Von Bescheidenheit, Reue und Demut keine Spur

Der NSU-Prozess hat endlich begonnen – und sich zunächst vertagt, um über den Befangenheitsantrag der Angeklagten Beate Zschäpe und Ralf Wohlleben zu entscheiden. Inzwischen wurde der Antrag zurückgewiesen. Damit ist der Weg frei für eine Fortsetzung des Prozesses am morgigen Dienstag. Insbesondere das Auftreten der Hauptangeklagten Beate Zschäpe hatte am ersten Verhandlungstag schon für Aufsehen gesorgt: Die mutmaßliche NSU-Terroristin trat in einer Weise auf, die von den Hinterbliebenen vielfach als Zumutung empfunden wurde. Auch die Leserbriefe, die ich seitdem zum NSU-Prozess bekommen haben, thematisieren Zschäpes Auftreten. So meint Arno Signarowski aus Gladbeck:

„Schwierig, schwierig, man muss sich die Augen reiben: Zschäpe passt so gar nicht ins Bild vom dumpfen, glatzköpfigen Neonazi oder einer blond gezopften BDM-Imitation. Sie sieht eher aus wie eine Anwältin für Steuerrecht oder Beamtin im Dezernat für Stadtentwicklung. Und die aufgedunsene Ulrike Meinhof und der hyperaggressive Andreas Baader auf der Anklagebank sind da auch meilenweit entfernt.“

Katja Eicke aus Bensheim:

„Vieles ist schiefgelaufen, bevor der Prozess beginnen konnte: Für die betroffenen Mitbürger, denen jahrelang unterstellt wurde, Opfer irgendeiner Mafia zu sein, die immer neue Meldungen über voreingenommene Ermittlungen eines Polizeiapparates hinnehmen mussten, der wohl kaum schlechter hätte arbeiten können, und die mit der zunehmenden Erkenntnis leben müssen, dass einige (oder alle?) Morde vielleicht hätten vermieden werden können, wenn die deutschen Behörden so präzise gearbeitet hätten, wie man das der deutschen Gründlichkeit gerne unterstellt. Für uns alle ist auch die peinliche und letztlich immer noch völlig unbefriedigend gelöste Vergabe der Medienplätze beinahe unerträglich.
Als Beate Zschäpe bei Prozessbeginn in den Raum trat, gab es allerdings einen neuen Höhepunkt: Da tritt eine Frau auf, die mutmaßlich an zehn rechtsextremistisch motivierten Morden (mit)schuldig ist – von Bescheidenheit, Reue oder Demut keine Spur. Sie inszeniert ihre Weiblichkeit, lächelnd, mit langem Haar und gut gekleidet. Das alles ist schon ein Schlag in die Gesichter der anwesenden Familienangehörigen der Opfer, ist aber vielleicht Teil eines wohldurchdachten Planes der Angeklagten. Was aber dann zu beobachten ist, nimmt einem den Atem: Da flirtet diese Frau öffentlich mit ihrem Strafverteidiger, der geradezu intim zurück lächelt und eine Vertrautheit offenbart, die sicher nicht Teil seiner Aufgabe sein müsste. Ich stelle mir vor, wie ich als Tochter oder Ehefrau eines Opfers in dem Raum sitze und diese Szene beobachten muss: Was für ein unvorstellbarer, grausamer Zynismus!“

Rudolf Erdmann aus Groß-Zimmern:

Die RAF und der NSU sind in ihrer Gefährlichkeit sicher vergleichbar. Wie wurden die beiden durch Sicherheitsdienste und Polizei behandelt? Die Krönung ist jedoch der Prozess. Dort ein Neubau in Stammheim und hier ein überfordertes OLG mit amateurhaft agierendem Vorsitzenden Götzl.“

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8 Kommentare zu “Von Bescheidenheit, Reue und Demut keine Spur

  1. „Und die aufgedunsene Ulrike Meinhof und der hyperaggressive Andreas Baader auf der Anklagebank sind da auch meilenweit entfernt.”

    Diese Einschätzung ist , vorsichtig formuliert , bizarr.
    Es ist selten , daß man einem Menschen schon auf Fotos auf den ersten Blick ansieht , daß hier massiver Alkoholmißbrauch im Spiel ist, und / oder die Zuführung sonstiger Fremdstoffe.

    Es ist wie so häufig , Frau Zschäpe hätte allen Grund , zuallererst mal vor ihrer eigenen Tür zu kehren , daß ausgerechnet sie sich zum Herrenmenschen aufschwingt , gehört eigentlich in den Bereich der Realsatire.

    Paßt aber gut in die Zeit , es ist ein immer häufiger zu beobachtendes Phänomen , daß ausgerechnet das charkterliche Prekariat glaubt , beurteilen zu dürfen , wie andere Menschen zu leben haben.

  2. Sehr geehte(r) DH,

    es ist allerdings zugleich bedenklich und erstaunlich, wie schlecht das allgemeine Rechtsverständnis hierzulande entwickelt ist.

    Aus gutem Grund haben wir seit 45 kein Gesinnungsstrafrecht mehr (die Problematik der RAF-Prozesse mal außenvor), sondern ein Tatbestandsrecht! Es scheint eine ziemlich deustsche Krankheit zu sien, nicht von der „korrekten Gesinnung“ lassen zu wollen, für ein grundsätzliches Verständnis geradezu eine Offenbarung!

    Schlimm genug wenn für schlichte Geister die Rechtsfindung schon mit der Anklageschrift abgeschlossen scheint. Selbst wenn der Einzelen mangels Qualifikation nicht in der Lage sein mag hier die Problematik der Beweiswürdigung wenigstens abschätzen zu können, so darf sich doch Jeder überlegen wie wichtig die Trennung von Staatsanwalt und Richtermeinung ist; spätetens wenn mal jemand selbst als Beschuldigter/Angeklagter in den Genuß der Rechtsordnung kommt!
    Die Aufforderung zur „Stimmungsjustiz“ ist schon bizarr und erinnert durchaus an Schauprozesse!

    KM

  3. @ Karl Müller

    Offen gesagt bin ich mir nicht sicher , ob Ihre Kritik allgemein gehalten ist oder ob sie sich an mich wendet .
    Im letzteren Fall:

    Es ging mir darum , wie absurd es ist , über das Äußere herzuziehen bei den Einen und dieselben Kriterien bei den NSU-Leuten nicht mehr anzuwenden.
    Keine Frage der rechtlichen Würdigung also , Ihren Aussagen diesbezüglich stimme ich weitgehend zu.

    Bitte korrigieren Sie mich , wenn ich Sie falsch verstanden habe.

  4. @ DH,

    bitte entschuldigen Sie die etwas kurz geratene Kommentierung meinerseits.
    Meine Kritik war eigentlich allgemein gehalten, zu sehr hab ich mich wiederholt über die leider zu zahlreichen Versuche geärgert dem Verfahren den Charakter eines Schauprozesses zuzueignen.
    Da wurde einer Gesinnungsjustiz das Wort geredet, das sich doch die Frage stellt, ob denn die „Petenten“ bei solchen Vorschlägen noch auf dem Boden der FDGO stehen. Nach meiner Einschätzung ist das schon nicht mehr der Fall.

    Offenbar waren ja nicht wenige Menschen erstaunt bei der Angeklagten eben weder Klumpfuß noch Teufelshörner erkennen zu können…

    KM

  5. @ Karl Müller

    „Offenbar waren ja nicht wenige Menschen erstaunt bei der Angeklagten eben weder Klumpfuß noch Teufelshörner erkennen zu können…“

    Treffend formuliert…

  6. Vor Gericht geht es lediglich darum, ob man jemand etwas nachweisen kann oder nicht. Und nicht darum, wie sich die Angeklagte im Gerichtssaal verhält. Zschäpe zeigt sich genauso wenig reumütig, wie damals die Terroristen der RAF. Na und? Was hat man denn erwartet? Ein tränenreiches Mea culpa? Das wäre doch naiv. Hoffentlich wiederholt das Gericht nicht die haarsträubenden Fehler der Ermittlungsbehörden. Ich erwarte zumindest einen ordentlichen Prozess, bei dem es um die Klärung der Schuldfrage geht. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

  7. Was für ein Skandal: Vor dem Bayerischen Gericht demonstrieren unbehelligt Neonazis mit NSU-Symbolen. Man denke da mal an die RAF – hätten damals nur einige LINKE mit diesem Zeichen vor den Gerichten demonstriert – wie schnell hätte da die Staatsmacht reagiert und die Betroffene wären wegen Terroristenbeteiligung verhaftet worden. Aber nicht nur das fällt negativ auf. In den öffentlich rechtlichen Medien wird über die Unschuldsvermutung Zschäpes philosophiert . Es klingt so, als wolle man den Zuhörer oder Zuschauer schon auf einen Freispruch vorbereiten. Was bringt die Medien dazu sich für Zschäpe einzusetzen, wohl wissend, dass sie bei allen Morden zumindest indirekt anwesend war? Soll hier ein Kuhhandel zwischen der Staatsmacht / Verfassungsschutz und Zschäpe vertuscht werden? Was geschah wirklich bei den sogenannten Selbstmord von Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt? Bringen sich Terroristen – ohne jemand mitzunehmen – wirklich selber um? Die erneute Verhandlungsverschiebung deutet auf eine Zermürbungstaktik gegenüber den Nebenkläger hin. Man will auch nicht aufklären – die Medien akzeptieren diesen Skandal der Vertuschung. Sieht man sich die Fakten an so kommt man zu folgendem Schluss:
    1. Ein Terrorist bringt sich nicht selbst – ohne jemand mitzunehmen – um
    2. Nach dem Polizistenmord in Heilbronn kam die SOKO Heilbronn den Tätern auf die Spur
    3. Die Verfilzung des Verfassungsschutz mit Neonazis und damit mit der NSU brachten einzelne Bundesländer in Bedrängnis
    Daraus folgt die Reaktion durch den Selbstschutz des Verfassungsschutzes in einzelne Bundesländer: DIE ANORDNUNG ZUR TÖTUNG VON Uwe Böhnhardt UND Uwe Mundlos.
    4. Beauftragt wurde damit Beate Zschäpe als Mitglied der NSU!
    Sicher, dies ist alles nur eine Vermutung – aber die Reaktion und Aktionen vom Gericht, den öffentlich rechtlichen Medien, dem Verfassungsschutz, Beate Zschäpe und deren Verteidiger weisen auf einen noch größeren Skandal hin der scheinbar mit allen Mitteln vertuscht werden soll. Während man die meisten deutsche Medien parteipolitisch und wirtschaftlich im Griff hat sieht es bei den Medien aus dem Ausland anders aus. Die Nebenkläger sowie die unabhängigen Medien, besonders aus dem Ausland, wollen die ungeschönte Wahrheit wissen und bringen somit die öffentliche Vertuschungsaktion in Gefahr. Eines der Gegenmittel ist die Zermürbungstaktik durch die Verschiebung des Prozessbeging‘ s die eine besondere Belastung für die Nebenkläger darstellt. Auf Seiten der deutschen Regierung ist man auf eine lückenlose Aufklärung des NSU-Skandales nicht interessiert – Zschäpe schweigt – der Kuhhandel funktioniert!

  8. Sehr geehrter Herr Hötzl,

    man darf getrost feststellen, dass die von Ihnen aufgelisteten Punkte sich kaum noch hinreichend aufklären lassen werden.

    Allein die Auffindungssituation der beiden mutmaßlichen Täter in dem Wohnwagen ist, kriminaltechnisch, ein Albtraum; wie immer wenn die FW zuvor mit der Brandbekämpfung befasst war.

    Es darf bemerkt werden, das es hinsichtlich der möglichen Schützen durchaus verschiedene Möglichkeiten gibt; wirklich erhärten läßt sich keine Variante.

    Wegen der thermischen Veränderungen und dem Löschwasser steht die Schussdistanzbestimmung auf unsicheren Füßen, auch ist bisher unklar wie es zum Nachladen und Verriegeln der sichergestellten Flinte nach dem lethalen Kopftrauma des letzten Überlebenden kommen konnte.

    Über die verschiedenen Interpretationsmöglichkeiten der vorhandenen Befunde hinaus sollte Vorsicht walten, denn natürlich, aus anderen Ländern sind tiefe Verstrickungen und Instrumentalisierung von Terroristen jeder Coleur durch Nachrichtendienste oder Teile davon bekannt geworden. Der Bahnhof von Bologna wurde 1980 nachgewiesenermaßen mit Sprengstoff aus Natobeständen verübt usw..

    Das es sich so verhalten haben kann, und das angebliche fortwährende „Versagen“ an Schlüsselstellen der BOS tatsächlich doch eine aktive Handlung gewesen sein mag, ist nicht unmöglich.

    Schließlich war auch so etwas möglich:

    http://de.wikipedia.org/wiki/Heinz_Lembke

    Die Einmütigkeit mit der große Teile der veröffentlichten Meinung und der Parteien das Wort vom „Versagen“ führen, ohne dies letzlich belegen zu können weckt zumindest tiefes Misstrauen.

    Nur sollte bei dem Tatkomplex sehr genau zwischen noch vorhandenen Befunden, der offiziellen und der eigenen Interpretation unterschieden werden.

    Lieber „Unaufklärbares“ erstmal stehen lassen, als durch nicht beweisbare Überlegungen der Tendenz zur Vertuschung auch noch Vorschub leisten.

    KM

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