Mit dem Reformationstag, der dieses Jahr ein landesweiter gesetzlicher Feiertag war, ging das Lutherjahr zu Ende. Vor 500 Jahren hat Martin Luther, der als Reformator gefeiert wurde, seine 95 Thesen ans Haupttor der Schlosskirche von Wittenberg angeschlagen. Angeblich. Historisch belegt ist der Vorgang nämlich nicht. Es handelt sich um eine der Legenden, die sich um Luther ranken und mit denen sich Christian Thomas, Leiter des FR-Feuilletons, in einem ausführlichen Text befasst hat: „Hier steht er nun – doch es war anders„. Wäre das Lutherjahr nicht eine Gelegenheit, mal gründlich über die historische Figur Luther aufzuklären? Da gibt es nämlich noch mehr, was im unten folgenden Gastbeitrag angesprochen wird. FR-Autor Joachim Frank bezeichnet das Lutherjahr jedenfalls (aus vielen Gründen) als „Jahr verpasster Chancen„, während beim abschließenden Festakt in Wittenberg „Luthers Thesen als Befreiung für die Welt“ gefeiert wurden. FR-Lesaer Detlev Stummeyer aus Neckarhausen hingegen sieht wenig Grund zu feiern. Er sieht den (alten) Reformator als notorischen Antisemiten, der mit seinen Schriften den Nationalsozialisten Vorlagen in Sachen Judenhass lieferte. Sein Leserbrief war zu lang für die vollständige Veröffentlichung im Print-Leserforum. Dort gab es daher leider nur eine gekürzte Fassung. Die vollständige kommt nur hier als Gastbeitrag im FR-Blog.
Hasserfüllte Schmähungen
Von Detlev Stummeyer
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Der ausführliche Artikel über die umlaufenden und gepflegten Legenden im Umfeld von Luthers Thesenanschlag 1517 schwimmt gegen den offiziellen Strom und macht Bekanntes öffentlich. Dafür ist dem Autor zu danken. Eine Hinterfragen, warum sich um Luther so viele Legenden bilden und hartnäckig halten, warum seine Idealisierung so verteidigt wird, als würde sein Werk durch ihre Relativierung bedeutsam geschmälert, all dies war nicht Intention des Beitrages und wäre auch kaum zu leisten.
Es gibt fürwahr viele Gründe für diese Legendenbildung; der nicht unbedeutendste liegt darin, dass sich der von den Juden, die nicht zum christlichen Glauben konvertieren, enttäuschte Luther hemmungslos in seinen späteren Jahren einer hasserfüllten Schmähung der jüdischen Menschen und des Judentums hingibt: Der durch die Legendenbildung übergroße Schatten des Reformators hilft seine späteren beiden antijüdischen Schriften zu verbergen. Dorothea Wendebourg, eine evangelische Kirchenhistorikerin, stellt – in gänzlich anderer Absicht – den gleichen Befund fest: “… spielten Luthers späte Judenschriften jahrhundertelang in der evangelischen Theologie und Kirche nur eine marginale oder gar keine Rolle, …“, was jedoch keineswegs heißt, daß sie keine Wirkung entfal(te)ten, muss man hinzufügen.
Der evangelische Theologe Peter von der Osten-Sacken geht in seiner lesenswerten Monografie „Martin Luther und die Juden“ der Einstellung des Reformators zu den Juden nach und weist zudem daraufhin, dass es auch im 16. Jahrhundert evangelische Theologen gegeben habe, die Luthers Sicht auf die Juden nicht teilen.
Resümierend zitiert v. d. Osten-Sacken seinen Kollegen Johannes Wallmann (1986) mit den Worten: “… man kann doch nur mit tiefer Erschrockenheit und mit Scham registrieren, dass es vor 50 Jahren Pfarrer in Deutschland gab, die die nationalsozialistische Judenverfolgung nachträglich durch Lutherworte meinten rechtfertigen zu können. Aber man muss auch erschrecken, dass es Lutherworte gab, die sich dafür gebrauchen ließen.“ Insofern ist die Aufklärung über die ungewisse historische Wahrheit des Thesenanschlages von 1517 ein notwendiger, aber letztlich nur kleiner Schritt.
Im August 1933 – in Vorbereitung des 450. Geburtstagsfests von Luther in Wittenberg – erscheint im Wittenberger Tageblatt ein Aufsatz von Siegfried Flemming, eines Kandidaten am Wittenberger Predigerseminar, zugleich Seminarreichsobmann der DC (Deutsche Christen) über die Ziele der Glaubensbewegung DC. Zu Beginn seines Artikels stellt er fest, dass die Judenmission abzulehnen sei, weil die Juden, solange sie Staatsbürger seien, eine Gefahr darstellen würden, die in der „Rasseverschleierung und -bastardisierung“ bestehe. Nach einem ausführlichen Zitat aus Luthers Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ lobt er Luther, eine Ikone der Nationalsozialisten, für dessen Sicht: „Nicht einmal die Nationalsozialisten haben sie in solcher Schärfe“. Die deutschen Staatsbürger jüdischen oder keines Glaubens sprächen zwar deutsch, würden sich aber nicht der deutschen Schicksalsgemeinschaft verantwortlich fühlen. So ist es nicht verwunderlich, dass Pfarrer Flemming im Februar 1936 die Ansprache bei einer Gedenkfeier zur Erinnerung des Todestages von Horst Wessel hält, der als NS-Märtyrer kultische Verehrung genießt. Dies ist leider keine Legende und deswegen in Wittenberg weitgehend unbekannt, bekannt ist nur die Legende vom Predigerseminar als ein Hort frei vom „Ungeist der Zeit“.
Mir ist nicht ganz klar, worauf der Schreiber hinauswill. Luther als Wegbereiter des Nationalsozialismus?
Das ist die gleiche Diskussion wie: Marx und der Stalinismus, Wagner und die Nazis.
Luther glaubte sich mit Besitz der Wahrheit und war zutiefst in seiner Eitelkeit gekränkt, dass das nicht alle einsehen wollten.
Der nationalsozialistische Antisemitismus hatte aber keine theologische Begründung, sondern gab als Grund die Rassenkunde an. Von Rassenkunde wusste Luther nichts. Sie entstand erst als Nachfolge von Darwins Evolutionstheorie, auf die sich die meisten Rassekundler beriefen. Die Rassenkunde wurde auch nicht nur von Rechten vertreten, sondern auch von Linken (W. Schallmayer) oder Liberalen (R. Virchow).
Mein Gott, Luther war eben kein Übermensch, sondern ein normaler Sterblicher mit Fehlern, wie die meisten von uns, eine ambivalente Persönlichkeit und ein Kind seiner Zeit.
Bedenkt man, dass ausschließlich die sozialen Beziehungen zwischen Vater, Sohn und Heiligem Geist die Wesenseinheit Gottes (Trinität) begründen, erstaunt es über alle Maße hinweg, dass ein Theologe wie Dr. Martin Luther und dessen vor 500 Jahren erreichter Erkenntnisstand dazu befragt wird, was das Soziale seit jeher konstituiert, und nicht die heutigen Sozialwissenschaften mit ihren inzwischen vielfältig theoretisch angeleitet und empirisch kontrolliert erhobenen Befunden. Das jüngst begangene Reformationsjubiläum hätte somit wenigstens die während eines halben Jahrtausends erzielten Fortschritte zur Kenntnis nehmen können, anstatt so zu tun, als ob es sich bei den 95 an der Kirche zu Wittenberg angeblich angeschlagenen Thesen bereits um ewige Wahrheiten handelt.
Mit dem „Projekt der 1000 Stimmen“ hat der Lutherhype seinen vorläufigen Höhepunkt gehabt. Unverständlich für mich, wieso Eckart von Hirschhausen sich dazu hergeben konnte, bei diesem peinlichen, höchst peinlichen Konzert die Moderation zu übernehmen. Unverständlich für mich auch seine fiktive Anfrage an den „Lieben Martin Luther“ in der FR zum Reformationstag, woauf er „eine Antwort“ erwartet, die er natürlich von dem Angesprochenen nie erhält, die ihm aber hier auf einige markante Aussagen gegeben werden soll. So schmeichelt er Luther mit den Behauptungen: „Du hast die Freiheit des Christenmenschen begründet“.- „Du warst Vorreiter der Aufklärung und der wissenschaftlichen Revolution“.- „Du hast zu recht gegen Ablass und Aberglauben gekämpft“. Da Herr von Hirschhausen etliche Zitate von und „Nicht-Zitate“ zu Luther kennt, desgleichen auch weiß, dass Luther „verbittert und verbiestert seine antisemitischen Schriften verfasst hat“, (von denen NB der Philosoph Karl Jaspers 1962 zu recht geschrieben hat: „Luthers Ratschläge gegen die Juden hat Hitler genau ausgeführt“), – deshalb muss man dieses annehmen: Der Moderator weiß wohl auch: Luther wurde je länger je mehr zum Gegner all derer, die nicht seines Glaubens waren oder die ihm sonst missfielen, und denen er zumeist den Tod wünschte: Den aufbegehrenden Bauern, die sich in ihrer Leibeigenschaft auf seine Freiheitsbotschaft beriefen, schrieb er: „Das heysst Christliche freyheyt gantz fleischlich machen…Denn weltlich reich kan nicht stehen, wo nicht ungleicheyt ist…“ ( in : „Ermahnung zum Frieden…“, 1525). – Den „Hexen“, unschuldige Menschen, die nach seinen Wahnvorstellungen dem „Sathan“ gehörten, so dass er sagte: „Ich wolte sie selber verprennen“( Tischreden IV S. 51 ). Auf diese seine Meinung beriefen sich nach ihm seine Nachfolger und brachten so die Hexenverbrennung auch in die lutherischen Territorien. – Den Täufern. Den Ehebrecherinnen. Den Prostituierten. Usw… – Dass er auch höchst despektierlich über „die Frauen“ sprach und die Vernunft als „Teufelshure“ verunglimpfte, soll nicht unerwähnt bleiben. Da war bei ihm nichts von „Aufklärung“ und „wissenschaftlicher Revolution“, geschweige denn von „Freiheit“, wie sie uns nach unserem GG zugesprocchen ist. Vielleicht weiß Herr von Hirschhausen das alles oder auch nicht. Kennen sollte er als Arzt allerdings jene „Historia von einem Wechselkinde zu Dessau“, 1532 geschehen, die Luther in seinen Tischreden noch 8 Jahre später schildert: Anläßlich eines Besuches bei den Fürsten zu Anhalt traf er zuvor mit einem „Wechselkind“, einen behinderten Jungen von 12 Jahren, zusammen, der „nur frass, schiss und seichte“. Er bezeichnete ihn als eine „massa carnis“, d.h. als „ein Stück Fleisch“, „sine anima“, „da keine Seele innen ist“. Später sagte er zu den Fürsten zu Anhalt: „Wenn ich da Fürst oder Herr wäre, so wollte ich mit diesem Kinde in das Wasser, in die Molde,… und wollte das homicidium (d.h. Mord) dran wagen.! Aber der Kurfürst zu Sachsen, so mit zu Dessau war, und die Fürsten zu Anhalt wollten mir nicht folgen. Da sprach ich: So sollten sie in der Kirchen die Christen ein Vater Unser beten lassen, dass die liebe Gott den Teufel wegnehme. Das thäte man täglich zu Dessau, da starb dasselbige Wechselkind im andern Jahr danach…“ (Tischreden V, S. 9).
Übrigens: Luthers Ratschlag wurde nicht vergessen: Als der höchste NS-Mediziner und Hitlers Euthanasiebevollmächtigter Karl Brandt im Februar 1943 mit dem Leiter der „von Bodelschwinghschen Anstalten“ „zu einer menschlichen Aussprache über die Frage der Euthansie“ im Berliner Schloss Bellevue zusammentraf, da „fiel der Hinweis, dass ein Mann wie Luther der Auffassung war, man muss derartige missgeborene Kiunder ertränken…“ ( Ernst Klee, “„Euthanasie‘ im NS-Staat“, 1986, S. 423 ).
Als Katholik kann ich nur hinweisen, dass Luther eigentlich keine Spaltung, sondern eine Reformierung der Kirche angesichts des Ablasshandels und anderer Missstände erreichen wollte.
Frau Ernst betont zu Recht, dass er kein Übermensch, sondern ein Sterblicher mit Fehlern war. Und als Kind seiner zeit sind auch seine antisemitischen Äußerungen zu verstehen.
Mir missfällt, was nunmehr sowohl für ein „Gedöns“ um seine Person, mit Ausstellungen, Festlichkeiten, Theaterstücken, vor allem aber Einladungen von Haseloff und Tillich an Despoten wie Orban, wie auch Deutungen, was die Nazis aus ihm gemacht wurde.
Ende Oktober konnte man sich fast die Zeitungslektüre ersparen, weil sich fast alles nur noch um Luther drehte. Dies hätte er selbst sicherlich nicht so gewollt, wenn man seinen Reformwillen ernst nimmt.
Auch mir war und ist das zu viel „Gedöns“, sowohl was seine positiven Einflüsse als auch seine negativen Seiten angeht.
Ich muss Herrn Ralf Rath recht geben: Man sollte die Weiterentwicklung der evangelischen Kirche bis heute nicht vergessen, und die war meiner Ansicht nach eine (mit Rückschlägen) positive, mit einem stärker auf Humanität ausgerichteten Ergebnis (z.B. Homo-Ehe), als es die katholische Kirche vorweisen kann (sage ich als ehemalige Katholikin).
Wenn ich mir nach einer Wahl die rot- und schwarzeingefärbten Wahlkreise ansehe, dann erkenne ich zum Teil immer noch die Religionsgrenzen. Als SPD-Kandidat sollte ich mir nicht gerade einen «katholischen» Wahlkreis aussuchen, als CDUler sieht es in «protestantischen» Gegenden nicht besonders gut aus. Ist das eine zufällige Korrelation?
Sozialdemokratisch geprägte Regionen / Länder (z. B. die skandinavischen) sind protestantisch, christdemokratisch (konservativ) geprägte eher katholisch. Reiner Zufall?
Oder ist es doch so, dass die vor Jahrhunderten gefällte Religionsentscheidung eine größere Bedeutung für die Wahlentscheidung hat als die aktuelle Politik?
Wenn dem so ist, hat Luthers Lebenswerk noch heute Einfluss auf unser Leben.
Ich wüsste dann keine Person, die unser Leben auch nach 500 Jahren derartig beeinflusst. Das wäre ein Grund sich mit dieser Person zu beschäftigen, aber natürlich kein Grund für Heldenverehrung.
Merkwürdig erscheint mir die Abwehr einer Auseinandersetzung mit den kritischen Seiten Luthers! Ist das nicht genauso wichtig wahrzunehmen und anzuerkennen wie auch sonst bei der Einordnung von Geschichte und den Folgen für die Nachwelt? Ich würde mir doch eine sehr viel kritischere Auseinandersetzung wünschen statt Bagatellisierungen a la „Er war auch nur ein Mensch“! Was soll denn eine solche inhaltsleere Bemerkung? Sicher ist die hiesige evangelisch-lutherische Kirche humaner als sie es dereinst war. Aber die o.g. Beispiele zeigen ja deutlich, wie menschenfeindliche diskriminierende Haltungen gegenüber Behinderten, Semiten usw. genutzt werden können. Daher würde eine kritische Auseinandersetzung damit besser und konstruktiver sein als Luthers Haltunben und Äußerungen tunlichst unter den Tisch fallen zu lassen.
Um etwaigen Missverständnissen vorzubeugen: Schon seit Jahrzehnten bin ich nicht mehr Teil der evangelischen Kirchengemeinschaft. Insbesondere deshalb, weil Angehörige des Wirtschafts- und Sozialpfarramts, das für den Betrieb zuständig ist, in dem ich früher gearbeitet habe, mehrfach wiederholt aus nichtigem Anlass heraus meine Eigenständigkeit als Mensch in Zweifel zogen. Sie bezeichneten mich als abhängig Beschäftigten, der sich seiner angeblichen Fesseln noch zu entledigen hätte. Dem Luther’schen Freiheitsversprechen, das vor allem in dem von ihm komponierten Lied „Ein feste Burg ist unser Gott“ zum Ausdruck kommt, erwiesen sie damit einen denkbar schlechten Dienst. Mir blieb angesichts dessen politisch keine andere Wahl, als vor dem Standesamt meinen Austritt zu erklären.
@ Irmgard Flach
Mir persönlich ist Luther nicht so wichtig, dass ich mich intensiv mit ihm auseinandersetzen müsste. Da sich die protestantische Kirche heute nicht mehr von seinen antisemitischen Äusserungen leiten lässt, sind diese für unsere Zeit nicht mehr relevant.
Ansonsten lehne ich es grundsätzlich ab, mich sklavisch und wörtlich nach Vorgaben irgendwelcher Religionsstifter oder Ideologen zu richten. Das hat die Menschheit in der Geschichte zu oft in die Irre geführt.
Hallo alle miteinander,
aus all euren Kommentaren erkenne ich nur eines:
IHR wart wahrscheinlich nicht in Eisenach oder Wittenberg in diesem jahr, sonst würdet ihr nicht soviel „stuss“ schreiben. In allen Ausstellungen in den beiden Städten wurden all die Probleme, die ihr so schön anreist, beschrieben und bewertet.
Mag ja sein, dass Luther nicht so politisch korrekt war, wie wir ja auch erst seit ein paar jahren sind,
aber immerhin hat er ja, natürlich er nicht allein, gegenüber der erzkonservatorischen, unmenschlichen und reaktionären katolischen kirche Position bezogen.
Er war derjenige, der die Bibel ins deutsche übersetzt hat, so das viele menschen die Bibel lesen konnten.
schreibt ein Nichtchrist, der sich aber für vieles interessiert und in besagten Städten im sommer Urlaub gemacht. hat
GzG
Timm Pausmer
@ Henning Flessner
So einfach ist das mit den Parteien und ihrem Erfolg in katholischen und protestantischen Gegenden ja nun nicht. Das mehrheitlich katholische Rheinland-Pfalz wird schon seit mehreren Legislaturen von der SPD regiert, das katholische Nordrhein-Westfalen wechselt immer wieder zwischen einer SPD- und einer CDU-Mehrheit, das eher protestantische Hessen hat seit mehr als 20 Jahren einen CDU-Ministerpräsidenten, und in den Großstädten ist es sowieso anders: München traditionell SPD, Frankfurt oft wechselnd.
Wenn alle traditionell nach Konfession oder Familientradition wählen würden, könnte es ja nie einen Regierungswechsel geben.
@Brigitte Ernst
Warum war das protestantische Ostfriesland eine Hochburg der SPD und das katholische Oldenburger Münsterland eine Hochburg der CDU? Auf wenigen Kilometern sprangen die Ergebnisse früher von 75% SPD auf 75% CDU bei gleicher sozialer Struktur. Auch wenn die Unterschiede geringer geworden sind, holte die SPD bei der Landtagswahl in Ostfriesland die Direktmandate und die CDU im Münsterland.
Haben Sie eine Erklärung?
@ Henning Flessner
In einigen Gegenden kann man sicher heute noch den Zusammenhang, den Sie nennen, erkennen. Ich habe aber Gegenbeispiele genannt, die Sie nicht ignorieren sollten. Bei den Wahlen spielen auch ökonomische Faktoren eine wichtige Rolle. So wählen die reichen Taunusgemeinden am Rand Frankfurts, die mehrheitlich protestantisch geprägt sind, seit Jahrzehnten CDU, weil diese Partei eher die Interessen der Wohlhabenden vertritt. Das ist dann keine Frage der Religion.
Wie erklären Sie z.B. die traditionelle Mehrheit der CDU in Sachsen, einem Bundesland, in dem die Mehrheit der Bevölkerung konfessionslos ist?
Was ich damit sagen will: Die Konfession mag in bestimmten Regionen die Rolle spielen, die Sie beschrieben haben, bei den Wahlen in der heutigen Zeit sind aber noch eine Fülle anderer Kriterien entscheidend.
@Brigitte Ernst
Einverstanden. Religion hat wohl immer noch einen (nicht den entscheidenen) Einfluss.
Luthers Rassismus
Von Siegfried Virgils
1. Luthers Judenhass ist nicht Luthers Judenhass, sondern die Grundlage christlicher Theologie und Predigt seit ihren Anfängen im 2. Jhd. Als er 1543 sein antisemitisches Pamphlet „Von den Jüden und ihren Lügen“ schreibt, fasst er zusammen, was in den Jahrhunderten vorher die Kirche lehrte und der Volksglaube meist ungestraft ausführte (z.B. Synagogen anzünden, Judengassen plündern ). Es handelt sich nicht um eine Sondermeinung des Reformators, auch nicht um die bedauerliche Entgleisung des enttäuschten alten Luther darüber, dass sich die jüdischen Gemeinden nicht in Scharen seiner Reformation angeschlossen haben und konvertiert sind. 20 Jahre zuvor hatte er in seinem Aufsatz „Dass Jesus Christus ein geborener Jude sei“ noch gefordert, man solle die Juden freundlich behandeln und ihnen den Zugang zu allen Berufen ermöglichen. Wäre er – Luther – so wie die Juden von den „Papisten“ und der ganzen verrotteten Kirche behandelt worden, dann wäre er lieber eine Sau geworden, als sich zum Christentum zu bekehren. Wenn er nun freundlich mit ihnen reden würde, dann ließen sich gewiss „etliche“ taufen, was jedoch nicht geschehen ist. Von einem „anfänglichen Eintreten gegen die Diskriminierung der Juden“, das sich „später in unversöhnlichen Hass“ verwandelt habe, wie es in vielen Diskussionen, Reden, Artikeln und Predigten vor und während der Reformations-Veranstaltungen heißt, kann keine Rede sein. Luther hat als junger Mann zeitweilig die ganz ohne Zweifel freundlichere Methode vertreten, die Juden „wegzuschaffen“: sie mit überzeugenden Worten zur freiwilligen Taufe zu bewegen! So oder so ist aber sein Ziel und war das Ziel christlicher Theologie von den Anfängen bis über die Shoa hinaus (und bis heute), die Juden als „das von Gott verworfene Volk“ zu beseitigen, sei es durch Vertreibung und Ermordung, durch Zwangstaufen oder Zwangsarbeit, durch Zerstörung ihrer Synagogen und Vernichtung ihrer Schriften oder durch freundliche Werbung zur freiwilligen Taufe.
2. Die Unterscheidung von Antijudaismus und Antisemitismus ist eine Schutzbehauptung. Nur in theologischen und innerkirchlichen Diskussionen, vor allem im deutschsprachigen Bereich, wird sie am Leben erhalten, vermutlich, weil die Erkenntnis sonst nicht auszuhalten wäre, dass christliche Theologie im Kern antijüdisch ist und der Nährboden war, auf dem der moderne Antisemitismus wuchern konnte. Die rhetorische Frage von Henning Flessner (1. Kommentar), ob denn Luther Wegbereiter des Nationalsozialismus sei? kann leicht geändert, mit einem einfachen „Ja“ beantwortet werden: Luther war nicht der alleinige Wegbereiter, sondern die Jahrhunderte währende Lehre und Predigt der christlichen – katholischen und evangelischen – Kirche. Diese Lehre hat Luther ohne „Reformation“ fortgesetzt. Damit ist Luther genauso wenig Nazi wie Wagner. Antisemiten waren sie jedoch beide. Und ob jemand politisch rechts oder links steht, spielt hier keine Rolle – Antisemiten gibt es hier wie dort. Die Behauptung, Luthers Antijudaismus sei nicht rassistisch motiviert, entbehrt der Grundlage. Zwar sind die Begriffe Rassismus und Antisemitismus erst im 19. Jahrhundert zum ersten Mal verwendet worden. Der Sache nach ist christliche Theologie schon lange vorher sowohl antisemitisch als auch rassistisch. Im Antisemitismusbericht des Deutschen Bundestages 2017 heißt es, dass die „älteste Form der Judenfeindschaft (…) der religiöse Antisemitismus …(sei). (s. S.25f). Ende des 15. Jhd werden in Spanien sowohl Juden als auch Christen, die vom Judentum konvertiert waren, aus dem Staatsdienst entlassen, weil sie kein „reines Blut“ – limpieza de sangre – hätten. Ziemlich genau 500 Jahre später, 1942, veröffentlicht die Evangelische Kirche von Hessen-Nassau in ihrem Amtsblatt ein Verbot der Teilnahme am Gottesdienst von evangelischen Christen, deren Vorfahren Juden waren. Begründung: die christlich Taufe würde an der rassischen Eigenart eines Juden nichts ändern. Der Humanist Erasmus von Rotterdam schreibt 1517 über den vom Judentum zum Christentum übergetretenen Joseph/ Johannes Pfefferkorn, dieser zeige sich immer noch als „echter Jude und erweise sich seiner Rasse würdig“. Mit „entfesseltem Hass gehe er gegen so viele ehrenwerte und hervorragende Menschen vor, wie seine Vorfahren gegen den einzigen Christus vorgegangen seien“. Und rassistisch ist Luthers Behauptung, dass schon durch den sozialen Kontakt Juden mit ihrem Unglauben die Christen „anstecken“ und vom Glauben abbringen würden. Luther ist wie Erasmus davon überzeugt, dass auch ein vom Judentum zum Christentum Konvertierter immer noch „Jude“ sei. Das alles sind Elemente des modernen rassistischen Antisemitismus, lange bevor die Begriffe dazu gefunden worden waren – auch wenn Luther keine Ahnung von Rassenkunde hatte.
Fazit: Das ganze „Gedöns“ um Martin Luther in den letzten zehn Jahren und schließlich in diesem Jahr 2017 müsste – so hoffe ich immer noch – zu einer eindeutigen Abkehr von dieser Theologie führen, die im Nazi Reich dabei mit geholfen hat, dass 6 Millionen Menschen ermordet worden sind. Die Umkehr würde eine große Reformation unserer Kirchen in Gang bringen, die dann endlich auch all die anderen Baustellen bearbeiten würde, die spätestens seit der Aufklärung angefallen sind.
@Siegfried Virgils
Ich möchte Ihnen nicht widersprechen, wenn Sie den christlichen Antisemitismus als Wegbereiter des Nationalsozialismus sehen.
Aber er ist in meinen Augen nicht der einzige. Die Naziführer (Hitler, Goebbels, Himmler, Heidrich, Rosenberg) begründeten ihren Rassenhass nach meiner Kenntnis nicht mit der Bibel oder mit Luther.
Sie haben den christlichen Antisemitismus gern akzeptiert und ausgenutzt. Begründet haben sie ihren Rassenhass aber mit der Rassenlehre der deutschen Anthropologen (Eugen Fischer u.a.) und deren Übervater war Charles Darwin. Ob zu Recht, das ist eine andere Frage.
Viele Zeitgenossen sind froh, daß die Aufregung um Luther vorbei ist, zuletzt war ihr ja kaum zu entkommen; aber soll sie dermaßen unbefriedigend abebben wie durch den Leserbrief des Herrn Hohnsbein? Daß bei einer Feier das Positive im Vordergrund steht, ist nur natürlich, ganz ausgespart aber war die dunkle Seite des Reformators ja auch nicht. Ich greife nur ein paar Gesichtspunkte aus dem Brief des Kritikers heraus. Herr Hohnsbein führt die Teufelshure Vernunft bei Luther an. Ich zitiere Luther: „in der Tat ist es wahr, daß die Vernunft … das Beste [ist] im Vergleich mit den übrigen Dingen dieses Lebens und geradezu etwas Göttliches“. Ob es sich nicht lohnt, hier etwas genauer nachzusehen? Zu dem Thema der Freiheit, zu dem Luther angeblich nichts beigetragen hat, nur zwei seiner Sätze: „Eyn Christen mensch ist eyn freyer herr über alle ding und niemandt unterthan. Eyn Christen mensch ist eyn dienstpar knecht aller ding und yderman unterthan“ Man lese den ganzen großartigen Traktat! Zum angeblich bei Luther fehlenden Beitrag zur Aufklärung: Ein wichtiger an die Ratsherrn der deutschen Städte gerichteter Traktat enthält die Aufforderung, Schulen einzurichten, und zwar auch für die Mädchen und auch nicht bloß, damit sie imstande sind, die Bibel zu lesen. Auch eine spätere Predigt schärft diese Mahnung ein. Und das ist ja wohl eine Grundvoraussetzung dafür, sich seines Verstandes ohne Anleitung eines andern zu bedienen. Zu der beklagenswerten Einstellung Luthers zu geistig Behinderten habe ich wie Herr Hohnsbein kein Verständnis, selbst wenn man in Rechnung stellt, daß hier vermutlich eine mittelalterliche Vorstellung zu Grunde liegt. Die Haltung Luthers gegenüber den Juden ist das finsterste Kapitel in seinem Leben, ein niemals zu löschender Makel. Aber auch hier muß man genau lesen, und ich bitte dringend darum, sich nicht auf Bücher über Luther, sondern auf dessen eigene Schriften zu stützen. Herr Hohnsbein tut das nicht, sondern zitiert Jaspers. Wenn es sich hier um ein wörtliches Zitat handelt, so liegt der Philosoph daneben. Aber er ist nicht der Einzige: Stephen Greenblatt ((2004, S.308) etwa schreibt, Luther fordere die Christen auf, die Juden in ihren Synagogen zu verbrennen, ohne es für nötig zu halten, einen Vorwurf derartiger Tagweite zu begründen. Ähnliche Aussagen habe ich in einer Reihe weiterer Bücher gefunden; besonders ärgerlich ist, daß sich auch ein protestantischer Theologe in einer protestantischen Zeitschrift hier eingereiht hat, obwohl Thomas Kaufmann (2014) die Sache unmittelbar zuvor richtig gestellt hatte. Man nehme also Luthers Schrift: „Von den Juden und ihren Lügen“ vor. Dort stößt man auf Luthers Frage, wie mit dem „verdampten Volck der Jüden“ zu verfahren sei. Die Antwort steht in den berüchtigten 7 Ratschlägen: Von Töten ist dort an keiner Stelle die Rede. sondern vom Zusammenfassen in Lagern. Davon kommt er im weiteren Verlauf der Schrift ab und spricht sich an 4 Stellen für die Vertreibung der Juden aus. Vertreibung, nicht Tötung der Juden ist Luthers äußerste Option. Damit reiht er sich nahtlos in die unselige Praxis europäischer Länder ein: Vertreibung der Juden aus England 1290, aus Frankreich 1394, aus Spanien 1492, aus Portugal 1496, aus den meisten Städten des hl. Römischen Reichs waren sie schon im 15. Jh. vertrieben worden.
@ Henning Flessner
Sie haben Recht. Die meisten modernen Antisemiten haben ihre Haltung nicht mit der Bibel oder Luther begründet, sondern gerne zur Rechtfertigung benutzt. Doch als Antisemiten Mitte des 19. Jhd ihre rassistischen Thesen veröffentlichten, behaupteten sie, wissenschaftlich beweisen können, was die Kirche über die Juden bisher nur theologisch begründen konnte. Im Klartext: euer religiöses Zeug brauchen wir nicht, mehr, das machen wir jetzt wissenschaftlich. Damit war Antisemitismus für alle eine Option, auch für Atheisten. Das für mich als Christ zutiefst Erschütternde ist die Erkenntnis, dass die theologischen Aussagen nahtlos zu den „wissenschaftlichen“ passen. Dadurch wurde der „wissenschaftliche“ Antisemitismus noch gefährlicher für die Juden, weil sie in der theologischen Theorie, „nur“ verfolgt, gemobbt, vertrieben werden, aber nicht getötet werden dürfen. Verfolgung, Vertreibung und Diskriminierung seien Strafe genug, lehrten schon die Kirchenväter im 5. Jhd. Das haben Kirchenvolk und Kirchenleitungen immer wieder mal „vergessen“, um sich dann wieder „reumütig“ daran zu erinnern ….bis zum nächsten Pogrom. Mit dem „wissenschaftlichen“ Antisemitismus ist auch der letzte Schutz für die Juden verloren.
@ Henning Flessner,15. November 2017 um 13:25
„Die Naziführer (Hitler, Goebbels, Himmler, Heidrich, Rosenberg) begründeten ihren Rassenhass nach meiner Kenntnis nicht mit der Bibel oder mit Luther.“-
Das ist doch eine ziemlich verengende Argumentation.
Denn wenn mir auch keine Reden bekannt sind, wo dieser Zusammenhang explizit hergestellt wird, so bedienten sich sowohl Hitler wie Goebbels regelmäßig römisch-katholischer Muster.
Hitler nicht nur ständig bei der Beschwörung der „Vorsehung“ oder des „Allmächtigen“, auch durch Benutzung der Bekräftigungsformel im „Vater unser“: „Denn dein ist das Reich und die Kraft und die Herrlichkeit in Ewigkeit. Amen.“ Natürlich bezogen auf Deutschland, sogar mit „Amen“.
Goebbels verwendet in der berüchtigten Totalen-Kriegs-Rede das Schema der 10 Gebote mit regelmäßigem Beginn: „Die Engländer behaupten…“ Dazu auch die Formeln aus dem Taufgelöbnis „Ich frage euch“, kumulierend in der Klimax: „Wollt ihr den totalen Krieg? Wollt ihr ihn totaler und radikaler, als ihr ihn euch heute überhaupt erst vorstellen könnt?“
In seinem kritischen Antwortschreiben auf meinen Beitrag vom 9.11.2017 bringt Herr Bokeloh einige „Gesichtspunkte“, durch die er „das Positive“ an Luther illustrieren will: Seine angebliche Hochachtung der „Vernunft“, der „Freiheit“, sowie der „Mädchen“.
In der Tat kann Luther die menschliche „Vernunft“ als etwas Großartiges beschreiben, größer als alle anderen Gottesgaben, und die Menschen hatten Anteil daran und den „schönsten und glänzendsten („pulcherrimum et clarissimum“)Verstand ( Weimarer Ausgabe/WA39.1 175; WA 40.2 85), – allerdings: das war einmal, und zwar vor dem Sündenfall Adams und Evas. Aus dem Paradies sind sie und damit wir alle, leider,leider, vertrieben mit unsererVernunft, und die hat sich seitdem von einer erleuchteten Dienerin Gottes in eine „teuffels hure“ und „teuffels braut“ verwandelt, in eine „fraw hulde“, ein lästerliches Weib ( WA 18 164), so dass wir nicht mehr erkennen, „was Gott will und vorschreibt“ (WA 42 106). Das gilt schließlich nicht nur für den Religionsbereich, sondern auch für alle Angelegenheiten des menschlichen Lebens und den zu erforschenden Tatbeständen dieser Welt- Aufklärung à la Luther, Irrationalismus pur. Zum Ganzen und Weiteren s. auch Hubertus Mynarek, „Luther ohne Mythos“.
Mit seinem Traktat „Von der Freiheit eines Christenmenschen“ hatte Luther Hoffnungen geweckt, z.B bei den Bauern, nun würden auch sie aus ihrer menschenunwürdigen Unterdrückung befreit, doch seine Antwort auf ihre mit „demütiger Bitte“ vorgetragenen „12 Artikel“ musste für sie niederschmetternd sein. Obwohl Luther wusste, dass etliche ihrer Artikel „billig und recht“ seien, mehr noch, dass die „Fürsten und Herren“ die „Hauptschuldigenan den Irrungen“ waren, weist er doch ihr Freiheitsbegehren in seiner Schrift „Ermahnung zum Frieden auf die zwölf Artikel der Bauernschaft in Schwaben“ (WA 18, 277ff) als „ganz fleischlich“zurück, z.B. ihre Vorstellung nach Aufhebung der Leibeigenschaft als „wider das Evangelion und räuberisch“, weil „damit ein jeglicher seinen Leib, so Eigentum worden ist, seinem Herrn nimmt“. „Dieser Artikel (gemeint Artikel 3 der Bauern, H.H.) will alle Menschen gleichmachen“. Doch „weltlich Reich kann nicht bestehen, wo nicht Ungleichheit ist in Personen, dass etliche frei seien, etliche gefangen, etliche Herren, etliche Untertanen“ (S. 326f) – Freiheit à la Luther, alle Diktatoren freuts.
Dann die Bemerkung zu den Mädchen, Luther habe auch für sie Schulen einrichten lassen, damit auch sie schließlich sich des Verstandes ohne Anleitung anderer zu bedienen lernten. In den Tischreden (TiWA) Luthers, die er immer von mehreren Zuhörern mitschreiben ließ, damit seine gottgegebenen Einsichten nicht verloren gingen, weiss er zum weiblichen Verstand dieses mitzuteilen: „Weibern mangelt es an Stärke und Kräften des Leibes und am Verstande. Den Mangel an Leibeskräften soll man dulden, denn die Männer sollen sie ernähren. Den Mangel am Verstande sollen wir ihnen wünschen…“ (1 4 /3). Ein anderes Mal, so erfahren wir aus seiner Herrenrunde, „lachete Doctor Martinus Luther seiner Käthen, die wollte klug seyn, und sagte: ´Gott hat ein Mann geschaffen und gegeben eine breite Brust, nicht breite Hüften, auf dass der Mann an dem Ort kann Weisheit fassen, aber der Ort, da der Unflat heraus geht, kleine sey; welchs an dem Weibe umgekehrt ist. Drüm hats viel Unflats und wenig Weisheit`“(II, S.285) -das Frauenbild à la Luther vom Juni 1531.
Schließlich die entsetzliche Schandschrift Luthers von 1543 „Von den Juden und ihren Lügen“, mit weit über hundert Seiten eine seiner umfangreichsten Schriften überhaupt.(WA 53). Herr Bokeloh kennt auch die „berüchtigten sieben Ratschlägen“ gegen „das verdampte Volk der Juden“ darin, die m. E. durchaus die Blaupause für einVernichtungsprogramm abgeben. Er schreibt dazu: „Von Töten ist dort an keiner Stelle die Rede“. Das trifft, bezogen auf jene Ratschläge, zu; an anderer Stelle allerdings, etliche Seiten weiter, S. 542, erbittet Luther von „unseren Oberherren, so Juden unter sich haben, eine gnadenlose Barmherzigkeit zu üben… und mit „ihnen mit aller Unbarmherzigkeit (so) zu verfahren, wie es Mose in der Wüste tat, als er 3000 totschlug…“
auch eine Barmherzigkeit à la Luther.
Kann man also in Deutschland nach seiner Geschichte von 1933-45 einen Mann immer noch feiern und in Zukunft vielleicht mit einem zusätzlichen arbeitsfreien Tag, den 31.10., wie jetzt in Niedersachsen geplant, der so agressiv gegen Juden, Bauern, „Hexen“,Täufer, behinderte Menschen usw. schrieb? Ich vermute, es werden immer mehr werden, die mittels ihrer Vernunft zu der Auffassung gelangen: Nein, das verbietet sich!
Feiern verbietet sich nach Ansicht von Herrn Hohnsbein und ich bin sicher: Luther hätte sofort zugestimmt. Nichtsdestoweniger haben gerade in den letzten Jahren eine ganze Reihe von Menschen nicht selten nach lebenslanger Beschäftigung mit ihm ihre Erfahrungen in Büchern und Aufsätzen niedergelegt, Seminare und Kongresse veranstaltet, über sein Werk diskutiert und meditiert, ihn kommentiert, karikiert, persifliert, es muß also eine Faszination von ihm ausgehen. Und in der Tat: Wer sich ohne Vorurteil auf ihn einläßt, wird vom Befremdlichsten, Abstoßendsten (Bauern, Papst, Juden) bis zum Erschütterndsten (Bericht über das Sterben seiner Tochter Lene) alles finden. Auch Bewunderung kann schwerlich ausbleiben, wenn man an seine mannhafte Haltung in Worms 1521 (allein gegen Papst und Kaiser) denkt oder etwa an den Mut, seine Pflicht als Seelsorger in Wittenberg zu erfüllen, als dort die Pest ausbricht und der kurfürstliche Hof und die Universität nach Jena fliehen. Phänomenal: Die Virtuosität im Umgang mit der deutschen Sprache, die Weite des Horizonts. Für Herrn Hohnsbein belanglos ist Luthers Großtat, die Mahnung, alle Kinder zur Schule zu schicken, ja zu zwingen, eine Grundvoraussetzung für Aufklärung und Emanzipation. Die Vernunft, nach Luther die „Erfinderin und Lenkerin aller freien Künste [gemeint: Wissenschaften]“ , so glaubt Herr Hohnsbein herausgefunden zu haben, hat nach dem Sündenfall alle positive Kraft verloren; dazu direkt der Reformator „ Und selbst nach Adams Fall hat Gott der Vernunft diese Hoheit nicht genommen, sondern vielmehr bestätigt“. Herr Hohnsbein moniert ferner Luthers Freiheitsverständnis; dieser anachronistischen Auffassung möchte man zu gern zustimmen, wenn man an die Lage der Bauern denkt, Luther allerdings meint diejenige Freiheit, die Albrecht Dürer im Auge hat, wenn er schreibt, Luther habe ihn aus großen Ängsten befreit. Schließlich holt Herr Hohnsbein den schweren Hammer hervor, den alle Lutherhasser schwingen: Luther als Theoretiker der Judenvernichtung Hitlers. Im Gegensatz zu Stephen Greenblatt (2004, S. 308) versucht er jedenfalls eine Begründung, aber auch hier haut er daneben. Richtig kommt er zu den schrecklichen 7 Ratschlägen Luthers aus dessen Schrift „Von den Juden und ihren Lügen“ (WA 53,522-526), eine Art Handlungsanweisung für den Umgang mit Juden in einer christlichen Gesellschaft. Er muß mir zugestehen, daß dort von Tötung der Juden nicht die Rede ist. Ob der Reformator diesen weitgehendsten Rat vergessen hat? Traut er sich nicht? Auf den Gedanken, Luther könne womöglich diese Maßnahme überhaupt nicht in Erwägung gezogen haben, kommt Herr Hohnsbein natürlich nicht. Aber er findet im weiteren Verlauf der Schrift den Katalog der Ratschläge ein zweites und sehr verkürzt ein drittes Mal, und hier glaubt er fündig geworden zu sein, hier (541,25ff) liest man: „Verbrenne jr Synagogen … Zwinge sie zur erbeit, Und gehe mit jnen umb nach aller unbarmhertzigkeit, wie Mose thet in der Wüsten und schlug drey tausent tod“. Hier hört Herr Hohnsbein auf zu lesen. Zum Verständnis dieser Stelle aber gehören die folgenden Zeilen: „kann man hie keine barmhertzigkeit uben … Will das nicht helffen, So müssen wir sie … aus jagen“. Worauf kann sich das von mir unterstrichene „das“ beziehen? Auf das Totschlagen? Dann hieße der Satz: Will das Totschlagen nicht helfen, so müssen wir sie ausjagen, und das geht ja wohl nicht; es muß also heißen: Will das Synagogenverbrennen, Zurarbeitzwingen nicht helfen, müssen wir sie vertreiben. In Opposition stehen also die Unbarmherzigkeit des Mose und unsere, die christliche Unbarmherzigkeit, beide führen zu je verschiedenen Maßnahmen. Fazit: Vertreibung ist Luthers äußerste Option.
Wie anders stünden wir Deutschen heute da, wenn unsere Väter und Großväter Luther folgend die Juden „nur“ vertrieben hätten.