Es war wohl nur ein Strohfeuer – aber da kann man mal sehen, zu welchen quergedachten Politikansätzen unsere Berliner Führungselite gelangen kann, wenn sie in der Malaise steckt. Stichwort Stickoxid-Grenzwerte und Fahrverbote für Diesel in gewissen Innenstädten. Die Luftreinhaltung ist eine Politik-Baustelle seit Ewigkeiten. Trotz Umweltzonen, trotz Plaketten will und will sich die Luftverschmutzung nicht an die Grenzwerte halten. Es muss wohl irgendwie mit dem vielen Verkehr zu tun haben – der, nebenbei gesagt, in den Innenstädten auch noch andere unangenehme Folgen hat außer der Luftverschmutzung. Aber das nur am Rande.
Logisch wäre also, bei den Kfz anzusetzen. Nun wissen wir aber – siehe Diesel-Abgasskandal – wie kreativ deutsche Autobauer werden können, wenn es darum geht, bei den Abgaswerten zu betrügen. Und wie schlecht sie darin sind, Verantwortung zu übernehmen. Da hat sich die deutsche Politik schöne Freunde ausgesucht. Freunde, die gut sind im Nehmen und überragend schlecht im Geben. Nun, mit Moral braucht man der Wirtschaft bekanntlich nicht zu kommen. Da zählen nur die Zahlen.
Leider besteht die EU-Kommission auf der Einhaltung der Grenzwerte. Deutschland wurde daher eine Frist gesetzt. Und nun kommt’s: Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD), Verkehrsminister Christian Schmidt (CSU) und Finanzminister Peter Altmaier (CDU) schrieben der Kommission, sie würden die Einführung eines kostenlosen öffentlichen Nahverkehrs in den Städten erwägen! In der Hoffnung, dass die Autofahrer ihre Kfz zu Hause stehen lassen, massenhaft auf S-Bahnen, Straßenbahnen und Busse umsteigen und so einen signifikanten Beitrag zur Luftverbesserung leisten.
Klingt erst mal gut, nicht wahr? Ich persönlich hätte dadurch gut 300 Euro im Jahr übrig. Ich fahre jedoch nur in den Wintermonaten mit dem ÖPNV; im Rest des Jahres radle ich. Ich nutze also kein Auto, um zur Arbeit zu fahren. Mein Beitrag zur Luftreinhaltung wäre gleich Null (das ist er natürlich nicht, denn da ich meistens radle, leiste ich selbstverständlich täglich einen aktiven Beitrag zur Luftreinhaltung). Das ist keine Win-win-Situation, da nur ich von dieser Regelung profitieren würde. Davon mal abgesehen: Wer sich die Verhältnisse im Frankfurter ÖPNV anschaut, wird recht schnell Zweifel bekommen, ob das System in der Lage ist, signifikant mehr Menschen zu transportieren. Insbesondere natürlich in den Stoßzeiten. Der Rhein-Main-Verkehrsverbund RMV würde rund 900 Millionen Euro benötigen, um das Gratisfahren umzusetzen. Kein Wunder, dass da gleich Sperrfeuer von den Kommunen kommt. Obwohl es Erkenntnisse darüber gibt, dass der Kfz-Verkehr die Kommunen sehr viel teurer kommt als der öffentliche Nahverkehr.
Weitere Zweifel werden aufscheinen, wenn Sie die Leserbriefe lesen. Und trotzdem – ich weiß nicht, wie es Ihnen ging, aber die zwei Minister und die eine Ministerin haben es geschafft, mich zu erstaunen. Was für ein unerwarteter Gedanke!
Leserbriefe
Alan Mitcham aus Köln meint:
„Also wegen Luftverschmutzung in den Großstädten (z.B. Köln und Düsseldorf) will die Bundesregierung in der kleinen, fast ländlichen Bonn kostenlosen öffentlichen Nahverkehr anbieten. Recht schön für die Beamten und sicher extrem gute Öffentlichkeitsarbeit für die UNO-Leute, die im langen Eugen (das ehemalige Abgeordnetenhaus) ihren Sitz haben.
Eigentlich wollte ich mich über diese Nachricht freuen, aber als heute morgen in WDR5 ein Sprecher der Grünen diese Maßnahmen als „Nebelkerze“ (d.h. zu wenig, zu spät) bezeichnet hat, ist er von der Moderatorin klein gemacht worden und als „undankbar“ bezeichnet. Da wüsste ich nicht ob ich weinen oder lachen müsste, denn ich, als nicht-Auto-besitzer, habe in den letzten Jahren zu schauen müssen wie die Preise (von Bus, Bahn und Straßenbahn) ständig gestiegen sind und die Qualität immer schlechter geworden ist. Die Aussage war immer, dass Kosten gespart werden müssen. Und dann, als Bahnfahrer, musste ich erleben wie der Geltungsbereich meiner Bahncard immer kleiner geworden ist (in den meisten Lokalen „Verbundszügen“ kann man sie nicht mehr verwenden) und wie Schnäppchenjäger sich Dumpingpreise holen konnten, während ich für Geschäftsfahrten und spontane private Fahrten immer tiefer in die Tasche greifen musste.
Ja, als ÖNV-Benutzer fühlt man sich verar***t: Die Dienste werden immer schlechter und immer teurer …. bis das Autolobby kommt und sagt, dass alles kostenlos sein sollte! Wo ist da die Vernunft? Der richtige Weg wäre eigentlich das Auto schrittweise teurer und unattraktiver zu machen und die Einnahmen (z.B. von einer erhöhten Treibstoffsteuer und von City-Maut) in öffentlichen Verkehr zu investieren. Aber anscheinend hat man lieber „Gimmicks“ als Vernunft.“
Joachim Meifort aus Hamburg:
„So verständlich und sympathisch Herrn Wenzels Wünsche für eine neue städtische Mobilitätspolitik auch sind – auf Erfahrungen aus Talinn kann man sich dabei wohl nicht berufen.
Gibt die Begleitforschung* die dortige Entwicklung richtig wieder, dann ist zu bedenken, dass zwar der Anteil an Autofahrten im städtischen Verkehr um 5% zurückging, die Länge ihrer durchschnittlichen Fahrwege in Fahrzeug-km nahm aber um 31% zu. Dies wird mit verändertem Einkaufs- und Freizeitverhalten erklärt. Ein anderes Begleitphänomen des Wegfalls der Preise: wer früher zu Fuß ging, nutzt jetzt öfter den ÖPNV. Um Absenkung der städtischen Schadstoffbelastung ging es ohnehin nicht, es ging um ganz andere kommunale Ziele.
So bleibt der Wunsch auf eine neue städtische Mobilitätspolitik und das Entsetzen über eine neue Seifenblase Berliner Verkehrs- und Umweltpolitik.“
Wolfgang Jahn aus Brachttal:
„Der kostenlose Nahverkehr kann die Luftverschmutzung und die enorme Verkehrsdichte in den Städten bestimmt verbessern. Kostet aber die Kommunen und damit den Steuerzahler viel Geld. Es gibt aber auch noch andere Möglichkeiten, den Autoverkehr in den Städten zu verringern. Eine dieser Möglichkeiten sehe ich in der Abschaffung von Dienstwagen. Heute wird der Dienstwagen bei großen Unternehmen, wie zum Beispiel Großbanken wie der Deutschen Bank in erster Linie als Gehaltsmodell für fast jeden Mitarbeiter gewährt. Früher erhielten die Mitarbeiter ein verbilligtes Jobticket, um zur Arbeitsstelle zu kommen.
Die Wiedereinführung des Jobtickets würde nur die Unternehmer belasten, aber mit Sicherheit wesentlich weniger als das, was sie für die Dienstwagen zu leisten haben (würde der Deutschen Bank bestimmt gut tun).
Die Großunternehmen sollten mal darüber nachdenken, welchen ökologischen und wirtschaftlichen positiven Aspekt eine Abschaffung der Dienstwagen für die breite Masse der Mitarbeiter hätte. Ein Dienstwagen wurde früher nur funktionsgebunden vergeben, an Mitarbeiter, die auch zu Kunden fahren mussten.“
Eugen Stein aus Frankfurt:
„Da hat die Regierung ja mal wirklich in ein Wespennest gestochen. Alle geht durcheinander. Seit Jahren fordern auch die Grünen die Senkung oder Abschaffung der Preise für den ÖPNV. Jetzt, wo es losgehen könnte, vertritt der grüne Minister Al Wazir auf einmal uralte CDU und FDP Standpunkte. Entlarvender kann sich niemand äußern!
900 Millionen Einnahmeausfälle soll der RMV haben, wenn er keine Fahrkarten mehr verkauft. Kann sein. Dagegenrechnen muss man, dass keine Fahrkartenautomaten mehr gekauft und gewartet werden müssen. Außerdem spart die Bahn die Schaffner und der RMV diese unsäglichen U-Bahn-Kontrollen, u.a. vor und nach Heimspielen der Eintracht. Die Gerichte müssen sich nicht mehr mit Schwarzfahrern beschäftigen und haben mehr Zeit, sich um die wirklich Kriminellen zu kümmern. Die frei werdenden Leute kann man zu U-Bahn-FahrerInnen oder MechanikerInnen umschulen, dann könnten auch mal die Züge so gewartet und repariert werden, dass sie nicht ewig stehen bleiben. Handwerker werden gesucht wie noch nie. Der Beispiele gäbe es noch viele.
Man darf auch nicht denken, dass jetzt auf einmal alle Züge überfüllt wären. Weit gefehlt. Handwerker und Leute mit einem beruflichen Auftrag oder Termin werden sicher weiter Auto fahren. Außerdem muss man bedenken, dass 66% aller Neuzulassungen in Deutschland Firmenwagen sind. Die 1%-Regelung läßt grüßen. Die Autobenutzung ist für diese Klientel genauso kostenlos wie eine kostenlose ÖPNV-Fahrt, das zahlt ja die Firma. Außerdem werden die Straßen freier. Da kann man doch wieder mit dem (kostenfreien) Auto fahren?! Es ist also stark damit zu rechnen, dass die vorhandenen Kapazitäten so lange ausreichen werden, bis sich auch dem Letzten erschließt, dass er durch die Benutzung der öffentlichen Verkehrsmittel hilft, unseren Planeten zu retten. Bis dahin sollten wir aber wirklich heutige schweizer Verhältnisse im ÖPNV erreicht haben.
Zur Finanzierung könnte man die 1%-Regelung auch herannehmen und entweder eine steuergerechtere 2%-Regelung draus machen oder die 1%-Regelung einfach abschaffen. Alle möglichen Maßnahmen würden auf jeden Fall, wenn man sie denn mal ehrlich angehen würde, sofort oder gestaffelt, ausreichen, den kostenlosen ÖPNV locker zu finanzieren. Die Frage ist nur: Will das überahupt jemand oder will die Regierung nur die Europäische Union veräppeln?“
Hagen Krämer aus Obertshausen:
„Kostenloser Nahverkehr zur Reduzierung von Abgasen? Klingt gut, ist aber jedenfalls nicht kurzfristig zu machen. Wer den öffentlichen Nahverkehr im Rhein-Main-Gebiet kennt, weiß auch warum. Der ist auch jetzt schon häufig überlastet und Ausbau kann dauern. 20 Jahre sind da schnell vorbei.
Wie wäre es denn mit Verkehrsvermeidung? Müssen bei heutiger Technik wirklich so viele Menschen in öde Bürostädte fahren? Zumindest viele Bürotätigkeiten können bei entsprechender Technik problemlos dezentral, also näher beim Wohnort, erledigt werden. Und Büros lassen sich durchaus auch außerhalb der Ballungszentren einrichten. Das könnte auch noch preisgünstiger sein.
Da Arbeitgeber sich mit solchen Ansätzen oft schwer tun, könnte man sie höher mit den Kosten der von ihnen verursachten Mobilität belasten und steuerliche Anreize zur Verkehrsvermeidung schaffen. Sicher als Idee nicht selbstverständlich, aber ohne Umdenken werden wir von der Hyper-Mobilität und den Folgen daraus kaum weg kommen.“
Fahrradfahren ist körperlich anstrengend und führt daher zu erhöhtem Ausstoss von CO2. Wenn Bronski also auch im Sommer den mit Strom aus erneuerbaren Energien betriebenen ÖPNV nutzt, führt das zu einer CO2-Reduzierung. Ausserdem muss er weniger essen, was auch einen positiven Effekt auf die Umwelt hat. Der Effekt mag gering sein, aber irgendwo muss man ja mal anfangen und wenn eine Milliarde Menschen es ihm gleichtun, wer weiß. Immerhin besser als gar nichts. ?