr wichtig sind, einen Bärendienst erweist.“
Günther Kinscher aus Bebra:
„Im Zusammenhang mit den Streiks bei der Lufthansa und der Bahn, ist auffallend, dass das Wort „Geiselhaft“ für Stimmungsmache und Effekthascherei sehr oft missbraucht wird. Medienvertreter, Politiker und Arbeitgeber haben die „Geißelhaft gezielt eingesetzt, um die Streikenden zu verunglimpfen. Man sollte an die Menschen denken, die sich weltweit in großer Zahl, in wahrer Geiselhaft befinden und Todesängste ausstehen. Beispielhaft ist dabei das Schicksal zweier deutschen Geiseln, die sich in der Gewalt philippinischer Islamisten befanden und jetzt in Freiheit sind. Die Einschränkung persönlicher Mobilität, bedingt durch berechtigte Streiks, hat nichts, aber auch gar nichts mit Geiselhaft zu tun.“
Thilo Baum aus Heiligengrabe-Grabow
„In Ihrem Beitrag zur Frage, ob Streik-Ärger gerecht sei, übersehen Sie einen wichtigen Aspekt, finde ich. Zahlreiche Selbstständige und Geschäftsleute machen weite und komplizierte Kreuz- und Querfahrten. Beispielsweise ich. In meinem Job ist Mobilität eine Hauptressource. Darüber schreiben Sie gar nichts. Aus Ihrem Text ergibt sich das Bild, eine Bahnreise sei nicht so wichtig. Doch ich lebe von der Mobilität, ohne Mobilität komme ich nicht zu meinen Kunden. Ich habe 60.000 Autokilometer pro Jahr auf die Schiene gelegt und *brauche* die Bahn. Und da bin ich nicht der Einzige. Wir Power-User finden aber in der öffentlichen Debatte nicht statt, weil Deutschlands Journalisten in Bahnfahrern offenbar nur Pendler und Urlauber sehen.
Der Punkt ist: Herr Weselsky raubt mir und vielen anderen eine Basis-Ressource. Warum schreibt darüber kein Medium? Wieso betrachtet die Presse nur Privatleute und Arbeitnehmer?
*Mein* Grund, mich zu ärgern, ist dabei übrigens gar nicht der Streik selbst. Sollen sie doch streiken – dagegen habe ich nichts. Ich gönne den Lokführern mehr Geld. Elementar aber ist die Kommunikation der GdL. Ich will rechtzeitig wissen, wann die Lokführer streiken und wann sie nicht streiken, damit ich planen kann. Nehme ich einen Mietwagen von Regensburg nach Karlsruhe oder nicht? Weiß ich, ob ich in drei Tagen von Karlsruhe wieder mit der Bahn wegkomme, oder nehme ich den Mietwagen für die ganze Reise? Oder nehme ich mein Auto, obwohl zu Beginn der Reise die Lokführer nicht streiken und ich locker mit dem ICE aus der Prignitz nach Freiburg fahren könnte? Tausende denken, planen und reisen so. Wieso finden diese vielen, ganz normalen Geschäftsleute in den Medien nicht statt?
Es ist ein Irrtum zu glauben, man könnte eine Reise schnell mal umplanen. Offenbar denkt der deutsche Journalist, alle Bahnfahrten begännen zu Hause oder führten nach Hause. Ein wenig kurz gedacht, finden Sie nicht? Was bringt eine Streikankündigung 24 Stunden vorher, wenn man dann inmitten einer zehntägigen Geschäftsreise ohne Auto irgendwo im Bayrischen Wald steht, es keinen Mietwagen gibt und man noch Termine in Kassel, Leipzig und Hamburg hat? Die Situation zahlreicher Selbstständiger ist, dass sie das Auto nehmen *müssen*, wenn sie eine Woche oder zehn Tage auf Tour sind, weil man ja eben nicht weiß, ob dieser seltsame Gewerkschaftsmensch im Laufe der Reise zum Streik aufruft. Was ist an dieser Kommunikation „rechtzeitig“? Warum entlarvt kein Medium diese Lüge des Herrn Weselsky?
Schon wegen Herrn Weselskys Streikankündigung am 6. Oktober musste ich für eine einwöchige Tour das Auto statt die Bahn nehmen, weil es keine Planungssicherheit gab – es war ja unklar, wann die GdL genau *nicht* streikt. Schon am 1. September habe ich wegen des Streiks 90 Euro für ein Taxi von Wittenberge nach Wittstock bezahlt. Auf Zusatzkosten für Autokilometer und Taxis bleiben Selbstständige sitzen. So eine Reise zu verschieben oder ausfallen zu lassen, ist ein naives Konsumenten-Argument – das geht im Business leider nicht. Ich habe hier Stand heute durch den Streik seit 1. September einen Schaden von 1135,50 Euro, den mir niemand ersetzt. Wäre das für Sie kein Anlass, sich über den Streik zu ärgern?
Wissen Sie eigentlich, wer die wahren Geiseln der Situation sind? Die BahnCard-100-Kunden. Über die schreibt aber kein Medium. Diese Power-User sitzen in der Falle, denn sie bezahlen ständig fürs Bahnfahren, ohne Bahn fahren zu können. Die Bahn bucht monatlich mehr als 600 Euro von meinem Konto ab, doch de facto ist meine BahnCard 100 derzeit wertlos. Ein normaler Bahnkunde kann beim Streik sagen: Gut, dann kaufe ich kein Ticket. Oder ich gebe es zurück. Als BahnCard-100-Kunde können Sie das nicht: Sie haben Ihre Bahnfahrten als Flatrate bezahlt. Das heißt: Der Schaden von Zeitkartenbesitzern ist noch höher als der Schaden, den übliche Bahnkunden schon haben, aber es interessiert niemanden. Und die 15 Euro Schadenersatz pro Ausfall-Tag für BahnCard-100-Kunden hat sich offenbar ein Witzbold ausgedacht, der völlig unfähig zum Perspektivenwechsel ist.
Leider räumt die Bahn den BahnCard-100-Kunden kein Sonderkündigungsrecht wegen des Streiks für ihre BahnCard 100 ein, was ich unverschämt finde – obwohl eine BahnCard 100 derzeit de facto wertlos ist. Wenn das so weitergeht, muss ich mir eine Sixt Unlimited dazunehmen (Mietwagen-Flatrate), um eine Mietwagengarantie für den Fall der Fälle zu haben oder gleich mit dem Mietwagen zu fahren. Ich denke mal, zahlreiche BahnCard-100-Kunden werden ihre BahnCards kündigen.
Warum liest man über diese Aspekte in keinem Medium irgendwas? Wieso sind Bahnfahrer auch aus Mediensicht offenbar nur Pendler und Urlauber? Wieso ignorieren die Medien den Aspekt der Grundversorgung in der Infrastruktur? Die Situation ist doch nicht so, wie wenn das Personal in einem Supermarkt streikt, sondern hier geht es an eine absolut wichtige, grundlegende Ressource. Vielleicht haben Sie ja eine Antwort. Danke!“
Torsten Linke aus Niederdorfelden:
„Liebe Verantwortliche der GDL, Herzlichen Dank für den nächsten Streik. Sie haben damit den Einsatzkräften der Freiwilligen Feuerwehr Niederdorfelden, den Bürgern von Niederdorfelden und weiteren allesamt im Ehrenamt tätigen Angehörigen der verschiedenen Hilfsorganisationen (Deutsches Rotes Kreuz und weitere Feuerwehren) im Main Kinzig Kreis eine einmalige Gelegenheit genommenen, auf einem an diesem Wochenende aufgrund von Baumaßnahmen mitten im Ort gelegenen Streckenabschnitt die realistische Übung eines Unfalls zwischen einem PKW und einem Regionalzug zu üben, da der dazu erforderliche Zug jetzt natürlich nicht kommt. Mal ganz davon abgesehen, dass solche Übungsgelegenheiten äußerst selten sind, da ja der normale Zugverkehr nicht gestört werden darf, denke ich hier an den Aufwand, den die Organisatoren der Übung auf sich genommen haben. Wohlgemerkt, das wird meines Wissens alles ehrenamtlich und in der Freizeit geleistet. Im Ortsgebiet habe ich auch Plakate gesehen, die Teilnehmer und die Bevölkerung sollte mit verpflegt werden. Dafür sind bestimmt Kosten aufgelaufen. Kann man die eigentlich ihrer Streikkasse in Rechnung stellen? Falls es künftig mal wieder zu einem Zusammenstoß PKW/Bahn kommen sollte, hoffe ich für ihre Mitglieder, dass dann genügend freiwillige und gut ausgebildete Rettungskräfte kommen, die den Zugführer aus einem zerstörten Zug befreien können. Eine Gelegenheit, dies sicherzustellen haben sie mit ihrer Knebelung der Bevölkerung wieder mal zerstört.“
Ihr Autor Herr Doemens berichtet anlässlich des Bahnstreiks über Pläne, die Macht der Gewerkschaften auf politischer Ebene zu beschneiden zu wollen. Arbeitsministerin Nales habe die Pläne dazu schon in der Schublade. Am vergangenen Donnerstag gab es dazu eine Bundestagsdebatte.
Die Ministerin glänzte durch Abwesenheit und wurde u.a. vom Abgeordneten Bernd Rützel vertreten. Bis auf Bündnis90/Grüne und Die Linke stießen alle Redner ins selbe neoliberale Horn: „Nieder mit der Macht der Spartengewerkschaften!“ Wer solche Volksparteien hat, braucht keine FPD mehr.
Unverhohlen wurde für einen Eingriff in Grundrechte plädiert und eine schnelle gesetzliche Regelung diskutiert. Eventuelle verfassungsrechtliche Bedenken sollten gegebenenfalls durch einen entsprechend kreativen Wortlaut ausgehebelt werden.
Auch der FR-Artikel ergreift eindeutig die Arbeitgeberposition, was im Wirtschaftsressort vielleicht noch in der Natur der Sache liegt und tolerierbar wäre. Aber ein armes, kleines Mädchen, schlafend auf einem Koffer – als Opfer des Pilotenstreiks? Völlig daneben. Die linksliberale Frankfurter Rundschau als Plattform für internationale PR-Agenturen mit perception management! Mein Spielfilmtipp hierzu mit Robert de Niro: „Wag the dog – wenn der Schwanz mit dem Hund wedelt“
Die Hetze, die auch in der Frankfurter Rundschau gegen den Streik der GDL abläuft, ist unerträglich für mich als Gewerkschafter (Mitglied der IG Metall, viele Jahre Betriebsratsvorsitzender und Vorsitzender des Europ. Betriebsrates eines großen Unternehmens).
Beide Autoren negieren das Grundrecht auf Koalitionsfreiheit, das von der GDL wahrgenommen wird. Die GDL ist eine tariffähige Gewerkschaft im Sinne der aktuellen Rechtsprechung, anders als die pseudochristlichen Gewerkschaften. Der Streik der GDL zur Erzwingung der Anerkennung als Tarifpartner der DB AG ist legal. Die DB AG hat in der Vergangenheit versucht, durch einstweilige Anordnungen der Arbeitsgerichtsbarkeit diese Legalität in Frage zu stellen und ist damit gescheitert. Sähe sie eine Chance, die GDL auf diesem Wege auszumanövrieren, sie wäre diesen Weg längst gegangen. Wenn sich – wie in der jüngeren Vergangenheit geschehen – eine sehr große Zahl der Beschäftigten im Zugbegleitdienst von der Eisenbahn-Verkehrsgewerkschaft (EVG) abgewendet und der GDL zugewendet hat, so ist das ein Beweis dafür, dass sie sich durch die EVG nicht mehr angemessen vertreten sieht.
Wenn diese Mitglieder als Kollektiv innerhalb ihrer frei gewählten Gewerkschaft mit ihrem Arbeitgeber einen Grundlagen-Tarifvertrag – und darum geht es zu allererst in dieser Auseinandersetzung – abschließen wollen, dann ist das im Sinne der grundgesetzlichen Koalitionsfreiheit legitim. Ob es daneben eine konkurrierende Organisation gibt, ist ohne jeden rechtlichen Belang.
Wenn sich die DBAG jedoch ihrer Pflicht zur Tarifpartnerschaft beharrlich verweigert, dann ist es nicht nur das legitime Recht, sondern auch die satzungsgemäße Pflicht des Vorstandes der GDL zum legalen Mittel des Arbeitskampfes zu greifen.
Dieser Arbeitskampf wird nicht wegen der behaupteten Geltungssucht eines Gewerkschafts-Vorsitzenden geführt, noch zeigt er besondere Aggressivität. Der GDL Vorstand vertritt konsequent die Interessen der Mitglieder und das ist im gewerkschaftlichen Umkreis leider nicht mehr selbstverständlich.
2002setzte die SPD-Grüne Regierung europäisches Recht in der Form um, dass den Leiharbeitern Entgelt und Arbeitsbedingungen des jeweiligen Einsatzbetriebes per Gesetz zugestanden wurde. Diese gesetzliche Verpflichtung wurde aber unter den Vorbehalt eines Tarifvertrages gestellt. Das hatte zur Folge, dass christliche Scheingewerkschaften Dumping Tarifverträge abschließen konnten.. Ich kann mich nicht daran erinnern, dass dieselben die heute gegen die Anwendung des Streikrechts durch die GDL wettern und darin die Desavouierung (Daniel Haufler)des Streikrechts sehen, damals gegen diese Scheingewerkschaften aufgetreten wären.
Die DGB-Gewerkschaften sollten alles unterlassen, dazu beizutragen, dass die Koalitionsfreiheit beschränkt wird, es könnte noch ein böses Erwachen geben.
Die notwendige Gewerkschaftseinheit wird nicht durch bürokratische Regelungen erreicht, sondern nur dadurch, dass die Interessen der Mitglieder vertreten werden. Es ist an der Zeit, dass die DGB-Führung auf die GDL zugeht, statt mit dem Arbeitgeberverband gemeinsame Sache zu machen.
Das Treiben der kleinen Spartengewerkschaften hat ein ungesundes Ausmaß angenommen. Das ist das Empfinden vieler Bürger und Politiker gleichermaßen, von der Wirtschaft ganz zu schweigen. Wir brauchen offenkundig eine Rückkehr zu einem Streikrecht früherer Zeiten, welches sowohl funktioniert hat, nämlich im Sinne einer wirksamen Arbeitnehmervertretung, als auch dem Wirtschaftsstandort Deutschland sehr gut getan hat. Wer also argumentiert, es ginge es bei der Kritik an GdL und Cockpit um die Abschaffung des Streikrechts, und genauso tönt es aus dem Munde von Herrn Wiselski von der GdL, der benutzt ein Totschlagargument, um die Dürftigkeit seiner Repliken auf die lawinenartig anschwellende Kritik zu verbergen.
Provokant gefragt: gibt es ein Grundrecht auf ein funktionierendes Gemeinwesen ? Nein. Hinter den Individual- und Gruppenrechten hat es der Gemeinsinn schwer. Und dennoch artikuliert sich genau dieser Gemeinsinn, wenn sich ein allgemeines Unbehagen über die als rücksichtslos empfundene Selbstinszenierung der beiden Spartengewerkschaften erhebt. Denn – welchen Berufsgruppen wollen wir nun noch den Weg ins Spartenglück versperren ?
Die Kompaßnadel gewerkschaftlichen Selbstverständnisses muß sich wieder auf größere Belegschaftseinheiten ausrichten, um einer ungesunden Selbstprivilegierung einzelner Belegschaftsgruppen zu begegnen, die mit im höherer funktionaler Durchsetzungsmacht ausgestattet sind als andere Gruppen im gleichen Betrieb. GdL und Cockpit zeigen, daß ein gesetzlicher Korrekturbedarf besteht.
# V. Grebe
Wo würden Sie denn die Grenzen ziehen? Kleinere Gruppen sollen nicht streiken dürfen, sagen Sie. Nur die Lokführer, dass sind zu wenige.
„Ein ungesundes Ausmaß“
Wenn Gewerkschaften in ähnlicher Weise aggressiv vorgehen und ihre Rechte verteidigen wie etwa Banken, die Agrarindustrie oder dergleichen, dann hat das in Ihren Augen ein ungesundes Ausmaß angenommen? Warum? Weil die Gewerkschaften die einzige Lobby sind, die Arbeitnehmer haben, und weil andere Lobbies eher hinter den Kulissen arbeiten, als direkt die Öffentlichkeit zu suchen und sie mit den Missständen zu konfrontieren?
V.Grebe, ich glaube, Ihnen sind ein bisschen die Paradigmen verrutscht.
zu 4. H. Flessner und 5. D. Gruber
Einen Schlüssel zum Verständnis der Handlungsproblematik von Spartengewerkschaften hat # Bronski geliefert. 1. Er sieht in dem Verhalten von GdL einen positiven Effekt für das Gemeinwohl 2. Die GdL orientiert sich an Marktgesetzen.
Es dürfte #Bronski schwerfallen, ein Gemeinwohl im GdL-Streik nachzuweisen, wenn die nahezu einhellige Klage gerade dahingeht, eine Beinträchtigung des Gemeinwohls beklagen zu müssen. Das Gemeinwohl kommt in homöopathischen Dosen einher. Potenziert, bis nichts mehr im Streik enthalten ist, aber behaupten kann man es ja mal.
Marktmacht bedarf der Regulierung. Wenn eine Gewerkschaft sich an Marktgesetzen orientieren will, muß sie sich auch einem gewerkschaftlichen „Kartellrecht“ fügen. Einem „Kartellrecht“, spezifisch entworfen zur Regulierung überbordender Marktmacht von Einzelgewerkschaften. Analog zu marktbeherrschenden Unternehmen. Wer Marktgesetze für sich in Anspruch nimmt, muß sich auch der Marktregulierung unterwerfen. Genau darum geht es, wenn die Bundesregierung derzeit, schwierig genug, einen Gesetzentwurf vorbereitet.
Bei GdL und Cockpit sind die Maßstäbe abhanden gekommen. Und bei den (wenigen) Verteidigern dieser Tristesse leider auch.
Der Marburger Bund (MB) hat es nach außen hin besser gemacht, zurückhaltender, hat seine Marktmacht nicht so schonungslos inszeniert wie GdL und Cockpit. Was er hätte tun können. Da haben GdL und Cockpit den Krankenhausärzten womöglich einen Bärendienst erwiesen.
# V. Grebe
Sie haben meine Frage nicht beantwortet. Meinen Sie vielleicht eine Gewerkschaft pro Betrieb oder eine Gewerkschaft pro Industriezweig oder gar eine Gewerkschaft pro Land? Wollen Sie die Neugründung von Gewerkschaften damit ausschliessen?
zu 7. H. Flessner
Vielen Dank für Ihre Frage. Bevor ich antworte, sehe ich jedoch Sie selbst in der Aufklärungspflicht. Sie haben offenbar die weitestgehenden Vorstellungen von einer „Atomisierung“ der Gewerkschaftslandschaft und sind daher zuerst auskunftspflichtig. Ich selbst sprach von einer Rückkehr zu früheren Strukturen, die sich rückblickend – angesichts der gegenwärtig beklagten Entwicklungen – ganz offenkundig bewährt haben müssen. Meine Antwort ist also längst gegeben, und nun nun sehe ich Ihren Antworten sehr gerne entgegen.
Ich will es Ihnen ein wenig leichter machen. Wie stehen Sie zu folgenden Fallkonstellationen ?
1. Darf die Bundeskanzlerin streiken ? Etwa für eine Verdopplung ihrer Bezüge ? Es gibt immer nur eine Person im Amt. Darf die Kanzlerin eine 1-Person-Gewerkschaft bilden ? Würde die Kanzlerin mit ihrem Streik sogar das öffentliche Wohl befördern, wie einige vielleicht meinen könnten ?
2. Es gibt spezialisierte Krankenhaustechniker für das Warten und Fahren der Herzlungenmaschine. Pro herzchirurgischem Zentrum runde 10 Leute x ca. 50 Herzchirurgien macht 500 Leute in der Republik. Wollen Sie dieser Gruppe von Spezialisten einen Gewerkschaftsstatus mit Tarifrecht zubilligen ? Ihnen ist dabei klar was passiert, wenn diese Damen und Herren – von Notfällen abgesehen – die herzchirurgischen Aktivitäten in der Republik auch nur für 2 Wochen lahmlegen sollten ?
3. Ein Bus ist wie eine kleine Lok. Dürfen sich auch die Busfahrer in gleicher Weise als Gruppe gewerkschaftlich betätigen, wie es die Lokführer und Piloten dürfen ?
4. Die Straßenbahn ist wie ein Bus ist wie eine kleine Lok. Dürfen also auch die Straßenbahner sich GdL-weise zur Gewerkschaft formieren und VERDI den Laufpaß geben ?
Ich sehe Ihren Antworten, Herr Flessner, mit großem Interesse entgegen.
@ V.Grebe
Es ist eigentlich ganz einfach. Vielleicht schauen Sie ja mal ins Grundgesetz § 9:
(1) Alle Deutschen haben das Recht, Vereine und Gesellschaften zu bilden.
(2) Vereinigungen, deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen den Gedanken der Völkerverständigung richten, sind verboten.
(3) Das Recht, zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen Vereinigungen zu bilden, ist für jedermann und für alle Berufe gewährleistet. Abreden, die dieses Recht einschränken oder zu behindern suchen, sind nichtig, hierauf gerichtete Maßnahmen sind rechtswidrig. Maßnahmen nach den Artikeln 12a, 35 Abs. 2 und 3, Artikel 87a Abs. 4 und Artikel 91 dürfen sich nicht gegen Arbeitskämpfe richten, die zur Wahrung und Förderung der Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen von Vereinigungen im Sinne des Satzes 1 geführt werden.
zu 9. D. Gruber
Sie zitieren die Norm in einer Weise, als wollten Sie – zum Beispiel – das Kartellrecht abschaffen. Die Diskussion ist nämlich weiter, und zwar bei der Frage, wo berührt das Recht des Einen das Recht des Anderen, und zwar in unzulässiger, letztlich Grundrechte einschränkender Art und Weise. Die Grenzen sind aufgrund der achlechten Erfahrungen mit GdL und Cockpit nun neu zu ziehen. Viele Bürger sehen hier Handlungsbedarf, und die Juristen in Nahles´ Ministerium haben sich an die Arbeit gemacht. Die Ergebnisse können wir dann diskutieren. Testen Sie doch bitte selbst einmal, was Ihr Rechtsempfinden zu den 4 Beispielen sagt, die ich in meinem Vorbeitrag genannt habe. Erzählen Sie, wie Sie es sehen, aber seien Sie auf der Hut. Es könnte Widerlegungen geben.
„Es könnte Widerlegungen geben.“
So so, könnte es das? Jetzt krieg ich aber Angst. Doch ich werde mich auf Ihre ahistorischen, neoliberalen Gedankengänge nicht einlassen. Das Streikrecht wird im Grundgesetz nicht umsonst besonders geschützt. Und dass viele Bürger Handlungsbedarf sehen … Na ja, V.Grebe, den sehen viele Bürger auch bei der Energiewende oder bei der Klimapolitik oder bei der Bankenregulierung und noch bei einigen Themen mehr, die viel wichtiger sind als der Lokführerstreik. In allen diesen Bereichen gibt es keine großen Fortschritte. Aber wenn die Interessen von Arbeitgebern, in diesem Fall bei der Bahn, berührt sind, dann wird unsere liebe neoliberale Regierung ganz schnell aktiv. Mann, da kann man gar nicht zugucken, so schnell können die plötzlich arbeiten.
Sie sollten die Sache etwas tiefer hängen, V.Grebe. Ihre Grundrechte werden in keinster Weise berührt, jedenfalls nicht mehr als sie während der großen Streiks der ÖTV berührt worden sind, die Bronski angesprochen hat. Wenn Sie mal ein paar Tage nicht mit der Bahn fahren können, dann nehmen Sie eben das Fahrrad. Für längere Reisen gibt es Fernbusse oder Mietautos, wenn Sie kein eigenes Auto haben. Sie haben immer Alternativen in Sachen Mobilität. Und bei teuren Flugreisen sollte man sowieso immer eine Reiserücktrittsversicherung abschließen. Das alles sind keine Argumente gegen einen völlig legalen und legitimen Streik. Streiks müssen wehtun, um Wirkung zu erzielen. Also hören Sie auf zu weinen und freuen sich lieber darüber, wie machtvoll einfache Arbeitnehmer auftreten können, um den Arbeitgebern zu zeigen, dass sie nicht alles mit sich machen lassen.
zu 11. D. Gruber
Angst sollen Sie doch nicht haben, verehrter Daniel Gruber. Zu sorgsamem Argumentieren habe ich Sie aufgefordert. Sie ziehen es aber vor, ins Allgemeine auszuweichen. Klagen ist das eine, Handeln das andere. Bei allem Respekt vor der Theorie – das Leben ist pragmatisch zu gestalten, und mit bloßen Theorien kommen wir nicht ans Ziel. Und so gut Fahrrad und Schlauchboot auch sein mögen – in den allermeisten Fällen sind sie zur Bewältigung von Wegstrecken zwischen A und B natürlich kein Ersatz. Was an meinen Gedanken „ahistorisch“ ist, wenn ich mich auf die gewerkschaftliche Vergangenheit in Selbstverständnis und tarifpolitischem Verhalten beziehe, mögen Sie einmal erklären. Ich jedenfalls verstehe das nicht. Und mit „neoliberal“ diejenigen zu betiteln, die sich mit dem häufigen Wechsel von Bahn- zu Flugzeugblockaden und zurück herumplagen müssen, um nur diesen Kreis an Betroffenen zu nennen, verschafft Ihnen letztlich keine Zustimmung, sondern hinterläßt eher ein Gefühl von Verstörtheit oder sogar Veralberung.
Sollten sich also die Kardiotechniker zu einer Gewerkschaft zusammenschließen und weite Bereiche der deutschen Herzchirugie lahmlegen dürfen, sähen Sie darin offenbar kein Problem, wie ich konstatieren muß. Habe ich Sie da richtig verstanden ? Und billigen Sie Angela Merkel den Status einer Ein-Personengewerkschaft mit Tarifrecht zu ? Wäre schön, Sie würden sich doch mal ein wenig erklären.
Herr Grebe,
Ich kann Ihnen versichern, dass ich mir noch keine Gedanken gemacht habe zur minimalen Grösse einer Gewerkschaft. Aber da Ihnen GdL und Cockpit zu klein sind, hatte ich gedacht, dass Sie sich bereits eine Meinung gebildet haben.
Da Sie sich in ihrem Grundrecht auf Bahnfahren eingeschränkt fühlen, habe ich darüber nachgedacht, ob es möglich ist, einen Arbeitskampf durchzuführen, ohne das Dritte in Mitleidenschaft gezogen. Auf Grund der starken Vernetzung unserer Gesellschaft erscheint mir das kaum möglich. Wir werden wohl damit leben müssen.
Wenn es zu einem neuen Gesetz kommt, wird dieses wohl in Karlsruhe landen und das Bundesverfassungsgericht wird letztlich die Entscheidung treffen.
zu 13. H.Flessner
„Grundrecht auf Bahnfahren“, na ja. Dazu noch Artikel 8 3/4 „Recht auf freien Sitzplatz am Fenster“ sicherlich. Ein Gesetz ist das eine, die Rechtsprechung das andere. Sie wird sich automatisch entwickeln, egal welche Gesetzesänderungen kommen. Das Problem liegt nicht so sehr in der Mitgliedszahl einer Gewerkschaft, sondern in der Frage, wieviel Durchsetzungsmacht sie hat, und wie die Folgen beschaffen sind. Ein Streik verletzt zwangsläufig Rechtsgüter (hatte oben bereits darauf hingewiesen). Was ist hinzunehmen, und was nicht. Das ist die grundsätzliche (und grundgesetzliche) Frage. Es bringt nichts, die Augen vor dieser Frage zu verschließen. Denn – wie würden Sie sich verhalten ?
In einem OP sind folgende Berufsgruppen beschäftigt. Ärzte, Schwestern/Pfleger, Reinigungskräfte, Sterilisation. Alle Gruppen haben dieselbe Durchsetzungsmacht, denn jede allein ist in der Lage, den OP-Betrieb vollkomen lahmzulegen. Vor Jahren haben es die Ärzte erreicht, die Vertretungsmacht für sich zu erlangen, und VERDI war der Verlierer. Die Frage ist seither nicht mehr verstummt, ob die Pflege es den Ärzten gleichtun soll. Dazu kommt die Reinigung, ohne die es nicht geht, von der Sterilisation ganz zu schweigen. Die Frage ist, wie zuträglich wäre es, wenn alle vier Gruppen sich wechselnd des Streikrechts bedienen dürften ? Erlaubt, oder wäre eine Grenze überschritten ? Denn auch der Anspruch auf (zeitgerechte) Behandlung ist ein hohes Rechtsgut !
Ich erwarte keine Antwort von Ihnen, Herr Flessner. Nur das Eingeständnis, daß die Fragen berechtigt sind, und daß eine Lösung gefunden werden muß. Fundamentalopposition gegen ein Nachdenken über derart wichtige Fragen stellt sich selbst ins Absteits.
Selbstverständlich haben alle diese Berufsgruppen ein Recht darauf, für bessere Arbeitsbedingungen zu streiken, und ich hoffe, dass sie es gelegentlich auch tun werden, denn die Arbeitsbedingungen an den allermeisten Krankenhäusern sind mittlerweile unter aller Kanone. Allerdings geht es hier wirklich um Grundrechte, im Gegensatz zu dem Schmu, den V.Grebe oben geschrieben hat, nämlich wenn es um das Recht auf Leben von Patienten geht. Der Fall ist auch in rechtlicher Hinsicht völlig anders gelagert als der der Bahnkunden.
zu 15. D. Gruber
„Der Fall ist auch in rechtlicher Hinsicht völlig anders gelagert als der der Bahnkunden.“
Das ist genau das, wovon ich Sie überzeugen wollte, D. Gruber. Zu differenzieren nämlich. Das Eingeständnis, daß mit der nackten Grundrechtsnorm (Ihr Zitat s.o.) noch nichts gewonnen ist, sondern daß es einer sorgsamen Abwägung bedarf (die bisweilen extrem diffizil sein kann), inwieweit andere Rechtsgüter in unzulässiger Weise betroffen sein könnten.
Dann sind wir uns ja einig, daß man jeden Fall einzeln untersuchen muß. Es kann also keinen Automatismus bei der Gewährung von Gewerkschaftsstatus mit Tarifrecht geben mit dem simplen Argument, das Grundgesetz garantiere es ja. War also doch kein „Schmu“, was ich oben geschrieben habe.
Was die GdL in Person ihres Vorsitzenden von sich gibt, erinnert schon arg an Autismus in starker Ausprägung. Ein kleiner Lokschlosser führt sich auf wie der König von Deutschland. Die traditionelle Eisenbahnerfamilie ist ihm gänzlich wurscht und von Solidarität unter allen Eisenbahnern will er nichts wissen. Solche Leute hat die Gewerkschaftsbewegung nicht gebraucht; einer wie der hätte besser da bleiben sollen, wo er herkam.
Natürlich war es Schmu, denn das Streikrecht gilt uneingeschränkt für jede einzelne Person, ganz grundsätzlich, auch für die Leute im OP und selbst dann, wenn sie nicht gewerkschaftlich organisiert sind. Das ist das Resultat der Entwicklung der Menschenrechte, zu denen das Streikrecht genauso gehört wie das Recht auf Versammlungsfreiheit oder das auf freie Meinungsäußerung. Die Hand ans Streikrecht zu legen bedeutet, am Fundament der Menschenrechte zu kratzen. Am Grundgesetz wurde schon viel zu viel rumgemauschelt (Asylrecht). Wir werden alles dafür tun, tiefgreifende gesetzliche Neuregelungen vors Verfassungsgericht zu bringen.
Wahren das noch Zeiten als die Arbeitgeber so viel Schiss vor den Gewerkschaften hatten das sie, um zu verhindern das Gestreikt wird, lieber Bezahlt haben. Es gab nur Gewerkschaften die dem Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) angehörten und bei einem Arbeitskampf haben die „unverzichtbaren“ Mitarbeiter der Firmen solidarisch an der Seite der Austauschbaren für eine gerechte Umverteilung der Einnahmen von Oben nach Unten gesorgt.
Unsere deutschen Arbeitgeber waren wohl mit dieser Situation ziemlich Unzufrieden. Vielleicht hat sich der damalige Arbeitgeberpräsident mit einigen unserer Politiker zum Abendessen getroffen und seine Änderungswünsche kundgetan? Heute gibt es Gewerkschaften die nicht dem DGB angehören (sie nennen sich Christlich- Entlohnung nach dem Tode) und immer mehr Firmen treten aus dem Arbeitgeberverband aus um der Tarifbindung zu entgehen. Der Mindestlohn wurde erst notwendig durch den Machtverlust der Arbeitnehmervertreter und kann ausgehebelt werden wenn ein niedrigerer Tariflohn mit der Gewerkschaft (der Christlichen?) vereinbart wird. Trotz Arbeit zu Arm um für das Alter vorzusorgen und ohne Krankenversicherung schlagen sich viele durch die man zur ICH-AG gezwungen hat. Kirchliche Arbeitgeber haben auch noch Sonderrechte die nicht mit unserem Arbeitsrecht vereinbar sind. Die Gewerkschaften werden dank der eingeflüsterten Ideen unserer Politiker immer mehr zum sprichwörtlichen Papiertiger degradiert.
Die Macht der Gewerkschaften muss wieder hergestellt werden. Es darf keine Gewerkschaft geben die nicht Mitglied im DGB ist! Alle Arbeitgeber müssen sich an die Ergebnisse der Tarifverhandlungen halten ob sie Mitglied der Arbeitgeberorganisation sind oder nicht! Die ICH-AG muss vom Finanzamt daraufhin überprüft werden ob das Einkommen ausreichend ist um Altersvorsorge, Krankenkasse und Lebensunterhalt zu finanzieren, wenn nicht, erfolgt Auflösung! Sonderrechte für kirchliche Arbeitgeber müssen gestrichen werden!
Gewerkschaft und SPD stehen sich „angeblich“ sehr nah, warum haben sich die gewählten Gewerkschaftsvorsitzenden von Politikern derartig, ohne Gegenwehr, einseifen lassen? Wieso machen die Gerichte bei dieser Einschränkung der Macht des Schwächeren mit? Mit dem Verlust der gewerkschaftlichen Macht hat auch die Einkommensumverteilung von Unten nach Oben ein unerträgliches Maß angenommen.
Ich habe den Eindruck, daß einige Sachen in der öffentlichen Diskussion ziemlich durcheinander geraten sind.
Wenn die GDL eine kleine Spartengewerkschaft genannt wird die ihre Macht gnadenlos mißbraucht, dann muß doch festgestellt werden, daß die GDL deshalb klein ist, weil die Berufsgruppe der Lokführer eine kleine Gruppe ist. Fakt ist weiterhin, daß bei der Urabstimmung 91 % der Abstimmenden für Streik gestimmt haben.
Warum hat die GDL soviel Macht? Weil die EVG eine handzahme Gewerkschaft ist, die mehr an den Interessen der Bahn AG, als an ihren Mitgliedern orientiert ist.
Weiter frage ich mich: Wieso wird permanent auf die GDL eingeprügelt; wieso gibt es nicht permanente Verhandlungen zwischen Bahn AG und GDL?
Menschen als Geisel zu nehmen ist ein Verbrechen. Sind die Lokführer Verbrecher?
Das nun die „SPD-Linke“ Nahles ein Gesetz vorbereiten läßt, daß Streiks für kleinere Gewerkschaften unmöglich machen wird, passt zur Politik ihrer Partei, die schon seit Jahrzehnten „linke“ Parolen drischt und ihre Politik immer an den Interessen des Kapitals orientiert. Noch in ihrer Wahlwerbung 2013 lobt sie explizit die asozialen Hartz-Gesetze. Daß diese Gesetze im breiten Umfang Lohndumping durch Leiharbeit und Werkverträge ermöglichen führte auch dazu Gewerkschaften zu entmachten.
Schlimm in meinen Augen, daß Teile des DGB dieses miese Spiel mitmachen. Das sage ich bewußt als Mensch, der seit 44 Jahren ununterbrochen gewerkschaftlich organisiert ist:
Wir brauchen keine Gesetze zur Tarifeinheit, die nur den Arbeitgeberverbänden nutzen, sondern wir brauchen Gewerkschaften, die gemeinsam ausschließlich die Interessen ihrer Mitglieder vertreten. Und in diesem gemeinsamen Kampf wird es auch wieder zu gemeinschaftlichem Handeln aller Gewerkschaften kommen. Ein kleines Beispiel soll das illustrieren: Jahrzehntelang gab es einerseits die DGB-Gewerkschaften auf der einen Seite und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft auf der anderen Seite. Es war ein gutes Zeichen, daß sich DAG und ÖTV zu Ver.di zusammenschlossen.
Ich finde das ein Punkt in dieser Diskussion zu kurz kommt Ich sehe solch eine kleine Organisationen als das überfällige Gegenstück zu dem an was die Arbeitgeberseite seit vielen Jahren betreibt. Schon sehr viele Unternehmen haben Abteilungen als eigenständige GmbH ausgegründet um dann die Löhne besser drücken zu können Die GDL macht nur das logische Gegenteil. Wenn man das verbieten will sollte man auch das zerschlagen von Unternehmen zum lohndrücken verbieten.
@ hans
Ich finde Sie haben ganz genau recht. Der Einfluss der Gewerkschaften wurde unter anderem dadurch geschwächt, dass Arbeitgeber Tochtergesellschaften ohne Tarifbindung gegründet und Arbeit ausgelagert haben. Sogar Piloten ist das passiert. Unterm Strich haben sie damit eine Abwärtsspirale in Gang gesetzt. Was die GDL heute tut, ist eigentlich nichts anderes als daran zu erinnern, dass es in diesem Land schon einmal andere Standards gegeben hat. Oder noch deutlicher gesagt: Wir waren schon einmal weiter. Aber heutzutage nimmt ja jeder nur noch dann etwas wahr, wenn es ihn persönlich betrifft.
Die GDL ist für die Arbeitgeber deshalb so gefährlich weil es eine GDL in jedem Unternehmen gibt Sie könnte Arbeitnehmergruppen zur Nachahmung anregen. Dann müsste vielleicht nicht nur für Investmentbankster ein hoher Lohn gezahlt werden.
Angenommen, es gäbe eine Gewerkschaft der Angestellten in der Energieversorgung, also u.A. in den Kraftwerken, egal ob Kohlekraftwerk, Gaskraftwerk, Wasserkraftwerk oder Atomkraftwerk. Ausgestattet mit der schlagkraft der GDL.
Und diese Gewerkschaft würde einen Streik ausrufen und so wie die GdL in die Tat umsetzen, dann würden die Kraftwerke ohne Personal in den Messwarten abgeschaltet werden müssen.
Dieses Szenario wäre in der Tat sehr beeindruckend.
Müsste man dieser Gewerkschaft ein uneingeschränktes Streikrecht zubilligen oder müsste man nicht das Funktionieren des Gemeinwesens über das Streikrecht stellen?
Wenn ich mich nicht irre, hat man in Italien (ausgerechnet im streikverwöhnten Italien!!) eine Regelung für den Zugverkehr gefunden, wo ein Streik mindestens zehn Tage vorher angekündigt werden muss. Zudem sind die Kernzeiten des Berufsverkehrs von 6.00 bis 9.00 und 15.00 bis 18.00 (soweit ich mich erinnere) vom Streik ausgenommen.
Vielleicht sollte man einmal nach Italien blicken, wo offenbar das Gemeinwesen einen anderen Stellenwert bzw. andere Definition als in Deutschland hat.
Der Marburger Bund ist mit seinem Streikrecht wesentlich behutsamer umgegangen als die GDL, das mag auch damit zu tun haben, dass die Ärzteschaft sich ihrer Verantwortung für die Patienten bewusst war. Hinzu kam, dass VERDI die Ärzte, weil Akademiker, eher als Randgruppe betrachtet hat, also den Wunsch nach einer eigenen Berufsvertretung indirekt gefördert hat.
Im Gegensatz zu Krankenpflegern und Krankenschwestern müssen die Ärzte nicht nur eine höhere Verantwortung tragen, sondern haben auch im Gegensatz zu den vorgenannten Berufsgruppen keine geregelte Arbeitszeit, müssen häufig unbezahlte Überstunden leisten.
Insofern dürfte dem Marburger Bund eine andere Rolle als der GDL zuzubilligen sein.
Ob ein Gesetz zur Tarifeinheit das Problem der GDL löst, bleibt abzuwarten.
zu 20 # R. Hinzmann
„Ein kleines Beispiel soll das illustrieren: Jahrzehntelang gab es einerseits die DGB-Gewerkschaften auf der einen Seite und die Deutsche Angestellten-Gewerkschaft auf der anderen Seite. Es war ein gutes Zeichen, daß sich DAG und ÖTV zu Ver.di zusammenschlossen.“
Es ist Ihnen uneingeschränkt zuzustimmen.
Sie sollten aber den Grund dieses Zusammenschlusses nicht außer Betracht lassen: Mitgliederschwund …. beträchtlicher Mitgliederschwund auf beiden Seiten, also schloss man sich, um die eigene Stärke nicht zu verlieren (mehr oder weniger widerwillig) zusammen.
Eine Liebesbeziehung war das nicht.
Ist doch OK wenn die GDL streikt. Wer fragt denn zum Beispiel die Mieter einer Wohnung, die alle drei Jahre eine Preissteigerung von bis zu 15% in Kauf nehmen müssen. Oder wer fragt Studenten, die bezahlbaren Wohnraum suchen, um in Ruhe studieren zu können? Oder wer fragt soziale Vereine, die wegen Geldmangels geschlossen werden und das weitere Betreiben nur durch uneigennützige freiwillige Hilfe ermöglicht wird. Unsere Schulen fallen auseinander, weil im Großen und Ganzen nur von der Substanz gelebt wird. Lehrer werden nicht ordentlich bezahlt und viel zu wenige werden eingestellt. Sozialhelfer in den Schulen für die Includierung von Behinderten Menschen sind in vielen Schulen Wunschträume. Und der Barriere freie Zugang zu diesen Bildungseinrichtungen meistens ein Wunschtraum. Armes Deutschland!!! Wie weit soll das Land noch runter gewirtschaftet werden. Wie lange noch werden die Bildungs- und Freizeitangebote für unserer Kinder und Jugendlichen, die ja unsere Zukunft sind auf „Sparflamme“ gefahren. Wir produzieren doch wieder nur eine kleine elitäre Schicht und den Rest überlassen wir dem Zufall, der Brücke oder der Straße oder der ISIS. Hier in diesem Land muss noch viel mehr gestreikt werden, damit auch Mutter Merkel und ihre Anhänger- der Gabriel und seine Genossen sind da mit eingeschlossen, und auch von den Grünenen kann man hier sprechen- damit diese Leute endlich mal aufwachen und nicht unsere Zukunft total verspielen. Und Geld hat unser Land doch genug. Ca. 40% der Einkommen werden von irgendwelchen Abgaben aufgefressen. Wo bleibt denn das ganze Geld????
zu 26 #andreas
Entschuldigung, aber wieso rechtfertigen alle von Ihnen aufgezählten Ungerechtigkeiten den Streik der GDL?
Der Streik der GDL trifft lediglich die Kunden der Bahn, erzeugt letztlich nur eine weitere Ungerechtigkeit, denn was haben die Bahnkunden mit den Expansionswünschen des Herrn Weselsky zu tun?
Antwort: Rein gar nichts!
Hier geht es unter anderem um die Verhältnismäßigkeit des Streiks und da kann man durchaus der Meinung sein, dass der Streik unverhältnismäßig ist
Ein Großteil der von Ihnen beklagten 40% Abgaben gehen in den sozialen Sektor als da sind Sozialversicherung (Renten) , Krankenversicherung, Arbeitslosenversicherung, Pflegeversicherung.
Wenn Sie diese Abgaben abschaffen, kollabiert unser Sozialsystem. Wohin diese Gelder gehen, muss wohl nicht noch extra erläutert werden.
So schlecht, wie Sie Deutschland darstellen, ist es nicht.
Ja, der GDL-Streik trifft die Kunden der Bahn, sowohl im Personalverkehr den Pendler als auch im Güterverkehr die Industrie. Aber wer hat sich denn von der „Just-in-time“ Produktion abhängig gemacht und aus Gewinnsucht auf Lagerhaltung verzichtet? Und wenn es die Kunden der Bahn trifft, trifft es somit auch die Bahn selbst. Diese kannte ja die Zustände im Allgemeinen und die Bedingungen im Besonderen der GdL. Endlich einmal ein David, der dem Goliath zeigt, das auch „Kleine“ zum Widerstand fähig sind.
Ich wünsche mir mehr davon, vor allem mehr Verständnis und Solidarität. Hier in diesem Blog scheint dies ja der Fall zu sein, bis auf 1,2 Ausnahmen. Aber wer gegen den Streik ist, weil hier angeblich eine Art Machtmißbrauch stattfindet, der findet auch die verbleibende Mini-Rente von 500 Euro nach einem Arbeitsleben mit dem Mindestlohn von € 8,50 gut, oder die Riester-Rente, oder TTIP, oder unsere Steuergesetze und vieles andere mehr.
Leider sind wir Deutschen zwar groß im Meckern, meckern aber über die falschen Sachen, machen bei der Wahl höchstens das Kreuz bei der SPD (setzt sich für den Arbeiter ein!) und finden das Gespann Merkel-Gabriel ganz toll. Wir sollten die von der GdL bei den Händen nehmen und den alten Ruf von 1989 wieder aufleben lassen: Wir sind e i n Volk.