Gastbeitrag von Dr. Christoph Lehmann aus Berlin, mit dem er auf die Analyse „Ausgerechnet der Papst“ von Christian Bommarius in der FR vom 13. Januar reagiert
„Der Papst wird bei seinem ersten offiziellen Besuch in Deutschland vor dem Bundestag reden. Darüber ist eine Debatte entbrannt, die mir schlicht peinlich und kleinlich erscheint. Unter anderem hat Christian Bommarius in der FR vom 12.1.2011 die Diskussion befeuert. Es sei keine Ehre fürs Parlament, sondern allenfalls für den Papst, wenn das Kirchenoberhaupt vor den Abgeordneten sprechen dürfe. Der Papst solle dem Hohen Haus besser fern bleiben. Entschuldigung, aber das ist Unsinn, gleich wie man zur katholischen Kirche und ihrem Oberhaupt steht. Vielmehr ist es eine einmalige Gelegenheit. Eine Begegnung der ganz eigenen Art – quer zur parteipolitischen Logik. Der Papst ist nicht in erster Linie Politiker, sondern Theologe und Seelsorger. Sein Besuch im Parlament wird zeigen, dass es noch mehr gibt als nur politisches Denken, dass es noch ganz andere Dimensionen gibt, wenn es um das Wohl der Menschheit geht. Das sollten auch diejenigen begreifen, die den Besuch nutzen wollen, um ihre liebgewonnenen Ressentiments und Vorurteile wieder aus der Mottenkiste zu holen.
Um mit einem Missverständnis gleich aufzuräumen: Der Papst kommt nach Deutschland nicht als Vertreter des Vatikanstaats, sondern für den Heiligen Stuhl. Mit diesem, nicht mit dem Vatikanstaat, unterhält Deutschland diplomatische Beziehungen, dieser ist Mitglied oder Beobachter in vielen internationalen Organisationen. Der Heilige Stuhl, also der Papst und die Kurie, ist ein historisch gewachsenes Völkerrechtssubjekt. Er unterhält einen eigenen diplomatischen Dienst (übrigens den ältesten der Welt) und vertritt die mit über einer Milliarde Katholiken mit Abstand größte Religionsgemeinschaft der Welt in den internationalen Beziehungen. In dieser Funktion, nicht als Chef eines Zwergstaats, besucht er Deutschland und soll vor dem Bundestag reden. Deshalb wird er protokollarisch wie ein Staatsoberhaupt behandelt.
Reißerisch bezeichnet Bommarius den Papst in seinem Beitrag als „Potentat“ und letzten absoluten Regenten Europas. Begründet wird dies nicht etwa mit seiner Stellung als Haupt der katholischen Kirche, sondern ausgerechnet mit seiner Eigenschaft als Souverän eines Geländes von gerade einmal 44 Hektar, der Fläche eines kleineren landwirtschaftlichen Betriebes. Man kann darüber streiten, ob der Vatikan überhaupt ein echter Staat ist. Denn anders als jeder richtige Staat hat der Vatikan kein wirkliches Staatsvolk, erwirbt kein Mensch die Staatsangehörigkeit von Geburt an. Die Staatsbürgerschaft wird auf Zeit verliehen, und zwar nur für so lange, wie der „Staatsbürger“ sich dazu entscheidet, im Vatikan zu wohnen und zu arbeiten. Der Papst ist also Herrscher über Staatsangehörige auf Zeit, die sich ihm freiwillig unterordnen. Mit einem absoluten Herrscher, dem sein Volk auf Gedeih und Verderb ausgeliefert ist, hat das nichts zu tun.
Als nächstes Clichée müssen die Finanzgeschäfte der Bank des Vatikans herhalten. Finanzgeschäfte sind nicht immer wirklich die Stärke des Heiligen Stuhls, das wissen wir alle. Aber bekannt ist auch, dass gerade die Vatikanbank in Zeiten von Diktaturen und Despoten auf heimlichen Wegen helfen konnte. Und dass gerade der gegenwärtige Papst zahlreiche Anstrengungen unternommen hat, Ordnung in die veralteten Strukturen zu bringen, kann ebenfalls niemand in Abrede stellen. Wie schwierig das aber sein kann, wissen wir doch aus Deutschland nur zu gut. Welche demokratisch verwaltete Landesbank hat eigentlich noch keinen zumindest mittelschweren Skandal hinter sich?
Eintreten für das Grundgesetz
Die Kritik an der geplanten Rede des Papstes gipfelt in der These, die Werteordnung, die der Papst vertrete, stehe in vielen Fällen in direktem Gegensatz zur „objektiven“ Werteordnung, die das Grundgesetz für die Bundesrepublik bestimme. Hier scheint der Autor einiges zu verwechseln. Die Kirchen, auch der Papst, treten politisch weltweit für die Menschen- und Freiheitsrechte ein, in Deutschland natürlich auch für das Grundgesetz. Gleichzeitig ist es die Aufgabe aller Christen, das Wort Gottes zu verkünden und die Menschen einzuladen, diesem zu folgen. Ein Widerspruch ist dies keineswegs. Der Sinn der vom Staat garantierten Freiheit liegt ja gerade darin, keinem von Staats wegen seinen Weg zum Glück vorzuschreiben, sondern jedem seine persönliche Entscheidung zu lassen. Hierzu gehört selbstverständlich die Freiheit, einen christlichen Weg zu gehen, auch einen katholischen.
Vermutlich liegt der eigentliche Grund für die Polemik gegen den Papstbesuch ganz wo anders. Benedikt XVI. ist – anders als unsere Politiker – nicht abhängig von der öffentlichen Meinung oder von Wahlen. Der Papst fühlt sich einer ewigen Wahrheit verpflichtet, jenseits von Mode und Zeitgeist. Daher muss er häufig kompromisslos sein, etwa in seinem Eintreten für die Menschenwürde, für die Ärmsten der Welt, für die Rechte der Verfolgten und Schutzlosen, auch der Schutzlosesten überhaupt, der ungeborenen Kinder. Er vertritt eine klare Position zur Religionsfreiheit, auch derjenigen der Muslime in unserem Lande, einschließlich ihres Rechts auf den Bau von Moscheen. Vielleicht ist es ja gerade diese Klarheit, die die bundesrepublikanische Parlaments-Idylle herausfordert und vor der manch einer wirklich Angst hat. Bequem wird das nicht. Und gerade deshalb ist es eine Ehre für den Bundestag und das ganze Land, wenn der Papst im Parlament redet.“
Zugegeben – auf den ersten Blick wirkt die Argumentation auf mich zunächst überzeugend, zumal auch ich den Wirbel um die Papst-Rede im Bundestag nicht verstehe – waren hier doch schon weit zwielichtigere Stimmen zu vernehmen. Und ist nicht die Hopla-hop-Seligsprechung von Johannes Paul II. unter höchst dubiosen Umständen der weit größere Skandal? (Mehr hierzu im Thread „In welche Richtung bewegt sie sich?)
Dann aber lässt Dr. Christoph Lehmann die Katze aus dem Sack – der wahre Grund für die „Angst“ deutscher Parlamentarier vor dem Heiligen Vater: seine Verpflichtung auf eine „ewige Wahrheit“, seine „klare Position zur Religionsfreiheit“ und sein „Eintreten für Menschenwürde“ der „Schutzlosesten“. Hierzu fallen dem Herrn Dr. – ist es Zufall? – allein die „ungeborenen Kinder“ ein.
Bei dem hier aufblinkenden Fundamentalismus im Stile US-amerikanischer „Lebensschützer“ fällt es schwer, sich der Polemik zu enthalten.
Von welcher „ewigen Wahrheit“ sprechen Sie, Herr Dr. Lehmann? – Wenn das sichere Bewusstsein von deren Alleinbesitz für einen Auftritt im Bundestag prädestiniert, sollte dann nicht schleunigst eine Einladung an die Taliban hinausgehen? Die fühlen sich in dieser Frage auch sehr kompetent.
Von welchen „klaren Positionen“ sprechen Sie? Zählten zu den Schutzbedürftigen auch die Nazi-Schergen nach dem Krieg, die sich, mit vatikanischen Pässen versehen, der irdischen Gerichtsbarkeit entzogen? Und warum – um aktueller zu werden – versagte solches Mitgefühl ein halbes Jahrhundert lang ausgerechnet bei den Opfern des Missbrauchs durch katholische Priester?
Warum fallen ihnen bei „Menschenwürde“ nicht die Indios ein, die für Ausrottung, Mord und Terror eigentlich dankbar sein sollten, wurde ihnen doch auf diese Weise – nach Lesart Benedikts in Brasilien – der „wahre Glaube“ geschenkt? Oder die Priesterkinder, denen von der Kirche im Namen solch „ewiger Wahrheit“ nicht nur die Zahlung von Alimenten, sondern auch die eigene Identität und ein menschenwürdiges Leben verweigert wird?
Man möge mir den Sarkasmus verzeihen. Doch auf einen groben Klotz gehört ein grober Keil.
Papst Benedikt XVI. beabsichtigt anlässlich seines Staatsbesuches im September 2011 im Plenum des Deutschen Bundestages eine Rede zu halten. Während ein Teil der Abgeordneten, namentlich aus den katholischen Reihen der CDU und CSU, Zustimmung signalisiert, ist die Resonanz ansonsten eher zurückhaltend. Die Euphorie um den Slogan „Wir sind Papst“ ist kaum noch zu spüren und „ewige Wahrheit“ braucht auch kein aufgeklärter Christenmensch für seine Lebensgestaltung. Eine öffentliche Debatte um das Für und Wider erscheint notwendig, da hier zentrale Punkte des Religionsverfassungsrechtes betroffen sind.
Kirchen (Religionsgemeinschaften) und säkularer Staat stehen dem Grundgesetz nach in einem Verhältnis der balancierten Trennung: Erstere haben kein politisches Mandat und letzterer muss in weltanschaulicher Neutralität die Religionsfreiheit achten; beide nehmen ihre spezifischen Aufgaben wahr. Wenn der Papst in seiner Eigenschaft als Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche durch den Bundestag eingeladen wird, dann müssen folgerichtig ebenso Vertreter aller anderen zugelassenen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen zu Reden im Bundestag eingeladen werden, also die Vorsitzenden der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) und der Deutschen Bischofskonferenz, der orthodoxen, jüdischen, muslimischen und weiterer Gemeinden und auch z.B. der Dalai Lama. Diese könnten gebeten werden, z.B. zum Thema Menschenrechte aus ihrer religiösen Sicht zu sprechen. Dies aber wäre nur unter dem Gesichtspunkt zu rechtfertigen, dass Vertreter und Vertreterinnen öffentlich anerkannter religiöser und moralischer Instanzen ein prominentes Forum zur Meinungsäußerung und hoffentlich auch Diskussion im Deutschen Bundestag erhalten. Inwieweit hierzu das Plenum des Bundestages der geeignete Ort ist, ist von Fall zu Fall von den Abgeordneten zu entscheiden.
In diesem Sinne ist fest zu halten, dass es in Deutschland keinen Staatsbesuch mit all seinen Möglichkeiten der öffentlichen Darstellung eines ‚staatlichen Kirchenoberhauptes‘ geben darf. Die bei uns bewährte und sich von der französischen laizistischen Trennung und von allen staatskirchlichen Intentionen unterscheidende Trennung von Kirche(n) und Staat darf nicht unterlaufen werden. Der Papst steht als „Heiliger Vater“ – und diesen Titel hat er nur im römischen Katholizismus – weltlich wie geistlich, wie einst die Landesfürsten des Heiligen Römischen Reiches, dem kleinsten Staat der Welt mit etwa 500 Bürgern vor, der zugleich (laut FR) „die einzige absolute Monarchie Europas“ ist. Der Papst hat in vordemokratischer Manier nämlich alle drei Staatsgewalten in seiner Hand; er ist zuständig für die Gesetzgebung, für die Exekutive und die Rechtsprechung (Art. 1 der Verfassung des Vatikanstaates von 2000). Dass sein Botschafter in der BRD darüber hinaus Doyen des Diplomatischen Corps ist, ändert daran nichts.
Der Papst als politisches Staatsoberhaupt des Vatikanstaats ist in Personalunion zugleich Oberhaupt der römisch-katholischen Kirche mit ihrem aus dem 4. Jahrhundert datierenden religiösen Anspruch auf Alleinvertretung aller Christen und Christinnen. Aber seit dem Westfälischen Frieden von 1648 ist der Papst Oberhaupt lediglich einer, nämlich der römisch-katholischen Religionsgemeinschaft (neben der lutherischen und reformierten Konfession), zu der sich in Deutschland ein knappes Drittel der Bevölkerung zählt. Werden die anderen zwei Drittel gefragt? Hinzu kommt, dass die Werteordnung des Papstes und der maßgebenden Kräfte in der römisch-katholischen Kirche in Fragen wie Empfängnisverhütung, Abtreibung, Homosexualität, Konkubinat und Wiederverheiratung faktisch nicht mehr geteilt wird, ja dass sie teilweise sogar unserem Grundgesetz widerspricht.
Deswegen kann Papst Benedikt XVI. nur dann als 32. Gastredner in das Plenum des Deutschen Bundestages eingeladen werden, wenn von Anfang an klar gestellt wird, dass er ausschließlich als Staatsoberhaupt eines kleinen Staates auftritt, dem nicht andere Rechte zukommen als etwa den Fürsten von Monaco oder Lichtenstein. Sollte er aber ausdrücklich als Oberhaupt einer Kirche eingeladen werden, dann müssen ebenso Vertreter und Vertreterinnen aller anderen bei uns zugelassenen Religionsgemeinschaften und Weltanschauungen zu Reden in den Bundestag nicht nur zugelassen, sondern gleichsam der Reihe nach eingeladen werden.
Prof. Dr. iur. Friedrich Battenberg, TU Darmstadt, Karolinenplatz 3, 64289 Darmstadt, Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Christen und Christinnen bei Bündnis 90/Die Grünen
Prof. Dr. theol. Uwe Gerber, Hebelstr. 33a, 79650 Schopfheim, stv. Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Christen und Christinnen bei Bündnis 90/Die Grünen
Hier ist ja nicht relevant, was der Papst sagt, sondern wo er es tut.
Es mangelt ihm nicht an Gelegenheiten und das eine oder andere Gelände könnte er sich schon leisten, inklusive der kircheneigenen Medienräume.
Daß er in das Parlament eingeladen wird,ist eine klare Demonstration, daß nicht Inhalte, Wahrheit oder Unwahrheit Thema sind, sondern die Anbiederung des Staates und seiner Bevölkerung an eine beliebige Autorität, mit dem Ziel, dies später als inhaltsleeres, aber schlagkräftiges Prüfungsmerkmal eines Zusammengehörigkeitsgefühls anzuwenden.
Hier die Lightversion: Es wird so getan, als hätte der Papst etwas zu sagen.
Der Papst hat uns nichts zu sagen. Schon gar keine „ewige Wahrheit“.
Ich kann nur den Ausführungen Engelmanns voll zustimmen, die Argumentation Battenbergs gut heisen
und über BvG’s Schlussfolgerung schmunzeln.
(Darüber kann nun noch reichlich sieben Monate lang
gesendet, geschrieben und gestritten werden. Am besten so lange, bis der „heilige Vater“ aufgibt und gar nichts mehr sagen will…)
maderholz
Unchristliche katholische Kirche Die sehr vielen Missstände in der katholischen Kirche haben alle eine gemeinsame Ursache: die massive Missachtung der christlichen Nächstenliebe, ohne die weder eine Organisation noch ein Mensch das Recht haben, sich christlich zu nennen. Die christliche Nächstenliebe hat den gleichen Inhalt wie die „Goldene Regel“ von Konfuzius (ca. 500 Jahre vor unserer Zeitrechnung), welche als Grundlage der heutigen Menschenrechte gilt: „Behandle andere Menschen so, wie Du selbst behandelt werden möchtest.“ – Jegliche Ungleichbehandlung oder Bevorzugung ist somit ein Verstoß gegen die Mitmenschlichkeit. Wären die Kirchenvertreter (einschließlich Papst) wirklich Christen, wäre es für sie unmöglich, an folgenden für mich klaren Menschenrechtsverletzungen festzuhalten: 1. am Absolutheitsanspruch, dass das Christentum die allein wahre und gültige Religion ist und als solche anerkannt werden muss. Da es beim Islam und Judentum genau den gleichen kriegerischen Anspruch gibt, kam es verständlicherweise bisher schon zu vielmillionenfachen grausamsten gegenseitigen Ermordungen! 2. am Bestehen auf Bevorzugungen, wie z.B. – Gottesbezug im Grundgesetz (Bezug auf Menschenrechte reicht völlig; zumal es ja unbewiesen ist, ob es so etwas wie einen Gott überhaupt gibt); – Kirchensteuer (Einzug der Mitgliedsbeiträge durch die Kirchen selbst!); – viele staatliche christliche Feiertage (stattdessen nur weltanschauungsneutrale Feiertage, welche alle Menschen verbinden – statt wie bisher trennen – können, wie z.B. Friedensfest, Feiertage der Liebe, Gerechtigkeit, Kulturen, Natur, erneuerbaren Energien, Evolution, Erde im Weltall; – Religionsunterricht an öffentlichen Schulen (stattdessen für alle Schüler „Ethik und Weltanschauungskunde“ mit Informationen über die zahlreichen untereinander völlig gleichberechtigten religiösen und nichtreligiösen Weltanschauungen!).
Übrigens: Es käme erst gar nicht zu den sehr vielen umständlichen Kirchenaustritten, wenn Eltern ihre unmündigen und wehrlosen Babys nicht zwangsweise taufen ließen, sondern aus Respekt vor dem persönlichen Freiheitsrecht eines jeden Menschen ihre Kinder später selbst entscheiden ließen, ob sie Mitglied einer Weltanschauungsorganisation werden möchten oder nicht!
@ Reinhard Moysich
In die „innerchristliche“ Debatte um Papstbesuch will ich mich nicht einmischen, in zwei Punkten möchte ich Ihnen aber widersprechen:
1. „Da es beim Islam und Judentum genau den gleichen kriegerischen Anspruch (die allein wahre und gültige Religion zu sein) gibt, kam es verständlicherweise bisher schon zu vielmillionenfachen grausamsten gegenseitigen Ermordungen!“ Das Judentum erhebt keineswegs den Einspruch, die „allein wahre und gültige Religion zu sein“. Im Talmud heißt es: „Gerechte aller Völker haben ihren Anteil an der kommenden Welt.“ Einen solchen Absolutheitsanspruch erheben auch nicht die meisten christlichen Richtungen, einschließlich der Katholiken, und auch die Muslime haben in ihrer Mehrheit weit differenziertere Haltungen. Der Dialog der Religionen ist nämlich weiter gekommen, als manche wahrhaben wollen, trotz mancher Rückschläge letzter Zeit.
2. Ob die von Ihnen geforderte absolute Trennung von Religion und Staat, wie sie z.B. in den USA praktiziert wird, dem historisch gewachsenen deutschen Staatskirchenrecht überlegen ist, zweifle ich an. Das Beispiel der USA zeigt, dass davon durchaus fundamentalistische Gruppierungen profitieren, ohne dass der politische Einfluss der Religionen geringer wäre. Dies schreibe ich hier im Blog zum x-ten mal, ohne dass mir bisher jemand schlüssig das Gegenteil belegen könnte.
@ Abraham #6
Ihr wiederholter Hinweis auf die USA beweist zunächst einmal überhaupt nichts, er ist was er ist: ein Hinweis, mehr nicht. Ich kenne die USA allerdings zu wenig, als dass ich Ihnen in dieser Hinsicht meinerseits irgendeinen Beweis oder Gegenbeweis liefern könnte. Soweit ich mich recht erinnere, ging die gewaltsame Besiedelung Nordamerikas von religiösen Fundamentalisten aus, nämlich den Pilgrim Fathers, die einer besonders radikalen Strömung im englischen Puritanismus angehörten – und das sieht man dem Land („God’s own country“) auch nach fast 400 Jahren immer noch deutlich an.
Die konsequente Fortführung der Aufklärung hier in Europa wäre es, in Anlehnung an den französischen Philosophen Michel Onfray [1], wenn das ordentliche Schulfach „Bekenntnisorientierter Religionsunterricht“ endlich abgeschafft würde. Religion könnte in andere Fächer integriert und geistesgeschichtlich als vorwissenschaftliches Denken eingeordnet werden.
Innerhalb des bestehenden Lehrstoffs könnte Religion in Philosophie, Geschichte, Literatur, Kunst, Fremdsprachen, Sozialkunde etc. abgehandelt werden. Das trifft auf die Vorläufer der Wissenschaften ebenso zu: im Rahmen des Chemieunterrichts wäre über Alchimie zu sprechen, in Biologie könnte „Schädelkunde“ angesprochen werden, Mythologie wäre in Geschichte unterzubringen. Im Grunde bedürfte es nicht einmal eines eigenen Schulfachs („Ethik und Weltanschauungskunde“ wie es R.Moysich nennt oder „LER – Lebenskunde, Ethik, Religionskunde“ wie in Brandenburg).
So ließe sich die Erkenntnis gewinnen, dass Religion aus einer Art primitiver, entwicklungsgeschichtlicher Rationalität hervorgeht. Mythos, Fabel, Fiktion, (vielleicht auch „Eingebung“, „Erleuchtung“ und „Offenbarung“ ?) wären erkenntnistheoretisch als Vorstufen der Vernunft und der schlussfolgernden Denk- und Argumentationsweise (Logik, Wissenschaft usw.) identifizierbar.
Auch ich wiederhole zum x-ten Mal in diesem Blog meine Forderung nach Abschaffung des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts, weil mir bisher niemand stichhaltig und schlüssig darlegen konnte, warum es Religionsgemeinschaften mit staatlicher Förderung gestattet sein soll, die Seelen unserer Kinder propagandistisch („bekenntnisorientiert“) vergiften zu dürfen. Die Indoktrinierung durch die Eltern lässt sich nicht verhindern, wohl aber die institutionalisierte Indoktrinierung im Rahmen der allgemeinen Schulpflicht.
Wenn man sieht, wie der Fundamentalismus auf der ganzen Welt auf dem Vormarsch ist, kann man ermessen, was uns auf unserer noch relativ säkularen Insel Europa in Zukunft erwartet. Die evangelikalen Protestanten konzentrieren ihre Propagandakraft zur Zeit noch auf Südamerika, Afrika und Asien, aber Europa kommt auch noch dran. Die Vorreiter agieren ja schon. Ob es der ehem. thüringische Ministerpräsident Althaus oder die hessische Kultusministerin Karin Wolff sind: da sollen an Schulen die biblische Schöpfungslehre (in ihrer fundamentalistischen Ausprägung des „Kreationismus“) und die Evolutionstheorie gleichwertig behandelt werden! Der Bundespräsident übernimmt das amerikanische „God bless America!“ als „Gott schütze Deutschland!“ und Merkel wünscht sich mehr, statt weniger Christentum in der Politik („Unser Land leidet nicht an einem Zuviel an Islam, sondern an einem Zuwenig an Christentum!“).
Wie weit sich die Religionskrake in die Institutionen hineingefressen hat (Sie nennen es, politisch korrekt aber m.E. verniedlichend, „Staatskirchenrecht“), sieht man z.B. an der Meldung der FR vom 5./6. Februar, Wissen & Bildung, Seite 25 „Wie halten Sie es mit der Religion?“. Darin erfährt man, dass es in Bayern 21 sog. „Konkordatslehrstühle“ gibt, bei deren Besetzung die katholische Kirche ein Mitsprache- bzw. Vetorecht besitzt.
1924 waren „für jeweils eine Stelle an den Universitäten München und Würzburg in den Fächern Geschichte und Philosophie vorgeschrieben, dass sie mit Professoren zu besetzen seien,“ gegen die von seiten der katholische Kirche keine Einwände bestünden. “
1974 wurde die Anzahl der Konkordatslehrstühle auf alle bayerischen Universitäten ausser Bayreuth und der TU München ausgeweitet, betroffen sind nun die Fächer Philosophie, Pädagogik und Gesellschaftswissenschaften.“.
Kaum hatte man durch eine Änderung der bayerischen Verfassung die Volksschulen, die bisher einer Konfession zugeordnet waren, dem religiösen Würgegriff entzogen, prompt verschaffte sich die katholische Kirche den Zugriff auf anderem Weg – über die Pädagogen und Gesellschaftswissenschaftler.
Wie ein bekenntnisorientierter Religionsunterricht aussehen könnte, hatte ich Ihnen bereits im Tunesien-Thread dieses Blogs aufgezeigt. Ich wiederhole es hier aber gerne noch einmal:
Ein aufschlussreiches, ganz frisches Video vom 18.01.2011 mit dem Titel “Verbrechen im Namen des Islam” finden Sie in der Kategorie “Unterricht für Jugendliche” unter http://diewahrereligion.eu/2011/01/18/verbrechen-im-namen-des-islams/ .
“Allah und Sein Gesandter (Allahs Segen und Friede auf ihm) sagen deutlich, dass nur Muslime ins Paradies kommen. Und alles, was im Quran und in der Sunna steht (soweit dieser Hadith sahih/authentisch ist), müssen wir glauben. Es ist sehr gefährlich, auch nur eine erwähnte Stelle im Quran zu leugnen, denn somit bezichtigt man Allah und Seinen Gesandten (Allahs Segen und Friede auf ihm) der Lüge astaghfirullah.
Der Quran ist perfekt ohne jeglichen Fehler, denn er ist das einzige Buch Allahs, welches nicht durch Menschen verfälscht worden ist und werden kann, dass ist das Versprechen Allahs…”
Wer sich dieses Video nicht antun möchte: das “Verbrechen im Namen des Islam” besteht übrigens darin, dass ein Hodscha seinen (christlichen) Nachbar ein frohes Weihnachtsfest wünscht!
Dass irgendwelche Lehrpläne eine derartige Indoktrinierung nicht verhindern, ist offensichtlich.
[1] Michel Onfray, Wir brauchen keinen Gott, München 2006
http://www.amazon.de/brauchen-keinen-Gott-Warum-Atheist/dp/3492249493/
@ # 7 Schnippsel
Schon merkwürdig, die „religiöse Unterweisung“ möchten Sie aus dem Unterricht verbannen, die antireligiöse Unterweisung, Religionen seien „Vorstufen der Vernunft“, aber in den regulären Unterrichtsstoff integrieren? Ich will aber nicht eine neue Diskussion über das Verhältnis von Wissenschaft und Religion beginnen. Das von mir angesprochene Thema ist das Verhältnis des säkularen Staates zu Religionen, die – das werden Sie wohl nicht bestreiten – ein Teil unserer Gesellschaft sind.
Dieses Verhältnis ist in Deutschland durch das Staatskirchenrecht, die aus der Weimarer Verfassung übernommenen Grundgesetzartikel, geregelt. Eine Diskussion über die Vor- und Nachteile dieses historisch gewachsene System gegenüber anderen Konzepten westlicher Demokratien (wie der „Laicite“ in Frankreich oder der strikten Trennung von Staat und Religionen wie in den USA) ist selbstverständlich legitim. Die meiner Meinung nach entscheidenden Fragen sind, welches dieser Konzepte mehr zum gesellschaftlichen Frieden beiträgt und gleichzeitig das Recht des nicht-religiösen Teils der Bevölkerung auf „negative Religionsfreiheit“ wahrt.
Der bekenntnisorientierte Religionsunterricht verletzt meiner Meinung nach nicht die negative Religionsfreiheit, weil dieser den bekenntnisfremden Schülern nicht aufgezwungen wird. Die Eltern und ab einem gewissen Alter (ich glaube ab dem 14. Lebensjahr) auch die Schüler selber können sich, auch unabhängig von ihrer Zugehörigkeit zu einer Religionsgemeinschaft, gegen die Teilnahme am Religionsunterricht entscheiden. In einigen Bundesländern (z.B. in Bayern) ist dann die Teilnahme am Ethikunterricht vorgeschrieben. Das Angebot des Religionsunterrichts als ordentliches Lehrfach verpflichtet aber die Religionsgemeinschaften zur Kooperation mit dem Staat, der sowohl bei der Gestaltung der Lehrpläne als auch bei der Auswahl der Religionslehrer eine Mitsprache hat. Das wirkt deutlich mäßigend und verhindert den Einfluss von Fundamentalisten, ob es sich um Piusbrüder oder um Evangelikale handelt. Das „deutsche“ System trägt auch zum Frieden zwischen den Konfessionen und Religionen bei; jedenfalls sind religiöse Konflikte in Deutschland eher geringer ausgeprägt als z.B. in Frankreich.
Gerade in Bezug auf Muslime wäre ein staatlich sanktionierter Religionsunterricht in der Schule ein Vorteil, weil dabei sicherlich die von Ihnen zitierten „Unterrichtsmaterialien“ nicht zum Einsatz kämen.
Die Verbannung des Religionsunterrichts aus den Schulen würde nicht sein Ende bedeuten, sondern nur eine Verlagerung in die alleinige Verantwortung der Religionsgemeinschaften. Was würde sich damit an der „institutionalisierten Indoktrinierung“ ändern, als welche Sie den Religionsunterricht sehen? Im Übrigen lässt sich die „Indoktrinierung durch die Eltern“ genauso wenig bei antireligiösen Erziehungsberechtigten verhindern.
P.S.: Was Althaus zur biblischen Schöpfungslehre als Unterrichtsstoff gesagt hat, weiß ich nicht. An ein Interview von Karin Wolff in der FR kann ich mich hingegen gut erinnern. Sie hat sich dabei eindeutig vom „Kreationismus“, also der Umdeutung der Schöpfungserzählung der Bibel zu einer Darwin widerlegenden „Wissenschaft“ distanziert. Was sie in der Schule als legitimes Thema angesprochen hat, ist die Erörterung des Spannungsverhältnisses zwischen wissenschaftlicher und religiöser Weltdeutung. Diese ist auch meiner Meinung nach nötig, damit die Schüler verstehen können, warum der „Kreationismus“ unwissenschaftlich ist, aber auch deshalb, damit sie lernen, sich mit den Grenzen der Wissenschaft auseinanderzusetzen.
@ Reinhard Moysich:
Sie schlagen als weltanschauungsneutrale Feiertage solche vor, welche alle Menschen verbinden und nennen hier: Friedensfest, Feiertage der Liebe, Gerechtigkeit, Kulturen, Natur, erneuerbaren Energien, Evolution, Erde im Weltall; –
Das Fest der erneuerbaren Energien würde MICH nicht mit dem Rest der Menschheit verbinden; das Fest der Evolution vermutlich nicht diejenigen, die davon überzeugt sind mit denjenigen, die an die gezielte Schöpfung glauben.
So einfach ist das nicht mit den allgemeinen Gültigkeiten!
Ebenso mit dem Bezug auf die Menschenrechte – die werden weltweit auch sehr unterschiedlich interpretiert.
@ Abraham #8
Es darf als bekannt gelten, dass Nikotin und Alkohol gesundheitsschädliche Wirkungen haben, aber trotz dieses Wissens kann der Staat dem Einzelnen den Gebrauch dieser Drogen nicht verbieten. So gibt es Eltern, die ihre Kleinkinder Alkohol probieren lassen, die in Gegenwart ihrer Kleinkinder rauchen oder ihre Kinder rauchen lassen. Immerhin kann der Staat durch gesetzliche Vorgaben den Verkauf und den Konsum dieser Drogen in der Öffentlichkeit regulieren.
Geradezu aberwitzig erschiene der Allgemeinheit, wenn der Staat mit den Drogenlieferanten per sog. „Staatsdrogenrecht“ übereinkommt, auf Staatskosten bereits in der Grundschule Raucherzimmer für Schüler einzurichten sowie einen wöchentlichen „Pflichtunterricht für Freude am Saufen“ verpflichtend einzuführen. In letzterem würden die durch staatliche Konsumpläne festgelegten Alkoholika verzehrt und zwar unter Anleitung staatlich geprüfter Alkoholiker. Mit 14 Jahren dürften die Schüler dann selbst entscheiden, ob sie weiterrauchen und -saufen wollen oder nicht. Mit dem Auftreten neuer Drogen müsste natürlich auch diesen die entsprechende Propagierungsmöglichkeit eingeräumt werden – so dürfen sich die Kiffer für haschischorientierten „Pflichtunterricht für Freude am Kiffen“ anmelden. Schließlich gilt ja das Gebot der Gleichbehandlung bzw. ein Verbot der Diskriminierung!
Nun mögen sich Religiöse über den Vergleich von Droge und Religion aufregen, für mich ist die Ähnlichkeit jedoch offensichtlich. Dazu sei ein Zitat von Hamed Abdel-Samad gestattet, das sich natürlich ebenso gut auf das Christentum beziehen lässt: „Der Islam ist in gewisser Weise wie eine Droge. Wie Alkohol. Wenig davon kann sehr heilend und inspirierend wirken, aber wenn der Gläubige in jeder Lebenssituation zur Flasche der dogmatischen Lehre greift, wird es gefährlich.“
@Schnippsel
Ihr Beispiel basiert auf einer dogmatischen(!) Gleichsetzung von Imateriellem (Wertvorstellungen, Glaubenslehren) mit Materiellem, was mindestens diskutabel zu nennen ist. Außerdem interpretieren Sie das Zitat von Hamed Abdel-Samad sinnentstellend, wenn Sie „ist in gewisser Weise wie eine Droge“ mit „ist eine Droge“ gleichsetzen und eine religiöse Einstellung mit „in jeder Lebenssituation zur Flasche der dogmatischen(!) Lehre greifen“. Leider argumentieren sie also für Ihren Standpunkt in einer Weise, die Sie selbst den Religiösen vorwerfen.
@ Schnippsel
Das war jetzt deutlich unter Ihrem Niveau! Ich hoffe nur, dass Sie in ihrem wirklichen Leben in der Lage sind, Ihren Religionshass zu bändigen. Wenn Sie in dieser Weise Kinder erziehen wollen, dann betreiben Sie eine intolerante Indoktrinierung, die vielen religiösen und nicht religiösen Familien, die ich kenne, gänzlich fremd ist.
@ dreas #11
„Ihr Beispiel basiert auf einer dogmatischen(!) Gleichsetzung von Imateriellem (Wertvorstellungen, Glaubenslehren) mit Materiellem, was mindestens diskutabel zu nennen ist.“
1. Ich habe, wie Sie richtig feststellen, ein Beispiel gebraucht, oder – mit einem Fremdwort ausgedrückt – per Analogiebildung einen Sachverhalt zu verdeutlichen versucht. Als solches kann ich daran weder eine „Gleichsetzung“ noch gar eine ausrufungszeichenbehaftete „dogmatische (!)“ Vorgehensweise erkennen. Hier geht es auch zunächst nicht um philosophische Fragen, sondern um die staatliche Organisation unseres Gemeinwesens.
2. Wenn Sie denn von Dogmatik sprechen wollen, dann ist es die von Ihnen ins Feld geführte Idealismus-/Materialismus-Debatte bzw. der sog. Körper-Geist-Dualismus: also die Annahme (Unterstellung) eines fundamentalen Unterschiedes von Körper und Geist, Natur und Kultur. Eng verbunden damit ist die Vorstellung eines „freien Willens“. Was Sie als „mindestens diskutabel“ bezeichnen, soll vermutlich heissen, dass Sie diese Annahme für wahr halten – und damit wären wir mitten drin in der Dogmatik (allerdings Ihrer!).
Mithilfe von Descartes‘ These eines Dualismus von Körper und Geist bzw. Leib und Seele versuchte man zu erklären, warum auf der (materiellen) Ebene des Körpers Naturkausalitäten wirkten, der (immaterielle) Geist des Menschen davon jedoch unberührt bliebe.
Indem man den – ganzen – Menschen derart aus dem Naturzusammenhang riss, konnte man ihn auch weiterhin als „Krone der Schöpfung“ begreifen – und geriet damit nicht in Widerspruch zur kirchlichen Lehre. (Allerdings wies man diese noble Rolle nicht dem Menschen als solchem zu, sondern vielmehr dem gebildetem Kulturwesen, konkret: dem vernunftsgeleiteten Europäer, der sich dank seiner vermeintlich hoch entfalteten Geisteskräfte nicht nur über das Tierreich, sondern auch über die Mitglieder sog. „Naturvölker“ erhaben fühlen durfte.)
Die autonome, von den Fesseln der Kausalität befreite Vernunft sollte fähig sein, objektiv zwischen richtig und falsch, schön und unschön, gut und böse unterscheiden zu können. Mehr noch: sie sollte nicht nur präzise theoretische Urteile fällen können, sondern darüber hinaus die Menschen prinzipiell in die Lage versetzen, entsprechend aufgeklärt zu handeln. Hierauf gründeten sich die freudigen Erwartungen eines „ewigen Weltfriedens“ oder eines „Reichs der Freiheit“, in dem aufgeklärte Menschen jenseits trennender Eigeninteressen ein Leben in Freiheit und Gleichberechtigung führen würden.
Die Erkenntnisse der modernen Neurobiologie legen etwa 400 Jahre später jedoch nahe, dass es sich dabei um einen Irrtum handelte, denn die so genannten höchsten Geistestätigkeiten lassen sich nicht vom Aufbau und der Arbeitsweise des biologischen Organismus trennen. Jeder Gedanke, jede Empfindung, jedes Urteil, beruht auf körperlichen Prozessen. Wenn bestimmte Teile des Gehirns elektrisch stimuliert werden, erleben wir einen Geschmack auf der Zunge oder vielleicht sogar „religiöse Gefühle“. Werden bestimmte Hirnregionen verletzt, führt dies dazu, dass wir die Fähigkeit verlieren, Entscheidungen zu treffen oder unser eigenes Spiegelbild zu erkennen. Verkürzt gesagt: wir müssen heute womöglich akzeptieren, dass das denkende Ich nichts weiter ist als ein Artefakt des körperbewussten Gehirns. Anders ausgedrückt: das für unser Selbstverständnis zentrale und intuitiv überzeugende Gefühl, wir seien autonom handelnde Subjekte, ist das Resultat einer geschickten Selbsttäuschung unseres Organismus. Das bewusste Ich wird erzeugt und gesteuert von neuronalen Prozessen, die selbst unmittelbar nicht erfahrbar sind.
Ebenso fällt auch das Hauptargument, das die Vertreter der Willensfreiheitshypothese für sich in Anspruch nehmen konnten. Wenn der Mensch – wie alle anderen Lebewesen auch – der Naturkausalität, dem Wechselspiel von Ursache und Wirkung, unterworfen ist, kann es selbstverständlich keinen freien Willen im eigentlichen Sinne des Wortes geben. Interessant ist die verlogene Argumentation: bzgl. eines Gottesbeweises will man die Entstehung der Welt nach dem Kausalitätsprinzip aus Gott als dem „motor movens“, also als Ursache, erklären, hingegen soll der Wille des Menschen „frei“ sein, also dem Kausalitätsprinzip nicht unterworfen. Wovon sollte der Willensakt denn „frei“ sein? Frei von der Beeinflussung durch aktuelle Reize, durch mein Wissen und meine Erfahrung, durch meine körperliche Befindlichkeit? Frei von meiner sozialen Herkunft und Einordnung und frei von unbewussten Motiven? Also frei von Ursachen aus sich heraus eine Wirkung produzierend?
Zahlreiche neurobiologische Untersuchungen haben erstmals empirisch nachgewiesen, dass wir nicht wollen können, was wir wollen, sondern vielmehr wollen müssen, was uns unser Gehirn auf der Basis unbewusster, neuronaler Prozesse zu wollen vorgibt.
„Außerdem interpretieren Sie das Zitat von Hamed Abdel-Samad sinnentstellend, wenn Sie “ist in gewisser Weise wie eine Droge” mit “ist eine Droge” gleichsetzen und eine religiöse Einstellung mit “in jeder Lebenssituation zur Flasche der dogmatischen(!) Lehre greifen”. Leider argumentieren sie also für Ihren Standpunkt in einer Weise, die Sie selbst den Religiösen vorwerfen.“
Ich habe HAS nur zitiert, nicht interpretiert. Die Interpretation liegt ganz bei Ihnen. Insofern fühle ich mich von Ihrem letzten Satz überhaupt nicht angesprochen. Sie haben jedoch insofern Recht, als ich HAS‘ Beschreibung des Islam für halbherzig halte: er ist in seiner Kritik auf halbem Weg stehengeblieben.
# 7, Schnipsel, # 8, Abraham
Vielleicht sollte man nach den Ausrutschern # 10-12 wieder auf dieses Niveau zurückkommen.
Ich kann Abrahams Unlust verstehen, sich zum eigentlichen Thema Papstrede zu äußern. Liegt doch der Verdacht nahe, dass hier eine Art päpstliche Marketingstrategie vorliegt, fundamentalistisch-doktrinäre Positionen der katholischen Kirche wie etwa zur Geburtenregelung mit parlamentarischen Hilfstruppen an den Mann bzw. die Frau zu bringen. Zumindest weist, wie ich schon in # 1 andeutete, der Gastbeitrag von Dr. Christoph Lehmann darauf hin.
Dazu nur so viel: Es wäre sicher interessant, das Ganze einmal unter dem Aspekt eines umgedrehten Canossagangs zu betrachten: als Versuch der geistlichen Herrschaft, sich des Segens der weltlichen Herrschaft zu versichern, um sich des Bannstrahls zu entledigen, der sie (u.a.) durch den Missbrauchsskandal ereilt hat. So gesehen, wäre das in 1000 Jahren doch immerhin schon ein gewisser Fortschritt.
Freilich könnte sich dann diese weltliche Herrschaft an die ach so großen Barmherzigkeit eines Gregors VII. erinnern, der den bußfertigen Kaiser Heinrich 3 Tage lang demütigte und schmoren ließ, bevor er sich seiner päpstlichen Pflicht entsann und ihn vom Bann befreite. Es wäre also auch über die Bußfertigkeit dieser Kirche bzw. dieses Papstes zu sprechen. Die scharfen Verurteilungen der „gefallenen Schäfchen“ durch Benedikt XVI. sind hierfür sicher kein Indiz. Sie erscheinen vielmehr heuchlerisch angesichts der jahrzehntelangen aktiven Teilhabe der Kirchenhierarchie in Form von gezielter Vertuschung und Verschleierung. Der Versuch, durch rasante Seligsprechung Johannes Pauls II. Untersuchungen des aufgekommenen Verdachts im Fall seines Freundes und Kardinalskollegen Marcial Maciel möglichst im Kein zu ersticken, gehört wohl auch zu diesem Kapitel.
Nun zu dem von Schnipsel und Abraham angesprochenen Thema des Religions- bzw. Ethikunterrichts und der Trennung von Kirche und Staat.
Spontan neige ich eher zu Abrahams Auffassung, dass eine solche Trennung Missbrauch keineswegs verhindert. Frankreich scheint mir aber ein schlechtes Beispiel. Obwohl ich mich schon aus privaten Gründen um Informationen hierzu bemühe, sind mir keine eindeutigen Fälle des Missbrauchs des Religionsunterrichts, zumindest von katholischer Seite, zu Ohren gekommen (anders als in Polen, wie in meinem Essay „In welche Richtung bewegt sie sich?“ angesprochen).
Schnipsel hat dankenswerter Weise Beispiele islamistischer Indoktrination hier verlinkt. (Freilich hätte ich gern erfahren, von welchen Organisationen sie ins Netz gestellt wurden.) Diese Beispiele zeigen wohl deutlich, wie auch – oder vielleicht gerade – bei fehlender Trennung hier in Deutschland Hassprediger ihr Unwesen treiben können, ohne dass eine staatliche oder kirchliche Gewalt dem Einhalt gebieten würde. Dabei ist das Problem schon über 30 Jahre alt. Schon in den 70er Jahren konnten aufmerksame Lehrer und Schulen (z.B. in Berlin-Kreuzberg) erfahren (wenn auch nicht in so geballter Form), wie Erziehung zu Toleranz durch gezielt antidemokratische Hetze in Koranschulen konterkariert wurde (etwa in Form von Äußerungen wie: „Einen Ungläubigen darf ein Moslem anlügen.“)
Hier allein mit dem Finger auf den Islam zu zeigen, wäre sicher unangemessen und ungerecht. In Sachen Erziehung durch Angsterzeugung hat schließlich die katholische Kirche selbst genug Erfahrung. Ich entsinne mich des Kommunionsunterrichts in Bayern in den 50er Jahren. Hier wurde uns neunjährigen Kindern die Heiligkeit des Vorgangs durch drastische Beispiele nahegebracht, wie dem eines Mädchens, das, aus bloßer Neugier und „im Stand der Ungnade“ die heilige Hostie empfangen habe und darauf am Altar tot umgefallen sei.
Um sich – im positiven Fall – von den Traumata solch psychischer Vergewaltigung in der Kindheit zu lösen, bedarf es (nicht anders als bei sexuellem Missbrauch) etwa des Zeitraums eines Menschenalters (30 Jahre), und dazu gibt es viele Beispiele.
Im Fall der von Schnipsel zitierten Beispiele islamistischer Indoktrination kommen noch gezielte Hassstrategien gegenüber anderen Religionen und toleranten Moslems hinzu (für mich eine klare Angelegenheit für die Staatsanwaltschaft). Symptomatisch erscheint mir zudem, dass dieser „Unterricht“ ausschließlich aus dogmatischen Behauptungen des „Lehrers“ ohne den geringsten Versuch einer Begründung (nicht einmal aus dem Koran) besteht und natürlich auch keinerlei Schüleräußerung festzustellen ist.
Dass die Aufdeckung der Missbrauchsskandale in der katholischen Kirche bis zu 50 Jahren dauerte und auch heute noch gegenüber solcher religiöser Indoktrination weitgehende Hilflosigkeit herrscht, liegt m.E. an einer ganzen Reihe von Faktoren:
1. die kirchliche Dogmatik selbst, insbesondere Erbsündelehre, Mariendogmen (beim Islam entsprechend: dogmatische Koranexegese, Frauenbild u.a.)
2. die verheerenden psychischen Auswirkungen einer auf Schuld- und Angsterzeugung beruhenden religiösen Unterweisung (Erzeugung des Untertanentyps)
3. fehlendes Bewusstsein in der Bevölkerung, fehlende Auseinandersetzung mit anderen Überzeugungen bzw. Unfähigkeit dazu
4. Isolierung und soziale Aussonderung bewusster bzw. kritischer Menschen
5. fehlende oder unzureichende juristische Instrumentarien und Hilfsmittel, um sich zur Wehr zu setzen.
Hinweise:
Zu 1/2: Ich kenne, vor allem aus Frankreich, Formen der Religionsausübung und -unterweisung, die, etwa im Sinne der Bergpredigt, das christliche Gebot der Nächstenliebe ernst nehmen und auf Toleranz zielen. Es ist aber nicht zu übersehen, dass solche Formen eine lediglich tolerierte Spielwiese darstellen, solange die doktrinäre, auf Angsteinflößung und Intoleranz zielende Dogmatik (insbesondere Erbsündelehre und Unfehlbarkeitsdogma bzw. absoluter Wahrheitsanspruch) aufrecht erhalten bleiben. (In diese Richtung zielt auch Drewermanns Kritik.)
Zu 3/4: Symptomatisch für solche Ausgrenzung ist die in den 50er und 60er Jahren vor allem auf dem Land zu beobachtende Tendenz, kritische Menschen in die Rolle des „Dorfdeppen“ zu drängen. Ähnliches beschreibt auch Fassbinder im Film „Jagdszenen in Niederbayern“, der mit einer Treibjagd gegen einen Homosexuellen endet.
Die Krux für die katholische Hierarchie ist wohl, dass, ausgehend von der Kritik an einer heute wohl als pathologisch zu bezeichnenden Einstellung zur Sexualität, in den letzten 3 Jahrzehnten in dieser Hinsicht deutliche Wandlungen (zumindest in europäischen Ländern) stattgefunden haben und die Amtskirche in Folge des Beharrens auf doktrinären Positionen (siehe 1) selbst bei den ihr traditionell eng verbundenen Kreisen jegliche richtungweisende Funktion und Glaubwürdigkeit verloren hat.
Zu 5: In Zusammengang mit Punkt 3/4 und vor allem mit Punkt 2 ist sicher auch die jahrzehntelange Vertuschung der Missbrauchsskandale zu sehen.
Wie wenig die kirchliche Hierarchie – entgegen aller scheinheiligen Erklärungen – auch heute bereit ist, reinen Tisch zu machen oder gar doktrinäre Positionen zu hinterfragen, zeigen die ebenso lächerlichen wie unverfrorenen ersten Reaktionen auf das „Memorandum“ der 150 Theologieprofessoren und –professorinnen und zu den Erklärungen aus Kreisen von CDU/CSU in Sachen Zölibat.
Wenn ich trotz all dieser negativen Beispiele ähnlich wie Abraham in einem System, das Kirche und Staat nicht völlig trennt, bessere Chancen sehe, der Indoktrination von Hasspredigern Herr zu werden, so deshalb, weil das Abdrängen von Kirche in einen völlig außerstaatlichen Bereich sie (solange keine unmittelbaren Straftaten NACHWEISBAR sind) sie auch gesellschaftlicher Kontrolle entzieht, vor allem bei extensiver und naiver Deutung des Prinzips der „Religionsfreiheit“ (vgl. USA, etwa „Kreationismus“). Naiv wäre dabei, von einer in wesentlichen Lebensfragen fundamentalistisch eingestellten und hierarchisch sowie undemokratisch aufgebauten Amtskirche, etwa in Fragen der Lehre (vgl. Knebelung der Theologen!), eine Selbstkontrolle in Hinblick auf religiöse Toleranz zu erwarten – was für diese nichts anderes als Selbstaufgabe bedeuten würde. Dies erscheint mir überhaupt nur durch massiven inner- wie außerkirchlichen Druck „von unten“ möglich.
Aber auch dies erscheint – so bei Fragen der Lehre – nur erfolgversprechend, wenn gesellschaftliche Kontrollmechanismen im Sinne von Punkt 5 hinzukommen. Diese könnten sich an Formen staatlicher Kontrolle, etwa im Schulwesen, orientieren, ohne selbst staatlich zu sein.
Als ehemals selbst Betroffener verkenne ich keineswegs die Problematik staatlicher Kontrolle, die selbst außer Kontrolle geraten und die Form totalitärer Gewissenskontrolle annehmen und tausendfach Existenzen vernichten kann, wie im Falle der Berufsverbote in der BRD fast 2 Jahrzehnte lang praktiziert.
Um zum Schluss zu kommen:
Die hier angesprochenen Fragen dürften wohl kaum in so allgemeiner Weise lösbar sein, wie von Schnipsel einerseits, Abraham andererseits ausgeführt. Der Teufel steckt eben auch hier (und vielleicht noch mehr als gewöhnlich) wieder im Detail.
Noch ein Wort zu Schnipsels Vorschlägen weltanschaulich neutraler Feiertage. Das erinnert mich doch sehr stark an kläglich gescheiterte Versuche der Französischen Revolution, kirchliche Traditionen durch andere, nicht im Volk gewachsene Traditionen zu ersetzen, die selbst wieder quasi religiöse Züge annahmen. Und es könnte auch als Ermutigung zu anderen dubiosen Feiern und entsprechender Instrumentalisierung verstanden werden. Und von einer Reanimation von Gebräuchen wie etwa Sonnwendfeiern möchte ich doch lieber verschont werden. Da sind mir historisch gewachsene Traditionen wie Weihnachtsfeiern, die ja nicht notwendigerweise zu Konsumgötzentum entarten müssen und auch die Möglichkeit des Respekts vor Traditionen wie dem Ramadan offen lassen, dann doch lieber.
Mit freundlichen Grüßen
Werner Engelmann
PS.: Stellungnahmen hierzu würden mich sehr freuen.
@Schnippsel
Finden Sie’s nicht ein wenig gewagt, mich auf der Grundlage eines Beitrags von knapp 6 Zeilen gleichsam als einen Dogmatiker des Körper-Geist-Dualismus zu apostrophieren?
@ Abraham #12
Fast bin ich geneigt, hier ein Pingpongspiel der Art „Das war jetzt deutlich unter Ihrem Niveau!“ zu spielen. Dieses Spiel von Religionshass, Islamophobie, der Threadtitel „Angst vor dem Heil’gen Vater“ – was soll das? Wenn ich, unter Anerkennung ihrer positiven Eigenschaften, keine Spinnen in der Wohnung haben möchte, bin ich doch nicht per se ein „Spinnenhasser“ oder arachnophob.
Um es für die Mitleser, die vorausgegangene Beiträge von Ihnen und mir nicht kennen, noch einmal deutlich zu sagen: nein, ich bin nicht für ein Verbot der Kirchen und ich will auch niemand seinen Glauben rauben! Jeder soll glauben, was er will, so abstrus das auch immer sein mag – auch Erwachsene dürfen noch an Weihnachtsmann und Osterhase glauben oder die Erde für das Zentrum des Universums halten. Umso erstaunlicher finde ich Ihre Anmerkung, mir ginge es um eine „intolerante Indoktrinierung“.
Ich bin allerdings sehr wohl für eine klarere und striktere Trennung von Kirche und Staat und für die schnellstmögliche Vollendung des bereits über 200 Jahre dauernden Prozesses der Säkularisierung. Das bedeutet: a) Religion ist Privatsache und b) Es gibt keine staatlich organisierte Unterstützung von Weltanschauungsgemeinschaften.
Salman Rushdie formuliert es so: „Die Wahrheit ist, wo immer Religionen in einer Gesellschaft das Sagen haben, folgt die Tyrannei. Die Inquisition. Oder die Taliban.“
Der spanische Ministerpräsident Zapatero drückt es so aus: „Das geselschaftliche Zusammenleben kann nur in einem laizistischen Staat funktionieren. Wenn Glaubensregeln sich in die Gesetze des Staates einmischen, ist Schluss mit der Bürgerfreiheit.“
In der Berliner Debatte über den bekenntnisorientierten Religionsunterricht wurde häufig das Argument gebraucht, der zu religiös-weltanschaulicher Neutralität verpflichtete Staat dürfe selber nicht aktiv Werte vermitteln. Dies müsse er, so „Pro Reli“, den religiösen und weltanschaulichen Gemeinschaften überlassen.
Die staatliche Neutralität ist jedoch keine Wertindifferenz – selbstverständlich können und sollen Schulen und sonstige Erziehungseinrichtungen die verfassungsrechtlichen Grundlagen aktiv als verbindlich vermitteln. Mit dieser „Doktrin“ darf Schule „indoktrinieren“.
Oft vergessen wird jedoch, dass die Lernziele und Lehrpläne der Schulen nicht nur vom Ethos der Verfassung beeinflusst werden, sondern insbesondere vom (aktuellen) Wissensstand der jeweiligen Fachdisziplinen. Sie wollen doch nicht ernsthaft das geozentrische, ptolemäische Weltbild als gültige Sichtweise lehren? Voraussetzung zur Aufnahme in Lehrerausbildung, Lehrpläne, Schulbücher usw. ist, dass die getroffenen Aussagen wissenschaftlichen Wahrheitswerten genügen müssen und logischer, empirischer Überprüfung standhalten können.
Somit sind auch die Lehrinhalte keineswegs „weltanschaulich neutral“, wenn die Evolutionstheorie gegenüber Intelligent-Design-Theorien „privilegiert“ wird. Nur weil bestimmte Gruppen die Zurückweisung hinreichend widerlegter Ansichten als „Diskriminierung“ brandmarken könnten, dürfen diese noch lange nicht in den Lehrplan aufgenommen werden. Die Vermittlung von erwiesenermaßen falschen Behauptungen ist das genaue Gegenteil von Bildung, nämlich Manipulation und Indoktrination.
Wenn irgendeine Weltanschauungsgemeinschaft meint, ihre archaischen Mythen weitergeben zu müssen, ist jedenfalls nicht die Schule der richtige Ort dafür. Warum sperren sich derlei Organisationen eigentlich so vehement gegen die Einführung eines flächendeckenden, verbindlichen (ohne Abmeldemöglichkeit!) Werteunterrichts? Eine solche integrative Maßnahme könnte der „kulturellen Ghettoisierung“ relativ einfach entgegenwirken und weltanschauliche Vielfalt statt potenzierter Einfalt entstehen lassen. Dass der Staat ausgerechnet die religiösen Gemeinschaften mit der schulischen Vermittlung von Werten und Weltanschauungen betraut: das hat den Bock zum Gärtner gemacht! Kein Wunder, dass das zarte Pflänzchen einer offenen Gesellschaft nur schwer gedeihen kann.
Die Frage „Falls Werteunterricht an Schulen eingeführt wird, sollte dieser religionsneutral sein, also von Katholiken, Protestanten, Muslimen und Konfessionslosen gemeinsam besucht werden?“ wurde gemäß einer Meldung in der Berliner Morgenpost (2005) von 86 Prozent der Befragten bejaht. Übrigens auch von 82 Prozent der CDU-Wähler. [1]
Zu guter Letzt: amüsant finde ich Ihren Hinweis aus Beitrag #6, dass das deutsche System „zum Frieden zwischen den Konfessionen und Religionen bei“trägt. Bei den vollmundigen Bekundungen wie „Christus ist Liebe!“ oder „Islam ist Frieden!“ wundere ich mich, wieso es dann überhaupt religiöse Konflikte gibt.
[1] kostenpflichtig:
http://www.morgenpost.de/printarchiv/titelseite/article342510/Mehrheit_der_Berliner_ist_fuer_Werteunterricht.html
@ W. Engelmann #14
„Noch ein Wort zu Schnipsels Vorschlägen weltanschaulich neutraler Feiertage.“
Das war ich nicht! Das war R.Moysich.
Mir selber ist es wurscht, ob ein freier Tag pro Woche auf einen Sonntag, einen Samstag, einen Freitag oder irgendeinen anderen Tag fällt – aus Gründen der Gewohnheit ist mir der Sonntag recht. Wenn jemand den Freitag haben will, weil es sich so toll nach „frei“ anhört: bitte sehr. Allerdings möchte ich es nicht als – tatsächliches oder vermeintliches – Zugeständnis an den Islam gewertet wissen.
Nur kurz zu Ihrem gehaltvollen Beitrag (der muss ja erst verdaut werden):
wenn bekenntnisorientierter Religionsunterricht in der Schule stattfindet, kann doch auch jetzt schon
a) zuhause bzw. im familiären Umfeld
b) in der peer group
c) per Internet
d) in Sonntagsschulen, im Konfirmationsunterricht, in Madrassen, Jeschiwas oder sonstigen ausserschulischen Religionsunterweisungen
unkontrolliert missioniert und indoktriniert werden.
Durch einen „Werte- und religionskundlichen Unterricht“ würde sich beim Wegfall des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts diese Situation doch nicht verschlechtern. Möglicherweise aber verbessern.
@ dreas #15
Nehmen Sie’s leicht! Sie dienten nur als Kristallisationspunkt. Oder wenn Sie’s lieber haben: als Moussierpunkt, ohne den ein Prickeln des Sekts nicht erfolgen würde.
@schnippsel
Ein bißchen Glatteis zur Diskussion:
Man sollte ernsthaft fragen, ob der Staat sich der schwierigen Aufgabe nach der „emotionalen Identifizierung mit dem Gemeinwesen“ und dem „emotionalen Bekenntnis zu Werten “ nicht mit Grund entzieht und aus welchen Gründen er dies tut.
Eine frühe Bindung an ein System von Wahrheiten und Irrtümern, das sich über hunderte von Jahren im eigenen „Wirrtum“ stabil erweist, ist möglicherweise der bessere Kompromiß, als eine frühe Bindung an ein System, welches ganz kurzfristig den eigenen „Irrwahn“ verwirklicht.
@Schnippsel
Ich empfehle eine kleine Meditation über den Begriff Selbstreflexion, vielleicht sogar über den Begriff Selbstkritik. Muss auch nicht öffentlich sein…
@ dreas #19
Och joh! Noch so ’n Hobbytherapeut! Mach mir die Jutta, dreas! Ich würde im Gegenzug die altbewährte kalte Dusche empfehlen.
@ Schnippsel
Ihre Toleranz reicht zwar so weit, dass Sie „nicht für ein Verbot der Kirchen“ sind und „auch niemand seinen Glauben rauben“ wollen. Die Begründung für Ihre Toleranz klingt aber nicht besonders tolerant: „Jeder soll glauben, was er will, so abstrus das auch immer sein mag“. Die Gleichsetzung Religion = abstrus“ haben Sie wohl wieder nur als „Analogie“ gemeint? Und was ist von anderen ihrer tolerant Urteilen zu halten, wonach „Religionen aus einer Art primitiver, entwicklungsgeschichtlicher Rationalität hervorgeht“ und „erkenntnistheoretisch als Vorstufe der Vernunft“ einzuordnen wäre? Gibt es außer Ihrer antireligiösen Weltanschauung keine anderen legitimen Weltanschauungen? Nur hat eine solche „asymmetrische“ Diskussion keinen Sinn; ich will Sie nicht zu irgendeiner Religion oder zur Religiosität bekehren, während Sie mir immer wieder zeigen wollen, dass Religion „unwissenschaftlich“, „unlogisch“ oder anders intellektuell minderbemittelt sei.
Zurück zum eigentlichen Thema, dem Verhältnis der Religionen und der Gesellschaft in einem säkularen freiheitlichen Staat. Mein Anliegen ist es zu zeigen, dass es unterschiedliche Möglichkeiten gibt, unter Wahrung der positiven und negativen Religionsfreiheit dieses Verhältnis zu organisieren. Zweifelsohne verletzt eine strikte Trennung von Religion und Staat, wie sie in den USA praktiziert wird und die einen bekenntnisorientierten Religionsunterricht in staatlichen Schulen ausschließt, die Religionsfreiheit nicht. Und auch gegen ein Schulfach Ethik oder Religionslehre sehe ich keine Einwände. Daher widerspreche ich einem Teil Ihrer Argumente nicht.
Allerdings halte ich auch das „deutsche“ Modell des bekenntnisorientierten Religionsunterrichts in staatlichen Schulen (und unter staatlicher „Aufsicht“) für keine Verletzung der religiösen Neutralität des Staates oder der negativen Religionsfreiheit der am Unterricht nicht teilnehmenden Schüler. Diese Meinung scheint auch der auf Laizite gegründete französische Staat zu teilen, weil er sonst nicht den Fortbestand des „deutschen“ Staatskirchenrechts – einschließlich der vom Staat erhobenen Kirchensteuer und des schulischen Religionsunterrichts – in Elsass und Lotringen zulassen würde.
Könnten wir uns auf diese Ausgangsbasis einigen, dann ließen sich die Vor- und Nachteile beider Modelle sachlich diskutieren: „Domestizierung“ der Religionen durch die Abstimmung der Lehrinhalte und des Lehrpersonals mit dem Staat auf der einen Seite, die durch „gefühlte“ Legitimierung der (als Körperschaften des öffentlichen Rechts anerkannten) Religionen durch den Staat „erkauft“ wird. Auf der anderen Seite die „ungetrübte“ Neutralität des Staates, die aber auch Fundamentalisten mehr Einfluss auf die religiöse Bildung überlässt.
Wenn Sie fragen, „Warum soll es Religionsgemeinschaften mit staatlicher Förderung gestattet sein, die Seelen unserer Kinder propagandistisch (”bekenntnisorientiert”) vergiften zu dürfen?“, ist meinem Eindruck nach ihr eigentlicher Wunsch nicht nur, den Religionsunterricht (der für Sie per se „die institutionalisierte Indoktrinierung“ ist) aus den staatlichen Schulen zu verbannen. Sie würden gerne jegliche religiöse Erziehung aus der Welt schaffen und bedauern, dass „die Indoktrinierung durch die Eltern … sich nicht verhindern“ lässt. Damit wären wir wieder bei Ihrer Einstellung zur Religion, die ich mit dreas durchaus als „dogmatisch“ empfinde.
@Schnippsel: Duschen (auch kalt) dient bei mir der Körperreinigung und dem Vergnügen – bei mir zuletzt heute morgen. Selbstreflexion dient der Diskussionsfähigkeit – bei Ihnen zuletzt wann?
Damit genug – Flaming ist eigentlich nicht mein Ding. Vielen Dank Abraham für das Zurücklenken der Diskussion auf das Verhältnis zwischen Staat und Religion. Was den schulischen Religionsunterricht angeht, teile ich Ihre Auffassung, dass hier die „Domestizierung“ der Religion erfolgreich gelungen ist. Ich denke, wie Sie, dass sich dies auf die bis in Details geregelten Verhältnissen und Zuständigkeiten in diesem Bereich zurückführen lässt. Schwieriger wird es dort, wo kein „Vertragsverhältnis“ zwischen Religionsgemeinschaften (hier in DE also insbesondere den christlichen Kirchen) und Staat besteht und der Einfluss informell ausgeübt wird. Manchmal übrigens noch nicht einmal von den Kirchen selbst, sondern von denen, die die Religion im Namen führen, um eine ganz eigene Agenda durchzusetzen (Stichwort „christlich-jüdisches Abendland“). Um dafür ein Beispiel zu finden, muss man noch nicht einmal den Bereich der Schulen verlassen. Das obligatorische Kruzifix (gerne mit realistisch dargestellten Foltermalen) in bayrischen Klassenzimmern stellt womöglich den größeren Angriff auf die negative Religionsfreiheit von Schülerinnen und Schülern dar als der fakultative Religionsunterricht nach staatlich kontrollierten Lehrplänen. Ansonsten hat Werner Engelmann viele kluge Gedanken zu diesem Thema hier eingebracht, die ich nicht zu wiederholen brauche – ich möchte nur anmerken, dass es etwa im Hinblick auf innere Demokratie deutliche Unterschiede zwischen der römisch-katholischen und z.B. den evangelisch-lutherischen Kirchen gibt, die bei einer Verwendung des Begriffes „die Amtskirche“ für die römisch-katholische Praxis negiert werden.
@ Werner Engelmann
Zum Religionsunterricht in Frankreich: Privatschulen, die von Religionsgemeinschaften unterhalten werden, dürfen Religionsunterricht als Schulfach haben. Meines Wissens unterhalten auch die Pius-Brüder eigene Schulen, in denen ein eher fundamentalistischer Religionsunterricht zu erwarten ist. Dies dürfte auch für evangelikale Richtungen gelten.
Zu Koranschulen: Die Mehrzahl der Muslime in Deutschland wünscht für ihre Kinder eine religiöse Unterweisung. Deshalb schicken sie die Kinder in eine Koranschule, obwohl sie selber oft keinem Moscheeverein angehören und nur mäßig observant leben. Nur wenige Eltern wissen, ob in der Koranschule traditionell, konservativ oder fundamentalistisch unterrichtet wird. Wichtig ist nur, dass die Kinder den Koran und Beten lernen. Aus Umfragen weiß man, dass die Mehrheit lieber Kinder in einen schulischen Islamunterricht statt in eine Koranschule schicken würde. Ethik- oder Religionskundeunterricht, gegen die nichts einzuwenden ist, können (und sollen auch nicht) die gewünschte „religiöse Unterweisung“ leisten.
Sicher soll eine religiöse Erziehung von Kindern nicht über die Erzeugung von Angst- und Schuldzuständen führen, darin sind sich Religionspädagogen einig und es gibt für „angstfreien“ Unterricht in allen Religionen gute Beispiele. Hierzu fähige Pädagogen wird man eher in den Schulen als im außerschulischen Religionsunterricht finden.
Zu Ihren fünf Faktoren für eine „gute“ Religion kann ich aus meiner Sicht wenig sagen, weil diese sehr vom Denkgebäude der christlichen Religion bestimmt sind (Judentum und Islam haben in vielem vom Christentum abweichende „Struktur“) und Sie diese auch weitgehend auf die katholische Kirche beziehen. Was Sie unter „dogmatischer Koranexegese“ verstehen, ist mir unklar. Wenn Sie damit das Konzept des göttlichen Ursprungs der Offenbarungstexte meinen, könnten sie auch „dogmatische Toraexegese“ schreiben. Doch die seit Jahrhunderten von verschiedensten Schulen betriebene Tora- oder Koranexegese ist alles andere als „dogmatisch“, auch wenn das manche Fundamentalisten so gerne sehen möchten (deren Exegese keineswegs „auf die Ursprünge“ zurückgeht, sondern – wie die Moslembrüder – erst eine Reaktion auf die Moderne ist).
# 23, Abraham:
Privatschulen in Frankreich: Diese genießen, so viel ich gehört habe, insgesamt ein recht hohes Ansehen. Von Indoktrination ist mir aber noch nichts zu Ohren gekommen.
Die Pius-Brüder sind meines Wissens vor allem in der Schweiz aktiv. Vielleicht sollte über deren Tätigkeit mehr recherchiert werden.
Nur: Was sagt das aus über die Frage, ob Trennung von Kirche und Staat unter dem Aspekt religiöser Erziehung vorzuziehen ist oder nicht? Das heißt ja nur, dass auch in Frankreich diese Trennung nicht absolut ist.
Koranschulen: Da bin ich ganz Ihrer Meinung, dass eine solche außerschulische Struktur unkontrollierbar ist und damit auch dem Fundamentalismus Tür und Tor öffnet. Und zweifellos reicht es nicht, schulische Religionserziehung nur anzubieten, sie muss auch die Akzeptanz bei Eltern und Schülern finden.
„Dogmatische Koranexegese“: Das ist sicher verkürzt ausgedrückt (als Entsprechung zu katholischen „Dogmen“). Ich meine damit die Auffassung, dass der Koran buchstabengetreu verstanden wird und sich vermeintlich historischer Auslegung entzieht. Historische Auslegung biblischer Schriften (des Alten Testaments sowieso) ist mittlerweile auch bei katholischen Theologen (nicht der Kirchenhierarchie!) so gut wie unbestritten. Für den Koran wird dies meines Wissens nur von wenigen Exegeten in Ägypten versucht. Über die Toraexegese kann ich mich in diesem Zusammenhang nicht äußern.
Im oben genannten Zusammenhang wichtiger erscheint mir jedoch die Frage, unter welchen gesellschaftlichen Strukturen (sozial, juristisch usw.) eine tolerante Religionsunterweisung eben auch des Islams möglich ist und welche Kontrollmöglichkeiten durch wen erforderlich sind.
@ W.Engelmann #14
Ich finde Ihren Gedanken des „umgekehrten Canossagangs“ zwar reizvoll, sehe aber ebenso wie Sie eher das Gegenteil am Werk. Sub specie aeternitatis, unter dem Gesichtspunkt der Ewigkeit, sind die Missbrauchsfälle für die Kirche doch nur das, was der Hesse „Mickeschiss“ nennt – zumal im Vergleich mit den sonstigen Verbrechen des Christentums.
Vielleicht sollte zunächst – vor allem für Nicht-Katholiken – daran erinnert werden, dass Herr Ratzinger vor seinem beruflichen Aufstieg zum Papst Präfekt der „Kongregation für die Glaubenslehre“, kurz Glaubenskongregation war. Es ist die zivilisiertere Variante jener vatikanischen Institution, die früher „Inquisition“ hiess.
Dieses Gremium aus hochrangigen Kirchenvertretern überprüft neue Lehrmeinungen auf Vereinbarkeit mit dem Katholizismus und hat damit erheblichen Einfluss auf die offiziellen Äußerungen der Kirche zu Glaubensfragen und in Folge auf die Disziplinierung ihrer zum Glaubensgehorsam verpflichteten Mitglieder. Ihre Aufgabe besteht, wie man sich leicht vorstellen kann, nicht darin, die katholische Lehre schnellstmöglich an neue wissenschaftliche Erkenntnisse oder Lehrmeinungen anzupassen, sondern darin, ihre Dogmen zu verteidigen. Das könnte man zunächst als ein rein innerkirchliches Problem halten und bedürfte insoweit keiner öffentlichen Diskussion.
Allerdings führt das Walten der Glaubenskongregation heutzutage nicht mehr zu grausamsten Folterungen und Tötungen, sondern z.B. zum Entzug der kirchlichen Lehrbefugnis (Küng, Drewermann usw.) einerseits und zur Heimholung der Pius-Brüderschaft andererseits. Dass über das Mitspracherecht bei der Besetzung von Lehrstühlen (vornehmlich der Theologie, aber auch im Rahmen der sog. Konkordatslehrstühle der Philosophie, der Pädagogik und der Gesellschaftswissenschaften) kritischen Theologen ein Teil ihrer Existenz entzogen wird, macht die unseelige Verquickung von Kirche und Staat deutlich. Und damit betreffen die zunächst innerkirchlichen Vorgänge die gesamte Gesellschaft.
Auch der Transmissionsriemen „Bekenntnisorientierter Religionsunterricht (BoRu)“, der der Vermittlung religiöser Dogmen und somit eines religiösen Weltbildes dient, betrifft die gesamte Gesellschaft. Ihrem Argument, die Trennung von Kirche und Staat, insbesondere die Abschaffung des BoRu würde einen Missbrauch der Religion nicht verhindern, bin ich bereits mit dem Hinweis begegnet, dass der BoRu einen Missbrauch ebenfalls nicht verhindern kann. Möglicherweise ist er der Einstieg in fundamentalere Glaubensformen. Sonntagsschulen, Konfirmationsunterricht, Koranschulen, Ferienfreizeiten, das familiäre Umfeld etc. bieten eine Fülle von staatlich nicht kontrollierten Missbrauchsmöglichkeiten, die ja auch genutzt werden.
Ich gehe, um noch einmal die Analogie zu Drogen zu gebrauchen, davon aus, dass sich Religion und Crack-Konsum nicht durch Verbote aus der Welt schaffen lassen (so man dies überhaupt für wünschenswert hält). Deswegen muss der Staat aber noch lange nicht als Drogendealer fungieren.
Eine Gleichstellung kann nicht nur dadurch hergestellt werden, dass man nun allen weltanschaulichen Gruppierungen Tür und Tor der Schulen zu einem bekenntnisorientierten, d.h. werbenden Unterricht öffnet, sondern indem man sie alle gleichermaßen aussen vor hält. Bei Gründung der Bundesrepublik konnte vermutlich niemand ahnen, dass wenige Jahrzehnte später eine weitere mächtige Religion Zugriff auf staatliche und gesellschaftliche Institutionen einfordern würde. Vielleicht können sich manche Befürworter des BoRu heute nicht vorstellen, dass in absehbarer Zukunft möglicherweise Scientologen, Veganer, kartenlegende Esoteriker oder Horoskopgläubige die Gleichstellung mit Rosenkranzbetern verlangen werden.
Pikant finde ich in diesem Zusammenhang, dass mir Intoleranz vorgeworfen wird, weil ich Religion in den staatlich nicht kontrollierten Bereich des Privaten verweisen will (wobei der BoRu aus dem staatlichen Bildungssystem verschwände), gleichzeitig aber argumentiert wird, Konflikte zwischen Religionen und Konfessionen durch staatliche Reglementierung (Lehrerausbildung, Lehrpläne usw.) in den Griff bekommen zu wollen.
Wer eine schärfere staatliche Überwachung wünscht, kann ja – sowohl für den BoRu, als auch für ausserschulische Aktivitäten – folgendes machen:
§1 Wer Minderjährige weltanschaulich unterweisen will, muss (auf eigene Kosten!) eine entsprechende Ausbildung gemäß staatlicher Richtlinien absolvieren und die dazugehörige Prüfung erfolgreich bestanden haben. Die Prüfung muss regelmäßig auf eigene Kosten wiederholt werden.
§2 Weltanschauliche Unterweisungen Minderjähriger sind bei einer Behörde mit Ort, Datum, Inhalt, Name und Funktion des Unterweisenden und den Namen aller TeilnehmerInnen anzuzeigen.
§3 Weltanschauliche Unterweisungen Minderjähriger sind per Video zu dokumentieren. Die Videos sind mindestens 6 Monate auf Kosten der Unterweisenden aufzubewahren („Vorratsdatenspeicherung“) und auf Verlangen vorzuzeigen.
§4 Weltanschauliche Unterweisungen Minderjähriger können jederzeit ohne Voranmeldung von der Aufsichtsbehörde kontrolliert werden. (Den Ironiedetektor können Sie nun wieder ausschalten.)
Da konkurrieren verschiedene Akteure auf dem Markt der Heilslehren und der Staat soll zum Frieden zwischen diesen Akteuren beitragen – warum eigentlich? Der Staat mischt sich zurecht auch nicht in die Konflikte zwischen verschiedenen Gewerkschaften (ich erinnere mich an GDL und Transnet) oder verschiedenen Automobilherstellern ein. Sollte sich der Staat in Konflikte zwischen den verschiedenen Weltboxverbänden oder den unterschiedlichen Veranstaltern von Miss-Wettbewerben einschalten?
Da das eigentliche Thema ja nicht der BoRu sondern die Papstrede ist, möchte ich in einem weiteren Beitrag darauf eingehen, dass uns (Gläubigen und Nicht-Gläubigen) ein Herr Ratzinger nichts zu sagen hat, was uns weiterbringt und dass er das nicht gerade im Deutschen Bundestag tun muss. Darüber hinaus möchte ich noch zu Abrahams Hinweis auf die „Asymetrie der Diskussion“ Stellung beziehen.
Nun sind zwischen dem Verfassen dieses Beitrags schon wieder zwei neue Brocken dazugekommen. Da ist es nicht ganz leicht, Schritt zu halten.
„War’s eigentlich vorher besser, oder erst nachdem Sie alles kennengelernt haben?“
Diese Religions- und Ethikunterrichtsfragen hatten wir ja schonmal.
Die zentrale Frage ist:
„Ist es besser, vor dem Glauben die Vielfalt der Möglichkeiten kennengelernt zu haben, oder ist es besser, zuerst einen Glauben zu haben und danach die Vielfalt der Möglichkeiten kennenzulernen?“
1. Gott hört nichts und der Papst hat den Gläubigen nichts zu sagen
In seinem 1968 erschienenen Werk Einführung in das Christentum geht Ratzinger auf eine der grundlegendsten Fragen des Glaubens überhaupt nicht ein: das sog. Theodizee-Problem. Dabei geht es um den Widerspruch zwischen der Allmacht Gottes und seiner Barmherzigkeit. Dabei handelt es sich nicht nur um ein theologisch-theoretisches Problem, sondern um eine ganz konkrete Frage: „Wie kann Gott das zulassen?“ fragt sich ein gottgläubiger Mensch, dem großes Leid widerfahren ist oder der von einem Verbrechen heimgesucht wurde. Gerade deutschen Katholiken brennt diese Frage nach Auschwitz geradezu unter den Nägeln, aber auch die Erfahrung des Tsunamis 2004 im Indischen Ozean, bei dem über 200.000 Menschen umkamen, macht die Dimension dieser Frage deutlich.
Wenn der allmächtige Gott ein Gott der Liebe und Barmherzigkeit ist, müsste er das Böse, das Leiden, das einem Menschen widerfährt, verhindern. Tut er dies nicht, zeigt dies, dass er entweder nicht allmächtig ist (weil er das Böse nicht verhindern kann), oder dass er nicht barmherzig ist (weil er das Böse nicht verhindern will, obschon er es könnte).
Entweder will Gott die Übel beseitigen und kann es nicht:
Dann ist Gott schwach, was auf ihn nicht zutrifft,
Oder er kann es und will es nicht:
Dann ist Gott missgünstig, was ihm fremd ist,
Oder er will es nicht und kann es nicht:
Dann ist er schwach und missgünstig zugleich, also nicht Gott,
Oder er will es und kann es, was allein für Gott ziemt:
Woher kommen dann die Übel und warum nimmt er sie nicht hinweg?
(Nach der Überlieferung des lateinisch-afrikanischen Rhetoriklehrers und christlichen Apologeten Lactantius (ca. 250 bis nach 317)
Von der Morallehre der Stoa über Leibniz und Voltaire bis zu neuzeitlichen Theologen und Philosophen hat es viele Versuche gegeben, Gott gegenüber der Tatsache des Bösen und des Leidens zu rechtfertigen: das Leiden als erzieherischer Wert für den, der ohne eigene Schuld leidet; das Leiden als Folge seiner Fehler und Vergehen für den, der Böses tut; das Leiden als Ursache für Gutes, so wie aus der Erfahrung des Krieges der Wille zum Frieden erwächst.
In der Neuauflage seines Buches im Jahr 2000 geht Ratzinger im Vorwort (S.23) dann doch auf diese Frage ein und schreibt dazu: „Wenn heute nach den Schrecknissen der totalitären Regime (ich erinnere an das Mahnmal Auschwitz) die Theodizeefrage mit brennender Gewalt sich auf uns alle legt, dann wird nur noch einmal sichtbar, wie wenig wir Gott definieren, gar durchschauen können. Die Antwort Gottes an Hiob erklärt ja nichts, sondern weist nur unseren Wahn, über alles urteilen und abschließend sprechen zu können, in die Schranken und erinnert uns an unsere Grenzen. Dem Geheimnis Gottes in seiner Unbegreiflichkeit zu trauen, ermahnt sie uns.“ Die einzige Antwort, die Ratzinger bereithält, lautet salopp gesagt: wer eine Antwort erwartet ist bekloppt und anmaßend. Für den „Stellvertreter Gottes auf Erden“ ist das mehr als dünn, da haben sich andere weitaus mehr Mühe gegeben.
Dass Ratzinger sich in seiner Rechtfertigung des Glaubens häufig auf die Vernunft beruft, ist reine rhetorische Augenwischerei. Wenn es wirklich zur Sache geht, rettet er sich schleunigst in den Satz vom Geheimnis und der Unbegreiflichkeit Gottes.
Dass ausgerechnet so jemand in der Lage sein sollte, eine befriedigende Antwort auf die Frage nach dem Sinn des Lebens und zum Umgang mit Leid geben zu können, erscheint mir mehr als zweifelhaft.
2. Auschwitz, Oropax und der Weisswaschgang
Im Teil 1. Gott hört nichts und der Papst hat den Gläubigen nichts zu sagen habe ich dargestellt, dass Gott die Schreie der Leidenden, das Flehen und die Fürbitten der Bedürftigen ignoriert. Nun gut, das ist halt das Geheimnis und die Unbegreiflichkeit Gottes.
Dann könnte uns Ratzinger doch immerhin Auskunft darüber geben, warum die Funktionäre und Mitglieder seiner Kirche ebenfalls mit einer erstaunlichen Schwerhörigkeit gegenüber den deutlich hörbaren Schreien der Menschen geschlagen sind. Und warum sie das laut vernehmliche Gotteswort nicht vernahmen: Du sollst kein falsches Zeugnis ablegen wider deinen Nächsten! Du sollst nicht begehren deines Nächsten Hab und Gut! Du sollst nicht töten! Und vielleicht könnte Ratzinger darüber Auskunft geben, warum sie das Wort Gottes nicht vernehmlich verkündeten und den Verbrechern in den Arm fielen. Die schönfärberische Rhetorik Ratzingers‘ sieht darin das mögliche Versagen Einzelner, eine Verantwortung der Kirche als solcher sieht er nicht.
Die Rede, die er anlässlich seines Besuchs in Auschwitz am 29.Mai 2006 gehalten hat, ist ein Dokument des intellektuellen und moralischen Versagens [1]: „Mit dem Zerstören Israels, mit der Schoah, sollte im letzten auch die Wurzel ausgerissen werden, auf der der christliche Glaube beruht und endgültig durch den neuen, selbstgemachten Glauben an die Herrschaft des Menschen, des Starken, ersetzt werden.“. „…so sollte dieser Gott endlich tot sein und die Herrschaft nur noch dem Menschen gehören – ihnen selber, die sich für die Starken hielten, die es verstanden hatten, die Welt an sich zu reißen.“
Wir lernen: der Holocaust ist nicht das Ergebnis einer jahrhundertelangen Ausgrenzung, nicht der furchtbare Höhepunkt des christlichen Antijudaismus. Er ist nicht das fundamentale Versagen des Christentums, seine eigenen Werte und moralischen Ansprüche zu vertreten. Nein: er ist letztendlich gegen das Christentum gerichtet! Man könnte das als Verhöhnung der Millionen Opfer ansehen. Es gibt den strafbewehrten Tatbestand der Leugnung des Holocaust, nicht aber den der Umdeutung des Holocaust.
Statt dessen macht Ratzinger den wahren Schuldigen aus: den „selbstgemachten Glauben an die Herrschaft des Menschen“ , Folge „einer falschen, von Gott gelösten Vernunft“. Das liest sich so, als sei Auschwitz das logische Ergebnis der Aufklärung, deren Leistung ja gerade darin bestand (und besteht?), die Grundsätze des Zusammenlebens vom Menschen und von der Vernunft her zu definieren.
„… als Sohn des Volkes, über das eine Schar von Verbrechern mit lügnerischen Versprechungen, mit der Verheißung der Größe, des Wiedererstehens der Ehre der Nation und ihrer Bedeutung, mit der Verheißung des Wohlergehens und auch mit Terror und Einschüchterung Macht gewonnen hatte, so daß unser Volk zum Instrument ihrer Wut des Zerstörens und des Herrschens gebraucht und mißbraucht werden konnte.“
Ratzinger als Weisswäscher: die Millionen Deutsche, zumeist Christen, die beim Massenmord mitmachten oder ihn duldeten, waren bloß Verführte, Verblendete und Missbrauchte einer kleinen Schar von Verbrechern! Kein Wort davon, dass der radikale Antisemitismus der Nazis – gepaart mit der markig-beeindruckenden Ankündigung der „Endlösung der Judenfrage“ – einen Teil der Faszination ausmachte. Kein Wort davon, dass die Kirche die Rassengesetze mit den Worten begrüßte, sie bewahrten „die Heimrassigkeit und die Heimkultur vor Entartung“.
Kein Wunder, dass der CSU-Rechtsaussen Gauweiler den Ausspruch Ratzingers, die Deutschen sollten „nicht so viel Selbstanklage betreiben“ gerne zitiert.
Dass also ausgerechnet so jemand wie Ratzinger in der Lage sein sollte, befriedigende Antworten auf Fragen der Moral geben zu können, erscheint mir mehr als zweifelhaft.
[1] http://www.vatican.va/holy_father/benedict_xvi/speeches/2006/may/documents/hf_ben-xvi_spe_20060528_auschwitz-birkenau_ge.html
Sonstige Quelle: nach Alan Posener, Benedikts Kreuzzug, Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft, Ullstein 2009
3. Was hat die Waffen-SS mit Ratzinger und Ramsauer zu tun?
Als Ratzinger Erzbischof von München und Freising war, schaffte er es während seines viereinhalbjährigen Episkopats kein einziges Mal, die Gedenkstätte auf dem früheren KZ Dachau zu besuchen, keine halbe Autostunde von seiner erzbischöflichen Residenz entfernt.
Ganz anders 2006 zum 60.Jahrestag der Landung der Alliierten in der Normandie, an dem neben Bundeskanzler Schröder auch Kurienkardinal Ratzinger, als persönlicher Vertreter Johannes Pauls II., teilnahm. In der Nähe des Veranstaltungsortes Omaha Beach liegt, etwa eine halbe Stunde entfernt, der deutsche Soldatenfriedhof La Cambe. Unter den 10000 dort begrabenen Männern befinden sich auch mehrere Hundert Angehörige der Waffen-SS-Panzerdivision „Das Reich“, die im nahegelegenen Oradour fast die gesamte Bevölkerung massakriert hatten. Schröder hatte wegen dieser „Kontaminierung“ einen Besuch in La Cambe abgelehnt und wurde vom CSU-Politiker Peter Ramsauer postwendend als „Anti-Patriot“ gebrandmarkt.
Kurienkardinal Ratzinger focht das nicht an: er besuchte den Soldatenfriedhof nicht nur, sondern fühlte sich auch bemüssigt, eine Rede zu halten. Man ahnt es: Verführte und Missbrauchte. „Es muss uns als Deutsche schmerzlich berühren, dass ihr Idealismus und ihr Gehorsam dem Staat gegenüber von einem ungerechten Regime missbraucht wurden.“ Und er klärt uns auf, die in La Cambe beerdigten Soldaten haben „ganz einfach ihre Pflicht – wenn auch oft unter furchtbarem inneren Ringen, Zweifeln und Fragen – zu tun versucht(…)“ Wie schön, dass sich Ratzinger so empathisch in das „furchtbare innere Ringen“ der Waffen-SS-Männer, die Frankreich mit einer Blutspur überzogen haben, einfühlen kann.
Er blieb damit seiner Linie treu, die er am Vortag in der Kathedrale von Caen beim offiziellen Gedenkgottesdienst schon eingeschlagen hatte. Unter Berufung auf den Römerbrief des Paulus legt er dar, auch die „von einem Verbrecher geleitete Regierung“ Nazideutschlands habe durchaus auch den „Rechtsgehorsam des Bürgers und die Achtung vor der Autorität des Staates einfordern“ dürfen.
Dass er den Franzosen gleich auch noch eine Mitschuld zuweist – wen wundert’s? „Der Vertrag von Versailles hat ganz bewusst Deutschland demütigen wollen und es mit Lasten beladen, die die Menschen in die Radikalisierung trieben und so der Diktatur die Tür öffneten, ihren betrügerischen Versprechungen auf Wiederherstellung von Freiheit, Ehre und Größe Deutschlands Gehör verschafften.“ Von Geschichte scheint Ratzinger nicht viel zu verstehen – aber musste er sich ausgerechnet in Frankreich, ausgerechnet in La Cambe, ausgerechnet am Jahrestag der Landung der Alliierten so danebenbenehmen?
Gibt es überhaupt jemand unter den Blog-LeserInnen, der ein fröhliches „Wir sind Papst!“ anstimmen möchte? Und muss man ausgerechnet einem Herrn Ratzinger die Ehre erweisen, vor dem deutschen Bundestag eine Rede halten zu dürfen?
Dass ausgerechnet so jemand in der Lage sein sollte, zukunfstweisende Anregungen zur Gestaltung unseres Gemeinwesens und der Beziehungen zu unseren Nachbarn geben zu können, erscheint mir mehr als zweifelhaft.
Quelle: nach Alan Posener, Benedikts Kreuzzug, Der Angriff des Vatikans auf die moderne Gesellschaft, Ullstein 2009
@ Schnippsel
Hatten Sie sich nicht vor einiger Zeit „theologische“ Antworten verbeten und wollen jetzt als Atheist (oder Agnostiker) über das Wesen Gottes diskutieren? Einmal ist der Papst nicht dogmatisch und sagt, dass wir weder Gott definieren noch ihn durchschauen können (was auch jüdische bzw. muslimische Theologen so sagen), und das passt Ihnen auch nicht?
Wer sich mit der geplanten Rede des Papstes vor dem Deutschen Bundestag beschäftigt, wird sich zwangsläufig mit mindestens drei, vier Sachverhalten und Fragen auseinandersetzen müssen.
a) mit der Person eines Josef Ratzinger und der Frage: was hat uns ein dogmatisch verknöcherter Greis, der nie wirklich im Leben gestanden hat, als Lebensweisheit mitzugeben?
Meine Antwort lautet: vermutlich nichts Brauchbares. Dazu kann er ein weiteres Buch schreiben und muss nicht im Bundestag auftreten.
b) mit der (theologischen) Dogmatik Ratzingers und der Frage: welche Antworten hat Ratzinger auf die grundlegenden Fragen der Menschen (Woher kommen wir? Wohin gehen wir? Was ist der Sinn des Lebens?) zu geben?
Ich sehe dies zunächst weniger als eine theologische denn eine philosophische Frage. Ratzingers Antwort läuft bekanntlich auf einen Gott hinaus, was bei einer Rede vor dem Bundestag auf eine – meiner Meinung nach – theistische Werbeveranstaltung hinausliefe. Um uns mitzuteilen, dass Ratzinger an Gott glaubt, muss er nicht vor dem Bundestag reden, das ist allgemein bekannt.
Seine Antworten auf die drei Fragen lauten, vereinfacht dargestellt, vermutlich:
* wir sind Geschöpfe Gottes, nach seinem Ebenbild geschaffen und die Krone der Schöpfung
* nach dem Jüngsten Gericht landen wir entweder in der Hölle oder im Himmel
* das liegt im unergründlichen Ratschluss Gottes, das ist das Geheimnis des Glaubens
Für mich persönlich hat Ratzinger hier überhaupt keine Antwort parat, da ich seiner Annahme eines personalen Gottes nicht folge. Anderen sind seine Anworten längst bekannt und/oder sie lehnen sie als unbefriedigend ab.
c) mit dem Katholizismus, dessen oberster Repräsentant Ratzinger ist, und der Frage: was (Spezifisches) hat der Katholizismus nicht nur seinen eigenen Anhängern, sondern allen Menschen und insbesondere uns Deutschen, zu sagen?
Denjenigen, die nicht an an einen personalen Gott und/oder nicht an eine Kirche glauben oder jedenfalls nicht an eine christliche, werden vermutlich keine Antworten erhalten, da sie bereits die Grundannahme nicht akzeptieren.
Für diejenigen, die trotz allem an einen personalen Gott glauben, stellt sich die Frage, warum sie nun ausgerechnet dem Katholizismus anhängen sollen – denn entweder sie sind bereits Anhänger einer anderen Konfession oder sie haben sich ein eigenes religiöses oder quasireligiöses Glaubenssystem zusammengebastelt. Ratzinger könnte hier also nur missionarisch vorgehen, um anderen Glaubensgemeinschaften Mitglieder oder lose Anhänger abzuwerben. Es ist aber nicht Rolle und Aufgabe des Deutschen Bundestages, dafür die Plattform bereitzustellen.
Dabei steht allerdings der weiterhin bestehende Alleinvertretungsanspruch der Heiligen Katholischen Kirche (HKK) im Raum. Trotz aller augenwischender Schönrednerei über Ökumene: diesen Alleinvertretungsanspruch nebst der Rolle des Papstes als Stellvertreter Gottes auf Erden wird die HKK vermutlich nie aufgeben. In kleinen Sätzen Ratzingers schimmert der Dogmatiker ja doch immer wieder durch und verrät ihn: die evangelische Kirche könne sich redlicherweise überhaupt nicht Kirche nennen, sondern nur die HKK. Nur letztere sei dazu befugt, da nur sie in direkter Nachfolge Jesu Christi stünde. So wie man in meiner Jugend die DDR noch als ‚DDR‘ oder „sog. ‚DDR'“ betitelte, müsste die EKD also als E’K’D firmieren.
Weitere Entgleisungen wären z.B. die sog. Karfreitagsfürbitte, in der für die Bekehrung der Juden gebetet wird, welche von Ratzinger selbst – trotz aller Proteste – neu formuliert wurde. War ursprünglich von „pro perfidis Iudeais“ die Rede, lauteten die deutschen Übersetzungen dafür „treulos“ oder „ungläubig“. 1970 rückte die Kirche ganz von dieser diskriminierenden Formulierung ab – Ratzinger führte sie über den Begriff „Heidenvölker“ wieder ein: „Allmächtiger, ewiger Gott, der Du willst, dass alle Menschen gerettet werden und zur Erkenntnis der Wahrheit gelangen, gewähre gnädig, dass, indem die Heidenvölker in Deine Kirche eintreten, ganz Israel gerettet werde. Durch Christus unseren Herrn. Amen.“
Auf jüdische Proteste, mit denen Ratzinger natürlich gerechnet haben muss, antwortete der „Präsident des Päpstlichen Rates zur Förderung der Einheit der Christen“, Kardinal Walter Kasper, in der FAZ vom 20.März 2008 [1]:
„Die Irritationen sind auf jüdischer Seite weithin nicht rational, sondern emotional begründet. Man sollte sie jedoch nicht als Ausdruck von Überempfindlichkeit abtun. Auch bei jüdischen Freunden, die seit Jahrzehnten in intensivem Gespräch mit Christen stehen, sind kollektive Erinnerungen an Zwangskatechesen und Zwangsbekehrungen noch lebendig. Die Erinnerung an die Schoa ist für das heutige Judentum ein traumatisches, gemeinschaftsstiftendes Identitätsmerkmal. Judenmission betrachten viele Juden als existenzbedrohend; manchmal sprechen sie gar von einer Schoa mit anderen Mitteln. So bedarf es im jüdisch-christlichen Verhältnis noch immer eines hohen Maßes an Sensibilität.“
Vermutlich erwarten Ratzinger und Kasper das hohe Maß an Sensibilität von den Juden, nicht von sich selbst. Dass die Schoa für die Deutschen allgemein und die Christen im Besonderen, zur Erinnerung: die Täter, nicht auch ein „traumatisches Identitätsmerkmal“ sein soll, sondern (nur) für die Opfer – über diese Verdrängung von Auschwitz hatte ich ja schon geschrieben. Dass die – zusätzliche diffamierende – Formulierung von einer „Schoa mit anderen Mitteln“ von den Kritikern der Freitagsfürbitte überhaupt nicht verwendet wurde, sondern eine freie Erfindung des Vatikans ist, sei nur am Rande angemerkt.
d) mit der politischen Position Ratzingers und der Frage: Welche Lösungen hat Ratzinger für die brennendsten Probleme der Menschheit, insbesondere Deutschlands, anzubieten?
Hat sich in meinen Augen Ratzinger durch die in meinen Beiträgen genannten Beispiele bereits ausreichend disqualifiziert, vor dem Deutschen Bundestag eine Rede zu halten, lassen sich ohne Schwierigkeiten weitere Gründe finden.
Wird Ratzinger etwas zu den (tatsächlichen oder vermeintlichen) demographischen Problemen Deutschlands sagen? Vermutlich liegt’s halt gleichzeitig an der verlotterten Moral und dem Gebrauch von Kontrazeptiva und Kondomen. Hat er eine Antwort zum Problem der immer stärker auseinanderklaffenden Schere zwischen Arm und Reich sagen? Wie steht’s um den Kampfeinsatz der Bundeswehr ausserhalb der deutschen Grenzen? Was hält er von der fortschreitenden Entfremdung zwischen Bürgern und Parteien? usw.
Zur Darlegung von Ratzingers Verhältnis zur Demokratie und sein Verständnis des Verhältnisses von Wissenschaft und Glauben (also auch das Problem der Asymetrie der Diskussion) fehlt mir in den nächsten 14 Tagen ein wenig die Zeit. Ich werde versuchen, dies vor der Schließung des Threads noch einzubringen, aber spätestens nach Ratzingers Rede wird ja vermutlich ein neuer Thread dazu geöffnet.
[1] http://www.faz.net/s/RubCF3AEB154CE64960822FA5429A182360/Doc~E2FC4F6C0F1844D53B6AE0983FE3135E8~ATpl~Ecommon~Scontent.html
@Schnippsel
„aber spätestens nach Ratzingers Rede wird ja vermutlich ein neuer Thread dazu geöffnet“
Das schiene mir womöglich zielführender, dann konkret über Inhalte diskutieren zu können. Jetzt ist es doch so, dass die Einladung herausgegangen ist, auch weil sich keine Mehrheit im Bundestag gefunden hat, die den Argumenten gegen eine solche Einladung folgen wollte. Das muss man dann wohl akzeptieren, wobei man die Entscheidung selbstverständlich weiterhin für falsch halten kann und darf. Aber der tatsächliche politische oder gesellschaftliche Effekt einer solchen Rede ist ja eher gering – auch weil man die Ideen und Positionen der römisch-katholischen Amtskirche/des Papstes schon gut kennt. Insofern gibt es zwei Möglichkeiten: Benedikt sagt etwas Neues, Unerwartetes – dann gibt’s Stoff zum Diskutieren. Oder er sagt das Bekannte, Erwartete – dann sollte man vielleicht eher zur Tagesordnung übergehen, um dem Ereignis nicht noch mehr (symbolische) Bedeutung zuzugestehen, als es (leider) schon hat.
@ Schnippsel
Wahrscheinlich brauchen Sie diese Zusicherung nicht, aber sicher ist sicher: Auch wenn ich Ihrer „Religionskritik“ widerspreche, heißt das nicht, dass ich Ihre Kritik an Papst und der katholischen Kirche für unberechigt halte. Teilen Ihrer Postings # 28, # 29 und # 31 stimme ich ausdrücklich zu.
Die Kritik an der geänderten Karftreitagsliturgie üben allerdings nicht nur Juden, sondern auch viele im interreligiösen Dialog engagierte Christen (einschließlich der Katholiken), wovon man sich auch bei dem Ökumänischen Kirchentag in München überzeugen konnte. Benedikt geht mit seiner neuen Führbitte hinter die Position seines Vorgängers zurück, der ausdrücklich anerkannt hat, dass der Bund Gottes mit dem jüdischen Volk ungekündigt ist. Deshalb bedürfen Juden keiner Erlösung durch Christus, wenn sie ihrer Aufgabe, das „Licht der Völker“ zu sein, nachkommen. (Das wir an dieser Aufgabe seit Jahrhundeten mehr oder weniger scheitern, ist eine andere Geschichte).
Aus meiner Sich kann ich zufügen: Ungekündigt ist auch der erste Bund, der Gott nach der Sinnflut mit der gesamten Menschheit geschlossen hat. Wer nach der Noachidischen Gebote handelt, bedraf keiner „Erlösung“. Oder mit dem Talmud gesprochen: „Gerechte aller Völker haben ihren Anteil an der kommenden Welt“. Es gibt also „Heil“ auch außerhalb der (katholischen) Kirche.
Muss natürlich „Ökumenischer Kirchentag“ heißen, sorry.
„Ungekündigt ist auch der erste Bund, der Gott nach der Sinnflut mit der gesamten Menschheit geschlossen hat.“
Wenn er den Bund, den er nach der Sintflut mit der Menschheit geschlossen hat, nach der Sinnflut im FR-Blog aufrecht erhält, ist er ein barmherziger Gott.
Danke, Heinrich, für den Hinweis. Ich meinte natürlich die bibliche Sintflut.
Im landläufigen Sinne wird „glauben“ als Synonym für „vermuten“, „für wahrscheinlich halten“ gebraucht. So „glauben“ manche, Hartz IV-Empfänger seien einfach nur zu faul zum Arbeiten. Wenn sich die Vermutung durch Tatsachen oder neue Erkenntnisse als falsch herausstellt, gilt sie als widerlegt. Ein weiteres Beharren auf der falschen Ansicht geht dann über in eine Art pseudo-religiösen Glauben.
Im religiösen Sinn bedeutet „glauben“, den Glaubensinhalt für absolut wahr und ewig gültig zu halten. Dieser kann (und darf) nicht hinterfragt werden. Dadurch wird ein künftiger Erkenntnis- und Humanitätsfortschritt blockiert, weil historisch bedingte Irrtümer und unangemessene Moralvorstellungen festgeschrieben werden – zugunsten dogmatischer Borniertheit. Religiöser Glaube trägt, wegen seines Absolutheitsanspruchs, stets die Gefahr schwerwiegender Konflikte in sich. Man könnte sogar sagen, dass zum Markenkern religiösen Glaubens die Intoleranz gehört.
Dagegen steht der rationale „Glaube“ (i.S.v. „Vermutung“), über die besseren Instrumente zu verfügen, um gültige Erkenntnisse über die Welt zu gewinnen und die menschlichen Lebensverhältnisse humaner zu gestalten. Diese Instrumente sind die Logik (also die Überprüfung der Aussagen auf ihre Widerspruchsfreiheit) und die Empirie (also die systematische Konfrontation von Tatsachenbehauptungen mit der Erfahrungswirklichkeit). Wissenschaft ist per definitionem ergebnisoffen, als Methodik des kritischen Zweifelns beruht sie eben gerade nicht auf unantastbaren, ewigen Wahrheiten – noch ist sie bestrebt, solche „Wahrheiten“ zu vermitteln.
Alles Wissen ist unsicher, weshalb jede wissenschaftliche Aussage unter einem permanenten Begründungszwang steht. Daher können wir mithilfe der Wissenschaft zwar deskriptive Sätze aufstellen, also ob bestimmte Tatsachenbehauptungen (Seinsaussagen) auf Basis des bestehenden Erkenntnisstandes als wahrscheinlich wahr oder falsch gelten können. Hingegen kann Wissenschaft keine präskriptiven Sätze (Sollens-Sätze) aufstellen, diese liegen ausserhalb der wissenschaftlichen Überprüfung. Ob wir den 10 Geboten oder der Erkärung der Menschenrechte zustimmen sollen, ob man seine Frau und seine Kinder züchtigen darf: darauf gibt die Wissenschaft keine Antwort.
Das wäre Aufgabe der Philosophie. Im Gegensatz zum Theologen, der eine metaphysisch begründete Heilsgewissheit voraussetzt, ist der Philosoph von einer derartigen Fessel befreit. Im Zweifelsfall kann und muss er auch noch die fundamentalsten Glaubenssätze in Frage stellen. Die Philosophie könnte gerade heutzutage (wieder) die Klammer bilden, mit der das quantitativ imposant gewachsene – aber qualitativ oft impotente – Wissen nutzbar gemacht werden kann. Dazu gehört auch eine rationale Aufklärung über Wesen, Wirkungsweise, Geschichte und gesellschaftliche Funktion von Religion im Allgemeinen und der einzelnen Religionen und Konfessionen im Speziellen.
Ich neige der Ansicht zu, dass der religiöse Zugang zur Welt an sich problematisch ist, nicht nur irgendein spezieller Aspekt dieser oder jener Religion. Für problematisch halte ich dabei hauptsächlich drei Aspekte.
1. Religiöses Denken bewertet menschliche Wirklichkeitskonstruktionen mit anderen als menschlichen Kriterien. Da spielen Gott oder Götter, Karma, Schicksal, Vorsehung usw. die entscheidende Rolle. „Herrschaftsfreier Dialog“ hat aber als unabdingbare Voraussetzung, dass die Diskutanten auf gleichberechtigten Diskussionsebenen miteinander verkehren. Der Nicht-Religiöse benutzt Argumente aus der Welt des Menschen, die gegeneinander abgewogen und modifiziert werden können.
Religiöse benutzen derlei Argumente auch, führen aber eine weitere, dem Anspruch nach „höhere“, Ebene in die Argumentation ein, die damit ausserhalb menschlicher Argumente gestellt wird. Dadurch, also durch die pseudotranszendentale Überhöhung und Verstärkung der Argumente, macht sich der Religiöse argumentativ unangreifbar.
In der gesellschaftlichen Wirklichkeit findet sich dies dann als eine Art „religiösen Artenschutzes“ wieder. Dazu reicht es, dass der Religiöse der Meinung ist, seine absolute Wahrheit werde vom säkularen Staat nicht vollumfänglich respektiert. Dann kann er behaupten, er sei in seinen religiösen Gefühlen verletzt und damit den Nichtgläubigen das schlechte Gewissen anhängen, ihn in seiner Religionsfreiheit einzuschränken. Das „verletzte religiöse Gefühl“ ist die wirksamste Waffe geworden, es ist die effektivste Sprengladung in der Kultur der politischen Korrektheit.
Der Religionssoziologe Martin Riesebrodt beschreibt das so: „Da Wahrheit als bekannt vorausgesetzt wird und Kompromisse nicht vertretbar sind, kann Demokratie nur als Mittel zur Durchsetzung einer absoluten Wahrheit, nicht zur Findung einer relativen Wahrheit dienen. Echte Fundamentalisten sind niemals Demokraten aus Prinzip, sondern stets nur aus Opportunität.“ [1]
In Irland wurde 2009 ein Gesetz verabschiedet, das für Gotteslästerung Strafen bis zu 25.000 Euro vorsieht. Die Organisation der Islamischen Konferenz (OIC) macht sich stark für ein Gesetz gegen die Diffamierung des Islam. [2] Wann wird es in Deutschland soweit sein, dass Blogbeiträge nicht mehr ohne Angst vor strafrechtlicher Verfolgung möglich sein werden?
2. Durch seine jenseitige Begründungsform kann religiöses Denken jede rationale Argumentation torpedieren und zu einer nicht weiter hinterfragbaren Argumentation führen. Damit lässt sich alles und jedes belegen und beweisen. Dawkins bezeichnet das jenseitsorientierte, religiöse Denken als eine Art „kognitiven Virus“ („Virusses of the Mind“), der danach strebt, das Immunsystem der rational-logischen menschlichen Vernunft lahmzulegen. Die Infektion erfolgt, wen wundert’s, natürlich meist in der frühen Kindheit. Als eine wichtige Infektionsquelle sehe ich den bekenntnisorientierten Religionsuntericht an.
3. Religiöse Weltsicht ist an eine autoritäre Denkstruktur gekoppelt. Nicht nur, dass der eigene Prophet absolut recht hat oder die „heiligen“ Texte ausserhalb jeglicher Kritik gestellt werden. Auch die Befolgung der religiösen Gebote und (der oft unzähligen) Verhaltensvorschriften gehören dazu. Wie weit religiöses Denken in die Konstruktion gesellschaftlicher Wirklichkeit zum Schaden der Menschen umgesetzt wird, haben wir nicht nur bei Christentum und Islam beobachten können. Auch in einer polytheistischen Religion wie dem Hinduismus führte es zu einem dogmatisch zementierten System, dem Kastensystem, das Abermillionen von Menschen jegliche Chance zu gesellschaftlicher Teilhabe und sozialem Aufstieg qua Geburt versagte.
[1] Martin Riesebrodt, Die Rückkehr der Religionen, C.H. Beck, 2.Aufl. 2001
Rezensionen bei buecher.de, perlentaucher.de, amazon.de usw.
Inahltsverzeichnis bei chbeck.de
[2] Suchbegriffe für eine Internet-Suchmaschine Ihrer Wahl: irland gesetz 2009 gotteslästerung
@ Abraham
Bevor ich jetzt für 14 Tage mehr oder weniger verschwinde, möchte ich Ihnen für Ihre Antworten danken. Besonders Ihren Hinweis auf die Noachidischen Gebote fand ich überraschend. Da merke ich, welche immense Lücken bzgl.des Judentums ich habe. (Das ist aber auch ein riesiger Knochen, an dem man da zu nagen hat – zudem ein wenig erschwert durch ein völlig ungewohntes Vokabular.)
Es ist mir wichtig zu betonen, dass es mir hier im Blog um die Konfrontation von Ideen geht, nicht um die Provokation von Personen. Oder anders gesagt: wer als Kristallisationspunkt von Auseinandersetzung dient, ist deswegen noch lange nicht Zentrum von Aggression.
Im RL (real life) kann ich natürlich sehr gut damit leben, dass andere völlig andere Anschauungen haben – und umgekehrt kommen die meisten gut damit zurecht, dass ich meinen eigenen Kopf habe. Das klappt auch mit Leuten, deren Ansichten ich für absurd oder abstrus halte. Wer seinen Tag nach dem Zeitungshoroskop ausrichtet, hat für mich einen Sockenschuss, aber wenn’s ihn glücklich macht… Vereinfacht gesagt: solange so jemand mich nicht missioniert oder meint, ich müsse meinen Alltag nach seinen Vorstellungen ausrichten, oder der Staat sollte nach den Prinzipien des Feng Shui umgestaltet werden, habe ich damit kein Problem.
@ Heinrich #35
Der war gut! :-))
@ BvG #26
Natürlich kann ich nur für mich sprechen, aber ich habe dazu eine ganz einfache, klare Haltung. Meine Kinder und – soweit ich darauf überhaupt irgendeinen Einfluss nehmen konnte – meine Enkelkinder bekamen keine gesüssten Tees, keine Nahrungsmittel mit künstlichen Aromen und Geschmacksverstärkern, keine „Soft“drinks aus Alutüten, kein junk food, keine übersüssten oder übersalzten oder überfetteten „Kinder“produkte.
Oder, genauer und ehrlicher gesagt: so spät als irgend möglich. Oft hat es einen nicht zu unterschätzenden Aufwand an Zeit und Nerven gekostet, den andere Eltern scheuten. Natürlich war derlei Ende der 60er, Anfang der 70er auch noch weniger verbreitet als heute. Ist der Geschmack aber erst einmal verbildet [1], ist dem nur mit noch größeren Aufwand gegenzusteuern – Erfolg fraglich.
Die Übertragung auf die Fragestellung bzgl. Weltanschauung überlasse ich Ihnen.
[1] Zur Lektüre sei übrigens Bodo Thieles Buch „Die Essensfälscher“ empfohlen.
@schnippsel
Ok, nachvollziehbar, aber der Vergleich ist ein bißchen zu flach für meine Frage aus #26.
Einen begrenzten Geschmack zu haben, bedeutet ja nicht gleich, ein Feinschmecker zu sein, außerdem ist die Einschränkung auf bestimmte Informationen in der Kindheit ja auch eine „Verbildung“, die einer Entscheidung der Erziehungsberechtigten folgt.
Meine Frage ist mehr pädagogisch grundsätzlich und ich meine, wer diese nicht (bezogen auf seine Überzeugung) beantworten kann, der kann gar nicht über Religions-oder Ethikunterricht sprechen und entscheiden, weil er diesen dann falsch, eben in dem Sinne der „Verbildung“ einsetzen würde.
@ # 37 Schnippsel
Sie arbeiten gut die Unterschiede zwischen „Wissenschaft“ (worunter Sie wohl vor allem Naturwissenschaften verstehen) und der „Philosophie“ (eigentlich Sozialwissenschaften). Davon grenzen sie Religion ab, weil diese „den Glaubensinhalt für absolut wahr und ewig gültig“ hält und „eine metaphysisch begründete Heilsgewissheit voraussetzt“.
Nun haben Sie in Bezug auf das Judentum ihre Schwierigkeit „durch ein völlig ungewohntes Vokabular“ angemerkt. Mein Eindruck ist, dass sie sich ansonsten bei Ihrer Bewertung der Religionen zu sehr davon in die Irre führen lassen, weil sie meinen, in dem „religiösen Vokabular“ das gewohnte zu finden. Das ist aber die häufige Quelle von Missverständnissen (auch unter unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen oder Kulturen), wenn gleiche Vokabeln unterschiedliche Bedeutungen haben.
In meinem religiösem Konzept (auch Religionen sind kein Monolith, sonder bestehen aus unterschiedlichen Konzepten) bedeutet „wahr“ nicht eine unwiderlegbare These, die der (wissenschaftlichen) Erkenntnis überlegen wäre. Die religiöse Wahrheit hat nicht so sehr mit Wissen, sondern mit Fühlen, Ahnen, Empfinden, Hoffen, Bangen, In-der-Tradition-Stehen, die sich auf die „Fragenstellungen“ beziehen, die durch Wissenschaft oder (rationelle) Philosophie nicht beantwortet werden. Ein Bereich, der sich oft nur schwer in Worte fassen lässt, so dass wir uns mit „Bildern“ aushelfen, wie die „Erlösung“ oder die „kommende Welt“ (oder meinetwegen auch „Himmel“ bzw. „Paradies“). Das kennen sicher auch nicht-religiöse Menschen, wenn sie sich z.B. fragen, wann eine Liebe „wahr“ ist. Mancher Mensch hat zu diesem Bereich keinen Zugang, was ihn nicht „schlechter“ macht. Ich z.B. bin ziemlich unmusikalisch und kann in den Bereich des musikalischen Empfindens nicht eindringen. Ebenso ist mir im Religiösen der Bereich der Mystik verschlossen. Trotzdem gibt es das Reich der Musik (und auch das Reich der Mystik).
Die Religion wirkt aber auch in dieser Welt, wo sie durchaus mit Erkenntnissen der Wissenschaft und Philosophie kollidieren kann. Mit dieser Kollision gehen unterschiedliche Religionen (und innerhalb dieser unterschiedliche Richtungen) zu unterschiedlichen Zeiten unterschiedlich um, wobei auch die katholische Kirche aus ihren Fehlern gelernt hat. Die Religion kann, so meine Meinung als Naturwissenschaftler), die wissenschaftliche Erkenntnis nicht ersetzen, aber durch ihre „Wahrheit“ ergänzen. So sehen heute die meisten religiösen Menschen (die es auch unter Wissenschaftlern gibt) das Konzept der Welt als Gottes Schöpfung nicht im Widerspruch zu den Erkenntnissen der Astrophysik oder zur Entwicklungslehre; die „Kreationisten“ sind meines Wissens nach eine verschwindende, wenn auch lautstarke Minderheit.
Von unterwegs zwischen ersten E-Mails und dem ersten Besprechungstermin
@ BvG # 39
Mein Beispiel ist weit davon entfernt, dass Ganze unter dem Gesichtspunkt „Alles nur ’ne Geschmacksfrage“ abzuhandeln. Nein: gesüsste Tees führen zu verfaulten Zähnen, (gesetzlich zugelassene) Zusatzstoffe führen zu Allergien, Geschmacksverstärker machen physisch und psychisch abhängig, die in industriellem Essen (von „Lebens“mittel mag man schon gar nicht mehr reden) verwendeten gehärteten (Trans-)Fette sind letztendlich gesundheitsschädlich. Dazu wird dann auch noch der Regenwald abgeholzt, um statt dessen Palmölplantagen zu errichten. Überzuckerte und übersalzene Nahrungsmittel führen ebenfalls in die Krankheit (von Diabetes bis Hypertonie). Eine dpad-Meldung vom 12.Februar trägt den Titel „Fertigprodukte beeinträchtigen Hirnentwicklung“ (Englische Langzeitstudie mit 4000 Kindern). Die Bezeichnung „convenience food“ drückt ja schon klar aus: es geht um Bequemlichkeit! Ja, es war ein ganz mühsamer Weg, unseren Kindern solche Pampe nicht zu verabreichen, keinen Analogkäse, kein Pressfleisch, keinen zusammengepappten Formvorderschinken. Letzteres gab es halt damals noch nicht in dem Umfang wie heute, aber mit Bio war’s ebenfalls noch nicht so weit.
Und nun verzeihen Sie die – tatsächlich etwas holzschnittartige – Analogie. Auch Religion, im zarten Kindesalter verabreicht, macht abhängig und hat schädliche Wirkungen, die bis zu (späteren) psychischen und psychosomatischen Erkrankungen gehen. (Naja: können). Religion kann abhängig machen. Religion kann die Axt an soziale Bindungen legen. Ein wesentlicher Teil der Eltern gibt Religion, religiöses Denken, ein religiöses Weltbild vermutlich unreflektiert – eben aus Bequemlichkeit – als eine Art „convenience belief“ an die Kinder weiter. Ja, es war ein ganz mühsamer Weg, unseren Kindern derlei nicht anzutun, ohne in Beliebigkeit und Antiautoritarismus (also auch einen -ismus) zu verfallen. Allerdings war Ende der 60-er, Anfang der 70-er Jahre das gesellschaftliche Klima anders als heute und wir stießen nicht überall auf entrüstete Ablehnung. Ja, die Warum?-Phase hat uns an den Rand der Erschöpfung gebracht, aber nie dazu, irgendwas mit „Das ist halt so!“ oder „DARUM!!!“ oder mit Gott als Erklärung abzubügeln.
Kennen Sie den? Klein-Fritzchen geht auf eine Konfessionsschule. Eines Tages schaut der Lehrer aus dem Fenster und fragt: Sagt, was seht ihr denn da draussen im Baum? Klein-Fritzchen meldet sich und antwortet: „Ich würde ja sagen: ein Eichhörnchen. Aber wie ich den Laden hier kenne, wird’s wohl das liebe Jesuskind sein!“
Es sind nicht nur die (verbalen) Informationen in der Kindheit, die Erziehung ausmachen. Auch die Frage, welche Bekleidung oder welches Spielzeug für das Kind angeschafft wird, wieviel Taschengeld man gibt, um welche Uhrzeit Bettgang angesagt ist, wie man sich selber am Frühstückstisch verhält, welche Wörter man zulässt und welche nicht, welche Empathie man zeigt, welche Frisur man trägt, welches Auto man fährt (so man es denn tut) und welche Bekannten man hat – all das ist Teil des Erziehungsumfelds und wirkt mindestens ebenso stark auf die Kinder ein. Bezüglich der Erziehung treffen Eltern bewusste Entscheidungen oder sie geben die eigene Erziehung unreflektiert weiter. Mir sind auf jeden Fall diejenigen „lieber“, die ihr Verhalten reflektieren – also sich der Bedingungen und der Begrenzheit sowie der Wirkungen und Widersprüche bewusst sind (soweit dies überhaupt möglich ist).
Auf eine Grundsatzdiskussion, wann man von „Verbildung“ sprechen kann oder muss, kann und möchte ich mich hier – zumal Off Topic – aber nicht einlassen.
@ Abraham
Ihre Position erinnert schon an die von Ratzinger. Der erkennt – ganz platt gesagt – wissenschaftliches Denken zwar für die Sphäre des Materiellen an, streitet ihre Anwendbarkeit für die Sphäre des Religiösen aber ab. Mir selber ist es allerdings nicht gelungen, nachdem die Denkmaschine einmal angeworfen war, sie wieder abzustellen. Weder saufen oder kiffen noch meditieren haben es vermocht (an härtere Sachen habe ich mich nicht herangetraut). Das hängt vielleicht auch damit zusammen, dass ich 9 Jahre lang (9 lange Jahre) eine streng katholische schulische Erziehung „genossen“ habe, davon 5 Jahre unter jesuitischer Fuchtel und 4 davon unter der Knute der Prügelpatres am Canisius-Kolleg in Berlin Anfang der 60-er Jahre.
Ihren Vergleich zur Musik kann ich gut nachvollziehen. Allerdings würde mir Musik in meinem Leben fehlen, Gott jedoch fehlt mir nicht. Ihr zu erwartendes Argument „Wenn Sie Gott nie erfahren haben, kann er Ihnen natürlich auch nicht fehlen.“ schiesst mir im selben Moment durch den Kopf.
Ich muss aber auch Ihnen gegenüber jetzt leider abbrechen, da ich los muss. Da hab‘ ich mich halt bei BvG verschwätzt.
@ # 41 Schnippsel
Dem, was Sie über Erziehung geschrieben haben, kann ich weitgehend zustimmen. Auch mir sind bei der Erziehung „diejenigen ‚lieber‘, die ihr Verhalten reflektieren – also sich der Bedingungen und der Begrenztheit sowie der Wirkungen und Widersprüche bewusst sind (soweit dies überhaupt möglich ist)“. Aber dies gilt doch auch für religiöse Menschen. Auch ich hatte nicht auf jede Warum-Frage meiner Kinder eine von meiner Religion vorgegebene Antwort gehabt und dann auch zugegeben, dass ich es auch nicht besser weiß. Genauso gibt es unter a-religiösen oder antireligiösen Eltern welche, die ihr Weltbild „vermutlich unreflektiert – eben aus Bequemlichkeit – als eine Art ‚convenience belief‘ an die Kinder“ weitergeben. Wenn Sie mit katholischer Erziehung schlechte Erfahrungen gemacht haben (was ich Ihnen gerne glaube), heißt das doch nicht, dass jede religiöse Erziehung genauso borniert sein muss.
Was mein Verhältnis zur Musik betrifft, ist es tatsächlich so, mir bewusst zu sein, dass mir etwas entgeht (weshalb ich mir, obwohl ich richtige und falsch Töne nicht unterscheiden kann) einen gewissen Zugang „erarbeiten“ können. Damit meine ich nicht, dass Ihnen der Zugang zur Religion fehlen muss; jeder erfasst die Welt auf seine eigene Art. Das Argument “Wenn Sie Gott nie erfahren haben, kann er Ihnen natürlich auch nicht fehlen.” würde ich ohnehin nicht benutzen. Ich selbst weiß ja gar nicht, ob ich Gott „erfahren“ habe (oder gar „erfahren“ kann). Da halte ich mich an das Gedicht des Philosophen Ernst Akiba Simon (geboren 1899 in Berlin, gestorben 1988 in Jerusalem), das mit den Zeilen anfängt: „Ich habe Gottes Stimme nie gehört./Vielleicht ist sie’s, die im Schlaf mich stört,/Wach ich auf, ist sie längst verklungen.“
Was ich allerdings erfahre, ist die Religion, die mir eine (mögliche) Weltsicht bietet, auch wenn damit oft mehr Fragen als Antworten verbunden sind. Auf die Idee, bei der Auseinandersetzung mit der Religion meine „Denkmaschine“ abzustellen, komme ich dabei nicht. Das wäre auch wenig hilfreich, wenn man z.B. Bücher von Abraham Geiger, Hermann Cohen, Leo Baeck, Emanuel Levinas, Abraham Jehoschua Heschel, Schalom Ben-Chorin oder auch Hans Küng lesen will. Kritisch nachdenken kann man auch über Fragestellungen, die sich einer wissenschaftlichen Verifizierung entziehen. Auch wenn ich die Rituale meiner Religion praktiziere, erfahre ich zwar nicht Gott, aber einiges über meine „Stellung“ in der Welt und über mein Verhältnis zu Mitmenschen.
Nochmals: Ich will Sie nicht für Religion gewinnen. Ich möchte aber Ihren Respekt dafür, dass es andere Formen der Religiosität gibt als die, die sie zu Recht kritisieren.
# 40, Abraham, # 27, 28, 37, Schnippsel
Wenn Ihre Diskussion, abweichend vom Thema des Threads, bisweilen ins Persönliche, dann wieder ins Grundsätzliche geht, so halte ich es in diesem Fall für durchaus bereichernd. Freilich ist es dann sinnvoll, deutlich zu machen, auf welcher Ebene man gerade diskutiert, um zu vermeiden, was der Franzose einen „dialogue des sourds“ (Dialog von Tauben) nennt.
Der Linguist unterscheidet beim Thema „Sprache“ zwischen „Sprechfähigkeit“ überhaupt (im psycho-linguistischen Sinn), Sprechen als konkreter Sprechäußerung und Sprache als System (im grammatischen Sinn).
Beim Thema „Religion“ wären entsprechend zu unterscheiden und in ihrer Wechselwirkung zu untersuchen:
1. Religiosität als menschliches Bedürfnis aufgrund bestimmter psychologischer Konstituenten (sich manifestierend z.B. im „Volksglauben“)
2. Gottesbilder und Menschenbilder in Schriften, die als „heilig“ definiert werden, und ihre konkreten Auswirkungen auf das Leben des einzelnen
3. die Institution „Kirche“ mit dem Anspruch auf authentischer und allein gültiger („wahrer“) Exegese und mit verbindlichen Schlussfolgerungen für das Leben des einzelnen (Dogmen), dies insbesondere im Fall der katholischen Kirche.
Abrahams letzten Äußerungen in # 40 bewegen sich offenbar auf der ersten Ebene, für mich die interessanteste. Die zweite Ebene ist vorwiegend eine theologische Angelegenheit, die dritte (am häufigsten diskutierte) vorwiegend Sache der Auseinandersetzung zwischen „Gläubigen“ und „ihrer“ Kirche. Ich möchte daher im Folgenden von dieser ersten Ebene ausgehen.
„Die religiöse Wahrheit hat nicht so sehr mit Wissen, sondern mit Fühlen, Ahnen, Empfinden, Hoffen, Bangen, In-der-Tradition-Stehen, die sich auf die „Fragenstellungen“ beziehen, die durch Wissenschaft oder (rationelle) Philosophie nicht beantwortet werden. Ein Bereich, der sich oft nur schwer in Worte fassen lässt, so dass wir uns mit „Bildern“ aushelfen, wie die „Erlösung“ oder die „kommende Welt“ (oder meinetwegen auch „Himmel“ bzw. „Paradies“).“
(# 40, Abraham)
Hierzeigt sich, wie schwierig es ist, das Phänomen „Religion“ begrifflich zu fassen. Dennoch erscheinen mir diese Ausführungen wichtig. Sie machen deutlich, warum rationale Religionskritik im Grunde ins Leere läuft, „wissenschaftliche“ Weltanschauungen (wie der wissenschaftliche Materialismus) keinen Ersatz bieten und religiöse Grundeinstellungen, selbst nach langer Unterdrückung (wie in der Sowjetunion), wieder eine Renaissance feiern: Das Rationale erfasst eben nur Teilbereiche der menschlichen Psyche. Rationalität operiert mit Begriffen, Religiosität (wie Sie richtig sagen) mit Bildern.
Aufgrund dieser prinzipiellen Unterschiedlichkeit sind m.E. Versuche von „Gottesbeweisen“ (aber auch das Gegenteil) eigentlich Humbug. Allerdings stellt diese Feststellung auch die Berechtigung einer religiösen Dogmatik in Frage, die ja mit begrifflichen Festlegungen nur so um sich schmeißt (hierzu weiter unten).
Der entscheidende Punkt scheint mir zu sein, ob eine Bildersprache als „vorwissenschaftlich“ und damit gegenüber begrifflichem Denken minderwertig anzusehen sei. Ich würde davor warnen und stattdessen eher von Andersartigkeit mit eigenen Qualitäten sprechen.
Hierzu drei Beispiele:
(a) Der erste wichtige Attentatsversuch auf Hitler erfolgte eben nicht von rational und kulturell geschulten Menschen wie denen des 20. Juli, sondern von dem schlicht religiösen, weltanschaulich ziemlich naiven Schreinergesellen Georg Elser. Offensichtlich hat seine „naive“ Intuition die Wesenszüge und Tragweite des Nazisystems besser erfasst als rationale Analyse. (Zum Begriff des „Naiven“ auch interessant Schillers Essay über „naive und sentimentalische Dichtung“).
(b) Auch der Pantheist Goethe erkennt im „Faust“ durchaus die Berechtigung des „Naiven“ an: so in der Gestalt Gretchens, aber auch als „kindliche Gefühle“, die Faust in der Szene „Studierzimmer“ vom Selbstmordversuch abbringen.
(c) Und C.F. Meyer beschreibt in der Ballade „Die Füße im Feuer“, vor dem Hintergrund der Hugenottenkriege, die zivilisatorische Wirkung religiöser Bilder:
Ein Hugenotte bewirtet bei Sturm einen Kurier des Königs, den er als den Mörder seiner Frau erkennt. Über Nacht um Jahre gealtert, entlässt er ihn am Morgen mit den Worten:
„Gemordet hast du teuflisch mir mein Weib! –
‚Mein ist die Rache!‘, redet Gott.“
Diese Beispiele sind aber keinesfalls als Rechtfertigung für eine Religiosität zu sehen, wie sie hier im Einleitungsstatement in ziemlich dogmatischer Weise präsentiert wird („Der Papst fühlt sich einer ewigen Wahrheit verpflichtet“, „seinem Eintreten für die Menschenwürde, für die Ärmsten der Welt, …der ungeborenen Kinder“).
Im Gegenteil – und damit sind wir auf der 3. Ebene: Religiöse Bildersprache als eigene Form der Wirklichkeitsverarbeitung anzuerkennen gebietet geradezu, sie nach dogmatischen Elementen zu untersuchen, und zwar aufgrund folgender wesentlicher Momente:
(1) Jede Bildersprache, natürlich auch die religiöse, ist geprägt durch vorgegebene oder vorgefundene Bilder. Sie ist nicht nur un-eindeutig, sondern auch ambivalent und in hohem Maße manipulierbar.
(2) Herrschaft über Bilder als grundlegender Ausdrucksform der Psyche (vgl. Freuds Traumdeutungen) bedeutet Herrschaft über Menschen. Der Anspruch eines Monopols über religiöse Bilder ist also gleichbedeutend mit totalitärer Herrschaft.
Zu (1):
Mehr noch als Gottesbilder sind religiöse Bilder immer auch Menschenbilder. Als solche ermöglichen sie altruistische Formen der Nächstenliebe bis hin zur Selbstaufopferung (siehe Beispiele oben), aber auch hassbestimmte, perverse Praktiken wie Selbstmordattentate, Steinigungen, Genitalverstümmelungen. Es wäre töricht, zu leugnen, dass religiöse Bilder, besonders in existenzgefährdenden Situationen, Kraft spenden können. Doch ebenso, wie sich religiöse Menschen, z.B. im 3. Reich, für andere aufgeopfert haben, taten dies auch nicht religiöse Menschen, z.B. Kommunisten.
Entscheidend für die Wirkung und die Beurteilung solcher Bilder ist, ob diese (wie in obigen Beispielen) offen, dynamisch sind, ob sie Raum lassen für Entwicklung und individuelle Interpretation, oder ob es sich um starre „Bildnisse“ handelt, die notwendigerweise mit geschichtlichen Entwicklungen, inbesondere den Anforderungen der Moderne, in Konflikt geraten.
Die Tendenz der katholischen Amtskirche geht eindeutig in die letztere Richtung.
In meiner Marien-Trilogie, bei der ich mich, ausgehend von Max Frischs Reflexionen zu „Bildnissen“ (Tagebücher), eingehend mit dieser Problematik befasst habe, drücke ich dies (durch den Mund des homosexuellen ehemaligen Priesters) wie folgt aus:
„Glaube – Hoffnung – Liebe.
Das Höchste aber ist die Liebe.
Wir tragen’s auf den Lippen,
doch nicht im Herzen fühlen wir’s.
Im Herzen tragen wir des andern Bild. –
Doch weh, wenn er dem Bilde nicht entspricht!
Es ist das Bild, das unsere Liebe
Im Herzen lässt erkalten.“
Statische Bilder, so die Kernaussage, fixieren den Menschen, nehmen ihm die Freiheit einer eigenständigen Entwicklung und beeinträchtigen so das menschliche Miteinander.
Und Max Frisch drückt es in den „Tagebüchern“ so aus:
„Du sollst dir kein Bildnis machen – es sei denn ein Bildnis der Liebe.“
Es wäre also fahrlässig, die Gefahren zu übersehen, die solchen Bildern innewohnen. Und das liegt nicht nur an einer verknöcherten Kirchenhierarchie, sondern auch (und damit zurück zur 1. Ebene) an der psychischen Konstitution des Menschen.
Beispiel a:
In der Erzählung „Der Sandmann“ (die von Freud interpretiert und zum Ausgangspunkt für seine Beschreibung der psychischen Struktur des Menschen genommen wurde) beschreibt E.T.A. Hoffmann Traumata, die von der Wirkung eines „Ammenmärchen“ auf den kleinen Nathanael ihren Ausgang nehmen: ein „Sandmann“ komme des Nachts und streue Kindern, die nicht schlafen wollen, Sand in die Augen und schließlich reiße er sie ihnen aus. Die aufgeklärte Klara versucht vergeblich, Nathanael klar zu machen, dass erst der Glaube an dunkle innere Mächte denselben Macht über uns verleiht. Das grausame Ammenmärchen übt nicht nur auf die kindliche Psyche eine weit größere Faszination aus als ihre rationalen Erklärungen. Die Erzählung endet mit dem von inneren Zwängen und Wahn gesteuerten Selbstmord Nathanaels.
Beispiel b:
Lange bevor die Problematik von Selbstmordattentätern ins Bewusstsein der Öffentlichkeit gelangte, hat Max Frisch im Drama „Andorra“ die verheerende Wirkung starrer „Bildnisse“ beschrieben:
Der fälschlich für einen Juden gehaltene und von der Umgebung ausgegrenzte Andri findet in der Identifikation mit einem „auserwählten“ Judentum neue Identität und neues Selbstbewusstsein, steigert sich dadurch jedoch in Märtyrertum hinein und wird mitleidlos gegenüber anderen (so auch seinem eigenen Vater).
Der Glaube – dies verdeutlichen diese Beispiele – kann aufgrund der psychischen Konstitution des Menschen auch zerstörerisch wirken und schwerwiegende Störungen der menschlichen Gemeinschaft verursachen, und dies besonders dann, wenn er sich der Faszination des „Bösen“ bedient.
Und dies tun Christentum wie Islam – damit sind wir wieder auf der 3. Ebene – in nicht unerheblichem Maß.
Die letzten Beispiele (die sich fast beliebig fortsetzen ließen) zeigen, wie gefährlich Bilder (entsprechend auch und besonders religiöse Bilder) sein können. In dieser Beziehung erscheinen die Warnungen Schnipsels vor religiösen Vorprägungen durchaus gerechtfertigt.
Zu (2)
Der angesprochenen Ambivalenz von Bildern scheinen sich große Weltreligionen durchaus bewusst zu sein, wenn sie, wie der Islam, bildliche Darstellungen Gottes ausdrücklich verbieten, oder, wie das Christentum, eindringlich mahnen: „Du sollst dir kein Bildnis machen!“
Umso bemerkenswerter ist, dass gerade diese Religionen ein besonders starres, negatives Menschenbild und vor allem Frauenbild erstellen und über die Transmissionsriemen Schuldbewusstsein und Angsterzeugung (Erbsündelehre, Scharia) zu installieren suchen.
Kennzeichnend für dogmatische religiöse Bilder ist, dass sie nicht aus sich heraus wirken, sondern des angsteinflößenden negativen Gegenparts bedürfen: Das wirklichkeitsfremde idealisierte Frauenbild der „reinen, unbefleckten Jungfrau“ erhält seine Faszination erst durch den Abscheu vor der „Hure“, und der katholische „Gläubige“ wird durch Angst vor der „Erbsünde“ an seinen Glauben gefesselt und gewinnt sein Selbstwertgefühl erst aus der Verurteilung des „Ungläubigen“ und des „Judas“
Dass, wie Abraham schreibt, „auch die katholische Kirche aus ihren Fehlern gelernt hat“ und dies lediglich auf eine „verschwindende, wenn auch lautstarke Minderheit“ wie die „Kreationisten“ zutrifft, wage ich zu bezweifeln. Denn die genannten Beispiele sind nicht irgendwo an der Peripherie angesiedelt, sondern entstammen dem Kern katholischer Dogmatik, die (wie ich in meinem Essay im Thread „In welche Richtung bewegt sie sich?“ zu zeigen suche) vom gegenwärtigen Papst eher verstärkt werden.
Auch die doktrinäre Haltung in der Frage der Geburtenregelung und Empfängnisverhütung lässt sich auf statische Bilder, in dem Fall von „Leben“ und „Natürlichkeit“ zurückführen.
Die viel beschworene „Rationalität“ des Papstes (und von Dr. Christoph Lehmann hier im Einleitungsstatement) endet offenbar da, wo es darum geht, die ideologischen Prämissen seiner biologistischen Definition von „Leben“ zu hinterfragen: dem Versuch, ein so unendlich komplexes Phänomen wie „Leben“, das – wenn überhaupt – nur als dynamischer Prozess fassbar ist, aus einem einzigen Punkt, dem Zeugungsakt, zu erklären. So reduziert man eben – im Gefolge eines Meisner und eines Mixa – Menschenrechte in durchaus demagogischer Weise auf „ungeborenes Leben“, schlägt alle sozialen Hintergründe wie auch Gewissensnöte von Müttern in den Wind und stiehlt sich (vgl. Schwangerschaftsberatung) aus der Verantwortung.
Noch delikater erscheint der ideologische Hintergrund in der Frage der Empfängnisverhütung: Ausgerechnet eine wundersüchtige Kirche, welche die „unbefleckte Empfängnis“ ausdrücklich als biologisches Faktum begreift (Erzbischof Degenhart im „Gespräch“ mit Drewermann) verurteilt „unnatürliche“ Praktiken der Empfängnisverhütung und noch mehr von Homosexuellen. Sie braucht, so scheint es, diese Versinnbildlichung von „Sodom und Gomorrha“, wie sie früher die Juden brauchte, weil sonst die gesamte dogmatische, angstbestimmte Morallehre zusammenbräche. Da muss man dann eben die „rationalen“ Konsequenzen tragen, Millionen Aids-Tote schlicht zu ignorieren.
Wie meinte doch Dr. Christoph Lehmann einführend: Deutsche Parlamentarier haben „Angst“ vor diesem Papst, denn er „fühlt sich einer ewigen Wahrheit verpflichtet, jenseits von Mode und Zeitgeist“.
Zur 2. Ebene nur 1 Satz:
„Du sollst dir kein Bildnis machen“, heißt es in der Bibel.
Bleibt noch die abschließende Frage, die Schnippsel bereits eindeutig beantwortet hat: Was hat uns ein Papst zu sagen, der seine Definitionsgewalt über religiöse Bilder zur ideologischen Herrschaft über Menschen und zur Bevormundung in elementaren Lebensfragen missbraucht und sich gleichzeitig konkreter Verantwortung entzieht? Und was hat er als Redner in einem demokratisch legitimierten Parlament zu suchen?
@ # 43 Werner Engelmann
Ihre „systematische“ Dreiteilung der Diskussion in die Ebenen der individuellen Religiosität, der Gottes- und Menschenbilder in „heiligen“ Schriften und der Institution „Kirche“ klingt logisch, vor allem für das hier vorgegebene Thema der Wirkung des Papstes als „Oberhaupt“ der katholischen Kirche. Trotzdem lässt sich mein Verständnis der Religion nicht in diese Ebenen aufspalten. Für mich ist meine Religion schon mehr als nur ein individuelles „Gefühl“, eine „religiöse Schwärmerei“, sondern hat eine durch die Offenbarungstexte erfassbare Struktur, die auch das alltägliche Leben prägt. Die „Offenbarung“ ist dabei wiederum ein religiöses „Bild“, weil sie einen Vorgang zu beschreiben sucht, der rationell nicht überprüfbar ist. Ob ich die Offenbarung als einen einmaligen, am Sinai stattgefundenen Akt ansehe (wie es meine orthodoxen Glaubensbrüder tun) oder als einen geschichtlichen Prozess der von Menschen vermittelten „Gotteserfahrung“ verstehe (wie es meine liberale Auffassung ist), ist für den Umgang mit den Offenbarungstexten wichtig. Beides kann aber das „Geheimnis“ des Ursprungs der Offenbarung nicht durchdringen. Aber auch wenn der „Absender“ der Botschaft im Unergründlichen bleibt, ist die Botschaft selber „in unserer Hand“. Dass der Offenbarungstext die „unabänderliche Wahrheit“ wäre, ist wiederum eher ein „religiöses Bild“. Ein „wortwörtliches“ Verständnis (das Fundamentalisten vertreten) ist schon deshalb nicht möglich, weil man sich den Texten nur durch fehlerbehaftete „Übersetzung“ nähern kann, denn diese Texte wurden zu einer Zeit verfasst, deren Hebräisch, Griechisch oder Arabisch wir nicht mehr vollständig verstehen können. Hinzu kommt die „Übersetzung“ durch die spätere „Tradition“. Diese „Tradition“ formt und entwickelt sich in einer Gemeinschaft, in der das konkrete religiöse Leben stattfindet – und auch das ist ein untrennbarer Teil meiner Religion. Dabei ist für die jüdische (und auch für die muslimische) Religion der freiwillige Zusammenschluss zu Gemeinden das vorherrschende „Organisationsprinzip“, nicht eine „Kirche“ mit autoritär festgelegten Dogmen und hierarchischen Strukturen. So weit ich weiß, ist die weitgehend autonome Gemeinde auch für die christlichen Gemeinschaften in den USA der „primäre“ Ort der Religiosität – wahrscheinlich mit Ausnahme der katholischen Kirche.
Ich weiß, dass das religiöse Verständnis der katholischen Kirche von meinem deutlich abweicht, und verstehe auch deshalb Ihre Kritik an der „Amtskirche“ und am Papst. Nur meine ich, dass man nicht die katholische Messlatte an andere Religionen anlegen kann. Das gilt auch für die vom patriarchalen Weltbild geprägte Rolle, die das orthodoxe Judentum und der konservative Islam den Frauen zuweist – aber das wäre eine andere Diskussion.
Nur noch zur Aufklärung eines Missverständnisses: Meine Aussage, dass „auch die katholische Kirche aus ihren Fehlern gelernt hat“, bezog sich auf ihr Verhältnis zu naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Die Ablehnung der Evolutionslehre gehört meines Wissens nicht mehr zu den kirchlichen Dogmen.
l’idée vient en parlant
@ Abraham
Unterwegs habe ich jetzt nicht die Zeit und den Kopf, mich zum Ihrem und W.Engelmanns nachfolgendem und dann wieder Ihrem Beitrag inhaltlich zu äußern. Mit ist es aber wichtig, Ihnen gegenüber zwei Dinge festzuhalten:
1. Mein Stil in diesem Blog ist, im Gegensatz zu Ihrem, davon geprägt, dass ich bewusst eine extreme Position einnehme, also so etwas wie den Advocatus Diaboli spiele. Ihre Hoffnung, dass ich mich im Alltag nicht so verhalte, ist durchaus gerechtfertigt. Ich kann z.B. an Schaufenstern vorbeigehen und Dinge toll oder doof finden, ohne dass mich ein unbezähmbarer Kaufwunsch übermannt oder ich der Lust, das Schaufenster einschmeissen zu wollen, nachgäbe.
Ebenso geht es mir in „religiösen Dingen“. Da habe ich überhaupt keinen Anlass, irgendjemand zu missionieren oder auch nur eine Diskussion vom Zaun zu brechen. Das habe ich schon früh bei meiner Schwester gelernt, die sich in dieser Hinsicht jeglicher Diskussion entzogen hat. „Ich habe vielleicht einen sehr kindlichen Glauben, aber das glaube ich nun mal, und darüber will ich mit anderen auch nicht diskutieren!“ und „Du hast Recht und ich hab‘ meine Ruhe!“ waren (und sind) ihre beliebtesten Sätze. Aber in eine öffentliche Diskussion, die schon im Gange ist oder die von einem Dritten (Bronski) angestoßen wird, steige ich direkt und durchaus scharf ein.
Der Vorgang dabei erinnert an Kleists Essay „Über die allmähliche Verfertigung der Gedanken beim Sprechen“.
„Wenn du etwas wissen willst und es durch die Meditation nicht finden kannst, so rate ich dir, mein lieber, sinnreicher Freund, mit dem nächsten Bekannten, der dir aufstößt, darüber zu sprechen. Es braucht nicht eben ein scharfdenkender Kopf zu sein, auch meine ich es nicht so, als ob du ihn darum befragen sollst: nein! Vielmehr sollst du es ihm selber allererst erzählen. Ich sehe dich zwar große Augen machen und mir antworten, man habe dir in früheren Jahren den Rat gegeben, von nichts zu sprechen, als nur von Dingen, die du bereits verstehst. Damals aber sprachst du wahrscheinlich mit dem Vorwitz, „andere“ (zu belehren), ich will, daß du aus der verständigen Absicht sprechest, „dich“ zu belehren, und so könnten, für verschiedene Fälle verschieden, beide Klugheitsregeln vielleicht gut neben einander bestehen. Der Franzose sagt, l’appétit vient en mangeant, und dieser Erfahrungssatz bleibt wahr, wenn man ihn parodiert und sagt, l’idée vient en parlant.“
2. Ich danke Ihnen a) für Ihre Geduld und b) für Ihre zahlreichen Hinweise, die mich als Mensch – weniger als hartleibigen Diskutanten – ein ganzes Stück weiterbringen [1]. Schade, dass in meinem katholischen Umfeld eine offene Diskussion über Glaubensfragen so gut wie unmöglich ist, aber letztendlich vermassele ich es manchmal selber, da man mich auf meinen Satz „Religion ist Privatsache!“ festnagelt.
Noch ’n Vergleich: als ich vor 18 Jahren meine 27-jährige Raucherkarriere beendete, merkte ich bald, dass ich trotzdem in gewisser Weise immer noch vom Nikotin abhängig war. Ich war eben nicht frei, mal zu rauchen oder es sein zu lassen, sondern ich muss mich konsequent von Tabakwaren fernhalten. (So, wie ein trockener Alkoholiker die simpelste Rumkugel meiden muss.) Und so sind die Spuren meiner 18-jährigen katholischen Erziehung eben nicht völlig getilgt (wie sollten sie auch?!), sondern wirken unterschwellig weiter.
Bis zum Wiederlesen in einem der nächsten Threads!
[1] Auch wenn beim eigenen Stöbern manche Fundstelle doch sehr ungewohnt ist und befremdlich wirkt. Z.B.
http://www.de.chabad.org/library/article_cdo/aid/468888/jewish/Wie-konvertiert-jemand-zum-Judentum.htm
@ Schnippsel
Wie sind Sie bei Chabad Lubawitsch gelandet? Es handelt sich um eine ob ihrer agressiven Missionärstätigkeit innerhalb des Judentums (nicht außerhalb) höchst umstrittene Gruppe. Hinzu kommt, dass ein Teil dieser Bewegung den letzten verstorbenen „Rebbe“ für den Messias hält und auf seine Wiederkehr wartet.
Die Chabad-Bewegung, die ihren Hauptsitz in New York hat, ist strikt hierarchisch organisiert und auf die nicht hinterfragbare Autorität des Rebbe fixiert. Ihre Positionen zur Rolle der Frau und zur Homosexualität ähneln denen der konservativen Kräfte in der katholischen Kirche. Die Chabad-Häuser in der ganzen Welt bieten aber gleichzeitig eine warmherzige Aufnahme für jeden Juden, egal wie religiös er ist.
Außerhalb der nichtjüdischen Gesellschaft erfreut sich Chabad größer Beliebtheit, weil ihre Repräsentanten so „authentisch jüdisch“ wirken und nicht ständig wegen Antisemitismus und Rechtsradikalen nörgeln.
In Israel unterstützen sie politisch die Kräfte, die jeden Rückzug aus den besetzten Gebieten ablehnen.
„Es handelt sich um eine ob ihrer agressiven Missionärstätigkeit innerhalb des Judentums (nicht außerhalb) höchst umstrittene Gruppe.“
Damit wolte ich sagen, dass Chabad nur innerhalb der jüdischen Gemeinschaft missioniert, um Menschen zur orthodoxen Observanz zu bewegen. Ein beliebtes Mittel: Kindern Angst einzujagen, dass die Nichteinhaltung der Gebote Unglück über die Familie bringt.
Sie sehen, auch wir Juden haben unsere „Katholiken“, über die wir uns aufregen können.
@ Abraham #46 und #47
Eingabe Internet-Suchmaschine: Judentum Konvertierung. Achte Fundstelle. Was halt unter rd. 75.000 Fundstellen so nach vorne geratet (gerätet) wurde.
Aber nicht dass Sie glauben (meinen), ich würde mich ernsthaft mit dem Gedanken tragen…. :-))
@ Schnippsel
Bei der Suche nach Judentum Konversion kommen Sie zu ganz anderen Fundstellen.
.. nicht dass ich Sie werben möchte.