Die Bundestagswahl 2017 wirft ihre Schatten — oder wenn man will — ihr Licht voraus. Viele FR-Leserinnen und -Leser scheinen der SPD die Opposition zu wünschen, obwohl die, wie Franz Müntefering einmal gesagt hat, Mist sei. Aber wie steht es mit den Grünen? Gestalten kann man nur in der Regierung. Dass die positiven Ergebnisse von Regierungsarbeit von den Wählerinnen und Wählern eher der größeren Regierungspartei angerechnet werden, kann man derzeit am Schicksal der SPD beobachten, die sich um Umfragetief befindet. Daher könnte man in Anlehnung an „Münte“ sagen: Juniorpartner in einer CDU-geführten Regierung zu sein, ist ebenfalls Mist. So weit, dass die CDU Juniorpartner in einer Bundesregierung würde, wird es in Deutschland jedenfalls ganz sicher so bald nicht kommen. Obwohl man dies auch vor kurzem noch in Baden-Württemberg kaum für möglich gehalten hätte. Dort führt der im Ländle beliebte Grüne Winfried Kretschmann eine grün-schwarze Landesregierung.
Möglicherweise sind die Grünen die Partei, die darüber zu entscheiden haben wird, wer den nächsten Kanzler oder die nächste Kanzlerin stellen wird. (Denn bei allem, was es über dieses Thema zu sagen gibt, wollen wir nicht vergessen, dass Angela Merkel schon gelegentlich mit Abschiedsgedanken gespielt hat.) Die Grünen werden der Königsmacher sein, denn sie haben sich, strategisch durchaus geschickt, an einem politischen Ort etabliert, der in beide Richtungen, nach rechts und nach links, offen zu sein scheint: in der bürgerlichen Mitte. Das wird ihnen gelegentlich von links mit dem Vorwurf der Prinzipienlosigkeit vergolten und ist daher nicht zwangsläufig eine dankbare Positionierung, aber die Grünen waren nie eine rein linke Partei; sie wollten stets eine Alternative sein. Nun haben sie sich im Lauf der vergangenen Jahre eine reale Machtbasis im Bund erarbeitet, und zwar über ihre Beteiligungen an vielen Landesregierungen, was dazu geführt hat, dass die Bundesregierung so ohne weiteres keine Politik mehr gegen grüne Standpunkte machen kann. Wir haben es gesehen bei der Ablehnung der Ausweitung der Drittstaatenregelung auf Marokko, Tunesien und Algerien, die im Bundesrat an den Grünen scheiterte und nun im Vermittlungsausschuss zwischen Bundesrat und Bundestag ist, und bei der Ablehnung der Neuregelung der Erbschaftssteuer. Es wird spannend sein zu beobachten, welche Änderungen an diesen Projekten die Grünen der Bundesregierung abringen können. Es ist damit zu rechnen, dass es sanfte Verhandlungen werden, denn es könnte sein, dass es nach der Bundestagswahl in rund einem Jahr zu Schwarz-Grün im Bund kommt und dass die CDU ihren Koalitionspartner in spe schon jetzt für sich zu gewinnen versucht. Zumal die Sache mit diesen drei Drittstaaten ohnehin den Ruch von Symbolpolitik hat.
Alternative Rot-Rot-Grün? Weiterhin unwahrscheinlich. Das liegt einerseits an der SPD, die wegen ihrer Schröder-Vergangenheit ein Glaubwürdigkeitsproblem hat, während Teile ihrer zerfließenden Basis sich von der AfD angesprochen fühlen, und andererseits an der Unbeweglichkeit der Linken in zentralen außenpolitischen Fragen. Für die Grünen steht die Westbindung Deutschlands, die für die Orthodoxie in der Linken ein No-Go ist, im Grundsatz nicht infrage. Diese Orthodoxie findet Opposition überhaupt nicht Mist, sondern will nichts anderes. Es ist nicht zu erkennen, dass diese fundamentale Frage der linken Identität in nächster Zeit geklärt würde. Ein rot-rot-grünes Bündnis, wie es ja zum Beispiel auch im derzeitigen Bundestag möglich wäre, bleibt daher weiterhin unwahrscheinlich. Demnach bleibt für die Zeit nach der Wahl 2017 nur Schwarz-Grün als realistische Alternative zur großen Koalition.
In einer aktuellen Umfrage der Forschungsgruppe Wahlen hätte dieses Bündnis zurzeit 48 Prozent (CDU/CSU 35, Grüne 13). Vier andere Parteien, die in diesem strategischen Gedankenspiel Opposition wären, kommen derzeit auf zusammen ebenfalls 48 Prozent (SPD 24, Linke 8, AfD 11, die FDP würde mit 5 Prozent den Wiedereinzug knapp schaffen). Das ist die Situation ein gutes Jahr vor der Wahl, und natürlich kann noch viel passieren. Die AfD kann sich weiter selbst zerlegen oder sich konsolidieren. Die SPD hat — wie auch CDU/CSU — ihren Spitzenkandidaten noch nicht gekürt, wovon viel abhängen dürfte. Ob ein Spitzenkandidat Gabriel breite Zustimmung finden wird? Ob die Wählerinnen und Wähler eine weitere Legislaturperiode mit Angela Merkel wollen? Und der Wiedereinzug der FDP ist derzeit unsicher. Bekommen wir ein Sechs-Parteien-Parlament? Dann wird die Regierungsbildung gewiss schwieriger als mit lediglich fünf Parteien.
Aber wäre es denn überhaupt gut für dieses Land, wenn es eine schwarz-grüne Regierung bekäme? Diese Frage stellt sich FR-Autor Pitt von Bebenburg, Landtagskorrespondent in Wiesbaden, in seinem Leitartikel „Die schwarz-grüne Chemie„. Er schreibt:
„Am Anfang müssen ohnehin die inhaltlichen Fragen geklärt werden. Davon stellen sich viele. Es geht darum, wer dazu beiträgt, die Spaltung der Gesellschaft zu überwinden, die Armut zu bekämpfen und Hartz-Empfänger nicht abzuhängen. Es geht darum, Flüchtlinge in die Gesellschaft aufzunehmen, ohne dass neue Brüche entstehen. Es geht um ein solidarisches Europa, das den sozialen Sprengstoff der Massenarbeitslosigkeit im Süden entschärft. Es geht darum, dass durch Freihandelsabkommen keine sozialen und ökologischen Standards geschleift werden.“
Rasmus Ph. Helt aus Hamburg sieht das sehr kritisch:
„Der Leitartikel spielt den Ball in eine falsche Richtung. Denn um ein Bündnis mit der Union in die Wege zu leiten, das zumindest bei den aktuellen Umfrageergebnissen nach der nächsten Bundestagswahl äußerst wahrscheinlich ist, benötigen die Grünen eher das Gegenteil einer klaren Haltung. Schließlich basieren die Koalitionen wie gegenwärtig in Hessen, aber auch früher in Hamburg vor allem auf dem Konzept eines „prinzipienlosen Pragmatismus“, bei dem man gerade bei größeren ideologischen Streitfragen eben nicht mehr Farbe bekennt, sondern sich hinter dem Koalitionsfrieden versteckt. Mit der Folge, dass man an der Elbe sogar einem überdimensionierten neuen Kohlekraftwerk oder Studiengebühren zugestimmt hat, während man aus Wiesbaden selbst zu den höchst umstrittenen Schiedsgerichten von TTIP und CETA positive Stimmen von führenden Grünen hört. Deshalb sollte man sich hier keiner Illusion hingeben, da der persönliche Drang zur Macht bei der einstigen ökologisch-alternativen Gruppierung eine glaubwürdige linke Politik längst ins Abseits bugsiert hat!“
Friedrich Grimm aus Weinsberg meint:
„Die schwarz-grüne Koalition in Hessen ist für mich ein Musterbeispiel politischer Verkommenheit. Bouffier, wie auch sein Vorgänger Koch, Mitglied des so genannten Anden-Pakts, hat zahlreiche „Leichen“ im Keller, deren Aufzählung den Rahmen eines Leserbriefs locker sprengen würde. Was die Grünen betrifft, so sind diese längst im Fahrwasser der FDP gelandet. Da wünschte ich mir einen Jürgen Trittin, der auch heute noch das vertritt, was zumeist richtig, aber vielen unbequem war. Nicht umsonst musste er stets als Buhmann herhalten. Und Al-Wazir ist vergleichbar mit Sigmar Gabriel, denn beide fügen sich als Schoßhündchen ihres Koalitionspartners.“
Horst Weitzel aus Frankfurt:
„Das ganze Dilemma wird in den ersten beiden Absätzen des Leitartikels von Pitt von Bebenburg über schwarz-grüne Chemie deutlich. Ich möchte es mal nicht so höflich ausdrücken wie er, weil es nach meiner Ansicht um nichts anderes als Macht geht, und da spielen Parteifarben keine Rolle mehr. Für die CDU ist die FDP ein Wackelkandidat, weil sie damit rechnen muss, dass die Gelben bei Wahlen mit 4,8 Prozent in der Versenkung verschwinden können. Also muss ein neuer, sicherer Partner her, und das sind die Grünen, die für zehn bis zwölf Prozent immer gut sind. Die Grünen wiederum bewegen sich immer weiter von der SPD weg, weil nicht zu erwarten ist, dass jene aus ihrem 20-Prozent-Loch rauskommen. Die Grünen wollen an die Macht, die Schwarzen wollen sie erhalten. Also sieht man zu, dass ein Koalitionsvertrag zustande kommt. Ob aus den erbitterten grün-schwarzen Bataillen der Vergangenheit Vertrauen entstanden ist, (wie PvB glaubt) lasse ich mal dahingestellt.
Auch die Grünen haben es mittlerweile begriffen, dass Politik heutzutage in erster Linie Wirtschaftspolitik ist. Das wird im Bund an Sigmar Gabriel (für die SPD) deutlich, in Hessen ist es Tarek al-Wazir, in BW Herr Kretschmann. Selbst auf kommunaler Ebene ist grün nur noch eine Schwingungsgröße im Spektrum, als Beispiel Olaf Cunitz in Frankfurt (Gott sei Dank abgestraft und weg).
Und dann noch PvB’s Vorstellung von Angela Merkel mit Anton Hofreiter als Koalitionsduo im Bund, zwei promovierte Wissenschaftler, die unterschiedlicher kaum sein können, letzterer nach meinem Eindruck, zumindest verbal der letzte echte Grüne im Reigen der Führungskräfte.
Ich hatte nicht erwartet, dass sich in Hessen Tarek al-Wazir aus Machtgründen verbiegen lassen würde, genauso geht es mir mit Anton Hofreiter. Wenn ich bei der nächsten Bundestagswahl auch hierbei eines Besseren belehrt werden sollte, dann hat sich der grüne Slogan Ökologie vor Ökonomie selbst beerdigt.
Was bleibt in unserem Land ist die Hoffnung auf das letzte Wort des Wählers an der Urne.“
Manfred Kirsch aus Neuwied:
„Die Tatsache, dass die Bündnisgrünen inzwischen wieder mit offenem Visier über angenommene und mögliche Koalitionen streiten, ist sicherlich ein gutes Zeichen für die real existierende Diskussionskultur in dieser Partei. Grünen-Spitzenpolitiker wie Winfried Kretschmann liegen hierbei völlig falsch, wenn sie meinen, dass Bündnisse mit der Union und die Annäherung der Grünen an die Besserverdienenden in dieser Gesellschaft auf Dauer tragfähig sein werden.
Die einstigen Grundsätze der Grünen „ökologisch, basisdemokratisch und sozial“ werden durch derartiges Gerede und angesichts bestehender schwarz-grüner Bündnisse allerdings zerstört. Wenn die Grünen noch einen weitgehenden gesellschaftsverändernden Reformanspruch haben, wovon leider nicht immer ausgegangen werden kann, dann ist die einzige Perspektive im Interesse der Menschen eine deutliche Festlegung auf eine rot-rot-grüne Koalitionsaussage. Ein derartiges Bündnis würde die Lebenssituation vieler Menschen entscheidend verbessern und stünde sowohl für eine Politik innerer Liberalität, also auch des in dieser Republik dringend notwendigen sozialen Ausgleichs sowie des Schutzes von Minderheiten. Auch und gerade in der Flüchtlingspolitik sind Grüne und etwa die CSU und die größten Teile der CDU natürlich noch meilenweit auseinander. Über der bundesrepublikanischen Gesellschaft liegt mal wieder der Mehltau der großen Koalition, der allerdings auf Grund der weltbewegenden Krisen derzeit nicht in seinen gesamten Auswirkungen wahrgenommen und von den politischen Kräften thematisiert wird. Wir brauchen dringend eine Politik der Umverteilung und der Sicherung der Demokratie,,vornehmlich gegen deren Feinde von rechts. Das rot-rot-grüne Projekt ist in diesen Zeiten notwendiger denn je.“
Ich denke Schwarz/Grün im Bund könnte spannend werden. Die SPD scheitert an der CDU in einer Koalition daran das beide Parteien den Anspruch haben eine Volkspartei zu sein. Die FDP hat es als Steuersenkungspartei versucht und ist an den Realitäten gescheitert. Die Grünen müssten von der CDU die Energiewende verlangen und auch sonst noch ein bisschen Öko.
Ich denke das Frau Merkel damit für die Macht als Gegenleistung keine Probleme hätte. Deshalb möchte ich nicht schon vorher sagen das Ganze ist für die Grünen aussichtslos.
Wenn ich heute lese, dass MP Albig sich erneut zur Kanzlerfrage dahingehend äußert, dass die SPD auf einen Kandidaten verzichten soll und vor einem Jahr bereits Merkel als „alternativlos“ angepriesen hat, und Sigmar Gabriel ein Bündnis mit den Linken ausschließt, frage ich, wie bereits vor der letzten Wahl, ob die SPD überhaupt die Wahl noch gewinnen oder nur noch die Parlamentsmehrheit für Merkel, Schäuble, de Maizière, Dobrindt & Consorten sichern will.
In diesem Fall könnten sich wieder viele Abgeordnete, wie ich es bereits wiederholt in Diskussionen erlebt habe, darauf berufen, dass der Koalitionspartner sich gegen diese oder jene Initiative gesträubt habe.
Dabei vergessen Gabriel und Albig wohl (oder haben sie bereits völlig resigniert), dass es möglicherweise zu einer schwarz-roten Mehrheit nicht mehr reichen könnte (s. Baden-Württemberg).
Hinzu kommt natürlich, dass seitens der Grünen die Bereitschaft zu rot-rot-grün immer mehr zu schwinden scheint, und Kretschmann eindeutig für schwarz-grün, auch im Bund, Stellung bezieht und in Schäubles Schwiegersohn Strobl seinen Wunschpartner gefunden zu haben scheint.
Es ist beispielsweise bezeichnend, dass die SPD in der früheren Regierung in Baden-Württemberg gegen den Widerstand der Grünen für die Einführung des Bildungsurlaubs kämpfen musste, den nunmehr die neue CDU-Wirtschaftsministerin bereits wieder zumindest teilweise abschaffen bzw. ins Leere laufen lassen will.
Es stellt sich zuerst einmal die Frage, was ist ökologisch?
Das Zupflastern riesiger Landstriche mit Windkraftanlagen oder das lokal begrenzte Nutzen von Energieträgern mit hoher Energiedichte?
Das zwangsläufige Verschrotten noch vollfahrtüchtiger PKW, um mittels blauer Plakette in Innenstädte zu fahren oder das Fahren, bis der TÜV die Scheidung einreicht und damit das Einsparen von Energie und Rohstoffen für den Neubau?
Das luftdichte Dämmen von Häusern, so dass ständig gelüftet werden muss?
Unser Wahlsystem erlaubt wohl nur zwei Möglichkeiten. Entweder wir haben eine große Koalition mit überwältigender Mehrheit oder eine Koalition, in der ein kleiner Koalitionspartner einen Einfluss ausübt, der weit größer ist als sein Stimmenanteil.
So überzeugt, wie ich einmal von der Überlegenheit unseres Wahlsystems war, bin ich nicht mehr.
@ Henning Flessner
„Entweder wir haben eine große Koalition mit überwältigender Mehrheit oder eine Koalition, in der ein kleiner Koalitionspartner einen Einfluss ausübt, der weit größer ist als sein Stimmenanteil.“ (Henning Flessner)
Das ist zu kurz gegriffen – wieviel Macht der kleinere Partner wirklich hat, wird sehr stark auch von den Nicht-Koalitionären bestimmt.
Um das zu illustrieren: Mit ihrem „Kasperletheater“ (reine Frauenliste) hatten die Grünen in Hamburg 1987 dafür gesorgt, dass die FDP wieder in den hamburgischen Senat gewählt wurde und damit der SPD als Koalitionspartner zur Verfügung stand. Die Grünen haben sich dann entschieden, keine Koalitionsverhandlungen zu führen, weshalb die FDP ihren Preis selbst bestimmen konnte. Die Grünen hätten damals mit einem rein taktischen Koalitionsangebot richtig grüne Politik machen können, weil diese reine Geste den Preis für die FDP bereits gewaltig gedrückt hätte.