Postfach: Die Walser-Rede wirkt weiter nach

Willkommen zum Postfach
vom 3. Mai 2017

Wieder sind Leserbriefe liegen geblieben, für die ich im Print-Leserforum keinen Platz gefunden habe. Also ab mit ihnen ins „Postfach“ hier im FR-Blog. (Mehr über die Hintergründe –> HIER.) Zuerst wie immer ein kleiner Überblick.

  • Kürzlich feierte Martin Walser seinen 90. Geburtstag. Das nimmt Karl Höhn aus Frankfurt zum Anlass, auf Walsers umstrittene Friedenspreisrede zurückzublicken: „Sie wirkt weiter nach.“ Das Holocaust-Mahnmal diene „nicht mehr dem Gedenken an die Verbrechen und seinen Opfern, sondern dem, was diejenigen empfinden oder erfinden, die sich wie Walser ‚auf der Seite der Beschuldigten‘ sehen. ‚Die Monumentalisierung der Schande‘ nennt es Walser in seiner Rede und Björn Höcke beruft sich auf ihn.
  • Thema AfD: Klaus Philipp Mertens denkt darüber nach, ob AfD-Protagonisten zum Kirchentag eingeladen werden dürfen: „Man kann nicht mit denen reden, die jede Gelegenheit nutzen, ihre gefährlichen Vorurteile zu verbreiten und bei denen es nach aller Erfahrung ausgeschlossen ist, dass sie zu besseren Einsichten kämen.“
  • Manfred Kirsch warnt die SPD vor der FDP: Zu sozialliberalen Zeiten „galten in der FDP die Freiburger Thesen, mit denen Freiheit auch als Freiheit von sozialen Zwängen verstanden wurde“.
  • Alfred Kastner aus Weiden sorgt sich  über die vielen Schulabbrecher in Deutschland: Integration kann „nur gelingen, wenn die Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit besitzen“.
  • Jürgen H. Winter aus Schöneck sagt: „Natürlich ist der einzige Weg, bessere Bedingungen zu schaffen, eine menschenwürdige Arbeitswelt.“

Was meinen Sie dazu?

fr-balkenDie Walser-Rede wirkt weiter nach

Zu: „Nichts ohne sein Gegenteil. Die zehn Jahrzehnte des Martin Walser“, FR vom 24.März 2017, FR.de vom 23.3.: „Wer ein Jahr jünger ist, hat keine Ahnung

„In einem Punkt hat Herr Oehlen bzgl. Walsers 1998 in der Paulskirche gehaltenen Friedenspreisrede Recht: sie wirkt weiter nach. Herr Höcke von der AfD bezeichnete das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ und erntete mit Recht einen Sturm der Entrüstung. Das Mahnmal gilt dem Gedenken an und der Empathie mit den unzähligen Opfern der ungeheuerlichen Verbrechen, die inmitten der Normalität unserer Gesellschaft, vor kurzem, zu Lebzeiten unserer Eltern bzw. Großeltern, begangen wurden. Die Bezeichnung „Denkmal der Schande“ widmet es um. Nicht mehr dem Gedenken an die Verbrechen und seinen Opfern gilt es, sondern dem, was diejenigen empfinden oder erfinden, die sich wie Walser „auf der Seite der Beschuldigten“ sehen. „Die Monumentalisierung der Schande“ nennt es Walser in seiner Rede und Höcke beruft sich auf ihn.
Schande und Beschuldigte an Stelle von Verbrechen und Opfern: es geht nicht mehr um die historische Wahrheit und die Fragen, wie es dazu kommen konnte, wie wir handeln können, damit Ähnliches nicht wieder möglich wird und was die Erben daraus lernen können? In diesem Diskurs der „Beschuldigten“ und der „Schande“ geht es darum, wer „uns“ das antut und was „sie“ damit bezwecken: sie „wollen uns wehtun, weil sie finden, wir haben es verdient..Alle. Eine Einschränkung: Alle Deutschen“ (Walser). Walsers geistiger Stoffwechsel produziert eine doppelte Verschiebung des Diskursgegenstandes: das Mahnmal für das historische Verbrechen, mit konkreten Tätern, Komplizen und Opfern verwandelt sich in einen scheinbar rein innerlichen Diskurs des Beschuldigtwerdens und der Schande und heraus kommen wieder ganz konkrete historische Zeitgenossen, auch wenn er uns nicht verrät, um wen es sich bei den „Beschuldigern“ handeln soll. Ein scheinbar perfektes Umkehrbild: die „Beschuldigten“ als Opfer und deren „Ankläger“ als Täter: „Nichts ohne sein Gegenteil“: was als tiefgründige Weisheit daherkommt, erweist sich als „literarischer“ Hokuspokus, der dazu dient, den entscheidenden Gegenstand, das historische Verbrechen als politisch-historischen Diskurs verschwinden oder besser, wie im Traum mit allen Ebenen des Textes verschwimmen zu lassen.
Walsers Rede verpackt mit dem „Gewissensthema der Epoche“ – und Walser versäumt nicht anzumerken, dass es auch „dazu gemacht“ sein könnte – ein hochpolitisches Thema, gehalten an einem hochpolitischen Ort, mit hochpolitischen Sätzen, in einen hermetischen „literarischen“ Text, der sich rational argumentativer Struktur entzieht und damit der kritischen Auseinandersetzung verweigert. Dieser Widerspruch ist Programm: wer verstehen will, versteht: die Republikaner, die AfD von damals, wollten ihn nach der Rede als Bundespräsident vorschlagen. Wer aber, dem politischen Gegenstand angemessen, seine Kritik am manifesten Redeinhalt festzumachen sucht, mit dem kann, wer will, Hase und Igel spielen. Der Text sagt alles – im schlimmsten Sinn des Wortes – und nichts, insofern nichts auf seiner manifesten Ebene dingfest zu machen ist. Eine Analyse der latenten Bedeutung des Textes im Kontext einer aufgeheizten öffentlichen Debatte ist aussichtslos. Der Text ist gegenüber Kritik immunisiert. Walser erklärt uns das: „dann liefere ich mich der Sprache aus… ,egal, wohin sie mich führe..Letzteres stimmt natürlich nicht…Ich falle ihr in die Zügel, wenn ich fürchten muss, sie gehe zu weit, sie verrate zuviel von mir, sie enthülle meine Unvorzeigbakeit zu sehr. Da mobilisiere ich …sprachliche Verbergungsroutinen jeder Art.“ „Das unerschrockene Wort“ (Titel der Rede) eines geschickten geistigen Brandstifters.
Die Auseinandersetzung um diese Rede („Walser-Bubis-Debatte“), die als Teil einer Selbstvergewisserung der Berliner Republik gilt, blieb unabgeschlossen. Walsers 90. Geburtstag wäre ein guter Anlass, zu fragen, wohin diese Rede geführt hat, warum diese grauenhafte Rede von dem versammelten Friedens-Buchpreis-Eliten-Publikum – mit Ausnahme des Ehepaares Bubis und Friedrich Schorlemmers – stehende Ovationen empfangen konnte und Bubis, so könnte ich mir vorstellen, mit Blick auf diese Gesellschaft, mit einem Gefühl der Hoffnungslosigkeit sterben ließ.“

Karl Höhn, Frankfurt

fr-balkenKeine Chance, zu besseren Einsichten zu kommen

Zu: „AfD-Politikerin soll zum Kirchentag kommen“, FR-Politik vom 22. März; auf FR.de nicht erhältlich, aber: „AfD-Politikerin soll mit Landesbischof diskutieren“ , Berliner Zeitung vom 24. Januar

„Der Deutsche Evangelische Kirchentag ist zwar nominell eine Laienorganisation, aber ohne den finanziellen, personellen und organisatorischen Rückhalt von Landeskirchen und EKD könnte er nicht existieren. Deswegen lässt sich die Einladung der Kirchentags-Generalsekretärin Ellen Ueberschär an die AfD-Politikerin Anette Schultner nicht kleinreden. Auch wenn der Kirchentag aus Anlass des Reformationsjubiläums mit Andersdenkenden ins Gespräch kommen will, entlässt ihn diese hehre Absicht nicht aus der Verpflichtung, dabei die Spreu vom Weizen zu trennen. Man kann nicht mit denen reden, die jede Gelegenheit nutzen, ihre gefährlichen Vorurteile zu verbreiten und bei denen es nach aller Erfahrung ausgeschlossen ist, dass sie zu neuen und besseren Einsichten kämen.
Jesus, auf den sich die christlichen Kirchen berufen, hat den Evangelien zufolge die Geldwechsler und Händler des Tempels in Jerusalem verwiesen, weil sie das dem Gebet vorbehaltene Haus auch zu einer kommerziellen Stätte machen wollten. Auf theologische Auseinandersetzungen hat er sich dabei nicht eingelassen. Denn aus seiner Sicht ließ sich über die Unvereinbarkeit nicht diskutieren, sie lag zu offenkundig vor.
Wenn die rechtspopulistische Sammlungsbewegung AfD Ultra-Konservative, Nationalisten, Rechtsextremisten, Rassisten und Christen in einer Partei duldet, deutet das auf eine Gemeinsamkeit im Ungeist hin. Ähnlich war es bei den Deutschen Christen der Nazi-Zeit, die ihren so genannten „Herrgott“ als den Gott der Herrenmenschen definierten, die jüdischen Wurzeln der Kirche einschließlich des Juden Jesus ausklammerten und sogar ihre judenchristlichen Mitglieder und Pfarrer den Nazis auslieferten. Warum die Generalsekretärin den Kirchentag jetzt dem Verdacht aussetzt, den braunen Sumpf zu bagatellisieren, lässt sich weder politisch erklären noch theologisch rechtfertigen. Der Katholikentag in Leipzig im letzten Jahr war in diesem Punkt inhaltlich gradliniger und deswegen glaubwürdiger.
Deswegen wünsche ich Frau Ueberschär, dass ihr viele Tausend Protestanten diesen Leichtsinn übel nehmen und aus der Kirche austreten.“

Klaus Philipp Mertens, Frankfurt

fr-balkenFreiheit von sozialen Zwängen

Zu: „SPD-Charmeoffensive für FDP“ und Kommentar „Rechts blinken bringt nichts“ , FR.de vom 6. und 7. April

„Ohne Zweifel waren die ersten sozialliberalen Jahre auf Bundesebene nicht die schlechteste Zeit für diese Republik. Nur waren damals andere Voraussetzungen gegeben, um das rot-gelbe Bündnis zu leben. Damals hatten wir es mit einer FDP zu tun, die auch stark geprägt war von einer sozialliberalen Orientierung. Damals galten in der FDP die Freiburger Thesen, mit denen Freiheit auch gleichzeitig als Freiheit von sozialen Zwängen verstanden wurde, und die FDP stand mit Politikern wie Walter Scheel oder Karl-Hermann Flach für eine neue Ausrichtung des Liberalismus, die auch soziale Gerechtigkeit einforderte. Heute haben wir es bei der FDP in ihrer übergroßen Mehrheit mit einer neoliberalen Partei zu tun, die für die unsoziale Ellbogen-Gesellschaft steht und zumindest auf Bundesebene keine Anstalten macht, sich zur sozialen Frage hin zu öffnen. Das rheinland-pfälzische „Modell“ mit Malu Dreyer als Ministerpräsidentin ist eine Ausnahme und scheint eher die Regel zu bestätigen, wonach FDP mit Kaltherzigkeit übersetzt werden kann. Martin Schulz sollte daher nicht den Fehler machen und die Saarland-Wahl als Absage an die rot-rot-grüne Perspektive verstehen. Und wenn das inhaltliche Bekenntnis der SPD zu einer Politik des sozialen Ausgleichs ernst gemeint ist, dann darf die SPD in der Tat nicht rechts blinken, sondern muss ihre soziale Haltung beibehalten. Die SPD muss, wenn sie langfristig wieder führende Regierungspartei werden will, sich zu Rot-Rot-Grün bekennen. Nur so wird sie verlorene Glaubwürdigkeit wiedergewinnen.“

Manfred Kirsch, Neuwied

fr-balkenIntegration kann nur gelingen, wenn die Menschen Arbeit haben

Attentat in London vom 22. März: „Brutal als Christ und Muslim“ , FR.de vom 26. März

„‚Der Ansatz für Multikulti ist gescheitert, absolut gescheitert!‘, sagte Kanzlerin Angela Merkel im Jahre 2010. Man müsse Migranten nicht nur fördern, sondern auch fordern. Dieses Fordern sei in der Vergangenheit zu kurz gekommen.
Seither sind sieben Jahre ins Land gezogen. Wesentliche Fortschritte sind bei der Integrationspolitik seither nicht erkennbar. Aber auch nicht hinsichtlich der Integrationsbereitschaft bestimmter Gruppen mit Migrationshintergrund. Nicht nur in Frankreich oder Belgien, sondern auch in Deutschland haben sich in einigen Großstädten Parallelgesellschaften herausgebildet, die vom Staat weitgehend „geduldet“ werden. Berlin-Neukölln oder Duisburg-Marxloh sind dabei lediglich Synonyme für eine verfehlte Integrationspolitik. Die in solchen Stadtteilen lebenden Migranten schotten sich zunehmend in eigenen Clans ab. Sie sprechen kaum Deutsch. Kontakt mit Einheimischen findet so gut wie nicht statt und ist auch nicht gewollt.
Bei vielen Kindern reichen die Deutschkenntnisse für den Schulunterricht nicht aus, weil zu Hause in ihren Familien kein Deutsch gesprochen wird.
Dabei sind es die Kinder, die die Integration schaffen müssen. Es wäre daher wichtig, mehr Lehrer zu beschäftigen, um eine individuellere Betreuung zu ermöglichen. Die ausländischen Kinder und Jugendlichen müssen frühzeitig mit Einheimischen in Kontakt kommen. Dies erleichtert den Abbau von Vorurteilen. Kinder suchen sich ihre Freunde in der Regel nicht nach Nationalitäten aus.
Natürlich gibt es in Deutschland auch genügend Beispiele einer gelungenen Integration. In vielen Städten existieren jedoch Gruppen mit eigener Sprache, eigenen Normen und Verhaltensweisen, die sich bewusst von der einheimischen Bevölkerung abschotten wollen. Darunter befinden sich hauptsächlich junge Männer, die der Polizei häufig aufgrund regelmäßiger krimineller Delikte bekannt sind. Die Strafen für diese Intensivtäter sind oft wenig abschreckend. Aus ihren Heimatländern sind sie ein wesentlich härteres Durchgreifen des Staates gewöhnt. Dass unser Staat mit Verständnis reagiert, wo sie eigentlich Zurechtweisung und harte Strafen für ihre Delikte erwarten würden, spornt sie eher an, dessen Langmut mit immer neuen Herausforderungen auf die Probe zu stellen.
Ein wesentlicher Beitrag für gelungene Integration wäre, wenn die in Deutschland wohnenden Menschen mit Migrationshintergrund halbwegs das gleiche Bildungsniveau erreichen würden. Aber da fällt ein Blick in die Statistik eher ernüchternd aus. Rund 35 Prozent der jungen Männer mit Migrationshintergrund m Alter zwischen 25 und 35 Jahren haben immer noch keinen berufsqualifizierenden Bildungsabschluss und streben ihn auch nicht an. Dies entspricht 2,5 Millionen jungen Männern, die mit sich und ihrer Zeit kaum etwas Vernünftiges anzufangen wissen. Sie sind oft gelangweilt, genervt, aggressiv und bilden die Eckenstehen-Milieus der Innenstädte. Wie die Anschläge in Frankreich und Belgien belegen ist auch dies ein Nährboden für Extremismus.
Mit jeder Generation hat sich die Arbeitsmarktlage von Ausländern in Deutschland verschlechtert. Die Arbeitslosenquote bei Ausländern ist mehr als dreimal so hoch als bei den Deutschen. Junge Menschen ohne Schulabschluss besitzen kaum eine Chance auf einen Ausbildungsplatz. Integration kann jedoch nur gelingen, wenn die Menschen eine Beschäftigungsmöglichkeit besitzen. Die hohe Zahl an Schulabbrechern bei Migranten und die hieraus resultierende fehlende berufliche Perspektive stellen das Kernproblem dar. Es sollte daher eine vorrangige Anstrengung der Kultusministerien aller Bundesländer sein, die Zahl der Schulabbrecher und Schüler ohne Abschluss möglichst gering zu halten. Alles andere käme einer politischen Kapitulation gleich.“

Alfred Kastner Weiden

fr-balkenEine menschenwürdige Arbeitswelt

Gastbeitrag: „Der Kapitalismus muss sozial werden“, FR-Meinung vom 2. März

„Die Grundaussage dieses Artikels basiert meines Erachtens auf einer falschen Annahme, nämlich der, dass der Kapitalismus eine quasi freiwillig entwickelte Wirtschaftsform ist. Unser ökonomischer Kapitalismus ist jedoch gesteuert durch Evolution und ist ein „Derivat“ der darwinschen Lehre. Menschengemacht ist nur die äußere Erscheinungsform. Die Zockerei oder das „Börsenspiel“. Der eigentliche Antrieb ist evolutionär. Wir alle kennen den Spruch: Meine Kinder sollen es einmal besser haben, wobei ungesagt bleibt, ja häufig gar nicht bemerkt wird, dass andere Kinder es dann wohl schlechter haben.
Der Antrieb für Kapitalismus ist eben das „besser sein als andere“. Sobald das wegfällt, wie in einem streng sozialen System „alle gleich“, bricht die Wirtschaft zusammen, weil der Antrieb, das besser sein wollen, wegfällt. Das geht offensichtlich so weit, das Auswüchse aller Art hingenommen werden, bis hin zu reinem Nationalismus, make America great …. In Zeiten der Globalisierung wird die Entwicklung wohl zwangsläufig immer extremer werden.
Natürlich ist der einzige Weg, bessere Bedingungen zu schaffen, eine menschenwürdige Arbeitswelt. Gleichzeitig sollte das Börsenspiel im weitesten Sinn abgeschafft werden und eine Entwicklung der Finanzen hin zu einer rein produktiven Wirtschaft angestrebt werden, denn die ganze Zockerei bringt keinen Mehrwert, sondern destabilisiert die Märkte und macht die Reichen noch reicher. Leider lässt das Stadium der Finanzkreisläufe, das heute erreicht ist, dies wohl kaum noch zu. Es ist auch gar nicht gewollt, würden doch viele Akteure am Finanzmarkt ihre Pfründe verlieren. Kommt dazu, dass die technische Evolution genauso sinnlos ungebremst weiter geht, die Verteilung des Reichtums immer weiter auseinander driftet, von global warming ganz zu schweigen.
Es ist die Evolution, die erkannt werden muss, alle Bewohner des Planeten müssen sich zusammenraufen, neue Regeln des Zusammenlebens erfinden, um die wachsende evolutionäre Gefahr zu erkennen und mit ihr fertig zu werden. Wie wahrscheinlich ist das?“

Jürgen H. Winter, Schöneck

 

 

Verwandte Themen

2 Kommentare zu “Postfach: Die Walser-Rede wirkt weiter nach

  1. @ Jürgen H. Winter
    Vorweg: Was Heisterhagen schreibt, ist alles so richtig, aber gleichzeitig so lau, unpräzise, in der Richtung nicht am historischen SPD-Handeln erkennbar, dass ich es nur als ein Einlullen empfinden kann: Eine SPD, unter der es ohne Not eine Verringerung des Spitzensteuersatzes gegeben hat, eine SPD, die nicht schon mit langem Vorlauf auf der Parteiebene an einer „sozialdemokratischen Internationale“ arbeitet, um in Regierungsverantwortung in internationalen Verhandlungen dem Gegeneinanderausspielen der Länder durch internationale Konzerne entgegenzuwirken, ist da einfach unglaubwürdig. Um einen ganz aktuellen Punkt zu nehmen: Auch eine SPD, die mit der Programmatik der FDP, die Steuern um einen Betrag X zu senken, konfrontiert ist und nicht klarstellt, dass das Steuervolumen keine Zielgröße ist, die sinnvoll änderbar ist, sondern dass das Steuervolumen eine Konsequenz der Aufgaben sein muss, die man dem Staat gibt, ist auch da in ihrem Bekenntnis für den Sozialstaat einfach unglaubwürdig.

    Auf der anderen Seite wird mir schlecht, wenn ich sehe, was dem armen Darwin alles in die Schuhe geschoben wird. Was wir heute Sozialdarwinismus nennen, ist älter als Darwins Evolutionstheorie, und diese Theorie ist keine Lehre, nach der sich irgendjemand richten kann, sondern eine Beschreibung der Entwicklung sich selbst reproduzierender Systeme, die auch selbst wieder aus sich selbst reproduzierenden Systemen bestehen können. Sinnvolle Beschreibungsebenen dieser Evolution sind das einzelne Gen (Dawkins hat das vorgemacht), als dessen Träger das Individuum (aber in anderer Weise und komplizierter als dies normalerweise gemacht wird), der Gen-Pool (das ist die Art). Beim Menschen wird das außerdem überlagert durch eine Kultur, die man auch als selbstreproduzierendes System verstehen kann (diesen Gedanken hat Luhmann für die Soziologie weiter ausgearbeitet).

    Der Platz hier reicht nicht annähernd um dieses Thema verständlich auch nur zu umreißen, ich kann deshalb nur versuchen deutlich zu machen, dass die Evolutionstheorie etwas ganz anderes ist, als Sie es sich vorstellen: Egal, wie das Experiment Menschheit einmal ausgegangen sein wird: Der Verlauf dieses Experiments wird immer durch die Evolutionstheorie bereits beschrieben sein, und die schlichte Folgerung daraus ist, dass sich weder politische Ziele noch politische Handlungen mit der Evolutionstheorie begründen lassen (btw: auch dieses vielzitierte „Survival of the fittest“ ist nicht von Darwin).

    Das wiederum heißt, dass, wann immer Sie einen Politiker treffen, der sein Programm oder Handeln mit der Evolutionstheorie begründen möchte, es nur eine sinnvolle Reaktion gibt: Treten Sie ihm in den Hintern, denn entweder hat er diese Theorie selbst nicht verstanden und ist zu dumm für den angestrebten Posten, oder er geht davon aus, dass Sie zu dumm sind, ihn zu verstehen, dann ist er zu verkommen für diesen Posten. Aber beschuldigen Sie nicht Darwin für seinen Unsinn.

    Politische Ziele und Handlungen lassen sich letzten Endes nur in einer Kategorie begründen, und das ist die Moral.

  2. @Juergen H. Winter
    „Meine Kinder sollen es einmal besser haben, wobei ungesagt bleibt, ja häufig gar nicht bemerkt wird, dass andere Kinder es dann wohl schlechter haben.“
    Derartige Bemerkungen liest man häufig. Auch in der Art, dass wenn der eine reicher wird, automatisch jemand anders ärmer werden muss.
    Diese Bemerkungen setzen voraus, dass die Menge des zu verteilenden Gutes (Glück, Geld, Wohlstand) konstant ist. Jede Änderung ist dann ein Nullsummenspiel. Dies steht aber im Widerspruch zur Beobachtung. Wir haben heute sehr viel mehr zu verteilen, als während der Steinzeit.

Kommentarfunktion geschlossen