Israels Sicherheit und Existenzrecht seien Staatsräson Deutschlands, sagte Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) im März 2008 in ihrer viel beachteten Rede vor der Knesset, dem israelischen Parlament. In der kürzlich aufgeflammten, ein wenig neurotischen Diskussion über die Lieferung von U-Booten an Israel wurde mal wieder deutlich, wie das gemeint war. Diese U-Boote besitzen Torpedorohre mit größerem Kaliber als für Torpedos gemeinhin üblich. Der Verdacht kam auf, dass diese U-Boote mit anderen Waffen als konventionellen Torpedos bestückt werden könnten, sprich: mit Marschflugkörpern, die Atomsprengköpfe über 1500 Kilometer hinweg ins Ziel tragen können. Welche Überraschung! Deutsche Staatsräson verhilft Israel zum Zweitschlagpotenzial mit Atomwaffen. Das hat der Spiegel recherchiert.
Seit langem unbestritten, wenn auch nie offiziell bestätigt, ist, dass Israel Atomwaffen besitzt. Mit einer gewissen Logik – der Logik des Krieges – ist der Besitz solcher Waffen für Israel unverzichtbar. Das Land ist klein, und obwohl es hochgerüstet und zweifellos auch ohne Atomwaffen wehrhaft ist, ist die Möglichkeit nie auszuschließen gewesen, dass es von Angreifern überrannt werden könnte. Dagegen hilft nur, eine Drohkulisse aufzubauen, die solche Angreifer effektiv von ihrem Vorhaben abhält. Eben das meint das niedliche Wörtchen Zweitschlagpotenzial: Israel kann mit Atomwaffen antworten. Und zwar jederzeit. Mit deutscher Hilfe. Von U-Booten aus. Deutschland unterstützt Israel also beim potenziellen Einsatz von Massenvernichtungswaffen.
Die entrüstete Debatte in Deutschland wird in Israel eher belächelt: Das war doch immer so, warum regt ihr euch so auf? Die Regierungen Kohl und Schröder haben es damit tatsächlich nicht anders gehalten als jetzt die Regierung Merkel. Vielleicht stimmt es ja sogar, dass dieses Sicherheitskonzept bisher weitere Kriege in Nahost verhindert hat. Aber ist es, wie FR-Kommentatorin Bettina Vestring formulierte, wirklich „historische Pflicht“ Deutschlands, Israel bei dieser „letzten, verzweifelten Verteidigung“ zu helfen? Könnte nicht eine andere, weniger einseitige Positionierung Deutschlands die israelische Regierung zu der Erkenntnis zwingen, dass es besser wäre, Friedenslösungen mit den „aggressiven Nachbarn“ (Philipp Mißfelder, CDU) zu suchen, so dass ein Zweitschlagpotenzial unnötig würde?
Moment – da gibt es ja noch den Iran, der nun angeblich – auch das ist nicht bewiesen und wird vom Iran bestritten – Atomwaffen baut. Wenn ein anderes Land ebenfalls Zweitschlagpotenzial entwickelt – ich unterstelle hier mal, dass Iran Atomwaffen schon aus Gründen der Existenzsicherung nicht einsetzen würde, da dann der U-Boot-gestützte Zweitschlag provoziert würde (andererseits: Wer kann ausschließen, dass eine solche Bombe nicht zu terroristischen Zwecken eingesetzt würde?) -, dann wird die bisherige Sicherheitsarchitektur in der Nahost-Region und Umgebung hinfällig. Aber was ist dran an den iranischen Atomplänen? Nicht viel, meint FR-Autor Karl Grobe.
Und was meinen die FR-Leser? Joachim Kretschmann aus Villingen-Schwenningen meint:
„In Sachen U-Boote für Israel kann niemand behaupten, er hätte nicht schon längst gewusst, dass Israel aller Wahrscheinlichkeit nach dort Vorrichtungen für Atomwaffen installiert. Auch wird Israels Regierung zukünftig nicht den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnen, denn dadurch würden sie den Besitz dieser Waffen zugeben. Schon allein die Möglichkeit, dass Israel im Falle eines der regelmäßig angedrohten Vernichtungsangriffe z.B. durch den Iran zu einem Zweitschlag fähig wäre, ist Israels Sicherheitspolice Nr.1 und hält die Übermacht der arabischen Nachbarstaaten bislang in Schach – nicht zuletzt dank der U-Boote aus Kiel.
Einen zweiten Holocaust wird es nicht geben, denn schon der Versuch käme für die Feinde Israels einem Selbstmord gleich. Nicht zuletzt deshalb ist die Lieferung dringend geboten, schließlich ist Israel kein Terrorstaat wie der Iran und Netanjahu kein Verbrecher wie Ahmadinedschad, sondern ein Ministerpräsident in schwerer Verantwortung für ein Volk unter ganz realer Bedrohung. Diese Atomwaffen sind nicht gegen Palästinenser gerichtet, wozu also diese aufgebauschte Debatte?“
Götz Hütt aus Duderstadt dagegen:
„Ich denke, auch wenn es weltfremd erscheinen mag, wir Menschen sollten uns zu unserem Schutz aller Kriegswaffen entledigen. Daher halte ich den deutschen Rüstungsexport grundsätzlich für verwerflich. Als absurd empfinde ich die Schlussfolgerung, es sei nach dem Massenmord durch das Dritte Reich „Deutschlands historische Pflicht“, die technische Möglichkeit zum Abschuss von Massenvernichtungswaffen, nämlich Atombomben, an Israel zu liefern. Die Behauptung, atomwaffentaugliche U-Boote seien „keine neuen Angriffswaffen“, also nichts, wodurch andere sich bedroht fühlen könnten, halte ich für eine Propagandalüge. Ihr Kommentar übersteigt meine Toleranzgrenze.“
Dr. Albrecht Thöne aus Schwalmstadt:
„Ist diese Nachricht denn wirklich sensationell oder neu? Ich jedenfalls lebe seit Jahren in der Überzeugung, dass das kleine Land inmitten von all dem seit Jahrzehnten immer wieder aufflammenden Kesseltreiben seine Boote mit Atom-Raketen bestückt. Wenn nur Grass’ Befürchtungen nicht bestätigt werden, dass aus der „Zweitschlagskapazität“ eine Erstschlagsrealität wird! Was aber ist Zweck dieser plötzlich öffentlich weit gestreuten Andeutung von tödlicher Rache-Potenz? Offensichtlich soll der folgenlosen Hinnahme eines baldigen konventionellen Schlages der Weg bereitet werden.“
Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Die künstliche Aufregung über eine angeblich nachträgliche Bestückung von Deutschland nach Israel gelieferter U-Boote mit taktischen Atomwaffen sollte einer nüchternen Betrachtung der Dinge weichen. Israel gehört nun einmal zu den Ländern, die dem Atomwaffensperrvertrag nicht beigetreten sind und die mutmaßlich über Atomwaffen längst verfügen. Ob diese dann Boden-, Luft- oder Wasser verankert sind, ist letztlich von nachrangiger Bedeutung. Das Land hat sich so oder so aufgrund seiner Sicherheitsinteressen für einen atomaren Abwehrschirm entschieden . Von maßgeblicher, politischer Seite liegen glaubwürdige Versicherungen vor, daß Israel niemals einen atomaren Erstschlag ausführen würde. Dies ist maßgeblich für die Beurteilung der Risikosituation in Nahost!“
Bruno Mayer aus Hannover:
„Wenn die Bundesregierungen seit Kohls Zeiten U-Boote an Israel liefern, heißt das nicht, dass die Entscheidungen richtig sind. Zu Kohls Zeit war von atomarer Bedrohung durch den Iran keine Rede. Ahmadinedschad ist erst seit 2005 an der Macht. Zwischenzeitlich hat Israel in besetztem Gebiet Siedlungen über Siedlungen gebaut und damit den Konflikt mit seinen Nachbarn angefeuert. Es reicht eben nicht, wenn Vertreter der Regierung jeden Siedlungsbau mit den Worten kommentieren:“Das muss aber anders werden.“ Ein Junktim zwischen Siedlungsrückbau und Waffenexport ist das Mindeste, was zu erwarten wäre. Stattdessen hilft Deutschland den Siedlungsbau militärisch abzusichern.“
„Von maßgeblicher, politischer Seite liegen glaubwürdige Versicherungen vor, daß Israel niemals einen atomaren Erstschlag ausführen würde.”
Finde ich auch wesentlich. Israel als befreundete Demokratie darf beliefert werden.
Eine historische Verpflichtung ist nicht ableitbar , nicht an diesem Punkt.
Im Übrigen erhöht die Möglichkeit eines Zweitschlags die Sicherheit im Nahen Osten, auch wenn das seltsam klingen mag.
Mal angenommen , Iran – oder später mal ein anderer Staat der Region – schafft es , sich Atomwaffen zuzulegen, dann ist die geografische Enge der Region ein nicht zu unterschätzendes Problem , weil die Vorwarnzeiten bei einem Raketenangriff verdammt kurz sein würden.
Die im Hintergrund vorhandene Möglichkeit eines Zweitschlags könnte da für kühlere Köpfe sorgen , gerade in heiklen Entscheidungs-Situationen.
Und auch zu diesem Thema haben wir bereits in anderen Blogs debattiert, so z.B. Abraham mit mir, oder auch umgekehrt. Für mich ist der Käse gegessen bzw. alles gesagt. Wenn hier Deutschland als Irrenarzt die Neurose oder besser Psychose der israelischen Regierung noch unterstützt, und dies auch – jenseits aller Gesetze – mit meinen Steuergeldern, ist das traurig, aber wahr. Und mir tuen all die Palästinenser leid, die unter der durchgeknallten israelischen Politik leiden müssen. Ansonsten stimme ich Götz Hütt und Bruno Mayer zu.
Übrigens könnte Israel ja präventiv auch Pakistan angreifen – da wissen die Verantwortlichen wenigsten zu 100%, daß das Land über Atomwaffen besitzt, und die Stimmung im Lande zum guten Teil von radikalen Taliban dominiert wird.
zu DH, # 1: Erstschlag, Zweitschlag, was ist das für eine absurde Logik? Bis zur Kuba-Krise glaubte man auch an ein „Gleichgewicht der Kräfte“, und dann stand es plötzlich Spitz auf Knopf! Abrüsten und nicht aufrüsten, muß die Devise sein, und vor allem: Keine Waffenexporte mehr, auch nicht mit dem Arbeitsplätze-Argument. Und beim Export nach Israel ist das Ganze sowieso Heuchelei pur. Israel „kein Spannungsgebiet“ ist so, als würde Rainer Calmund als Schlankheitsideal bezeichnet. Gilt natürlich genauso für Leopards für Saudi-Arabien, wohl für irgendwelche „realpolitischen“ Erdöl-Deals.
Und eine Frage ist für mich nicht beantwortet: Wenn schon gegen Verboten hinsichtlich Waffenexporte in Spannungsgebiete verstoßen wird, warum kriegt Israel dann die U-Boote noch zum Schnäppchen-Preis? Ich denke, Merkel und Co. wollen „sparen“? Aber bei Israel gilt dies wohl nicht.
@ Wolfgang Fladung
Die eigentliche Gefahr im „Gleichgewicht des Schreckens“ ist nicht der bewußte Erstschlag ,der ist sogar ausgesprochen unwahrscheinlich , sehr viel gefährlicher ist der Atomkrieg „aus Versehen“.
Kuba ist ein gutes Beispiel dafür , daß der nukleare Overkill nie auch nur in Kauf genommen wurde , natürlich wars knapp , aber letztendlich hatte die kalte Vernunft die Oberhand.
Viel gefährlicher war die Situation im Jahr 1983 , als ein russischer Satellit beinahe den finalen Weltkrieg ausgelöst hätte.
Solche Defekte , Fehleinschätzungen , Mißverständnisse aller Art sind die eigentliche Gefahr , sollte es einmal soweit kommen , daß sich Israel und ein oder mehrere Staaten in Nahost mit Atomwaffen gegenüberstehen- und der religiöse Fanatismus der Region ist dann auch nicht gerade geeignet , die Situation zu entschärfen.
Die Möglichkeit des Zweitschlags eröffnet die Chance , erst einmal abzuwarten , ob die Anzeigen der Vorwarnsysteme überhaupt ein nuklearer Angriff sind , weil es belanglos ist , ob ich eine eventuelle Antwort mit Erst-oder Zweitschlags-Waffen durchführe.
Habe ich jedoch nur die Erstschlagwaffen zur Verfügung , entsteht ein hoher Druck , diese loszuschicken , bevor ich überhaupt weiß , was da auf mich zukommt , und das ist keine absurde Logik , Israel handelt in diesem Fall ausgesprochen rational.