Es könnte sein, dass das Bundesverfassungsgericht demnächst das Verbot „geschäftsmäßiger Sterbehilfe“ kippt. Ein Recht auf Selbsttötung wäre mit der unantastbaren Würde des Menschen, dem ersten und wichtigsten Gebot unseres Grundgesetzes, wohl vereinbar – wenn es der betroffene Mensch selbst und allein ist, der die Selbsttötung beabsichtigt und vollzieht, und wenn sichergestellt ist, dass diese Entscheidung frei getroffen wurde. Nichts wäre schwerer zu ertragen als ein Wiederaufleben von Gedankengut rund um unwertes Leben. Jedes Leben ist wertvoll und soll gelebt werden. Aber wenn es nicht mehr geht? Wenn Schmerzen überhand nehmen, wenn nichts zu erwarten ist außer Siechtum und Qual? Dann, das könnte demnächst ein weiterer juristischer Meilenstein werden, der die Bundesrepublik verändert: Dann sollte der Betroffene über sein Weiterleben entscheiden dürfen. Zu den Optionen, die ihm dann zur Verfügung stehen, könnte auch die des Freitods zählen. Bisher zählt sie nicht dazu. Die aktuell geltende Gesetzgebung kriminalisiert jene Vereinigungen und Akteure, auf die Betroffene zurückgreifen müssten.
Genau dies steckt in dem Begriff von der „geschäftsmäßigen Sterbehilfe“. Das klingt, als habe da jemand ein profitables Geschäftsmodell in petto, das möglicherweise, wie das in der Wirtschaft so ist, sogar auf Wachstum gepolt ist. Nun ist der Begriff ein wenig verkürzt. Eigentlich muss man von „geschäftsmäßiger Förderung der Sterbehilfe“ sprechen, was schon mal was ganz anderes ist. Dieses Verbot richtete sich vor allem gegen Sterbehilfevereine. Aber auch Ärzte müssten Strafe befürchten, wenn sie schwerstkranken Patienten Medikamente zugänglich machen, mit denen diese Suizid begehen könnten. So erreicht das Gesetz, was der Gesetzgeber wohl auch im Sinn hatte: Schwerstkranke werden vom Zugang zu entsprechenden Medikamenten abgeschnitten. Aber damit wird das Problem nicht beseitigt.
Das Leid gehört zum Leben. Das ist eine Binsenweisheit. Alle wissen das: Es regnet nicht immer nur rote Rosen. Aber worum es hier geht, ist etwas anderes als die – so die Unterstellung der Sterbehilfe-Gegner – hedonistische Flucht vor dem Leiden: Es geht um die Frage, ob der Gesetzgeber Menschen, die ihrem Leben selbstbestimmt ein Ende machen wollen, solche Steine in den Weg legen darf wie die oben angesprochene Kriminalisierung der Sterbehilfevereine. Gott hat das Leben gegeben, nur Gott darf es nehmen? Das würde die Entmündigung des Menschen bedeuten, frei nach der katholischen Heilslehre, die hier offenbar immer noch bis weit in die Politik und in das Handeln des Gesetzgebers hineinwirkt, obwohl die Bundesrepublik eigentlich ein säkularer Staat ist bzw. sein sollte. Es ist an der Zeit, dass wir uns von diesem Denken befreien.
Leserbriefe
Manfred Alberti aus Wuppertal:
„Was ist ein Leben wert? Unendlich viel! Es sei „ein höchstrangiges Rechtsgut und absolut erhaltungswürdig“, so dass ein Urteil über seinen Wert niemand anderem zustehe als dem Menschen selbst! So sieht es der Bundesgerichtshof.
Unendlich wenig, so dass wir uns nicht darum kümmern müssen! So sehen es die reichen Länder, wenn es um das Leben von 300 Mio. hungernden Kindern geht.
Für die Lebenserhaltung eines einzigen uralten und nicht mehr kommunikationsfähigen weißen Menschen mit künstlicher Ernährung in einem Pflegeheim wird so viel Geld ausgegeben, wie für die Lebenserhaltung von 100 schwarzen Kindern im Hungergürtel der Welt benötigt würde.
Gedankenlosigkeit oder unbewusste Diskriminierung? Oder schützt hier eine radikale Auffassung vom Wert eines Lebens ein Geschäftsmodell, das mit handlungsunfähigen, oft im Koma liegenden Leidenden viel Geld verdient: Einfache Pflege, kein Klingeln, keine Beschwerden, nur Wickeln und Wenden?
Ist dieses „Leben“ im Pflegebett wirklich das, was der Mensch selbst wollte? Fragt man ältere Menschen, die die Vergänglichkeit von Körper und Geist spüren, nach ihren Zukunftswünschen, dann hört man fast immer: „Ich möchte leben, solange ich einigermaßen gesund bin. Aber wenn ich krank bin, dann möchte ich möglichst bald ruhig und in Würde sterben dürfen.“ Niemals wünscht sich einer, uralt zu werden, selbst wenn er dafür im Koma mit künstlicher Ernährung liegen müsste. Menschen sind heute nicht so lebensfixiert, dass sie ihr Leben unter allen Umständen erhalten möchten.
Welches Recht hat eine Gesellschaft, Menschen in ihrer allerletzten Lebensphase solche Lebensfixiertheit als ihren Wunsch zu unterstellen und daraus lebenserhaltende Maßnahmen abzuleiten, die fast alle Menschen vorher für sich abgelehnt hatten?
Lebenshungrige Hungerkinder sterben zu lassen und sterbewillige uralte Menschen zwangsweise am Leben zu erhalten, das kann kein Ausweis einer humanen Weltgesellschaft sein.
Ärzten wird die Entscheidung über das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen oft schwerfallen. In Kliniken kann ihnen häufig die Beratung einer Ethikkommission mit Ärzten, Pflegern und Seelsorgern im Gespräch mit den Angehörigen helfen. Leider gibt es in Pflegeheimen und im privaten Pflegebereich eine solche Begleitung sehr selten.
Hier könnte Politik durch die flächendeckende Einrichtung von Ethikkommissionen Ärzten, Pflegenden und Angehörigen einen Weg zu einer gemeinsam getragenen Entscheidung über das Beenden lebenserhaltender Maßnahmen öffnen, wenn der Leidende kein Patientenverfügung unterschrieben hat.“
Gert Immich aus Oberhausen:
„Ich möchte Ihnen danken für Ihre Titelseite vom Di., 16.4.2019 und zu Ihrer klaren Haltung in dieser Diskussion.
Dieses Thema macht mich wütend. Da sagt ein alter Mensch, künstlich beatmet, mit einer Sonde ernährt, usw.usw.: „Bitte, lasst mich doch endlich sterben! Ich kann ja nichts mehr tun, aber meinen klaren Willen habe ich noch. Also helft mir zu sterben.“
Dem entgegen die Gegner der Sterbehilfe: „Moment, so einfach ist das nicht! Du kannst doch nicht einfach selbst bestimmen, wann Du Dein Leben beenden willst. Tut uns leid, aber wir können nichts für Sich tun, Du musst weiter leiden.“
Was gibt dem Gesetzgeber eigentlich das Recht, über Leben und Tod zu entscheiden, welches Rechtsgut? Die Antwort ist offensichtlich: es ist die alte kirchliche, vor allem katholische, Haltung, dass Gott uns das Leben gegeben hat, und nur er es wieder nehmen kann.
Es ist einfach schlimm, wie stark unsere Gesetzgebung noch von der Religion bestimmt wird.
Ich sehe die Diskussion in einer Linie mit dem Streit um Verhütung und Schwangerschaftsabbrch. Hier hat sich die Vernunft durchgesetzt, und ich kann nur hoffen, dass es bald auch möglich sein wird, dass alte und schwerkranke Menschen selbstbestimmt und würdevoll aus dem Leben scheiden können!“
Robert Maxeiner aus Frankfurt:
„In einer Gesellschaft, in der die Behandlung von Kranken und Pflegebedürftigen zunehmend von Profitinteressen gesteuert wird, und dementsprechend ein Missstand auf den nächsten folgt, misstraue ich einer professionellen Sterbehilfe grundsätzlich. Der Verein Sterbehilfe Deutschland verlangt 7000 Euro Mitgliedsbeitrag. Es wird nicht lange dauern, bis das Sterbenwollen für Konzerne zum lukrativen Geschäft wird. Der Werbeslogan mag lauten: ,Besser mit uns gut sterben, als bei der Konkurrenz weiterhin schlecht gepflegt werden.‘ Schon jetzt werden Sterbewillige psychiatrisch begutachtet. Auch hier winken gute Geschäfte, die mit verantwortungsvollen Entscheidungen begründet werden können. Irgendwann werden sich dann die Armen das lukrative Sterben nicht mehr leisten können, und die Kranken- und Pflegekassen können problemlos Bonuszahlungen für Sterbewillige und ihre professionellen Helfer ausschütten, möglichst von der Steuer absetzbar. Schöne neue Sterbehilfewelt!“