„Feuert die Bosse!“, fordert die Globalisierungs- und Neoliberalismuskritikerin Naomi Klein im FR-Gastbeitrag. Sie hat schon 2001 die Bildung von genossenschaftlichen Organisationen von Arbeitern in Argentinien verfolgt, die damals ganze Fabriken übernommen und die Manager rausschmissen. Jetzt stellt sie fest: „Im Moment weist die Weltwirtschaft bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Wirtschaft Argentiniens von 2001 auf (und aus den gleichen Gründen) und es gibt wieder eine Welle von Protestaktionen, diesmal von den Arbeitern in den reichen Ländern. Es bilden sich Genossenschaften, um den Entlassungen entgegenzuwirken. Die Arbeiter in den USA und Europa stellen nun die gleichen Fragen wie ihre lateinamerikanischen Kollegen: Wieso müssen wir entlassen werden? Wieso können wir nicht den Chef entlassen? Wieso darf die Bank unsere Firma in die Pleite treiben und dabei Milliarden von unserem Geld kassieren?“
Beispiele für die Bildung solcher Genossenschaften gibt es genug, nicht nur in Argentinien. Visteon in Belfast, Waterford Crystal in Irland sind zwei, die Naomi Klein aufzählt. In Frankreich ist das „Chefnapping“ recht populär: „Angestellte von Fabriken, die geschlossen werden sollten, kidnappten ihre Vorgesetzten; so geschehen bei Caterpillar, 3M, Sony und Hewlett Packard.“ Als empörendes Beispiel für Abwicklung von oben herab führt Klein die Firma Hartmarx aus Chicago an, die seit 122 Jahren Anzüge fertigt; Barack Obama trägt Hartmarx. Obwohl es zwei Angebote gibt, die Firma zu kaufen und weiterzuführen, will Wells Fargo, der größte Gläubiger, sie auflösen. Sollte es dabei bleiben, werden die 650 Angestellten die Fabrik besetzen.
Die Antwort auf die Frage, wohin das führt und ob dieses Konzept zukunftsfähig ist, bleibt Naomi Klein schuldig. Ihr Text ist dennoch eine beeindruckende Bestandsaufnahme: Arbeiter auf der ganzen Welt begehren auf. In Deutschland ist davon allerdings (bisher noch?) wenig zu merken, aber Deutschland ist von der Weltwirtschaftskrise bisher auch (noch) nicht so stark betroffen wie Nordamerika. Hatte Gesine Schwan also doch Recht? Bekommen wir soziale Unruhen? Brauchen wir sie vielleicht sogar?
Bernhard Wagner aus Berlin:
„Auch in Venezuela gibt es übrigens interessante Beispiele von Fabrikübernahmen durch die dort Arbeitenden, z. B. filmisch dokumentiert von Dario Azzelini. Das ist sicher ein gutes Mittel, wo entweder die Gesetze zu schlecht sind oder ausreichend gute Gesetze nicht genügend angewandt werden, z. B. Gesetze über Mitsprache der Arbeitenden bei der Unternehmenspolitik.
Langfristig werden aber viele Probleme dadurch nicht gelöst, zum Beispiel Lohndumping und andere, die durch allgemeine Konkurrenz entstehen, denen auch solche Fabriken durch den Druck des Wettbewerbs ausgesetzt sind.
Zwei Beispiele:
Die Arbeiter der erwähnten Schokoladenfabrik haben nichts daran geändert, dass die Zutaten ihrer Schokolade teilweise durch Kinderarbeit und moderne Sklaverei hergestellt wurden – wie das bei Kakao oft der Fall ist, wie zum Beispiel das aktuelle Greenpeace Magazin belegt.
Für die erwähnten Arbeiter der Kohle-Industrie in Polen wäre es noch viel besser, wenn sie überhaupt keine Kohle mehr verarbeiten müssten und stattdessen in Polen ein New Deal dafür sorgen würde, dass sie in Zukunft Geothermieanlagen, Solaranlagen, Windräder, Wellenkraft-Bojen herstellen oder Passivhäuser bauen bzw. Gebäude zu solchen umbauen und das Bahn- und Straßenbahnnetz in Polen ausbauen könnten.“
Alan Searle aus Köln:
„Naomi Klein hat Recht: Wenn der Boss es nicht regeln kann, sollte die Belegschaft doch eine Chance bekommen um zu zeigen, dass sie es vielleicht besser können. Aber ich kenne einen Boss, der gewaltig versagt hat, aber doch von allen Seiten Unterstützung bekommt, damit er weitermachen kann: Diese Person ist Manuel Barroso. Ja, die EU (besonders die Kommission) ist Verfechter des freien Marktes: Sie reguliert gerne die Krümmung von Gurken (damit der kleine Bauer keine Chance hat), aber von Regulierung der Banken und der Großkonzernen hören wir entweder gar nichts oder es gibt verspätete „Alibi-Regulierungen“.
Wenn ein Boss gehen sollte, dann sollte es Manuel Barroso sein. Europa braucht keine Mikado-Spiele und Lobby-Intrigen in Brüssel, sondern Europa braucht eine echte Regierung.
Oder vielleicht sollten wir das ganze EU-Theater einfach aufgeben und die „Belegschaft“ die Verantwortung übernehmen?“
Rolf Steiner aus Schorndorf:
„Who watches the watchdog? Ich freue mich, dass Sie diesen Beitrag von Naomi Klein bringen. Doch ich vermisse eine kontinuierliche journalistische Berichterstattung über viele Vorfälle, von denen Frau Klein nur eine kleine Auswahl traf.
Wenn die „freien“ Medien weiterhin spärlich, so ausgewählt über die anstehenden Probleme der Freisetzung von Menschen schreiben, vielmehr alles als gottgewollt hinnehmen, dürfen sie sich nicht wundern, dass sie ebenfalls als Sprachrohr der Befürworter einer ungezähmten Ellenbogenpolitik in unserer „sozialen“ Marktwirtschaft betrachtet werden. Nicht zu vergessen die unreflektierte, jahrzehntelange Hinnahme eines ungezügelten Finanzsystems, deren Folge wir alle zu bezahlen haben. Wo gibt es mutige Journalisten, die entgegen der Meinung ihres Verlegers oder Chefredakteurs objektiv berichten? Wir wundern uns nicht mehr über den Geschäftssinn der Ärzte, die ihren „Eid“ vergessen haben. Dürfen wir uns bald auch nicht mehr über die versickernde aufklärerische Haltung von Mitarbeitern der Medienbranchen wundern?“