Informierte Bürger sind den Politikern ein Dorn im Auge

„Fachwissen ist die Voraussetzung von Kompetenz und nicht umgekehrt.“ Das ist einer von vielen überschriftentauglichen Sätzen von Hans Peter Klein, Professor für Didaktik der Biowissenschaften an der Frankfurter Goethe-Universität, in einem FR-Interview, das leider nicht online steht. Die FR-Redaktion hat sich leider gegen diesen und für einen anderen einprägsamen Satz des Professors entschieden, um ihn zur Überschrift zu küren: „Bürger mit gefühltem Wissen sind manipulierbar.“

Da hat er natürlich vollkommen recht, das erleben wir hier im FR-Blog so ziemlich jeden Tag wie das ist mit dem gefühlten Wissen. Glaubst Du nicht? Dann schreib einfach mal den Satz hier rein: „Hartz IV ist klasse und hat dafür gesorgt, dass Deutschland heute international top ist!“ Ziemlich schnell wirst Du Kommentare bekommen, die Dir nahelegen, in die SPD einzutreten. Oder wahlweise auch in die CDU. Du solltest dann aber nicht glauben, dass das nett gemeint ist! Eher solltest Du Dich fragen: Sind die manipuliert? Oder bin ich es? Oder sind wir gar am Ende alle manipuliert?

Ich werde paranoid. Bleiben wir beim konkreten Interview und vergessen wir meine unqualifizierten Sätze, die da oben stehen. Da das Interview online nicht verfügbar ist, habe ich es eingescannt. Ich hoffe nur, dass das eine Ausnahme bleibt. Aber es ist leider wahr: Die FR-Redaktion ist nicht nur umgezogen, sondern hat auch ein neues Redaktionssystem bekommen, und der Mantel der Ausgabe vom 31. Mai war der vorletzte, der noch von Berlin aus produziert worden ist. Irgendwo in all diesen Wirren muss die Online-Veröffentlichung des Interviews untergegangen sein, was wirklich schade ist. Aber es gibt ja meinen guten alten Brother Laserdruckscanner von 1877, der folgendes für Sie kreierte:

Falls es gewünscht wird, scanne ich solche Beiträge natürlich künftig gern hier ein. Ich finde, es bringt ein bisschen was vom Haut gout einer Zeitung hier herein. Einfach draufklicken, und schon ist der Text in lesbarer Größe in Ewigkeit verfügbar. Findest Du das gut?

Kommen wir zu den Leserbriefen. Die sind wenig freundlich. Professor Klein hatte sich vor Jahren auch schon als Kritiker der sogenannten „soft skills“ hervorgetan. Das ist natürlich ungeschickt in einem Deutschland, das unter Bildung nicht mehr das versteht, was unter Adenauer darunter verstanden wurde.

Harald Freiling aus Frankfurt meint:

„Beim Lesen des Interviews mit Professor Hans Peter Klein in der FR vom 31.5. kann einem angst und bange werden, vor allem um die Lehrerausbildung an der Frankfurter Goethe-Universität. Da bemühen sich engagierte Pädagoginnen und Pädagogen seit Jahren, den Studierenden für das Lehramt den Unterricht in heterogenen Gruppen und die Vorteile näherzubringen, wenn Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Fähigkeiten und Begabungen von- und miteinander lernen, um sich dann von einem Didaktikprofessor sagen zu lassen, dass „Lernfortschritte“ nur in homogenen Gruppen erzielt werden. Sein Beispiele, dass ja auch „ein dritter Kreisligaspieler von Frank Ribéry“ nichts lernen kann „und umgekehrt“ und „ein Tiefschneefahrer“ nichts „von einem Ski-Anfänger“, entsprechen dem Debattenniveau der Begabungsideologen in der hessischen CDU. Und so wettert Klein, der auch Geschäftsführer der Gesellschaft für Bildung und Wissen ist, unisono mit der hessischen CDU gegen die Gemeinschaftsschule, das Sitzenbleibverbot, den „Einheitslehrer“ und natürlich auch gegen eine Angleichung der Besoldung für die Lehrer der verschiedenen Lehrämter. Überlegungen der Landesregierung in Baden-Württemberg zur Vereinheitlichung der Lehrerausbildung und einem höheren Anteil fachdidaktischer Inhalte führen für Klein zur „Nivellierung“, zu einer „Abwärtsspirale“ und zum „Verlust der Fachautorität“. Warum Studentinnen und Studenten, die an Kleins Fachbereich in Frankfurt für das Lehramt an Hauptschulen, Realschulen und Gesamtschulen ausgebildet werden, weder die von Klein gepriesenen wissenschaftlichen Grundlagen des Unterrichtsfachs noch die daraus abgeleitete „Fachautorität“ benötigen und ihre Bemühungen später ruhig auch geringer besoldet werden können, erklärt Klein nicht. Aber die beschäftigen sich ja nur mit den Kindern, die nicht aufs Gymnasium gehören.“

Roland Lissowski aus Gelnhausen:

„Herr Klein hat Recht: Seit geschätzten 20 Jahren wird das Bildungsniveau in Deutschland nivelliert. In beschönigender und volksverdummender Weise werden sämtliche Maßnahmen, die in diese Richtung führen, als „Bildungsreformen“ verkauft. Und die sog. „Bildungspolitiker“ lassen sich dafür feiern – und vor allem: wählen – dass sie den Eltern die freie Schulwahl für ihre Kinder geschenkt haben.
Das Interview mit Herrn Klein ist ein klares, überzeugendes Argument für das angeblich rückständige dreigliedrige Schulsystem mit Lehrkräften, die für jede Schulformn speziell ausgebildet sind, um den dort unterrichteten Kindern besonders gerecht zu werden. All das gibt man aus politischen Gründen auf. Und welche Gründe sind das? In der Überschrift des Artikels gibt Herr Klein die Antwort. Gebildete, aufgeklärte und informierte Bürger sind den Politikern ein Dorn im Auge. Für das Wahlvolk reicht das Niveau der Bildzeitung.“

Rainer Kopp aus Dortmund:

„Herr Klein rühmt den fachwissenschaftlichen Anteil seines Studiums in den 70er Jahren. Die Antwort auf die Frage nach dem Anteil der Pädagogik an seinem Lehrerstudium würde dagegen peinlich ausfallen. Mit Fragen der Pädagogik oder gar der Lernpsychologie scheint Herr Klein sich auch in der Folgezeit nicht belastet zu haben. Sonst würde er nicht den Niveau-Mythos des Gymnasiums gebetsmühlenartig wiederholen. Schüler mit unterschiedlichen Leistungsfähigkeiten einfach in einer Klasse zusammenzusetzen und zu hoffen, dass sie lernen als Irrglauben zu entlarven, finde ich mutig, zumal niemand daran glaubt. Was man als Lehrer tun kann, um Schüler mit unterschiedliche Leistungsniveaus (was genau ist das eigentlich?) und v.a. auch mit unterschiedlichen Interessen das individuelle, aber auch das Miteinander- und Voneinanderlernen zu ermöglichen – dafür gibt es Beispiele und wissenschaftliche Belege die Menge. Entweder kennt Herr Klein sie nicht oder er will sie nicht kennen. In beiden Fällen verlässt er sich auf „gefühltes Wissen“. Denn dafür war in seinem Lehramtsstudium kein Platz. Das Schlimmste, was einem Lehrer passieren kann, Herr Klein, und da fragen Sie bitte bei Ihren Kollegen im Gymnasium nach, ist wenn er feststellt, dass sich kaum ein Schüler seiner Klasse für seine fachwissenschaftliche Expertise interessiert.“

Friedrich Gehring aus Backnang:

„Hans Peter Klein setzt als Didaktikexperte offenbar immer noch auf die „Fachautorität“ gymnasialer Lehrkräfte und übersieht dabei Entscheidendes. Didaktische Fachautoritäten haben herausgefunden, dass am deutschen Gymnasium erfolgreich ist, wer das Fachwissen möglichst schnell wieder vergessen kann, um neuem Wegwerfwissen Platz zu machen. Die befürchtete Manipulation wird durch die Ausbildung von schulischen Fachautoritäten eher gefördert, vermieden werden kann sie nur, wenn behauptetes Wissen auf seine Erkenntnis leitenden Interessen hin untersucht werden darf. Auch wenn es den Biowissenschaftler schmerzt, man muss tatsächlich über Stammzellen nicht alles wissen, um sich ein Urteil darüber zu bilden, aber man muss dazu die Interessen der Befürworter und Gegner genau unter die Lupe nehmen, um sie mit den eigenen abgleichen zu können.
Als Pfarrer war ich über vier Jahrzehnte von den Sonderschulen bis zu den Gymnasien in vielen Schularten unterwegs und genau der Einheitslehrer, gegen den Klein sich wehrt. Gerade im Fach Religion wird besonders deutlich, was der sogenannte „Volltheologe“ der gymnasialen Fachautorität, dem sogenannten „Schmalspurtheologen“, der Religion neben Sport oder Deutsch studiert hat, an Fachwissen voraus ist. Deshalb lege ich Wert auf die Feststellung, dass etwa 99 % meines „Volltheologenfachwissens“ für meinen gymnasialen Unterricht irrelevant war. Für meine Schülerinnen und Schüler wurde ich Autorität, weil ich auf ihre Fragen und die entsprechenden Entwicklungsschritte einging, die für sie aktuell waren. Aus meinen Unterrichtsprotokollen kann ich detailliert die erreichte Persönlichkeitsentwicklung nachweisen, die eben weit mehr als das gymnasiale Wegwerfwissen nachhaltige Bildung darstellt im Sinne von vermittelten Kompetenzen. Das Gymnasium wird nicht durch den Einheitslehrer zur „Mogelpackung“, es ist schon lange eine Mogelpackung. Es wird Zeit, diese Mogelmentalität zu überwinden.“

Prof. em. Wolfgang Franke aus Gießen:

„Nach 40 Jahren Hochschul-Lehre, davon 26 Jahre als Professor für Geologie, glaube ich feststellen zu können, was vielen Studienanfängern der Naturwissenschaften fehlt: allgemeine Qualifikation (deutsche Orthographie, Grammatik und Interpunktion, leserliche Handschrift, Fähigkeit zur geordneten, knappen Wiedergabe von Sacherverhalten, grundlegende Englisch-Kenntnisse); vergleichende Analyse von Texten; Grundlagen der Naturwissenschaften.
Zum letzten Punkt möchte ich präzisieren, dass in den Köpfen vieler Studienanfänger zwar halbverdaute Bruchstücke sehr detaillierter Zusammenhänge herumschwirren, dafür aber das Verständnis wichtiger Grundlagen wie zB des Periodensystems der Elemente oder von Oxydations-/Reduktionsprozessen völlig fehlt. Es geht also nicht darum, den naturwissenschaftlichen Unterricht zu reduzieren, sondern ihn auf dauerhaft belastungsfähige Grundlagen aufzubauen.
Nach der Beobachtung meiner eigenen drei Kinder (die alle „studiert“ sind), zahllosen Gesprächen mit Studenten und meiner Kenntnis von Kollegen aus dem Bereich der Didaktik der Naturwissenschaften führe ich diese Mängel darauf zurück, dass die Lehrerausbildung – ganz im Gegensatz zur Auffassung von Herrn Klein – viel zu stark mit fachlichen Details befrachtet ist. Wer – wie offenbar Herr Klein – ein Lehramtsstudium absolviert hat, das zu 90 % dem fachwissenschaftlichen Diplomstudiengang entspricht, hat notwendigerweise Lücken auf dem Feld der Didaktik. Vor Einführung der universitären Fachdidaktik hatten wir Studienräte im Hochschuldienst, deren fachliche und didaktische Kompetenz mich oft beeindruckt hat.
Teilweise mag das Problem auch darin bestehen, dass einige Hochschullehrer der Didaktik akademischen Träumen nachhängen, die sie in der betreffenden Fachwissenschaft nicht haben verwirklichen können. Wie auch immer: was Schüler und Studierende brauchen, ist kein enzyklopädischer Bauchladen von Detailwissen, sondern die Fähigkeit, lebenslang zu weiter zu lernen (indem sie die verstandenen Grundlagen selbstständig zur Lösung neuer Probleme einsetzen).
Die Furcht vor der Nivellierung der Ausbildung durch Abschaffung der Gymnasial-Lehre ist gänzlich unbegründet. Wissenschaftlich begabte, interessierte und fleißige junge Menschen werden auch an einer integrierten Gesamtschule gefördert, und für die genannten allgemeinen Mängel ist die Ganztagsschule die beste Abhilfe. Das Gymnasium ist keineswegs Garant höherer Bildung, sondern zementiert nur die ungleichen Bildungschancen. Es gehört in bildungspolitische Jurassic Parks. Für meine Enkel wünsche ich mir – jenseits allen Schulstreits – vor Allem eines: didaktisch talentierte und engagierte Lehrer-Persönlichkeiten.“

Verwandte Themen

34 Kommentare zu “Informierte Bürger sind den Politikern ein Dorn im Auge

  1. „Bürger sind mit gefühltem Wissen manipulierbar!“

    Das trifft zu, leider viel zu sehr und immer noch.

    Ob nun unqualifierte die unsägliche Tradition der eigenen Unfähigkeit fortschreiben: „Le Pantalon Rouge, C’est La France!“ oder hochentwickelte Elektronik auf dem „Vertragsweg“ verschenken, weil der Herr sich nicht „um jedes Gewehr der BW kümmern kann“, dann ist eine weitere Dekadenzstufe erreicht.

    Aber hat eine Gesellschaft die gerne derm Weg des geringsten intellektuellen Widerstands geht, somit „Glauben“ und Esoterik den Vorzug gibt, etwas Besseres verdient?

    Brauchen wir überhaupt Bildung, wenn mir aus dem naturwiss. akad. Mittelbau Sprüche erinnerlich sind wie:“Einheiten lassen sich nicht potenzieren!“ und das war noch nicht mal homöpathisch, oder wie der Unfug heißt, gemeint….

    Es rächt sich schnell wenn die Didatik schon in den weiterführenden Schulen mies ist. Dafür gibt es als Belohnung leicht lenkbare Bürger, die z. B.
    nicht erkennen (können!)

    – das die unsägliche „Kliamdebatte“ zu 97% aus unbrauchbaren Beiträgen besteht
    – das ein Bundsminister des Innern frech die Bevölkerung anlügt, wenn er von „extrem gefährlichen Kofferbomben“ spricht
    – wenn es möglich ist in Korbach in der Wasserschutzzone IIIa eine Müllverbrennung zu erreichten
    – usw

    Da kann ich dem Kollegen Franke durchaus zustimmen, eine solide Wissensbasis und die Kenntnis wie systematisch gelent werden kann sind die zweckmäßigste Antwort auf das enstandene Chaos.

    Denn Mensch und Demokratie leiden unter der Diktatur des gefühlten Wissens!

  2. Der Artikel spricht mir aus dem Herzen. Ich kann jede seiner Bemerkungen nur unterstützen. Aus Zeitgründen erstmal nicht mehr dazu.

    Das Hereinnehmen von Artikeln als Basis für die Diskussion in die „Anmoderation“ finde ich sehr gut. Ein Scan wäre m.E. dazu aber nicht nötig, denn auch die Artikel, die es nicht online als html gibt, sind doch im pdf der ePaperausgabe, oder nicht? Sie dort mit Adobe Acrobat oder anderer Soft (vielleicht sogar mit dem Redaktionssystem) herauszuschneiden (Seite isolieren, und dann Crop auf den Artikel) und als eingebettetes pdf hier anzubieten, sollte eigentlich schneller gehen als das Scannen, und sieht dann noch ein wenig professioneller (und leichter lesbar) aus… aber, wie gesagt, ich fänds toll, und wenns nicht anders geht, auch mit bloßen Scans.

  3. Dass Herr Kleins Studium inhaltlich zu mehr als 90% dem des Diplomstudienganges betraf, bedeutet nicht, dass Lehrer allgemein 90% eines Diplomstudienganges hinter sich gebracht haben, das waren zwischen 60% und 80%, es gab allerdings viele Freiheiten damals, man konnte auch mehr machen, wenn man wollte. Herr Kleins Feststellung heißt einfach, dass der Pädagogik-Anteil klein war und, der Zeit entsprechend, inhaltlich wahrscheinlich vernachlässigbar. Es war trotzdem so, dass ein volles HL-Studium mit zwei Fächern ca 1,5 Diplomstudien entsprach. Und es ist im Gegensatz zu seinen Ausführungen auch wahr, dass wesentliche Teile dessen, was er als Lehrerstudent damals vom Diplom-Aufbaustudium mitgemacht hat, an der Schule nie direkt gebraucht wurden und werden.

    Aus Sicht des Lehrerstudenten hatten diese Teile des Aufbaustudiums aber den Vorteil, dass er, wenn das mit dem Lehrer aus irgendeinem Grunde nichts wurde, zwischen zwei Fächern wählen konnte, in denen er sich relativ zwanglos mit geringem Zusatzaufwand unter die Diplomer mischen konnte. Aus Sicht der Schüler haben diese Lehrer, wenn sie wirklich welche sind, den unbedingten Vorteil, in die Forschung hineingerochen zu haben – und damit können sie, wenn sie das nicht als lästige Pflicht erlebt haben, etwas sehr Wesentliches für die Schule: Bis zum Abitur hin und darüber hinaus Begeisterung vermitteln, Schüler fördern, deren Interessen über den Unterricht hinausgehen.

    Wie man hört, halte ich auch nicht viel von der Verminderung des Lehrerstudiums, auch wenn ich die Folgen nicht ganz so drastisch und anders sehe als Herr Klein. Von dem Rest halte ich als Naturwissenschaftler, ehemaliger (Nachhilfe-)Lehrer, Mann einer HL-Lehrerin (Physik und Mathe), später Vater und in der Schule aktivem Elternteil zweier Schüler das meiste für dummes Zeug. Ohne weiter auf den Streit einzugehen, was Pisa alles zeigt, eines zeigt Pisa mit Sicherheit nicht: Eine irgendwie geartete Überlegenheit unseres klassischen gegliederten Schulsystems. Die „Vorteile“ dieses Systems sind politische: Es zementiert familiäre Schichtenzugehörigkeiten, indem es die Nachhilfe an die Eltern delegiert, und führt damit auch mit geringeren Mitteln noch zu noch vorzeigbaren Ergebnissen – aber eben nicht zu Spitzenergebnissen. Diese werden dann mit Drill auf privaten Eliteeinrichtungen erzeugt. Aber dieses Spitzenergebnis ist tendenziell eher mit Elitebewusstsein und entsprechenden Ansprüchen verbunden als mit Begeisterung.

    Ansonsten kann ich Herrn Frankes Ausführung bis auf die andere Interpretation von Kleins Angaben zu seinem eigenen Studium voll und ganz zustimmen, auch die von ihm beobachteten Defizite der Studienanfänger sind nicht neu, die haben ich vor 35 Jahren auch schon so gesehen, und die Abiturienten damals kamen fast alle von Gymnasien. Deshalb fehlt mir auch noch eine Ergänzung: Wir brauchen mehr Naturwissenschaftler in den Bildungsministerien, und es ist einfach nur peinlich, dass eine Abgabe dieser Kompetenz an den Bund aus ideologischen Gründen verhindert wurde, obwohl sie von der Fachwelt praktisch einstimmig gefordert wurde. Die paar Querschläger wie Klein fielen und fallen weder zahlenmäßig noch fachlich ins Gewicht.

  4. Ich stimme uneingeschränkt dem Kommentar von Roland Lissowski zu: „Gebildete, aufgeklärte und informierte Bürger sind den Politikern ein Dorn im Auge. Für das Wahlvolk reicht das Niveau der Bildzeitung.” Dem wäre noch hinzuzufügen, dass der globale Markt nach geklonten Arbeitsbienen schreit, die nicht hinterfragen sollen, was mit ihnen geschieht. Und durch die sozialromatische brille betrachtet soll ohnehin niemand dürfen, was nicht alle können.
    Prof. Klein trifft mit seinem Artikel ins Schwarze. Er ist einer der wenigen mutigen Professoren, die sich immer wieder aus dem Fenster lehnen und laut aussprechen, was sehr viele andere auch denken. Danke dafür!

  5. „…dass wesentliche Teile dessen, was er als Lehrerstudent damals vom Diplom-Aufbaustudium mitgemacht hat, an der Schule nie direkt gebraucht wurden und werden.“

    Das Argument, bestimmtes Fachwissen wäre bei Lehrern genau dann überflüssig, wenn es nicht so zum Einsatz kommt, daß es dem Schüler direkt weitervermittelt wird, ist mehr als fadenscheinig. Auf die Spitze getrieben bedeutet das ja, daß Lehrer über ihr Fach/ihre Fächer eigentlich nicht mehr wissen müssten, als genau das, was dann der Schüler am Ende des Unterrichts auch weiß (wenn er gut aufgepasst und nichts vergisst)… alles andere, also alles über den Lehrplan hinausgehende Wissen wäre dann nicht nur beim Schüler, sondern auch beim Lehrer überflüssiges Wissen, weil es ja eh nicht an den Schüler weitergegeben wird.

    Das ist natürlich großer Unsinn. Der Lehrer hat bezüglich seines Fachgebietes ein gewisses „Weltbild“, und dieses Weltbild ist umso vollständiger, je mehr der Lehrer dazu weiß. Das Ganze ist dabei oft mehr als die Summe seiner Teile, d.h. die Verbreiterung des Wissens zieht auch eine Vertiefung des Verstehens nach sich. Je tiefer das Verständnis des Sachgebiets ist und je breiter das Wissen dazu beim Lehrer, desto besser wird der Unterricht für die Schüler sein (bei ansonsten vergleichbaren pädagogischen Fertigkeiten). Es ist mir völlig unverständlich, wie man das anders sehen kann.

    Welche Vorteile es hat, mehr zu wissen, als eigentlich laut administrativen Anforderungsprofilen nötig wäre, sieht man umso klarer, je jünger die Kinder sind. Eine Kindergärtnerin muß ja rein gar nichts von z.B. Astronomie oder anderen natur- oder geisteswissenschaftlichen Sachgebieten wissen. Dennoch wäre es ein großer Gewinn für die Kinder, wenn sie es trotzdem täte. Sicher ist es kein Schaden, wenn sie auf die Frage, warum die Sonne untergeht, einem 5-Jährigen erklärt, daß die Sonne müde ist… aber es würde auch nicht schaden, wenn sie ihnen mit der gebotenen (ans jeweilige Alter angepassten) Vereinfachung und Anschaulichkeit auch schon die eigentlichen Abläufe erzählen könnte… was allerdings zur Voraussetzung hätte, daß sie sie selber kennte.

    Ähnlich gelagert, aber noch ein stückweit katastrophaler ist die Auffassung, es wäre auch völlig überflüssig, dem Schüler all jenes beizubringen, das er am Ende der Schulzeit dann sowieso wieder vergessen haben wird. Die Reformwut, die sich aufs Abschaffen von Fachwissen kapriziert, sieht man geradezu hervorquellen aus den Köpfen von Politikern oder Ministerialbeamten, in denen sich ansonsten folgende Gedankengänge vorfinden: „Was weißt du denn noch von Mathe, Chemie und Physik… rein gar nix… war daher nicht das Meiste überflüssig? Und solch eine Qual beim Pauken, für nichts und wieder nichts! Aber kompetent bist du doch! Na bitte, Kompetenzbildung ist also doch viel wichtiger als der Satz des Pyta… Pyta… ja genau der. Arbeiten wir also auf entsprechende Lehrpläne hin…“

    Solcherlei Auffassungen sind wieder ganz en vogue, werden z.B. von unserem Westentaschenphilosophen Richard David Precht in seinem aktuellen Buch zum Thema geäußert („Unsere Kinder, die heute eingeschult werden, gehen im Jahr 2070 in Rente. Doch wir überfrachten sie mit Wissensstoff, den sie für ihr Leben kaum brauchen werden.“) Ich denke, auf ihn bezieht sich wohl auch der kleine Seitenhieb von Klein gegen die „selbsternannten Bildungsexperten“.

    In der weiterführenden Bildung, z.B. an den Universitäten, gibt es jedenfalls auf jedem Gebiet einen Wissenskanon, von dem man voraussetzen muß, daß er präsent und abrufbar ist, und wenn das nicht der Fall ist, weil die hinführenden Schulen meinen, man müsse das überhaupt nicht vermitteln, weil die Schüler das alles sowieso baldigst vergessen werden, dann gibt es ebenso ein Problem, wie wenn es vermittelt wurde, aber tatsächlich vergessen wurde. Ein Dumb-Down der Universitäten könnte dieses Problem lösen. Wollen wir das? Wer möglichst viele akademische Abschlüsse auf dem Papier haben will, wird das vielleicht wollen.

    Ansonsten das menschliche Gehirn auf das reduzieren zu wollen, was unter der Verfügungsgewalt des Bewußtseins steht, ist auch eine erstaunliche Sache… wenn man ansonsten nicht müde wird, moderne Neurowissenschaften für seine merkwürdigen Ideen heranzuziehen, wie Precht das tut. Ein Gehirn jedenfalls, das etwas gelernt hat, ist ein anderes als das Gehirn, das nichts gelernt hat… selbst wenn das Gelernte, das zu einem bestimmten früheren Zeitpunkt das Aufmerksamkeitsfilter durchfloß und damit bewußt war, zu einem späteren Zeitpunkt nicht mehr bewußt ist. Die gelernten Dinge bilden gigantische Netzwerke im Gehirn, in denen Rückkoppelungen in extrem hoher und im Einzelfall gar nicht planbarer, verfolgbarer oder sonstwie analysierbarer Ausprägungen entstehen, und zwar auch zurück vom Unbewußten ins Bewußte hinein, aber möglicherweise an anderer Stelle. Kein Mensch weiß, welche Folge das hatte, daß jemand mal lernte, wie eine Mondfinsternis entsteht, aber zu behaupten, es gäbe gar keine weiteren relevanten Folgen dieses Lernvorgangs, sobald dieses Gelernte erst einmal vergessen ist, ist falsch. Das Lernen von Fakt A ist nicht bloß eine Art „Hinzuspeichern“ von A, sondern ein In-Beziehung-setzen von A mit vorhandenem Wissen, wobei letzteres selbst dann beeinflusst bleibt, wenn Fakt A selber nicht mehr bewußt abrufbar ist, d.h. vergessen wurde… und vergessen ist dann eben kein restloses Verschwinden mehr. Eine breite, faktenreiche Bildung ist notwendig und darf nicht durch die bloße Vergesslichkeit von Schülern in Frage gestellt werden. Diskussionen, wie man diese Vergesslichkeit reduziert, sind allerdings nicht nur erlaubt, sondern geboten.

    Noch etwas zum Wort „zementieren“, das gerne in solchen Bildungsdiskussionen auftaucht. Es ist klardenkenden politisch unbelasteten Menschenkennern nicht nur intuitiv klar, sondern auch inzwischen letzter Stand der Forschung dazu, daß sich bei bestmöglichster Förderung eines weniger Begabten sowie bestmöglichster Förderung eines höher Begabten (die naturgemäß anders aussehen muß) am Ende der Fähigkeiten- und Fertigkeitenabstand zwischen den beiden ERHÖHT haben wird. „Bestmöglichste Förderung für jeden“ wäre also ein System, welches die Ungleichheiten akzentuiert. Das will aber keiner, daß sich die Abstände erhöhen, das ergäbe ja von allen Seiten ein große Pfui heutzutage. Deshalb sieht man von der bestmöglichsten Förderung der unterschiedlich ihrer Bedürftigen ab, indem man sie mehr und mehr in Situationen bringt, in denen sie weitgehende identische Betreuung erhalten. Das wird dann die Abstände eher verringern statt vergrößern, und genau das ist auch das politisch beabsichtigte Resultat. Perfekt!

    Sorry, daß es mal wieder etwas länglich wurde. Man kann aber zu diesem Thema gar nicht so viel schreiben, wie eigentlich notwendig wäre…

  6. @Max Wedell #5
    Ihr Kommentar zum Zement geht auf ein Missverständnis zurück:
    Hier wird zweimal zementiert:
    „Das Gymnasium ist keineswegs Garant höherer Bildung, sondern zementiert nur die ungleichen Bildungschancen.“ (Wolfgang Franke)
    „Die „Vorteile“ dieses Systems sind politische: Es zementiert familiäre Schichtenzugehörigkeiten, indem es die Nachhilfe an die Eltern delegiert,…“ (Frank Wohlgemuth #3)

    Kann es sein, dass sie da etwas in den falschen Hals gekriegt haben? Es geht hier nicht um die Nivellierung der Leistung, ich wüsste auch nicht, wer das will. Worum es hier geht, sind die sozial definierte Bildungs-Chancen im gegliederten Schulsystem, darum, dass die Oberschichtkinder Abitur machen und die Unterschichtkinder da bleiben, „wo sie hingehören“.
    Chancengleichheit bedeutet nicht eine Angleichung also Senkung des Ausbildungsniveaus auf eine für alle erreichbare Höhe, sondern Chancengleichheit bedeutet eine Schule, die so ausgerichtet ist, dass der Bildungserfolg möglichst wenig durch den Bildungserfolg der Eltern beeinflusst wird, obwohl sich natürlich elterliche Sprache und elterlicher Umgang irgendwie immer bemerkbar machen werden – da ist auch nichts gegen einzuwenden.

    Was heißt das praktisch?
    Man kann einen individuellen Förderunterricht in die Schule integrieren: für allgemeine Sprachkompetenz, eine allgemeine Lese-Rechtschreib-Schwäche, für fachliche Leistungsschwächen usw.. Dann bekommt jeder die Förderung, die er braucht.
    Man kann das auch einfach bleiben lassen. Dann organisieren Eltern den Förderunterricht für ihre Kinder – oder auch nicht. Dann bekommt jeder die Förderung, die seine Eltern ihm ermöglichen. Den besten Zement dieser Art schafft man, indem man die öffentlichen Schulen und die Schulpflicht einfach ganz abschafft und die Bildung nur den Eltern überlässt.

    Im internationalen Vergleich PISA war und ist Deutschland immer eines der Länder mit dem größten Einfluss der sozialen Stellung der Eltern auf den Bildungserfolg der Kinder. Im europäischen Vergleich ist das reiche Deutschland eines der Länder mit dem geringsten Etat pro Schüler, Tendenz besonders unter konservativen Regierungen weiterhin fallend. (Ich habe es noch nie verstehen können, wie ein Land ohne Rohstoffe an Bildung sparen kann, aber das kann meine persönliche Unzulänglichkeit sein)

    Zur Nivellierung: Entweder wir können unser gegliedertes System nicht richtig, oder es gibt Unterschiede in den Schulsystemen die hier nicht laut ausgesprochen werden durften (nachdem ich mir die Daten der ersten beiden PISA-Studien selbst angesehen habe, bevorzuge ich die 2. Lesart): Die skandinavischen „Sieger“ hatten (allerdings mit erheblich mehr Manpower pro Schüler s.o.)
    den höchsten Durchschnitt
    die höchsten Spitzen
    und die geringste Ausfallquote.

    Die Differenz zwischen den besten und den schwächsten Schülern ist hier von keiner Seite als Zielgröße angesetzt und die Geschichte von der Gleichmacherei ein altes Ammenmärchen. Sehen Sie meinen Kommentar zu den Abiturienten von vor 35 Jahren (s.o.) oder lesen Sie als abschreckendes Beispiel die Doktorarbeit eines Helmut Kohl über (meine Übersetzung des Inhaltes) den Einfluss des pfälzer Krischers auf den Wiederaufbau der Bundesrepublik Deutschland, dann wissen Sie, dass PISA schon ganz lange ist.

    Meine Kinder gehen auf eine Gemeinschaftsschule mit gymnasialer Oberstufe und als regelmäßiger Beobachter von Zeugnis- und Fachkonferenzen, sowie als interessierter Beobachter der eigenen Kinder kann ich folgendes aus der Praxis berichten:
    Es herrscht eine gute Durchlässigkeit, die von den Leistungen der Kinder bestimmt wird (bei denen es natürlich auch teilweise ein elterliches „Tunen“*** gibt).
    Die Leistungen in der gymnasialen Stufe entsprechen mindestens denen meiner eigenen Schulzeit, obwohl die parallelen Klassen nicht nach Leistung sortiert sind – alle Klassen werden bis zum Ende der 9. in der ganzen Bandbreite von Hauptschule bis zum Gymnasium unterrichtet, bis zum Ende der 10. in der Bandbreite von Realschule bis zum Gymnasium.
    Es gehen nur wenige Kinder nach der 9. Klasse mit dem Hauptschulabschluss ab, viele Kinder entwickeln sich besser, als sie in der Grundschule prognostiziert wurden.
    Die Abitursleistungen unterscheiden sich nicht von denen des Gymnasiums im Nachbarort.

    *** Damit keiner Böses denkt: Der Nähkasten, aus dem ich da plaudere, entstammt keiner schulinternen Konferenz, sondern Elterngesprächen

    Leider auch etwas länger geworden.

  7. @Frank Wohlgemuth,

    man kann ungleiche Chancen dadurch beseitigen, daß man die Benachteiligten bevorteilt, aber man kann sie auch dadurch beseitigen, daß man die Bevorteilten benachteiligt. Letzteres erreicht man auf die von mir beschriebene Weise, und ich bin mir sicher, daß aus manchen politischen Lagern heraus das auch mit voller Absicht angestrebt wird… das verrückte Modell, alle unbeachtet ihrer Fähigkeiten in eine Klasse zu stecken (egal wie das dann auch partiell wieder aufgebrochen wird), dient genau diesem Zweck.

    Selbstverständlich sind die Kinder aus sozioökonomisch bessergestellten Familien (im Durchschnitt, nicht unbedingt in jedem Einzelfall) bevorteilt… das ganz große Fragezeichen setze ich aber hinter die Behauptung, daß diese Bevorteilung in der Schule stattfindet. Das ist aber die gängige Theorie, die im journalistischen Mainstream verbreitet wird, und die viele erstmal (m.E. gedankenlos) perpetuieren. Man nimmt einfach die Statistiken der Bildungserfolge her und behauptet, deren Korrelation mit der sozio-ökonomischen Situation der Eltern wäre auf die Schule zurückzuführen, die damit „ungerecht“ wäre.

    In Wahrheit gibt es eine große Bandbreite an Faktoren, die in sozio-ökonomisch benachteiligten Familien schon weit vor der Schule die Kinder gehirnlich benachteiligen oder gar schädigen können, bei ihnen bestimmte lernadverse Verhaltensanormalitäten etablieren können und die einen unterschiedlichen Wissens- und Fähigkeitenstand schon vor Schulbeginn bewirken können. Im Einzelfall muß das nicht unbedingt der Fall sein, statistisch ist das sehr wohl relevant. Die Bildungserfolgsstatistiken (die die Abschlüsse zählen) können aber nicht vernünftig bewertet werden im Hinblick auf eine Gerechtigkeit der Schule, wenn die schon extrem ungleichen Ausgangsbedingungen überhaupt nicht berücksichtigt werden. Kein Mensch wird die wohl abstreiten, aber in der Bildungssystemgerechtigkeitsfrage werden sie ja völlig ignoriert, und scheinbar stellt man sich vor, daß es VOR der Schule zwar individuelle, aber keine sozio-ökonomisch bedingten Unterschiede bei den Kindern gäbe, NACH der Schullaufbahn aber dann plötzlich die sozioökonomische Korrelation mit dem Elternhaus aus dem Nichts auftaucht, und damit wäre die Ungerechtigkeit des Bildungssystems ja dann „bewiesen“.

    Wer aber am Anfang seiner Schulkarriere erstmal schon hinten liegt, wird, wie ich schon beschrieb, auch (im Durchschnitt, nicht unbedingt in jedem Einzelfall) nicht am Ende vorne liegen, selbst bei bester Förderung, wenn die am Anfang schon vorne liegenden ebenfalls bestens gefördert werden, d.h. nicht benachteiligt werden. D.h. die sozio-ökonomische Korrelation der Bildungserfolge per se kann noch nicht einmal beweisen, daß die Benachteiligten nicht ausreichend gefördert wurden. Selbst bei bester Förderung kann sie wie beobachtet auftreten, wenn gleichzeitig ALLE anderen auch bestens gefördert werden, nicht nur die durch die sozio-ökoischen Umstände im Elternhaus Benachteiligten.

    Es mag eine zusätzliche Benachteiligung (bei der Einstufung) durch Lehrer geben, die den künftigen Bildungsweg eines Kindes aus sozio-ökonomisch benachteiligten Haushalten kritischer sehen als den anderer, weil sie die Unterstützung durch das Elternhaus kritischer sehen (etwa die Verfügbarkeit von Mitteln für Nachhilfe, oder überhaupt das Vorhandensein eines unterstützenden Interesses am Bildungserfolg des Kindes). Zu sagen, deswegen müssten wir jetzt unser Bildungssystem völlig umkrempeln, ist Unfug. Es wäre eine ganze Reihe von Maßnahmen denkbar, eine solche Benachteiligung zu verhindern… indem z.B. den Lehrern überhaupt erstmal eindringlich klargemacht wird, das solche Überlegungen bei der Einstufung nach Haupt/Realschul/Gymnasium keine Rolle spielen dürfen, und indem man Abläufe schafft, in denen diese schwerwiegenden Entscheidungen zu diesem besonderen Zeitpunkt der Schullaufbahn auf solche Irregularitäten hin auch überprüft werden.

    Wenn es darum geht, Benachteiligungen von Frauen in unserem Wirtschaftssystem zu bekämpfen, dann tun wir das ja auch dadurch, daß Benachteiligungen dort, wo sie auftreten, problematisiert und dann abgeschafft werden, und sagen nicht stattdessen: Wir brauchen ein völlig neues, ganz anderes Wirtschaftssystem.

  8. @Max Wedell #7
    Es ist ihnen klar, dass Sie mit ihrem Argumentation versuchen, die über PISA nachgewiesenen praktischen Ergebnisse der Skandinavier genauso wegzuargumentieren wie meinen Bericht aus dem Schulalltag einer Gemeinschaftsschule?

    Man kann jedes der Argumente, die sie bringen, in bestimmten Grenzbereichen ganz leicht belegen. Aber in wieweit ist das wirklich statistisch relevant? Das müssen wir uns angesichts der Tatsache, dass es Schulen gibt, die sowohl sozial durchlässig sind als auch Spitzenergebnisse bringen, aber gar nicht genauer ansehen. Wenn ich sehe, dass die Praxis etwas anderes zeigt als die Theorie, muss ich die Theorie nicht mehr theoretisch widerlegen, sie hat sich dann bereits als untauglich erwiesen.

    Und auch der Umbau des Systems ist in der Praxis ganz einfach. In Schleswig-Holstein passiert es gerade, ohne Zwang, ohne Aufregung, und die Akzeptanz der Gemeinschaftsschulen wächst mit dem Widerstand gegen G8, das an den Gemeinschaftsschulen nicht eingeführt wurde.

    Meine Schilderungen hier sind nur meine Schilderungen, die können Sie glauben oder nicht. Einen kleinen Hinweis, dass ich nicht lüge, könnte man auch in den Vergaben des deutschen Schulpreises der letzten Jahre sehen – den hat gerade wieder so eine „Eineitsschule“ gewonnen.

    Aber eigentlich müssten Sie, um ihre Argumentation zu retten, nachweisen, dass es die skandinavischen Erfolge in PISA nicht gibt.

  9. Auch ich war 40 Jahre Lehrerin am Gymnasium bzw. einer Gesamtschule: Didaktik und Fachwissen sind doch kein Widerspruch! Je mehr ich als Lehrer weiß, desto besser kann ich Fragen und Anregungen von Schülern aufnehmen und weiterführen, über ein allgemeines „Mach mal!“ hinaus. Großes Fachwissen heißt doch nicht, dass ich alles weitergebe, aber (wie es so schön über Vorträge heißt): Was ich unterrichte/ vortrage, hat die Größe einer Briefmarke, was ich weiß, hat die Größe einer DIN A-4-Seite. Nur dann kann ich sinnvoll Schwerpunkte setzen, Anregungen für individuelle Vertiefungen (Referate, Hausarbeiten …) geben, durchschaue ich Mogelpackungen in vorgegebenen Aufgaben oder Lösungen, bin ich nicht auf Vorschläge anderer angewiesen, die zu meiner Lerngruppe nicht passen.

  10. @ Frank Wohlgemuth,

    leider komme ich gerade aus Zeitgründen nicht dazu, ihrer Anregung zu folgen, und mich intensiver mit den PISA-Studien auseinanderzusetzen. Ein schnelles Googeln hat mir erst einmal auch Meinungen und Schlußfolgerungen zu PISA und Skandinavien präsentiert, die das von Ihnen behauptete relativieren, z.B. bei „Die ZEIT“: http://www.zeit.de/2007/50/Pisa-Ausland

    Nach 2007 aber gab es auch PISA 2009, d.h. ich müsste schon, um Ihnen qualifiziert antworten zu können, die Befunde der verschiedenen PISA-Studien selber einmal in Augenschein nehmen. Das braucht Zeit.

    @ Renate Neumann,

    ich stimme Ihnen sehr zu.

  11. Herrn Klein scheint die Angst umzutreiben, ein nicht in allen Details mit „Fachwissen“ ausgestatteter Gymnasiallehrer verliere die „Fachautorität“ bei Schülern, und das sei „so ungefähr das Schlimmste“. Typisch, dass dabei von pädagogischer Fachkompetenz nicht die Rede ist. Zudem wird es immer wieder Teilbereiche geben, z.B. auf dem Gebiet der Informatik, wo einzelne Schüler ihrem Lehrer was vormachen. Und muss ihm deshalb ein Zacken aus der Krone fallen, sofern er sich nicht als Alleswisser fühlt?
    Meine Erfahrung ist eine ganz andere: Das Schlimmste ist, wenn ein Gymnasiallehrer sich als verhinderter Fachwissenschaftler aufführt und dabei den Kontakt zu den Schülern verliert.
    Dazu eine Anekdote:
    Als Sprach- und Literaturlehrer war es schon immer meine Überzeugung, dass es Aufgabe des Literaturunterrichts ist, Schüler – in der begrenzten Zeit – zur Auseinandersetzung mit literarischen Zeugnissen zu führen, die kulturgeschichtlich wirklich bedeutsam sind. Mit einem Leistungskurs in Literatur betraut, sprach ich einen Kollegen an, ob wir nicht gemeinsam einen Kurs zu Goethes „Faust“ planen könnten. Seufzend gab er mir zur Antwort, er habe jetzt nicht die Zeit, sich mit „Struntz“ und anderen Faustkommentaren auseinanderzusetzen. Meine Antwort: „Auf den Struntz kann ich ja verzichten. Ich lese mit den Schülern den Text.“ Ergebnis: Mein Faust-Kurs fand statt, der meines Kollegen nicht. Beim Einreichen des Abiturthemas wurde ich zudem vom zuständigen Senatsvertreter für meinen „Mut“ beglückwünscht. Sonst wage man sich ja nur noch an Abiturthemen wie „Bierdeckelsprüche“ heran.

  12. Herr Engelmann,

    sehen Sie, das ist eben genau das, was wir, die wir einen Leistungsverfall anklagen, meinen… seit den 70ern ist es wohl möglich, ohne Faust durchs Gymnasium zu kommen. Vom Lehrplan her scheint es nicht vorgeschrieben zu sein, manche Lehrer wollen ohnehin nicht, wie Sie berichten, und mittlerweile ist die Frage, ob die sprachlichen Hürden der Schüler ohnehin nicht so hoch sind, daß ein Lesen relativ sinnlos wäre, da schon die einfachsten Dinge sprachlich nicht mehr verstanden werden (Das berichtete mir jedenfalls einmal ein anderer Lehrer).

    Ansonsten sollte man pädagogische Fachkompetenz nicht überbewerten. Worum es eigentlich geht, ist der Charakter der Lehrkraft. Ist das ein Menschenkenner und -freund, einfühlsam und fachlich gut ausgebildet, kann eine richtige, d.h. wirksame Pädagogik mit hoher Wahrscheinlichkeit fast schon von alleine zustandekommen. Ein charakterlich bedenklicher Mensch, der etwa nach Dienst nach Vorschrift strebt, weil er gar nicht gern Lehrer ist, oder der gar schon prinzipiell was gegen Kinder hat, diese lauten und dummen Blagen, kann durch pädagogische Aus- und Weiterbildung sicher nur ganz eingeschränkt zum guten Lehrer gemacht werden. Bloße Aus- und Weiterbildungen sind eben kaum jemals Charakterbildungen, oder beeinflussen Motivationslagen in größerem Umfang. Viel wichtiger als pädagogische Ausbildungen wäre m.E., am Anfang der Lehrerausbildung einmal hinzuschauen, was für ein Mensch das ist. Das ist aber praktisch undurchführbar, denn es gibt ja so gut wie keinen Beruf, der statt auf Können oder Wissen auf Charakter (mit)auswählt. Das wird man also leider wohl nie einführen können.

  13. @Max Wedell #10 #12

    Ich warte noch auf Ihre Demontage der skandinavischen Ergebnisse. Wobei es ziemlich Wurscht ist, ob die sich bei den letzten Vergleichen nur im Mittelfeld bewegten, oder ob sie Spitze waren. Das „Argument“, dass Gemeinschaftsschule oder gar Inklusion nicht funktionieren könne, ist bereits widerlegt, wenn in diesen Schulformen vergleichbare Ergebnisse zum gegliederten Schulsystem erzielt werden, es muss nicht Spitze sein. Und das ist das, was wir inzwischen auch bei uns sehen können, nämlich dass es funktioniert. Ihr Problem ist also weniger, dass die Skandinavier bei den ersten PISA-Untersuchungen Spitze waren, als vielmehr, dass es dieses Schulsystem inzwischen gibt und man sehen kann, dass es das behauptete Unvermögen dieses Schulsystems nicht gibt.

    Es ist auf jeden Fall richtig, dass die Leistung jeder Schule (auch eines Gymnasiums) wesentlich vom Engagement des Lehrerkollegiums getragen wird – das ist wahrscheinlich auch die Ursache dafür, dass die in den letzten Jahren wegen herausragender Leistungen prämierten Schulen Gemeinschaftsschulen waren – da treffen sich zur Zeit die Lehrer, die mehr als ihren Job machen wollen.

    Das hat aber weniger etwas mit Charakter als mit Begeisterung zu tun, ein charakterliches Sieben der Lehrerschaft ist wirklich ziemlich unmöglich, wie Sie auch selbst bemerken. Was man aber machen kann, ist zumindest die, die sich in der Schule mit ihren besonderen Anforderungen unwohl fühlen, auszufiltern, bevor sie zu viele Schüler infizieren. Das sollte nicht erst im Beruf geschehen, sondern es sollten mehr Praktika die Lehrerausbildung bestimmen, und das bevorzugt an sozialen Brennpunkten, damit die Leute eine Ahnung davon bekommen, was auf sie zukommen kann.

    Was die Pädagogik angeht, bin ich gespalten: Die alte Pädagogik zu meiner Studienzeit, die von meiner Frau mitgemacht werden musste, war ein seltsamer Haufen, von dem wir uns fragten, was so etwas in diesen Mengen an der Uni zu suchen hatte. Da waren Professoren, die Anthroposophie für eine Geisteswissenschaft hielten und entsprechend wissenschaftlich wurde da gearbeitet und gelehrt. Von der neueren Pädagogik weiß ich nicht viel mehr, als dass sie sich geändert haben soll, aber was ich mir anhören durfte, hörte sich so an, als würde man a) inzwischen mit den exakteren Humanwissenschaften zusammenarbeiten, und würde b) die Regeln, Möglichkeiten und Grenzen einer empirischen Erfolgskontrolle zu schätzen lernen. Das lässt mich hoffen.

    Wo ich aber nicht zu hoffen, sondern stattdessen einfach nur hinzusehen brauche, das ist die Gemeinschaftsschule hier im Ort, die nicht mehr „Ausschuss“ produziert als das Gymnasium im Nachbarort; das ist auch klar belegbar, seit es das Zentralabitur gibt. Das Argument, in heterogenen Klassen oder gar unter der Bedingung der Inklusion (= der Einbezug klassischer Sonderschüler in den normalen Unterricht) würden die besseren Schüler benachteiligt bzw. leistungsmäßig
    nach unten gezogen, ist also schon lange durch die Praxis widerlegt. Es immer noch zu bringen ist eine Form der Realitätsverweigerung.

    Und nachdem Sie so viel Wert auf das Fach Deutsch legen – ich halte es für überschätzt. Das Fach, in dem ich am meisten Deutsch gelernt habe, war Latein. Nicht, weil diese Sprache so toll wäre, sondern weil dieser Lehrer uns wörtliche Übersetzungen um die Ohren schlug, uns zwang, uns auf der sachlichen Ebene mit den Textinhalten auseinanderzusetzen, bevor wir anfingen, sie ins Deutsche zu übertragen. Und dabei verlangte und lehrte er im Deutschen ein Präzision, wie sie im Deutschunterricht nie von uns verlangt wurde. Dagegen sind Faust I und die Theorie und Struktur des modernen Dramas einschließlich der Einsicht, dass Faust II kein klassisches mehr ist usw. einfach nur Themen, die sich für den Nichtspezialisten höchstens für einen Smalltalk zwischen Bildungsbürgern in der Theaterpause eignen. Außer „De Bello Gallico“ kam von den Werken, die mein Deutsch am meisten geprägt haben, kaum eines in meiner Schullektüre vor. Im Fach Deutsch wurde meistens gelabert, eine rühmliche Ausnahme war ein halbes Jahr Linguistik.

    Ich würde mich dagegen freuen, wenn auch meinen Kindern das ermöglicht würde, was zwar auch in meiner Schulzeit theoretisch nicht möglich war, was wir uns aber über Fächerwahl und AGs, über den selbst aus dem Nachbarort „besorgten“ Chemilehrer dann letztlich selbst organisiert haben: neben Mathematik die Fächer Physik, Chemie und Biologie während der gesamten Oberstufe in Leistungskursstärke zu erhalten. Und dass so etwas normalerweise nicht geht, dafür sorgen dann Kultusbeamte, die Mathematik für eine Naturwissenschaft halten.

    Es gibt noch eine Nachricht aus der Realität hier auf dem „Dorf“, auf die ich hinweisen möchte: Die im Gymnasium haben die selben Schwierigkiten mit der Disziplin, wie wir mit unserer breiter gestreuten Schülerschaft in der Gemeinschaftsschule, wobei das alles hier auf dem Land nicht so tragisch ist. Das heißt aber, auch die Gymnasiallehrer wären mit einer anderen Ausbildung gut bedient, und das schon ganz lange, wenn ich mich an meine eigene Schulzeit erinnere. Wir holten uns damals unsere soziale Kompetenz im gemeinsamen Kampf gegen Lehrerschaft und Bürokratie (s.o.), so ähnlich wie das berühmte Kameradschaftserlebnis bei der Bundeswehr, das dann seinen Höhepunkt erlebte, wenn man gemeinsam einen unfähigen Vorgesetzten so klein gemacht hatte, dass er fragte, ob ein Befehl auch ausgeführt würde, bevor er ihn gab.

  14. Diejenigen, die nach einem langen Berufsleben bestreiten, dass das Studium ihnen relevante Kenntnisse vermittelt hat, sollten sich fragen, woher sie ihr Wissen denn haben! Und kann man nach 40 Jahren sagen: Das ist Studium/ Zeitungslektüre/ von Kollegen vor 30 Jahren übernommen/ aus einer Fernsehsendung/ aus Fachliteratur vor 10 Jahren? Ich habe mal fachfremd Biologie unterrichtet: Eine Katastrophe! Dabei ging es nur um Zugvögel, aber mit Vögeln kannte ich mich noch nie aus. Dafür habe ich in dieser Sequenz erfahren, wie die „Kraniche des Ibykus“ nach Griechenland kommen: Das ist ihre Route als Zugvögel. Aber diese Wissen war dann wieder meinen Schülern egal.
    Nein, keine andere Ausbildung! Aber Offenheit und Zuwendung für Kinder und Heranwachsende – nur, wie kann man das lernen????

  15. @ Max Wedell, #12
    Herr Wedell,
    danke für Ihren Einwurf, der mich ebenso verwirrt wie auch eine Präzisierung zu meiner Anekdote notwendig erscheinen lässt. Verwirrend zunächst in diesem Zusammenhang der Begriff „Charakter“, der sich der Erlernbarkeit und (legitimer) Kontrolle entzieht. Als „Berufsethos“ verstanden, kann ich durchaus folgen, insbesondere, wo es sich um ein Berufsfeld handelt, das andere Menschen in einer entscheidenden Phase prägt. Dies erfordert m.E. in erster Linie Selbstkontrolle, aber auch angemessene äußere Kontrolle, die aber eher im Umgang mit Eltern als in Form von Dienstanweisungen gegeben sein sollte.
    Ich folge auch, was Bedenken gegen evt. einheitliche Ausbildung von Lehrern aller Schulstufen betrifft. Ein Grundschullehrer (eine Grundschullehrerin) bedarf, etwa was die Vermittlung von Grundrechenarten angeht, keiner Legitimation. Die Bedeutung von Kulturtechniken ist längst erwiesen. Es geht fast ausschließlich um das „Wie“ (worum umso heftiger gestritten wird). Im Gymnasialunterricht (besonders in den traditionell den „Geisteswissenschaften“ zugeordneten Fächern) muss jeder methodischen Analyse eine gründliche didaktische Analyse des „Was“ vorausgehen, bezogen vor allem auf die Bedeutsamkeit für die jeweiligen Schüler(innen) – was auch jeglichen ministeriell verordneten „Kanon“ wie auch ein Zentralabitur als höchst problematisch erscheinen lässt.
    Nicht folgen kann ich, wenn diese Diskussion mit einer ideologisch gefärbten „Niveau“-Debatte vermischt wird, die, leicht erkennbar, mit scheinbar „fachlichen“ Argumenten den Zweck verfolgt, überkommene Strukturen und vor allem Privilegien zu zementieren. Die Pisa-Studien sprechen da in Bezug auf das dreigliedrige deutsche Schulsystem und mangelnde Durchlässigkeit eine deutliche Sprache.
    Um hier ein mögliches Missverständnis aufzuklären: In meiner Anekdote geht es in keiner Weise darum, fehlendes Engagement anzuprangern (ich täte dem gemeinten höchst skrupulösen Kollegen da bitter Unrecht). Vielmehr geht es darum, beispielhaft aufzuzeigen, wie gerade überpointierte fachwissenschaftliche Orientierung den für didaktische Entscheidungen notwendigen „Mut“ und eigene Bildungsabsichten blockieren kann.
    „Fachwissen ist die Voraussetzung von Kompetenz und nicht umgekehrt.” Dieser schon von Bronski zu Recht angeprangerte Satz von Hans Peter Klein zeigt ein für einen Professor erschreckendes Maß an Unfähigkeit zu dialektischem Denken. Er reduziert in einliniger Weise den auf Klafki zurückgehenden Kompetenzbegriff als „Fähigkeit und Fertigkeit, in den genannten Gebieten Probleme zu lösen, sowie die Bereitschaft, dies auch zu tun“ (Wikipedia), ignoriert die Forderung, „stärker auf den Schüler und seine Lernvoraussetzungen“ zu achten. Und dies wird mit Sicherheit nicht besser, wenn er anderen Auffassungen „gefühltes Wissen“ und Manipulierbarkeit unterstellt und es mit lächerlichen Ausflügen in die Fussballwelt zu untermauern sucht.
    M.E. ist solch unprofessorales Gerede nur zu erklären, wenn er sich entweder in den Dienst oben angesprochener Interessengruppen stellt oder einem Wissensbegriff frönt, der keinen Gedanken darauf verschwendet, was die rasante Entwicklung der Informationsgesellschaft, in der Wissen sich innerhalb kürzester Zeit vervielfacht, für die Pädagogik bedeutet. Er scheint der naiven Wissenschaftsgläubigkeit eines Wagner („Zwar weiß ich viel, doch möcht‘ ich alles wissen“) näher zu sein als dem unstillbaren Wissensdrang eines Faust, der Selbstzweifel immer mit einschließt, der eben dadurch schuldig wird und erst durch redliches Bemühen Erlösung findet („Wer immer strebend sich bemüht, den können wir erlösen“). Angesichts menschenverachtender Pervertierung von Wissenschaft vom Schlage eines Josef Mengele ein geradezu prophetisches Werk und – hier widerspreche ich Herrn Wohlgemuth (# 13) entschieden – mit jederzeit aktueller Bedeutung: An „Faust“ kommt eben keiner vorbei, der über die Probleme einer Wissensgesellschaft reflektiert.

  16. Zu Frank Wohlgemuth:
    Immerhin gibt es die Hamburger LAU-Untersuchung (warum so selten auf die zurückgegriffen wird, ist mir ein Rätsel), die nachweist, dass gleich gute Viertklässler, die entweder gute/sehr gute Realschüler oder mittlere/ schlechte Gymnasiasten waren, auf dem Gymnasium nach zwei Jahren einen dreimal so hohen Lernzuwachs hatten als auf dem Gymnasium. Und nach meinem wissen ist in vielen Schulsystem „Inklusion“ in die Tasche gelogen, weil die Schüler entweder unterschiedliche Fächer wählen oder in unterschiedlichen Niveaus unterrichtet werden.
    Und was die prämierten Schulen betrifft: Die allermeisten wählen ihre Schüler aus, die Eltern müssen sich für ihre Kinder bewerben, sich einem Gespräch stellen – da fallen schon manche Problemfälle raus. Immer genau hinschauen!
    Ich hatte zwei Jahre auf dem Gymnasium einen Rollstuhlfahrer in der Klasse. Er machte alles mit (Halbtagswanderungen fielen weg, was die übrigen Schüler nicht schlimm fanden), in Sport saß er dabei, führ mit auf Klassenfahrt, wurde von Mitschülern betreut, also „Inklusion at ist best“. Aber integriert war er nicht.

  17. Zu Werner Kellermann:
    „Faust“ ist in Hessen Pflichtlektüre. Für schwachsinnig halte ich es, den gesamten „Faust I“ zu lesen, der „Urfaust“ reicht völlig, ist kürzer und frischer. Übrigens: Die bekannte Faust-Ausgabe ist von Erich Trunz herausgegeben, wir hatte sie für unsere Schüler angeschafft: Wer studieren will, muss auch einen Kommentar lesen können! (Ich habe Hinweise gegeben, welche Kapitel eher unwichtig sind). Und für faule/ überlastete Lehrer gibt es genügend vorgekautes Unterrichtsmaterial (leider lesen das die Schüler auch … ) Wenn allerdings Lehrpläne vorschlagen, in Klasse 7 „Das Amulett“ von Conrad Ferdinand Meyer oder in Klasse 8 „Der Schimmelreiter“ von Theodor Storm zu lesen (Hessen)- da war ich mit meinen methodischen und didaktischen Fähigkeiten am Ende, diesen Schwachsinn habe ich nicht mitgemacht.

  18. @ Regina Neumann
    Vorweg, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen: Ich weiß, dass man nicht jedes Kind zum Abitur bringen kann, mir geht es nicht um eine Illusion, dass alle gleich wären. Mir geht es um die besten Entwicklungsmöglichkeiten für alle, und mir geht es um Durchlässigkeit.

    Natürlich ist mir LAU bekannt, aber Sie sollten nicht nur die Ergebnistabellen an der Oberfläche lesen, denn es ist selbstverständlich, dass ich bei Ferkeln futterabhängig einen unterschiedlichen Fleischmengenzuwachs feststellen kann – die Lehrpläne an den verschiedenen Schultypen sind unterschiedlich: Wenn der Lehrerberuf irgendetwas wert ist, sollte also am Ende auch etwas Unterschiedliches herauskommen.

    Wenn wir aber ins Eingemachte gehen, dann steht da z.B. in der Kurzfassung des wissenschaftlichen Berichts LAU 9 zur Entwicklung der Fachleistungen in den Klassenstufen 7 und 8 in der Zusammenfassung folgender Absatz:
    „Als Fazit ergibt sich, dass Lernmilieus – seien dies Schulformen oder Kursniveaus –, die durch die Anwesenheit leistungsstarker Schülerinnen und Schüler geprägt sind, in der Regel für alle dort Lernenden leistungsmäßig Vorteile bieten. Gleichzeitig ist gerade in positiv ausgelesenen Lerngruppen zu beobachten,
    dass besonders leistungsstarke Schülerinnen und Schüler offenbar nicht ihrem Potenzial entsprechende Lernfortschritte erzielen. Dies wird auch im Lichte der internationalen Schulleistungsvergleiche der letzten Jahre zu betrachten sein.“

    Was will uns der Dichter damit sagen?

    Auch auf die Schülerauslese der prämierten Schulen möchte ich kurz eingehen: Die diesjährige Preisträgerin, die Anne-Frank-Schule in Bargteheide ist eine normale städtische Schule, die sich ihre Schüler nicht aussuchen kann. Sie ist auch als Gemeinschaftsschule gleichzeitig Kompetenzzentrum für Begabtenförderung. Auch die Gemeinschaftsschule hier am Ort, auf die ich meine Kinder schicke, ist zuständige Schule – d.h. sie darf keine Schüler ablehnen. Den Status Kompetenzzentrum für Begabtenförderung führt sie inzwischen nicht mehr, weil aus Lehrermangel die Freistellung der entsprechenden Lehrer für diese zusätzliche Arbeit nicht mehr vorgenommen werden konnte.

    Und damit kommen wir zu einem weiteren Kapitel. Natürlich ist Inklusion nicht erreicht, wenn wir die Sonderschulen schließen und die ehemaligen Sonderschüler in die normale Schule gehen lassen. Inklusion darf kein rein organisatorisches Umverteilen der Sonderschüler in andere Klassen sein, sondern bedeutet eine Anstrengung, wie z.B. einen zweiten Lehrer im Unterricht, der übrigens allen Schülern und auch der Gesundheit des einzelnen Lehrers zu Gute kommt. Leider sieht die Politik in der Auflösung der Sonderschulen primär eine Gelegenheit zum Sparen und damit kann es durchaus sein, dass die Inklusion tatsächlich nach hinten losgeht.

    Nur: Wer in der Schule spart, zahlt dafür in der übrigen Gesellschaft, weil der Anteil der „Abgehängten“ mit all seinen Folgekosten sich vergrößert.

  19. @ Walter Engelmann,

    Sie haben recht, „Charakter“ entsteht im Laufe eines Lebens, und ist durch ein paar Wochen Kurse nicht oder durch ein paar Jahre Ausbildung wenig beeinflußbar. Die Diagnose einzelner Züge des Charakters einer bestimmten Person ist auch nicht unproblematisch zu stellen. Diese Probleme sollten aber nicht dazu führen, daß allgemein abgestritten wird, der Charakter eines Lehrers hätte einen großen Einfluß, wenn nicht gar den Haupteinfluß, auf seinen Erfolg als Lehrer.

    Mit meiner wirklich etwas zu pauschal geäußerten Kritik an pädagogischer Fachkompetenz meinte ich natürlich nicht, daß ein Lehrer nicht einordnen können sollte, welcher Lehrstoff für welches Lernziel geeignet ist (dazu sollte allerdings neben der Kenntnis der Lehrstoffe und Lernziele eine durchschnittliche Intelligenz ausreichen), oder welchem Schüler man welche Lernstoffe zumuten kann (da kommt wieder die Menschenkenntnis ins Spiel), oder die Fähigkeit, Lernstoffe wirksam aufzubereiten (hierzu amüsieren mich immer wieder die Meldungen, daß neurowissenschaftliche Erkenntnisse völlig neue überraschende Erkenntnisse bzgl. des Wie des Lernens zutage brachten; erfährt man diese dann aber, findet man sie in der Regel gar nicht neu, sondern ziemlich altbekannt). Die Verfolgung der Verwissenschaftlichung der vorgenannten Themen der Didaktik von jedem Lehrer verlangen zu wollen, das war es, was ich kritisieren wollte… denn diese Verwissenschaftlichung bringt nach meinem Eindruck nur selten in der Praxix verwendbare Erkenntnisse hervor, die man eben nicht schon, mit durchschnittlicher Intelligenz, gesundem Menschenverstand und gutem Willen ausgerüstet, von allein haben wird (und darin ähnelt sie ein stückweit den aktuellen Neurowissenschaften).

    Die sklavische Ausrichtung des Lehrers nach didaktischem Plan kann auch zu einem ausgesprochen unattraktiven Unterricht führen… ich erinnere mich deutlich an genau das, als die ersten Referendare bei uns auftauchten, die eine nach 68 gewandelte, ziemlich verwissenschaftliche Pädagogik vertraten… penetrant wurde aufs didaktische Ziel hingesteuert, was wir von unseren altehrwürdigen Lehrern so nicht kannten.

    Einfach mal den Text des Faust lesen, wie Sie es machten, ist ja auch ein stückweit Kritik an einer überwichtig genommenen Didaktik, nach der man vor dem Faust als Lehrer mit Akribie herausgefunden haben soll, was man den Texten maximal abwringen kann.

    Wenn Sie so wollen, können Sie mich also in die Reihe derer einordnen, die Kleins Äußerungen zum Fachwissen kritisch sehen… und zwar, wenn es ums Fachwissen der Pädagogik geht und deren Bedeutung für den täglichen Unterricht.

    Ein wenig anders ist die Lage aber schon, wenn wir über Fachwissen in den Naturwissenschaften reden. Da wird es wohl nicht gut funktionieren, wenn der Lehrer sagt: „Also, so richtig kenne ich die Mathematik (oder Physik, Chemie, Biologie usw.) in diesem Lehrbuch nicht, aber wir lesen das jetzt erstmal gemeinsam, und dann erzählt mir jeder seine Gedanken dazu.“ Wenn der Lehrer mit den Schülern zusammen erst erarbeitet, was am Ende gewußt werden soll, kommt es zu einer ganz unnötigen zeitlichen Verzögerung… wenn der Lehrer das Lernziel selber schon weiß, kann seine Vermittlung viel schneller erfolgen… und wenn der Lehrer dann auch eine umfassende fachliche Kenntnis der das Lernziel umgebenden oder mit ihm in Beziehung stehender Bereiche hat, kann er den Schülern sogar einen Kontext vermitteln, der das Interesse steigern kann oder das Haftenbleiben jedenfalls erleichtert.

    Sie tun Herrn Klein in meinen Augen unrecht, wenn Sie ihn so auffassen, als wäre der so völlig gegen die Vermittlung von Kompetenzen, die über das Reproduzieren reinen Fachwissens hinausgehen. Das habe ich bei Klein nicht herauslesen können, daß er z.B. Reflektionsfähigkeit über Wissen oder seine Grenzen für überflüssig hält. Der Satz: „Fachwissen ist die Voraussetzung von Kompetenz und nicht umgekehrt.“ zeigt ja gerade deutlich, daß auch Klein nicht ausschließlich auf Fachwissen fokussiert ist, sondern diese als unbedingt notwendige Voraussetzungen für die Vermittlung weiterer Kompetenzen ansieht… die Kompetenz, Einzelwissen oder einzelne Wissensbereiche kritisch zu reflektieren, kann ohne genaues Kennen des Einzelwissens oder der Wissensbereiche ja überhaupt nicht erreicht werden… und was die von Ihnen angesprochene eher allgemeinere Thematik zu Grenzen der Wissenschaft, zu Fragen der Moral usw. angeht, so steht doch deren Vermittlung und der Aufbau entsprechender kritischer Kompetenzen bei den Schülern überhaupt nicht im Widerspruch zu dem, was Klein fordert. Sie scheinen fachliches Wissen für eine Art Droge zu halten, die den Wissenden so sehr berauscht, daß er aus einer dadurch entstandenen Neigung zum Größenwahn heraus das Gefühl fürs Menschliche verliert. Für eine Abschaffung der Lehrstoffe, die einer solchen Verabsolutierung des Wissens entgegenwirken können, hat sich Klein aber doch gar nicht ausgesprochen.

  20. P.S. es sollte natürlich heißen:

    „daß neurowissenschaftliche Forschungen völlig neue überraschende Erkenntnisse…“

    Herr Lehrer Bronski, ich will mich künftig wirklich bemühen, vor dem Posten gründlicher korrekturzulesen. (Hoffentlich krieg ich noch ne Vier.)

  21. @Frank Wohlgemuth,

    „Das “Argument”, dass Gemeinschaftsschule oder gar Inklusion nicht funktionieren könne“

    Das habe ich nicht behauptet. Ich habe nur Zweifel geäußert, daß sie besser funktionieren als gegliederte Schulen.

    Diese Zweifel entstammen nicht irgendwelchen Studien dazu, sondern ausschließlich einem (hoffe ich) gesunden Menschenverstand.

    Auf der einen Seite haben wir zwei Kinder mit Fähigkeiten A sowie zwei mit Fähigkeiten B. Kinder A fördert man bestens und auf ihre Fähigkeiten zugeschnitten. Kinder B fördert man getrennt ebenfalls bestens, auf die Fähigkeiten B zugeschnitten.

    Auf der anderen Seite täte man Kind A und Kind B zusammen und unterrichtete sie gemeinsam, irgendwie bestens (Von „bestens“ kann man hier ja schon gar nicht mehr sprechen, da man auf die Eigentümlichkeiten der Fähigkeitenstände A oder B ja nicht mehr so ausschließlich eingehen kann wie im andern Fall).

    Jetzt enthalten also Ihrer Behauptung nach so viele Studien schon starke Hinweise, daß der zweite Fall die bessere Methode ist. Ich müsste nun herausfinden, ob die Unterschiede dieser Studien wirklich auf diese besondere Schulform zurückzuführen sind, oder nicht etwa, im Fall PISA nicht unwahrscheinlich, auf ganz andere Faktoren, in denen sich die Verhältnisse anderer Länder in denen von unseren unterscheiden. Das ist ein Mammut-Projekt. Das kann ich wie gesagt nicht aus dem Ärmel schütteln.

    Einstweilen können wir ja den Disput über die Validität statistischer Untersuchungen dazu zurückstellen, und einmal veruschen, herauszufinden, woran es denn genau liegt, daß der oben genannte zweite Fall die besseren Resultate zeigen soll. Haben Sie da Erklärungen?

    Auch Werner Engelmann sieht ja als wichtiges begleitendes Gebot einer Kompetenzvermittlung das „stärkere Achten auf den Schüler und seine Lernvoraussetzungen“. Auch ihn würde es vielleicht interessieren, warum es insgesamt bessere Resultate gibt, wenn man eher dazu übergeht, die Lernvoraussetzungen aller über einen Kamm zu scheren. Oder tut man das gar nicht in der gemeinsamen Schule?

  22. @Max Wedell #21
    Sie hinken dem Thread etwas hinterher. Lesen Sie zu ihrer Frage bitte, was ich in #18 aus LAU zitiert habe, nachdem Frau Neumann diese Studie angesprochen hatte.

  23. @Werner Engelmann #15
    Ich gebe zu, dass meine Aussage „Ich halte das Fach Deutsch für überbewertet“ hinterhältig war. Die Fähigkeit sich auszudrücken ist letztlich auch die Fähigkeit zu denken, die Sprache ist unser Denkvehikel, Sprach- und damit Denkfähigkeit das höchste Ausbildungsziel. Nur wird der Deutschunterricht nach meiner Erfahrung diesem Ziel nicht gerecht, und das schon ganz lange. Es wird nur durch die zunehmende sprachliche Verarmung des sonstigen Lebens erst heute sichtbar, dass die Schule hier nicht leistet, was man ihr früher als Leistung untergeschoben hat. Ein Beispiel, das mal nicht direkt auf unseren Schülern herumhackt: Ich habe gestern Abend die Diskussion bei Anne Will abgeschaltet, nachdem eine hochrangige Politikerin namens Erika Steinbach einen Kreisschluss als Begründung auftischte ….

    Ich habe weder etwas gegen Jöhte im Allgemeinen noch gegen den Faust im Speziellen und stimme Herrn Engelmann zu, dass der Faust sowohl geistesgeschichtlich wie dramaturgisch prophetisch ist (Ich habe ihn übrigens nicht in Deutsch gelesen, sondern parallel zum Philosophieunterricht überflogen und ihn mir später, um einer jungen Dame näher zu kommen, mit ihr im Theater angesehen). Nur kommen wir da an eine Ecke, die ich auch bei den Naturwissenschaften sehe (Franke -s.o.- beklagt das zu Recht ): Da beackern Lehrer mit ihren Schülern ein Thema aus einem Seminar ihres Aufbaustudiums, das in Details abgearbeitet wird, aber die Grundlagen fehlen anschließend. Da langweilen sich anschließend Biologiestudenten in der Spezialvorlesung Genetik, weil sie in der Schule schon weiter gewesen sind, aber kennen nicht die Grundzüge der Systematik geschweige denn die häufigsten Gehölzarten des nächsten Knicks. Es stimmt, dass die anderen Fächer es da schwerer haben als Mathematik oder Physik, in denen ich überhaupt nicht sinnvoll in Spezialthemen eintauchen kann, ohne vorher die Grundlagen gelegt zu haben. Aber, um auf mein Eingangsbeispiel zurückzukommen: Was nützt mir die Fähigkeit, über Theorie uns Struktur des modernen Dramas parlieren zu können, wenn sich beim Versuch, dieses „Wissen“ zu Papier zu bringen, herausstellt, dass ich nicht in der Lage bin, es wirklich so zu formulieren, dass mein Wissen verstanden wird? Wie kann es passieren, dass es erst in einer Biologiearbeit auffällt, dass ein Schüler, der im Fach Deutsch nur unauffällig ist, absolut unfähig ist, sich auszudrücken (Die Stichwörter waren alle vorhanden, nur ein Zusammenhang war nicht erkennbar, das Beispiel ist 40 Jahre alt)? Ich stelle mal meinen Verdacht zur Diskussion: Im Schulfach Deutsch wird die tönende, inhaltsarme Rede belohnt, in der die logischen Schwächen nicht auffallen. (Ein Experiment dazu: An Anfang der Oberstufe habe ich regelmäßig ein Lilliput-Lexikon Deutsch-Latein benutzt, um meine Texte mit wohlklingenden Fremdwörtern eigener Fertigung zu schmücken. Davon wurde nicht eines beanstandet.) Ach so ja: Das Fach Deutsch ist außerdem arterhaltend, indem es eine gute Balzgrundlage liefert (s.o.) 😉

    Wer sich ansehen will, was beim Deutschunterricht herauskommt, nachdem die Sprache in der Familie kaum noch gepflegt wird, der sollte mal einfach in ein Forum gehen, in dem die einleitenden Beiträge nicht gleich durch Doktortitel und Professorenstellungen ihrer Autoren abschrecken. Und auch da schreiben nur die, die es überhaupt wagen zu schreiben.

  24. @Frank Wohlgemuth,

    leider beantwortet auch der von Ihnen gebrachte Auszug aus einem Fazit einer Studie nicht, aus welchem Grund das gemeinsame Lernen effektiver ist, d.h. welche Faktoren es genau sind, die hier den Vorteil ausmachen. Das war aber meine Frage.

    Sie werden ja wissen, daß Naturwissenschaftler die Welt nicht lediglich durch Beobachtungen und deren statistische Auswertungen versuchen zu verstehen, sondern dann auch Theorien suchen, die zum statistisch Beobachteten insofern passen, daß sie es erklären können. Oder findet man nur dauernd durch Messen heraus, daß das gemeinschaftliche Lernen besser ist, tappt aber ansonsten völlig im Dunkeln, wieso?

  25. @ Max Wedell #24

    Grundsätzlich zeigt so eine Studie erstmal, was ist, und man könnte also rein theoretisch in Versuchung kommen, das auch schon anzuerkennen, bevor man weiß wie es funktioniert – oder?
    Diese Aussagen beziehen sich außerdem nicht auf einen reinen Frontalunterricht, in dem es keine Interaktionen zwischen den Schülern gibt, sondern auf einen Unterricht, der auch auf den Austausch zwischen den Schülern setzt.

    Dazu gibt es durchaus Untersuchungen zum Lerntempo, die zeigen, dass allem Studium der Lehrer zum Trotz der größte Unterrichtserfolg tatsächlich bei Mitschülern zu finden ist, wobei dieser Erfolg auf beiden Seiten festzustellen ist, sowohl beim Erklärenden als auch bei dem, dem etwas erklärt wurde. Da kann man jetzt sinnieren, dass da für den Erklärenden der Vorteil der aktiven Übung ist und für den anderen der Vorteil, dass der, der ihm erklärt, noch in seiner Welt lebt, seine Sprache spricht. Der braucht ihn also nirgends „abzuholen“, weil er selbst auch noch da ist. Aber da befinden wir uns bereits im Bereich der Spekulation, auch wenn es logisch klingt.

    Das ist ein Feld, dass sich naturwissenschaftlich nur schwer beackern lässt, das ganze Thema ist so komplex und alle Theorie dazu so introspektionsbeladen, dass es schwer genug ist, überhaupt wissenschaftlich, das heißt mit überprüfbaren Ansätzen und wiederholbaren Versuchen zu arbeiten. Insofern bin ich erstmal dankbar, dass man inzwischen überhaupt damit angefangen hat.

    Und wenn wir gerade beim Zweifel sind, dann gibt es etwas, was ich grundsätzlich in Zweifel ziehe: Das ist der „gesunde Menschenverstand“, auf den Sie sich berufen. Der rationalisiert mir alles, was ich sehen will, völlig unabhängig davon, warum ich das sehen will. Und er ist bei komplexen Fragen, nichtlinearen Zusammenhängen und der Unsicherheit über die Vollständigkeit der Information ein sehr untaugliches Instrument. Das vergessen wir leider regelmäßig, wenn wir uns zu Themen äußern, bei denen wir meinen mitreden zu können, weil wir das doch schließlich alles selbst erlebt oder gesehen haben. Diesem Phänomen bin ich übrigens auch in der Naturwissenschaft begegnet: Dass da Mannjahre in den Sand gesetzt wurden, weil man versäumt hatte, Prämissen zu überprüfen, die dem „gesunden Menschenverstand“ so logisch erschienen.

  26. @Max Wedell: Ein großer Vorteil bei gemeinschaftlichem Lernen und unterschiedlichen Voraussetzungen ist, dass die Schüler lernen, sich gegenseitig zu helfen, was beide Teile weiter bringt!

    Das Thema dieses Blog ist die Manipulation von Menschen. Dem will Herr Klein mit vermehrtem Fachwissen der Lehrer und Schüler begegnen. Seit wann schützt Fachwissen vor Manipulation? Wurden im 3. Reich nicht zahlreiche Fachwissenschaftler manipuliert, etwa durch Druck oder durch psychologisch geschickte Manipulation? Ein bekannter Physiker bezeichnete in seinem Buch „Deutsche Physik“ die Beschäftigung mit Einsteins Relativitätstheorie als geistige Rassenschande, ohne Beeinflussung durch die damals sehr bedeutsamen Rassengesetze nicht begreifbar. Vor Manipulation schützt kritisches Denken, schützt nach Einstein die Unterscheidung zwischen Denknotwendigkeiten und Denkgewohnheiten, also etwa die Frage „warum eigentlich“. Natürlich braucht man zum Eingehen auf diese Frage Fachwissen und die Fähigkeit, sich fehlendes Wissen anzueignen, was durch das Internet einfacher geworden ist. Man sollte aber nicht durch die Menge an Fachwissen das Bedürfnis nach kritischem Hinterfragen abtöten. Die Freude am Lernen und Fragen ist wichtiger als die Menge an gespeichertem Wissen. Herr Klein meint,“wenn die Schüler merken, dass der Lehrer an Fachwissen nichts drauf hat, verliert er seine Fachautorität, und das ist so ungefähr das Schlimmste, was einem Lehrer passieren kann“. Nein, das Schlimmste ist, wenn er versucht, seine Wissenslücken zu kaschieren, statt sie gemeinsam mit den Schülern zu schließen. Als eine Gruppe von Oberstufenschülerinnen von mir wissen wollte, wie ein Computer funktioniert, antwortete ich, das wüsste ich auch gerne, aber während meines Studiums war das noch kein obligatorisches Thema. Sie meinten, als Physiker müsste ich mich da doch leicht einarbeiten können. Meine Antwort: Wenn sie sich mit mir in das Thema einarbeiten wollen, machen w i r das. Beide Teile haben in dieser AG sehr viel gelernt, mit viel Spaß an der gemeinsamen Arbeit und dem sich dabei zwangsläufig ergebendem Fachwissen, das für die Meisten sicher nicht von bleibendem Wert war. Leider wird es durch die Lehrpläne und neuerdings das zentrale Abitur immer schwieriger, auf Fragen und spezielle Interessen der Schüler einzugehen. Die Menge an Fachwissen darf nicht die Freude am Lernen und eigenständigem Denken einschränken.

  27. Hallo Briefeschreiber,
    mir geht schon den ganzen tag einiges durch den kopf, nachdem ich die Leserbriefe , 13.06 , und nur auf die beziehe ich mich gelesen habe.
    1. zu: FAUST
    ich weis ja das faust ganz wichtig sein soll, ich habe ihn auch damals einigemale in Hamburg mit GG und Qaudflick gesehen, fand das damals natürlich toll, aber hat es mich weiter gebracht? nein, weiter gebracht mich, gebildet haben andere texte zb
    der königliche kingsblood von sinclair lewis,
    der mensch ist gut von Leonhard frank
    mila 18 oder Exodus von leon uris,
    filme aus den 40 und 50 zigern aus USA, fr, Italien oder D zb.
    Rosen für den Staatsanwalt und änliche.
    diese werke konnten menschenbildung ermöglichen.
    2. Lehrerausbildung:
    natürlich ist fachwissen wichtig, aber was nützt es wenn ich es nicht beibringen kann und die schülerInen verzweifeln, weil sie nichts verstehen, unabhängig von der schulart, die die Lehrkraft studiert hat.
    ohne pädagogische Kompetenz, und zwar vor dem Studium in Jugendgruppen u.ä. erworben, als auch im Studium und in Praktika in z.b. sozialen Einrichtungen erworben läuft Garnichts.
    was bitte schön ist den in diesen zusammenhang CHARAKTER ?
    3. da war jemand Lehrer und sogar stellvertretender schulleitet an einer gesamtschule, NA UND??
    ich war auch an einer gesamtschule vieler meiner bekannten, meiner ehemaligen schülerInen sind jetzt lehrkräfte an gesamtschulen, NA UND. das sagt doch nichts aus.
    wichtig ist fast immer die EMPATHIE die eine lehrkraft den Schülerinnen entgegenbringt, niemand zurücklassen.
    natürlich schafft man es nicht immer jeden weiterzubringen, einen guten start ins leben (nach der schule) zu ermöglichen.
    seht doch einfach mal in die Elternhäuser heute,6. klässler die sich prostituieren um Drogen zu bekommem, 6. klässler die eine ;Verzeihung, „KOTTERSCHNAUZE“ haben das einem die luft wegbleibt.
    ich behaupte, dass viele von euch garnicht wissen was draussen im richtigen leben so abgeht.
    3. völlig unverständlich die Bemerkungen eines Profs der sich über mangelne rechtschreibfähigkeiten, kommaregeln und „saubere handschrift“ uä. aufregt.
    dazu fällt mir ein, was meine mutter 1929 nach dem ABI von der deutschlehrerin zu hören bekam :“Luise hat eine 1. in Mathe? Die mit der schlechten Schrift“
    NO Kommentar, vielleicht mal nach norwegen schauen.
    GzG
    grüsse aus schläfrig Hohlstein
    timm pausmer

    zum schluss ein satz, der mir wichtig erscheint, um eine positive Bildung zu erreichen:
    Du mußt nicht meine kerze ausblasen, damit dein licht heller leuchtet.

  28. @ Frank Wohlgemuth,

    „Grundsätzlich zeigt so eine Studie erstmal, was ist, und man könnte also rein theoretisch in Versuchung kommen, das auch schon anzuerkennen, bevor man weiß wie es funktioniert – oder?“

    Nein. Was PISA angeht, so halte ich die Ergebnisse nicht ohne weiteres für verwendbar, um bestimmte Eigentümlichkeiten der Schulorganisation zu pushen oder abzulehnen… zu vielfältig sind die Einflüsse aus allen möglichen Richtungen, die hier auch wirken (Sie sagten ja selber, daß wir es hier mit einer komplexen Thematik zu tun haben). Da ich es mit dem „Charakter“ habe, erwähne ich nur einmal einen „Nationalcharakter“. Ein Beispiel: In USA gibt es den ganz verbreiteten Begriff des „Nerds“. In Deutschland würde man vielleicht „Streber“ sagen, aber das ist nicht völlig deckungsgleich. Der „Nerd“ ist jedenfalls jemand, der zu sein von den meisten Kindern vermieden wird, es ist eine sehr negativ besetzte Figur. Das Idol hingegen ist der Footballspieler, bei dem relativ egal ist, was er im Kopf hat, (wenn er nicht allzu blöde ist), Hauptsache körperlich fit. Eine solche national weitverbreitete Vorstellung kann die Lernbegierde der Kinder ganz schön dämpfen (um Gottes willen… bloß nicht soviel lesen… nachher muß ich eine Brille haben und bin dann ein Nerd). Aber dies nur beispielhaft, es gibt viele andere Unterschiede im Internationalen, z.b. der Anteil durchschnittlich relativ bildungsferner Migranten, die besondere Herausforderungen stellen, in den jeweiligen Ländern. In Schweden kommt jedenfalls die größte Einwanderergruppe… aus Finnland! Bei uns aus Ostanatolien. Da besteht schon ein gewisser Unterschied, auch wenn auf solche Unterschiede hinzuweisen nicht immer ganz politisch korrekt ist.

    Was inländische Studien angeht, so würde ich nicht ausschließen, daß deren Autoren nicht in der Lage sind, Studien so aufzuhübschen, daß merkwürdigerweise genau das herauskommt, was man für richtig hält, und/oder was politisch angesagt ist. Fairerweise muß ich das jeder Seite unterstellen.

    Nun haben wir also etabliert (und auch Herr Kress pflichtet dem anscheinend bei), daß vermutlich die Tatsache, daß die Wissensstärkeren den Wissensschwächeren helfen, den Lernvorsprung beider beim gemeinsamen Lernen ausmachen. Das Argument, daß der Stärkere den Stoff zielgerechter aufarbeiten kann, leuchtet mir nur bedingt ein, denn das Lehrer nicht prinzipiell auch dazu in der Lage sein müssten oder gar sind (aber eben mit besseren Wissensvoraussetzungen), will ich nicht unbedingt glauben… aber das Argument, daß der Stärkere vom Erklären einen Vorteil hat, ist nicht von der Hand zu weisen. Vernünftig erklären kann eigentlich nur der, der schon verstanden hat. Bzw. wer noch Verständnislücken hat, wird dadurch auf sie aufmerksam gemacht, daß er erklären soll. Dann kann er sie gezielter schließen. Durch Prüfungen auf Wissenslücken aufmerksam gemacht zu werden ist hingegen meist zu spät, denn nach dem Test gehts ja üblicherweise gleich schon mit neuem Stoff weiter.

    Wenn das aber alles so ist, frage ich mich, warum in den Gesamtschulen überhaupt Differenzierungskurse existieren, wo man dann doch wieder nach Fähigkeiten auseinanderdividiert. Gilt es womöglich doch nicht so uneingeschränkt, daß das Lernen unter Ungleichen für alle Beteiligten so profitabel ist, oder sind solche Differenzierungskurse nur ein Zugeständis an reaktionäre Elternschaften bzw. Bildungstheoretiker, und der „echte“ Gemeinschaftspädagoge würde auch sie am liebsten abschaffen?

    Die Theorien, die zu erklären versuchen, warum ein unterschiedlicher Kompetenz- und Wissensstand bei den gemeinsam lernenden von Vorteil ist, müssten dies besonders gut bei GROSSEN Unterschieden tun, um einen möglichen Erfolg von Gesamtschulen zu erklären. Denn auch im herkömmlichen Gymnasium sind ja die individuellen Unterschiede teils beträchtlich, selten völlig homogene Verhältnisse anzutreffen, und es besteht genug Möglichkeit, daß auch dort der Schwache dem Starken helfen kann, wenn die Unterichtsform das ermöglicht (wobei die Rollen hier ja auch, wie in der Gesamtschule, durchaus von Fach zu Fach wechseln können). Gleiches gilt auch für andere Schulzweige.

    Es müsste also eine Theorie sein, die erklärt, daß der Lernerfolg desto größer wird, je größer die Fähigkeitenabstände der Lernenden sind (bis zu einer gewissen Grenze natürlich).

  29. @ Tim Pausner,

    1. die Frage „Warum Faust?“ wäre mit ein wenig eignem Nachdenken recht einfach zu beantworten. Was würden Sie sagen, wenn ein Kind eines australischen Aborigines seinem Vater, der sich bemüht, ihm kulturelle Traditionen seines Volks beizubringen, entgegenet: Bleib mir bloß mit deinen Mythen und Fantasiegeschichten vom Leibe. Ich sehe viel lieber Filme aus Hollywood, und kann daraus noch viel mehr lernen. Würden Sie da sagen, ja das Kind hat doch recht, wozu dieser alte Quark? Goethes Faust gilt als eines der bedeutensten Beispiele der deutschen Literatur… und wenn es ums Erhalten einer bestimmten Kultur geht, kann man eben nicht sagen: ob wir sie tradieren oder nicht ist doch völlig egal.

    2. „was bitte schön ist den in diesen zusammenhang CHARAKTER ?“ Das beantworten sie ein stückweit selber in

    3. „wichtig ist fast immer die EMPATHIE“. Die Empathiefähigkeit, bzw. ihre Ausprägung, ist ja gerade eine Frage des Charakters. Wem Sie kein inneres Bedürfnis ist, der wird sie wohl kaum deshalb entwickeln, weil ihm eine pädagogische Ausbildung sagte: „Also, um ein guter Lehrer sein, mußt du dich in die Kinder hineinfühlen können“.

    4. „Kodderschnauzen“ können ganz amüsant und jenseits einer harschen Kritik sein, denken wir an die „Berliner Schnauze“. Aber Sie meinen ja etwas völlig anderes, und da gebe ich Ihnen völlig recht: Was Sie da meinen, eine bestimmte verbreitete Art der Jugendsprache, ist Ausdruck einer völligen sprachlichen Verarmung, und das ist dann allenfalls 5 Minuten amüsant, wenn Kabarettisten sich bemühen, die 10 Redewendungen zusammenzuklauben, die da insgesamt kursieren, und die für alle Lebensäußerungen erhalten müssen. Wer hier der Theorie anhängt, daß die eigene Sprache in weiten Teilen das eigene Denken bestimmt, dem kann dabei nur Angst und Bange werden.

  30. @ Max Wedell
    „Wenn das aber alles so ist, frage ich mich, warum in den Gesamtschulen überhaupt Differenzierungskurse existieren, wo man dann doch wieder nach Fähigkeiten auseinanderdividiert. Gilt es womöglich doch nicht so uneingeschränkt, daß das Lernen unter Ungleichen für alle Beteiligten so profitabel ist, oder sind solche Differenzierungskurse nur ein Zugeständis an reaktionäre Elternschaften bzw. Bildungstheoretiker, und der “echte” Gemeinschaftspädagoge würde auch sie am liebsten abschaffen?“ (Max Wedell #28)
    Ich habe mit Absicht nicht von Gesamtschule gesprochen, sondern von Gemeinschaftsschule und da wird es in der Regel bereits so gemacht, wie Sie es ansprechen, das Stichwort dazu heißt Binnendifferenzierung. Die Klassen werden also nicht nach Abschlussziel differenziert, sondern in allen Parallelklassen sind Schüler aller Abschlussziele, so dass tatsächlich (bei I-Klassen) alle Schüler vom „Sonderschüler“ bis zum Gymnasiasten in einer Klasse sind. I-Klassen, also Klassen mit „Sonderschülern“ werden insofern unterschieden, als hier üblicherweise ein etwas höherer Lehrereinsatz ermöglicht wird – da ist also regelmäßig ein zweiter Lehrer in der Klasse.

    Die „reaktionären Bildungstheoretiker“, von denen Sie sprechen, gibt es wohl, sie sind allerdings an den Universitäten heute mW nur noch eine von der Schwindsucht gezeichnete Minderheit.

  31. Zu Frank Wohlgemuth:
    Nach der Homepage der Anne-Frank-Schule in Bargteheide werden Schüler in die höheren Klassen nur nach einem Aufnahmegespräch und Vorlage aller Zeugnisse aufgenommen: Da findet doch die Auswahl statt, warum müssten sonst alle Zeugnisse mitgebracht werden? (Eine bestimmte Klientel findet die einfach nicht mehr, kommt also nicht.) Und die meisten Schulen haben wohl Obergrenzen bei der Zahl der aufzunehmenden Schüler, müssen also auswählen. Und auch die Anne-Frank-Schule bietet über das Wahlpflichtfach 2. Fremdsprache den Kern zukünftiger Sek II Schüler aus.
    Was Inklusion betrifft: Jetzt werden wohl nur die „Praktisch Bildbaren“ aussortiert, oder?
    In einem Bericht über „Inklusion“ las ich, dass die Schüler nach Farben sortierte unterschiedliche Aufgaben bekamen. Da konnte man gleich sehen, wer „der Dumme“ war. Kennen Sie einen Bericht, in dem Inklusion in allen Fächern in der 10. Klasse gezeigt wird? Und zwar nicht „Tag der Offenen Tür“, sondern Alltag?
    Und wenn ein zweiter Lehrer in der Klasse ist: Werden dann nicht zwei Schulformen in einem Raum unterrichtet?
    Seine eigenen Möglichkeiten und Grenzen als Lehrer zu sehen, ist manchmal mehr als schmerzlich.

  32. @ Max Wedell, # 19, Frank Wohlgemuth, # 23, Kurt Kress, # 26
    Trotz der drängenden Zeit (ich bin in Umzugsvorbereitungen) hier eine kurze Antwort:

    – Zu Klein: “Fachwissen ist die Voraussetzung von Kompetenz und nicht umgekehrt.”
    Mag sein (ich hoffe es), dass seine Vorstellungen von pädagogischer Vermittlung differenzierter sind als von mir dargestellt. Ich glaube trotzdem nicht, ihm Unrecht zu tun. Eine solche Debatte (der Blog hier zeigt es) erfordert gegenseitiges Abwägen unterschiedlicher Erfahrungen, differenzierte Analysen von neueren Entwicklungen, Ursachen und Wirkung und gegenseitiges Eingehen. Ich habe den Eindruck, dass – bei unterschiedlicher Terminologie – die Diskutanten in der Sache (etwa was die Bedeutung von Lehrerpersönlichkeit und „Empathie“ betrifft – gar nicht so weit voneinander entfernt sind. Wer eine solche Debatte im Stil der ideologischen Schützengräben der 70er Jahre führt, mit Beschwörung von „Niveauverlust“ und Schuldzuweisungen hantiert, der hat auch keine ausgewogene Würdigung verdient.

    – „Faust“: Der ist natürlich nicht als Verkörperung für klassisches „Bildungsgut“ zu verstehen, schon gar nicht in der deutschtümelnden Tradition von Faust als Typus „des Deutschen“. (In Klaus Manns „Mephisto“ bezeichnet übrigens der Ministerpräsident (gemeint ist Hermann Göring) Mephisto als die eigentliche Verkörperung „des Deutschen“). Er ist nur ein Beispiel dafür, dass Lerninhalte nicht beliebig austauschbar sind, dass nicht erst der Weg des geringsten Widerstands gegangen (Vermeidung und Trivialisierung) und dann mit pseudopädagogischer („wissenschaftlicher“) Begründung aufgepäppelt werden kann. Das konsequente Umgehen von „Klassikern“ erscheint mir ebenso als pädagogische Bankrotterklärung wie der Effekt, dass in der Schule behandeltes „Bildungsgut“ ein Leben lang nicht mehr angerührt wird (die Kritik von Herrn Wohlgemuth am Deutschunterricht scheint in diese Richtung zu gehen). Daher mein Plädoyer für ungefilterten, direkten „Zugriff“ auf die Texte. Das freilich setzt differenziertes Vokabular und hohes Sprachgefühl voraus – was aber dadurch auch wieder gefördert wird.
    Beispiel: Man ersetze im Schlussvers von „Faust II“ das Wort „Ereignis“ durch „Event“:
    „Alles Vergängliche ist nur ein Gleichnis.
    Das Unzulängliche, hier wird’s Ereignis…“

    – „Eingehen auf Interessen von Schülern“:
    Ich stimme hier wie auch mit dem gesamten Kommentar von Kurt Kress völlig überein. Hierzu ein Beispiel:
    Eines meiner Schlüsselerlebnisse die Behandlung von Lessings „Emilia Galotti“ in einer 8. Klasse, Gymnasium Berlin-Kreuzberg, ein gutes Drittel davon türkische Schüler und Schülerinnen. Schwerpunkt: Tugendbegriff und „Jungfräulichkeit“, die über Recht auf Leben gestellt werden. Im Anschluss an eine Stunde zwei türkische Mädchen, sichtbar emotional: „Genau das ist unser Problem.“ – Die haben den Text verstanden. Und der Lehrer hat begriffen, dass die Problematik „Ehrenmord“ eben nicht nur in islamischen Traditionen oder Kulturen verankert ist.

    Ich wünsche allen ein schönes Wochenende

  33. Liebe Blogger Engelmann und Wedell,
    sicherlich schon länger verdienstvoll pensionierte Studienräte, seit einigen Jahren gibt es einen verbindlichen (!) Lektürenkanon für die Oberstufe in Deutsch, und seit Jahren ist da auch Faust I, für den LK auch Teile des Faust II dabei, meistens auch irgendwie Thema der schriftlichen Abiturprüfung (Landesabitur). Es ist also keine Frage des „Mutes“, dies zu lesen! Gravierende sprachliche Probleme gab es nach meinen Erfahrungen mit gut kommentierten Ausgaben dabei nicht. Und den „Struntz“ braucht man weder als SchülerIn noch als Unterrichtende genau zu kennen, es gibt Besseres.

  34. @ Katrin Swoboda,

    vielen Dank für den Hinweis auf die Verbindlichkeit dieser Lektüre, er gibt mir wieder ein wenig Hoffnung. Ich bin nie Studienrat oder überhaupt Pädagoge gewesen, gehörte aber schon einer Generation an, die ohne Faust (weder II noch I) und überhaupt ohne viel klassischer Literatur durchs Gymnasium gleiten konnte.

    So sehr diese spezielle Verbindlichkeit mich erfreut, so sehr würde ich aber davor warnen, keinen Platz im Unterricht für unverbindlichen Stoff zu lassen. Der Mittelweg ist, wie üblich, hier wohl das Beste.

    @ Werner Engelmann,

    der „hohe Widerstand“ allein kann kein Argument für Faust sein. Es wäre ja doch mehr als ein wenig chauvinistisch, wenn man behaupten wollte, daß die Literaturen anderer Länder nicht Werke mit ähnlich „hohem Widerstand“ hervorgebracht hätten. So sehr Sie sich drehen und wenden mögen, weil Sie alles, was Ihnen irgendwie „nationalistisch“ vorkommt, vermeiden wollen, letztendlich wird die Frage, warum Goethe im Deutschunterricht, statt Shakespeare oder irgendeinen anderen der zahllosen vergleichbar „widerständigen“ nichtdeutschen Autoren, dadurch entschieden, daß das Kennenlernen der eigenen Kultur im Bildungssystem doch eine gewisse Priorität hat.

Kommentarfunktion geschlossen