Kann so was sein? Ist es wirklich denkbar, vorstellbar, möglich, dass Frankfurter Polizeibeamte per Fax einer Rechtsanwältin drohen, ihre kleine Tochter zu „schlachten“? Unterschrift: NSU 2.0. Nein, das ist nicht möglich. Das wäre unfassbar. Auch unfassbar dämlich. Ich möchte mir nicht vorstellen müssen, wes Geistes Kind solche Menschen sein müssen, um so etwas zu tun. Wohlgemerkt: Es gibt da draußen genug Pack, das dazu sehr wohl fähig ist. Ich habe täglich mit Hass und Hetze zu tun, und es gibt durchaus Zuschriften in dieser Flut des Widerwärtigen, bei denen ich stocke und mir vorstellen kann, dass jene, die dahinter stecken, möglicherweise fähig sind, es nicht bei Worten zu belassen. Aber Polizisten?
Und doch wurden mittlerweile fünf Polizeibeamte und eine Beamtin vom erster Revier der Frankfurter Polizei vom Dienst suspendiert. Der Vorwurf, abgesehen von jenem Fax: Volksverhetzung. In einem Chat sollen die Beamten rassistische Sprüche und Hitlerbilder gepostet haben. Inzwischen sind weitere Fälle hinzugekommen: Ein Polizeianwärter soll beteiligt gewesen sein, als bei einer Schlägerei in Offenbach ausländerfeindliche Slogans gebrüllt wurden. In einem weiteren Fall geht es um rechtsextreme Äußerungen zweier Polizisten bei einer Kirmes; dieser Vorfall wurde von Beuth in Zusammenhang mit der Reichsbürgerszene gebracht. Beim dritten Fall geht es um eine Chat-Gruppe, in der Bilder mit rechtsextremen Inhalten verwendet worden sein sollen.
Der hessische Innenminister Peter Beuth (CDU) spricht von „schneller Aufklärung“, der Frankfurter Polizeipräsident Gerhard Bereswill sieht Einzelfälle und sagte: „Dass die Frankfurter Polizei ein strukturelles Problem mit Extremismus hat, sehe ich aber trotz der Schwere der einzelnen Verdachtsfälle nicht.“ Der Frankfurter Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour (Grüne“) sagt, die Polizei sei nicht besser als der Rest der Gesellschaft, müsse es aber eigentlich sein. Und FR-Redakteur Hanning Voigt sagt, es gebe zu viele Einzelfälle – die Polizei habe ein Systemproblem. Ausweg: Ausbildung ändern!
Nein, wir dürfen unsere Polizei nicht unter Generalverdacht stellen. Aber was ist das für ein Dienstklima, fragt sich Hanning Voigt – und auch ich frage mich das -, in dem Beamte anscheinend nicht weiter auffallen, „die sich gegenseitig Hitlerbildchen schicken, rassistisches Vokabular verwenden, mit Neonaziterroristen sympathisieren“? Wir wollen nicht hoffen und auch nicht glauben, dass das auf dem erster Revier der Frankfurter Polizei der normale Umgangston sein soll. Nein, kein Generalverdacht, aber: Sollte der Verdacht gegen die beschuldigten Beamten sich bestätigen, muss es im Vorfeld ein gewaltiges institutionelles Versagen gegeben haben.
Die Rechtsanwältin, der in jenem Fax die „Schlachtung“ ihrer Tochter angedroht wurde, ist übrigens Seda Basay-Yildiz, die im kürzlich beendeten NSU-Prozess die Familie des vom NSU ermordeten Enver Şimşek vertrat. Sie hat schon seit den ersten hundert Tagen des NSU-Prozesses kein Vertrauen mehr in den deutschen Rechtsstaat. Dafür muss sie sich in Drohfaxen als „Türkensau“ bezeichnen lassen. „Du machst Deutschland nicht fertig“, hieß es in jenem Fax, das möglicherweise von den Frankfurter Polizisten stammt. Nein, Seda-Basay-Yildiz macht Deutschland gewiss nicht fertig. Das schafft Deutschland aus eigener Kraft, wenn nichts geschieht.
Leserbriefe
Ernst Hettche aus Frankfurt meint:
Ist die (Frankfurter) Polizei ein Sammelbecken neonazistischer Straftäter, angefangen bei den ohne Frage im Dienst bisweilen über alle Grenzen hinaus gebeutelten Beamten des mittleren Dienstes bis hin zu jenen der Führungsebene? Die Metapher des vom Kopf her stinkenden Fisches drängt sich auf. Zugegeben: Eine prononcierte Fragestellung. Aber wer wollte ernsthaft in Zweifel ziehen, dass in sozialen Kontexten der Polizeiarbeit solch widerwärtige Geisteshaltungen im Verborgenen gären?
Aller Vorschuss, den ich bisher zu gewähren bereit war, ist aufgebraucht, wenn ich konzedieren muss, dass in diesem Ekel erregenden Sumpf zudem seitens der Polizeiführung gemauert wird. Die Staatsanwaltschaft, die „Herrin des Verfahrens“, ist nicht „böse“, wenn leitende Kollegen des „operativen Geschäftes“ klare Worte finden. Aber wie gesagt, der Fisch usw. usw. Mir stockt jedenfalls der Atem.“
Claus Metz aus Bad Vilbel:
„Endlich ist mal wieder eine rassistische Eiterbeule der Frankfurter Polizei geplatzt. Offenbar konnten die Schminkschichten der selbstzufriedenen Frankfurter Stadtgesellschaft einen Durchbruch dumpfer Fremdenfeindlichkeit im Cityrevier nicht mehr verhindern. Was ist passiert? Das NSU-Original hat von 2000-2006 eine vom Verfassungsschutz umsichtig protegierte Mordserie an Türkei-Eingewanderten begangen. Direkt nach den Morden wurden die von den Innenministern angeleiteten Ermittler mit Stasi-Methoden auf die Opferfamilien losgelassen: Zersetzung, Rufmord, Drohungen, Psychoterror. Die RechtsanwältInnen der Opferfamilien blieben aber nicht bescheiden in einer Bittstellerrolle, sondern entlarvten den institutionellen Rassismus der Ermittler und Verfassungsschützer: Die Baden-Würthembergischen OFA-Profiler-Experten hatten 2007 herausgefunden, „dass die Tötung von Menschen in unserem Kulturkreis mit einem hohen Tabu belegt ist.“ Also sei „der Täter hinsichtlich seines Verhaltenssystems weit außerhalb des hiesigen Werte- und Normensystems verortet.“ Fast noch harmlos wirkt da die von der Presse gern jahrelang übernommene Ermittler-Gewissheit einer Drogenmafia oder der PKK. Rassisitischer aber wirken solche in die Witwen hineingefragten Verdächte wie Blutrachsüchtige Geliebte oder eine „Familienfehde zwischen den Stämmen.“ Passt doch eigentlich eher zu den abendländischen Nibelungen, oder?
Wer lässt sich als sonst umhegter Polizist schon gern entlarven? Und schon gar nicht von einer türkischen NSU-Anwältin. Da reicht es wohl nicht, wenn dieser wie ihrem exponierten Kollegen Daimagüler von der Bundesanwaltschaft und dem vorsitzenden Richter im Prozess permanent Beweisanträge aus der Hand geschlagen werden. Sie muss auch noch mundtot gemacht werden. Dafür gibts den NSU 2.0. Wo hat die couragierte Anwältin ihre Schwachstelle? Bei ihrer Tochter. Wir haben da doch unsere wackeren Gesinnungs-Kollegen im 1. Revier! Könnt Ihr grad mal gucken, wo die wohnt? Und schon kriegt der Drohbrief dank der Privatadresse eine tolle Durchschlagskraft. Dumm nur, dass diesmal die Kripo Handys konfisziert und Hitler-Chats ausliest und das auch noch geleakt wird. Jetzt sorgt sich Oberkosmetiker Bereswill natürlich nur darum, „dass der Ruf der Frankfurter Polizei durch einen Einzelfall beschädigt“ worden ist. Rasch werden die Ermittlungen in die bewährten Hände des LKA geschoben, damit „sehr intensiv und umfassend aufgeklärt wird “(Bouffier). Warum nicht gleich „brutalstmöglich“ (Koch)? Das lässt nichts Gutes erahnen.“
Robert Maxeiner aus Frankfurt:
„Nein, beim NSU handelte es sich weder um einen Fussballclub, noch um eine Boygroup, sondern um eine Mörderbande. Von daher verbietet sich die Formulierung, dieser könnte Fans bei der Polizei gehabt haben. Auch sind nicht etwa die Vorwürfe gegen Frankfurter Polizeibeamte ungeheuerlich, sondern das Faktum der Morddrohungen gegen eine Anwältin und deren Tochter. Indem Polizist*innen zu „Rechtstechnokraten mit Gewaltlizenz“ ausgebildet werden, wie der Polizeiwissenschaftler Behr es im Interview nennt, muss man sich doch nicht wundern, dass der Polizeidienst Autoritarismus, Rigorismus und Rechtsextremismus fördert. Der oberste Vorgesetzte, Innenminister Seehofer hat in jüngster Vergangenheit mit Standpunkten am rechten Rand von sich reden gemacht („Migration ist die Mutter aller Probleme.“), weshalb er nicht zum Vorbild taugt. Wenn er sich jetzt besorgt zeigt, wirkt dies wenig überzeugend. Der Mensch ist grundsätzlich zum Guten wie zum Bösen fähig. Auch das Böse ist eine Ichleistung und nicht etwa eine Struktur, weshalb es sich nicht einfach weganordnen läßt. Wozu er Mensch sich entscheidet, hängt von seiner Erziehung, seiner Einstellung und seiner Reflexionsfähigkeit ab. Die letztgenannte wird offenbar bei der Ausbildung in der Polizei kaum gefördert. Von daher muss man sich fragen, inwieweit dieser Fall nicht doch typisch für die Polizei ist, ohne deshalb pauschal Alle unter Generalverdacht zu stellen.“
Etwas überraschend hat die Thematik „amtsmissbräuchliches Verhalten“ bei Polizisten, das es ja nicht nur in „rechts ideologischer Form“ geben muss, in die mediale Berichterstattung geschafft. Dass Beamte nach Recht und Gesetz handeln, ist nicht nur eine Frage polizeilicher Organisationsstrukturen, sondern setzt auch eine funktionierende und wachsame Justiz voraus. Schließlich muss man kein Sicherheitsexperte sein, um zu vorhersagen, dass Staatsanwälte, die staatliche Übeltäter tendenziell „frei von Schuld“ machen wollen oder die sich nicht „trauen“, entsprechendes Fehlverhalten zur Anklage zu bringen, auch ein begünstigender Faktor für polizeilichen Amtsmissbrauch sein können. Dies gilt in „nicht publik gemachten“ Fällen sogar umso mehr.
Wenn sich bewahrheitet, dass das FAX an die Rechtsanwältin mit diesem Inhalt von einem Polizisten kam, dann ist mein Vertrauen vollends erschüttert.
Das es auch dort unterschiedliche Strömungen gibt, ist ein Spiegel der Gesellschaft. Morddrohungen sind ein ganz anderes Kaliber.
Hier zeigt sich, der völlige Abbau von Recht und Würde jedes einzelnen. Hier zeigt sich auf bislang unvorstellbare Weise der Sumpf, in dem sich die Rechte Ecke bewegt.
Während einer Demo vor ein paar Jahren kam ich in einem Cafe mit einem Polizisten, der gerade „Pause“ hatte, ins Gespräch. Dieser beklagte die Richtung in der sich vieler seiner Kollegen bewegen. Verrohung und Gewalttätigkeit würden zunehmen und die Polizei „als Freund und Helfer“ sei nur noch ein Abziehbild.
Ich bekomme eines der Bilder anlässlich des G20 Gipfels in Hamburg nicht mehr aus dem Kopf, als ohne Not ein Polizist aus den eigenen Reihen ausbrach und mit erhobenen Schlagstock auf die Demonstranten zustuermte.
Wenn ich es richtig wahrgenommen habe, wurden sämtliche Verfahren gegen Polizisten in diesem Zusammenhang eingestellt.
Es ist nicht nur der Korpsgeist innerhalb, sondern das versammelte „Drumherum“, das den Schutzmantel über Verfehlungen aus diesen Reihen ausbreitet.
Da kann Herr Beuth „die neue Wertschätzung“ der Polizei fordern so viel er will.
Entweder hat er keine Ahnung was vor sich geht oder er hat es bis zu diesem ungeheuerlichen Vorgang wohlmeinend übergangen.
Nein Bronski, die Leute sind nicht“unfassbar dämlich“ sondern sich unfassbar sicher das sie sich das erlauben können. Seit dem kollektiven schreddern von NSU Unterlagen sollte man sich da keine Illusionen mehr machen.
Heute konnte man in der FR lesen das in dem schwarz/ grünem Koalitionsvertrag steht das der hessische Verfassungsschutz stärker durch das Parlament kontrolliert werden soll. Ich hör es wohl allein mir fehlt der Glaube aber die Hoffnung stirbt zu Letzt.
„Widerwärtige Geisteshaltungen gären im Verborgenen“ – ein treffender Titel, der aber zugleich eine Unzahl von Fragen aufwirft.
Treffend auch die Aussage von hans: „Nein Bronski, die Leute sind nicht ‚unfassbar dämlich‘, sondern sich unfassbar sicher das sie sich das erlauben können.“
Aussagen, die freilich eine Analyse herausfordern, warum das so ist und warum Menschen in sicherheitsrelevanten Positionen „sich das erlauben können“
Im Vorgriff möchte ich meine Thesen dazu verkürzend auf den Begriff „Heuchelei“ bringen – wobei sich das nicht allein auf rechtsradikale Kreise bezieht (wo dies sowieso offensichtlich ist).
Wenn ein einfach gestrickter Mensch in einem Restaurant nach einem „Zigeunerschnitzel“ verlangt – weil er das schlicht so gewohnt ist -, dann steht gleich eine ganze Armada selbst ernannter empörter „Sprachwächter“ auf, welche „nachweist“, dass die gesamte deutsche Sprache und natürlich die Gesellschaft von tiefgehendem „Rassismus“ geprägt ist. (Was nicht als Rechtfertigung dieses Ausdrucks zu werten ist!) Im FR-Forum findet sich dazu jüngst gar die Aussage eines Users, der sich für „links“ hält: „Deutsch ist eh die Sprache des Faschismus. Gut, wenn die langsam untergeht.“
Wenn dagegen ein (ehemaliger) Verfassungsschutzpräsident, Herr Maaßen, höchster Bundesbeamter, sich – in seiner Funktion und gegen seinen Amtseid – öffentlich zur Diskriminierung ganzer Bevölkerungsschichten hinreißen lässt (hier: „Linksradikale“ in der SPD), dann finden sich ebenso viele (oft dieselben), welche das als „legitime Meinungsäußerung“ abtun und die Forderung nach Maßnahmen für „völlig überzogen“ halten. Mir selbst wurde dabei sogar unterstellt, ich würde nach einem neuen „Radikalenerlass“ rufen.
Und selbst der grüne Bundestagsabgeordnete Omid Nouripour übt sich da in höchst aufschlussreicher Schwammigkeit: „Die Polizei sei nicht besser als der Rest der Gesellschaft, müsse es aber eigentlich sein.“
Was heißt hier „eigentlich“, Herr Nouripour?
Gibt es einen Diensteid für Polizeibeamten, der als Richtschnur angelegt werden kann, oder nicht? Und sieht dieser Diensteid auch „Mäßigungspflicht“ selbst im privaten Bereich vor oder nicht?
Weshalb also die merkwürdigen Verallgemeinerungen, die noch merkwürdigere Zurückhaltung in der Sache?
Wundert es also, wenn der schlichte Kerl mit seinem „Zigeunerschnitzel“ auf die Idee kommt, dass hier mit zweierlei Maßstäben gemessen wird? Dass er die Welt in „die da oben“ und „uns da unten“ einteilt?
Dass er sich in seinem schlichten Gemüt rechtsradikalen Scharlatanen an die Brust wirft, weil diese ihm mit seinem „gesunden Menschenverstand“ wenigstens ernst zu nehmen scheinen?
Und dass er – und das ist wohl das Schlimmste – jegliche Hoffnung auf „Gerechtigkeit“ in diesem demokratischen Staat aufgegeben hat – mit allen daraus folgenden Konsequenzen?