„Frankfurt liest ein Buch“, jedes Jahr ein anderes. In diesem Jahr ist der Roman „Westend“ des Frankfurter Schriftstellers und Büchner-Preisträgers Martin Mosebach dran. Darin geht es um den Wandel, den das Frankfurter Westend im Lauf der Zeit nahm und den Mosebach betrauert. Vom kommenden Montag an, dem 6. Mai, wird gelesen – zwei Wochen lang. Und der Autor, der normalerweise zurückgezogen lebt, absolviert 20 Auftritte. Gut, dass gelesen wird. Gewiss wird dann auch diskutiert. Das scheint in diesem Fall nötig zu sein. FR-Leser Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt, Vorsitzender des Vereins Pro Lesen e.V., hat eine Menge Kritik am Autor und an der Auswahl durch die Jury. Mertens ist selbst recht umtriebig und organisiert durch den Verein Lesungen und literarische Veranstaltungen, die monatlich im Bibliothekszentrum Sachsenhausen stattfinden. Auch ich durfte dort schon lesen und meine Romane vorstellen; im September ist es wieder so weit. Mertens gibt außerdem die Netzzeitschrift „Brücke unter dem Main“ heraus, die sich Kultur, Literatur und gesellschaftlichem Diskurs widmet. Vor wenigen Tagen erst setzte er in einer Veranstaltung in Sachsenhausen den verstorbenen Frankfurter Schriftsteller Peter Kurzeck gegen Mosebach – zwei Autoren, die unterschiedlicher wohl kaum sein könnten. Hier kommt die Kritik als Gastbeitrag im FR-Blog. Im Print-Leserforum erschien eine um die Hälfte gekürzte Fassung (da 2500 Zeichen inkl. Leerzeichen dort das Äußerste sind, was einem einzelnen Leserbrief an Platz eingeräumt werden kann). Die FR veranstaltet übrigens am 16. Mai im Haus am Dom ein Bargespräch: FR-Redakteur Claus-Jürgen Göpfert – von ihm stammt der FR-Artikel „Der Wandel des Westens“ zur Leseserie – unterhält sich im Bargespräch mit Martin Mosebach. Jetzt aber: der Gastbeitrag.
Wollte die Jury verwegen sein oder war sie unwissend?
Von Klaus Philipp Mertens
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Martin Mosebachs Roman „Westend“ war bei seinem Erscheinen 1992 keinesfalls ein „literarischer Paukenschlag“, wie Claus-Jürgen Göpfert schreibt. Die Literaturkritik hat dieses Buch entweder gar nicht zur Kenntnis genommen oder sie hat es eindeutig verrissen. So wurden beispielsweise Mosebachs gesellschaftspolitische Positionen als erkennbar rückwärtsgewandt bewertet. Sein Erzählstil sei effekthascherisch, die Erzählung selbst inhaltsleer.
Bei der Verleihung des Georg-Büchner-Preises 2007 verglich Mosebach eine Rede Heinrich Himmlers von 1943 mit einer des Jakobiners Saint-Just aus Georg Büchners Drama „Dantons Tod“. Das brachte ihm den Vorwurf vieler Feuilletons ein, er relativiere den Nationalsozialismus. Der Historiker Heinrich August Winkler bezeichnete den Vergleich als Geschichtsklitterung und als Abwendung von den Zielen der Aufklärung und Demokratie.
Martin Mosebach bezeichnete sich selbst als einen Reaktionär. Hierbei berief er sich auf den antimodernistischen und antidemokratischen Philosophen Nicolás Gómez Dávila (1913 – 1994), der zu seinen Lebzeiten jenen ultra-konservativen katholischen Kreisen zuzurechnen war, die man heute (analog zu ihren islamistischen Konkurrenten) als Katholizisten titulieren könnte.
Bezeichnenderweise erhält Mosebach vor allem von einer Seite Beifall, für die sich manche anderen Autoren schämen und öffentlich von ihr distanzieren würden. Etwa von dem Journalisten Michael Klonovsky, der 2006 im FOCUS u.a. schrieb: „Apropos Zeitgeisterei: Dass ein elitärer Einzelgänger, katholisch zudem […], mit der seine Generation prägenden 68er-Bewegung wenig am Hut haben kann, liegt auf der Hand. Aber damals, als junger Jurastudent, im Epizentrum Frankfurt? Nein, wehrt Mosebach ab, „die Versuchung bestand für mich nicht einen einzigen Tag“. Mehr noch: „Wenn diese Leute recht haben, besitze ich auf dieser Welt keine Existenzberechtigung.“ Er habe damals keine Autoritäten demontieren, sondern „wirkliche Autoritäten“ finden wollen.“
Klonovsky war später, von Juni 2016 bis April 2017, publizistischer Berater von Frauke Petry (AfD). Und von Juni bis November 2017 Sprecher der von Jörg Meuthen geführten AfD-Fraktion im Stuttgarter Landtag. Seit Februar 2018 ist er Persönlicher Referent des Fraktionsvorsitzenden der AfD im Bundestag, Alexander Gauland.
Aus Anlass von Mosebachs 65. Geburtstag veröffentlichte die Zeitschrift „Sezession“ im August 2016 eine Würdigung. Dieses Periodikum ist dem neu-rechten Spektrum zuzurechnen und bietet u. a. Vertretern einer „konservativen Revolution“ (Martin Lichtmesz) sowie der rassistischen „Identitären Bewegung“ (Martin Sellner) ein Forum. Auch die Nähe zur AfD ist unübersehbar:
„In trotziger Abwendung von seiner Generation habe er gelebt, bekannte Martin Mosebach 2013 […].Die eigene Lebenswelt als ein Atlas zu stemmen und ihr etwas entgegenzusetzen, erforderte Kraft und Ressourcen. […] Gómez Dávila wird sich in den späten Achtzigern als philosophisch-weltanschaulicher Prägestock erweisen, der seinem geneigten Leser den Stempel aufdrückt: Mosebach wird einer seiner profiliertesten – darf man sagen: Jünger? Von nun an werden Romane mit Philosophemen gewürzt […]. Mosebach hatte [seinen bisherigen] Verlag Hoffmann und Campe nach dem wenig erfolgreichen „Westend“ verlassen; er sieht es jedoch immer noch als sein „Hauptwerk“ an. Man muss ihm darin nicht folgen.“
Seine Begeisterung für den Philosophen Nicolás Gómez Dávila teilt Martin Mosebach mit Vordenkern der Neuen Rechten, beispielsweise mit dem Historiker und Literaturwissenschaftler Till Kinzel. Der veröffentlichte 2003 ein Buch über den Kolumbianer unter dem Titel: „Parteigänger verlorener Sachen“. Die erste Auflage erschien in der vom rechten Publizisten Götz Kubitschek herausgegebenen „Edition Antaios“, aus dem später der Antaios Verlag (Schnellroda) hervorging. Die Wiege von „Antaios“ stand im rechtsgerichteten „Institut für Staatspolitik“, das wiederum einer Initiative der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“ entsprungen war.
Angesichts solcher Hintergründe stellt sich die Frage, ob die Jury von „Frankfurt liest ein Buch“ bewusst verwegen sein wollte, als sie sich für Mosebachs „Westend“ entschied. Oder ob es sich um einen Missgriff handelt, der aus Unkenntnis über die Zusammenhänge erfolgte.
Angesichts der von Klaus Philipp Mertens dargelegten Hintergründe und Zusammenhänge macht es fassungslos, dass eine Jury diesen Autor für „Frankfurt liest ein Buch“ vorgeschlagen hat. Martin Mosebach kann es sich nicht aussuchen, dass er von Neurechten und AfD-Anhängern bejubelt wird. Aber dass er sich bisher davon nicht distanziert hat, spricht Bände.Ich sehe deshalb keinen Grund auch nur an einzigen Lesung teilzunehmen.
Hier noch ein Nachtrag:
Im neuen Programm des Frankfurter Schauspiels für die Spielzeit 2019/20 werden im Rahmen der Reihe „Stimmen einer Stadt“ drei sogenannte Monodramen angekündigt (Premiere im April 2020). Eines von Martin Mosebach. Der Autor wird mit diesen Worten eingeführt: „Martin Mosebach, Büchner-Preisträger und einer der wichtigsten Gegenwartsautoren, schreibt über eine alternde Künstlerin.“
Da frage ich mich: Wie ist es um die literarischen Kenntnisse des Intendanten und der verantwortlichen Dramaturgen bestellt, wenn der seinerzeitige Wirbel um die Zuerkennung des Georg-Büchner-Preises 2007 an Mosebach (erhebliche Zweifel an dessen literarischen Qualitäten – man denke nur an Sigrid Löffler/Literarisches Quartett) sowie der Eklat bei der Verleihung (Verdacht gegen den Preisträger wegen bewusster Verharmlosung der NS-Zeit und wegen eines antidemokratisches Weltbilds) offenbar keine Spuren hinterlassen hat?
Ist es den Theaterleuten gleichgültig, dass Martin Mosebach vor allem Beifall von Neu-Rechten erhält, von deren Lobeshymnen dieser sich nicht distanziert?
Verlässt man sich möglicherweise sogar auf das Urteil der Jury von „Frankfurt liest ein Buch“? Dort scheinen ähnliche Defizite wie die oben genannten vorhanden zu sein. Und auch Theaterleute sollten wissen, dass von den Verlagen, deren Autoren ausgewählt werden, ein finanzielles Engagement erwartet wird. Die Nominierung von Peter Kurzeck scheiterte vor einigen Jahren daran, dass dessen Verleger Karl Dietrich Wolff (Stroemfeld Verlag / Roter Stern) nicht dazu bereit war, sich mit 30.000 Euro an den Kosten zu beteiligen. Der zur Holtzbrinck-Verlagsgruppe gehörende Rowohlt Verlag kann sind hingegen einen solchen Griff in die Handkasse erlauben.
Unkenntnis und Anpassung könnten die Krise des Frankfurter Schauspiels noch mehr verschärfen und auf die ausschlaggebende inhaltliche Ebene verlagern. Denn dem Theater soll durch Immobilienspekulanten quasi die Bühne unter den Füßen weggezogen werden. Auf den geharnischten Protest des Intendanten und der Kulturdezernentin wartet die kulturbewusste Öffentlichkeit bislang vergeblich.
Am Freitag erschien in der FR ein kurzer Bericht,in dem u.a. mitgeteilt wurde, dass Claus-Jürgen Göpfert eine Lesung von Martin Mosebach in der Buchhandlung „Ypsilon“ moderiert hat. Dessen politische Positionen hat er offenbar nicht hinterfragt. Von einer Distanzierung Mosebachs gegenüber den Neu-Rechten und den AfD-Anhängern, die ihn bejubeln, war nichts zu lesen.
Wichtige Gremien der Literatur – die Jury für „Frankfurt liest ein Buch“, die Stadtteil-Bibliotheken, der Buchhandel und jetzt auch das Frankfurter Schauspiel beweisen entweder eine beschämende Unkenntnis oder sie gehen stillschweigend über die bekannten Fakten hinweg. Beides ist inakzeptabel und fordert meinen Protest heraus.
Dank an Klaus-Philipp Mertens für die Recherchen.
Was die Position von Mosebach zur extremen Rechten angeht, wird man wohl kaum viel spekulieren müssen. Die „Würdigung“ der neu-rechten Zeitschrift „Sezession“ 2016 sagt doch alles:
„In trotziger Abwendung von seiner Generation habe er gelebt, bekannte Martin Mosebach 2013.“
Ein klareres Bekenntnis zu dem, was Rechtsextremismus ausmacht, kann es gar nicht geben: Trotz, Selbstverständnis als bloße radikale Negation: mit der „Abwendung von seiner Generation“ wohl auch von allem, was zivilisatorische Errungenschaften ausmacht. Da bedarf es dann keines positiven Programms, keiner Orientierung auf Zukunft mehr. Destruktion als Selbstzweck – zu genüge bekannt von Bannon, Trump und Konsorten.
Einen solchen Typen für einen Preis auch nur in Erwägung zu ziehen, ist in der Tat ein Skandal. Es ist eine Ohrfeige für seriöse Schriftsteller, für Bekenntnisse zu Humanität und zu Demokratie, wie sie etwa die Gruppe 47 kennzeichnete. So in dem Ziel, „die praktisch angewandte Methode der Demokratie einem Kreis von Individualisten immer wieder zu demonstrieren“ (Hans-Werner Richter, Wikipedia: Gruppe 47).
Zu recherchieren wäre sicher noch, ob diese Jury wirklich so naiv ist oder schon von rechtsextremem „Zeitgeist“ durchsetzt.
Einen großen Unterschied bezüglich vorzunehmender Reaktionen – nämlich solche Veranstaltungen zu boykottieren bzw. zu Aufklärung der Hintergründe eines solchen „Anti-Zeitgeistes“ zu nutzen – macht das freilich nicht aus.
Ich bin gerade bei meinen Recherchen auf eine Verteidigungsrede von Sibylle Berg für Mosebach gestoßen:
„Mosebach träume von einer Welt, in der es ein klares Gut und Böse gebe, in der Zucht und Ordnung herrschen würden. Ob man den Autor und „Gotteskrieger“ möge oder nicht – in einer Demokratie sei Raum für alle.“ (Sibylle Berg: Gotteskrieger im Tweedjacket, Spiegel online, 23. Juni 2012)
Zugleich ist dies ein Affront gegen Sigrid Löffler, die zu Mosebach als Büchner-Preisträger sagte: „Er stürze beim Schreiben ständig ins Lächerliche ab und habe den Georg-Büchner-Preis 2007 nicht für sein Werk, sondern wegen seiner reaktionären Gesinnung bekommen.“ (Deutschlandradio Kultur: „Das hat etwas Perverses“, 5. Oktober 2007)
Was Sigrid Löffler zu Recht als „pervers“ bezeichnet, ist der Versuch, in der Literatur radikal die Form vom Inhalt zu trennen, letzteren bei der Bewertung völlig auszublenden. Das hat nicht einmal die Bewegung des „L’art pour l’art“ gefordert.
Um darin eine Pervertierung von Literatur zu erkennen, muss man nicht unbedingt der Meinung sein, ein Schriftsteller“ sei nicht nach seiner „Qualität“, „sondern ausschließlich nach seiner Gesinnung zu beurteilen“. So der Vorwurf von AfD-Berater Michael Klonovsky an Sigurd Löffler (Michael Klonovsky: Pfui aufs Einstecktuch!, Focus vom 15. Oktober 2007).
Das zielt natürlich im Kern auf die Zerstörung des demokratischen Diskurses.
Und die Äußerungen von Sibylle Berg und Michael Klonovsky werfen Fragen nach deren Demokratieverständnis auf.
Denn bei soviel „Toleranz“ nach extrem rechts braucht man sich nicht zu wundern, wenn Menschen zunehmenden Einfluss bekommen, die etwa ein „Werk“ wie „Mein Kampf“ nicht nur für „bedeutend“ halten, sondern auch dem Autor posthum für seine „richtungweisenden Erkenntnisse“ einen Preis zuzuerkennen bereit wären.
Hallo Herr Engelmann, Ihr Hinweis, „Sibylle Berg: in einer Demokratie sei Raum für alle “ und ein klares Gut und Böse, Zucht und Ordnung, und was der Dinge mehr sind, es sind die Krücken rechten Denkens, an denen sie sich durchs Leben schleppen. Auch hier wieder die Spuren archaischen Denkens, die Horde, die durch den Wald zieht, alles Fremde ablehnt, da wird nicht gedacht ,da bleibt man auf der tierischen Ebene hängen.Wer vergibt da solche Preise ?(Büchner Preis) Und wer will solche Bücher lesen ?