Wörter sind keine radioaktiv kontaminierten Gegenstände

Boris Palmer hat es getan. Er hat das N-Wort benutzt. Das macht man nicht. Oder nur, wenn man polarisieren will. Ansonsten gilt für jedwede Debatte – und das betrifft natürlich auch Online-Debatten im Sinne von politischer Korrektheit -, das jedermensch mit demselben Respekt vor anderen in solche Debatten gehen sollte, die er/sie für sich selbst erwarten darf. Das ist eigentlich eine Selbstverständlichkeit im zwischenmenschlichen Umgang, denn wenn man gleich damit anfängt, sich gegenseitig mit Schimpfwörtern zu titulieren, kann man jedwede Debatte vergessen. Also: Niemand sagt „Neger“ zu jemand anderem! Ebenso wenig „Zigeuner“ oder „Schwule Sau“? Klaro, Boris?

Der Oberbürgermeister von Tübingen und (inzwischen nicht mehr) grünes „enfant terrible“ hat genau das getan: das N-Wort benutzt, auf einer Veranstaltung der Goethe-Uni Frankfurt, auf der es eigentlich um Integration gehen sollte. Er hat damit bewiesen, dass er nicht verstanden hat, worum es in dieser Debatte geht: Eben nicht ums Polarisieren, ums Zuspitzen, auch nicht deswegen, um die Dinge auf den Punkt zu bringen, sondern es geht ums Brückenbauen. Und es ist etwas anderes, ob in historischen Texten das Wort „Negerkönig“ auftaucht („Pippi Langstrumpf“) und ob Dir allenthalben das Wort „Nigger“ um die Ohren fliegt („Pulp Fiction“) oder ob Du jemanden so nennst, der Dir persönlich gegenübersteht. Es kommt auf den Kontext an.

Ich frage mich bei jemandem wie Palmer, wo der eigentlich Kommunikation gelernt hat. Offenbar hat er dieses Fach nie belegt. Dabei ist es so einfach – siehe meinen Satz oben über den Respekt. Menschen wie Palmer – es gibt weitere von dieser Art, etwa Theodor zu Guttenberg oder Peter Feldmann – hören anderen Menschen anscheinend nicht zu. Sie sind beratungsresistent, halten sich selbst für die Größten, über allen Wassern schwebend. Was soll man jemandem wie Palmer, der Menschen als Neger bezeichnet, dafür „Nazi“ genannt wird und sich daraufhin mit dem Judenstern gekennzeichnet fühlt – was soll man solchen Leuten sagen?

Boris, Du hast den Schuss nicht gehört!

Balken 4

Palmer hat offenbar Gefallen an rechtsradikaler Hetze

Der Austritt des Tübinger Oberbürgermeisters Boris Palmer aus den Bündnisgrünen war schon lange überfällig und dringend notwendig. Zu sehr provozierte Palmer wohl ganz bewusst mit rechten und rassistischen Sprüchen und bezeichnete jetzt noch die Kritik an ihm als mit dem Judenstern vergleichbar. Boris Palmer gehört zu jener Spezies von politisch Engagierten, die offensichtlich Gefallen daran finden, mit, man muss es sagen, rechtsradikaler Hetze von sich reden zu machen und dabei insbesondere Menschen zu provozieren, denen es aus aufrichtiger Überzeugung darum geht, gegen Rassismus, Antisemitismus und rechte Stereotypen vorzugehen. Das, was in der SPD der Fall Sarrazin war, ist bei den Grünen inzwischen und nicht erst seit gestern Boris Palmer. Es kann natürlich von den Grünen nicht akzeptiert werden, dass ausgerechnet die, als ausgewiesen antirassistische Partei, sich von Palmer am Nasenring durch die Manege führen lässt. Insofern hat Palmer mit seinem jetzigen Parteiaustritt einen wichtigen Schritt vollzogen, denn grün ist Boris Palmer schon lange nicht mehr. Ja, Palmer hat den Bogen längst überspannt und sollte sich eine politische Heimat suchen, möglicherweise im Umfeld der AfD, die ihn seine rechte Hetze verbreiten lässt. Er muss dann allerdings mit dem Widerstand von Demokratinnen und Demokraten rechnen und sollte sich dabei nicht mimosenhaft verhalten.

Manfred Kirsch, Neuwiedfr-debatte

Verordnete Meinungen und Moralvorstellungen

Man muss ja diesen Herrn Palmer und das, was er immer ‚mal wieder so von sich gibt, nicht mögen. Aber irgendwie kann ich seine Reaktion auf die gegenwärtigen Angriffe gegen ihn schon verstehen.
Natürlich waren die Verbrechen, die wir Deutsche an der europäischen jüdischen Bevölkerung begangen haben einmalig. Aber auch „arische“ Deutsche, die nicht den verordneten Meinungen oder Moralvorstellungen der Zeit entsprachen, hatten unter dem Terror der Nazizeit zu leiden!
Offensichtlich haben wir zudem vergessen oder verdrängt, dass es vor allem die Studentenschaft war, die die Universitäten von nicht-arischen und nicht völkisch denkenden Professoren „gesäubert“ hat. Wir sollten nicht zulassen, dass sich so etwas noch einmal wiederholt!

Wolfram Siegel, Frankfurt

fr-debatteWer ist hier ein Rassist?

Hallo Rundschau, Euer beharrliches Bestehen auf der Ächtung bestimmter Wörter wird langsam albern, zumal man ja auch nicht mal den Begriff in einer Debatte ausschreiben darf, um den es da geht.
Eine Debatte über Herr Palmer, der mit seinem Vergleich mit dem J-Stern außerhalb jeder demokratischen Diskossion steht, können wir uns sicher sparen. Hoffentlich nützt er seine Auszeit. Aber was hier mit N-Wörtern abgeht, ist absurd. Da man sie ja nicht aussprecchen darf – sind da etwa die Nichtraucher mit gemeint? Ich darf mal erinnern an allseits bekannte und oft geschätzte Autoren wie etwa John Grisham. Er schreibt viel über die Verhältnisse im Süden selnes Landes, in denen dunkelhäutige Menschen damit gerne verächtlich bezeichnet werden. Nehmen wir als Beispiel „A time to kill“, wo ein schwarzes Kind bis zum Tod vergewaltigt und letztlich wie Müll auf den Straßenrand geschmissen wird. Und da verwendet Grisham auch noch die verschärfte Wortvariante „Ni…“. Ist Grisham deshalb ein Rassist oder beschreibt er die Situation so, wie sie dort lange Zeit war und auch heute noch vom Ku Klux Klan praktiziert wird?
Und wie ist es mit Agatha Christie’s „zehn kleinen Negerlein“ – muß ich das Buch jetzt wegschmeißen weil die Autorim als Rassist verdächtigt wird? Was soll sowas?

Manfred Stibaner, Dreieich

fr-debatteDinge beim Namen nennen

„Volksschädling“, „Ratten und Schmeißfliegen“, „Neger“, die Sprache kennt zahlreiche menschenverachtende oder menschenverachtend zu gebrauchende Begriffe. Diese in einem Diskurs über menschenverachtende Sprache hinter einer Fassade wie dem „N-Wort“ zu verstecken, bringt diesen Diskurs aber in keiner Weise weiter, sondern reiht sich ein in die jahrhundertealten Versuche der „Sprachreinigung“ und verrät ein falsches Verständnis von Sprache. Wörter sind keine radioaktiv kontaminierten Gegenstände, die man nicht anfassen darf, weil man allein durch das Anfassen verstrahlt wird. Ob Wörter verletzen, diskriminieren oder aufklären, hängt von dem Kontext und der Intention ab, in dem sie gebraucht worden. Tabus aufzubauen ist allemal der falsche Weg. Und gehört es nicht gerade zum journalistischen Auftrag, Dinge beim Namen zu nennen, auch wenn sie hässlich sind?

Ulrich Eymann, Kreuznach

fr-debatte

Verwandte Themen

3 Kommentare zu “Wörter sind keine radioaktiv kontaminierten Gegenstände

  1. Ich habe drei Anmerkungen zur Debatte um Palmer:
    1. Meiner Kenntnis nach hat Palmer niemanden persönlich als „Neger“ tituliert. Vielmehr ging es in seinem Vortrag wohl darum zu zeigen, dass es Kontexte gibt, in denen der Gebrauch des Wortes zwingend und der Sache nach angemessen ist, ohne dabei rassistische Positionen zu vertreten. Leider lässt sich das nicht überprüfen, weil die Video-Mitschnitte von Palmers Vortrag nirgends zu finden sind.
    Warum eigentlich? Warum kann die FR nicht dokumentieren, was da wirklich gesagt wurde, so dass sich die Leserinnen und Leser selbst ein Bild von Palmers Aussagen machen können? Warum dokumentiert die Universität die anderen Vorträge aber nicht den von Palmer? Wir erfahren viel über die Empörung und über die Diskussion ÜBER Palmer aber eben nichts über den Auslöser. Das gibt mir zu denken! Was ist das anderes als Zensur?

    2. Ich habe oben das N-Wort ausgeschrieben. Macht das eigentlich einen Unterschied? Was wäre anders, wenn ich „Meiner Kenntnis nach hat Palmer niemanden persönlich mit dem N-Wort tituliert“ geschrieben hätte? Der Satz wird doch nur dann verständlich, wenn der Leser oder Hörer in seinem Kopf („als Neger“) ergänzen ergänzt. Die Botschaft bleibt also vollkommen gleich. Ich kann N-Wort doch gar nicht lesen ohne dessen Bedeutung mitzudenken. Was soll also diese künstliche nur scheinbare Vermeidung?

    3. Palmer ist unbestreitbar der mehrfach wiedergewählte OB von Tübingen. Das zeigt, dass er in der Lage ist Verantwortung zu übernehmen und zu tragen. In dem Video sieht man, wie er sich zunächst bemüht zu diskutieren, also inhaltlich zu bleiben, während seine Gegenüber ihn verhetzend mit einem anderen N-Wort beschimpfen.
    Mir ist unverständlich, dass diese Seite des Konflikts nicht ebenfalls beleuchtet wird, dass wir nämlich in einer Zeit leben, in der Leute, die außer Haltung nicht viel vorzuweisen haben, sich unhinterfragt herausnehmen dürfen, einen einen engagierten und politisch erfolgreichen Menschen an den Pranger stellen und verbal zu vernichten, indem sie ihn auf das Wort ‚Nazi‘ reduzieren? Warum wird hier nicht in gleichem Maße Kritik geübt wie an Palmers Reaktion angesichts dieser massiven Angriffe?
    Warum akzeptiert die Öffentlichkeit die Methode der Beschimpfung und Ausgrenzung? Warum fehlen auch seitens der Universität und der FR hier jegliche kritische Stimmen? Haben wir völlig verlernt Diskurse zu führen, also zu argumentieren? Auch da, wo es vielleicht weh tut?

  2. nach dem Eklat am Rand der Frankfurter Migrationskonferenz schlägt man Boris Palmer (mutmaßlich zu Recht), meint aber in erster Linie das „Forschungszentrum Globaler Islam“ der Goethe-Universität. Vor allem dessen Leiterin, Professorin Susanne Schröter, gerät regelmäßig in die Kritik. Denn Frau Schröter bilanziert die Verbrechen des politischen Islams und leitet daraus vorläufige Thesen ab.

    Es ist leider Realität, dass sich der fundamentalistische Islam mit seinem Absolutheitsanspruch weltweit gemein macht mit autoritären antidemokratischen Systemen bzw. dass diese aus ihm hervorgehen, was zu Gewaltexzessen geführt hat und noch führt. Ähnliches galt für die Katholische Kirche in der Zeit des Heiligen Römischen Reichs Deutscher Nation. Wladimir Putin wäre ohne die Volksverblödung durch die Russisch-Orthodoxe Kirche unbedeutend. Und die Evangelikalen der USA zählen zu den maßgeblichen Unterstützern Donald Trumps.

    Karl Marx‘ Forderung, dass jede Kritik an der Gesellschaft mit der Kritik an der Religion einsetzen müsse, ist nach wie vor aktuell. Dass pseudolinke Gruppen wie die „kritischen Juristinnen und Juristen“ und Teile der „Occupy“-Bewegung diese Erkenntnis nicht verinnerlicht haben, belegt die katastrophalen Zustände einzelner Bereiche der Geistes- und Sozialwissenschaften. Das „Forschungszentrum-Globaler Islam“ ist dringend nötig, um der intellektuellen Verelendung Einhalt zu gebieten.

  3. Im Zeichen des Z-Worts
    FR vom 16. Mai 2023
    „Das Z-Wort alleine stelle nicht unbedingt eine Beleidigung dar, … Es komme auf den Kontext an. Wichtig sei, dass der Beleidigte sich beleidigt fühle und der Beleidiger beleidigen wolle.“ So wird der Staatsanwalt in dem Artikel zitiert.
    Der erste Teil des Zitats derzeit von immer mehr Gruppen reklamiert, die zum Teil alte Texte mit den heutigen Maßstäben beurteilen: Astrid Lindgren oder Karl May schilderten doch einfach die damalige gesellschaftliche Wirklichkeit, die nun ihrerseits den Kolonialismus des 19. Jahrhundert spiegelte.
    Das heißt, der zweite Teil des o.g. Zitats trifft in diesen literarischen Fällen ebenso wenig zu wie bei der vor 100 Jahren erfolgten Namensgebung von Süßigkeiten („N-Kuss“ und „Z-Schnitzel“)
    Schwieriger wird es bei moderneren Bezeichnungen: Arbeitskräfte aus Italien, Portugal oder der Türkei sollte man nicht mehr mit dem G-Wort benennen, so wenig wie man Wohnsitzlose noch mit dem P-Wort charakterisiert.
    Ja, es ist richtig, dass die „Rassenkunde des Deutschen Volkes“ von Hans Günther auf dem Müllhaufen der Geschichte gelandet ist. Aber es ist auch richtig, dass Menschen aus anderen Regionen der Erde nun mal anders aussehen.
    Im Zuge der menschlichen Wanderungen (neudeutsch: Migration) verbietet sich natürlich eine moralische oder charakterliche Beurteilung. So müssen wir uns fragen, ob es überhaupt zulässig ist, Menschen nach ihrem äußeren Erscheinungsbild zu benennen: Die Polizisten nach ihrer Uniform (B-Wort von den 1968ern), die Indigenen Zentralafrikas nach ihrer Hautfarbe (N-Wort vaus den deutschen Kolonien), die Kleinwüchsigen nach ihrer Körpergröße (L-Wort von Jonathan Swift).
    Ganz anders gehen homosexuelle Männer mit dem Problem um. Früher war „schwul“ ein Schimpfwort, das bewusst beleidigen sollte. Das haben heute viele Schwule als neutrale Selbst-Bezeichnung angenommen und brauchen deshalb auch kein S-Wort.

Kommentarfunktion geschlossen