Der Gesundheitswissenschaftler Jens Holst hat in der FR-Rubrik „Gastwirtschaft“ die private Krankenversicherung aus „ausgedient“ bezeichnet: „Die Branche weiß längst, dass die PKV als Vollversicherung ausgedient hat.“ Dafür verantwortlich: „Schwindende Versichertenzahlen, hohe Verwaltungsausgaben und fehlende Kostensteuerung.“ Die Kritik ist in seinem Text „Der Weg alles Irdischen“ nachzulesen. Das Schöne daran: Holst sieht Chancen für die Bürgerversicherung.
Auf die Kolumne bekam ich eine Zuschrift des Sprechers des PKV-Verbandes Stefan Reker, die er als Leserbrief veröffentlicht sehen wollte. Den Gefallen konnte ich ihm nicht tun, denn Verbandsvertreter sind keine Privatpersonen und ihre Reaktionen sind daher keine Leserbriefe. Aber als Stellungnahme zur „Gastwirtschaft“ von Jens Holst kann man die Zuschrift natürlich trotzdem veröffentlichen, zumal Jens Holst sofort seinerseits eine Stellungnahme geschickt hat, als die FR ihm die Zuschrift weiterleitete. Also zuerst Herr Reker, dann Herr Holst — aber vorher den Link oben lesen –:
Bürgerversicherung bietet keinerlei Antwort
„Gibt es eigentlich keine wichtigeren Probleme im deutschen Gesundheitswesen? Ihr Gastautor arbeitet sich in einer Vielzahl seiner Beiträge immer wieder an den knapp 11 Prozent Privatpatienten ab – mit den immer gleichen Thesen. Anderswo liest man kluge Analysen zu den Herausforderungen der personalisierten Medizin mit genetisch maßgeschneiderten Medikamenten, zu Chancen und Risiken der Digitalisierung, Ideen zur Steigerung der medizinischen Qualität, zur besseren Personalausstattung. Die von ihm jeweils propagierte sogenannte Bürgerversicherung bietet auf alle diese Zukunftsfragen keinerlei Antwort.
Mehr als 50.000 Euro pro Jahr würde jede niedergelassene Arztpraxis in Deutschland im Schnitt verlieren, wenn die rund neun Millionen Privatversicherten stattdessen als gesetzlich Versicherte zu ihnen kämen. Die These des Gastautors, dass Ärzte in sozial schwachen Gebieten auch ohne Privatversicherte über die Runden kämen, sollten Sie besser mal einem Realitäts-Check unterziehen und von den betroffenen Ärzten nachrechnen lassen. Denn auch wenn es in den Ballungsräumen mehr Privatversicherte gibt, ist im Bayerischen Wald und in der Uckermark der überproportionale Finanzierungsbeitrag der Privatpatienten ein wichtiger Faktor zum Überleben einer Arztpraxis.
Ihr Gastautor scheint als Gesundheitswissenschaftler nicht ganz auf der Höhe der Zeit zu sein. Sonst müsste er z.B. die neueste Studie des IGES-Instituts kennen. Diese größte jemals erstellte Langfrist-Analyse der Beiträge in der Privaten Krankenversicherung zeigt, dass die Beiträge in PKV und GKV sich auf Dauer sehr ähnlich entwickeln. Nach dem untersuchten Zeitraum von 20 Jahren entsprachen die Beiträge der privatversicherten Arbeitnehmer im Schnitt dem GKV-Beitrag eines Durchschnitts-Verdieners von rund 420 Euro. Zudem ist auch der Vergleich mit dem GKV-Höchstbeitrag sehr wohl relevant, denn jeder Arbeitnehmer, der von der PKV freiwillig in die GKV wechseln würde, zahlt dort definitiv den Höchstbeitrag von derzeit 683 Euro im Monat (plus 111 bis 122 Euro Pflegeversicherung). 89,4 Prozent aller privatversicherten Arbeitnehmer liegen deutlich darunter, nämlich bei 300 bis 600 Euro, so die IGES-Untersuchung.“
Stefan Reker, Sprecher des PKV-Verbandes, Berlin
Schädliche Wirkung der privaten Krankenversicherung
„Vielen Dank, Herr Reker, bestätigen derartige Reaktionen auf einen Beitrag dem Autor doch eindrücklich, dass er ins Schwarze getroffen hat. Dass Sie als Lobby-Sprachrohr dagegenhalten müssen, ist Ihre Aufgabe und geschenkt. Dass Sie dies über den klassischen Weg der Diffamierung versuchen, ist zwar nicht überraschend, aber irgendwie doch peinlich, vor allem wenn dieser Versuch vor allem Ihre eigene Unkenntnis belegt: Auch als Nicht-Gesundheitswissenschaftler hätte Ihnen nicht entgehen dürfen, dass es sich bei der angeführten IGES-Untersuchung keineswegs um eine Analyse der Beitragsentwicklung in der PKV geht, sondern ausschließlich in einer PKV, der Debeka, die diese Studie auch in Auftrag gegeben hatte. Das ist zwar die größte Privatkasse in Deutschland, hat aber auch nur einen von vier Privatversicherten zum Kunden. Als „Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit“ zeichnet sich die Debeka durch vergleichsweise moderate Beitragssteigerungen aus und steht somit keineswegs stellvertretend für die Gesamtheit der Privatversicherer. Die drastischen Erhöhungen anderer großer Versicherer erfasst die IGES-Studie gar nicht und ist daher auch für die Argumentation irrelevant. Und das Kernproblem bleibt davon ebenfalls unberührt: In der GKV besteht eine eingebaute Überlastungsklausel, denn jeder zahlt nur einen bestimmten Anteil seines Einkommens; in der PKV ist der Beitrag aber völlig unabhängig von der Kaufkraft der Versicherten und kann daher individuell eine Überforderung darstellen.
Dass der Sprecher des PKV-Verbands offenbar nicht den Unterschied zwischen „sozial schwach“ und „strukturschwach“ (er)kennt, ist zweifelsohne bezeichnend für die selektive Wahrnehmung der gesellschaftlichen Wirklichkeit. Es geht weniger um den Bayerischen Wald oder die Uckermark, sondern z.B. um Berlin-Kreuzberg oder -Neukölln, wo es in einigen Stadtteilen bisher nur eine marginale Zahl von Privatpatienten gibt und manch niedergelassener Arzt praktisch keinen unter seinen Patienten hat. Insofern ist – das sollten Sie auch als Nicht-Gesundheitswissenschaftler wissen – der Verweis auf Durchschnittseinkünfte von Praxen über Privatversicherte nichtssagend, solange man nicht die Streuung dieser Einnahmen betrachtet.
Und noch ein Hinweis: Noch ist es in Deutschland Sache der Medien, welcher Thematiken sie sich annehmen. Sie sollten sich davor hüten, wie Donald Trump oder Frauke Petry den Medien Vorschriften machen zu wollen, worüber sie berichten sollen. Da gibt es in der Tat ein großes Spektrum, aber anders als die von Ihnen gewünschten biomedizinisch-technokratischen halte ich als Gesundheitswissenschaftler Fragen der Verhinderung von Krankheit und Förderung der Gesundheit von Bevölkerungen unter Berücksichtigung einer gerechten Verteilung und effizienten Nutzung vorhandener Ressourcen für die entscheidenden Herausforderungen. Und hier ist die Wirkung der PKV als Vollversicherung eher schädlich als hilfreich.“
Nun gut, Herr Holst, wenn Ihnen die IGES-Studie nicht reicht, dann vielleicht die Entwicklung der Beitragseinnahmen pro Kopf über die komplette PKV und GKV: die sind in der GKV von 2007 bis 2017 im Schnitt um 3,2% pro Jahr gestiegen und in der PKV um 3,0% – und darin sind sowohl alle PKV-Unternehmen enthalten wie auch die z.T. außerordentlich hohen Beitragsanpassungen 2017. Ihr Hinweis zur Einkommens-Abhängigkeit der GKV-Beiträge ist natürlich richtig. Vielleicht könnten Sie Ihre Expertise gelegentlich mal nutzen, um den Lesern die grundlegenden Unterschiede der Beitragsanpassung in GKV und PKV zu erklären. Denn während in der GKV die Beiträge automatisch jedes Jahr mit jeder Lohnerhöhung bzw. Anhebung der Bemessungsgrenze ansteigen, darf eine PKV die Beiträge nur bei einem nachgewiesenen Kostenanstieg um mindestens 5% erhöhen – und dann auch nur nachträglich. So kommen leider manchmal sprunghafte Erhöhungen zustande, dies aber oft nach mehreren Jahren ohne Erhöhung. Über 5 Jahre mit Null Beitragserhöhung habe ich z.B. in der FR nie etwas gelesen, aber eine Erhöhung um 8,5% im 6. Jahr machte Schlagzeilen – wiederum ohne Hinweis darauf, dass dies im Schnitt seit der letzten Anpassung nur rund 1,7 % pro Jahr waren, also wiederum deutlich weniger als in der GKV.
@Stefan Reker, Jens Holst
Es stört mich bei beiden, dass Sie nicht sachlich bleiben, sondern persönlich werden.
Ich war nach einigen Berufsjahren über der Beitragsbemessungsgrenze und man wollte mich überzeugen, in die PKV zu wechseln mit dem Argument, dass ich dort weniger Beitrag zahlen würde.
Ich habe das nicht gemacht, weil ich es als unfair betrachtet habe, dass jemand, der mehr verdient, weniger zahlen sollte.
Was mich aber am jetzigen System stört, ist die Ungleichbehandlung durch die Ärzte. Bevor man mich fragt, warum es geht, kommt die Frage, ob ich Privatpatient bin. Als Antwort liegt mir immer «Nein, Mensch zweiter Klasse.» auf der Zunge, aber die Arzthelferinnen können ja auch nichts dafür.
In der Tat bestehen grundlegende Unterschiede zwischen GKV und PKV bei der Beitragsbemessung und folglich auch bei der Beitragsanpassung. Ich meine mich zwar zu erinnern, dass ich das auch schon (mindestens) einmal in einer Kolumne angesprochen hatte, erkläre das aber immer wieder gerne. Beiden Versicherungsarten liegen verschiedene Prinzipien zu Grunde: Bei der GKV besteht das Solidarprinzip, d.h. die Beiträge sind als bestimmter Anteil oder Prozentsatz des Einkommens definiert (außer bei Landwirten) und die Leistungen richten sich nach dem (medizinisch festgestellten) Bedarf; die PKV arbeitet hingegen nach dem Äquivalenzprinzip, d.h. der Beitrag hängt ab vom Risiko des Versicherten sowie vom Leistungspaket, ist also völlig unabhängig von der Kaufkraft des Versicherungsnehmers.
Entsprechend unterscheiden sich auch die Beitragsänderungen. Bei der PKV erhöhen sich die Beiträge bei Ausgabensteigerungen, die auch durch zu geringe Veranschlagung der Altersrückstellungen entstehen können, völlig unabhängig von der Zahlungsfähigkeit der Versicherten. Bei der GKV hängen die Beitragseinnahmen unmittelbar von der Lohnsumme der Versicherten ab und die Beitragszahler müssen nur dann mehr zahlen, wenn sie mehr verdienen (in einigen Fällen bei Anhebung der Bemessungsgrenze); andererseits können aber auch die Beitragseinnahmen zurückgehen, wenn die Lohnsumme sinkt, was sich dem Einfluss der GKV entzieht; und die Beiträge der einzelnen Versicherten werden immer dann niedriger, wenn ihr Einkommen sinkt.
Eine positive Wirtschafts-, Arbeitsmarkt- bzw. Einkommensentwicklung führt zu einer Steigerung der absoluten Beiträge für die GKV-Versicherten (bis zur Bemessungsgrenze) – aber der Anteil der KV-Beiträge am Einkommen bleibt gleich, die relative Belastung ändert sich also nicht. Bei der PKV erfolgen Beitragserhöhungen für Versichertengruppen unabhängig von der Kaufkraft. Da hier kein kollektiver, sondern ein individueller Vertrag zugrundliegt, treffen Beitragssteigerungen Versicherte sowohl absolut als auch relativ zum Einkommen unterschiedlich stark, so dass die Aussagekraft von Durchschnittswerten nur sehr eingeschränkt ist. Vor allem aber werfen die Beitragssteigerungen der PKV Probleme im Hinblick auf die Kernaufgabe von Krankenversicherungen auf, nämlich die zuverlässige und bezahlbare soziale Absicherung im Krankheitsfall. Während die individuellen Beiträge in der GKV bei Einkommensrückgängen z.B. bei Renteneintritt automatisch sinken, nehmen die Erhöhungen der PKV keine Rücksicht auf die Kaufkraft der Versicherungsnehmer. Damit fahren besonders Einkommensstarke gut, bei schlechterer Einkommenssituation wird es schwierig. Daraus ergeben sich entscheidende Unterschiede zwischen beiden Kassenarten.
Ein paar Zahlen als Beispiel:
Zwischen den Jahren 2012 und 2017 hat sich meine PKV um 3,26% Prozent erhöht, dabei jährlich zwischen 0,88% minus und, im Jahr 2017, 5,75% plus. Ich finde diese Erhöhung äußerst moderat.