Soll man mit „Pegida“-Anhängern reden? Was für eine Frage! Wenn wir nicht reden sollen, was dann? Trommeln? Grunzen? Natürlich wollen wir reden, uns austauschen, Debatten führen. Die Frage ist hier aber doch eher: Will denn „Pegida“ überhaupt mit uns reden? „Pegida“, das steht für „Patriotische Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes“. Bei fünf dieser sieben Wörter, aus denen das Kürzel besteht, kräuseln sich mir die Zehennägel.
- Patriotisch — Mit diesem Wort ist im Lauf der Geschichte so viel Schindluder getrieben worden, dass kritische, aufgeklärte Zeitgenossen gut beraten sind, solche Plattitüden zu vermeiden. Wer dazu nicht in der Lage ist, findet sich völlig zu Recht in der rechten Ecke wieder. Zudem steht der Begriff im Widerspruch zur europäischen Idee, weshalb ja auch die AfD glaubt, hier Funken schlagen zu können.
- Europäer — Wo denn? Dort in Dresden? Europäer? Ich sah dort bisher nur verängstigte deutsche Michels. Bei der Demo des Römerbergbündnisses für Toleranz und friedliches Zusammenleben hingegen, wo ich am vergangenen Montag war, da war Europa zu besichtigen. Und mehr als Europa. In Frankfurt funktioniert das Zusammenleben der Kulturen. Nicht klaglos, nicht reibungslos, aber doch im Großen und Ganzen recht gut.
- Gegen — Mich würde mehr interessieren, wofür Ihr seid, „Pegida“-Leute. Ich bin nämlich auch gegen vieles, zum Beispiel gegen schlechtes Wetter, morgens Aufstehen und Zähne Putzen.
- Islamisierung — Setzt voraus, dass da etwas ist, was sich islamisieren lässt. Ich als Atheist werde mich nicht missionieren lassen. Das schließt den Islam und das Christentum ein. Darüber hinaus vertraue ich auf die Strahlkraft der Werte unseres Grundgesetzes und bin davon überzeugt, dass die meisten Muslime eben wegen dieser Werte gern hier leben und nicht wegen ihrer Religion.
- Abendland — Hust! Da sind wir wieder bei der Leitkultur. Wie ich mich heute Abend zu erinnern lernte, war es der Muslim Bassam Tibi, der den Begriff „Europäische Leitkultur“ geprägt hat. (Ich wusste das, aber es war mir im Lauf der Jahre entfallen.) Das war unter anderem Thema bei Anne Will — einer ausgezeichneten Talkrunde übrigens, großes Kompliment, liebe Anne! Die „Leitkultur“ wurde dann flugs von ein paar Populisten der CDU vereinnahmt und eingedeutscht. Tibi selbst spricht heute lieber von einem „Wertekonsens“. Ich will mal schauen, ob ich den Mann nicht für einen Blogtalk gewinnen kann. Abendland versus Wertekonsens — Mann, das wäre mal eine Debatte.
Mit „Pegida“ reden? Na klar. Auch wenn SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi das eine sagt und SPD-Chef Sigmar Gabriel (zugleich Bundeswirtschaftsminister und Privatmann) das andere macht. Die Frage muss wohl eher sein: Worüber denn reden? Dass „Pegidisten“ Muslime nicht mögen? Dass der Islam an allem Schuld ist? Ich glaube, lieber Sigmar Gabriel, dass Du Deine kostbare Lebenszeit lieber dafür einsetzen solltest, uns TTIP zu ersparen, denn sonst machst Du Dich schuldig.
Eva Massingue aus Frankfurt meint:
„Liebe „Pegida“-Anhänger, es erstaunt mich, dass bisher noch niemand auf die Lösung des Zuwanderungsproblems gekommen ist, dabei liegt es doch so nah! Die deutsche Wirtschaft fordert mehr Zuwanderer, da ihr die fleißigen jungen Leute fehlen, die unsere Renten erwirtschaften und dafür sorgen, dass unser Lebensstandard erhalten bleibt. Die Politiker schließen sich diesem Wunsch, wenn auch verhalten, an. Ihr Pegida-Anhänger wollt jedoch keine Zuwanderer haben, schon gar nicht noch mehr, als so schon kommen. Aber wir brauchen sie doch, also, was ist zu tun?
Statt abends durch die deutschen Innenstädte zu ziehen, solltet ihr besser zu Hause im Bett liegen und für Nachwuchs sorgen. Bei circa drei Kindern pro „Pegida“-Anhänger, gut erzogen und ausgebildet, können wir auf Zuwanderung verzichten. Und der nächste Marsch durch eine kalte Innenstadt findet dann mit einer Laterne in der Hand zum Martinsumzug statt, an der Hand die beiden Ältesten, der Kleine im Kinderwagen. Das ist doch viel schöner, oder?“
Friedrich Gehring aus Backnang:
„Den „Pegida“-Leuten zuzurufen: „Ihr seid nicht das Volk“, wie einige sich derzeit berufen fühlen, erscheint mir unangemessen. Sie gehören zu Deutschland wie die Muslime. Sachlich zutreffend wäre, ihnen zu sagen: „Ihr seid das Radfahrervolk“, denn sie buckeln nach oben und trampeln nach unten. Aber auch das wäre vermutlich nicht hilfreich. Besser wäre, sie zu fragen: Wird euer Leben durch das, was ihr tut, wirklich besser? Dann wäre möglicherweise zu ergründen, was ihr Leben tatsächlich erschwert, und dass dies nichts mit dem einen Prozent Muslime in Sachsen zu tun hat.
Dass SPD-Generalsekretärin Fahimi „einen vernünftigen Dialog“ mit den „Pegida“-Anhängern für unmöglich hält, mag damit zusammenhängen, dass sie als Vertreterin der großen Koalition sich diesen Dialog nicht antun will, weil dabei herauskommen könnte, dass es die neoliberale Regierungspolitik ist, die den Menschen Angst macht, etwa beim Blick nach Griechenland.
Es ist doch nicht das erste Mal in Deutschland, dass Asylanten an allem schuld sein sollen und dass die Sympathie für diese Sündenbockprojektion sowie für die entsprechende Aggressionsabfuhr bis tief in die Mitte der Gesellschaft hineinreicht wie in Rostock-Lichtenhagen. Ich hatte solche jungen Menschen im Religionsunterricht an beruflichen Schulen vor mir und kann im Gegensatz zu Frau Fahimi sagen, dass der Dialog mit ihnen sich lohnt, wenn man ihnen nicht von vorneherein verurteilend begegnet, sie schürten doch nur „Ressentiments und Hass“. Das ist zwar richtig, aber die Aufgabe ist gerade deshalb, ihnen zu einer Alternative zu helfen.
Wenn die Kanzlerin sagt: „Uns allen geht es gut“, die Menschen selbst spüren aber das Gegenteil, dann hilft es nicht, „Lügenpresse“ zu schreien, obwohl nicht wenige Presseleute die neoliberale Politik unkritisch verbreiten. Es muss die neoliberale Politik angegriffen werden. Nur wenn den „Pegida“-Demonstranten vermittelt werden kann, wer ihnen wirklich schadet und wie sich solidarisch dagegen wehren können, ist die Radfahrermentalität zu überwinden. Es darf nicht wundern, dass Mitglieder der großen Koalition, die u. a. für ein TTIP eintreten, dafür kaum geeignet erscheinen.
Es überrascht mich überhaupt nicht, wenn z. B. ein Experte wie Benno Hafeneger feststellt, dass es bei Rechtsextremisten und Salafisten Merkmale gibt, „die identisch sind“ und nur die Begründungen für die Gewaltideologie sich unterscheiden: „völkisch bei den rechtsextremen Kameradschaften, religiös bei den Salafisten“. Sie verstehen heißt nicht, ihnen recht geben, sondern mit geduldiger Überzeugungsarbeit begegnen.“
Manfred Kirsch aus Neuwied:
„Nur mit Empörung und Abscheu kann ich die Tatsache zur Kentnnis nehmen, dass Sigmar Gabriel an einer Diskussion mit „Pegida“-Anhängern teilgenommen hat. Dies ist in der Tat ein Schlag ins Gesicht aller aufrechten und antifaschistischen Sozialdemokraten, die gegen „Pegida“ auf die Straße gehen. Es ist einfach nicht nachzuvollziehen, was den SPD-Chef bei diesem Schritt geritten hat, der eine politische Instintklosigkeit ohnegleichen offenbart. Weiß Sigmar Gabriel denn nicht, dass sich die Anhängerschaft von „Pegida“ sowohl aus Heilspredigern in Nadelstreifen als auch aus dem braunen Mob zusammensetzt und diese Herrschaften über ein Weltbild verfügen, das auslädnerfeindlich, minderheitenfeindlich und extrem rechts gestrickt ist? Will Gabriel mit seinem Verhalten etwa bei jenen in der SPD Punkte sammeln, die so denken wie der keiner Immer-noch-Genosse Thilo Sarrazin?
Rechtsextremismus und Rechtspopulismus bekämpft man nicht durch Anbiederung an deren Thesen, sondern nur durch einen aufrechten Gang. Mit „Pegida“ kann man nicht diskutieren, sondern jene braunen und bräunlich schimmernden Vereinigungen muss man offensiv bekämpfen. Leider hat Gabriel dazu beigetragen, „Pegida“ und ihre Ableger politisch salonfähig zu machen.
Ich fühle mich immer noch als Sozialdemokrat ohne Parteibuch und bin wegen des Asylkompromisses 1994 aus der Partei ausgetreten. Ich kann daher auch jeden Genossen und jede Genossin verstehen, die jetzt ihr Mitgliedsbuch zurückgibt. Gegen den Auftritt Gabriels muss es jetzt einen Aufstand der Anständigen in der SPD geben.
Gabriels Gespräch mit „Pegida“ bedeutet, sich mit Rassismus zu arrangieren. Er verrät damit alle Tugenden der Sozialdemokratie. Willy Brandt würde sich im Grabe umdrehen, wenn er wüsste, dass einer seiner Nachfolger im Parteivorsitz mit Leuten „diskutiert“, deren Weltbild doe Menschenverachtung ist. Die Glaubwürdigkeit der SPD hat durch das Gespräch Gabriels in Sachsen schwer gelitten.“
Marga Schulte-Brauer aus Oberhausen:
„Bis vor kurzem habe ich mich gefragt, wieso Pegida zwar demonstriert, aber nicht will, dass die Presse über ihr Anliegen vor Ort auch berichtet. Als ich aber an einer kleinen Solidaritätsdemonstration für Charlie und gegen die Trauer-Heuchelei von Pegida in Oberhausen teilnahm (größere Demos mit Oberhausener Beteiligten liefen in Nachbarstädten), wurde ich den tieferen Sinn hinter diesem scheinbaren Widerspruch gewahr: Die Phrase von der angeblichen „Lügenpresse“ wirkt als Redeverbot der Führer-Clique gegen die eigenen Mitläufer.
Wenn die nämlich unkontrolliert in Worte fassen, wieso sie vor allem und jedem Angst haben, bekommt man ein unstrukturiertes Gemenge von nicht gesellschaftsfähigem, beleidigendem und strafbarem Unfug zu hören. Das wirkt abstoßend, ist im Sinne der Pegida-Organisatoren kontraproduktiv und für die plappernden Mitläufer blamabel. Daher immer nur die vorgefertigten Texte der Vorsager von der Tribüne herunter, während die Randständigen und –laufenden besser nicht in Worte fassen, was sie bewegt.
So auch bei der von mir besuchten Demo: Kaum war die Presse gegangen, kam ein Beobachter heran, der die ganze Zeit schweigend am Rande gestanden hatte, um Geschmacklosigkeiten, Beleidigungen und strafbare Äußerungen gegen alles mögliche, so auch gegen „die Politik“, die „Lügenpresse“, gegen mich und die Gegendemonstranten, die ihn bei seiner Pegida-Teilnahme in Dresden „angepöbelt“ hätten.
Seither weiß ich: Solchen Leuten und ihren Mobilmachern kann nichts Blamableres und Kontraproduktiveres passieren als die Veröffentlichung ihrer Bekenntnisse im Wortlaut.
Daher die doppelstrategische Diffamierung „Lügenpresse“.
Was der Dresden-Fahrer zudem für mitteilenswert hielt, war sein Status als pensionierter Oberstudienrat.“
Ulrich Spangenberger aus Ostfildern:
„Selten habe ich in der Frankfurter Rundschau einen Kommentar lesen müssen, den ich so schlecht nachvollziehen kann, wie ‚Siggis Signal‘ von Karl Doemens in Ihrer Ausgabe vom 26.01.2015.
Ich bin weiß Gott kein Freund von Sigmar Gabriel. Aber, was um Himmels willen, veranlasst den Kommentator zu dieser einseitigen Stellungnahme. Natürlich gehen diese Leute, die sich als Pegida versammeln, auch auf die Straße, weil in ihnen eine gute Portion Fremdenfeindlichkeit steckt. Sonst hätten sie sich ja nicht so einfach von der extremen Rechten einfangen lassen.
Nach meiner Meinung sind aber auch viele Unzufriedene dabei. Menschen, denen man über Jahrzehnte beigebracht hat, dass sie nichts wert sind, dass sie sich täglich ducken müssen. Sei es vor der herablassenden Behandlung durch Mitarbeiter in den Amtsstuben, die selbst die Vorschriften kaum verstehen, sei es vor den Demütigungen der Hartz IV-Gesetze, sei es vor der Last der kaum zu bezahlenden Miete, sei es vor dem wachsenden Vertrauensverlust in die Rentenversicherung, sei es vor dem täglichen Kampf um oder am Arbeitsplatz. Viel viel mehr ließe sich hier noch einbringen. Alles das sind Dinge, die den Alltag mancher Menschen erst recht zu einer Qual machen, wenn auf der anderen Seite fast täglich von Korruption und Unterschlagung bei Behörden oder Aufsichtsräten berichtet wird oder wenn man liest, wie schnell oftmals führende Politiker in die Wirtschaft wechseln. Ein Schelm, der Übles dabei denkt.
Vielleicht wollen aber auch die Politiker mit Ihrer beharrlichen Weigerung der Kontaktaufnahme lediglich von dem eigentlichen Problem ablenken. Dem Problem nämlich, dass sie viel mehr Angst davor haben, sollte es sich bestätigen, dass die Demonstranten eher wegen ihrer täglichen kleinen Nöte auf die Straße gehen, also nur auf den Zug der Fremdenfeindlichkeit aufgesprungen sind. Dann hätte die Politik insgesamt ein ganz anderes Problem. So können unsere Staatenlenker alles auf die Fremdenfeindlichkeit schieben. Sollte dem so sein, müssten sie Pegida fast dankbar sein, dass wieder mal so schön abgelenkt wird. Man braucht also nicht unbedingt immer eine Fußballweltmeisterschaft.
Doch zurück zum Thema: Es ist hoffentlich übertrieben, wenn die Pegida-Demonstranten rufen ‚Wir sind das Volk‘. Aber sie sind auch das Volk. Waren wir nicht vor ein paar Tagen noch alle begeistert, Charlie Hebdo zu sein?
In meinen Augen ist es kein guter Einfall, mit diesen Menschen nicht zu reden und sie auszugrenzen. So überheblich sollte man nicht sein. Denn nur wenn man miteinander redet, hat man die Chance zu begreifen, was der andere möchte. Deshalb finde ich in diesem Fall das Verhalten von Sigmar Gabriel beispielhaft.“
Bernd Bremen aus Aachen:
„Bereits in den Achtzigerjahren stellten die regelmäßig erhobenen Sinus-Studien einen recht stabilen zweistelligen Bodensatz an gefestigten rechtsextremen und rassistischen Einstellungen der Bundesbürger-West fest. Die Ergebnisse der neuesten Studie der Friedrich-Ebert-Stiftung „Fragile Mitte – feindselige Zustände“ knüpfen, diesmal bezogen auf die gesamtdeutsche Bevölkerung, nahtlos an die Vorläufer an. Die Ab- bzw. Ausgrenzung von Fremden oder fremd aussehenden Menschen sowie von Menschen, die durch das Raster eines brutal-kapitalistischen Kosten-Nutzen-Kalküls fallen, gepaart mit Demokratie-Müdigkeit und Europafeindlichkeit findet sich zu einem hohen Prozentsatz bei den Anhängern rechter (z. B. AFD) bis faschistischer (z. B. NPD) Parteien. Dies ist auch das Spektrum, dem die meisten Pegida-Organisatoren zuzurechnen sind, mögen sie noch soviel Kreide fressen, um in ihren Verlautbarungen Anknüpfungs-punkte für nebulös Unzufriedene zu bieten.
Mit Entsetzen muss allerdings registriert werden, welche Bühne diesem Spuk mittlerweile geboten wird. Soviel einschleimendes Verstehen der phantasierten „Sorgen, Nöte und Ängste verunsichter Mittelstandsbürger“ war selten. „Rosen auf den Weg gestreut“ – jetzt auch noch vom privatisierten Vizekanzler Gabriel?
Als in den Achtzigerjahren die Friedensbewegung hunderttausende Demonstraten gegen die atomare Aufrüstung diese Landes auf die Beine brachte, wurde ihnen von Seiten der Regierenden (Innenminister Zimmermann) ein nur verächtliches „die demonstrieren, wir regieren“ entgegen geschleudert. Diejenigen, die den Pegida-Ausgrenzern von heute mit ach so viel Verständnis entgegen kommen, möchte ich eine eindeutige Grenzlinie mit auf den Weg geben: „Alle Menschen sind frei und gleich an Würde und Rechten geboren…(Art. 1) Jeder hat Anspruch auf alle in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten, ohne irgendwelchen Unterschied, etwa nach Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Sprache, Religion, politischer oder sonstiger Anschauung, nationaler oder sozialer Herkunft, Vermögen, Geburt oder sonstigem Stand…(Art.2) Alle Menschen sind vor dem Gesetz gleich und…haben Anspruch auf gleichen Schutz gegen Diskriminierung…(Art.7) Jeder hat das Recht, jedes Land…zu verlassen (Art.13)… und in anderen Ländern vor Verfolgung Asyl zu suchen und zu genießen (Art.14)“ – Auszug aus der „Allgemeinen Erklärung der Menschrechte“ der Vereinten Nationen vom 10.12. 1948, welche eine Entsprechung u. a. auch im Grundgesetz dieses Landes haben und damit Verbindlichkeit für alle, die hier leben!“
Ulrich Spangenberger hat mit seinem Leserbrief ins Schwarze getroffen. Mir zumindest ist nicht wirklich klar wofür die Menschen die da auf die Straße gehen wirklich stehen. Das Einzige was wohl klar ist das da einige Dampf ablassen wollen. Ich tue mich schwer so etwas vorbeugend zu verurteilen.
Mal wieder so ein hochgeschriebener Popanz?
Jeder Gedanke, der an der Peripherie einer Gesellschaft geäußert wird, hat selbstverständlich Wurzeln und Sympathien in deren Mitte. Sie wäre sonst keine Mitte.
Tut mir leid, dieses ideologische Geschwafel von einer scheinbar stabilen und wertsetzenden Mitte, die gleichzeitig der verfaulenden Stabilität und der beginnenden Fäulnis der Beliebigkeit verdächtigt wird, geht mir auf den Geist.
Wenn man eine Mitte wünscht, dann muß man auch eine definieren. Und wenn man eine definiert hat, muß man sie auch respektieren. Wenn jeder, der sich zur Mitte durchgekämpft hat, sogleich wegen der Mittelmäßigkeit abgekanzelt wird, ist Radikalisierung des Resultat, und wenn sich Journalisten nach Belieben auf die stabile Mitte berufen und diese gleichzeitig denunzieren, dann ist Pegida die logische Folge.
Jetzt und hier wäre es angesagt, ehrliche Medienkritik zu vollziehen. Politik ist nicht die Verifizierung journalistischen Fähnchenhängens.
Aus der phantasierten „vierten Gewalt“, was an sich schon ein überheblicher Anspruch ist, nicht zu einer realen vierten Gewalt zu werden, wäre die Aufgabe heutiger Presse.
Zu „Gabriel bei den Wutbürgern“ in der FR vom 26.01.15 schrieb ich den folgenden Leserbrief, den ich nicht veröffentlicht bekommen zu haben ich verstehe; denn die FR ist schließlich kein Satireblatt:
„Mit Pegida reden! Wie kämen wir dazu? Im Kopf, im Bauch: klare Kante, klare Abgrenzung! Einzige Übereinstimmung: nicht miteinander reden! Ach, noch eine Übereinstimmung: die Suche nach physischer Nähe. Wenn nur die Polizei sich nicht überall einmischen würde!
Nun hat einer privat mit denen geredet, den man privat und in der SPD den Sigmar nennt. Mit wem von denen er geredet haben hätte können, ist noch nicht so richtig raus; denn denen ist vor kurzem ihr Führer abhanden gekommen. Bei den Sozen ist man trotzdem sauer und würde den Siggi am liebsten ins Fegefeuer stecken.
Nach den allgemeinen Regeln der Politik werden die Brandstifter kaum die Nutznießer des Feuers namens Pegida sein. Auf dem werden alternativlos-dumpf-deutsch-nationale Cleverles ihr Süppchen kochen. Da die SPD sich immer demokratisch standhaft geweigert hat, mit Grünen und Linken überhaupt nur zu reden, können wir sicher sein, daß sie nie in Versuchung kommen wird, jemals mit der AfD zu reden.
Laßt uns nicht miteinander reden!“
Pegida ist letztlich das Resultat einer jahrezehntelangen Tabuisierung von Problemen, die von der Politik als unerlaubtes Nichtdenken vorgegeben wurden.
Einen Niederschlag dieser Diskussionsverweigerung dürfte sich in der Zahl der Nichtwähler wiederspiegeln.Diese Prozentzahl hat sich seit vielen Jahren bzw. seit Jahrzehnten nicht verringert, die Nichtwähler schwiegen daher und ballten oft frustriert die Faust in der Tasche, auch weil die Medien ihnen die richtige, weil staatlich erlaubte Gesinnung vorschrieben.
Jetzt kommt erstmals die Spitze eines Eisbergs zu Vorschein und schon fühlen sich viele bemüßigt, alle Teilnehmer der Pegida in einen Sack zu stecken, auf dem man mit (moralisch einwandfreiem Gewissen als Inhaber einer absolut richtigen Moral) munter eindreschen darf.
So einfach ist das nicht und die ausgepackten Dreschflegen sollten gegen ein gewisses Nachdenken eingetauscht werden.
Sehr geehrte Frau Massingue,
ich bin zwar von Ihnen nicht angesprochen worden, aber der Überzeugung, dass lustige „Milchmädchen“-Rechnungen (ein paar Tausend Pegida-Babys werden kaum das behauptete Rentenproblem lösen) nicht gerade hilfreich sind, wenn eine Gesellschaft sich zu spalten droht und Probleme offenbart, zumal diejenigen, die Sie damit veralbern, so auch nicht zum Dialog aufgefordert werden.
Es gibt gegensätzliche Ansichten darüber, ob der Islam ohne Wenn und Aber zu Deutschland gehört, es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, was „mehr Zuwanderer“ in genauen Zahlen bedeuten soll, es herrscht allgemein ein ziemlich aufgeheiztes politisches Klima, wenn ich mir die leidenschaftlichen Pegida- und Anti-Pegida-Fronten anschaue. Und es werden viele sehr abstrakte und verallgemeinernde Begriffe in die Diskussion geschleudert („Islamisierung“, „Lügenpresse“, „Rassismus“, „buntes Deutschland“, „Weltoffenheit“, „Deutschtümelei“), die zu der Diskussion darüber, wie viele Zuwanderer wir konkret in den nächsten Jahrzehnten willkommen heißen können, ohne dass unser Arbeitsmarkt, unsere Sozialkassen, unser Gehaltsniveau, unser Wohnungsmarkt Schaden nehmen, wenig Brauchbares beitragen.
Vielleicht hat der Umstand, dass (Zitat von Ihnen) „die fleißigen jungen Leute fehlen, die unsere Renten erwirtschaften und dafür sorgen, dass unser Lebensstandard erhalten bleibt“, auch damit zu tun, dass viele Menschen hierzulande in unsicheren (!), nicht gut bezahlten Beschäftigungsverhältnissen leben (oder sogar arbeitslos sind), mithin gar nicht in der Lage wären, die von Ihnen erhofften drei Kinder pro Demonstrant großzuziehen. Ich kenne persönlich, glauben Sie es oder nicht, junge Leute, die schon zweifeln, ob sie es schaffen, e i n Kind die nächsten 20 Jahre durchzubringen. Die Tarifentgelte in der boomenden Logistik-Branche zum Beispiel beginnen, wie ich vor Kurzem tagesschau.de entnehmen durfte („Paketgeschäft der Deutschen Post: Neue Jobs, aber schlechter bezahlt“), bei Stundenlöhnen von knapp über zehn Euro. Da bringt Papa nicht super viel Nettoeinkommen mit nach Hause (und mit zwei oder drei Kindern kann Mama auch schlecht fulltime arbeiten gehen und Kitas finanzieren).
Wenn die betroffenen Paare dann keine Kinder bekommen, nennen wir das „demografischer Wandel“.
„Ihr Pegida-Anhänger wollt jedoch keine Zuwanderer haben, …“ Es geht nicht darum, ob man Zuwanderung bejaht oder nicht (zurzeit werden Themen leider gern in Extremen und abstrakt diskutiert, das macht die Sache so griffig); es geht darum, Zuwanderung verträglich für die bestehende Gesellschaft und das hiesige Arbeitskräftepotenzial zu gestalten und neben der Willkommenskultur für neue Bürger diejenigen nicht zu vergessen, die bereits hier sind und von der angeblich guten wirtschaftlichen Lage nicht allzu viel verspüren.
Der OECD-Migrationsexperte Thomas Liebig hat in der FR vom 27.01. auf die Frage: „Wie viele Zuwanderer brauchen wir denn, um die Folgen des demografischen Wandels auf dem Arbeitsmarkt und in den Sozialkassen abzufedern?“ sehr klug geantwortet: „Die Zuwanderung kann nur ein ergänzendes Mittel zur Bewältigung des Fachkräftemangels sein. Der Schwerpunkt muss in Zukunft darauf liegen, das heimische Potenzial besser zu nutzen, und dazu gehören auch die bereits hier lebenden Migranten und ihre Kinder.“ – Wenn das gelingt, sehr geehrte Frau Massingue, klappt‘s vielleicht auch mit weiteren Babys nicht nur von „Pegida-Anhängern“.
P.S. @Bronski „Mit ‚Pegida‘ reden? … Worüber denn reden? Dass ‚Pegidisten‘ Muslime nicht mögen? Dass der Islam an allem Schuld ist?“ Ganz abgesehen davon, dass die ersten (nicht-repräsentativen, aber zur Hypothesenbildung geeigneten) „Pegida-Umfragen“, mit aller Vorsicht gesagt, darauf hindeuten, dass die Demonstranten auch durchaus noch andere Anliegen hegen, z.B. Kritik an der als nicht immer ganz objektiv empfundenen Medienberichterstattung üben und glauben, dass Politik über ihre Köpfe hinweg gemacht wird: Laut ZDF-Politbarometer vom 30.01. sind drei Viertel der Bundesbürger dafür, dass die politischen Parteien mit „Pegida“ [gibts ja jetzt doppelt] Gespräche führen, 20 Prozent dagegen. Daraus ist wohl zu schließen, dass viele Wähler und Mediennutzer weniger Berührungsängste verspüren als einige Politiker und Journalisten oder schlicht erkennen, dass es in einer Demokratie nur die Möglichkeit, zum Dialog aufzufordern, gibt.
Ich kann Ihr Unbehagen am Begriff „Leitkultur“ (und Ähnlichem) im Übrigen sehr gut nachvollziehen, bekenne aber, dass ich Eckpfeiler wie „Weltoffenheit“ und „Buntheit“ als Attribute (Leitkultur? Wertekonsens?) einer Gesellschaft auch recht abstrakt finde und zumindest unzureichend, wenn es ums konkrete Zusammenleben von 80 Millionen Menschen geht. – Ich weiß meinerseits übrigens auch nicht so genau, was ich mit einigen der inzwischen angeblich 436.409 Unterzeichnern von „Für ein buntes Deutschland / No Pegida“ reden soll. Die Menschen, die auf der Website Statements über die Gegenseite erstellen oder „liken“ wie „Weg mit der braunen Schmiere von unseren Strassen! Dieser Pöbel beleidigt meinen Sinn für Anstand und Demokratie!“, „Die scheis nazis sind“, „Weil, Pegida ein Haufen unterentwickelter Menschen ist“ usw. usf., (v)erschrecken mich. Ich habe nicht mitbekommen, dass der Organisator der Petition so etwas löscht oder auch nur ein Politiker oder Journalist sich über derlei Äußerungen aufregt. (Es sind ja Äußerungen der „Guten“?)
… Ich möchte den Schluss meines Beitrags noch ergänzen, um klarzustellen, um was es mir geht:
Auch wer gegen eine seiner Meinung nach schlechte Sache kämpft, hat demokratische Spielregeln einzuhalten und sich an seine hoffentlich gute Kinderstube zu erinnern, um nicht unglaubwürdig zu werden.
Ich lese heute im Rhein-Main-Teil S. 1 („Lauter Protest gegen Pegida. Rund 80 Anhänger der umstrittenen Bewegung demonstrieren in Frankfurt“): „Wie in der vergangenen Woche wurden Eier auf die Pegida-Anhänger geworfen, außerdem flogen vereinzelt Flaschen und Feuerwerkskörper … Bereits vor Beginn der Kundgebung versuchten Antifa-Aktivisten die Zugänge zum abgesperrten Bereich zu blockieren.“ Im Liveticker der FR auf ihrer Website war zu lesen: „18.52 Uhr: Gerade wurde ein Böller mitten in die Pegida-Demo geworfen. Die Gegendemonstranten jubeln, die Polizei fordert, das zu lassen.“ Es waren angeblich 1.500 bis 2.000 „Gegendemonstranten“ bei 80 „Demonstranten“. Im Übrigen: Wenn bei einem Spiel von Eintracht Frankfurt Hooligans Böller werfen, erregt sich die Öffentlichkeit und Eintracht Frankfurt wird ggf.zur Kasse gebeten.
Redakteur Stefan Behr hat in der FR vom 28.01. bezogen auf die vorherige Demonstration dankenswerter Weise klar Stellung bezogen: „Es mag ja noch angehen, dass man einen Aufmarsch von Menschen, die man aus guten Gründen in der extrem rechten Ecke verortet, durch massenhafte Präsenz verhindert. Keinesfalls hinnehmbar ist es, wenn diese Menschen von einem Mob, der ihnen zahlenmäßig vielfach überlegen ist, beim Versuch, den Versammlungsort zu erreichen, attackiert werden – wie dies am Montagabend geschehen ist. Auch wenn viele Gegendemonstranten vor Ort Manieren zeigten: Die handgreiflichen Pöbler waren keinesfalls in der verschwindenden Minderzahl.“ Überschrift seines Statements: „Keine Jagd auf Menschen“. Soll heißen: Die 80 Personen, die da am Montagabend demonstriert haben, muss man in keiner Weise mögen, man kann auch eine Gegendemonstration durchführen, um sich gegen deren Meinung zu wehren. Wenn allerdings auch die Gegenseite zu (mit verbaler oder tatsächlicher Gewalt agierenden) „Wutbürgern“ aufläuft, geht in einer Demokratie definitiv etwas daneben. Im FR-Deutsch heißt das dann: (Ankündigung Titelseite 03.02.): „H e f t i g e Proteste [gegen Pegida]“ Fliegende „Eier, Flaschen und Böller“ sind, mit Verlaub, nicht nur heftig, sondern als Protest gegen eine „umstrittene Bewegung“ schlicht und ergreifend unakzeptabel. So wie es Herr Behr formuliert hat.
@ eh: Danke für Ihren Kommentar #5. Er spricht mir aus dem Herzen.
@ bronski: wenn in Frankreich fast die gesamte Nation als Reaktion auf die Anschläge auf Charlie Hebdo die Marsaillaise anstimmt, dann ist das ein patriotischer Akt. Sollte in Deutschland (in einem ähnlichen oder anderen Fall) die deutsche Nationalhymne angestimmt werden, wäre auch dies ein patriotischer Akt.
Meines Erachtens in beiden Fällen zu begrüßen.
Patriotismus ist eine gute Sache – wer sein Land nicht lieben bzw. das beste dafür wollen darf ist meines Erachtens heimatlos.
@“Lügenpresse“:
ich finde es verstörend, wenn in der gängigen Presse und den GEZ-finanzierten Programmen regelmäßig von Aufmärschen die Rede ist, sobald Pegida demonstriert, jedoch immer von Demonstrationen, sobald es die Gegenbewegungen betrifft.
Ich habe den Verdacht, dass neben dem löblichen Motiv der Gegedemonstranten,gegen Fremdenfeindlichkeit anzukämpfen, bei ihnen auch ein Gutteil Wichtigtuerei und Spaß an der Selbstdarstellung (vielleicht auch am Krawall) mitspielt. Ich frage mich sowieso, wieso diese 80 Pegida-Hansels so aufgewertet werden. Bei uns in Frankfurt würde sich keiner nach ihnen umgucken, wenn sie nicht wegen der Gegendemos immer wieder so viel Aufmerksamkeit bekämen.
Ich kann aus meiner eigenen politischen Erfahrung, meiner historischen Kenntnis und aus meinen Aktivitäten und kommunikativen Aktionen der letzten 50 Jahre nur mutmaßen, aber mir scheint da ein Grundproblem aufzuscheinen. Wo ich in den 70er und 80er Jahren noch einen Zusammenhalt und eine stabile gesellschaftliche Mitte ausmachen konnte, löst sich diese, inzwischen ominös und instabil gewordene Mitte für mich – und für Andere – inzwischen auf, zerfasert an den Rändern, schottet sich ab und verliert immer mehr an Zusammenhalt. Warum diese Entkernung? Weil mensch den Glauben an die Stabilität und die Botschaft der Demokratie verloren hat. Dies nicht, weil er vorher einem Irrglauben anhing, sondern weil er spürt, wie diejenigen, die eigentlich die Gesellschaft halten, stabilisieren und weiterbringen müßten, selbst nur noch entweder Erfüllungsgehilfen, mehr oder weniger korrumpiert, des Kapitals und/oder von Eigeninteressen wurden, oder schon längst auf ihrem Marsch durch Institutionen, Funktionen und diverse Schlechtwetter-Phasen schon längst resigniert und die Flinte in den Doppelkorn geschmissen haben.
Eine Demokratie, die sinnentlehrt ist, nicht mehr an sich selbst glaubt und ihre Vorbildfunktion, welche ja durch Personen vertreten wird, verloren hat, ist nichts mehr wert, und schon gar keinen Kampf.
Und dies machen sich sowohl Populisten von rechts – Pegida/AfD – als auch von links Occupy/Podemos – zu Nutze, mit unterschiedlicher Argumentation. Rechts, weil man immer schon wußte, das es ohne Zucht, Ordnung und einen Führer, der für all dies sorgt, nicht geht; und links, incl. Anti-Pegida, weil Chaos Spaß macht und dagegen sein sowieso. Pegida und AfD sind Projekte der Generation 50+, und Occupy eher ein Projekt der generationX bzw. 20+. Vielleicht die Sixties/Seventies 2.0 oder reloaded?
In Europa zeichnet sich bereits dieses Auseinanderdriften und diese Spaltung ab. Ich wette, bis Jahresende wird sich Einiges sehr gewandelt haben. Hoffen wir nur, daß es dann noch einige unverzagte Demokraten gibt, welche die Brocken aufsammeln.
@ Wolfgang Fladung:
ich bekenne mich hiermit als AfD-Sympathisantin UNTER 50 Jahren, die absolut auf Zucht und einen Führer verzichten kann. Gründe für die AfD-Sympathisantie: Euro-Gegnerschaft (nicht zu verwechseln mit Europa-Gegnerschaft) und Gegnerschaft der „Energiewende“.
Ich sehe mich übrigens durchaus als Demokratin.
# 10, deutscher Michel (oder Micheline): Ja, klar, es gibt ja auch „soziale“ Demokraten, „freie“ Demokraten, „christliche“ Demokraten und „nationale“ Demokraten. Alles eine Frage der Definition.
#11: Wolfgang Fladung.
Na, dann ist ja bestimmt eine kleine Schublade dabei, in die ich genau hineinpasse.
#9: Danke für Ihren Beitrag,#12: Ich denke ja, man sollte niemanden leichtfertig in eine Schublade stecken, jede Partei und Gruppe vereint sehr unterschiedliche Sichtweisen ihrer Mitglieder. #8: Ja, stimme Ihnen zu, vielleicht ist ein Teil der Gegendemonstranten mehr aus Spaß an der Action als aus tiefer Überzeugung dabei.Dumm nur, dass die Spaßdemonstranten implizit als seriöse, moralisch integere Kämpfer mit gezählt werden. Es gibt offenbar auch bei Contra-Pegida solche und solche.
Den anderen Überzeugten billigt Michael Herl in der FR (03.02.) neuerdings eine „GUTE WUT GEGEN FREMDENHASS“ zu. Also, es gibt in neuzeitlicher Lesart böse, dumme Wutbürger (aus Dresden und so) und gute Wutbürger. Letztere ziehen als Rächer gegen „Fremdenhass, Islamophobie und Antisemitismus“ sowie, für den, der es gern noch eine Nummer größer hat: quasi gegen die drohende potenzielle Machtergreifung von Pegida zu Felde.
Vorweg: Wut „ist eine sehr heftige Emotion und häufig eine impulsive und aggressive Reaktion (Affekt)“, die schwer zu beherrschen ist (Quelle der Einfachheit halber: Wikipedia). Man darf als Pegida-Gegner, so lerne ich nun aber, legitim wütend sein … „Die Fassungslosigkeit über tumben Fremdenhass darf ruhig auch mal in lauten und aggressiven Protest umschlagen.“ Sagt Herr Herl. Gewalt sei zwar „immer abzulehnen, Aggressivität ist hässlich und Wut ein schlechter Ratgeber.“ Sagt Herr Herl. „Erst recht gilt das, wenn nicht ein Einzelner gewalttätig ist, aggressiv oder wütend, sondern eine Menge Menschen. Die schaukeln sich dann gegenseitig hoch, stacheln sich an, geraten kollektiv in Rage. Wer könnte davon ein furchtbareres Lied singen als wir Deutschen …“ Trotzdem kann Herr Herl es den Pegida-Gegendemonstranten offenkundig irgendwie doch auch wieder nicht so ganz übelnehmen, wenn Gegenstände mit aggressiver Tendenz in Richtung der „Islamgegner“ fliegen. Einigen Demonstranten, sagt Herr Herl, „ist es zu wenig, nur durch pure Anwesenheit ihren Protest zu zeigen. Sie wollen die direkte Konfrontation. Wollen die sehen, die ihnen Angst machen. Dass ihre Furcht in Wut umschlägt, in traurige Wut, dass sie diese hinausschreien, wer soll ihnen das verdenken? Es sind viele ältere Menschen, aber auch sehr viele sehr junge. Unter zwanzig. Einige werfen Böller, Eier, Steine. Das ist nicht richtig. Das ist zu verurteilen. Doch ihre Wut, sie ist zu verstehen.“
Es ist sicher nicht falsch, dass Herl den seriösen Gegendemonstranten Sorgen und Ängste unterstellt. Den anfänglichen Dresdner Demonstranten hat man ja jedoch nicht mal zum Teil die Furcht vor islamistischem Terror abgenommen geschweige denn irgendwelche anderen ernsthaften Anliegen. Nun haben die Gegendemonstranten also, wie der Autor nahelegt, Angst vor der Rückkehr von 1933. Mit Verlaub, schon vor 1933 haben Nazis Andersdenkende zusammengeschlagen, randaliert und einmal an der Macht dann zu Millionen ermordet. Und es hat damals auch Gewalt von der Gegenseite, der extremen Linken, gegeben, was den Aufstieg der NSDAP letztlich nicht verhindert, die politischen Sitten allerdings verroht hat. Unsere heutige Situation mit Pegida damit zu vergleichen, ist ziemlich gewagt.
Unterm Strich wehre ich mich dagegen, neuerdings in politischen Auseinandersetzungen „Wut“ und „aggressiven Protest“ wie Herr Herl als legitimes Ausdrucksmittel einzustufen, weil man meint, „mit Argumenten“ nicht weiterzukommen. Das lässt für zukünftige Für- und Gegen-was-auch-immer-Demonstrationen, die ja immer angemeldet werden, weil irgendeine Gegenseite die eigenen Argumente nicht teilt, einige emotionale Eruptionen erwarten, deren Legitimität dann vom jeweiligen Betrachter abhängt. Und die Wut, die leicht in Tätlichkeiten umkippt, ist mit Gewissheit nicht Prinzip eines (unseres) Rechtsstaats. Er sieht auch nicht vor, den „äußersten rechten Rand“, dessen Existenz selbstverständlich nicht zu leugnen ist (!), mit „aggressivem Protest“, rohen Eiern und Feuerwerkskörpern zur Besinnung zu bringen. Besonnenheit, Argumente und das Strafgesetzbuch sollten und müssen reichen.
@ Wolfgang Fladung #9:
Dass die AFD ein Projekt der Generation 50+ ist, legt übrigens auch das Ergebnis der Bürgerschaftswahl in Hamburg nicht nahe:
[http://wahl.tagesschau.de/wahlen/2015-02-15-LT-DE-HH/].
Die AFD ist eine der wenigen Parteien, deren prozentuale Zustimmung in allen Altersgruppen annähernd gleich ausgeprägt ist.