Das Zusammengehen mit den Rechten hat sich für die SPD nicht gelohnt

Vor 100 Jahren versuchte Deutschland, sich neu zu erfinden. Die Revolution begann mit dem Kieler Matrosenaufstand am 3. November 1918. Sechs Tage später sah sich der SPD-Politiker Philipp Scheidemann fast genötigt – so stellte er es selbst dar –, in Berlin die Republik auszurufen. Er handelte ohne Zustimmung Friedrich Eberts und anderer, welche die Entscheidung über die künftige Staatsform des Landes einer noch einzuberufenden Nationalversammlung überlassen wollten. Dazu fühlte sich Scheidemann angetrieben, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass der Linksrevolutionär Karl Liebeknecht drauf und dran war, die „freie sozialistische Republik“ auszurufen. Dem wollte Scheidemann zuvorkommen: „Deutschland eine russische Provinz? Eine Sowjetfiliale? Nein! Tausendmal nein! Kein Zweifel, wer jetzt die Massen vom Schloss her bolschewistisch oder vom Reichstag zum Schloss hin sozialdemokratisch in Bewegung bringt, der hat gesiegt.“ Mit seiner Proklamation vom Balkon des Reichstages aus gelang ihm das.

ScheidemannSchon zu diesem Zeitpunkt scheint das Tischtuch innerhalb der deutschen Linken zerschnitten gewesen zu sein. Karl Liebknecht war 1916 aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen worden, wo er zum linksrevolutionären Flügel gehört hatte. Nach der russischen Revolution sahen Politiker wie Scheidemann und viele andere in der Mehrheits-SPD im Bolschewismus einen gewichtigeren Feind als in den Kriegsgegnern. Darin waren sie sich schon vor Kriegsende auch mit der obersten Heeresleitung einig.

Die Ausrufung der Republik durch
den Antibolschewisten Philipp Scheidemann (SPD)
am 9.11.1918 ist ein entscheidendes
Datum deutscher Geschichte.
Foto: Erich Greifer, gemeinfrei

Diese Einigkeit hatte Bestand. Während Liebknecht am 11.11.1918 den Spartakusbund mitbegründete und zum Jahreswechsel auf 1919 die KPD, suchte die Mehrheits-SPD ihr Heil nicht in der Revolution, wie Liebknecht sie anpeilte, sondern in der Beruhigung und Ordnung der Verhältnisse in einem Land, das am Boden lag. Vor allem Ebert wollte, dass rasch eine verfassunggebende Nationalversammlung zusammentrat. Das ging dann auch wirklich sehr schnell: Schon am 19. Januar 1919 wurde gewählt, am 6. Februar trat die Nationalversammlung in Weimar zusammen. Erstmals durften auch Frauen wählen. Das Wahlalter wurde auf 20 Jahre herabgesetzt. Auch der Reichsrätekongress stimmte am 19. Dezember diesem Plan der Regierung zu. Damit war die Räterepublik, die Liebknecht und seiner Mitstreiterin Rosa Luxemburg vorgeschwebt hatte, im Grunde begraben. Es war Liebknecht trotz revolutionärer Ausgangslage nicht gelungen, seine Visionen umzusetzen. Was man damals über die Greuel der russischen Revolution zu hören bekam, war der Förderung seines Anliegens gewiss nicht förderlich.

Der Riss in der deutschen Linken aber blieb. Die provisorische Reichsregierung unter Friedrich Ebert (SPD), die von Mehrheits-SPD und USPD getragen und von der obersten Heeresleitung akzeptier wurde (Ebert-Groener-Pakt), wollte erstmal „den Frieden gewinnen“, wie es der SPD-Politiker Wolfgang Thierse im FR-Interview zur Frage „Welche Wahl hatte die Regierung?“ formuliert. Dazu bediente sich die Regierung unter anderem der Hilfe ehemaliger Fronttruppen, die zurückgeführt wurden. In der Hauptstadt Berlin wurden sie bei den Weihnachtsunruhen 1918 und im Januaraufstand, auch bekannt als „Spartakusaufstand“, gegen revolutionäre Gruppen eingesetzt – unter dem Protest der USPD, welche die Übergangsregierung verlassen hatte. Eine dieser Heeresgruppen war die Garde-Kavallerie-Schützen-Division, die erst im Frühjahr 1918 gebildet worden war. Auch ihr Anführer, der Erste Generalstabsoffizier Waldemar Pabst, der nach heutigen Maßstäben wohl ein Rechtsradikaler wäre, vertrat die Anschauung, dass das „Vaterland“ nicht von außen, sondern von innen bedroht wurde. Er ließ in Flugblättern und per Plakat zum Mord an Karl Liebknecht aufrufen. Am 15. Januar 1919 kamen Mitglieder seiner Division ans Ziel und ermordeten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg. Ihre Taten lösten Unruhen im ganzen Land aus, die der SPD-Politiker Gustav Noske, damals Volksbeauftragter für Heer und Marine, durch Heeresgruppen und Freikorps niederschlagen ließ. Es gab insgesamt schätzungsweise 5000 Tote.

Auch Noske war ein erklärter Antibolschewist. Vor allem durch ihn trage die heutige SPD Verantwortung für die Verbrechen an Luxemburg und Liebknecht, sagt der Autor Klaus Gietinger im FR-Interview. Sein Vorwurf: Noske habe die beiden Morde an den unliebsamen Querdenkern und Revolutionären abgesegnet. Die Beweislage ist dünn, die Mitverantwortung der damaligen SPD-Entscheider dürfte jedoch unabhängig davon auf der Hand liegen. Allerdings muss zugleich gefragt werden, mit welchen Mitteln die Entscheider die Pabst-Leute an den Morden hätten hindern sollen. Sie hatten sich in die Abhängigkeit zu diesen Militärs begeben, aus ihrer Logik heraus gezwungenermaßen. Das band ihnen die Hände.

Diese Vorgänge waren selbstverständlich nicht dazu angetan, die deutsche Linke zu versöhnen. Im Gegenteil. Sie trugen dazu bei, das Klima der jungen Weimarer Republik von Anfang an zu vergiften. Die Republik war indes dennoch ein großer zivilisatorischer Fortschritt. Demokratie! Freiheitsrechte! Rechtsstaat! Man möchte Wolfgang Thierse beipflichten: Der Weg, den Scheidemann und Ebert eingeschlagen haben, mag wirklich der bessere gewesen sein. Er war jedoch mit Blut erkauft. Revolutionen verlaufen selten, ohne dass Blut fließt. Das ist eine Binsenweisheit. (Die politischen Morde an Liebknecht und Luxemburg sind hier nicht mitgemeint.) Man möchte sich gleichwohl nicht vorstellen, wie viel Blut geflossen wäre, wenn es Liebknecht gelungen wäre, die sozialistische Republik zu verwirklichen, die ihm vorschwebte – denn die Armeeverbände, die ins Reich zurückkehrten, hätten diese Republik mehrheitlich gewiss nicht mitgetragen. Dazu war der Hass auf die Bolschewisten viel zu groß. Was wäre die Folge gewesen? Bürgerkrieg?

Balken 4Leserbriefe

Christa Führer-Rößmann aus Offenbach:

„Sehr erfreulich finde ich es, im politischen Teil der FR über die Ereignisse von vor 100 Jahren zu lesen. Die Novemberrevolution ist aber zu wenig beachtet und wird meines Erachtens sehr unterschätzt.
Auch in dieser Zeitung wurde breit der Einführung des Frauenwahlrechts gedacht, aber für mich zu wenig der Zusammenhang mit der Revolution thematisiert. All die tatsächlich heldenhaften Vorkämpferinnen hatten für sich keinen Erfolg, es brauchte die gesamtgesellschaftliche Revolution zur Durchsetzung dieses elementaren Frauenrechts.
Aber zurück zum Artikel und zum Gedenken der KPD-Gründung. Was ist das für eine Fliegenbeinzählerei vorzurechnen, dass die KPD keine 100 Jahre Bestand hatte? Wie ist es, wenn an den Bau der Berliner Mauer erinnert wird? Unter „50 Jahre Mauerbau“ findet man heute noch entsprechende Artikel im Internet.
Am Wichtigsten finde ich allerdings das Problem der Bewertung von SPD- und KPD-Aktivitäten. Mir liegt nicht daran, historisch genau nachzuverfolgen, wer was wann unternommen hat. Für bedeutsam halte ich, dass viele Menschen in Deutschland damals die Nase voll hatten vom Krieg. Und dass sie auch die Entmachtung der alten Eliten wollten, um einen neuen Krieg zu verhindern. Das misslang gründlich. 1939, also ganze 21 Jahre später, ging Deutschland wieder in das nächste große Unglück, den nächsten Weltkrieg. Wie schlimm der war, lässt sich an den zerstörten Städten erahnen. Man muss nur z.B. im historischen Museum in Frankfurt die entsprechenden Modelle betrachten.
Weiter zu den unbestrittenen Tatsachen der Revolution von 1918/19: Es begann damit, dass Matrosen und Soldaten massenweise den Befehl verweigerten, zu Beginn unter Androhung der Todesstrafe. Man stelle sich das heute einmal vor. Und auch damals konnten sich die Offiziere zunächst gar nicht darauf einstellen, dass es mit ihrer Befehlsgewalt jetzt vorbei war. So weit so gut.
Unbestritten ist auch, dass verschiedene Kräfte in der Revolution verschiedene Prioritäten hatten.
Unbestritten ist, dass die SPD mithilfe rechter Kräfte die Ordnung wieder herstellen wollte. Die Freikorps waren nicht einfach „ehemals kaiserliche Soldaten“. Das waren politische Stoßtrupps, einige von ihnen sogar schon mit Hakenkreuzsymbol unterwegs. Heute würde man vielleicht sogar sagen Rechtsterroristen. Die Mörder von Rosa Luxemburg wurden nie belangt und haben nie Reue gezeigt. Auch Noske nicht.
Das Zusammengehen mit den Rechten hat sich für die SPD damals nicht ausgezahlt. Sehr oft habe ich von Zeitzeugen, Verfolgten des Nazi-Regimes gehört, dass in KZs Anhänger von SPD und KPD sich fragten, wieso es so weit hatte kommen können. Wieso man damals erst in schrecklicher Gefangenschaft miteinander sprach, aber vorher in der Freiheit ein Zusammengehen gegen die Nazis nicht möglich war.
Angesichts des Erstarkens der Rechten heute wäre wieder zu fragen, tun wir genug für die Einheit gegen die rechte Gefahr. Was lange nicht denkbar war: es gibt wieder Waffen in den Händen von Nazis. Und es gibt ungeklärte Mordfälle, wie beim NSU-Skandal, bei dem immer noch nicht klar ist, wer alles Helfershelfer des Mordtrios waren.“

Peter Bläsing aus Bonn:

„Jedes Mal, wenn die FR oder ein anderes Medium sich daran macht, die Geschichte Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg zu bewerten oder bewerten zu lassen, wird wieder deutlich, wie sehr die Deutschen seit 100 Jahren von den Nachwirkungen der im August 1914 zerbrochenen Einheit der deutschen Arbeiterschaft beherrscht werden: Ohne diese Spaltung hätte es in der Weimarer Republik ein stärkeres Korrektiv der verhängnisvollen nationalen Politik gegeben, zu Hitler wäre es nicht gekommen, einen Zweiten Weltkrieg hätte es nicht gegeben, und wäre die Spaltung nicht nach dem Krieg mit noch größerer Leidenschaft fortgesetzt worden, wäre die komplette Restauration des kapitalistischen Systems, die uns heute so große Sorgen macht, nicht möglich gewesen. Und der Kampf gegen die Linken hält an – unvermindert. Mit der gleichen Verbissenheit und der gleichen Rücksichtslosigkeit gegenüber den geschichtlichen Fakten wie zu Zeiten des Kalten Krieges versucht der FR-Artikel aus Anlass der „100 Jahre KPD“, das Rad der antikommunistischen Propaganda weiterzudrehen.
Ich greife einen Punkt heraus. Herr Knabe wird zitiert, „die Partei (die KPD) habe einen gewaltsamen Umsturzversuch befürwortet, die SPD als Verräter abgestempelt und den Kampf um den Sozialismus als gewalttätigsten Bürgerkrieg der Welt angekündigt.“ Furcht vor dem „Bürgerkrieg“, das ist immer das Passepartouts, mit dem die SPD-Führung bis heute ihre Passivität begründet, in der sie nach der Wahl 1930 verharrt hat. Ihre parlamentarische Macht hatte sie verloren, ihre außerparlamentarische Macht nutzte sie nicht aus Angst, im offenen Kampf gegen Hitler, der ein Bürgerkrieg hätte werden können, die Führung der Arbeiterschaft an die KPD zu verlieren – aus damaliger Sicht eine verständliche Entscheidung.
Aber heute, mit Kenntnis dessen, was danach passiert ist, müssten alle „Bewerter“ der damaligen Ereignisse erkennen, dass es besser gewesen wäre, wenn es die von KPD geforderten Aktionseinheit tatsächlich gegeben hätte. Einen Bürgerkrieg hätte Hitler vielleicht wie Franco gewonnen, aber der Nimbus „ein Volk, ein Reich, ein Führer“ wäre zerstört gewesen, und nach einem Bürgerkrieg hätte Hitler seine Weltherrschaftspläne begraben müssen. Die Folgen eines solchen Bürgerkrieges wären für Deutschland furchtbar gewesen – aber furchtbarer als die Folgen des Zweiten Weltkriegs? Der Makel, als Volk einem Verbrecher gefolgt zu sein und die schlimmsten Verbrechen der Menschheitsgeschichte begangen zu haben, wäre uns erspart geblieben.“

Roswitha Ristau aus Braunschweig

„So, so, die Revolution von 1918/19 ist also „gescheitert“. Das heißt, es gab weiterhin eine in Teilen konstitutionelle, insgesamt aber eher halbabsolutistische Monarchie (na gut, ein wenig hatte W II ja schon im Oktober 1918 nach- bzw. abgegeben), der Kampf um den Achtstundentag und das Frauenwahlrecht musste weiterhin gekämpft werden, Menschenrechte waren in der neuen Verfassung nicht verankert (wenn auch real erst in deren zweiten Hauptteil), Adelstitel konnten weiterhin verliehen werden, im Februar 1920 ist kein Betriebsrätegesetz verabschiedet worden, vielmehr ist es eine Errungenschaft der Bundesrepublik Deutschland, etc., etc.
Selbst wenn man davon sprechen kann, dass die Revolution in mancherlei Hinsicht nicht zu Ende geführt worden ist, und man dafür auch historisch-gesellschaftliche Gründe anführen kann, ist die lapidare Feststellung in der Unterzeile des Artikels in keiner Weise gerechtfertigt.“

Update 23. Januar, Leserbrief von Hans Herbert Schürmann aus Bielefeld:

„Geschichtslegenden sind zäh. Im Falle der Revolution 1918/19 und des Mordes an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht liegt es wohl auch wirklich daran, dass mit den Ereignissen „wirkungsmächtige“ Mythen verbunden sind, die bis in die politische Gegenwart – vor allem der politischen Linken – wirken.
Dass im Januar 1919 in Deutschland die Gefahr einer bolschewistischen Revolution und damit eines Bürgerkrieges bestand, ist eine solche Legende. Auch wenn es viele Linke nicht gerne hören: Die oft beschworenen proletarischen Massen standen damals nicht auf der Seite des Spartakusbundes respektive der KPD. Außerhalb des beim Januaraufstand besetzten Berliner Zeitungsviertels waren die Kommunisten vergleichsweise isoliert. In den Arbeiter – und Soldatenräten stand die Majorität auf Seiten der Mehrheits- bzw. der Unabhängigen Sozialdemokraten (MSPD bzw. USPD). Auf dem Reichsrätekongress im Dezember 1918 bekannten sich ca. 400 Delegierte zur MSPD bzw. USPD, aber nur zehn zum Spartakus. Die Frage, ob das Rätesystem die Grundlage der zukünftigen Verfassung werden sollte, wurde dort mit 344 zu 98 Stimmen abgelehnt. Damit war der Weg zur parlamentarischen Demokratie endgültig eingeschlagen.
Sozialistische Reformen sollten in der Nationalversammlung beschlossen werden – zugegeben eine Illusion. Die Gefahr einer bolschewistischen Revolution aber mit darauf folgendem Bürgerkrieg kann man zu der Zeit als überschaubar ansehen.
Der Selbstüberschätzung von Spartakus/KPD einerseits entsprach die Beschwörung des Schreckgespenstes russischer Verhältnisse bei den Mehrheitssozialdemokraten andererseits
Der politische ,,Sündenfall“ der Sozialdemokratie nach der Novemberrevolution ist meiner Ansicht nach darin zu sehen, dass sich die von ihr geführte provisorische Regierung, aus Angst vor Bolschewismus und Bürgerkrieg unter den Schutz der reaktionärsten Feinde der demokratischen Republik und des Sozialismus stellte: der alten Militärführung und der preußischen Offizierskaste. Dem ,,Staat über dem Staat“ (Karl Liebknecht) wurde dadurch – obwohl militärisch, politisch und moralisch abgewirtschaftet – neues Leben eingehaucht.
Entgegen der Beschlüsse des Reichsrätekongresses zur Demokratisierung des Militärs, hat die von Ebert geführte Regierung der Volksbeauftragten nach der Novemberrevolution die Chance nicht genutzt, mit Hilfe der Soldatenräte – u.a. aus Volksmarinedivision, republikanischer Soldatenwehr und Berliner Sicherheitswehr – eine republiktreue militärische Gegenmacht aufzubauen, auch, weil sie fürchtete, die genannten Einheiten seien von Bolschewiken durchsetzt.
Es ist nicht die Frage, ob die Regierung Ebert das Recht hatte, sich gegen den Spartakus – Aufstand zur Wehr zu setzen. Dass aber der MSPD – Volksbeauftragte Noske im Januar 1919 dafür die Freikorps ins Leben rief und die Todfeinde der Republik, eine z.T. protofaschistische und antisemitische, brutalisierte, kaum kontrollierbare Soldateska, die vor Mord, Totschlag und Standrechtsexzessen nicht zurückschreckte, auf seine ehemaligen Genossen und z.T. unbewaffnete Arbeiter los lies, hat nicht nur die Spaltung der Arbeiterschaft vertieft, sondern auch große Teile der politisch gemäßigten Arbeiter der Sozialdemokratie entfremdet.
Die Freikorps interpretierten dabei Ihre Aufgabe, den ,,Bolschewismus“ niederzuschlagen übrigens auf ihre Art. Bolschewiken, dass waren für sie alle, die politisch irgendwie links verortet wurden oder sich ihnen entgegenstellten; im Zweifelsfall auch Sozialdemokraten.
Dass Thierse viel von den ,,Brutalitäten der russischen Revolution“, den ,,radikalisierten Elementen in der (deutschen) Arbeiterschaft“ und angesichts einer möglichen ,,brutalen Revolution“ mit ,,der Folge einer Diktatur“ die Politik der Sozialdemokratie im Januar 1919 als alternativlos hinstellt (,,Welche Wahl hatte die Regierung?“), den entfesselten weißen Terror aber allenfalls am Rande anspricht, ist offensichtlich Teil sozialdemokratischer Exkulpation.
Fast tragisch ist es, dass die alten Militärs der Sozialdemokratie die Wiederbelebung ihres Leichnams nicht gelohnt haben. Im Gegenteil: Sie setzten schon im Oktober 1918 die fatale Dolchstoßlegende in die Welt, als Waffe im Kampf gegen Sozialdemokraten und Kommunisten. 1920 weigert sich dann die Reichswehrführung, die Republik vor dem Putsch ehemaliger Freikorpssoldaten und Reichswehreinheiten zu schützen (,,Truppe schießt nicht auf Truppe.“).
Und ,,am Ende des Tages“ war es weniger der Kampf der KPD gegen die Sozialdemokraten, die Thierse mitverantwortlich macht ,,für den Untergang der Republik“, sondern die Tatsache, dass nach der Novemberrevolution den handelnden Akteuren der Mut fehlte, die Ziele ihrer Partei umzusetzen und die tragenden Säulen des untergegangenen Kaiserreiches zu entmachten.
So konnte der Feldmarschall von Hindenburg 1932 als seniler Reichspräsident mit dem Putsch gegen die sozialdemokratische preußische Staatsregierung den Anfang vom Ende der Republik einleiten und 1933 – auf Druck einer erzreaktionären ,,Kamarilla“ aus Militärs, Großagrariern und politisierenden Herrenreitern – den Chef der im Sinkflug befindlichen NSDAP das Kanzleramt überlassen. – Doch ex post sind wir immer schlauer.“

Hans-Peter Jacobitz aus Neuss:

„Wer seinen Hund ertränken will, bezichtigt ihn der Tollwut.“ Dieses französische Sprichwort, welches Sebastian Haffner in seiner Arbeit zu den Januar-1919-Kämpfen zitiert, beschreibt sehr gut die von der damaligen Mehrheitssozialdemokratie geschürte „Spartakisten“-Furcht . In dem Artikel von Jan Sternberg wird Rosa Luxemburg die Hauptschuld an den Januar-Unruhen in die Schuhe geschoben, die durch ihre Artikel in der „Roten Fahne“ die Lunte zu den revolutionären Aktionen gelegt habe. Heutige Dokumente belegen nicht nur den marginalen Einfluss der um die Jahreswende 1918/19 gegründeten KPD (Spartakusbund) unter den Soldaten und den Arbeitern. Siehe hierzu auch den Reichsrätekongress, der von der SPD dominiert wurde. Weiter wird nicht erwähnt das Abkommen des damaligen Reichskanzlers F. Ebert mit dem Oberkommandierenden der kaiserlichen Armee, Groener, die Stadt Berlin und das Reich von USPDlern und Spartakisten durch zurückkehrende Truppenverbände zu säubern, das vor Weihnachten 1918 geschlossen wurde. Weiter hat im Januar die grundlose Absetzung des Berliner Polizeipräsidenten Eichhorn (USPD) durch Otto Wels (Berliner Stadtkommandant) die Wellen hochschlagen lassen. Des weiteren sind zu erwähnen die Attacke auf die sogenannte „Volksmarinedivision“, die das Berliner Schloss von Plünderern gesäubert hatte und sich dort aufhielt. Wiederum Otto Wels versagte diesen Marinesoldaten, die mitnichten in ihrer Mehrheit Spartakisten waren, am 24. Dezember die Auszahlung der Löhnung. Und hier kommt obiges Zitat zum Zuge: Die Volksmarineeinheit wurde auf einmal bezichtigt, „Spartakisten“ zu sein. Dieses führte dann zu einer blutigen Straßenschlacht. Auch hierfür verantwortlich Rosa Luxemburg? Und zum Schluss: Belegt ist inzwischen, dass die Besetzung des Berliner Zeitungsviertels mitnichten von der KPD (Spartakusbund) organisiert wurde, sondern der Wut der Arbeiter und heimkehrenden Soldaten entsprang. Diese blutige Erstickung vom 12. Januar ging als „Eberts Blutweihnacht“ in die Berliner Geschichte ein.“

 

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33 Kommentare zu “Das Zusammengehen mit den Rechten hat sich für die SPD nicht gelohnt

  1. Bronski schreibt:
    „Man möchte sich gleichwohl nicht vorstellen, wie viel Blut geflossen wäre, wenn es Liebknecht gelungen wäre, die sozialistische Republik zu verwirklichen, …“
    Da ist es wieder, das alte Gespenst vom blutrünstigen Kommunismus, das schon so viel Unheil angerichtet hat!
    Der Spartakusaufstand hatte ja gerade das Ziel, die sozialistische Republik zu verwirklichen, aber die paar desperaten Matrosen mit der roten Binde um den Arm und die wenigen Arbeiter mit alten Flinten hinter Barrikaden aus Zeitungspapier waren das Maximum an Bürgerkriegspotential, was deutsche Revolutionäre auf die Beine stellen konnten. Das klägliche Scheitern des Aufstandes mit relativ wenig geflossenem Blut zeigt hier zum ersten Mal, dass eine Chance, getragen von der Mehrheit der Bevölkerung in Deutschland eine sozialistische Republik zu errichten, nie wirklich bestanden hat, in den ganzen 100 Jahren seit der Gründung der KPD nicht. Selbst in der revolutionären Situation, in die die Weimarer Republik 1929 nach Ausbruch der Weltwirtschaftskrise geraten war, hatten die Kommunisten nie den Hauch einer Chance, weder durch Saalschlachten mit der überlegenen SA noch auf legale Weise durch Wahlen, an die Macht zu kommen. Und auch nach dem Krieg konnte es Adenauer, selbst als die KPD schon verboten war, mit seiner demagogischen „Schicksalsfrage zwischen Sklaverei und Freiheit“ und seinem Ruf: „Wir wählen die Freiheit!“ zur absoluten Mehrheit bringen. Ja, selbst heute, wo es nun wirklich keine „kommunistische Gefahr“ mehr gibt, werden professionelle Antikommunisten wie Herr Knabe noch immer ernstgenommen. Die Deutschen sind offenbar in den 100 Jahren nach der Droge „Antikommunismus“ süchtig geworden

  2. Lieber Herr Bläsing,

    das kommt dabei raus, wenn man Inhalte aus dem Kontext reißt: „blutrünstiger Kommunismus“. Mein Satz, den Sie zitieren, lautet vollständig:

    „Man möchte sich gleichwohl nicht vorstellen, wie viel Blut geflossen wäre, wenn es Liebknecht gelungen wäre, die sozialistische Republik zu verwirklichen, denn die Armeeverbände, die ins Reich zurückkehrten, hätten diese Republik mehrheitlich gewiss nicht mitgetragen.“

    Ich deute hier das Szenario eines Bürgerkrieges an, in dem gewiss Blut durch die Hand von Spartakisten geflossen wäre – ob man das als blutrünstig bezeichnen sollte, lasse ich dahingestellt -, doch weit mehr Blut wäre unter Spartakisten durch die Hand der Armeeverbände geflossen. Die waren mehrheitlich einem totalitären Corpsgeist verschrieben, wie u.a. der Kapp-Putsch von 1920 zeigte. Und wer weiß, ob diese Armeeverbände, einmal in Fahrt, nach der Beseitigung der Spartakisten aufgehört hätten, unter Linken aufzuräumen. Vielleicht hätte ein solcher Bürgerkrieg zu einer Kondensation militärischer Macht und damit in eine Militärdiktatur gemündet. Das bleibt zum Glück ein Gedankenspiel. Ich weise den Vorwurf daher von mir, ich würde ein „blutrünstiges“ Bild von Kommunisten zeichnen.

    Bei der Bewertung des Einflusses der Spartakisten muss man, denke ich, versuchen, sich in die damalige Situation zu versetzen, aus der Ebert und Noske gehandelt haben. Ihnen lagen nicht die detaillierten Erkenntnisse über die damalige Situation vor, über die wir heute verfügen. Ich weiß daher nicht, ob sie die Situation damals realistisch einschätzen konnten. Eines steht jedenfalls fest: Die Spartakisten mögen nur eine überschaubare Gruppe gewesen sein, aber sie waren laut, und sie hatten charismatische Führungspersönlichkeiten. Ein Satz wie der, sie hatten „nie den Hauch einer Chance, (…) an die Macht zu kommen“, lässt sich aus heutiger Perspektive leicht schreiben.

  3. @ Peter Bläsing

    „Die Deutschen sind offenbar in den 100 Jahren nach der Droge ‚Antikommunismus‘ süchtig geworden.“

    Nun habe ich Ihnen in einem anderen Thread („Eine Prise Neoliberalismus“) durchaus zugestimmt.
    Die Verallgemeinerung, die Sie hier anhand eines demagogischen Ausspruchs Adenauers vornehmen (von denen es viele gibt). ist aber nur schwer zu ertragen. Das gilt auch für das, was Sie in die Aussage von Bronski hinein interpretieren.
    Ich kann in Ihren Ausführungen keinen Versuch erkennen, sich mit einer historischen Situation sachlich und mit der gebotenen Distanz auseinander zu setzen.

    Ich erinnere an die eben erst auf Phoenix wiederholte Dokumentation „Weimarer Republik“ (Wdh. vom 3.6.2018), in der Ebert und vor allem Noske alles andere als gut wegkommen. Was freilich keine Veranlassung zur Mythenbildung sein sollte, wie sie in Teilen der Linken offenbar immer noch gepflegt wird.
    Dazu sei auch an die sowjetischen und dann von deutschen Kommunisten verbreitete „Sozialfaschismus“-These erinnert, die sich verheerend auswirkte, indem sie den antifaschistischen Kampf lähmte und die Machtergreifung der Nazis förderte.
    Dazu ist auch der antibiographische Roman „Kirschen der Freiheit“ von Alfred Andersch eine aufschlussreiche Quelle, in der Andersch, in seiner Jugend kommunistischer Aktivist, die Lähmung der Kommunisten als Grund für seine darauf folgende Distanzierung nennt.

    Es ist wohl an der Zeit, nüchterne Schlussfolgerungen aus solchen historischen Verirrungen zu ziehen, als sich weiterhin in Mythen zu verstricken.

  4. Na, klar! Wenn einem ein Zitat nicht passt, dann ist es aus dem Zusammenhang gerissen!
    Den Zusammenhang beschreiben Sie so:
    „Ich deute hier das Szenario eines Bürgerkrieges an, in dem gewiss Blut durch die Hand von Spartakisten geflossen wäre …, doch weit mehr Blut wäre unter Spartakisten durch die Hand der Armeeverbände geflossen…. Und wer weiß, ob diese Armeeverbände… nach der Beseitigung der Spartakisten aufgehört hätten, unter Linken aufzuräumen.“
    Es ist ein Szenario, das von Kommunisten ausgelöst worden wäre, dass es aber so gar nicht geben konnte; denn das, was Anfang 1919 tatsächlich passiert ist, war alles an Bürgerkrieg, was möglich war, mehr als die Spartakisten gab es nicht. Nachdem sie besiegt waren, hatten die Freikorps keinen Gegner mehr. Sie verzichten denn auch darauf mitzuteilen, was Ihrer Meinung nach die Freikorps 1919 daran gehindert hat, noch mehr „unter den Linken aufzuräumen“, als nur Liebknecht und Luxemburg umzubringen. Insofern beschreibt Ihr Zusammenhang eine rein fiktive Bedrohung, allerdings von Kommunisten ausgehend und ziemlich blutig.
    In Bezug auf Ihre Bemerkung „Ein Satz wie der, sie hatten „nie den Hauch einer Chance, (…) an die Macht zu kommen“, lässt sich aus heutiger Perspektive leicht schreiben“ verweise ich auf meinen Leserbrief. Ich halte es für zulässig und sogar für erforderlich, historische Ereignisse nachträglich danach zu bewerten, was aus ihnen entstanden ist. Nur so ist es möglich, aus der Geschichte zu lernen. Aber ich verlange an keiner Stelle, dass Ebert und Noske, wie später Wels und Breitscheid, aber auch Thälmann, damals hätten erkennen müssen, welcher verhängnisvollen Entwicklung sie da Vorschub leisten.
    Die schlechten Zensuren von Oberlehrer Engelmann nehme ich mir zu Herzen und werde in mich gehen.

  5. Ja, der kleinen Schar unverbesserlicher Linker hat Jan Sternberg („Spartakus – einst und jetzt“, FR, 08. Januar) noch einmal folgendes unmissverständlich ins Stammbuch geschrieben: Bei dem Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht handelt es sich – Antimilitarismus hin, Kampf dem Krieg und seinen gesellschaftlichen Grundlagen her – seit je um eine „Geisterbeschwörung“.
    Eine detaillierte Rekonstruktion der Vorgänge November 1918 bis Januar 1919 ergibt dieses Bild: Es war die herrschende ‚Legalität‘ des Bündnisses der Weltkriegs (!)-MSPD („Kaisersozialisten“) mit den Unternehmerverbänden und allen maßgeblichen monarchischen Kräften – General Groener war voll des Lobes für den loyalen Friedrich Ebert -, das die kriegrische Militanz im Innen- wie im Außenverhältnis (antibolschewistische Baltikum-Front) gegen die nach einer „sozialistischen Republik“ drängenden Linkskräfte fortsetzte. Ergebnis: „Die Ordnung herrscht in Berlin“ (Rosa Luxemburg). Es handelte sich um jene blutige, in die Weimarer Republik hinein verlängerte Ordnung, die Frank-Walter Steinmeier und Wolfgang Thierse – hier darf der Zweck ausnahmsweise die Mittel heiligen – auch heute noch schönreden. Die Januarunruhen der revolutionären Arbeiter in Berlin, angeführt mehrheitlich von den Revolutionären Obleuten, nicht von der KPD, waren ein verzweifelter Akt der Gegenwehr.
    Zu einem „Forschungsverbund SPD im Staat“ wird es wohl niemals kommen. Zu tun gäbe es reichlich.

  6. Lieber Herr Bläsing,

    immer mit der Ruhe. Ich habe selbst gesagt, dass es sich bei meinen Überlegungen um ein Gedankenspiel handelt. Nennen Sie sie fiktiv. Wir meinen dasselbe.

    Sie fügen hinzu: „allerdings von Kommunisten ausgehend und blutig“.

    Warum allerdings? Der „Spartakus-Aufstand“ ging tatsächlich von revolutionären Kräften aus, auch von Kommunisten. Die „Revolutionären Obleute“, die USPD und die KPD wollten den Kampf gegen die sozialdemokratische Regierung aufnehmen. Sie besetzten das Berliner Zeitungsviertel und riefen zur Demonstration auf, die zur Großdemo wurde und alle Erwartungen übertraf. Hunderttausende waren auf der Straße, und es lag tatsächlich Bürgerkrieg in der Luft. Nein, Herr Bläsing, dieser Aufstand war keine kleine Sache, und Sie können ihn auch nicht dadurch kleinreden, dass nur wenige Spartakisten (nicht gleich Bolschewisten) irgendwann dazugestoßen sind. Diese Eskalation stellte eine echte Bedrohung für die MSPD und ihre Versuche dar, Ordnung herzustellen. Wer eine solche Eskalation betreibt, der nimmt selbstverständlich auch gewaltsame Konfrontationen in Kauf, also Blutvergießen. Auf beiden Seiten. Aber dann konnten sich die linken Revolutionäre mal wieder nicht einigen, zerredeten das revolutionäre Projekt und gefährdeten es damit, woran Liebknecht einen Teil der Verantwortung trug – und gefährdeten damit auch das Leben der Revolutionäre, die nicht wussten, wohin der Zug nun fuhr.

    Die eigentliche Gefahr, dabei bleibe ich, stellten die Freikorps und die Armeeverbände dar, und ich denke, dass Ebert, Scheidemann und Noske dies auch sehr genau erkannt haben dürften. Durch den Ebert-Groener-Pakt waren zumindest die Armeeverbände – die Freikorps bildeten sich gerade erst – zu diesem Zeitpunkt halbwegs unter Kontrolle der Regierung. Der Ebert-Groener-Pakt war ein Geheimpakt zwischen MSPD und der Obersten Heeresleitung in Gestalt des Generals Wilhelm Groener und richtete sich gegen linksradikale Gruppierungen. Während der Besetzung des Zeitungsviertels wurden die Armeeverbände rund um Berlin zusammengezogen. Welcher Hass in deren Köpfen gesteckt haben muss, lässt sich an der unglaublichen Kälte der Morde an Luxemburg und Liebknecht erkennen. Dass aus der Konfrontation mit den Aufständischen im „Spartakus-Aufstand“ kein landesweiter Bürgerkrieg wurde, dürfte vor allem daran gelegen haben, dass die Befehlsstrukturen, derer sich die MSPD hier bediente, noch funktioniert haben. Doch wäre der Verfall dieser Befehlsstrukturen schon weiter fortgeschritten gewesen, hätte aus dieser Konfrontation ganz anderes entstehen können. Wie ich schon sagte: Zum Glück bleibt das ein Gedankenspiel.

    Es ist historisch belegt – es geht also um weitere Tatsachen, nicht um Gedankenspiele -, dass Karl Liebknecht einen Bürgerkrieg entfesseln und den Rat der Volksbeauftragten, die Übergangsregierung, mit Waffengewalt stürzen wollte. Die Wahlen zur Nationalversammlung sollten verhindert werden. Halten Sie solche Pläne für Kleinigkeiten, Herr Bläsing? Wie soll man als Regierung darauf reagieren? Liebknecht war in deren Augen ein Aggressor. Darum hat der Historiker Heinrich August Winkler den „Spartakus-Aufstand“ als „Aufstand gegen die Demokratie“ bezeichnet. Das sollten Sie nicht kleinzureden versuchen, Herr Bläsing. Ob Sie darüber hinaus sprachliche Eskalationen wie „blutrünstig“ einsetzen wollen, bleibt Ihnen überlassen. Ich bin kein Fan davon.

  7. @Bronski
    Den Diskussionspartner zur Ruhe ermahnen, suggeriert, dass man selbst ruhig ist. Das scheint mir aber nicht so zu sein. Anders kann ich mir Ihre schnelle und wortreiche Erwiderung nicht erklären, und ich kann überhaupt nicht verstehen, was Sie damit sagen wollen. Ausgangspunkt war meine Behauptung, dass Sie mit Ihren Ausführungen das Gespenst vom blutrünstigen Kommunismus beschworen haben. (Nur so nebenbei: damit ist nicht gesagt, dass Sie es erfunden haben – das waren ganz andere!) Sie antworten darauf mit einer umfassenden Darstellung der Ereignisse im Januar 1919, so wie Sie und mein spezieller Freund Heinrich August Winkler sie sehen. Sie bemühen sich, mir zu erklären, dass der Spartakusaufstand erstens ein Bürgerkrieg und also zweitens keine kleine Sache war. Da bin ich völlig Ihrer Meinung, und ich verstehe nicht, wann und wo ich irgendetwas klein geredet haben soll. Andererseits erwecken Sie mit Ihrer Formulierung im Konjunktiv II „Man möchte sich gleichwohl nicht vorstellen, wie viel Blut geflossen wäre, wenn es Liebknecht gelungen wäre, die sozialistische Republik zu verwirklichen…“, dass es noch viel schlimmer (und blutiger) hätte kommen können. Dagegen wende ich mich und bezeichne das als Gespensterbeschwörung.

  8. Keine Sorge, lieber Herr Bläsing, ich bin ganz ruhig.

    Ich wiederhole mich und widerspreche Ihnen: Ich habe das Gespenst vom „blutrünstigen Kommunismus“ mit keinem Wort beschworen. Ich glaube deutlich gemacht zu haben, dass ich die Gefahr ganz woanders sehe.

    Ich habe auch nicht behauptet, dass der „Spartakus-Aufstand“ (bitte in Anführungszeichen) ein Bürgerkrieg war, sondern ich habe dargelegt, dass Liebknecht den Bürgerkrieg wollte und dass Bürgerkrieg in der Luft lag. In dieser Frage bestand in Reihen der revolutionären Linken jedoch keine Einigkeit. Ich verzichte darauf darzulegen, welche Auseinandersetzungen es da gab. Gleichwohl wollte der Januaraufstand den gewaltsamen Umsturz.

    Und in der Tat: Ich glaube, dass es nach der Niederschlagung des „Spartakus-Aufstands“ viel schlimmer hätte kommen können – dann nämlich, wenn die Freikorps und Armeeverbände begriffen hätten, dass sie die Macht zum Greifen nahe hatten, und wenn sie diese Macht ergriffen hätten.

    Nach dieser Klarstellung verabschiede ich mich aus dieser Diskussion. Ich habe einen arbeitsreichen Tag vor mir uns muss ins Bett. Gute Nacht.

  9. Also, unter „Klarstellung“ verstehe ich etwas anderes.
    1. Welche Gefahr sehen Sie wo?
    2. Der Spartakusaufstand war kein Bürgerkrieg?
    3. Wer hatte denn die Macht nach Niederschlagung des Spartakusaufstandes?
    Aber ich bin auch dafür, hier abzubrechen; denn mein Hauptanliegen, die Bekämpfung des unreflektierten Antikommunismus‘, war ohnehin etwas ins Hintertreffen geraten.
    Ich habe weiß Gott nicht vor, die Kommunisten reinzuwaschen – im Gegenteil: Im Namen des Kommunismus‘ sind schlimme Verbrechen und entsetzliche Fehler und Dummheiten begangen worden, die es immer gilt, klar anzusprechen. Aber der institutionelle Antikommunismus der letzten hundert Jahre hat zu gefährlichen Verfälschungen, insbesondere bei der Bewertung der deutschen Geschichte seit dem Ersten Weltkrieg geführt. Schlimmstes Beispiel dafür ist die von vielen Historikern und Politikern benutzte Formel: Die Demokratie der Weimarer Republik ist in der gewaltsamen Auseinandersetzung zwischen Nazis und Kommunisten zerrieben worden! In der ideologisch gefärbten Darstellung der deutschen Geschichte durch westliche Historiker (Bracher, Winkler) zum Zwecke der Abwehr marxistischer Propaganda im Rahmen des Kalten Krieges war es notwendig, die Verantwortung des Kapitalismus‘ für die Entstehung der Hitlerdiktatur und des Zweiten Weltkrieges so klein wie möglich werden zu lassen. Mit dieser Formel schlug man zwei Fliegen mit einer Klappe: Die Hauptursache für die Katastrophe, die kapitalistische Weltwirtschaftskrise, trat in den Hintergrund, und den Kommunisten wurde noch eine erhebliche Mitschuld angehängt. Gefährlich ist diese Geschichtsinterpretation vor allem deshalb, weil sie es nahezu unmöglich macht, die notwendigen Lehren aus den damaligen Ereignissen für die heute erforderliche Politik zu ziehen. Allgemein gilt: Berlin ist nicht Weimar, unsere Demokratie ist wehrhaft und stark. Dass aber aus Berlin Weimar werden kann, wenn die nächste zyklische Kapitalismuskrise über uns hereinbricht, wird verdrängt, und die Banker können weiterhin drauflos spekulieren wie 2008, solange, bis es ihnen doch noch gelingt, das Kartenhaus der Weltwirtschaft zum Einsturz zu bringen.

  10. Ich kann Peter Bläsing nur zustimmen, wenn er deutlich macht, dass

    1. die Macht und Stärke der Spartakisten nach dem ersten Weltkrieg vollkommen überbewertet wurde, während die Gefahr, die von den Militärs und Freikorps ausging, damals wie heute verniedlicht wurde,

    2. die Regierung wurde zwar vom Rat der Volksbeauftragten gestellt, aber die tatsächliche Macht hatte, wie sowohl von dem ständigen Zusammenspiel Eberts mit Groener als auch dem Vorgehen Noskes gegenüber den Spartakisten und den späteren Märzaufständen und sogar noch beim Kapp-Putsch deutlich wird, das Militär,

    3. die Rolle des Kapitalismus wird klar definiert und dessen Ursache für die Hitlerdiktatur und den 2. Weltkrieg wurde sogar von der CDU der britischen Besatzungszone im Ahlener Programm festgestellt, die heute nicht einmal mehr von der SPD so erkannt wird, wenn man insbesondere deren Regierungspolitik betrachtet.

    4. Die Warnung von Peter Bläsing im letzten Satz seines Kommentars kann nicht ernst genug genommen werden, wobei ich auf das Buch „Schockstrategie“ von Naomi Klein verweise.

  11. In meiner Einlassung vom 17. Januar ist der erste Absatz missverständlich formuliert: Herr Sternberg steht in der Kritik, nicht das Gedenken an Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht!

  12. @ Peter Bläsing

    Das ist wirklich bizarr. 80 Jahre Ringen von Historikern um Erkenntnis und Einordnung der Vorgänge in der Weimarer Zeit bezeichnen Sie als „unreflektierten Antikommunismus“, weil dabei eine These rausgekommen ist, die Ihnen nicht passt: dass die Weimarer Republik in der Auseinandersetzung zwischen Nazis und Kommunisten zerrieben wurde. Das würde ja bedeuten, dass die Kommunisten keineswegs das armselige Häuflein waren, als das Sie es unbedingt darstellen wollen, und das kann nicht sein, weil es nicht sein darf. Gegen diese These setzen Sie eine nicht belegbare Verschwörungstheorie namens „Verabredung zum Antikommunismus“, als wären die Auswirkungen der Weltwirtschaftskrise auf die Weimarer Republik nie von Historikern untersucht worden, und halten das … ja, wofür? Für reflektiert? Ist nicht wahr. Und mit dieser hanebüchenen Theorie wollen Sie die Kommunisten reinwaschen? Ach, stimmt ja, diese Unschuldslämmer waren ja ohnehin von Stalin gesteuert und daher für Ihre Handlungen nicht verantwortlich zu machen.

    @ Peter Boettel

    „…während die Gefahr, die von den Militärs und Freikorps ausging, damals wie heute verniedlicht wurde …“
    Liest hier eigentlich noch jemand gründlich und mit dem Willen, den anderen möglichst verstehen zu wollen? Genau das – die Gefahr durch Militär und Freikorps – hat Bronski oben thematisiert. Aber grämen Sie sich nicht. Herr Bläsing hat das auch nicht verstanden.

  13. @Stefan Briem
    Ob die Weimarer Republik „zerrieben“ wurde in der Auseinandersetzung zwischen Nazis und Kommunisten, ist zumindest soziologisch eine nach wie vor offene Frage. Helmuth Plessner vor allem schreibt im Vorwort zu „Grenzen der Gemeinschaft“ bereits im Jahr 1924, dass der von ihm dort kritisierte Radikalismus gleich welcher Couleur die Wege für eine gesellschaftliche Erneuerung versperrt. Nimmt man Plessner beim Wort, reproduziert sich auch hier im Blog die damalige Blockade. Das heißt: Wiederholt soll die Notwendigkeit sozialer Innovationen, wie sie insbesondere der britische Sozioökonom Anthony Giddens für Europa als überfällig erachtet, noch zu Beginn des 21. Jahrhunderts unterbunden werden. Führt man sich das vor Augen, gibt es nahezu keine Unterschiede zwischen der Weimarer und der Berliner Republik. Unverdrossen wird geradezu eisern an ökonomischen Verhältnissen festgehalten, über die sowohl die Kräfte als auch die Bedürfnisse längst hinausgewachsen sind.

  14. @Stefan Briem
    Die These passt mir nicht, weil sie nicht dem historischen Verlauf entspricht.
    Wie erinnerlich hatte die Staatskrise der Weimarer Republik folgenden Verlauf:
    März 1930: Die von Reichskanzler Müller (SPD) geleitete Regierung der Großen Koalition zerbricht, weil sie sich nicht auf die Sanierung der Sozialsysteme einigen kann, die durch die infolge der Weltwirtschaftskrise rasant gestiegene Zahl der Arbeitslosen hoffnungslos überlastet sind. Brüning (Zentrum) wird vom Reichspräsidenten Hindenburg zum Kanzler ernannt.
    Juli 1930: Der Reichstag lehnt Brünings Programm zur Sanierung der Finanzen ab. Reichspräsident Hindenburg wandelte den Gesetzentwurf in eine Notverordnung um. Der Reichstag hebt die Notverordnung wieder auf. Hindenburg verfügt daraufhin die Auflösung des Reichstages und Neuwahlen.
    14.9.1930: Durch diese Neuwahlen wird der Reichstag handlungsunfähig und spielt für den Rest der Weimarer Republik keine Rolle mehr. Das parlamentarische System ist zerbrochen. Präsidialkabinette ohne parlamentarische Mehrheit regieren.
    Bis zu diesem Zeitpunkt haben die KPD 10,6%, NSDAP 2,6% der Wählerstimmen, sind also während der Staatskrise nahezu bedeutungslos. Erst in der dann beginnenden außerparlamentarischen und gewalttätigen Auseinandersetzung zwischen den beiden werden die zerbrochenen Reste der Weimarer Republik zerrieben, wobei die NSDAP am Ende mehr als dreimal so stark ist wie die KPD.

  15. @ Stefan Briem, 18. Januar 2019 um 17:19

    „Liest hier eigentlich noch jemand gründlich und mit dem Willen, den anderen möglichst verstehen zu wollen?“

    Exakt das ist mir auch aufgefallen.
    Und wenn man bei sachlicher Kritik ironisch als „Oberlehrer“ tituliert wird, damit bloß keiner merkt, dass sich da einer um eine Antwort herumdrückt, dann trägt das auch nicht gerade zur Diskussionskultur bei.

  16. @Briem, Engelmann
    Bläsing am 18.1.2019, 9:56 Uhr:
    Ich habe weiß Gott nicht vor, die Kommunisten reinzuwaschen – im Gegenteil: Im Namen des Kommunismus’ sind schlimme Verbrechen und entsetzliche Fehler und Dummheiten begangen worden, die es immer gilt, klar anzusprechen.
    Briem am 18.1.2019, 17:19 Uhr (sachlich!)
    Und mit dieser hanebüchenen Theorie wollen Sie die Kommunisten reinwaschen? Ach, stimmt ja, diese Unschuldslämmer waren ja ohnehin von Stalin gesteuert und daher für Ihre Handlungen nicht verantwortlich zu machen.
    Wer kann hier nicht lesen?

  17. @Engelmann
    Es stimmt, ich habe mich gedrückt. Das liegt daran, dass Sie sehr emotional argumentieren, und deshalb nicht alles, was Sie sagen wollen, auch sagen. Man muss bei Ihnen zwischen den Zeilen lesen. Und darin bin ich ganz schlecht, mit mir muss man Klartext reden. So habe ich zum Beispiel nicht im Entferntesten verstanden, was Sie mit folgendem Satz sagen wollen:
    „Die Verallgemeinerung, die Sie hier anhand eines demagogischen Ausspruchs Adenauers vornehmen (von denen es viele gibt). ist aber nur schwer zu ertragen.“
    Diesen und viele andere Sätze in Ihren vielen Beiträgen müsste ich erst mühsam mit Ihnen auseinanderposamentieren, wenn ich dazu Stellung nehmen sollte. Nehmen Sie mir es nicht übel, aber ich habe das Gefühl: das bringt nichts – außer weiteren schlechten Zensuren.

  18. Der Engelmann’schen Kritik an der Diskussionskultur schließe ich mich an. Meine implizite Aufforderung, nicht verdinglicht sich dem Gegenstand zu nähern, indem beispielsweise neben Stefan Briem nun auch Peter Bläsing behauptet, dass die Weimarer Republik „zerrieben“ wurde, verhallt ungehört. Stattdessen die damaligen Geschehnisse als einen sozialen Prozess zu begreifen, der prominent von Plessner als blockiert kritisiert ist, übersteigt offenkundig die Möglichkeiten dieses Blogs. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang gesellschaftlicher Erneuerung allein an Karl Marx, der von der Notwendigkeit sprach, gleichsam die Geburtswehen zu verkürzen. Eine Verlängerung derselben ist zumindest historisch noch nie eine Option gewesen.

  19. @ Peter Bläsing, 19. Januar 2019 um 17:30

    Nun ist es ja bekanntlich die Eigenart von „Oberlehrern“, zu dozieren statt geduldig zu erklären. Aber sei’s drum.
    Nun stimme ich Ihnen ja zu, dass in manchen Hirnen der Antikommunismus den Kommunismus um einiges überlebt hat, also auch ohne diesen auskommt. In Online-Foren kann man immer wieder Kostproben davon lesen.
    Und von Adenauer sind viele demagogische Sprüche bekannt, auch Verleumdungen gegen Willy Brandt, nicht nur der Spruch von „Freiheit“ und „Sklaverei“, der zudem nicht auf die KPD bezogen war, sondern, wie er zu betonen pflegte, die Gefahr, die von „der Sowjetunion“ drohe.
    Sind deshalb aber „die Deutschen“ – zu denen Sie wohl auch gehören – „in den 100 Jahren nach der Droge ‚Antikommunismus‘ süchtig geworden“?
    Was ist an der Feststellung einer unzulässigen Verallgemeinerung „emotional“?
    Das ist schlicht eine Frage der Logik. Und in gewissem Sinn auch der Moral in der Politik. Denn es war (unter anderem) Adenauersche Methode, sich auch solcher emotionalisierender Vergleiche zu bedienen, wie Sie auch einen verwenden.

  20. Die Sozialdemokraten haben bis zum heutigen Tage sowas wie eine Mattscheibe vor ihren Gesichtern, die ihre längst notwenige Aufarbeitung ihrer zweispältigen Geschichte vehindert. Noske, Ebert, Brüning, Scheidemann … auf allen ruht sich die sog. Arbeiterpartei SPD in Frieden aus.
    Das rächt sich jetzt tiefgreifend.

  21. @Engelmann
    Eigentlich hasse ich solche Nachkarterei, aber diesmal treiben Sie es wirklich zu weit.
    1. Oberlehrer
    Ich habe den falschen Begriff erwischt; den richtigen verkneife ich mir.
    2. auf die Sowjetunion bezogen
    Machen Sie bei Antikommunismus ernsthaft einen Unterschied, ob auf „KPD“ oder auf „Sowjetunion“ bezogen?
    3. Verallgemeinerung
    Unterstellen Sie mir wirklich, ich würde behaupten, erst Adenauers Spruch hätte die Deutschen antikommunismussüchtig gemacht? Und das war für Sie unerträglich? Das kann doch nicht wahr sein! Der Spruch ist ein Indiz für den Antikommunismus eines Kanzlers, der mit absoluter Mehrheit gewählt worden war, und damit ein Indiz für den Antikommunismus der (West-)Deutschen!
    4. zu denen Sie wohl auch gehören
    Ihre provozierende Parenthese könnte man auch so interpretieren, als sei für Sie nur Deutscher, wer auch Antikommunist ist. Aber ich tue es nicht, obwohl Sie damit in den Augen vieler Deutscher Recht hätten.
    5. emotional
    Dass Sie das mit dem „emotional“ in den falschen Hals kriegen würden, musste ich befürchten. Also: Emotionalität ist für mich nichts, für das man sich entschuldigen müsste oder das abwertend oder beleidigend ist. Außerdem habe ich generell Ihre Argumentationsweise als emotional bezeichnet. Der Vorwurf der unzulässigen Verallgemeinerung war für mich nicht emotional, sondern nicht ausreichend verständlich. Nun ist er es – vielleicht.

  22. @Jutta
    Ich wäre gern auf Ihre frappierende These, wonach Radikalität die Erneuerung versperrt, eingegangen, aber Bronski erlaubt es mir nicht.

  23. @ Jürgen Malyssek,

    Sie haben es mit einem Satz auf den Punkt gebracht. Im Leserbrief vom 16.01. in der Printausgabe der FR schreibt Frau Führer-Rößmann richtigerweise, dass das Zusammengehen mit den Rechten sich für die SPD noch nie ausgezahlt hat.
    Obwohl ich in Veranstaltungen, Kommentaren oder Briefen auf diese Tatsache hingewiesen habe, scheint die Führung der SPD – aus welchen Gründen auch immer, vielleicht Postenjägerei – dies nicht begreifen zu wollen oder es tatsächlich nicht zu begreifen. Und so geht es weiter mit ihr bergab wie in Frankreich und anderen Ländern.

  24. Eine Diskussion zur Novemberrevolution verlangt eventuell, das Stinnes-Legien-Abkommen vom 15.11.1918 mit in den Blick zu nehmen. Historisch einzigartig und eine soziale Innovation, die bis in die Gegenwart hinein ihresgleichen sucht, ist allemal, autonom, ohne dass der Staat etwas zu sagen hat, die Bedingungen der Auseinandersetzung des einzelnen Arbeiters mit der Natur zu ermitteln. Der alte und aus dem Französischen stammende Begriff des „accord“, der eine geglückte Übereinstimmung von Lohn und Leistung bezeichnet, steht dafür. Manches wäre heute noch längst nicht Wirklichkeit, wenn nicht schon damals konstruktiv mit dem Interessengegensatz zwischen Kapital und Arbeit umgegangen worden wäre.

  25. @ Jutta

    „Stinnes-Legien-Abkommen“! Interessanter Aspekt. Kannte ich bislang noch nicht. Endlich mal ein konkretes Beispiel von Ihnen.

    Es wäre zumindest für mich hilfreich, wenn Sie noch häufiger etwas konkreter und nicht auf einem so hohen Abstraktionsniveau schreiben würden, auf dem man mehr vermuten muss, was Sie wohl meinen könnten. Ich habe den Eindruck, Sie versuchen sich unangreifbar zu machen. Ich schätze aber für den Erkenntnisgewinn die Debatte und den kultiviert ausgetragenen Streit hier.

  26. @Matthias Aupperle
    Ihr Verständnis davon, was konkret und was abstrakt ist, verstehe ich nicht. Mein Antrieb ist nicht, quasi von höherer Warte aus in die Niederungen des täglichen Lebens zu schauen und dann meine Kommentare dazu abzugeben. Das Stinnes-Legien-Abkommen habe ich deshalb in die Diskussion zur Novemberrevolution eingeführt, weil es beispielhaft zu erkennen gibt, welche ungeahnten Möglichkeiten sich eröffnen, wenn man nicht wie die heutigen Gewerkschaften unabhängig vom historischen und gesellschaftlichen Kontext die Entscheidung sucht. Wegen solch eines kaum mehr erträglichen Dezisionismus insbesondere vonseiten der hauptamtlichen Funktionäre, die dafür auch noch Gefolgschaft einfordern, bin ich übrigens nach über 25 Jahren aus der IG Metall ausgetreten.

  27. @ Jutta

    Werden Sie bitte konkreter. Legen Sie dar, was dieses Abkommen Ihrer Meinung nach mit der Novemberrevolution zu tun hat.

  28. Jeder, der schon einmal gearbeitet hat, weiß, dass er/sie mit den eigenen Kräften haushalten muss. Solch eine Kräfteökonomie zu organisieren, ist nicht trivial. Ist beispielsweise geistige Arbeit besonders intensiv, tun danach buchstäblich die Knochen weh; weshalb auch von Knochenjob gesprochen wird, der meist fälschlich nur auf körperliche Arbeit bezogen ist. In Zeiten des gesellschaftlichen Umbruchs wie damals zur Novemberrevolution eskalieren die Schwierigkeiten und sind schließlich nicht mehr handhabbar. Angesichts dessen kann das Stinnes-Legien-Abkommen nicht hoch genug eingeschätzt werden. Zum ersten Mal wurde der Versuch unternommen, das Problem der (bis heute) ungelösten Kräfteökonomie wenigstens im Ansatz zu bewältigen. (Ich hoffe, das war kronkret genug).

  29. @ Jutta

    Das Stinnes-Legien-Abkommen soll ein Vertrag über Kräfteökonomie sein? Es ist mir völlig unerfindlich, wie Sie auf so etwas kommen. Es ist ein Abkommen zur Sicherung der Produktion in unsicheren Zeiten, das vor allem den Geldfluss für die Produzierenden sicherte. Es ist ein prokapitalistisches Abkommen. Es war für die Unternehmer ein Not- und Zweckbündnis, das sie „aus Furcht vor einer Sozialisierung ihrer Fabriken in der Novemberrevolution“ eingingen, steht bei Wikipedia. Dahinter steht also die Angst vor der Räterepublik und dem Bolschewismus. Da haben Sie Ihre Verbindung zur Novemberrevolution.

    Für Sie scheint es ja unglaublich schwer zu sein, Links zu kopieren. Das geht so: Sie klicken in die URL, die Sie kopieren wollen, drücken Strg und A, dann Strg und C. Anschließend klicken Sie auf den Ort in der anderen Webseite, wohin Sie den Link transferieren wollen, und drücken Strg und V. Hier mache ich das für Sie:

    https://de.wikipedia.org/wiki/Stinnes-Legien-Abkommen

  30. @Stefan Briem
    Bronski fragte mich ausdrücklich nach meiner persönlichen Meinung zum Stinnes-Legien-Abkommen, das zur Zeit der Novemberrevolution vereinbart wurde. Er fragte nicht, was Wikipedia dazu sagt. Dass Sie die Kommentare von anderen Lesern relativieren, ist ja nichts Neues. Es bleibt aber dabei, dass der haushälterische Umgang mit den eigenen Kräften zentral ist. Deshalb wäre es schon geboten, wenn Sie den Grund nennen, warum sie die mitunter fieberhafte Suche (einschließlich der oft verbittert geführten Arbeitskämpfe) nach praktikablen Lösungen für eine Kräfteökonomie als bedeutungslos einschätzen.

  31. Vielleicht sollte hier im Thread ganz grundsätzlich im Zusammenhang mit der Novemberrevolution nicht vergessen werden, dass Arbeiter, wie Bertold Brecht in den „Flüchtlingsgesprächen“ es seine Figur Kalle sagen lässt, nicht der „Geh her da“, also die Erfüllungsgehilfen für die Weltveränderungswünsche mancher Intellektuellen sind. Auch die neuere Forschung in den 1960er und zu Beginn der 1980er Jahren bestätigt den Befund, dass es Arbeitern nicht einmal im Traum einfällt, sich geschichtsphilosophisch instrumentalisieren zu lassen. Eine Deutung der Novemberrevolution verbietet sich daher, die darauf abstellt (wie Wikipedia), dass aus Angst von einer Enteignung und Sozialisierung ihrer Fabriken von den Arbeitgebern etwa das Stinnes-Legien-Abkommen abgeschlossen worden wäre. Solch eine Deutung kann angesichts der wirklichen Verhältnisse wohl ohne weiteres Federlesen als Traumtänzerei kritisiert werden.

  32. @Hans Herbert Schümann
    Ihr Leserbrief bestätigt noch einmal die Auffassung, dass die historische Entwicklung in Deutschland vom Ende des Ersten Weltkriegs bis zur Hitlerdiktatur nicht vom Kommunismus geprägt war, sondern von der Angst vor ihm, die aber mangels Masse eigentlich unbegründet war. Dass „viele Linke das nicht hören wollen“ ist leider auch richtig, wobei es mittlerweile nicht mehr so viele sind, die die revolutionären Massen bewegen wollen. Es reicht aber immer noch dazu, dass Rechte daraus propagandistisch Honig saugen können.

    (…)

    Passage gelöscht, da nicht zum Thema.
    Bronski

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