Derzeit haben Pazifist:innen es hierzulande nicht leicht, denn wie wehrt man sich gegen einen Aggressor wie das Russland Putins, wenn nicht dadurch, dass zurückgeschossen wird? Im Fall der angegriffenen Ukraine: dadurch, dass man sie in die Lage versetzt, angemessen zurückschießen zu können. Also Waffenlieferungen. Darüber besteht trotz kritischer Stimmen weitgehend Einigkeit in der Bevölkerung Deutschlands. Dafür hat die Regierung einen Paradigmenwechsel eingeleitet: Plötzlich sind Waffenlieferungen in Krisengebiete erlaubt. Und sie will unzählige Milliarden Euro in die Hand nehmen, um die Bundeswehr wieder in die Lage zu versetzen, das Land zu verteidigen. Das ist ihr Auftrag. Lustig ist natürlich, dass ausgerechnet die Parteien die Politik von Kanzler Olaf Scholz (SPD) kritisieren, die zuvor durch jahrelange Sparpolitik unter anderem dafür gesorgt haben, dass die Bundeswehr eben diesem Verteidigungsauftrag offensichtlich nicht mehr nachkommen kann. Kaputt gespart, wie so vieles in diesem Land. Man denke an das Gesundheitswesen. Lauter CDU-Politiker und -Politikerinnen. Und natürlich stößt es auch sauer auf, wenn schlagartig Milliarden an Euro für die Rüstung zur Verfügung stehen, während 13 Millionen Menschen in Deutschland an oder unter der Armutsgrenze leben, darunter auch mehrere Millionen Kinder. Deren Zukunftsperspektiven sehen düster aus. Wären die Milliarden dort nicht besser investiert?

Zurück zum eigentlichen Thema: Pazifismus. Aber auch wenn es um Hartz IV geht, sind wir im Prinzip mittendrin in diesem Thema, denn dabei geht es um einen sozialen Ausgleich, der allen Betroffenen ein menschenwürdiges Leben ermöglichen soll. So der Grundgedanke. Die Praxis sieht zwar anders aus, aber ganz generell kann man sagen: Das ist ein pazifistischer Gedanke. Es geht um den sozialen Frieden. Der weiterführende Gedanke ist: Nur ein Land, das Zusammenhalt lebt, wird auch künftig friedlich sein. Ein ganz einfacher Gedanke, eigentlich eine Binsenweisheit. Die Bundesrepublik lebt diesen Zusammenhalt jedoch nicht, denn die Schere zwischen Arm und Reich öffnet sich ständig weiter. Gerade in diesen Zeiten galoppierender Inflation lässt sich beobachten, wer davon am meisten betroffen ist. Wer das Leid trägt. Und dann sind trotzdem mal eben ganz schnell 100 Milliarden „Sondervermögen“ für die Bundeswehr drin? Wobei der Begriff „Sondervermögen“ ein Euphemismus ist. Korrekt müsste man dazu sagen: Schattenhaushalt.

In der Ukraine trägt das Leid unzweifelhaft die Zivilbevölkerung. Wie immer im Krieg. Wir hier in Westeuropa bekommen Bilder von dort zu sehen, die kaum zu ertragen sind. Krieg als Fortsetzung von Politik mit anderen Mitteln? Für Putin ist das offenkundig mehr als eine Erwägung wert. Der russische Präsident verfolgt nach allem, was mir darüber bekannt ist, eine imperialistische Politik. Imperialismus ist etwas, was allen Pazifist:innen zuwider ist, zuwider sein muss. Das ist Interessenpolitik, die auf Nationalismus fußt und zu Unterdrückung, Auslöschung, Völkermord führt. Wobei die Frage noch nicht beantwortet ist, wessen Interessen in diesem Fall eigentlich verfolgt werden. Ob da vielleicht nur ein kranker Napoleon das Zepter führt? Das werden uns Historiker vermutlich erst in vielleicht 20 Jahren sagen können, wenn man die Dokumente ausgewertet haben wird über das, was zurzeit tatsächlich im Kreml passiert. Die Brutalität der russischen „Streitkräfte“ ist dabei aber evident. Den Haar ermittelt bereits. Übrigens auch gegen ukrainische Verdachtsfälle.

Was bedeutet das für die pazifistische Haltung heutzutage? Außer dass das alles schwer auszuhalten ist, nein, eigentlich nicht ausgehalten werden kann? Dieser schwierigen Frage widmet sich nicht nur die FR-Serie „Friedensfragen“, sondern auch der Leitartikel von Chefredakteur Thomas Kaspar vom 12. Juli: „Gewissensprüfung“.

fr-debatteDer größte Feind ist der Stress

Das paradoxe Schicksal des Pazifismus lautet: Wenn wir ernsthaft davon reden, ist es meist zu spät. Jedes rationale Argument gegen ihn bringt ihn ins Stolpern, und es bleibt beim hehren Traum. In Stresssituationen kann Pazifismus nicht gedeihen. Das wusste auch die Bundeswehr, die einst mit Stressfragen in Extremsituationen Kriegsdienstverweiger zum Einknicken brachte. Mit Recht sind solche Fragen nicht mehr zugelassen, wie der Autor eingangs erwähnt. Aber sind wir heute weiter? Kriege werden seit Fernsehgedenken in aller Welt geführt, und wir konsumieren die Berichte, bestehend aus Tragik, Heldentum, Helfertaten und wirkungslosen Friedensappellen quasi als normalen Alltag. Warum nehmen wir all diese Kriege in der Welt wie eine Normalität hin? Weil wir ahnen, dass die massive Ungleichheit der Menschen und der Güterverteilung auf die Dauer nicht im Frieden möglich ist? Erst wenn der Krieg in der Nähe unserer Haustür landet, fangen wir an, uns Gedanken zu machen. Und was tun wir? Wir verfallen in Stress und Panik, und lassen uns von den Kriegsherren noch weiter da hineinziehen. Mehrheitlich treffen wir uns in der Meinung, dass jetzt nur noch Waffen und glaubhafte starke Antworten helfen. Doch innerlich fühlen wir uns womöglich gar nicht danach und fürchten, dass unsere Waffen nicht genügen.
Der größte Feind ist vielleicht nicht Russland, sondern der Stress: Er ist der wahre Kriegsherr. Ohne Stress kann kein Krieg geführt, geschweige denn durchgehalten werden. Auch Putin weiß das. Mit seinem katapultartigen Überfall auf die Ukraine ohne jede Vorankündigung, obwohl die Geheimdienste es längst wussten, hat er für die Weltöffentlichkeit ein optimales Stressszenario erzeugt. Er selbst braucht diesen Stress nun noch weiter für sich, um seinen Tunnelblick für eine Berechtigung des Kriegs aufrechtzuerhalten. Die erste Voraussetzung für eine Beendigung des Kriegs wäre also, das Stressniveau herunterzufahren. Die massive militärische Aufrüstung bewirkt dies jedenfalls nicht. Hier kommt die Gretchenfrage: Wie halten wir’s mit dem eigenen und dem damit verbundenen globalen Stress? Eine solche Diskussion könnte für eine umfassende Entspannung sorgen und ein einendes Thema auf dem Tisch von Friedensverhandlungen bilden.

Werner Schieferstein, Frankfurt

fr-debatteKeine Schwarz-Weiß-Bilder oder Polarisierungen

Der Leitartikel spiegelt genau meine Haltung zum Ukraine Krieg wider. Ich bin immer Pazifist gewesen, kann die täglichen Bilder vom Krieg in den Nachrichten aber kaum ertragen, fühle mich herausgefordert und unterstütze letztlich in dieser Notwehrsituation die Waffenlieferungen. Es ist und bleibt aber eine Gewissensfrage.
Genau deswegen lese ich die FR: Keine Schwarz-Weiss Bilder oder Polarisierungen aus dem Bauch heraus, Beschreibung moralischer Bedenken. Verhandlungen sind alternativlos.

Karl-Heinz Rodax, Löhne

fr-debatteGewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst ist nie eindimensional

Durch den russischen Überfall auf die Ukraine scheint der Pazifismus diskreditiert worden zu sein. Wobei sein Wesen und seine Bedeutung selten näher erläutert werden. Dass unter diesem Begriff sehr verschiedene Haltungen zur Gewalt subsumiert werden, ist manchen gar nicht klar. Die veröffentlichte Meinung unterscheidet kaum zwischen dogmatischem Pazifismus, Gewaltfreiheit oder zivilem Widerstand. Dass militärische Gewalt zwischen den Völkern angesichts ihres riesengroßen Zerstörungspotenzials kein Mittel der Politik sein darf, gilt als Konsens, ist aber vor allem ein Lippenbekenntnis, dem selten ein Handeln folgt. In Deutschland wird in diesem Zusammenhang auch die grundgesetzlich garantierte Gewissensentscheidung diskutiert, den Kriegsdienst verweigern zu können.
Im Streit um die Auslegung von Artikel 4, Absatz 3 des Grundgesetzes („Niemand darf gegen sein Gewissen zum Kriegsdienst mit der Waffe gezwungen werden.“) setzte sich bereits ab der Mitte der 1960er Jahre die juristische Auffassung durch, dass als Gewissensentscheidung jede ernsthafte, an den Kategorien von Gut und Böse orientierte persönliche Entscheidung gelten kann (siehe „Gerhard Leibholz & Hans-Justus Rinck, Kommentar zum Grundgesetz anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, Köln 1968 ff).
Der politisch unabhängige „Verband der Kriegsdienstverweigerer (VK)“, der 1966 eine vielbeachtete Informationskampagne in der gesamten Bundesrepublik startete („Aktion 4/3“, deren Symbol ein umgedrehter Stahlhelm war, aus dem eine Blume spross), wies vor dem Hintergrund der gültigen Rechtsprechung ausdrücklich auf diesen Sachstand hin. Folglich war und ist die Gewissensentscheidung gegen den Kriegsdienst nicht eindimensional.
Sie kann dogmatisch-pazifistisch und damit passiv sein im Sinn des unbedingten Lebenserhalts. Aber sie kann auch situativ der Gewaltfreiheit höchste Priorität einräumen, jedoch in anderen Zusammenhängen zu einer völlig anderen Auffassung gelangen. Der an den TV-Bildschirmen nachvollziehbar gewesene Vietnamkrieg führte im Kontext einer kritischen Rückblende auf den Nazi-Staat und einer ebenso schonungslosen Aufarbeitung von Adenauers restaurativer Politik dazu, dass ab 1968 die Anträge auf Anerkennung als Kriegsdienstverweigerer in die Höhe schnellten. In den Großstädten entschieden sich vielfach 90 Prozent der männlichen Abiturienten gegen den Wehrdienst.
Ich habe zwischen 1966 und 1969 im Ruhrgebiet ehrenamtlich in der KDV-Beratung gearbeitet. Dogmatischen Pazifisten bin ich dabei extrem selten begegnet. Vorherrschend war das Bekenntnis zur Gewaltfreiheit, das Ausnahmen anerkannte und sogar bewaffnete UN-Aktionen unterstützte. Als ich selbst vor dem Ausschuss erscheinen musste, der die Hieb- und Stichfestigkeit meiner Gewissensentscheidung feststellen sollte, wurde auch die in vielen Variationen existierende Frage nach der Notwehr gestellt. Ich antwortete sinngemäß, dass ich einem Angreifer das Gemächte zerschmettern und damit seine Männlichkeit zerstören würde. Denn wer böse und wer gut wäre, sei in dem konstruierten Fall eindeutig klar. Im Gegensatz dazu sei man Vater, der im Zweiten Weltkrieg eine Flak-Scheinwerferbatterie in Nordafrika kommandiert hatte, sich lange nicht sicher gewesen, ob die feindlichen Flieger tatsächlich aus niederen Beweggründen, nämlich aus Hass gegen Deutschland und Italien, angriffen. Als er die Zusammenhänge – viel zu spät – erkannte, musste er wohl oder übel auf der Seite der Bösen bis zum bitteren Ende weiterkämpfen – in Rom, in Südfrankreich, in Belgrad und zum Schluss am Rhein. In eine solche Situation aber wolle ich nicht kommen, wolle mich nicht gegen das eigene Lebensinteresse und das von anderen manipulieren und instrumentalisieren lassen. Eine solche Haltung sei mit meinen moralischen Grundsätzen unvereinbar. Nach einer 40-minütigen, teilweise kontroversen Verhandlung wurde ich anerkannt und leistete später zivilen Ersatzdienst.
Als Willy Brandt die Politik des Wandels durch Annäherung 1970 begann, fand sie meinen Beifall. Obwohl mir die Machtcliquen im Kreml und in Ost-Berlin herzlich unsympathisch waren. Aber ich hatte auch registriert, dass wegen des Rechts auf Kriegsdienstverweigerung in der BRD die DDR den Wehrpflichtigen immerhin (wenn auch unter hohen Hürden) einräumte, als „Bausoldaten“ Dienst leisten zu können – eine Regelung, die faktisch nur christliche Pazifisten in Anspruch nehmen konnten. In der Schweiz wurden damals Verweigerer kriminalisiert und häufig zu Haftstrafen verurteilt. Die christliche Friedensbewegung in der DDR, die unter dem biblischen Motto „Schwerter zu Pflugscharen“ ab den frühen 80er Jahren antrat und später zur friedlichen Revolution beitrug, wäre ohne die Entspannungspolitik nicht denkbar gewesen. Auch das Passierscheinabkommen in Berlin war eine Folge des „Tauwetters“, ebenso der Abbau der Selbstschussanlagen an der innerdeutschen Grenze. Das gute, vorbildhafte Beispiel, das Schule machen soll, ist nicht nur auf Goethes Theaterstück „Iphigenie auf Tauris“ beschränkt, welches das Humanitätsideal der deutschen Klassik in Erinnerung ruft. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass die Sowjetunion der deutsch-deutschen Vereinigung nicht zugestimmt hätte (möglicherweise auch nicht die Briten und Franzosen), wenn in Bonn so wie in den 50er und 60er Jahren die Ideologie des Kalten Kriegs vorgeherrscht hätte. Dass die Früchte von Brandts Friedenspolitik letztlich Helmut Kohl unverdient in den Schoß fielen, ist eine Ironie der Geschichte.
Auch nach dem Zerfall der Sowjetunion und später nach der Wahl Putins zum russischen Präsidenten hielt ich die Politik der Verständigung für die einzig vertretbare – in Deutschland, in Europa, in der Welt. Dass der neue Präsident sich sowohl von den Reformern Jelzin und Gorbatschow als auch von den zwar autoritären, aber letztlich besonnen handelnden Sowjetführern absetzte, ist nicht dem Pazifismus anzulasten. Vielmehr ist es ein Versagen der westlichen, keineswegs pazifistischen, Politik, die sich zunehmend einem globalen Neoliberalismus verpflichtet sieht und die unterschiedlichen Begehrlichkeiten in Ost und West ignorierte bzw. falsch analysierte. Denn dort hatte sich der Kapitalismus erneut mit dem nationalistischen Imperialismus vermischt. Die NATO, die von einigen, die zu kurz denken, als Mitverursacher gesehen wird, war längst zum Zuschauer degradiert worden. Der Untergang der Sowjetunion eröffnete einen neuen Wettbewerb, der jedoch von internationalen Kartellen bestimmt wird. Russland hat in diesem Konkurrenzkampf kräftig mitgemischt, was auch das Entstehen von Finanz- und Wirtschaftsoligarchen in diesem Land belegt. Als am 24. Februar dieses Jahres russische Truppen die sich allmählich demokratisierende Ukraine überfiel (was den Angriff mit auslöste), hat die neue weltweite Marktwirtschaft versagt, nicht aber der Pazifismus.
Letzterer muss deutlich machen, dass eine künftige Welt nur pazifistisch sein kann. Denn angesichts der von Menschen verursachten Klimaveränderung, von durch Hunger und Elend entfesselten Fluchtbewegungen, angesichts von Despotie, Rassismus, religiösem Fundamentalismus und Neoliberalismus kann die Erde nur überleben, wenn ihre Bewohner es schaffen, neue Werte zu definieren und durchzusetzen. Ebenso müssen die Friedensbewegten – wie zu Zeiten der 68er – auch den Schneid aufbringen, den Kampf um Freiheit, Humanität, Gerechtigkeit und Solidarität gegebenenfalls mit Waffen zu führen. Bereits gegen Hitler halfen keine Gebete und keine Appelle. Im Ringen mit Putin und anderen Autokraten werden sie ebenfalls nichts ausrichten. Nach der letzten Schlacht wird es dann darauf ankommen, tatsächlich und endgültig Schwerter zu Pflugscharen zu machen.

Klaus Philipp Mertens, Frankfurt

fr-debatteEine Aktentasche zum Schutz gegen  Strahlung

Ihr Leitartikel Gewissensprüfung in der Rundschau vom 12.7.22 veranlasst mich zu diesem Schreiben. Als staatlich geprüfter und bestätigter Kriegsdienstverweigerer kenne ich die Problematik inklusive Ihres Eingangssatzes mit der überfallenen Freundin nur zu gut. Aber eine kleine Korrektur trotzdem – das war damals Mitte der sechziger Jahre nicht „ein Russe“ sondern „der Russe“, welcher unsre Frauen vergewaltigte. Und nicht nur Freundinnen sondern auch unsre Mütter und Omas. Wie er halt so ist, der Iwan.
Bei meinem Prüfungsverfahren gab’s ein anderes, auch aus dem praktischen Leben genommenes Beispiel: ich liege da – wie es Frankfurter Kriegsdienstverweigerer damals als Zeitvertreib so trieben – auf dem Lohrberg rum, an der Seite ein geeignetes Gewehr mit genügender Reichweite. Und wie es der Zufall will kommt da gerade ein russischer Bomber über den Lohrberg geflogen mit Ziel Frankfurt.
Die darauffolgende Frage war zu erwarten: schieß ich den Russen böswillig ab oder schau ich zu, wie meine Vaterstadt vernichtet wird?
Übersehen hatte man bei diesen praxisnahen Befragungen, daß wohl kein mir bekannter Verweigerer jemals erklärt hatte, sich nicht gegen persönliche Angriffe gegen ihn oder seine Nächsten zu verteidigen …
Zur selben Zeit, etwa Mitte der sechziger Jahre, kursierte eine schöne buntbedruckte Aufklärungsschift zur Frage, wie man sich gegen Atombombenabwürfe verteidigt: man legt sich in den nächstgelegenen Straßengraben und hält zum Schutz gegen die Strahlung die dazu stets mitgeführte Aktentasche über den Kopf.
Es gab nur ein Problem: im Frankfurter Nordend, wo ich damals wohnte, gab’s weit und breit keine Straßengräben. Womit wie wieder am Lohrberg wären: da gab’s welche, waren aber zu weit entfernt.
Gleichwohl ist es schon pervers sich heutzutage als Pazifist mit Fragen um Panzer, Mörsergeschütze und Aufmarschszenarien zu befassen.

Manfred Stibaner, Dreieich

fr-debatteEs geht darum, ungeliebte Menschen umzubringen

Thomas Kaspar stellt die Frage ob man heute noch Pazifist sein darf und kommt zu dem Schluss, der Pazifismus sei heute „nötiger denn je“. So weit so gut. Schlecht ist, dass er den Pazifismus seiner politischen Dimension beraubt, indem er ihn in den Rang einer irgendwie naiven, aber letzlich bestenfalls liebenswerten Marotte verkommen läßt, die es als ethisch moralisches Ideal ja auch irgendwo geben muss. Seine Erinnerung an die unseligen Zeiten der Gewissensprüfung für Wehrdienstverweigerer verkennt daher auch völlig, die Frechheit der Gewissensprüfer, dem Prüfling das Bekenntnis abzuverlangen, dass die Sorge um einen geliebten Menschen, das selbe sei, wie die Entscheidung für die Durchsetzung der Interessen eines Staates in den Krieg zu ziehen und dafür wildfremde Menschen zu erschießen. Letztere Aussage, hätte der Gewissensprüfling sie getätigt, hätte unweigerlich zu einer Ablehnung seines Antrags geführt, weil politische Gründe für eine Verweigerung des Kriegsdienstes nicht anerkannt wurden. Das führte dazu, dass in den entsprechenden Anhörungen gelogen wurde, dass sich die Balken bogen. Gutes Beispiel, Finanzminister Lindner, der sich voller Stolz erinnert, wie er damals den Prüfern den Gewissenswurm vorgeführt hat. F. Küppersbusch hat neulich in seinem Videoblog dankenswerterweise noch einmal daran erinnert. Vermutlich können aber auch alle anderen Kabinettsmitglieder ähnliche Anekdoten zum besten geben, da wohl keiner von ihnen bei der Bundeswehr „gedient“ hat.
Wenn wir jetzt über die Ukraine und deren Bewaffnung durch den Westen reden, ist ja wohl auch klar, dass es nicht darum geht, ein ethisches Dilemma auszuhalten, Waffen sind eigentlich schlecht aber leider nötig um die Geliebten zu verteidigen, sondern hier soll ein Staat in die Lage versetzt werden, seiner Souveränität Geltung zu verschaffen. Ein anderer Staat, in diesem Fall die Russen, sieht das genauso und hat als erste zu den Waffen gegriffen. Da die Interessen der beiden Staaten sich wechselseitig ausschließen, regiert jetzt die Gewalt und sie wird erst enden, wenn eine Seite gesiegt hat. Die Frage ist also nur noch, wem ist als erstem der Preis an Menschenleben unter seinem Staatsvolk zu hoch im Vergleich zu den selbst gesteckten Zielen. Da die Resourcenverteilung in diesem Krieg sehr zu Gunsten der Russen spricht, das westliche Cheerleading zu Gunsten der Ukraine, die alles haben soll, um nicht zu verlieren, kann das noch einige Zeit dauern. Wir sehen also, nirgendwo geht es um die Verteidigung der geliebten Menschen, aber sehr wohl darum, möglichst viele von den ungeliebten umzubringen. Ohne mich!

Hans Blaschke, Bad Vilbel

fr-debatteGewissensfrage oder Gebot der Vernunft?

Das Plädoyer von Thomas Kaspar für eine ernsthafte Prüfung der „alten“ Gewissensfrage übersieht zwei entscheidende Punkte, ohne die eine radikal pazifistische Position heute gar nicht gedacht werden kann:
1.    Zwischen einer individuellen, vom eigenen Gewissen getragenen Antwort auf die klassische Frage: >Was machen Sie, wenn ein Russe ihre Freundin vergewaltigen will und Sie eine Waffe dabei haben?< und einer von politischer Vernunft und sozialer Verantwortung getragenen Antwort auf die aktuelle Frage: >Ist militärische Gewalt oder Gegengewalt in einem Angriffs- oder Verteidigungskrieg heute noch legitim?< gibt es keine nachvollziehbare Brücke; sondern nur einen tiefen, unüberwindbaren Graben. Das Individuum muss in einem persönlichen Konflikt sein Gewissen prüfen – der Staat muss im Kriegsfall vernünftig handeln ohne Rücksicht auf Individualmoral und freie Entscheidung der Personen. Wer diesen Graben verleugnet oder übersieht, landet zwangsläufig in teuflischen Widersprüchen.
2.    Der Ukrainekrieg ist Teil eines umfassenden Krisenzusammenhangs und jede politische Entscheidung diesem Krieg gegenüber muss – will sie vernünftig und verantwortungsbewusst sein – diesen multiplen Krisenkontext berücksichtigen. Der Ukraine-Krieg wird die Klima-Krise mit Sicherheit verschärfen; mehr noch: er wird Modell stehen für künftige Klima-bedingte Verteilungskämpfe. Schon jetzt verschieben Krieg und „Zeitenwende“ die Koordinaten der internationalen Politik in Richtung offener Konfrontation und bindet enorme Mittel, die für kooperative Lösungen des Klimawandels und anderer globaler Probleme nicht zur Verfügung stehen werden.
Eine radikale Ablehnung jeglicher kriegerischen Gewalt – sowohl der des Aggressors als auch der des Verteidigers – unterscheidet sich in einem zentralen Punkt von allen bisherigen Formen und Begründungen von Pazifismus: Es gibt jenseits der Fragen von Recht oder Unrecht, Legitimität oder Illegitimität, Schuld oder Unschuld, Täter oder Opfer heute eine historisch neue zentrale Perspektive: die eines nur noch kleinen Zeitfensters der Menschheit, um die kommende Klimakatastrophe auszubremsen und den Planeten bewohnbar zu erhalten; und in diesem Zeitfenster muss die globale Wirtschaft radikal umgewandelt, müssen die Verteilungsfragen weltweit gerecht beantwortet, müssen alle Ressourcen der Menschheit solidarisch genutzt werden. Und: Es darf kein einziger Krieg mehr geführt werden! Es müssen sämtliche industriell-militärischen Komplexe weltweit abgebaut werden! Das alte Wort: Nie wieder Krieg! ist heute keine schöne Vision mehr, sondern zwingendes Gebot menschlicher Vernunft. Das Recht auf Verteidigung erlaubt heute keine militärischen, sondern „nur“ noch soziale Mittel der Verweigerung, des Widertstands, der Gegenmacht.

Angelika Wolff und Thomas von Freyberg-Wolff, Frankfurt

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21 Kommentare zu “Pazifismus in der Krise?

  1. Ich finde diese Leserbriefe ziemlich schwierig, weil sie meines Erachtens an der Realität vorbeigehen. Es gibt diese Ungerechtigkeiten in der Welt, z.B. wenn die Türkei auf Nordsyrien übergreift oder Saudi-Arabien den Jemen in Schutt und Asche bombt und niemand was dagegen tut oder sagt. Aber bei der Ukraine ist der Fall anders gelagert. Einmal weil dieser Krieg in Europa ausgetragen wird, also vor unserer Haustür. Zweitens weil eine Atommacht beteiligt ist, die tatsächlich mit dem Einsatz von Atomwaffen gedroht hat. Man kann ja von den Amis halten, was man will, aber die haben nie mit Atomwaffen gedroht. Haben sie aber zweimal eingesetzt. Das war auch ihnen selbst wohl Mahnung genug. Drittens weil Putin zum jetzigen Zeitpunkt überhaupt nicht reden oder verhandeln will. Diese Ideen, ihn an den Tisch zu bringen, sind ehrenhaft, aber wenn er nicht will, kann man ja wohl noch so viel reden. Was er macht, ist eine imperialistische Machtpolitik par excellence. Ich verstehe nicht, wie manche Leute das verteidigen können.
    Aber gesetzt den Fall, man würde Putin einfach machen lassen, so wie manche Leserbriefschreiber das ja zu befürworten scheinen. Also erobert er die Ukraine. Und dann? Er missachtet also Völkerrecht und tilgt einen souveränen, unabhängigen Staat von der Landkarte. Was sind das für Verfechter von Pazifismus, die einen solchen aggressiven Akt einfach geschehen lassen wollen? Bruch des Völkerrechts, massenhaft Verletzung von Menschenrechte – und was kommt anschließend? Moldau, Georgien, Estland, Lettland, Litauen, Polen? Alles ehemalige sowjetische Einflusssphäre.
    Nein, ernsthaft, liebe Leute: Wenn man irgendetwas aus der Geschichte gelernt hat, dann ja wohl vor allem, dass Appeasement auf Autokraten wie Putin nur anspornend wirkt. Er glaubt dann, dass er sich nehmen kann, was er will. Meine Hochachtung vor friedliebenden Menschen. Eure Gedanken sind edel. Krieg ist immer Scheiße. Aber es gibt Situationen, in denen man entschlossen Kontra geben muss. Ich denke, in so einer Situation sind wir jetzt.

  2. Eigentlich hätte ich zum Thema Pazifismus sehr lebendige Debatten erwartet. Dass dies nicht geschieht, liegt sicher an der Erschütterung über die Gewalt in Europa zwischen den Großmächten, die wir für beendet betrachtet haben. Ich war schon im Jugoslawienkrieg erschüttert, der war uns auch sehr nahe, vielleicht sogar näher.
    Jetzt lesen wir täglich Frontberichte. Wir im Westen stehen auf der Seite der Ukraine, Russland ist der Aggressor. Ja, aber soll ich über die Zahl 1000er russischer junger Soldaten froh sein? Nein, kann ich nicht. In jedem Panzer, der vernichtet wird, sitzt ein junger Mensch, er ist keine Schachfigur in einem strategischem Spiel. Soll sich die Ukraine deshalb nicht verteidigen? Doch, sie ist angegriffen worden, sie hat das Völkerrecht auf ihrer Seite. Dennoch sehe ich mit Schrecken die Toten auf beiden Seiten.
    Die Wurzeln dieses Konfliktes liegen viel tiefer. Friedliebende und Friedensaktivisten befinden sich gerade in einem ausweglosem Dilemma.

  3. @ Stefan Briem, 18. Juli 2022 um 13:28

    Insgesamt stimme ich der Einschätzung von Stefan Briem zu.
    Nicht nur in den Leserbriefen, auch bei der Einführung von Bronski fehlt der Versuch zu bestimmen, was „Pazifismus“ eigentlich ist. Und auch die Reduktion auf die Frage der Wehrdienstverweigerung durch Thomas Kaspar greift zu kurz. Denn „Pazifismus“ ist nicht einfach eine individuelle Einstellung im Sinne der Gesinnungsethik.

    Der Pazifismus eines Carl von Ossietzky und Kurt Tucholsky war vom Bewusstsein gesellschaftlicher Verantwortung geprägt und kämpferischer Art. Er ist nur vor dem Hintergrund zu verstehen, dass beide sich – die schreckliche Entwicklung vorausahnend – sehr wohl bewusst waren, im Land der Täter zu leben. Nur so ergeben ihre Aktionen und Versuche, ein pazifistisches Bewusstsein zu schaffen, einen Sinn. So etwa auch der berühmte Satz Tucholskys „Soldaten sind Mörder“. Und Tucholsky war Realist genug, um zu erkennen, dass Pazifismus in der Geschichte „ja noch nie versucht wurde“.

    Von bloßer „Friedensbewegtheit“, von einer „Ohne-mich“-Haltung (wie dies auch in einem Leserbrief hier zum Ausdruck kommt) ist dies weit entfernt.
    Auch die Friedensbewegung der 80er Jahre, so die Demonstrationen gegen Mittelstreckenraketen im Bonner Hofgarten hatten zur Voraussetzung, dass auch auf der anderen Seite eine gleichgerichtete Bewegung wie „Schwerter zu Pflugscharen“ existierte. Das kommt selbst in Slogans zum Ausdruck, die heute platt erscheinen mögen, so wie „Frieden schaffen ohne Waffen“ oder „Stellt euch vor, es ist Krieg und keiner geht hin“. Das „keiner“ setzt die Beteiligung der anderen Seite voraus.

    Nun wurde diese Friedensbewegung seit der Putin-Ära systematisch unterwandert. Und spätestens seit der, massiv anti-amerikanisch geprägten, aggressiven Anti-Nato-Rhetorik, den Sprüchen vom „faschistischen Maidan“ wurde deutlich, dass sie zum Instrument der Putin-Propaganda und zur Mittel der Verschleierung von dessen imperialistischer Politik verkommen war.

    Auch darf hinterfragt werden, ob die Motive der Initiatoren und Unterzeichner des Schwarzer-Appells wirklich so „edel“ sind, wie Stefan Briem schreibt. Dabei ist nicht nur der Vorwurf der Bevormundung der Ukraine zu machen. Es geht auch darum, nicht wahrhaben zu wollen, dass sich der imperialistische Größenwahn und die Skrupellosigkeit eines Putin selbst von sowjetischen Dogmatikern wie Breschnew noch deutlich unterscheidet, der immerhin noch die Möglichkeit für die Realisierung der „Ost-Verträge“ bot. Mit der Putinschen Aggression in der Ukraine und seiner Terrorherrschaft in Russland aber ist dem Konzept vom „Wandel durch Annäherung“ die Grundlage entzogen und wohl für lange Zeit illusorisch geworden.

    Wie Stefan Briem richtig schreibt, kommt es darauf an, aus der Geschichte zu lernen und zu begreifen, dass „Appeasement“ gegenüber einem skrupellosen Imperialisten nichts mit „Pazifismus“ zu tun hat.
    Das hat freilich auch schon Bertolt Brecht gewusst, dem man nicht unbedingt unterstellen kann, ein „Kriegstreiber“ gewesen zu sein:
    „Wer zu Hause bleibt, wenn der Kampf beginnt, der sehe sich vor. Denn es wird kämpfen für die Sache des Feindes, wer für die eigene Sache nicht gekämpft hat.“

  4. Pazifismus bedingt das Einhalten von Verträgen oder des Rechts, von wegen dem Völkerrecht, dem Einhalten von Rechtsverträgen. …

    und dem Beschuss von Odessa am 23.07.22:

    Der Angriffskrieg zeigt sich zurück, nach schriftlichen Vereinbarungen wie zum Getreideexport, mit verschiedenen Unterzeichner Staaten und United Nations, vor drei Tagen.

    Die ungefährdete Exportierung von Getreide sollte ermöglicht werden, auch von Odessa aus am Schwarzen Meer, genauso.
    Mit dem Beschuss des Hafens von Odessa, mit Raketen, ist wieder ein Rechtsbruch Russlands geschehen, nach der Unterzeichnung der ungestörten Getreide Ausfuhren aus dem Kriegsgebiet der Ukraine.

    Russland hat das Völkerrecht bereits mehrmals gebrochen. Es ist auch von Russland gestohlenes Getreide, das nun von der Ukraine aus, ausgeführt werden sollte.

    Dabei geht es Russland nicht ums Getreide, oder das Brot für die Welt.

    Ginge es Russland tatsächlich um das Brot für die Welt, hätte Russland keine Präzisions Raketen gegen die Infrastruktur des Hafens von Odessa gestartet.

    Russland geht es auch ums annektieren, wie die Krim und die Ostukraine annektiert wurden.

    Die Raketen Attacke gegen den Hafen von Odessas soll dem russischen Tourismus den Boden ebnen, den eigenen Staatsbürger in neu erschlossene Gebiete führen.

    Odessa und seine Küste sind nach Putins Plan das neue russische Antalya, an der türkischen ägäischen Küste.

    Putin bereitet dabei mit seinen Söldnern den Boden für den russischen innerstaatlichen Tourismus.

    Kein Rubel wandert dabei mehr ins Ausland, wie in die Türkei, oder in die EU.

    Der Krieg im Süden der Ukraine hat das Meer, als Urlaubssehnsucht, zum Ziel,

    Eine Art von zukünftigen Antalya, nach dem russischen Endsieg im Süden der Ukraine.

  5. Odessa ist in Putins Kriegsplan eine Art von russischer Cote d`azur am schwarzen Meer.
    Das ist auch ein russischer Kriegsgrund, Massentourismus, Sehnsucht nach warmen Wasser, zur Schwarzmeerküste hin.
    Russland war immer schon auf der Suche nach einem eisfreien Hafen, nach einem Zugang zum Meer, ohne Ostsee.
    Auch der lange Tisch, an dem sich Putin so gerne ablichten lässt, zeigt doch an der anderen Seite des Tisches , Wladiwostock, den fernen Osten Russlands.
    Die Entfernung zwischen dem sitzenden Putin und dem Gegenüber Wladiwostock am anderen Ende desTisches sind enorm. Noch einmal zurück zur geplanten Cote d `azur, an der Schwarzmeerküste. Die Ukraine ist eigentlich ein reiches Land.
    Guter Lößboden, mit guten Ernten, eisfreie Häfen mit einer warmen Küste, am Meer, Bodenschätze im Osten der Ukraine. Die Ukraine hatte auch Industrie – darunter riesige Stahlwerke, wie in Mariupol. Die Ukraine ist ein reiches Land, ein souveränes Land.
    Ich meine ferner, das die Heimat Russlands sehr viel weiter im Norden liegt.
    Dabei spielt der Plan eines späteren russischen Massen Tourismus in der Ukraine, wie in Odessa, oder der Krim, sicherlich auch eine Rolle in den Plänen Putins und seiner Komplicen.

    Pazifisten liegen in der Sonne am Meer.

  6. Bundesregierung und Union auf das Sondervermögen für die Bundeswehr verständigt. Diese 100 Mrd. Euro Ausgabe ist die größte Verschwendung von Steuermitteln seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland! Es ist zu fragen, haben die verantwortlichen Politiker nicht gewusst oder wissen wollen, dass die Bundeswehr schon lange nicht unter Geldmangel leidet?
    Seit 2005 betrugen die Militärausgaben der Bundesregierungen über 700 Mrd. Euro. Ab 2015 ist der Verteidigungshaushalt von 32,4 auf 50.3 Mrd. Euro im Jahr 2022 gestiegen. Wie kann man bei solchen Ausgabensummen von desolater Ausrüstung sprechen? Wofür ist dann das viele Geld ausgegeben worden? Teilweise wurde bekannt, was nicht funktioniert: Angefangen vom Transportflieger A 400 M, der als Pannenflieger gilt bis zum Sturmgewehr G 36, dem die Treffsicherheit abgesprochen wurde. Wie können dafür und viele andere nicht einsatzbereite Waffensysteme die Milliarden ausgegeben werden, ohne die Ausgaben für das Militär zu hinterfragen? Und jetzt will die Politik diese Probleme mit 100 Mrd. Euro zuschütten, ohne den Gründen der teuren Misswirtschaft nachzugehen.
    Ein Aufschrei der Empörung müsste durch unser Land gehen! Denn wir alle wissen, dass trotz gegenteiliger Beteuerung durch die Politik, die 100 Mrd. an anderen Stellen fehlen werden: Bei der Lösung des Riesenproblems Klimawandel, bei den dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur, im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, bis zur Bekämpfung der Armut.
    Die 100 Mrd. Militärausgaben haben keinerlei Einfluss auf den verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine, aber einen erheblichen auf die Aktienkurse der Rüstungskonzerne. Und hier muss man auf die Zusammenarbeit von Politik, Rüstungsfirmen und Militärs hinweisen, die vom ehemaligen amerikanischen Präsidenten Eisenhower als militärisch-industrieller Komplex bezeichnet wurde: Ein undurchschaubares Geflecht von Beratern, ehemaligen Ministern in Rüstungsfirmen-Aufsichtsräten und von Lobbyisten.
    Die vorgesehene gigantische Aufrüstung hat auch nichts mit Landesverteidigung zu tun. Deutschland hat bereits den 7. Platz bei der Höhe der weltweiten Militärausgaben. Und nach der Umsetzung der 2% Vorgabe ist es in dieser Liste auf Platz 4. Die Höhe der Militärausgaben ist kein Garant für mehr Sicherheit, was die 16fache Überlegenheit der Nato gegen über Russland zeigt. Selbst diese hat Putin nicht von seinen massiven Drohungen gegenüber dem Westen abgehalten.Im übrigen ist es falsch, den Verteidigungsetat an das Bruttoinlandsprodukt zu koppeln.
    Wann lernen die verantwortlichen Politiker, dass Aufrüstung mit Friedenssicherung nichts zu tun hat, sondern Voraussetzung für Kriege ist. Und wann endlich wehrt sich nicht nur eine Minderheit der Menschen gegen diese irrsinnige Aufrüstung?

  7. Bundesregierung und Union auf das Sondervermögen für die Bundeswehr verständigt. Diese 100 Mrd. Euro Ausgabe ist die größte Verschwendung von Steuermitteln seit Bestehen der Bundesrepublik Deutschland! Es ist zu fragen, haben die verantwortlichen Politiker nicht gewusst oder wissen wollen, dass die Bundeswehr schon lange nicht unter Geldmangel leidet?
    Seit 2005 betrugen die Militärausgaben der Bundesregierungen über 700 Mrd. Euro. Ab 2015 ist der Verteidigungshaushalt von 32,4 auf 50.3 Mrd. Euro im Jahr 2022 gestiegen. Wie kann man bei solchen Ausgabensummen von desolater Ausrüstung sprechen? Wofür ist dann das viele Geld ausgegeben worden? Teilweise wurde bekannt, was nicht funktioniert: Angefangen vom Transportflieger A 400 M, der als Pannenflieger gilt bis zum Sturmgewehr G 36, dem die Treffsicherheit abgesprochen wurde. Wie können dafür und viele andere nicht einsatzbereite Waffensysteme die Milliarden ausgegeben werden, ohne die Ausgaben für das Militär zu hinterfragen? Und jetzt will die Politik diese Probleme mit 100 Mrd. Euro zuschütten, ohne den Gründen der teuren Misswirtschaft nachzugehen.
    Ein Aufschrei der Empörung müsste durch unser Land gehen! Denn wir alle wissen, dass trotz gegenteiliger Beteuerung durch die Politik, die 100 Mrd. an anderen Stellen fehlen werden: Bei der Lösung des Riesenproblems Klimawandel, bei den dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur, im Gesundheitswesen, im Bildungsbereich, bis zur Bekämpfung der Armut.
    Die 100 Mrd. Militärausgaben haben keinerlei Einfluss auf den verbrecherischen Krieg gegen die Ukraine, aber einen erheblichen auf die Aktienkurse der Rüstungskonzerne. Und hier muss man auf die Zusammenarbeit von Politik, Rüstungsfirmen und Militärs hinweisen, die vom ehemaligen amerikanischen Präsidenten Eisenhower als militärisch-industrieller Komplex bezeichnet wurde: Ein undurchschaubares Geflecht von Beratern, ehemaligen Ministern in Rüstungsfirmen-Aufsichtsräten und von Lobbyisten.
    Die vorgesehene gigantische Aufrüstung hat auch nichts mit Landesverteidigung zu tun. Deutschland hat bereits den 7. Platz bei der Höhe der weltweiten Militärausgaben. Und nach der Umsetzung der 2% Vorgabe ist es in dieser Liste auf Platz 4. Die Höhe der Militärausgaben ist kein Garant für mehr Sicherheit, was die 16fache Überlegenheit der Nato gegen über Russland zeigt. Selbst diese hat Putin nicht von seinen massiven Drohungen gegenüber dem Westen abgehalten.Im übrigen ist es falsch, den Verteidigungsetat an das Bruttoinlandsprodukt zu koppeln.
    Wann lernen die verantwortlichen Politiker, dass Aufrüstung mit Friedenssicherung nichts zu tun hat, sondern Voraussetzung für Kriege ist. Und wann endlich wehrt sich nicht nur eine Minderheit der Menschen gegen diese irrsinnige Aufrüstung?

  8. Beim Interview-Gespräch zwischen Angelika Claußen und Karl Adam sehe ich, die den Pazifismus auch mehr schätzt als den Militarismus und Mitglied beim ICAN ist, in der Argumentationsweise von Frau Claußen doch die größeren Lücken und Ungereimtheiten. Ergänzend zu Herrn Adam möchte ich noch anfügen:
    Gleich im ersten Abschnitt spricht Frau Claußen von der Ukraine als „der Ukraine, stellvertretend für die Nato“ spricht. Die Ukrainer:innen hätten sich gerne in den Schutz der Nato begeben, aber sie sehen sich nicht als die Stellvertreter der Nato, sondern sie kämpfen darum, in dem ihnen völkerrechtlich zustehendem Land als Ukrainer:innen mit allen Menschenrechten leben zu dürfen. Frau Claußen übergeht deren eigenständige Existenz und den Sinn ihrer Verteidigung mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie das Putin tut, der die Ukrainer nicht als eigenständiges Volk anerkennen will und deren Menschenrechte und Leben ihm nichts bedeuten.
    Grundsätzlich wundere ich mich, dass Frau Claußen die vielen Gesprächsangebote von der EU und Annalena Baerbock vor Beginn und nach Beginn des Krieges übersieht, und die vielen Telefongespräche, die Olaf Scholz und Emmanuel Macron noch nach Kriegsbeginn direkt mit Putin geführt haben.
    Dann weiter, wo Frau Claußen sich hinter die simple Meinung des ehemaligen Bundeswehrgenerals Erich Vad stellt: In der Realität haben die Atommächte immer irgendwo einen Krieg gegen irgendwen geführt, gegen den sich betroffene Völker gewehrt haben und nicht immer blieben die Atommächte Sieger (z.B. Vietnam, Afghanistan, Mali), doch haben die Atommächte deswegen keinen Atomkrieg angefangen.
    Frau Claußen meint, dass der Krieg hätte verhindert werden können, wenn die Nato es frühzeitiger abgelehnt hätte, die Ukraine in das Bündnis aufzunehmen. Da übergeht Frau Claußen die klaren Aussagen Russlands, dass es die Ukraine nur als Bestandteil des eigenen russischen Landes sieht, dass ukrainischer Boden für Putin russischer Boden ist, weshalb er aus seiner Sicht auch keinen Krieg führt, sondern nur eine militärische Spezialoperation.
    Frau Claußen fragt noch immer nicht verstehend, was das Kriegsziel der Ukraine sei: Die Ukrainer haben das doch klar ausgesprochen: Sie wollen nichts anderes, als im eigenen Land als freie Menschen in Würde und mit den Menschenrechten leben. Und genau dafür greift sie Russland an, zerstört ihre Infrastruktur, ihre Wohnbebauung usw. und wird im Falle seines Siegs, die Menschen, die eigenständisch und weltoffen denken wollen, in seinen Folterkellern und Lagern verschwinden lassen. Die Ukrainer haben sich entschlossen, sich dagegen zu wehren, was leider nur militärisch geht, und das bedeutet, sie akzeptieren für sich eher einen körperlichen als einen seelischen Tod. Das biologische Überleben um jeden Preis widerspricht ihrem Empfinden vom Sinn des Lebens.
    Dann behauptet Frau Claußen, dass der Westen die Augen gegenüber dem türkischen Autokraten bei seinem Krieg gegen die Kurden zukneift. Der Westen steht in Erdogan einer ähnlichen Persönlichkeit wie Putin gegenüber, aber in einer fast noch schlimmeren Situation, denn Erdogan ist Mitglied der Nato. Noch tut der Westen, was Frau Claußen selbst empfiehlt, nämlich gesichtswahrend mit ihm verhandeln. Aber zu behaupten, dass der Westen dabei die Augen zukneift und nicht sieht, womit er es zu tun hat, dafür gibt es keine Berechtigung.
    Wenn Frau Claußen erwartet, dass die Faktizität der militärischen Besetzung der Krim durch Russland anzuerkennen ist, räumt sie der militärischen Präsenz Russlands größere Rechte ein, als dem Völkerrecht der Ukrainischen Menschen und sie erfüllt damit genau Putins militaristische Erwartungen an die Welt.

  9. angesichts der von Ihnen richtig als brutal bezeichneten Äußerungen des russischen Außenministers Lawrow warte ich auf Stellungnahmen aus dem Kreise jener, die auf Verhandlungen und Einlenken abzielenden „Offenen Briefe“ verfasst bzw. unterschrieben haben. Nicht in der FR, aber in der FAZ (21.07.2022, Wirtschaftsteil) las man: „Bitte um Ende der Sanktionen; Russische Bahn: EU-Strafmaßnahmen sind unsozial“ – da bleibt einem doch die Luft weg. Was, bitte, sind denn die russischen Angriffe auf zivile Einrichtungen und überhaupt der Angriffskrieg gegen die Ukraine? Wie die UdSSR mit Waffenhilfe der USA im Zweiten Weltkrieg durchhielt und am Ende erheblichen Anteil am Sieg über NS-Deutschland hatte, so müssen auch jetzt wieder die USA und ihre Verbündeten durchhalten – nun leider (!) im Krieg gegen Russland, was sich niemand gewünscht hat, auch wenn manche in den westlichen Staaten das den USA unterstellen, was sie im freiheitlichen Westen auch öffentlich sagen dürfen, während ähnlich-kritische Äußerungen gegenüber Putin in Russland nicht geduldet werden.

  10. Ich finde es gut, dass Peter Rutkowski am Beispiel der Ermordung Lizas durch eine russische Rakete uns vor Augen führt, wie grausam dieser Krieg und wie verlogen seine Rechtfertigung durch die russische Regierung ist. Ich respektiere seine Meinung, dass man mit Terroristen nicht verhandeln kann. Ich finde aber den Satz unsäglich. „Wer da sagt, man müsse auch mit Terroristen verhandeln, der gehört auch von Liza angeklagt. Und soll für seinen Zynismus büßen.“
    Kriege und Konflikte werden nahezu immer durch Verhandlungen beendet. Zum Beispiel hat Präsident Biden gerade mit Kronprinz Mohammed bin Salman, einem Mörder und Kriegsverbrecher verhandelt. Die US-Regierung hat vor dem Abzug der Truppen aus Afghanistan mit den terroristischen Taliban verhandelt.

  11. So irrwitzig es klingt, Ich glaube: „Der Ukraine-Krieg ist der persönliche Rach-Feldzug Putins gegen Selenskyj“. Wer die dreiundzwanzig Folgen der ukrainischen TV-Serie „Diener des Volkes“ (z.B. in der Arte-Mediathek) gesehen hat, wird mir vielleicht zustimmen: In dieser Serie wird der Sturz Putins gleichsam herbeigeredet, um in der letzten Folge als vollzogen dargestellt zu werden!

  12. Der Pazifismus ist nicht in der Krise sondern tot. Solche Menschen wie Putin hat es immer gegeben und wird es wohl auch in Zukunft geben. Putin lässt sich nur mit Gewalt stoppen. Ein paar Russlanddeutsche die er schützen muss wird es auch bei uns mit Sicherheit geben. Wenn Putin die Ukraine erobert hat ist kurz danach das nächste Land fällig. Alle Länder westlich von Russland müssen zusammenhalten und diesen Menschen stoppen. Die Russische Bevölkerung wird das genau so wenig machen wie die Deutsche es vor einigen Jahrzehnten gemacht hat. es ist zwar schade aber wohl nicht zu ändern. Wenn so eine Person wieder diese Machtfülle erreicht hat wird er sie ausschöpfen wenn man ihn lässt. Was halt noch nicht klar ist ist wie Verbindung zu China ist. Möglicherweise stehen wir erst am Anfang und es wollen 2 Länder die Herrschaft der USA beenden.

  13. Ebrahim Raissi, Wladimir Putin, Rezep Tayyip Erdogan bilden eine Koalition, von Pazifisten aus Russland, der Türkei und dem Iran.

    Zusammen werden sie öffentlich abgebildet, am 19.7.2022 in Teheran, alle drei Präsidenten gemeinsam. Wie bei uns in der Bundesrepublik wurde damit auch im fernen Teheran eine Ampel Koalition zwischen diesen Präsidenten gebildet.
    Die Ampelkoalition Putin, Erdogan, Raissi liegt in der Achse zwischen den Schnittpunkten Europas mit Asien – Russland betont ja auch immer wieder seinen asiatischen Teil.

    Das rote Licht der Ampelkoalition ist die Türkei und bildet das Stopp Zeichen ab, am Isthmus zwischen Europa und Asien am Bosporus. Das gelbe Licht der Ampel wiederum ist Teheran, oder der Iran. Ein gelbes Licht der Ampel wie das Warnzeichen für Nuklearenergie, das die drei schwarze Dreiecke auf einem gelben Grund sind.
    So ist die Ampelkoalition mit roten und gelben Licht, türkisch und iranisch.
    Es fehlt noch das grüne russische Licht der Ampel .

    Das grüne Licht könnte statt grün auch blau leuchten, blau oder grün , es bedeutet von und nach Russland hin freie Fahrt.
    Freie Fahrt auf die Kreuzung mit den entsprechenden Konfrontationen mit der Europäischen Union und der Nato und Russland mit Verbündeten hin.

    Das grüne russische Licht der Ampel ist ein grün für die Armee aber auch wie seit gestern für die russische Marine und bildet die freie Fahrt – hin zu einem Kräftemessen – ab.

    Das händchenhaltende Bild der drei Präsidenten in Teheran, bildet die entsprechende pazifistische Entschlossenheit dieser Präsidenten dazu ab .

  14. Zu Dieter Hartwig (29.07.22)

    Ich stimme Ihnen zu, Herr Hartwig.
    Man möchte wünschen, dass Juli Zeh und andere schriftstellerisch Tätige aus der Prominenten-Ecke sich einfach mal zurückziehen und sich nicht als Krieg- und Friedensstrategen aufspielen, die sie weiß Gott nicht sind. Wie um Himmels Willen kann man zum jetzigen Zeitpunkt der anfänglichen Abkommen für die Getreidelieferungen auf die Idee kommen, dass Putin zu weiteren Verhandlungen im Krieg gegen die Ukraine bereit wäre!!
    Das ist doch Traumtänzerei angesichts der laut und deutlich geäußerten Großmachtziele von Putin.

  15. Herr Adam wiederholt genau die Dinge, die wir allabendlich in den Talkshows vernehmen können. Es ist dramatisch, daß er auch die Gefahr eines Atomkrieges herunterspielt. Der Satz „vor einem Atomschlag liegen noch viele Eskalationsstufen“ ist fahrlässiges Gerede. Woher weiß er denn so genau, wo und wann welche Stufe gerade erreicht ist. Leider tut dies auch unser Altbundespräsident Gauck wenn er von der „typischen deutschen Angst“ spricht.
    Natürlich betont Herr Adam auch, daß man in den vergangenen Jahrzehnten mit Putin verhandelt habe. Ich frage mich allerdings, was das für Verhandlungen gewesen sein sollen, wenn man sich z.B. die dümmliche Witzelei unseres Bundeskanzlers vor der Weltpresse nach seinem Gespräch mit Putin vor Augen führt. Nur wenige Tage vor Kriegsbeginn und in Anbetracht von 150.000 aufmarschierten Soldaten antwortete er auf Putins Frage, wann denn dann die Ukraine in die Nato aufgenommen werden solle, mit der „lustigen“ Äußerung, daß dies wohl nicht in Putins und seiner Amtszeit eintreten würde. Derartige Witze sind fahrlässig und idiotisch und sie haben nichts mit Verhandlungen zu tun!
    Leider blendet Herr Adam auch die Rolle der Nato komplett aus, indem er sagt, daß Putin keine Nato brauche. Ich verstehe einfach nicht, warum die Warnungen zahlreicher westlicher Politiker und Wissenschaftler aus den letzten Jahrzehnten heute nicht mehr gehört werden. Der US-amerikanische Russistikgelehrte und Professor an der Princeton University Stephen F. Cohen hat eindringlich vor einer Aufnahme der Ukraine in die Nato gewarnt. George F. Kennan, amerikanischer Historiker und Diplomat, bezeichnete eine NATO-Erweiterung als „verhängnisvollsten Fehler der Politik der amerikanischen Politik in der ganzen Zeit seit dem kalten Krieg“. Selbst der Hardliner Brzezinski, der zwar für eine Osterweiterung der Nato war, prognostizierte, daß ein solcher Schritt zu einem heißen Krieg führen würde und diesen haben wir ja heute!
    Helmut Schmidt warnte sogar noch im Jahre 2015 davor die Ukraine in die EU aufzunehmen und nannte diese Bestrebungen des Westens einen „ziemlichen Blödsinn“ und bezeichnete diese als „geopolitische Kinderei“. An diesem Punkt würde ich auch Frau Claußen, die diesen Schritt ja befürwortet, widersprechen.
    Die Nato ist eben kein Kaninchenzuchtverein, dem man folgenlos beitreten kann. Sie ist, milde gesprochen, eine Organisation, die dafür sorgt, daß für westliche Firmen Absatzmärkte geschaffen werden. Die prall gefüllten Auftragsbücher und die Börsendaten der westlichen Waffenproduzenten sind dafür Beleg.
    Ich würde mir also für Herrn Adam wünschen, daß er sich etwas genauer mit der Historie und den Fakten dieses Konfliktes auseinander setzen würde und daß er sich der Konsequenzen seiner Äußerungen bewußt wird.

  16. Eine (überspitzte) Anmerkung zum heutigen Diskussionsbeitrag von Karl Adam und Angelika Clausen: Stellen Sie sich vor, Sie sind mit tausend Euro in der Tasche unterwegs und werden von einem schwerbewaffneten Menschen überfallen, der Ihnen Ihr Geld wegnimmt.
    Passanten, die den Vorfall beobachten, können den Räuber zwar stellen, aber nicht überwältigen, weil er zu schwer bewaffnet ist. Es wird beratschlagt, was zu tun sei. Man könnte die Polizei zur Hilfe holen, aber das wird schließlich abgelehnt, denn: Polizei ist Gewalt, Polizei ist bewaffnet. Man wolle nicht noch mehr Waffen, sondern lieber eine diplomatische Lösung. Also wird verhandelt. Ergebnis: Der Räuber gibt Ihnen hundert Euro zurück und alle gehen in Frieden ihrer Wege.
    Es stellen sich zwei Fragen. Erstens: Was würden Sie zu dem Verhandlungsergebnis sagen? Zweitens: Welche Schlüsse zieht der Räuber? Was sollte ihn davon abhalten, sich das nächste Opfer vorzunehmen, da er jetzt weiß, dass er keine Konsequenzen zu befürchten hat?
    Okay, überspitzt, wie angekündigt. Und hinkend, wie jeder grobe Vergleich. Natürlich, die Nato ist keine (Welt-)Polizei, und es geht nicht um ein bisschen Geld, sondern um die Souveränität einer Nation. Aber die Frage bleibt: Was könnte Verhandlungsziel sein? Gegner der militärischen Unterstützung der Ukraine argumentieren, es gäbe kein klares Kriegsziel. Ich stelle ihnen die Frage: Welches könnte Ziel von diplomatischen Verhandlungen sein, wenn der Aggressor ernsthafte Konsequenzen nicht zu befürchten braucht? Und was bedeutet das für die übrigen Staaten des ehemaligen Sowjet-Imperium?

  17. Mit großem Interesse habe ich in den letzten Wochen die ausgesprochen vielseitige Berichterstattung der FR über den Ukrainekrieg verfolgt.
    Den Nato–Doppelbeschluss damals unter Helmut Schmidt habe ich nicht mitgetragen sondern eher bekämpft, weil ich die Stärke der Nato für ausreichend hielt, um erfolgreiche Abrüstungsverhandlungen führen zu können. Aber „lieber rot als tot“ – also unter sowjetischer Herrschaft zu leben, das wollte ich auf keinen Fall!
    Heute erscheinen mir Friedensverhandlungen der Ukraine mit Putin völlig aussichtslos! Putins und Lawrows Ziel, die Ukraine auszulöschen und dem Erdboden gleich zu machen, um sie dann in seinen Machtbereich einzugliedern, ist nicht verhandelbar! Putin jetzt Verhandlungen anzubieten, wäre nur eine Einladung an ihn zu weiteren Verbrechen und Terrorhandlungen letztlich auch gegenüber ganz Europa.
    Warum Putin in vielen Publikationen immer noch als „Präsident“ Russlands angesehen wird, verstehe ich nicht. Er ist kein „ehrenwerter“ Präsident mehr, sondern nur ein Verbrecher und Terrorist. Diese werden üblicherweise z. B. von der Polizei auch mit Waffengewalt an ihrem Tun gehindert und möglichst bald rechtsstaatlichen Gerichten zugeführt.
    Unsere Aufgabe und die der EU muss also sein, die Ukraine zu befähigen, Putin aus der Ukraine zu vertreiben und an die Grenzen vor 2014 zurück zu treiben. Er muss eine solche Stärke in der Ukraine vorfinden, dass er erkennt, dass seine „Militärische Sondermission“ erfolglos bleiben wird. Das sollte ihn seine Machtposition in Russland kosten. Dann wäre über ein neues Sicherheitssystem in Europa unter Einschluss Russlands zu verhandeln, bei dem Russland dann auch in ein gemeinsames Wirtschaftssystem mit eingebunden werden könnte. So könnte schließlich eine dauerhafte Friedensordnung in Europa zum Nutzen aller Bürger entstehen. Mit Friedensverhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt ist derartiges aber nicht zu erreichen.

  18. Ich lese gerade Catherine Beltons Buch „Putins Netz – Wie sich der KGB Russland zurückholte und dann den Westen ins Auge fasste“. Eine der ersten Amtshandlungen Putins als Präsident war das Schließen der Abhörstation auf Kuba. Er bemühte sich um eine enge Beziehung zu US-Präsident George W. Bush und brachte als erster Staatschef nach den Anschlägen vom 11. September 2001 gegenüber Bush sein Beileid zum Ausdruck. Seinem Verteidigungsminister widersprechend, gewährte Putin dem US-Militär Zutritt zu den russischen Stützpunkten in Zentralasien, um ihm von dort aus Angriffe in Afghanistan zu ermöglichen. Bush indes kündigte im Juni 2002 einseitig einen zentralen Rüstungskontrollvertrag aus dem Kalten Krieg, den ABM-Vertrag, um in den früheren Staaten des Warschauer Pakts ein Raketenabwehrsystemtesten zu können, das angeblich der Verteidigung gegen iranische Raketen dienen sollte, was Putin, der sich verraten fühlte, nicht glaubte. Das bestärkt mich in meiner Einschätzung, dass George W. Bush jedenfalls außenpolitisch betrachtet ein schlimmerer Präsident war als Donald Trump, der hingegen in den USA selbst, also innenpolitisch betrachtet, den größeren Schaden angerichtet hat. Als Putin in den USA war, traf er sich mit Lee Raymond, dem aggressiv auftretenden Vorstandsvorsitzenden von ExxonMobil, der ihm gegenüber offen ankündigte, irgendwann das ganze russische Unternehmen JukosSibneft aufkaufen zu wollen, was Putin völlig entgeisterte, weil er auf keinen Fall zulassen wollte, dass die USA die Kontrolle über die strategisch wichtigen Ölvorkommen Russlands erlangten. Wenn Catherine Belton, die das Putin-Regime entlarvt, auch das berichtet, zeigt das, dass die einfache Aufteilung der Welt in Gut und Böse tatsächlich nicht gelingen kann. Gleichwohl hat aber etwa Gregor Gysi, außenpolitischer Sprecher der Linksfraktion im Bundestag, es auf den Punkt gebracht, als er herausgestellt hat, die NATO habe aktuell keinen einzigen Fehler begangen, der den Krieg Russlands in der Ukraine rechtfertige. Hans Kramers Einschätzung stimme ich schließlich auf jeden Fall zu, dass die Ukraine befähigt werden muss, Putin aus der Ukraine zu vertreiben und an die Grenzen vor 2014 zurückzutreiben.

  19. Ich frage mich warum hat Putin Nord Stream 2 überhaupt Richtung Westen gebaut. Gas ist in Asien sehr teuer. Er hätte ein vielfaches an Geld verdienen können. Damit wollte er eine billig Gasschwämme in Europa erzeugen. Wenn wir weiter aus Atom und Kohle ausgestiegen wären ohne die EE entsprechend auszubauen dann wären wir in 5 Jahren noch in eine viel größeren Abhängigkeit von billigem Ruslandgas gekommen. Die EE Ausbaupläne der neuen Regierung hätten in 5 Jahren das Gegenteil als Ergebnis gehabt. Ich denke das Putin die Option den Westen für was auch immer unter Druck zu setzen schon sehr lange im Auge hatte. Wenn Merkel noch 4 Jahre gemacht hätte wäre es auch so gekommen.

  20. @ Sylvia Dorn, 20. Juli. 16:17

    Frau Dorn weist zurecht auf eine Reihe von Fehlern in der Argumentation von Angelika Claußen hin.
    (Hier der Link zu dem Streitgespräch mit Karl Adam: https://www.fr.de/politik/ukraine-news-putin-russland-krieg-streitgespraeche-linke-interview-91694060.html)
    Dass eine solche Argumentation vom kämpferischen Pazifismus eines Ossietzky oder Tucholsky weit entfernt ist, habe ich in meinem Beitrag vom 23. Juli 2022, 10:04 ausgeführt.
    Hier sei auf den von Frau Dorn genannten Hauptfehler eingegangen, nicht zur Kenntnis nehmen zu wollen, wofür die Ukrainer kämpfen: „Sie wollen nichts anderes, als im eigenen Land als freie Menschen in Würde und mit den Menschenrechten leben.“

    In der Tat erscheint es beschämend, dass Menschen, die sich für „Pazifisten“ halten und ernsthaft meinen, einen Beitrag zum Frieden zu leisten, sich nicht die Frage stellen, was das für ein „Frieden“ denn sein soll, und sich noch weniger mit den historischen Erfahrungen und Befindlichkeiten in der von Putin überfallenen Ukraine beschäftigen und entsprechende Empathie zeigen.
    Dazu im Folgenden einige Hinweise.

    Im französischen Magazin „Le Point“ (Nr. 2605, 14.Juli 2022) wird auf die Erfahrungen unter der Stalin-Diktatur eingegangen: Da wäre zuerst eine gezielt herbeigeführte Hungersnot in den Jahren 1932 und 1933 („Holodomor“) zu nennen, der 4 Millionen Ukrainer zum Opfer fielen und die als „Völkermord“ zu qualifizieren ist. Nach Aussagen des Historikers Nicolas Werth wurden die Hungernden in Viehwägen in unbevölkerte Gegenden transportiert, damit sie dort ohne Wahrnehmung durch die Weltöffentlichkeit verrecken. Ebenso gibt es Zeugnisse von Kannibalismus: Menschen, denen die Leber herausgerissen wurde, um die auf den Märkten verkauften „Pirojkis“ zu „verfeinern“. Dazu kommen 2 Millionen ab Winter 1929-30 nach Sibirien verschleppte Kulaken – ein Schicksal, das ab 1941 Polen, Balten, Moldawier, Kalmücken, Krimtartaren, Tschetschenen, Inguscheten, Bulgaren, Rumänen Kurden und Deutsche mit ihnen teilten – insgesamt an die 3 Millionen.
    In einem anderen Artikel von Nicolas Werth wird die Frage gestellt, ob Putin als der „Stalin“ von heute anzusehen ist. Hier werden als Gemeinsamkeiten Personenkult, gezielte Demütigung und Liquidierung von Gegnern sowie eine obsessive Geschichtswahrnehmung von einer vermeintlichen „Einkreisung“ Russlands durch den „Westen“ genannt . Dem wird als Unterschied die Überzeugung Stalins als „Vollstrecker“ der „Parteilinie“ gegenüber dem chauvinistischen Geschichtsbild Putins von der weltpolitischen Rolle Russlands angeführt.
    Die hieraus gezogene Schlussfolgerung, dass Putin nicht als den „Neo-Stalinist“ anzusehen sei, ist freilich reichlich akademisch und schwer nachvollziehbar. Denn für die politische Einschätzung von Diktatoren ist nicht zuerst deren Selbstverständnis maßgebend. Vielmehr sind dies deren Menschenbild und die daraus folgenden politischen Taten resp. Verbrechen.

    Vor diesem Hintergrund wird einerseits erkennbar, was für Ukrainer die Forderung nach sofortigem „Frieden“ von vermeintlichen „Pazifisten“ bedeuten würde, die allein russische „Sicherheitsinteressen“ im Blick haben: ein Dahinvegetieren unter der Willkür skrupelloser, verbrecherischer Machthaber. Und zugleich wird deutlich, dass es für die überfallene Ukraine nicht nur um Überleben als Nation geht, sondern um Grundvoraussetzungen eines selbstbestimmten, lebenswerten Lebens.
    Daneben geht es freilich auch stellvertretend für uns alle um die Verteidigung grundlegender demokratischer Werte in Europa.

  21. Ich will den Begriff des Kriegsverbrechens einmal definieren.
    Es ist ein Kriegsverbrechen, wenn weiße Fahnen gehisst werden, aber – wie in Odessa zum Getreidetransport – wieder mit Raketen geschossen wird. Es ist ein Verbrechen in eine Versammlung von Zivilisten hinein zu schießen. Geschieht es dennoch, geschieht es durch Kriegsverbrecher, die die Fortführung von Gewalt befürworten. Das Russland von heute bedauert das Ende der Sowjetunion, bedauert das Ende des kalten Krieges, bedauert die Auflösung des Warschauer Paktes.
    Nur ist es nicht 1941 sondern es ist 2022. Es geschahen 1941 nicht nur deutsche Verbrechen, sondern auch russische Kriegsverbrechen im 2. Weltkrieg. Aber 2022 geschehen eben auch russische Kriegsverbrechen wie die Bombardierung des Gefängnisses in Donesk mit ukrainischen Kriegsgefangenen.
    Folglich geschehen solche Verbrechen bewusst um einen möglichen Frieden, oder eine allgemeine Sicherheit, zu sabotieren. Kriegsverbrecher, die auf Häftlinge, Kriegsgefangene oder Zivilisten schießen, bedauern die Friedenszeiten und handeln deswegen mit Mord.

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