Wir hätten gern Vertrauen in eine sichere und gerechte Rente

Ach ja, die Rente. Mal wieder. Unter dem Druck des demografischen Wandels, so hat es gerade wieder der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums rausgehauen, droht unser Rentensystem in die Knie zu gehen. Das ist keine Kleinigkeit, auch nicht für junge Menschen, die sich tendenziell vielleicht noch nicht so sehr um ihr Auskommen im Alter Gedanken machen. Und zwar ist es deswegen keine Kleinigkeit, weil die Idee des Generationenvertrags, welcher dem Rentensystem zugrunde liegt, identitätsstiftend für dieses Land wirkt. Wir sorgen füreinander. Eltern für ihre Kinder, als Alt für Jung, und Jung für Alt, indem die Jungen die Rente der Alten finanzieren. Grob verkürzt gesagt. Man nennt dieses Prinzip Solidarität. Und dass die Deutschen solidarisch sein können, haben sie in den vergangenen Monaten mit ihrem Verhalten in der Corona-Pandemie bewiesen. Zumindest mehrheitlich. Wir Deutschen haben einen Sinn für das Gemeinwohl.

Das ist ein ziemlich großer Satz. Angesichts von Politikern, die in die eigene Tasche wirtschaften oder die Anliegen von Lobbyisten in Regierungshandeln umsetzen, werden viele von Ihnen sicher sagen: Diese These ist nicht haltbar. Wir Deutschen sind im Gegenteil Egoisten par excellence! Ist das Glas also halbvoll oder halbleer? Fakt ist: Bei der Rente hört der Spaß auf. Warum, das können Sie gleich den unten folgenden Zuschriften von Leserinnen und Lesern entnehmen. Auch aus der Politik kommt Kritik.

RentnerHier kommen die „Vorschläge für eine Reform des geetzlichen Rentensystems„, die der Wissenschaftliche Beirat des Bundeswirtschaftsministeriums erarbeitet hat. Ich habe das Dokument angelesen und finde, dass recht wenig Neues darin steht. Denn dass das Rentensystem mittelfristig ein Finanzierungsproblem bekommt, das pfeifen die Spatzen seit rund 40 Jahren von den Dächern. Das Einzige, was den Experten zur Lösung dieses Problems bisher eingefallen ist, ist die Heraufsetzung des Renteneintrittalters. Nicht etwa die Erschließung anderer Finanzierungsquellen. Da gab es ja beispielsweise mal den Vorschlag einer „Maschinensteuer“. Der zugrunde liegende Gedanke: Wenn Maschinen menschliche Arbeitskraft ersetzen, sollen sie einen entsprechenden Beitrag zum Gemeinwohl leisten. Aber man ahnt es: So etwas wurde nie in Angriff genommen. Ist ja auch klar: Wenn man die Arbeit von Maschinen verteuert, mit denen soeben teure menschliche Arbeitskraft ersetzt wurde, dann verweht der hierdurch gewonnene Vorteil im internationalen Wettbewerb der Unternehmen. Und dies ist nun mal das bisher kaum hinterfragte Credo der neoliberalen Ära: Wir müssen wettbewerbsfähig sein! Die Konkurrenz schläft nicht. Dass Gesellschaften und Staaten aber auch konkurrieren, indem sie dem Kollektiv der Menschen, aus dem sie besteht, einen Boden aus Sozialleistungen einziehen, wird in dieser Ära verpennt. Man sieht es in den USA, in Großbritannien und auch bei uns in Deutschland, wo millionenfach Altersarmut droht, da viele Menschen, die zeit ihres Lebens für niedrige Löhne gearbeitet haben, mit ihrem Renteneintritt Hartz IV werden beantragen müssen.

Ja, Deutschland ist international konkurrenz- und wettbewerbsfähig. Diese Position als große Exportnation hat aber ihren Preis: den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Denn wenn wir nicht mehr durch Generationenverträge und Umlageverfahren füreinander sorgen, sind wir tatsächlich nicht mehr weit entfernt von einer Gesellschaft, in der sich jede und jeder selbst die/der nächste ist. Die Konsequenz: das Ende der Solidarität und das Erstarken der Rechten, die an die Stelle von Solidarität wieder das Völkische setzen wird. Werden wir das in den kommenden Jahren besichtigen können?

fr-debatteDie Politik handelt erst, wenn es fast zu spät ist

Der Wissenschaftliche Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium muss seinen Vorschlag „späteres Renteneintrittsalter, gekoppelt an die Lebenserwartung“ schon lange auf dem Schirm gehabt haben. Denn dieses Instrument liegt auf der Hand, und zwar nicht seit gestern, und es greift durch. Warum also erst jetzt? Liegt es am Oberbremser, dem Bundeswirtschaftsminister?
Die geltende schwache Dynamisierung des Renteneintrittsalters, endend bei 67, hätte bereits damals so erfolgen müssen wie jetzt vorgeschlagen!!
Es ist wie beim Klimaproblem: Die Politik redet zwar ständig von ihrer Verantwortung, zögert eine halbe Ewigkeit und bohrt ihre dicken Bretter erst dann, wenn es (fast) zu spät ist, mit fatalen Folgen.

Klaus Karow, Koblenz

fr-debatteDer Beirat ignoriert die Fehlfinanzierung der Renten

Tobias Peter begrüßt die Rentenreformvorschläge des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium, die eine Anhebung des Rentenalters auf 68 Jahre vorschlagen. Über das Rentenalter hinaus wird eine geringere Steigerung der Bestandsrenten und eine Aufwertung der Beiträge von Geringverdienern bei der späteren Rente zu Lasten der Gutverdiener gefordert. Das heißt erstens, dass das dem Rentensystem zugrunde liegende Äquivalenzprinzip und damit das Vertrauen in eine sichere und gerechte Rente weiter verletzt wird. Zweitens werden die Niedriglöhne, die ein gesellschaftliches Problem darstellen und dessen Lösung deshalb aus dem Steueraufkommen zu finanzieren wäre, den Beitragszahlern aufgebürdet. Zugrunde liegt diesen Vorschlägen und dem gleichzeitigen Verzicht auf eine notwendige Rentenreform, die ein ausreichendes Rentenniveau sicherstellen würde, die Prognose „ab 2025 schockartig steigender Finanzierungsprobleme“, die als Folge der in Rente gehenden Babyboomer gesehen werden. Völlig außer Acht gelassen wird die den Ökonomen eigentlich bekannte, im Trend steigende Produktivitätsentwicklung, die parallel zum Anstieg des Altenanteils das Realeinkommen steigen lässt. Und selbst vorsichtige Annahmen über die trendmäßige Produktivitätsentwicklung, die in den Simulationen der Wirtschaftsentwicklung verwendet werden, führen dazu, dass die Belatungswirkung höherer Rentenversicherungsbeiträge durch die Realeinkommensentwicklung überkompensiert wird. Diese Überkompensation der Beitragsbelastung hat es auch in der Vergangenheit schon gegeben. Das bedeutet, dass die junge Generation trotz höherer Beiträge ein höheres Nettorealeinkommen erzielen wird als die gegenwärtig erwerbsaktive Generation. Entlastend für die erwerbstätige Generation würde ferner die Finanzierung versicherungsfremder Leistungen wirken (Übernahme der DDR-Rentner in das bundesrepublikanische Rentensystem und Mütterrente zum Beispiel), die den Beitragszahlern sachwidrig aufgebürdet wurden, die der Wissenschaftliche Beirat bedauerlicherweise nicht anspricht. Das dramatisch beschriebene Finanzierunsproblem gibt es also nicht wirklich. Die Finanzierung ausreichender Renten durch steigende Beiträge aus steigenden Realeinkommen ist möglich, ohne die Beitragszahler zu überfordern. Ergänzend wäre notwendig, die politisch verursachten niedrigen Renen (Niedriglohnsektor) und die systembedingten Einkommensausfälle (Arbeitslosigkeit), die zu unzreichenden Renten führen, aus gesellschaftlicher Verantwortung aus dem Steueraufkommen aufzustocken. Aus welchen Gründen, so muss man fragen, vernachlässigt der Beirat zentrale wirtschaftliche Entwicklungen, die ein „schockartig steigendes Finanzierungsproblem“ verhindern werden, und weshalb spricht er die Fehlfinanzierung versicherungsfremder Leistungen nicht an? Geht es dem Beirat weniger um das Wohl der Beitragszahler und Rentner? Geht es ihm stattdessen um das „Wohl“ der Unternehmen, die die höheren Beiträge mitfinanzieren müssen?

Ernst Niemeier, Wentorf

fr-debatteKein Gutachten, sondern ein Schlechtachten

Es ist doch interessant, was alles so mit dem Begriff „wissenschaftlich“ belegt wird, etwa der „Wis-senschaftliche“ Beirat beim Bundeswirtschaftsministerium. Denn mit Wissenschaft hat das vorgelegte Gutachten nichts zu tun, sondern nur mit Ideologie und Sozialabbau.
Die zentrale Aussage lautet, dass „die“ Menschen in Deutschland älter werden und deshalb sollten sie länger arbeiten. Aber es werden nicht „die“ Menschen alle gleichermaßen älter. Wie jeder gute Sozialwissenschaftler weiß, hängt die Lebenserwartung ab von der sozialen Lage. Vereinfacht gesagt: Wer arm ist, ist häufiger krank und stirbt früher. Bereits 2019 (das hätten diese „Experten“ also zur Kenntnis nehmen können), hat der DGB eine Studie veröffentlicht mit dem sehr wenig überra-schenden Ergebnis, dass z. B. Männer, die in körperlich sehr belastenden Berufen gearbeitet haben, ein deutlich geringeres Rentenalter erreichen als Männer, die in wenig belastenden Berufen gearbei-tet haben; die Unterschiede betragen mehrere Jahre. Ein vermeintlich cleverer Trick ist es, dass das Gutachten sich zur Gesundheit älterer Menschen als Argument bezieht, die Lebenserwartung wird ausgeklammert. Also wessen Lebenserwartung wird in der Studie berücksichtigt – von Menschen aus der Landwirtschaft oder aus Dienstleistungsberufen (sechs Jahre Unterschied). Sicher finden es die Experten (übrigens alles Männer) in Ordnung, dann demnächst von 68-jährigen Rettungssanitätern wiederbelebt zu werden oder von 69-jährigen Feuerwehrleuten aus Flammen gerettet zu werden. Ach nein, doch nicht, denn wer in solchem Alter nicht mehr arbeiten kann, darf natürlich netterweise auch früher aufhören. Bei gekürzter Rente. Es geht also um Sozialabbau.
Und die Ideologie? Abgesehen davon, dass es immer etwas seltsam ist, wenn sich verbeamtete Pro-fessoren (höheres Lebensalter, erheblich höheres Altersruhegeld) zu Sozialpolitik äußern: In den Pressemeldungen stand nichts davon, dass man die Einnahmenseite der Rentenversicherung verbes-sern könnt, z. B. durch die Abschaffung der unsozialen Beitragsbemessungsgrenze, den Einbezug aller Einkommensarten und der Beamten ins Rentensystem; aber dann wären die Professoren ja auch betroffen, deshalb geht so etwas Einfaches und Logische nicht.
Ein Gutachten? Ein Schlechtachten!

Manfred Schulz, Herford

fr-debatteEin Wissenschaftlicher Beirat ohne Mut

Seit Jahrzehnten wird über Reformen der gesetzlichen Rente diskutiert. Wenn man Herrn Peter glaubt, ist die Lösung des Problems relativ einfach. Einfach das Rentenalter weiter erhöhen, aber es an die steigende Lebenserwartung zu koppeln.
Das „Neue“ daran ist dann der Name und vor allem die Automatik, dass die jeweilige Generation schon jetzt berechnen kann, dass die sie dann eben dann bis 70 oder 80 arbeiten müssen (Frauen länger als Männer?), um eine Rente zu erhalten, die in der Höhe natürlich eher sinken wird, weil „schockartig steigende Finanzierungsprobleme“ drohen. Das Ganze „skizziert“ dann eine Lösung, die es „der Politik künftig erheblich leichter machen könnte“.
Ich dachte eigentlich bis jetzt, dass es bei einer „Reform“ eigentlich darum gehen müsste, es den Betroffenen leichter zu machen, jetzt habe ich mit Hilfe von Herrn Peter begriffen, dass es wohl nicht wirklich um die zukünftigen Rentnergenerationen, sondern wohl um Politikergenerationen geht, die Angst vor den Wählern haben.
Der Wissenschaftliche Beirat hat eben nicht den Mut gehabt, die eigentlichen Notwendigkeiten aufzuzeigen. Mit keinem Wort wird auf existierende Vorschläge von politischen Parteien, Gewerkschaften und Sozialverbänden eingegangen und begründet, warum diese Vorschläge nicht geeignet wären, die Rente wirklich zum Vorteil der Betroffenen zu reformieren.
Zum Schluss werden noch zwei Vorschläge zu Ausnahmen und dem Willen der Firmen, ältere Arbeitnehmer länger zu beschäftigen gemacht, die mir zeigen, dass Herr Peter außer der Theorie wohl keinen wirklichen Einblick in die Realitäten hat.
Ich empfehle also Herr Peter, sich intensiv mit den vorhanden Vorschlägen zur Reform der Rente zu beschäftigen und aufmerksam die Artikel in der FR zu lesen, in denen über Personalabbau von älteren Beschäftigten in den Betrieben in den vergangenen Jahren, aber auch über aktuelle Situationen zu informieren.
Hier wird eine alte Idee, die schon in der Vergangenheit keine Reform war, neu aufgewärmt und mit einem neuen Namen als Lösung verkauft.
Dies ist kein Reformansatz, sondern das Übliche aus der Vergangenheit: Rentenkürzung aufgrund erhöhter Lebensarbeitszeit, Absenkung des Rentenniveaus, falls die „Reform“ schiefgeht, keine wirkliche Systemveränderung durch Erhöhung der Anzahl der Beitragszahler usw.
Das alles noch als „mutigen“ Vorschlag zu verkaufen, wird diesem Thema mit Sicherheit nicht gerecht und zeigt erneut, dass eine Verschlechterung des Systems für die Betroffenen wohl auch bei Herrn Peter, Experten und der Politik als „Reform“ gilt.

Jürgen Brunauer, Ladenburg

fr-debatteDie Wirtschaft verschieb das Problem

Länger arbeiten titelt die FR einen Vorschlag des Wissenschaftlichen Beirats beim Bundeswirtschaftsministerium und FR-Kommentator Tobias Peter findet die Idee „so einfach wie überzeugend“. Dabei war schon die Rente mit 67 lediglich eine Rentenkürzung, da viele Betroffene lieber früher mit Abschlägen in Rente gingen, als bis zum Umfallen durchzuhalten.
Als Begründung muss wieder einmal der demografische Wandel herhalten. Doch diese Begründung überzeugt nicht, sie ist offensichtlich vorgeschoben, da die durchaus gegebenen Alternativen politisch nicht gewollt sind. Wenn zehn Babyboomer in Rente gehen und nur fünf Jüngere das Ausbildungssystem abschließen, sind drei Szenarien denkbar: Erstens kann es sein, dass die fehlenden Arbeitskräfte durch Produktivitätssteigerungen ersetzt werden können. Höhere Beitragssätze, wie etwa in der Schweiz und Österreich (wo allerdings alle Einkunftsarten zur Berechnungsgrundlage zählen), wären dann auch bei gleichzeitig steigenden Nettolöhnen möglich. Der Produktivitätsfortschritt müsste nur gerecht verteilt werden, was politisch wohl nicht gewollt ist.
Zweitens könnten die vakanten Arbeitsplätze durch Zuwanderer besetzt werden, was politisch, AfD und Seehofer sei es gedankt, erst recht unerwünscht ist. Altmeiers Wissenschaftler hätten ja auch Bemühungen um eine verstärkte Zuwanderung zur Lösung des Problems fordern können.
Bei einer positiven wirtschaftlichen Entwicklung kann eine zu erwartende Kombination aus beiden Szenarien das Problem lösen. Es kann aber, drittens, auch anders kommen. Durch eine langjährige Wirtschaftskrise bricht die gesamtwirtschaftliche Nachfrage ein und die frei gewordenen Arbeitsplätze werden nicht mehr benötigt. Dann hat natürlich, neben anderen, das Sozialsystem ein Problem, es droht dann zusammenzubrechen. Dann wäre aber die Wirtschaftskrise und nicht die Demografie das Problem. Letztere verschiebt nur das Problem von der Arbeitslosen- zur Rentenversicherung, verschärft damit allerdings die Lage, da die deutschen Minirenten immer noch höher als das ALG sind.
Fazit: Der demografische Wandel bedingt mitnichten längere Arbeitszeiten. Alternativen sind möglich, sie müssen nur politisch erwünscht sein.

Richard Ullmer, Frankfurt

fr-debatte

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Ein Kommentar zu “Wir hätten gern Vertrauen in eine sichere und gerechte Rente

  1. Es gibt ein Teilbereich des Themas das immer unterschlagen wird. Das gilt auch für die Medien die Bronski an anderer Stelle angesprochen hat. Das anstehende Finanzierungsproblem wird von 15 geburtenstarken Jahrgängen hauptverursacht. Nahezu alle schreiben dazu das damit die Rente der Jungen gefährdet wird weil die Beitragszahler viel mehr Rentner bezahlen müssen. Das kann doch so nicht stimmen. Wenn die Jungen so weit sind das sie in Rente gehen wollen leben die geburtenstarken Jahrgänge doch längst nicht mehr. Die Rente der heute Jungen hängt von der Anzahl und Wirtschaftskraft ihrer Kinder ab. Irgendwie sagt das aber denen keiner.

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