Mit viel Naivität und Geschichtsvergessenheit

Gerade machen die Familienunternehmen in unangenehmer Form von sich reden, indem sie den Dialog mit der AfD suchen. Die „Brandmauer im Sinne eines totalen Kontaktverbotes“ sei gescheitert, sagte Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann. Daraufhin gibt’s Krach in der guten Familienstube.

Man mag es kaum sagen, aber vermutlich stimmt die unbequeme Diagnose über das Ende dieses kuriose Etwas namens Brandmauer. Nicht nur, weil in vielen Kommunen längst schon mit der AfD gestimmt wird, nicht nur, weil führende CDU-Politiker wie Jens Spahn bereits vorgeschlagen haben, mit der AfD bei organisatorischen Fragen im Bundestag so umzugehen wie mit anderen Oppositionsparteien, und nicht nur, weil Friedrich Merz, als er noch nicht Kanzler war, die CDU auch im Bundestag bereits mit der AfD stimmen ließ. Sondern vor allem, weil Mauern von sich aus etwas Tückisches sind: Sie mögen abriegeln und einen gewissen Schutz bieten, aber das Grauenhafte, vor dem sie schützen sollen, wird draußen vor der Mauer nur noch monströser.

Die andere Methode, mit der AfD umzugehen, wäre, sie mit Fakten und Argumenten zu stellen. Das hatte die Union wohl wirklich mal vor. Nur: Das passiert nicht. Jedenfalls nicht im nötigen Ausmaß. In der Generaldebatte des Bundestags hat man kürzlich ein paar zarte Pflänzchen erlebt. Trotzdem konnte die AfD in gewohnt rüpelhafter Weise stören und so ihre Verachtung für demokratische Prozesse einmal mehr zelebrieren.

Die einzige Methode, die wohl wirklich erfolgversprechend sein kann, wäre emotionaler Natur und bräuchte keine direkte Konfrontation mit der AfD: Die Botschaften der AfD sind fast durchweg nörgeliger, destruktiver Art. Kein Mensch will jedoch andauernd nur negative Nachrichten hören. Warum stellt die Truppe der Demokrat:innen nicht explizit und kämpferisch den Gedanken dagegen, dass die Verhältnisse in Deutschland keineswegs so schlecht sind, wie sie von der AfD dargestellt werden?

Ich höre Lacher, nicht nur in den hinteren Reihen, doch ich bin ziemlich sicher, dass eine historisch grundierte Einordnung zu genau diesem Schluss kommen dürfte. Bei aller Kritik an gewissen Zuständen: Die Demokratie ist die schlechteste aller Staatsformen – mit Ausnahme von all den anderen Regierungsformen, die von Zeit zu Zeit ausprobiert worden sind. Das haben wir eigentlich schon gelernt. Vielleicht sollten einige bei den „Familienunternehmen“ noch mal zur Schule gehen oder zumindest an ihrer politischen Bildung arbeiten.


Frei nach Asterix: Die spinnen wohl, die rd. 6.500 Familienunternehmen in Deutschland. Deren Präsidentin Marie-Christine Ostermann will in Anwandlung von unternehmerischem Größenwahn oder politischer Dummheit mit der als gesichert rechtsextremistischen AfD in einen Dialog eintreten, das Kontaktverbot beenden und hofft auf regen Austausch – selbst wenn man ihre Positionen nicht teilt.

Wissen die mittelständischen Familienunternehmen nicht, dass Diskriminierung und Menschenfeindlichkeit – ein Geschäftserfolg der AfD – ein schlechter Motor bei der Anwerbung ausländischer Fachkräfte und ein noch schlechterer bei der Gewinnung neuer ausländischer Märkte für ihre Produktionen sind? Gute Geschäfte im Rahmen unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung sind gewünscht, aber nicht mit einer Partei, deren Wirtschaftsfachfrau Weidel selbstgestrickte Wahrheiten, wie Wirtschaft funktioniert, unters Volk streut – verbunden mit dem Schielen auf russisches Erdgas, mit dem sie ein gesundes Wachstum in Deutschland generieren will. Bei gleichzeitigem Austritt aus der EU und dem Euro!?

Die Lust an der Fraternisierung mit dem aufstrebenden Rechtsextremismus schillert durch – ähnlich wie in den 30er Jahren. „Wir wollen keine Regierung mit AfD-Beteiligung“, so Ostermann. Eine beruhigende Strategie für die eigenen wirtschaftlichen Interessenslagen, aber nicht für die deutsche Bevölkerung und ihre Volkswirtschaft. Frau Ostermann! Wir sind doch nicht blöde und halten die AfD für diskussionsfähig. Empfehlen Sie sich und Ihren Mitgliedern Talk-Shows, Statements in den Printmedien u.ä. Da kann man immer wieder die Diskussionsoffenheit und der Umgang mit gesichert wissenschaftlichen Erkenntnissen der Protagonisten erleben.

Ansonsten: Zu Beginn der NS-Zeit hatten viele deutschen Familienunternehmen ein ambivalentes Verhältnis zur hochkommenden Führung der Nationalsozialisten – Tendenz wohlwollend.

Ich bin entsetzt, mit wie viel naiver Geschichtsvergessenheit Frau Ostermann agiert. Rossmann und Vorwerk haben gottseidank öffentlich die Reißleine gezogen – hoffentlich folgen noch viele Familienunternehmen diesem Beispiel. Nur so können deutsche Kundinnen und Kunden einen Überblick über deren Geschäfte gewinnen und Konsequenzen ziehen.

Herbert Sell, Kassel


Profite sind wichtiger als demokratische Werte

Die Gesellschaft für Unternehmensgeschichte konnte in einer Untersuchung von 1250 Unternehmen (die vor 1945 gegründet worden sind) aufzeigen, dass sich lediglich acht Prozent dieser Unternehmen mit ihrer Geschichte während der NS-Zeit im Rahmen einer wissenschaftlichen Studie auseinandergesetzt haben. 92 Prozent haben sich demnach bisher nicht ausreichend oder überhaupt nicht mit ihrer Rolle im Nationalsozialismus auseinandergesetzt. Bei so viel Geschichtsvergessenheit, Verleugnung und Verdrängung besteht die Gefahr, alte Verhaltensmuster zu wiederholen. Deshalb wundert es mich nicht, dass ein Verband wie „Die Familienunternehmer“ kein Problem darin sieht, die rechtsextreme AfD zu einem „parlamentarischen Abend“ einzuladen. Ideologisch scheint es ja durchaus reichlich Berührungspunkte zu geben. So ist der Verband persönlich und politisch mit der Friedrich-Hayek-Gesellschaft vernetzt, die für eine radikale Liberalisierung der Wirtschaft eintritt und in diesem Zusammenhang besonders die europäische und deutsche Klimapolitik kritisiert. Die Verbandspräsidentin Marie-Christine Ostermann ist dort ebenso Mitglied wie die AfD-Politikerin Beatrix von Storch. 

Am 22. Juni 24 erhielt der ultrarechte Präsident Argentiniens, Javier Milei, in Hamburg die Medaille der Hayek-Gesellschaft. Gerd Habermann, Vorstandsmitglied der Gesellschaft, hatte das im Blog „Achse des Guten“ kommentiert: Es gehe Milei um nichts weniger als um die Abschaffung des egalitären Wohlfahrtstaates und des gesellschaftspolitischen Destruktionismus (Genderismus and all that).

Diese marktradikale und antidemokratische Politik imponiert sowohl der AfD als auch einigen „Familienunternehmer*innen“. Und wie bereits ihren Vorfahren im NS-Staat, sind manchen Unternehmer*innen auch heute wieder ihre Profite wichtiger als demokratische, soziale und humanistische Werte.

Hermann Roth, Frankfurt



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4 Kommentare zu “Mit viel Naivität und Geschichtsvergessenheit

  1. Ein kleiner Vorgang liefert gerade ein gutes Beispiel für das Demokratieverständnis in unserer Gesellschaft, und das von einer wirtschaftlich und politisch besonders einflussreichen aber kaum bekannten deutschen Organisation. Es ist der weitgehend unbekannte Verein Familienunternehmer e. V. Seine auf etwa 6500 geschätzten Mitglieder sind zahlenmäßig kaum von Bedeutung, aber sie dürften wohl ca.fünfzig Prozent des gesamten Vermögens hierzulande auf sich vereinen. Die jahrzehntelange Geschichte des Vereins ist geprägt von politischer Lobby ausschließlich im Interesse wirtschaftlich-finanzieller Vorteile für die Mitglieder. Er setzt sich dazu u. a. gegen Flächentarifverträge, die Besteuerung von Erbschaften und Vermögen und für die Abschwächung klimapolitischer Maßnahmen, mit Ausnahme des Emissionshandels ein. Der Klimabeschluss des Bundesverfassungsgerichts von 2021 wird in Protokollen von Mitgliederversammlungen des Vereins als Gefahr benannt. Wissenschaftler*innen sehen ihn daher als Teil der Anti-Klimaschutz-Bewegung. Der Verein, inzwischen im Lobbyregister des Bundestags registriert, hat nun der AfD, einer zumindest teilweise faschistischen Partei, erstmals Gesprächsbereitschaft angeboten. Die Mauer sei überholt. Das Ziel des Angebots ist deutlich: Eine Partei im Wachsen will man nicht meiden, um später vielleicht die eigenen Pfründe nicht in Gefahr zu bringen. Besonders krass ist der Begleitsatz, man wolle aber jede Zusammenarbeit mit Parteien ganz rechts und ganz links nach wie vor vermeiden. Es entlarvt den Verein, denn damit ist ganz konkret die Linke gemeint, immerhin die einzige Volkspartei, deren erklärter Schwerpunkt eine gerechtere Vermögensverteilung ist.

  2. Erstaunlicherweise ist es den Wirtschaftsweisen Truger und Südekum „absolut schleierhaft“, wie Familienunternehmer dazu kommen, „sich von der AfD ernsthaft etwas Positives für die Wirtschaft zu erhoffen“. Insbesondere ein „Wirtschaftsberater“ des SPD-Finanzministers müsste wissen, dass Familienunternehmen die Erbschaftssteuer fürchten und deshalb etwas von der AfD erhoffen, die eine gänzliche Abschaffung dieser Steuer propagiert. Gerade die SPD müsste all denen, die aus Abstiegsangst AfD wählen, eine Erbschaftssteuerreform erklären, die kleine Erbschaften verschont, aber Erben von Milliarden schweren Aktienpaketen nicht mehr so glimpflich davonkommen lässt wie die Quandts. Für Familienunternehmen gibt es schon jetzt großes Entgegenkommen im Erbfall. Die AfD muss als Reichenpartei entlarvt werden.

  3. Welch Freude für alle demokratisch gesinnte Mitmenschen: Frau Marie-Christine Ostermann hat sich an das laufenden Weihnachtsgeschäft erinnert (in manchen Branchen bis zu 80 Prozent des Jahresumsatzes) und an den eigenen Geldbeutel gedacht. Kritische Konsumenten sind also eine ernstzunehmende Gruppierung.
    Wir wissen jetzt, wie wir die deutschen Familienunternehmen in ihrer rechtsextremen Kontaktlust ausbremsen können: mit Angst vor schlechten Geschäften! Also Leute … wachsam sein und nicht apathisch alles hinnehmen, wenn dem Familiengroßkapital mit Niedrigsteuern nach völkisch-nationalistischen Gedankenaustausch gelüstet. Frohe Weihnachten für die Demokratie und die freie Marktwirtschaft.

  4. Warum Bäckerei, Metzgerei und Kiosk keine Familienunternehmen sind – sie machen einfach keine Million Jahresumsatz und sie zahlen nicht einmal mindestens 900 Euro Jahresbeitrag.

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