Derzeit lässt sich auf der ganz großen, der globalen Ebene beobachten, was passiert, wenn Populismus ans Ruder kommt: Das Chaos bricht aus. Das ließ sich gut anlässlich des Auftritts des US-Präsidenten Donald Trump beim Nato-Gipfel besichtigen. Mal ist die Nato und speziell Deutschland ein böses Kind und nutzt die USA schamlos aus, zum Beispiel wenn es um Militärausgaben geht, und im nächsten Moment könnte die Beziehung zwischen den USA und Deutschland gar nicht besser sein. Ein ähnlich wankelmütiges Bild lieferte Trump bei seinem Besuch in Großbritannien: Premierministerin Theresa May habe den Brexit verbockt, sagte er der „Sun“ im Interview. Als die diese Schlagzeile brachte, behauptete er, es handle sich um „fake news“. Daraufhin veröffentlichte die „Sun“ das Original-Interview und blamierte Trump, den das jedoch überhaupt nicht zu kümmern schien. Antäuschen, Finte, Bluff – Trump macht Politik, als würde er pokern. Natürlich immer nur, um das Beste für die USA herauszuholen.
Was US-Präsident Donald Trump derzeit anrichtet, bricht mit allem, was in den vergangenen 70 Jahren galt. Eine neue Ära bricht an, die Ära der unberechenbaren Männer, die sich, düster dreinblickend, nicht in ihre Karten schauen lassen, während sie ihre Staaten so führen, als wären sie Unternehmen. Wladimir Putin macht das in Russland schon lange so. Donald Trump hat damit in den USA nun auch begonnen. Er hat Konzepte, wie man einen Betrieb führt – nein, wie Donald Trump einen Betrieb führt, auf die Volkswirtschaft USA übertragen. Das mag mit einem Immobilienkonzern à la Trump funktioniert haben. In der internationalen Politik wird es nicht funktionieren, denn die anderen Staaten, etwa Deutschland, sind nicht nur Konkurrenten, sondern auch Partner.
Wir besichtigen das Ende einer Ära. Wenn nicht alles täuscht, ist die Nato am Ende. Ihr Daseinszweck ist schon seit dem Zusammenbruch der UdSSR entfallen; sie war ursprünglich als Verteidigungsbündnis gegründet worden. Nach dessen Ende hat sie neue Aufgaben gesucht und mit Mühe auch gefunden, etwa die „Verteidigung unserer Sicherheit am Hindukusch“, um den früheren Verteidigungsminister Peter Struck (SPD) zu zitieren. Manchmal konnte man den Eindruck haben, dass geradezu händeringend nach Gründen gesucht wurde, um das Bündnis zu erhalten. Dessen Geschichte ist zweifellos eine Erfolgsgeschichte, jedenfalls bis etwa ins Jahr 1990. Indem ihr der einstige Gegner wegbrach, die Sowjetunion, hatte die Nato ihren Zweck jedoch eigentlich erfüllt.
Dahinter verbirgt sich jedoch ein weiterer epochaler Umbruch: das Ende des „amerikanischen Jahrhunderts“, wie unter anderem der Politologe Chalmers Johnson in seinem Bestseller „Ein Imperium verfällt“ den maßgeblich von den USA geprägten historischen Abschnitt vom Ersten Weltkrieg bis zum Beginn des 21. Jahrhunderts bezeichnet hat. Dieser scharfe Kritiker der Politik von George W. Bush war nicht der erste, der die Militarisierung der US-Politik als Zeichen des Niedergangs wertete. Es liegt auf der Hand, dass die USA unter Trump derzeit ihr internationales Gewicht verspielen, indem sie alle Welt, auch langjährige Partner, gegen sich aufbringen. Einen US-Präsidenten, von dem man nicht weiß, was er am kommenden Morgen in der Früh twittern wird, den wird gewiss niemand mehr als verlässlichen Partner, Bündnispartner oder gar Freund ansehen.
Was kommt jetzt, wenn also das amerikanische Jahrhundert endet? Eine Neuauflage des Uraltstücks „Jeder gegen jeden“? Damit haben wir keine guten Erfahrungen gemacht. Wer so etwas möchte, also Rückbesinnung auf Nationalismen, der hat aus der Geschichte nichts gelernt. Diese Konzepte haben schon vorgestern nicht funktioniert. Der frühere französische Staatspräsident Francois Mitterand hat in seiner letzten Rede vor dem EU-Parlament, damals in Straßburg, davor gewarnt, dass Nationalismus in den Krieg führt. Er hat Recht. Dieses Konzept wird auch künftig nicht funktionieren, egal, wie „erfolgreich“ ein Alexander Gauland (AfD) die vergangenen 1000 Jahre deutscher Geschichte findet, die er jüngst in einer Rede glaubte, gegen die Nazi-Zeit abgrenzen zu müssen, indem er diese als „Vogelschiss“ bezeichnete.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Empfehlung des Bundesinnenministers zu befolgen und sich einen Notvorrat anzulegen.
Leserbriefe
Carsten Dietrich Brink aus Gauting:
„Mich hat besonders beeindruckt, was der polnische EU-Kommissar Tusk dem Lügen- und Deal-Baron aus den USA auf den Weg gegeben hat: Trump möge doch bedenken, wer Freund und wer Feind sei… und Freunde habe er nun einmal nicht allzu viele! Genau dies halte ich für die angemessene Haltung gegenüber Präsident Trump! Außerdem sollten wir uns in Deutschland auf unsere eigenen Stärken besinnen! Die US-Streitkräfte haben ihren taktischen Rückraum für den Nahen Osten in Deutschland… vielleicht sollte man Herrn Trump daran erinnern, dass das nicht so bleiben muss. Ich frage mich auch schon lange, was die Bundeswehr in Afghanistan und im Irak noch bewirken soll… das ließe sich ändern! Dann hätte die Bundeswehr auch wieder mehr Kapazitäten frei, „Europa gegen den Osten“ zu verteidigen.
Prasident Trump sollte auch durchaus Verständnis für die neue Gaspipeline haben, ist doch das Gas aus dem Osten der bessere Deal für Deutschland, besser als teures Frackinggas per Tanker aus den USA zu holen. Nebenbei ist der Geschäftspartner im Osten bislang zuverlässiger als der „Geschäftspartner“ Trump, der dazu neigt, Verträge zu brechen!“
Otfried Schrot aus Ronnenberg:
„Der NATO – Generalsekretär Stoltenberg ist durch eine bürokratische und eine intellektuelle Spitzenleistung aufgefallen: erstes hat er sich bereits vor dem Beginn des Gipfels von den Teilnehmern das schriftlich vorformulierte Wunschergebnis des Gipfels absegnen lassen und zweitens hat er dem amerikanischen Präsidenten Führungsstärke bescheinigt, die wohl größte auf der Konferenz ausgesprochene Lüge. Präsident Putin kann jeden Tag in der Zeitung lesen, wie zerstritten die NATO ist, und trotzdem gibt dieses Bündnis sich der Illusion hin, mit der Fähigkeit, künftig binnen 30 Tagen 30 zusätzliche Bataillone, 30 zusätzliche Kampfschiffe und 30 zusätzliche Flugzeuge an die Ostgrenze der NATO zu verlegen, Russland abzuschrecken. Der größte Unsicherheitsfaktor in der Kriegsbereitschaft der NATO ist kein Mangel an militärischem Gerät, sondern der Präsident der Vereinigten Staaten selbst. Die NATO – Partner werden nun bis zum Ende der Präsidentschaft Trumps täglich seinem ersten Morgen – Tweet entgegen zittern in der Hoffnung, dass dem Mann das Frühstücksei geschmeckt haben möge und er nicht mit einem Zweizeiler die ganze NATO – Welt ins Wanken bringt. Was für Zeiten, was für Zustände! Empfehlung an die NATO – Staaten: machen Sie es wie Deutschland! Bauen Sie Ihre Handelsbeziehungen zu Russland nach Kräften aus! Wirtschaftssanktionen sind da durchaus kontraproduktiv. Ein gut funktionierender Handel mit Russland wird Europa mit größerer Wahrscheinlichkeit vor einem Kriege bewahren als die politische und militärische Genialität Donald Trumps, der zudem nur das Interesse der heimischen Industrie im Sinne hat und nicht etwa die Interessen Europas!“
Fritz Brehm aus Frankfurt:
„Die Nato-Staaten wollen/sollen ihre Verteidigungsausgaben erhöhen, um das vereinbarte Ziel von 2% des BIP bis 2024 zu erreichen (4% wären US-Präsident Trump noch lieber). Ebenso ist bekannt, dass die Verteidigungsausgaben der Nato bereits jetzt 14-mal höher sind als die Russlands.
Schon 1961 hat Eisenhower, selbst ein Militär, bei seiner Abschiedsrede als US-Präsident vor dem „militärisch-industriellen Komplex“ gewarnt. Seine Warnung verhallte leider ungehört, die Lobby der Waffenindustrie hat sich durchgesetzt.“
Peter Fröhlich aus Bad Homburg:
„Auf die Unverschämtheiten des Herrn Trump hätte ich mir von unserer Kanzlerin folgende Erwiderung gewünscht: „Sehr geehrter Herr Trump, Deutschland ist ein souveränes Land und gestaltet selbst seine Partnerschaften – sowohl freundschaftliche, wirtschaftliche als auch manchmal unterkühlte oder eisige. Im Verhältnis zu Russland haben wir Deutsche reichlich Erfahrung und wissen dies entsprechend zu gestalten.Wir haben in Europa über 70 Jahre überwiegend kriegsfreie Zeiten erlebt. Das haben wir der europäischen Einigung, der Ostpolitik und dem guten atlantischen Verhältnis zu verdanken. Es beruht vor allem auf Rechtsstaatlichkeit und Vertragstreue sowie den Prinzipien von Solidarität und Menschlichkeit – auch wenn wir das nicht immer gleich gut geschafft haben. Leider werden diese Grundsätze von einigen demagogischen Führern – auch der westlichen Welt – unterminiert, und das alleine aus Egomanie, Dummheit, Überdruss oder Neid. Bedauerlicherweise ziehen diese Populisten auch große Teile der Bevölkerung auf ihre Seite, die die Gefährlichkeit dieser Entwicklung nicht sieht. Wir werden alles tun, um gute Partnerschaften zu allen Völkern zu erhalten und aufzubauen, damit wir nicht wieder in solche entsetzlichen Zeiten wie im ersten Teil des letzten Jahrhunderts schlittern. Mit herzlichen Grüßen an das amerikanische Volk – Angela Merkel.“
Diskussion: frblog.de/natogipfel