Wie geht es Ihnen heute? Mir geht es … na ja, nicht schlecht. Ein Leser, welcher der Unsitte der konsequenten Kleinschreibung anhängt, weshalb seine Schriften auch nie ins Leserforum gelangen, schrieb mir kürzlich: Warum mitmachen bei dem allgemeinen Klima-Unsinn – eigentlich geht es uns doch gut, oder?
Um mit Joschka Fischer zu entgegnen: I’m not convinced. Ich bin nicht überzeugt.
Eigentlich will ich auf den Mond. Dort ginge es mir besser. Da war ich nämlich schon mal, und das war sehr beeindruckend, denn dort war es ruhig. Da wurden einem keine sonderbaren Fragen gestellt wie: Eigentlich geht es uns doch gut, oder? Ich wende auf diese Frage jetzt das gute alte Prinzip Verhackstückung an, um das Sonderbare daran herauszuarbeiten. Dieses Prinzip geht folgendermaßen:
Eigentlich. Geht es. Uns. Doch. Gut. Oder?
Andere nennen es Dekonstruktion, ich nenne es Verhackstückung. Ist besser, so als Begriff. Sagt klarer, worum es geht. Jeder dieser Satzteile hat seine Bedeutung, und ich glaube, dass das, was mir so sonderbar daran vorkommt, nun besser hervortritt.
„Eigentlich“ ist eigentlich ein Nullwort. Es relativiert etwas anderes, und zwar gleich zu Beginn des Satzes, und behauptet eine Alternative. Dieses andere ist … na ja, eben anders. Eigentlich nicht so wichtig. Wird zu wichtig genommen. Man könnte sich entspannen, weil einem diese Wichtigkeit eigentlich nur eingeredet wird. Warum lässt man nicht stattdessen die Seele baumeln? Hängt ein bisschen ab? Aber wovon soll man abhängen? Und soll man das, oder soll man es nur versuchen oder nur wollen oder vielleicht sogar nur in Erwägung ziehen? Das mit dem Abhängen ist nämlich gar nicht so einfach. Wir hängen von so vielen Dingen ab, da darf man eigentlich gar nicht drüber nachdenken. Also lässt man’s besser. Denken ist sowieso nicht gut fürs Gehirn.
„Geht es“ – das ist nicht als Frage gemeint, sondern da wird eine Bewegung behauptet. Aber was geht da? Ist eigentlich nicht so wichtig, siehe oben, von wegen drüber nachdenken und so weiter. Es geht eben. Irgendwie geht das Leben weiter. Es fährt nicht, es läuft nicht, es watschelt, taumelt, schlendert oder schwankt nicht dahin, sondern es geht. Das hat was beeindruckend Zielstrebiges an sich. Es weiß, wohin es will. Oder tut wenigstens so. Aber es sagt uns nicht, wohin es geht. Vielleicht zu „uns“? Kommt im Satz gleich danach. „Uns“, also dieses „Wir“ hat schon oft für Streit gesorgt. Beim „Wir“ fühlt sich keineswegs jede/-r sofort mitgemeint. Wir sagen zwar manchmal ein bisschen leichtfertig „Wir Deutsche“ zu uns, zum Beispiel kurz vor der nächsten Klatsche beim Länderspiel, aber beim Boateng als Nachbar hört der Spaß schon auf. Zumindest für einen Gauland. Der würde „uns“ zwar gern mitmeinen, wenn er sagt, dass „wir“ „uns“ „unser Volk“ zurückholen, aber wer hat noch gleich behauptet, dass es ein solches Volk eigentlich gar nicht gibt? Ach so, das war ich. Hat keiner mitbekommen. Gauland auch nicht. Na ja, der hat schon seit seinem Meineid nichts mehr mitbekommen.
„Doch“. Huch, wer war das? Gauland? Oh je, jetzt wird’s trotzig! Widerspruch ist eigentlich etwas Tolles, außer für den, dem widersprochen wird. Aber er belebt die Debatte. Mit Widerspruch haben Gauland und Co.allerdings echte Probleme. Jetzt will sich die AfD deswegen sogar spalten. Geht’s noch? Zwei von eurer Sorte – wie viele Morddrohungen soll das denn noch geben? Wir wissen’s zwar nicht sicher, aber es hat doch den Anschein, dass es aus dem Umfeld der AfD Morddrohungen gegen Menschen gab, die kritische Leserbriefe über die AfD schreiben. Doch, doch! Sage niemand, Leserbriefe zu schreiben wäre überflüssig. Der Verdacht ist nicht von der Hand zu weisen: Man möchte in und um die AfD nicht als „brauner Sumpf“ bezeichnet werden. Aber genau das ist man. Doch!
„Gut“. Es dürfte schon klar geworden sein: Nichts ist gut. Gut ist relativ. Die alleinerziehende Hartz-IV-Bezieherin findet es schon gut, wenn die Kleinen endlich schlafen, so dass sie sich eine DVD ansehen und dabei in Ruhe einschlafen kann. Und was einer wie Gauland gut findet, das würden viele andere, darunter ich, alles andere als gut finden. Aber man muss nicht immer nur von Gauland reden. Ist er ohnehin nicht würdig für. Gut wäre, wenn … Ich komme ins Schwitzen. Die Liste ist endlos lang. Wo soll ich anfangen? Ich glaube, das überlasse ich lieber den FR-Leserinnen und -Lesern. Zum Beispiel hat Ulrich Horstmann aus Gudensberg neulich eine Liste reingereicht mit Sachen, die gut wären. Die unterstütze ich. Und Sie?
„Oder?“ Jetzt kommen wir zum Knackpunkt. Dieses „Oder?“ ist nicht gemeint wie bei den Schweizern, die es jedem zweiten Satz anhängen wie manche deutsche Landsmannschaft ein „Gell?“ oder die Sauerländerin ihr „Wull?“ Sondern es will eine ernstgemeinte Frage sein. Oder tut jedenfall so. Aber ehrlich gesagt: Mir reicht’s, und zwar ziemlich uneigentlich. Die ganze Verhackstückung hat gezeigt: Es geht uns eigentlich nicht gut. Aber wir sind hier ja immer offen für Lösungen. Ich hätte eine solche Lösung:
Lasst uns zum Mond fliegen!
Ja, endlich wieder! Und falls jemand glaubt, dass die Mondlandung 1969 ein Fake war, der darf sich hier abmelden, denn ich war dabei, ich habe es selbst gesehen! Ich war gerade fünf Jahre und einen guten Monat alt, als mein Vater mich nachts brutal aus dem Schlaf riss und vor den Fernseher setzte. Eine traumatische Erfahrung! Sonderbar nur, dass er – mein Vater, nicht der Fernseher! – sich später darüber gewundert hat, dass ich ein starkes Faible für Science Fiction und fantastische Stoffe entwickelte.
Aber zurück zum Mond. Auf jeden Fall! Mit einer Frau an der Spitze! 2024 will die NASA dort endlich wieder hin. Das löst zwar hier auf der Erde kein einziges Problem, aber eigentlich geht es uns doch gut, oder? Und weil alle Erfahrungen darauf hinweisen, dass sich daran auch nichts ändert, sind „wir“ vermutlich „gut“ beraten, allmählich daran zu denken, wie wir die Erde hinter uns lassen, nachdem wir den Planeten ausgebeutet haben. Auf zu neuen Ufern! Hat jemand von Euch „Interstellar“ gesehen? Die unzähligen Milliarden Euro, Dollar, Pfund, Yen und Rubel, die der Mond kosten wird, wären hier auf der Erde zwar dringend benötigt, zum Beispiel um endlich schnell und nachhaltig aus der fossilen Energiewirtschaft auszusteigen, aber wie „wir“ „unsere“ Politiker kennen, werden die lieber weiterhin hunderte von Milliarden (insbesondere US-Dollar) in Waffen investieren statt in echte Zukunftsprojekte. Waffen aber brauchen wir nicht. Keiner von uns. Hier stimmt dieses „Wir“ und dieses „Uns“ ausnahmsweise. Also sollte dieses Geld besser in die Mondgeschichte gesteckt werden. Auch damit Frank Schätzing nicht auf die Idee kommt, seinem Roman „Am Limit“ etwas noch Schlechteres hinterherzuschicken.
Was allerdings kaum möglich ist.