Der Kanzler hat uns erlöst. Mit einer Art von Basta. Das erinnert zwar an unschöne Vorbilder (gemeint ist der Basta-Kanzler Gerhard Schröder), war aber offenbar nötig, um Ruhe in der Berliner Koalition einkehren zu lassen. Grüne und FDP hatte sich wegen der Marginalie verhakt, ob drei Atomkraftwerke in Deutschland länger laufen oder nur zwei oder gar keines. Eine Debatte, die vor allem von Seiten der FDP mit viel ideologischer Verve geführt wurde, als ginge es um eine Richtungsentscheidung pro Atomkraft. Es ging indes nur um „Streckbetrieb“. Unschönes Wort, erinnert an mittelalterliche Foltermethoden. Nun hat Kanzler Scholz (SPD) gesagt, was Sache sein soll: nämlich dass die drei Kraftwerke nicht Ende 2022 abgeschaltet werden, sondern bis Mitte April 2023 weiterlaufen dürfen. Denn wir stecken in der Energiekrise.

Das alles riecht irgendwie merkwürdig. Autoritär. Die Protagonisten der Debatte, allesamt Männer, bekriegen sich lustvoll, obwohl sie eigentlich an einem Strang ziehen sollten, denn sie bilden immerhin eine gemeinsame Regierungskoalition. Um Ruhe zu schaffen, muss erst der Kanzler, der eigentlich kein Übervater sein will, ein Machtwort sprechen. Dem beugen sich dann alle, sind plötzlich still und finden allesamt positive Facetten an dem, was der Kanzler da per Richtlinienkompetenz durchgesetzt hat. Die steht ihm zweifellos zu, und man fragt sich im Nachgang, warum er nicht schon früher so autoritär geworden ist. Vielleicht um die Partnerparteien in der Ampelkoalition schlecht aussehen zu lassen? Wenn zwei sich streiten, freut sich der dritte? Wahltaktische Erwägungen also? Das würde dem koalitionären Partnerschaftsgedanken widersprechen, dem Scholz sich jedoch anscheinend verpflichtet fühlt, denn er ist der Chef dieser Koalition, und an ihm hängt es letztlich, wie erfolgreich sie ist und wer davon bei der nächsten Wahl was hat.

Die FDP hatte jedenfalls in den zurückliegenden vier Landtagswahlen nichts von ihrem Auftreten: Im Saarland und in Niedersachsen flog sie aus den Landtagen, in Schleswig-Holstein und Nordrhein-Westfalen ist sie knapp drin, wurde aber nicht für die Regierungsbildung benötigt. Diese Partei hat stetig verloren und ist derzeit nur noch in zwei Landesregierungen vertreten: in Rheinland-Pfalz und in Sachsen-Anhalt. Mehr Bedeutungsverlust geht eigentlich nicht für eine Partei, die mal staatstragend war und die in den 1960er bis in die 1990er Jahre darüber entschieden hat, wer unter ihr Kanzler sein durfte.

Christian Lindner und der FDP schwimmen die Felle weg. Das ist gefährlich in einer krisenhaften Zeit wie unserer, denn wir brauchen eine Regierung, die zusammensteht und Vertrauen stiftet, statt zerstritten zu wirken. Es gibt bestimmte Mechanismen in der Politik, von denen schon die alten Athener und Römer ein Lied singen konnten, aber auch der Machtpsychologe Niccolò Macchiavelli: Streit in der Regierung nutzt stets dem politischen Gegner. Man darf das kritisch sehen, weil die Stiftung eines Gefühls von Einigkeit und ihre Verkörperung nach außen auch schlicht Theater sein könnten. In der Massenpsychologie – davon hat u.a. Elias Canetti in „Masse und Macht“ berichtet – können das jedoch entscheidende Faktoren sein, die maßgeblich darauf einwirken, wie und ob ein Land zusammensteht.

Davon hat die FDP offenbar nichts begriffen. Sie greift nach jedem thematischen Strohhalm, der sich ihr bietet, und scheut auch nicht vor „Kanalratten“ zurück – aus dem Mund eines Bundestagsvizepräsidenten! Was für ein Vorbild, was für ein Leitstern, dieser Wolfgang Kubicki! Er will einer der führenden Vertreter unseres Staatswesens sein? Die Darbietungen dieses Mannes sind zunehmend peinlich. Wenn die aktuelle FDP so etwas – und das Atomgequatsche obendrauf – zum Profilierungsversuch einsetzt, dann ist damit vor allem eines klar: Unser Land braucht keine solche FDP. Heutzutage sind die Grünen die bessere FDP.  Wobei man sich angesichts des Zustands der FDP natürlich fragen darf, ob dies als Prädikat gelten darf. Vermutlich ist es für die Grünen besser, sich von diesem Mief des Niedergangs abzugrenzen.

fr-debatteChristian Lindner sollte gehen

Es gab einmal eine FDP, die auch von SPD-Anhänger*n geschätzt wurde: zu Zeiten etwa von Theodor Heuss, Hans-Dietrich Genscher, Gerhard Baum oder Hildegard Hamm-Brücher. Dagegen jetzt: eine FDP unter Wortführer Christian Lindner, einer Karikatur im Maßanzug aus maßlosem Selbstbewusstsein und der Überzeugung: „Schuld sind immer die anderen!“ Nicht die FDP sei für ihre Stimmenverluste verantwortlich, sondern die „Ampel“ insgesamt. Seine Aussage „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ (2017) sollte auch für Parteichefs wie ihn selbst gelten.

Elena Ezeani, Bremen

fr-debatteDiese FDP braucht wirklich niemand

Es ist sowas von klar: Der Jammer nach Kernkraft, unterstützt von Markus Söder, war deutlich Grund. Und dann jammert er noch in der Wahlnacht weiter und hat nichts kapiert! Wie blöd muss einer sein, der das nicht sehen will? Oder verdient er so gut an der Atomlüge, dass er lieber wahrmacht, dass es besser ist nicht zu regieren als falsch zu regieren? Die anderen FDP- Schnarcher haben es bis heute nicht gelernt, was richtig für die Zukunft ist. Man braucht sie tatsächlich nicht.

Peter Hinterland-Datz, Kelkheim

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7 Kommentare zu “FDP: Der Mief des Niedergangs

  1. Ich habe mich auch schon oft kritisch zur FDP geäußert, aber eins muss man ihr zu Gute halten. Sie machen genau das was von ihnen zu erwarten war. Das ein Teil ihrer Wähler was anderes erwartet haben ist nicht ihre Schuld. Bei den Themen Tempolimit, Corona oder Schuldenbremse kann man das denke ich recht gut sehen. Das AKW zu ihren Kernthemen zählen war mir allerdings neu.

  2. „Diese FDP braucht wirklich niemand“ Anscheinend doch noch von wenigen?

    „Die oberen Zehntausend brauchen die FDP, um sicher zu sein, dass ihnen wirklich keiner an ihre durch Enteignung der Arbeitnehmer erworbenen Milliarden geht. Und die Reichen und Schönen werden weiterhin die Verwalter ihrer Interessen im Parlament mit Spenden bei Laune halten.“ Zitat von Oskar Lafontaine vom 17.05.2017

    Aber die Mehrheit der Bevölkerung braucht wirklich diese FDP nicht. Eine andere FDP war noch die mit Karl Herrmann Flach, Gerhart Baum oder Burkhardt Hirsch. Dazu auch das Interview von Erwin Pelzig mit Gerhart Baum am 19.10.2022 in 3SAT bei „Mit Pelzig auf der Bank“

  3. Hallo Herr Boettel,
    da bin ich aber voll bei ihnen. Die Herren Lindner und Wissing, schwer zu ertragen. Ein gerechtes Schicksal holt sie jetzt aber ein, wenn es so. weiter geht werden die nicht erreichten 5% ihre Zukunft sein.

  4. @ Jürgen H. Winter:

    Vielen Dank für Ihre Zustimmung. Ich darf in diesem Zusammenhang eine Auszug aus einem früheren Leserbrief nach der Niedersachsen-Wahl zitieren:

    Lindner und seine Mitstreiter sollten die Freiburger Thesen mal studieren und in ihrer Regierungspolitik beherzigen, wenn diese nach der Landtagswahl in Niedersachsen immer noch meinen, ihre eigene Politik müsste in der Ampel-Koalition stärker vertreten werden. Dabei sollte sie sich endlich von ihrem Dauerthema Schuldenbremse lösen.

    Auch sollte sie entsprechend den Zielen des Koalitionsvertrages durch eine Zustimmung zu einem Tempolimit zu einem wirksamen Klimaschutz beitragen anstatt einen Weiterbetrieb der höchstgefährlichen Atomkraftwerke und einen Import des teuren und klimaschädlichen Frackings zu fordern.

    Schließlich merken diejenigen, die derzeit unter den aktuellen Krisen leiden, dass mit Gießkannenprinzip bei Entlastungspaketen und strikter Ablehnung einer gerechten Steuerpolitik vor allem die Reichen, die teilweise sogar von den Krisen profitieren, geschont werden. Die Folgen einer solchen Politik führen dann zu Wahlenthaltungen oder zu Erfolgen der Scheinalternative AfD, die im Prinzip die gleichen Forderungen wie die FDP stellt.

  5. @ Peter Boettel, Jürgen H. Winter

    Ich würde über die FDP nicht so pauschal urteilen. Das Beispiel des alten Recken Gerhart Baum zeigt, dass wir auch diese liberale Kraft in der Politik brauchen. Trotz alledem …

  6. @ Jürgen Malyssek:

    Natürlich bräuchten wir liberale Kräfte in der Politik, aber leider gibt es nur noch wenige echte Liberale wie Gerhart Baum. In dem Interview vergangene Woche in der FR erwähnte Gerhart Baum, er habe seit zwei Jahren keinen Kontakt mehr zu Lindner. Zwar gehört Frau Leutheuser-Schnarrenberger auch noch dazu, aber unter den Jüngeren sind nur noch Neoliberale erkennbar.

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