Hier werden bewusst Ressentiments bedient

Ohne viele Worte stelle ich heute zwei Texte gegenüber. Es geht um einen Roma-Clan, der in Frankfurt eine gewisse Aufmerksamkeit erregte. FR-Redakteur Stefan Behr berichtete ausführlich. FR-Redakteur Georg Leppert kommentierte. Wie immer empfehle ich, zuerst die FR-Berichterstattung zu lesen und dann die kontrastierende Lesermeinung, in diesem Fall von Volker Busche aus Wolfhagen, dessen Leserbrief ich gekürzt im Print-Leserforum und ungekürzt hier im FR-Blog veröfentlichte:

Hier werden bewusst Ressentiments bedient

von Volker Busche

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„Lustig ist das Zigeunerleben…“, die Leser und Leserinnen Ü50 können dieses Volkslied aus ihrer Kindheit sicher noch mühelos mitsummen bzw. singen. Längst wissen wir alle, dass deren Leben längst nicht so lustig ist, wie uns Melodie und Text vorgaukelen Das Drama der Roma (Menschen) an der Weißfrauenkirche macht das mal wieder deutlich.

Mittellos, ausgegrenzt, angefeindet, permanent gedemütigt verlassen sie ihr Elend in einer der Balkanregionen, als Heimat bleibt ihnen nur ihre Sprache, und versuchen, in Frankfurt/M. in etwas besseren Umständen zu leben. Hier wollen sie vermutlich nicht über Nacht reich werden; sie träumen und erhoffen sich lediglich ein Dach über dem Kopf, täglich satt zu werden, ärztliche Versorgung, keine Angst vor Übergriffen zu haben. „Träume sind Schäume“ sagt der Volksmund und so campieren sie vor der o. g. Kirche ca. 10 m neben der Straße. Schnell regt sich Protest von Nachbarn, Kirchenvertretern, der Stadtverwaltung.

Krach, Schmutz, Gestank, Missbrauch der Straße für die Notdurft … werden festgestellt. Die verhältnismäßig große Gruppe – bis zu 30 Personen- sorgt dafür, dass u. a. die FR und der HR berichten und Öffentlichkeit herstellen, sonst wäre das Problem wohl schon sehr viel früher lautlos erledigt worden.

Herr Novak Petrovic, Immobilien-Unternehmer, hat die Wohnsituation vorläufig entschärft. Ende gut alles gut? Weit gefehlt! Die OB-Wahl dräut am Horizont und Kandidat Volker Stein möchte sich gern mit der Amtskette schmücken. Für mögliche Stimmengewinne vom politisch rechten Rand diffamiert er die Romagruppe als Bande und lästert die Wohnungssuche ab, so als habe es den landesweiten Aufschrei der „Boateng-Nachbarschaft“ nicht gegeben. Was soll’s, Roma sind eben doch immer noch in vielen Köpfen die geschmähten „Zigeuner“.
Hier wiederspreche ich den Kommentator Georg Lippert entschieden: Solche Äußerungen sind nicht nur „ätzend“, „peinlich und provinziell“ sondern rassistisch. Hier werden bewusst Ressentiments bedient, die den Rest von Menschenwürde, die diese Geflüchteten noch haben, in die B-Ebene der U-Bahn stößt. Aus den Augen aus dem Sinn scheint die Strategie zu sein. Das haben die Verantwortlichen des 1000-jährigen Reiches während ihrer 12 Jahre konsequenter gehandhabt: Auch in Frankfurt/M. wurden die „Zigeuner“ erst in Lager gepfercht und für deren Völkermord (Porajmos) vorzugsweise nach Ausschwitz abtransportiert (siehe www.foerdervereinroma.de). Vorbereitet hat diesen Genozit indirekt auch der damalige hessische SPD-Innenminister Wilhelm Leuschner auf dessen Initiative 1929 das „Gesetz zur Bekämpfung des Zigeunerunwesens“ verabschiedet wurde.

Diese historische Ungeheuerlichkeit an dieser Bevölkerungsminderheit sollten wir Mitbürger, Politiker, Kirchenvertreter nicht vergessen, wenn über Wohl und Wehe von Hilfsbedürftigen entschieden wird. Was spricht dagegen, auch solchen Flüchtlingen, ein Leben für ihre Grundbedürfnisse zu ermöglichen? „Präzedenzfälle vermeiden“, „keine Anerkennung als Flüchtling oder Asylant“, „Schmarotzertum verhindern“, „kriminelles Milieu einschränken“. Alles Humbug – Geld ist vorhanden, es wird nur zum großen Teil von den falschen Personen verwaltet (VW, Banken, Versicherungen, Erben von Großvermögen).

Fazit: Wieder ist es den Stadtoberen aber auch der Diakonie (rechzeitig wird renoviert, dafür der Bauzaun) und den Nachbarn nicht gelungen, auch gegenüber diesen Nachkommen der Überlebenden aus den Vernichtungslagern hier ein Zeichen zu setzen.

Eine Frage an Bürgermeister Uwe Becker, der die Entscheidung der Unesco zu den heiligen Stätten in Jerusalem als „zutiefst antisemitisch, aber auch antichristlich“ rügt: Wo war hier sein christliches Gewissen? Ich bin sicher, Jesus hätte anders gehandelt, aber der war auch nicht CDU-Mitglied.“

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4 Kommentare zu “Hier werden bewusst Ressentiments bedient

  1. Herrn Busches Darstellung und Analyse teile ich, sehe aber zugleich, dass sie einseitig ist und wichtige Entwicklungen ausspart. Seit mehr als 15 Jahren beschäftige ich mich mit der Bevölkerungsgruppe der Roma, zuerst durch achtjähriges nachbarschaftliches Zusammenleben mit ihnen in Rumänien, dann – wegen deutlicher Unterschiede in der Lebensgestaltung – auch „akademisch“, indem ich mir zahlreiche wissenschaftliche und auf Erfahrungen beruhende Bücher über Roma besorgte. Dazu gehören auch die in den 2000er Jahren veröffentlichten vier Bücher von Franz Remmel, der als Banater Schwabe eine Roma heiratete und wegen seiner Schreib- und Rechenkenntnisse zum Sekretär des Romakönigs Cioaba aufgestiegen war. Er beleuchtet sowohl die Stigmatisierung in der Vergangenheit als auch dankenswerter Weise die innerhalb der Romagesellschaft latent bestehenden Integrationshürden. Diese bleiben im Kommentar von Herrn Busche völlig außen vor. In meinem Vortragszyklus zu Rumänien nehmen sie relativ viel Platz ein. Auch die Undifferenziertheit des Begriffs „Roma“ ist wenig hilfreich: So gibt es in Rumänien Universitätsprofessorinnen, Ärztinnen, Anwälte und zahlreiche Schülerinnen und Schüler der staatlichen Lyzeen aus dieser Ethnie. Überhaupt lohnt sich ein Blick auf die seit Jahren bestehenden Integrationsbemühungen des rumänischen Staates, von dem wir – zumindest auf diesem Gebiet – viel lernen könnten. Zuviel, um es an dieser Stelle im Einzelnen auszuführen – aber gedacht als Impuls zu einer differenzierteren und damit personen- und sachdienlicheren Auseinandersetzung mit einer hierzulande weitgehend unbekannten Bevölkerungsgruppe.

  2. Nette Beiträge mit Lektürehinweisen und pädagogischem Zeigefinger. Ich vermisse allerdings konkrete Stellungnahmen zum aktuellen Geschehen in Ffm.

  3. Herr Busche sollte das Buch „Zigeuner Begegnungen mit einem ungeliebten Volk “ von Rolf Bauerdick lesen. Die so genannten „Zigeuner“ sind nicht völlig nur Opfer einer feindlich eingestellten Gesellschaft, sondern auch in der Pflicht, sich selbst aus misslicher Lage zu befreien.

    An Stefan Behrs Bericht ist im Grunde genommen ncihts auszusetzen.

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