Geheimnistuerei erzeugt Misstrauen

Es muss schlecht bestellt sein um die Gewissheit der Verhandler von USA und EU, dass sie der deutschen Öffentlichkeit eine solche Farce zumuten. Im Bundeswirtschaftsministerium wurde in der vergangenen Woche ein Leseraum eingerichtet und eröffnet, in dem unsere Parlamentarier den Vertragstext des Freihandelsabkommens TTIP (Transatlantik Trade and Investment Partnership) einsehen können — unter scharfen Auflagen. Sie bekommen zwei Stunden Zeit, die Lesegeräte sind strikt offline, es darf nichts ausgedruckt oder abgeschrieben werden, Sicherheitspersonal fertigt Aufzeichnungen darüber an, was die Abgeordneten lesen. Und natürlich ist alles strikt geheim, d.h. die Abgeordneten dürfen nicht darüber reden, was sie gelesen haben.

Es handelt sich noch nicht um den fertigen Vertrag. Die Verhandlungen sind noch nicht abgeschlossen. In der zwölften Verhandlungsrunde, die im Februar stattfindet, soll es um die Regelung der öffentlichen Auftragsvergabe gehen. Zuvor war im Oktober 2015 über das Kapitel „Regulatorische Zusammenarbeit“ verhandelt worden, in dem es um Normen und Vorschriften ging. Das strittige Kapitel des Investorenschutzes hingegen, in dem auch die ominösen Schiedsgerichte behandelt werden, wurde nach Abschluss der Verhandlungen über diesen Vertragsteil nicht mehr geredet. Über die Ergebnisse der Verhandlungsrunde vom Oktober gibt es ein hier ein pdf-Dokument der EU-Kommission (englischsprachig).

Transparenz geht anders. Was auch immer am Ende im Vertragstext stehen wird — eine demokratische Gesellschaft muss vor der Abstimmung darüber reden. Das bedeutet, dass Informationen ausgetauscht werden müssen. Das Redeverbot für unsere Abgeordneten ist nicht nur eine Misstrauenserklärung ihnen gegenüber, sondern auch eine Ohrfeige für die offene Gesellschaft. Offenbar wollen vor allem die USA verhindern, dass vorab zu viel über das Abkommen bekannt wird. Sie werden ihre Gründe dafür haben. Doch sie schätzen die deutsche Gesellschaft falsch ein, wenn sie glauben, dass die Menschen in diesem Land es einfach hinnehmen werden, dass man sie so behandelt. Die Empörung wächst, und mit ihr die Chance, dass TTIP in der runden Ablage landet.

Dietmar Lehmann aus Hattersheim meint:

„Im Zusammenhang mit den Verhandlungen zu diesem Freihandelsabkommen stellt sich immer drängender die Frage, ob wir wirklich noch in einer leidlich funktionierenden Demokratie leben oder schon auf dem besten Weg in eine Kapital-und Wirtschaftsdiktatur sind. Ich für meinen Teil werde in Zukunft niemals mehr einer Partei meine Stimme geben, die sich für den erfolgreichen Abschluss dieser Verhandlungen her gibt. Offensichtlich lehnt die Mehrheit der Menschen im Lande dieses Abkommen aus guten Gründen ab, trotzdem basteln unsere Volksvertreter unter Federführung der USA unverdrossen weiter am Gelingen dieses Abkommens. Immer deutlicher tritt zu Tage, das dies Pamphlet unter völliger Missachtung demokratischer Regeln und des politischen Anstandes zusammengedengelt wird und die Frage sei an dieser Stelle erlaubt, ob es nicht an der Zeit ist, endlich unsere Hintern hoch zu bekommen um mit ALLEN MITTELN das Zustandekommen von TTIP zu verhindern. Wie ich meiner Zeitung heute entnehmen konnte, wird Abgeordneten endlich die Möglichkeit eingeräumt, in einem sogenannten TTIP-Leseraum dieses Machwerk in Augenschein zu nehmen. Allerdings abhängig vom guten Willen der USA und nur für eine halbe Stunde mit einer Aufsichtsperson an der Seite. Demnächst werden wir lesen , das nur noch sehbehinderten Abgeordneten nach dem Treueschwur auf die amerikanische Verfassung die Möglichkeit zur Einsicht in die TTIP- Entwürfe eingeräumt wird. Dann allerdings nach scharfem Protest aus dem Wirtschaftsministerium für vierzig Minuten. Warum nur wird mir der kleine dicke Mann aus Nordkorea immer sympathischer ? Und was sagt eigentlich unser Verfassungsschutz zu diesem Treiben?“

Jürgen Kasiske aus Hamburg:

„Der FR gebührt Dank für die präzise und enthüllende Darstellung der Regeln, deren Einhaltung an TTIP-Dokumenten interessierten Bundestagsabgeordneten abverlangt wird. Sie erinnern an Vorschriften in Einrichtungen einer Haftanstalt; es fehlt nur noch ein Hinweis auf die Zulässigkeit von Leibesvisitationen, falls sich ein Abgeordneter in den Augen seiner Bewacher verdächtig benimmt. Der Sinn aller Bestimmungen ist klar: kein Volksvertreter soll einen Inhalt des Gelesenen zitieren und sich auf Zitiertes berufen können. Und vor allem ist ihm verboten, mit dem von ihm vertretenen Volk zu kommunizieren, sobald es um Inhalte geht, die er durch seine Lektüre kennt. Selbstverständlich hat diese Informationsblockade einen Grund: Würde öffentlich, was die verdeckten Teile des TTIP-Konstrukts enthalten und was aus ihnen abzuleiten ist, wäre dessen Ablehnung durch die Mehrheit der EU- und wahrscheinlich auch der US-amerikanischen Bevölkerung mehr als wahrscheinlich. Wer als Parlamentarier, wenn am Ende durch Abstimmung über TTIP entschieden wird, einem solchen nicht mehr kündbaren völkerrechtlichen Vertrag zustimmt, ist entweder ein erwiesener Dummkopf oder ein Demokratie- und Verfassungsfeind, sofern er nicht ohnehin selbst Interessen vertritt, die das Licht der Öffentlichkeit scheuen, oder als SPD-Abgeordneter einem erzengelgemäßen Fraktionszwang folgt.
Wie die Initiative „abgeordnetenwatch“ herausgefunden hat, gibt es ein Gutachten zum Thema der Investor-Staat-Rechtsstreitigkeiten, das der Öffentlichkeit nicht bekannt werden darf, wie das Kürzel „NfD“ signalisiert (= nur für Dienstgebrauch, d. h.: Geheime Kommandosache). Seit fast 100 Jahren ist allerdings ein anderer Text bekannt, die „14 Punkte“ des US-amerikanischen Präsideten Woodrow Wilson (Demokrat), dem es damals um einen Weg zur Beendigung des Krieges ging. Punkt 1 dieses am 8. 1. 1918 dem Kongress vergelegten Programms verlangt, dass es in Zukunft „keinerlei geheime internationale Abmachungen“ mehr geben dürfe und die Diplomatie hinfort „offen und vor aller Welt arbeiten“ solle.“

Rolf Wekeck aus Kassel:

„Da wird in Berlin ein Raum eingerichtet, wo Bundestagsabgeordnete lesen dürfen(!), was in den Textentwürfen zum geplanten Freihandelsabkommen steht. Dabei sind die Lesezeiten begrenzt, die Abgeordneten dürfen nichts abschreiben und nichts in die Öffentlichkeit tragen. Und wenn sie dies nicht einhalten, werden die Parlamentarier mit rechtlichen Maßnahmen bedroht. Die US-Regierung hat dieses Verfahren gegenüber der Bundesregierung durchgedrückt und sieht dies noch als Zugeständnis. Alles soll geheim bleiben. Offensichtlich dürfen die Bürgerinnen und Bürger nicht erfahren, was das Freihandelsabkommen für Folgen hat. Bei soviel Geheimniskrämerei muss mit dem Allerschlimmsten gerechnet werden. Die Position der Bundesregierung ist eine Katastrophe und mit Duckmäusertum nur unzureichend beschrieben. Sie hat ihren Eid „Schaden vom deutschen Volke abzuwenden“ gebrochen!“

Herbert G. Just aus Wiesbaden:

„Die EU wie wir sie heute kennen hat genau drei Ziele: Freien Handel, freien Handel und freien Handel. Vereinbarungen über soziale Standards oder eine einheitliche Unternehmensbesteuerung sucht man nach wie vor vergebens (Herrn Juncker sei Dank!). Das geplante Freihandelsabkommen TTIP stellt eine Pervertierung des freien Handels dar, ein Handel der offenbar auch frei von Beteiligungsrechten der vom Volk gewählten Abgeordneten ist. Mit seiner zweifelhaften Haltung gegenüber TTIP erweist Sigmar Gabriel der SPD einen denkbar schlechten Dienst und sie ist Wasser auf die Mühlen der Europa kritischen Parteien und Gruppierungen.“

Lutz Fidora aus Recklinghausen:

„Ich finde keine Worte, und wenn, dann nur die schlimmsten! Was bilden sich sog. Demokraten aus Übersee ein, die hiesigen Demokraten eine krümelartige Geschmacksprobe vor die Füße werfen, damit der ach so gerühmte, internationale Freihandelsspielplatz endlich enthemmt genutzt werden kann?!
Diese Leseraum-Aktion für europäische Vasallen empfinde ich als unüberbietbare Lektion an Gängelung und Demütigung! Das Ganze ist kein „Witz“, vielmehr ein grotesker Aberwitz mit böswilliger Begleitmusik.
Meine dringende Bitte: Wage es, weise zu sein!, standhafter Parlamentarier, und wisse, angelehnt an W.B.Yeats, was zu tun ist: Cast a cold eye horseman, whether TTIP or Democracy, and pass by!“

Erwin Hasselbach aus Königstein:

„Wenn der Bürger liest, wie sich die deutsche Regierung und unsere Volksvertreter zur Bewertung der bisherigen Ergebnisse der TTIP Verhandlungen vorführen lassen, dann muss man sich über immer mehr „Wutbürger“ in diesem Land nicht mehr wundern. Hat es je im Nachkriegsdeutschland zur Wirtschaftsfragen einen demokratiefeindlicheren, ja skandalöseren Prozess der Meinungsbildung gegeben als er uns
hier demonstriert wird? Die EU-Kommission als Verhandlungsführer für 500 Millionen Menschen in Europa, aber selbst bisher keine direkte demokratische Legitimation dieser Bürger hat, lässt sich hier von der Führung der Vereinigten Staaten die Informationsbedingungen für ihre Menschen diktieren und droht noch ihren eigenen Mitgliedsstaaten, die jetzt mühsam erkämpften wenigen Informationsfragmente wieder zu kappen.
Hier wird doch für Jedermann überdeutlich, wer in der globalen Welt wirklich das Sagen hat. Es sind die Multi-Konzerne jenseits und diesseits des Atlantik, die der Politik sagen, wie sie deren Interessen zu gestalten hat. Und kein Aufschrei der politischen Eliten in Ganz-Europa ist zu hören! Es stellt sich die Frage, wie lange wir alle in der Welt, diesem Treiben noch zusehen wollen. Sind denn die Signale der jüngsten Zeit, über die ungerechte Verteilung des Reichtum und deren weltweiten Folgen für Instabilität ganzer Regionen immer noch nicht deutlich genug?“

Gregor Wellmann aus Mainz:

„Es ist empörend wie arrogant und von oben herab unsere Volksvertreter von USA (und EU!) behandelt werden, wenn es um TTIP geht! Großzügigerweise darf der Abgeordnete (was selbstverständlich sein sollte!) unter strenger Aufsicht einen Blick in das Vertragswerk werfen. Dass er nicht drüber reden darf, ist eine Frechheit. Dann wird damit gedroht, dass die Leseräume wieder geschlossen werden. Die müssen sich ja sehr sicher sein, dass die Abgeordneten ihnen keinen Strich (mehr) durch ihr schönes TTIP machen können! Es wird ja auch in dem Artikel angedeutet, dass die TTIP-Verhandler davon ausgehen, dass sie die Zustimmung der einzelnen Parlamente der EU-Staaten gar nicht brauchen! Geht’s noch? Diese Geheimnistuerei vor allem erzeugt viel Misstrauen und Politik(er)Verdrossenheit! Bezeichnend ist ja auch, dass Minister Gabriel lapidar sagt, dass nicht mehr Transparenz herauszuholen war bedeutet doch nichts anderes als das wir nach der Verabschiedung von TTIP (und CETA) aller Voraussicht nach gesagt bekommen: die Absenkung von Umwelt- und Sozialstandards war leider Gottes nicht zu verhindern, denn die USA haben darauf bestanden. Schade Deutschland, schade Europa, schade Demokratie!“. Daher TTIP muss gestoppt werden!“

Werner Scholtyssek aus Oberhausen:

„Wer glaubt, dass unsere BRD und die EU-Staaten „souverän“ sind, der glaubt ganz sicher auch, dass Zitronenfalter ‚Zitronen falten“; oder? – Egal ob Wirtschafts-, Verteidigungs- und Sicherheitspolitik im Allgemeinen: Unsere Regierung und die EU-Kommission sind stets bereite Erfüllungsgehilfen „unserer amerikanischen Freunde“. Allerdings wollen unsere gewählten Volksvertreter*innen diesem Volk ständig weismachen, dass SIE ganz alleine die Interessen ihrer Wähler*innen vertreten. Durchsetzungsfähig sind bei eben diesen Volksvertreter allerdings in der Hauptsache die Lobbyisten von Industrie, Banken, Versicherungswirtschaft usw. usf.“

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49 Kommentare zu “Geheimnistuerei erzeugt Misstrauen

  1. Im Bericht über die angeblichen Rechte unserer Volksvertreter bei der Einsicht in die Vertragsunterlagen von TTIP wird offensichtlich, wessen Macht und vor allem wessen Interessen hinter diesem „Abkommen“ stecken.

    Wenn zwei Vertragsparteien – in diesem Fall die USA und die EU – ein sogenanntes Abkommen bzw. ein ähnlich genanntes Vertragswerk verhandeln oder gar abschließen, ist im Normalfall von zwei gleichberechtigten Vertragspartnern auszugehen. Wenn aber, wie in diesem Fall, die USA die Konditionen bestimmen, ob und unter welchen Bedingungen der Vertragspartner – als Ratifizierungsorgan gehört auch der Bundestag dazu – die Unterlagen einsehen darf, und von vornherein Sanktionen androht, kann doch von gleichberechtigten Vertragspartnern keinesfalls die Rede sein. Vielmehr handelt es sich bei dem gesamten Teufelswerk, seien es die geheimen Verhandlungen oder bekannt gewordene Inhalte wie z.B. die Schiedsgerichte, um ein Diktat der Staatsmacht, die die Weltherrschaft für sich und ihre Konzerne beansprucht.

    Es ist in diesem Zusammenhang sehr bezeichnend, dass selbst Wirtschaftsminister Gabriel, der als vehementer Verfechter von TTIP bekannt ist, eingestehen muss,“sogar er als Minister habe nur die üblichen Einsichtsrechte der Bundestagsabgeordneten“ und hätte sich mehr Transparenz gewünscht. Spätestens hierbei müssten doch die Alarmglocken bei Gabriel wie auch bei den anderen Befürwortern von TTIP läuten, dass sie von den USA als Spielball in diesem Verhandlungstheater um TTIP benutzt und mit vorgeschobenen Versprechungen über Wirtschaftswachstum und Arbeitsplätze, die erwiesenermaßen lediglich Kaffeesatzleserei darstellen, dazu angehalten werden, die Bevölkerung von ihrer kritischen Haltung gegenüber TTIP abzubringen und die Interessen der US-Konzerne als Segen zu verkaufen.

    Dieses Einsichtsrecht, um das Bundestagspräsident Lammert eineinhalb Jahre kämpfen musste, das nun unter entwürdigenden Bedingungen, unter Widerrufsvorbehalt, unter strenger Aufsicht wie bei Strafgefangenen, ohne Übersetzung etc. gnädigerweise gewährt wurde, kann nur als blanker Hohn betrachtet werden und stellt für sich allein schon einen Grund dar, die Verhandlungen über TTIP sofort abzubrechen!

    Und Sigmar Gabriel sollte sich die Warnung von Helmut Schmidt vor einem Zusammenschluss zu einer Transatlantischen Freihandelszone, „die zur vollständigen Dominanz… der amerikanischen Interessen über die EU führen würde“, endlich nicht nur vor die Nase halten, sondern auch beherzigen. Denn er hat geschworen, den Nutzen des deutschen Volkes und nicht den der US-Konzerne zu mehren und Schaden vom Volke zu wenden!

  2. Ich kenne mich mit Verhandlungen von Staatsverträgen nicht gut aus.
    Werden solche Verhandlungen in der Regel öffentlich geführt? Sind die TIPP-Verhandlungen die Ausnahme oder die Regel?
    Die Schweiz verhandelt angeblich gerade ein neues Abkommen mit der EU bezüglich der von der Schweiz gewünschten Beschränkung der Personenfreizügigkeit. Wo kann ich den Vertragsentwurf finden?

  3. „Geheimnistuerei erzeugt Mißtrauen“, nein, umgekehrt wird ein Schuh daraus! Noch bevor über TTIP überhaupt Konkretes bekannt wurde, baute sich ein berechtigtes Mißtrauen der Verhandlungspartner USA und EU gegenüber einer sich schnell etablierenden Gegnerschaft dieses Abkommens auf. Unser Bundeswirtschaftsminister brachte es auf den Punkt, als er monierte, daß man gegen etwas sei, das man nicht kenne.

    Um weiteren Gerüchten und wachsendem Mißtrauen der Gegner über die laufenden Verhandlungen den Nährboden zu entziehen, wurde unseren deutschen Parlamentariern seitens der USA erlaubt, sich unter den Bedingungen, wie sie in Amerika für Besucher in Hochsicherheitsknästen üblich sind, in einem Raum des deutschen Wirtschaftsministeriums mittels elektronischer Medien, aber nicht online, das wäre des Guten zuviel, unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit zu informieren. Der Hausherr, der Sigmar Gabriel, sagt, er sei nicht schuld, er dürfe auch nicht mehr, und er müsse gehorchen. Ob er vergessen hat, wer in Deutschland der Souverän ist? Und womit drohen die USA für den Fall des Geheimnisverrats, etwa damit, die TTIP-Verhandlungen abzubrechen? Nein, das wäre ja zu schön!

    Die Rechtsgelehrten sind sich noch nicht einig darüber, ob und inwieweit TTIP der Zustimmung der Parlamente in den einzelnen europäischen Mitgliedsstaaten bedarf. Wahrscheinlich wird das Abkommen so aussehen, daß die EU allein nicht über die Kompetenz verfügt, es ohne die Zustimmung der Länder abzuschließen. Vor diesem Hintergrund ist es unfaßbar, daß unseren Volksvertretern zugemutet werden soll, einer vollendeten Tatsache namens TTIP zuzustimmen, ohne je die Möglichkeit besessen zu haben, auf die Vertragsgestaltung Einfluß zu nehmen.

    Und wie ist es zu erklären, daß diese Problematik in der deutschen Öffentlichkeit so gut wie gar nicht wahrgenommen wird? Die Flüchtlingsfrage und die Volten unserer Kanzlerin in derselben und die ebenso großmäuligen wie kleinhirnigen Äußerungen der alternativdeutschen anderen polarisierenden Politikerin lassen da offensichtlich keinen Spielraum mehr.

  4. Es wäre doch interessant, zu erfahren, wie andere Staaten Europas darüber denken. Zum Beispiel Frankreich, Großbritanien und Italien.
    A`l l e EU-Staaten müssten doch am Ende zustimmen. Da wird es doch gewiss viel „Nachverhandlungsbedarf“ ergeben ?

    Die Befürchtung, unsere Demokratien nähern sich stark „Wirtschaftsdiktaturen“ ist nicht so einfach abzutun.
    Wie wird unsere Partnerschaft mit USA erst aussehen, wenn Trump Präsident werden sollte ?

    Lieber nicht daran denken…

  5. zu Manfred petersmark:
    Ja, der Bundeswirtschaftsminister sagte, man könne nicht gegen etwas sein, was man nicht kenne. Doch, wie konnte er damals (wie auch bis heute) dafür sein, wenn er es selbst nicht kannte?

    Zur Einsichtnahme in einzelne Passagen musste der Bundestagspräsident erst eineinhalb Jahre betteln, damit nun diese kapitulationsähnliche demütigende Prozedur, die Deutschland als immer noch besetztes Land entlarvt, erreicht werden konnte. In den USA dürfen sogar Mitarbeiter der Abgeordneten die Dokumente einsehen.

    zu werner.h:
    Gabriel meinte zum Thema im Bundestag, man könne doch nichts verhindern, wenn die übrigen dafür seien. Dies trifft keinesfalls zu. Denn sowohl aus Frankreich, Österreich, den Niederlanden und Luxemburg zeigt sich Widerstand, der allerdings noch nicht so groß ist wie in Deutschland. Von Großbritannien ist natürlich nichts zu erhoffen; denn Cameron macht alles mit, was von den USA kommt und der EU schaden könnte.

    Wie Manfred Petrermark oben schreibt, es wäre zu schön, wenn die Verhandlungen tatsächlich abgebrochen würden.

  6. Der Datenkrake USA (Regierung und globale Unternehmen), der die privatesten Informationen eines Menschen abschöpfen und politisch und kommerziell verwerten und diese dadurch faktisch entmündigen möchte, will sich bei TTIP nicht in die Karten sehen lassen.

    Und die auf der EU-Seite zuständige Handelskommissarin Cecilia Malmström, eine bekennende radikale Verfechterin des Neoliberalismus, gab in einem Interview mit dem britischen INDEPENDENT am 12.10.2015 zu, dass sie sich nicht der europäischen Bevölkerung verpflichtet fühlt, denn ihr Mandant hätte sie ausschließlich von den politischen Institutionen der Gemeinschaft erhalten.
    Diese Institutionen scheinen offensichtlich nicht den Willen der Mehrheit im EU-Parlament, sondern die Interessen der Monopolwirtschaft zu repräsentieren. Letztere sind bekanntlich durch eine Armee von Lobbyisten in Brüssel vertreten, die längst an Gesetzen und Richtlinien mitschreiben.

    Europa erlebt derzeit die Transformation der Demokratie zu einem Wirtschaftsautoritarismus. Die EZB verschleudert das Sparvermögen und die private Altersabsicherung der Bürger; wobei die Deregulierung der Daseinsvorsorge exakt demselben neoliberalen Zeitgeist entspringt, der uns nunmehr auch die TTIP-Diktatur bescheren will.
    Und der Hauptverursacher der weltweiten Flüchtlingsströme, die USA, weigert sich, die durch Kriege und Klimakatastrophen Verelendeten und Vertriebenen aufzunehmen.

    Empören wir uns, leisten wir Widerstand. Und tun wir das selbst, denn unsere gewählten Volksvertreter scheinen sich vor der Demokratie zu fürchten.

  7. Ja, man muss gegen TTIP sein, glaubt man das, was mitgeteilt wurde, was drinstehen könnte !! Aber man weiss es ja nicht. Da man die Politiker bzw. besser: deren Politik in D ohnehin vergessen kann und wie sie sich gebährden, am Schlimmsten die SPD, wundert man sich, dass man noch was von ihnen hört, was eigentlich nicht sein kann, denn sie müssten bereits erstickt sein, so lange und so tief wie sie den Ami’s im Popo schon drinstecken; bestenfalls müssen sie sich ganz arg die Knochen auf deren eigener Schleimspur beim Rumhampeln gebrochen haben. Hier aber ein Vorschlag, den die vielen Wissenden und Klugen ja umsetzen könnten: erstellen sie doch einen Katalog mit – sagen wir – 50 Szenarien, die die Bevölkerung sehr hart treffen könnte bzw. die unser bestehendes Rechtssystem aushebeln könnten, bewerten es und lassen es dann vor Unterzeichnung von den Akteuren rechtsverbindlich unterzeichnen, dass die dort ausgewiesenen Fälle zu unserem Nachteil so nicht eintreten würden. Und da es im angloamerikanischen Raum ohnehin das fallbezogene Recht gibt, könnte es in der Diskussion ja ggf. von Vorteil sein. Und Beispiele sind immer gut, um dann über deren Lösungen zu sprechen. Unseren Parlamentariern würde ich es nicht geben, da die ohnehin befangen sind uns es sie in ca. 20-30 Jahren auch nicht mehr geben wird, nachdem die wenigen kapitalstarken Firmen die Macht übernommen haben werden. O, hatte glatt vergessen: so einige Frühstücksdirektoren würden dann wahrscheinlich immer noch gebraucht. Da kennen die sich ja dann bestens aus.

  8. kleiner Nachtrag bitte: lese leider erst jetzt die Papierausgabe von heute und lese, wie so oft, dass es am Aufschrei der „politischen Eliten“ fehle. Ich kann leider seit Jahren nirgendwo in D eine politische Elite erkennen. Wie das Wort ja schon sagt, sollte es sich bei Elite um eine „Auslese“ handeln oder um „überdurchschnittlich qualifizierte“ Menschen, die vom jeweiligen Thema was verstehen (sollten). Machtelite gegebenenfalls; aber das sind nur die, die die Macht oft missbrauchen und an dem Stühlchen der Macht kleben und alle Tricks der Welt nutzen, um eben daran kleben zu bleiben. Liebe FR; nennt die aus Berlin doch in Zukunft bitte „Klebeelite“. Danke. U.N.

  9. Vielleicht kann ein Vergleich die Qualität dieser „Geheimnistuerei“ etwas verdeutlichen.
    Zur Zeit der Berufverbote-Hysterie fand sich alles, was irgendwie gegen einen verdächtigten Lehramtskandidaten vorgebracht werden konnte, und natürlich jeder Briefwechsel in der Personalakte wieder – zur Warnung möglicher späterer Dienstbehörden und als Hinweis, dass eine Akte mit entsprechender Dicke (in meinem Fall über 100 Seiten) sich erst gar nicht zu öffnen lohne.
    Nun hatte jeder Verdächtigte das „Recht“, seine Personalakte einzusehen – unter Bedingungen, die den hier beschriebenen verdächtig ähneln. Dies hatte an der personalaktenführenden Stelle zu geschehen, unter Aufsicht der dort Angestellten und unter Verbot, irgend ein Schriftstück zu kopieren.
    Fazit:
    Die Behörde verfügt über den Verdächtigten, der Verdächtigte aber nicht über das, was ihm zur Last gelegt wird und somit über sich selbst. – Ein Schelm, wer Böses dabei denkt!

  10. Damit wir nicht wieder endlos aneinander vorbei reden:
    Es muss doch klar sein, wie am Ende die Zustimmungsprozedur ablaufen muss.
    Kann das bitte jemand veständlich erklären ?
    Wenn wir wissen, w e r zustimmen muss, können wir uns daran halten und versuchen diese zu beeinflussen.
    Vielleicht ließe sich dann noch eine Gegenbewegung – parteiübergreifend! – aufbauen.
    Eine Volksabstimmung ist in unserem Grundgesetz ja nicht vorgesehen.
    Wenn eine Bewegung, ähnlich Attac oder Greenpeace, sich stark genug entwickelte, könnte keine Regierung das ignorieren.

    Da von den Parteien anscheinend kein Verständnis für Widerstand mehr zu erwarten ist, müssen andere Wege gesucht werden.

    Im Rahmen des Grundgesetzes natürlich.
    Ohne fundierten juristischen Beistand würde es nicht zum Erfolg führen. Schlupflöcher suchen ist angesagt.

  11. zu werner.h:

    Der Vertragsentwurf wird nach Ende der Verhandlungen vorgelegt. Er kann dann inhaltlich nicht mehr verändert werden, sondern steht zur Abstimmung ( „ja“ oder „nein“)durch EU – Rat und EU – Parlament, sowie durch die EU – Mitgliedsstaaten entsprechend ihren nationalen Bestimmungen ( wenn der Inhalt einem „gemischten Vertrag“ – unterschiedliche Vertragstypen – entspricht). In Deutschland bedarf der Vertrag der Zustimmung des Bundestages sowie des Bundesrates. Die EU kann den Vertrag allerdings ganz oder in Teilen vorab in Kraft setzen.

    Dies bedeutet, dass sowohl die Bundestagsabgeordneten wie auch die Länder dazu gedrängt werden müssen, dieses Teufelswerk TTIP abzulehnen. Bekanntlich laufen seit ca. zwei Jahren Kampagnen von campact, attac, mehr demokratie und anderen Organisationen dagegen, werden aber von der Bundesregierung ignoriert (z.B. hat sich Merkel einem Termin zur Entgegennahme von rd. 3,5 Mio. Unterschriften verweigert) bzw. hat Gabriel anlässlich der Großdemo in Berlin mit ca. 250.000 Teilnehmern eine teure Anzeige in Zeitungen dagegen geschaltet.

    Diese Farce der Einsichtnahme in die englischen Texte (natürlich im Fachjargon) trägt natürlich – hoffentlich – zum Widerstand gegen das Abkommen bei. Man muss dabei auch aufpassen, dass die Verhandlungsführer nicht einzelne kritische Punkte aus TTIP herausnehmen, um hier eher eine Zustimmung zu erreichen, diese Punkte aber in TISA reinpacken, das zurzeit zwischen den USA, der EU und 23 anderen Staaten verhandelt wird und nicht so wie TTIP im Focus der öffentlichen Diskussion steht.

    Ich hoffe, Ihnen damit in wenigen Sätzen die Sache verständlich erklärt zu haben, bin aber bereit, weitere Fragen zu beantworten.

  12. Zu Peter Boettel,
    3.2.16 – 10:56 h,

    danke für die ausführliche Beschreibung des Zustimmungsprozesses.
    Ich kann mir nicht vorstellen, dass alle EU-Staaten fröhlich zustimmen werden.
    Auch in Deutschland wird das nicht so einfach sein, wenn die Medien sich einzelne Textstellen vornehmen.(Wenn sie es tun.)

    Was mich allerdings verwundert,ist, dass über die 250 000 Teilnehmer einer Gegendemo und über die Verweigerung der Annahme von 3,5 Mio. Unterschriften so schnell Ruhe einkehrte. Ja, es gab eigentlich gar keine „Aufregung“!
    So sollte mit der Meinung von Millionen Bürgern gewiss nicht umgegangen werden!!

    Hat da unsere 4.Macht – die Medien – etwa versagt? Auch ich erinnerte mich erst durch Ihre Aufzeichnung wieder daran – da war doch was…

    Was ich fürchte, ist dies: Durch die Flut der Ereignisse und Meldungen aus aller Welt ist die Bevölkerung schon derart überfordert, dass sie alles, was nach Politik und Parteien klingt, nicht mehr hören mag.
    („Die da oben, machen doch sowieso was sie wollen…“)

  13. danke, peter boettel, für diese so klare vermittlung. werner h.’s bitte wurde ja sehr gut entsprochen! mir selbst war auch nicht alles so klar. unter den 3.5 mio. unterschriften befinde ich mich sicher mehrmals, da ich sämtliche kampagnen auch unterstützt habe. mir ist ’s entgangen, dass madame merkel die entgegennahme verweigert hat… schande!
    was nun?

  14. Nein, wir sollen uns nicht aufregen, dass dem Bürger alle Informationen zu TTIP vorenthalten werden. Die Vertreter im Parlament erhalten ja Zugang, um die vielen tausend Seiten kurz mal durchzublättern. In einer Fremd- und Fachsprache, die ohne Experten kaum aufzuschlüsseln ist und in ihrer Tragweite nicht diskutiert geschweige dann dokumentiert werden darf. Die Bedingungen für Volksvertreter im Leseraum mit „Transparenzoffensive“ zu umschreiben, könnte aus Orwells Zettelkasten stammen. Zum qualifizierten Abstimmen zu wenig, zum Zustimmen aber gerade genug.

    Die anfänglich von den Befürwortern geäußerte Hoffnung, TTIP bringe weitere Arbeitsplätze, wurde bereits von Experten als unbegründetes Wohlwollen entlarvt. Ob nun private Schiedsgerichte kommen, die nicht anfechtbar sind und nur von Konzernen, jedoch in keinem Fall von Bürgern oder Staaten angerufen werden können, weiß niemand ganz genau. Aber bereits jetzt legen Hedgefonds Geld beiseite, um potenzielle Kläger mit Finanzmitteln zur Klage zu ermuntern – es geht um riesige Summen. Wie weit diese Parallelwelt bereits gediehen ist, wird der staunende Bürger erst nach Abschluss der Verhandlungen und nach der Ratifizierung der Verträge erfahren.

    Alles steht zur Disposition: Sozialstandards, Arbeitsrecht, Ökologie, Ökonomie, Löhne, Renten und Gesundheit. Ja, sogar das Gemeinwesen selbst, seine Infrastruktur und Rechtssicherheit, seine Kultur und seine Dienstleistungen. Alles soll käuflich sein oder verkäuflich. Ware gegen Geld. So einfach ist das oder wird es dann sein. Gifte für Menschen und Umwelt gelten so lange nicht als Gift, solange der unmittelbare Beweis nicht erbracht wurde. Bis dahin können sie frei verkauft und als Ware unter die Konsumenten gebracht werden. Verbraucherschutz wird dem Produzentenschutz weichen, der Verbraucher soll kaufen, eine andere Rolle ist für ihn nicht vorgesehen.

    Demokratische Willensbildung einer Nation wird, falls nötig, im Klageverfahren „korrigiert“, damit sich die Geldanlagen lohnen. Dass bis heute hierzu keine offene Debatte erfolgen kann, lässt Schlimmstes fürchten. Die Folgen für das Gemeinwesen und die Menschen werden von verantwortlichen Politikern mit Worten über die Hysterie der Bürger (Gabriel) abgetan. Im Mittelpunkt von TTIP steht der Produzent oder Investor, er wird durch das Verfahren in bisher ungeahnter Weise ermächtigt, für ihn spielt die Musik. Es handelt sich um eine auch gerichtlich abgesicherte, vollkommende Ermächtigung, dem der Bürger nur sein Portemonnaie entgegenstrecken soll.

    Uns droht, wenn mich nicht alles täuscht, ein neues Ermächtigungsgesetz.

  15. zu maiillimi und werner.h:

    danke für das Lob. Ich kann es gebrauchen.

    Ja, die Rautenkanzlerin hat den Termin verweigert, weil sie gerade einen anderen Termin – mit Lobbyisten – hatte.

    Dass die sogenannten Qualitätsmedien sich des Themas verweigern und lieber Sensationsmeldungen bringen, z.B. über angebliche sexuelle Belästigungen durch Flüchtlinge u.ä., verwundert inzwischen nicht mehr; ebenso stehen zurzeit die Vorwahlen in den USA im Vordergrund, wo Brechmittel à la Donald Trump oder die Tea-Party-Kandidaten Ted Cruz und Marco Rubio sich produzieren, Hillary Clinton natürlich gegenüber einem zwar älteren, aber doch fortschrittlicheren, Bernie Sanders favorisiert wird.

    Ja, leider ist die früher gepriesene 4. Gewalt zu einem erschreckend großen Teil nur noch Vollstrecker der Exekutive, und so wird von vielen Problemen wirksam abgelenkt. Denn die große Masse gehört nicht zu den kritischen BürgerInnen wie die Diskutanten im FR-Blog.

    Und Wolfgang Geuer hat Recht, wenn er die Drohung eines neuen Ermächtigungsgesetzes nahen sieht. Ein Beispiel besteht in der geplanten Abschaffung des Parlamentsvorbehaltes bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr, aber auch das Scheinzugeständnis bei der „Einsicht“ in die TTIP-Unterlagen oder die Geheimnistuerei bei den Geheimdienstskandalen etc. etc. Dies sind die Segnungen einer Großen Koalition und einer z.T. zu zahmen Opposition.

  16. Ich bin verwirrt. Auf der einen Seite heisst es, dass niemand weiss, was im Vertragsentwurf steht und niemand es lesen darf. Auf der anderen Seite weiss W. Geuer schon alles und 3.5 Millionen wissen schon, dass sie dagegen sind.
    Da ich leider zur ersten Seite gehöre, kann ich mich nicht an der Diskussion beteiligen.

  17. Zu Henning Flessner:

    Die Bundestagsabgeordnete der Linken, Katja Kipping hat sich am 04.02.2016 zu der „großzügig gewährten“ einem JVA-Besuchsraum ähnlichen Besuch des Leseraums für den Vertragsentwurf von TTIP geäußert:

    „In den zwei Stunden im Leseraum war es natürlich unmöglich, alle Dokumente zu lesen. Als ich Bilanz zog, stellte ich aber fest, dass ich nichts gelesen habe, was nur einen meiner bisherigen Kritikpunkte an TTIP in Frage stellt:

    Ich habe nichts gelesen, was auch nur ansatzweise die Behauptung Gabriels,das TTIP würde vor allem den mittelständischen Unternehmen in Deutschland zu Gute kommen unterstützt….
    In einem bereits vor einiger Zeit geleakten Ratsdokument steht schließlich recht unverblümt, was das Hauptziel der EU-Verhandler ist: Zugang zu Großaufträgen der öffentlichen Hand in den USA zu bekommen….

    Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge, die USA-Seite wolle vor allem den öffentlichen und kommunalen Unternehmen das Leben schwer machen und bessere Bedingungen für international agierende Konzerne im Kampf um öffentliche Ausschreibungen haben, gemildert hat.

    Ich habe nichts gelesen, was meine Sorge verringert, dass die EU-Unterhändler bereit sind, für die Aussicht auf lukrativer Aufträge für europäische Großkonzerne Umwelt- und Sozialstandards zu opfern.“

    Wenn Gabriel dennoch weiterhin alle, die gegen TTIP sind, als hysterisch verunglimpft, sollte er doch bitte endlich klar, deutlich und verständlich darlegen, worin er die angeblichen Vorteile von TTIP sieht, die bisher doch allesamt widerlegt sind bzw. eingestehen, dass er nicht das Wohl des Volkes, sondern die Interessen der Konzerne wahren will!

  18. Zu Henning Flessner:
    Nun, ich weiß keineswegs alles und habe diesen Eindruck nicht zu wecken versucht. Allerdings wurden viele kritische Punkte inzwischen bekannt und werden bereits offen diskutiert. So hat sich gerade erst der Richterbund gegen eine eigene Schiedsgerichtsbarkeit für Konzerne ausgesprochen und dem bisherigen Vorgehen bei den Verhandlungen demokratieschädliche Tendenzen attestiert. Man kann das als schallende Ohrfeige für die Verhandlungsführer der EU verstehen, die trotz der bereits lang anhaltenden Kritik daran festhalten wollen, eine Sondergerichtsbarkeit für Investoren einzuführen, obwohl es in Europa umfassenden Rechtsschutz für alle Schutzsuchenden gibt.

    Ohne den Verhandlungsstand von TTIP selbst zu thematisieren: Wie soll ich denn bewerten, dass europäische Regierungen, ohne die nationalen Parlamente und das Europaparlament einzuschalten, der EU-Kommission ein zunächst auch noch geheim gehaltenes Mandat zur Verhandlung mit den USA über ein transatlantisches Freihandelsabkommen erteilten? Dass dieses Vorgehen die Demokratie stärkt, lässt sich wohl nur schwer behaupten.

    Wie soll ich denn darüber denken, dass die EU-Verhandlungskommission ganz offen ein möglichst hohes „Liberalisierungsniveau“ u. a. bei der Wasserversorgung, kommunalen Dienstleistungen und Bildung verlangt und weder in den USA noch in Europa gewählte Vertreter bei der Entstehung des Vertragswerkes beteiligt sind?

    Stattdessen haben Lobbyisten ein Exklusivrecht auf Einflussnahme im Gesetzgebungsverfahren. Am Verhandlungstisch sitzen Konzerne und deren Vertreter von Handelskammern und ungezählten Lobbyorganisationen, EU-Unterhändler und Vertreter der amerikanischen Bürokratie, jedoch keine einzige Gewerkschaft, keine Verbraucherorganisation, keine NGO.

    Außerdem wird ein „Regulatorischer Kooperationstrat“ vorgeschlagen, in dem zukünftig Gesetze eng mit Interessengruppen der Unternehmen abgestimmt werden, ohne die Parlamente einzuschalten. Dies scheint mir inzwischen schon ein Trend, sogenannte „Expertengremien“ entscheiden zu lassen, was eigentlich in die Parlamente gehört.

    Eigenwillig sind im Übrigen die euphorischen Äußerungen der Industrieverbände zu den positiven Effekten von TTIP. Die Befürworter unterstellten TTIP nach wissenschaftlichen Studien Wachstumseffekte von 119 Milliarden Euro jährlich für die EU. Doch die Aussagen sind faktisch falsch. Denn die Quelle, eine Studie der Londoner Forschergruppe CEPR im Auftrag der Europäischen Kommission, geht überhaupt nicht von einem „jährlichen Anstieg“ aus. Der Wachstumseffekt von weniger als einem Prozent in zehn Jahren gilt als bestes Szenario der Studie, das jedoch von den Experten selbst angezweifelt wird.

    Bedenkt man dann noch die strikte Geheimhaltung der Verhandlungen, die mit „Geheimnistuerei“ eher verniedlichend umschrieben sind, muss man von einem eklatanten Demokratiedefizit bei TTIP sprechen, in dessen Mittelpunkt nichts anderes als die Verrechtlichung von internationalen Konzerninteressen steht. Das Gemeinwesen soll dabei keine Rolle spielen, obwohl die Menschen als Konsumenten, als arbeitende Mitbürger und hinsichtlich staatlicher Daseinsfürsorge unmittelbar betroffen sind. Oder sind die Interessen von transnationalen Unternehmen mit den Interessen des Gemeinwesens und der Bürger gleichzusetzen?

  19. @ P. Boettel
    Ihnen scheint es zu reichen, dass Frau Kipping für Sie liest. Ich möchte es aber lieber selber lesen, bevor ich mich mir eine Meinung bilde. Das ist so eine seltsame Angewohnheit von mir.
    @ W. Geuer
    Dass Richter nicht begeistert sind, wenn man ihnen die Arbeit wegnehmen will, ist nicht besonders überraschend. Nur bezieht sich die Kritik der Richter, wenn ich die Berichterstattung in der FR richtig verstanden habe, nicht auf das Abkommen, sondern auf einen Gegenvorschlag von S. Gabriel.
    Es sind Geheimverhandlungen und Sie wissen genau, wer mit am Tisch sitzt. Finden Sie das nicht auch etwas widersprüchlich.

  20. Henning Flessner:
    Was spricht aus ihrer Sicht eigentlich für das Abkommen? Hätten sie diesbezüglich Argumente? Bisher ist ja außer strapaziertem Optimismus aus Studien, die eher anders lautende Ergebnisse liefern, hierzu nichts zu hören. Haben sie vielleicht Hinweise, die aufklären können?

    Im Übrigen: Geheim sind die Inhalte, nicht die Akteure. Und der Richterbund richtet sich gegen jede Paralleljustiz, die einseitig von einer einzigen Gruppe genutzt werden kann. Wir beide können Schiedsgerichte nicht anrufen, Amazon kann es. Gibt ihnen das nicht zu denken, wenn ein neues Rechtssystem geschaffen werden soll, das allein Investoren ein Klagerecht gegenüber Staaten einräumt? Haben sie sich die aktuellen Investorenklagen gegen Staaten einmal angeschaut (z. B. Vattenfall gegen die Bundesrepublik Deutschland)?

    Je mehr Einfluss Investoren zugesagt wird, desto weniger kann ein Gemeinwesen sein Umfeld selbst demokratisch gestalten? Halten sie das für richtig?

    Noch eins: Wieso müssen die Verhandlungen zu TTIP geheim geführt werden? Warum werden NGO’s, Gewerkschaften und gewählte Vertreter an den Verhandlungen nicht beteiligt? Hätten sie hierzu eine plausible Antwort? Ich wäre sehr gespannt…

  21. @ W. Geuer
    Ich weiss nicht, was für das Abkommen spricht, da ich es nicht gelesen habe. Ich versuche, nicht über Dinge sprechen, bevor ich mir durch Lektüre ein eigenes Bild machen kann.
    «Wir beide können Schiedsgerichte nicht anrufen,..“
    Das deutsche Rechtssystem kennt das Instrument der Schiedsstellen schon. Wenn Sie mir einen Kinnhaken verpassen und ich Sie verklagen möchte, kann ich das in einigen Bundesländern nicht. Man würde mich an eine Schiedsstelle verweisen.
    Wollen Sie die Klagemöglichkeit für Firmen abschaffen? Ich bin dafür, dass man klagen kann, wenn man sich ungerecht behandelt fühlt, egal ob Privatperson oder Firma.
    Üblicherweise werden Vertragsverhandlungen nicht in der Öffentlichkeit geführt. Wenn man es doch tun will, müssten beide Seiten damit einverstanden sein. Dies ist offensichtlich nicht der Fall. Sollte man die Verhandlungen deshalb jetzt abbrechen, obwohl man das Ergebnis nicht kennt. Ich meine nein.
    Da ich ein Anhänger der repräsentativen Demokratie bin, bin ich gegen die Beteiligung (im Sinne von stimmberechtigt) von nicht demokratisch legimitierten Organisationen und das sind NGO nun mal.

  22. Henning Flessner:

    1. kenne ich nur die Aussage von Katja Kipping, die mitgeteilt hat, was sie nicht gelesen hat, weil sie nichts aussagen darf, was sie gelesen hat; dazu haben drei weitere MdB’s nach Einsichtnahme mitgeteilt, dass ihre Ablehnung bestätigt worden sei.

    2. darf ich selbst keine Einsicht nehmen, da ich kein Bundestagsabgeordneter bin; auch beherrsche ich die englische Sprache und dazu das Fachchinesisch nicht, wohne außerdem zu weit von Berlin weg; wenn Sie trotzdem Einsicht nehmen wollen, wünsche ich dazu viel Erfolg.

    3. habe ich mir auch in den vergangenen Jahren aufgrund von Veröffentlichungen und Teilnahme an Veranstaltungen, so auch Diskussionen mit Befürwortern, einige Informationen zum Thema angeeignet, so dass die Info von Frau Kipping nur eine von vielen Informationen darstellt.

    4. es ist bekannt, wer in den Schiedsgerichten sitzt, weil es diese bereits seit vielen Jahren – insbesondere nach der Entlassung von Staaten aus der Kolonie in die Selbständigkeit – gibt. Aufgrund der Kritik an diesen Schiedsgerichten hat Gabriel seinen „Scheinalternativvorschlag“ unterbreitet, der aber an der Sache vorbeigeht. Z.B. sollen die Schiedsgerichte für Ceta weiterhin gelten, so dass US-Konzerne, die ihre Profiterwartungen beeinträchtigt sehen, über eine Tochtergesellschaft in Kanada weiterhin diese Schiedsgerichte anrufen können. Im Übrigen verweise ich auf die Ausführungen von Wolfgang Geuer.

  23. Henning Flessner,
    zu 5.feb. 19:42h

    Mit ihrer seltsamen Angewohnheit, erst alles selber zu lesen, bevor Sie sich eine Meinung bllden können, müssten Sie ja immer auf den Ursprung vordringen. Das ist in den meisten Fällen doch nicht möglich.
    Was wir hier diskutieren, sind Zeitungsmeldungen, Nachrichtensätze aus Radio oder TV, selten mal eine direkte Aussage aus berufenem Munde. Diese sind ja auch meist sehr vorsichtig formuliert.

    Die Wahrheiten vestecken sich auch dem aufgeschlossenen Bürger immer mehr.
    Warum beschleicht auch mich, der ich bisher überwiegend freudig unsere Demokratie gelebt habe, doch nun so etwas wie „Zukunftsangst“?

  24. Ach lieber Herr Flessner, wenn sie Gelegenheit haben, die Verhandlungsunterlagen zu lesen, wird es für ihre Meinung leider etwas zu spät sein, so sehr sie vielleicht am Ende doch ihrer Betroffenheit Ausdruck verleihen mögen, weil dann – sollten ihre und unsere Bedenken nicht gehört werden – in einer Art Paralleljustiz Konzerne unser Gemeinwesen vor sich hertreiben und verhindern, dass politische Entscheidungen gegen Konzerninteressen getroffen werden. Denn gerade der Investorenschutz außerhalb unseres gut funktionierenden Rechtssystems interessiert bestimmte Kreise ganz besonders.

    Klagen können Unternehmen ja auch bereits heute und ich habe an keiner Stelle gesagt, dass das nicht so bleiben soll. Wenn sie mir dies mit ihrer Frage in den Mund legen, handelt es sich nur um die Abenteuer ihres Kopfes. Der Unterschied zu bestehenden, öffentlichen Gerichten besteht jedoch darin, dass bei privaten Schiedsgerichtsverfahren unter Ausschluss der Öffentlichkeit verhandelt wird, was rechtsstaatlichen Grundsätzen widerspricht (anders als zum Beispiel bei dem von ihnen angesprochenen Kinnhaken).

    Wenn außerhalb des bisherigen Rechtssystems Schiedsgerichte in Form von Sondergerichten zum Investorenschutz eingerichtet werden, geben die Vertragspartner außerdem ihre Souveränität und Gestaltungsmacht sowie ihren gesetzgeberischen Willen gegenüber dem Gemeinwesen in wesentlichen Teilen auf. Denn die Extrajustiz für Investoren schafft Fakten jenseits der erlassenen Gesetze der gewählten Parlamente. Das Eigentumsrecht wird damit über das Gemeinwohl gestellt. Und das kann den Bürger ziemlich teuer zu stehen kommen.

    Ihnen scheint offenbar als Anhänger der repräsentativen Demokratie gar nicht aufzufallen, dass bisher fast ausschließlich nicht demokratisch legitimierte Organisationen und Personen verhandeln. Das gilt für die EU-Kommissionsmitglieder, Vertreter der Handelskammern, Lobbyorganisationen und für alle Wirtschaftsvertreter. Zwar dürfen gewählte Volksvertreter im Leseraum den Verhandlungsstand einsehen, darüber reden dürfen sie nicht. Transparenz geht anders, aber ihnen macht dies als „Anhänger der repräsentativen Demokratie“ offenbar nichts aus. Wieso nicht? Gilt bei ihnen vielleicht das Motto „Nichts hören, nichts sehen, nichts wissen“? Für eine repräsentative Demokratie ziemlich schädlich, meine ich.

  25. @ Henning Flessner

    Irgendwie erscheint mir Ihre Argumentation widersprüchlich.
    Einerseits betonen Sie, dass Sie sich erst genauer über Inhalte informieren, bevor Sie darüber sprechen. Wie viel mehr muss dies für die Abgeordneten gelten, die ja immerhin über dieses Vertragswerk abstimmen sollen. Und das, was ihnen da eingeräumt wird, kann doch wahrlich nicht mit dem Begriff „umfassende Information“ bezeichnet werden! Eine begrenzte Anzahl von Abgeordneten darf für einen begrenzten Zeitraum Einsicht in ein höchst kompliziertes, in einer Fremdsprache und innerhalb derer noch in einer Fachsprache abgefasstes Dokument nehmen, ohne sprachliche und fachliche Assistenz und Beratung. Wollen Sie das ernsthaft „Information“ nennen?
    Außerdem weisen Sie darauf hin, dass Vertragsverhandlungen üblicherweise nicht in der Öffentlichkeit geführt würden. Dem kann ich noch folgen, auch wenn ich in diesem Fall für Öffentlichkeit plädiere, weil dieser Vertrag uns als Staatsbürger und Steuerzahler direkt betrifft. Aber, soweit ich informiert bin, war es doch bisher üblich, dass den Vertragspartnern selbst das Recht zustand, sich über den von ihnen zu unterzeichnenden Vertrag nicht nur zu informieren, sondern diesen auch gemeinsam mit der Gegenseite auszuhandeln. Und da müssten Sie als Anhänger der repräsentativen Demokratie doch ein Interesse daran haben, dass Ihre Vertreter in die Lage versetzt werden, Ihre Interessen angemessen zu vertreten. Otto Normalverbraucher wird immer eingaschärft, er solle sich vor einem Vertragsabschluss das Kleingedruckte genau durchlesen. Und ein so wichtiger Vertrag müsste mit Sicherheit in der eigenen Muttersprache vorliegen und man hätte die Möglichkeit, Rücksprache mit Beratern zu nehmen.

    Zudem weisen Sie darauf hin, dass

  26. @ P. Boettel 6. Februar
    „es ist bekannt, wer in den Schiedsgerichten sitzt, weil es diese bereits seit vielen Jahren – insbesondere nach der Entlassung von Staaten aus der Kolonie in die Selbständigkeit – gibt.“
    Sagen Sie uns bitte wer darin sitzt. Den meisten Menschen ist das nicht bekannt.
    Ich wundere mich, dass Sie einen Zusammenhang zwischen der Dekolonisation und internationalen Schiedsgerichten herstellen. Wenn ich richtig informiert bin, ist die Schiedsstelle auf Betreiben Deutschlands eingerichtet worden.

  27. @ werner h. 6. Februar
    Sie lesen Zeitungen und schauen politische Magazine und Talkshows und haben Zukunftsangst. Ich versuche, die Quellen zu lesen und bin meistens eher gelassen und amüsiert. Vielleicht ist das eine zufällige Korrelation oder doch Ursache und Wirkung.

  28. Alle paar Jahre werde ich als Aufsichtsratsmitglied dazu aufgerufen dem Vorstand (Bundestag/Länderkammern) zu entlasten. Wir nennen es, glaube ich, „Wahl“. Unser Vorstand ist so Nett und belastet uns nicht mit einem vollständigem Tätigkeitsbericht sondern ist der Meinung dass uns bestimmte Beschlüsse seinerseits nur verwirren (Geheimverträge). Der größte Teil unserer Mitglieder ahnt nichts Böses und entlastet unseren Vorstand ohne sein Gehirn mit Nachdenken zu belasten (heruntergewirtschaftetes Bildungssystem, Ohren mit Stöpseln versehen). Einige wenige versuchen den Vorstand durch etwas sozialer denkende Mitglieder auszutauschen (leider zu wenige). Zurzeit geht es unseren Vorstandsmitgliedern mit TTIP also nicht anders als uns Aufsichtsratsmitgliedern, sie lernen das Kennen was sie uns als Demokratie verkaufen.
    Mich würde interessieren wie unsere Abgeordneten, die im Leseraum in der Kürze der Zeit kaum über das Inhaltsverzeichnis dieses Prächtigen Vertragsentwurfs hinauskommen, über die Inhalte des Vertrags beraten sollen da sie nicht plaudern dürfen? Und noch etwas bringt meinen Magen zum rebellieren: TTIP schreibt Verbindlich den einklagbaren Investorenschutz vor, Abkommen im Sinne des Klimaschutzes sind hingegen unverbindlich und nicht einklagbar. Wenn also in D ein Gesetz zu Klimaschutz (bei einem hellen Moment im Kopf unserer Vorstandsmitglieder) verabschiedet würde was Investitionen unrentabel macht, darf das Aufsichtsratsmitglied in seiner Funktion als Steuerzahler mit abgesprochenem Verstand, die Zeche bezahlen.
    Kapital schlägt Menschlichkeit, ein € ist eben mehr Wert als ein Menschenleben das durch vermeidbare Umweltschädigung beendet wird.

  29. @ W. Geuer 6. Februar
    Ich glaube nicht, dass die Zulassung der Öffentlichkeit der entscheidende Unterschied zwischen Schiedsgerichten und den „normalen“ Gerichten ist. Bei normalen Gerichten kann die Öffentlichkeit auch ausgeschlossen werden.
    Es wird m. E. auch kein neues Rechtssystem geschaffen.
    Wie beurteilen Sie denn folgenden Fall:
    In Spanien wurde einige solarthermische Kraftwerke gebaut, in die u. a. die Stadtwerke München über 60 Millionen Euro investiert haben. Der spanische Staat hatte für 20 Jahre Subventionen zugesagt. Im Rahmen der Finanzkrise hat der spanische Staat die Subventionen gestrichen. Die Kraftwerke erwirtschaften nur noch die Betriebskosten und die Investionen sind für die Stadtwerke München verloren. Halten Sie es für gerechtfertigt, dass sie auf Investionsschutz klagen? Wo würden Sie klagen, wenn Sie die Wahl hätten: vor einem spanischen Gericht oder vor einer Schiedsstelle, wo beide Seiten einen Richter selber benennen können und sich auf den dritten einigen?
    Wenn die EU-Kommission, die ich für demokratisch legimitiert halte, die Verhandlungsführerschaft an Handelskammern und Wirtschaftsverbände delegiert hat, stimme ich Ihrer Kritik zu. Nur möchte ich das zuvor zweifelsfrei belegt haben.

  30. zu Henning Flessner
    5. Februar 2016 um 19:42:

    Sie schreiben: „Es sind Geheimverhandlungen und Sie wissen genau, wer mit am Tisch sitzt.“

    Es sind Ignacio Garcia Bercero für die EU und Dan Mullaney für die USA.

    Vielleicht gewähren dise beiden Herren Ihnen Einsicht in die Vertragsunterlagen, und Sie können uns informieren, dies wäre wenigstens ein Fortschritt in Sachen Transparenz.

  31. @ P. Boettel, G. Sturm, W. Geuer, B. Ernst
    Ich gehe davon aus, dass das Verhandlungsergebnis vom Bundestag bzw. Europäischem Parlament genehmigt werden muss und vorher veröffentlicht wird. Sonst würde ich mich Ihrer Kritik anschliessen.

  32. zu Henning Flessner, 7. Februar 2016 um 13:32:

    Zunächst Entschuldigung für den Schreibfehler im vorherigen Kommentar, es muss natürlich „diese“ statt „dise“ heißen, bevor Sie mir daraus einen Strick drehen.

    In den Schiedsgerichten sitzen – nur – drei Anwälte aus hochbezahlten überwiegend amerikanischen Anwaltskanzleien; die Rollenverteilung Richter, Kläger, Verteidiger wechselt oft zwischen den gleichen Anwälten (also keine öffentlichen Richter).

    Wie Wolfgang Geuer erwähnt, können nur die Investoren Staaten verklagen, nicht umgekehrt. Haben die Klagen Erfolg, kassieren die Anwälte einen hohen Anteil der eingeklagten Summe, oft mehrere Hundert Millionen Dollar. Allein der Stundensatz liegt bei mehreren Hundert Euro.

    Es trifft zu, dass Deutschland 1959 als erstes Land mit Pakistan ein sog. Investorenschutzabkommen abgeschlossen hat, um die damals erstarkende deutsche Industrie vor Enteignungen zu schützen, und dieses Beispiel machte Schule, besonders dort, wo Länder versuchten, ausländische Firmen zu enteignen, wie bereits oben erwähnt.

    Es gibt Hunderte von Beispielsfällen, in denen Konzerne Staaten erfolgreich vor solchen Schiedsgerichten verklagt haben, allein schon um Gewinnerwartungen durchzusetzen; es muss nicht einmal wie in unserem BGB ein tatsächlicher Schaden entstanden sein.

    Und dieses Beispiel, dass ein Privatmann wie Sie oder ich oder ein Mittelständler vor ausländischen öffentlichen Gerichten keine Chance hätten, wird häufig, u.a. von Gabriel, erwähnt. Aber weder Sie noch ich hätten eine Chance vor einem Schiedsgericht, weil weder wir noch der Mittelständler uns eine Klage vor einem solchen Schiedsgericht leisten könnten.

  33. „Wie Wolfgang Geuer erwähnt, können nur die Investoren Staaten verklagen, nicht umgekehrt.“ Wenn sich die Schiedstelle um nur Investitionen kümmert, wie sollte dann die Klage eines Staates aussehen?
    Mir geht es aber in meinen Kommentaren um etwas anderes. Ich habe einfach das Gefühl, dass es eigentlich egal ist, was im Abkommen steht. Viele wollen es auch gar nicht wissen, da sie jetzt schon wissen, dass sie dagegen sind, was immer drinsteht.
    Ich verabschiede mich von der Diskussion zumindestens solange bis der Text veröffentlicht wird.

  34. Lieber Henning Flessner,

    Sie haben meinen Beitrag vom 7. Februar, 12.39 Uhr nicht beantwortet. Ich schließe daraus, dass Sie es nicht für geboten halten, dass Vertragspartner (in diesem Fall das Parlament der BRD) ein Informations- und Mitspracherecht bei der Entstehung des Vertrages, den sie unterzeichnen sollen, haben müssen. Natürlich wird der Inhalt des Vertrages den Vertragspartnern kurz vor der Unterzeichnung vorliegen, aber dann kann nichts mehr daran geändert werden, und man kann sich vorstellen, wie die Parlamentarier durch Fraktionszwang etc. unter Druck gesetzt werden, damit sie ihn, auch wenn sie noch Einwände haben, unterzeichnen. Dann ist es leider zu spät. Deswegen ist eine Diskussion zumindest der Abgeordneten untereinander im Vorfeld dringend geboten.
    Ich wundere mich, Herr Flessner, über Ihre Autoritätsgläubigkeit, die offenbar davon ausgeht, dass die Obrigkeit es schon richten wird. Als mündiger Bürger sollte man meiner Ansicht nach wachsamer sein.

  35. nur noch einmal zu Henning Flessner:

    wenn der Text veröffentlicht wird, ist die Sache gelaufen, dann ist alles zu spät, und die Befürworter sagen, wie bei Stuttgart 21, beschlossene Regelungen seien nicht mehr zu ändern oder außer Kraft zu setzen.

    Dann kann auch der Bundestag nach Hause gehen; denn die Entscheidungen werden bei BlackRock, KKR und anderen amerikanischen Konzernen getroffen, evtl. mit Gabriel in der Deutschlanddirektion.

  36. Zu Henning Flessner
    Die angesprochenen Schiedsgerichte sind eben nicht nur nicht öffentlich und damit rechtsstaatlich indiskutabel, vielmehr habe ich auch darauf hingewiesen, dass die betroffenen Vertragsstaaten mit dem beabsichtigten Konzernklagerecht jenseits der eigenen Rechtsnormen Investoren Sonderrechte einräumen, und damit die bestehende Gesetzgebung unterlaufen sowie den gesetzgeberischen Willen der Gesetzgebungsorgane ignorieren. In einem Gutachten des ehemaligen Richters am BVG, Broß, CSU, kommt dieser zu der Auffassung, dass die von CETA und TTIP vorgesehenen privaten Schiedsgerichte grundgesetzwidrig sind. Aber ich bin mir sicher, angesichts ihres heiteren Optimismus wird sie das nicht erschüttern. („Der hat ja nur Angst, dass ihm die Arbeit ausgeht.“)

    Wie gefällt ihnen denn der folgende Fall: Rumänien wurde vom ICSID-Schiedsgericht in Washington 2013 zu einer Strafe von rund 250 Millionen Dollar verurteilt. Das Land an die Micula-Brüder diese Summe zahlen, weil es ihnen ursprünglich zugesagte Subventionen wieder gestrichen hat. (Die findigen, rumänischen Brüder hatten sich ein schwedisches Unternehmen gekauft, um darüber staatliche Subventionen zu erhalten, die sie als rumänisches Unternehmen nie erhalten hätten.) Beendet worden war der staatliche Geldsegen auf Druck der EU-Kommission. Die hatte das Streichen von Subventionen zu einer Voraussetzung für den Beitritt Rumäniens gemacht, was wiederum den Miculas missfiel. Die Brüder klagten deswegen vor dem internationalen Schiedsgericht und beriefen sich dabei auf ein bilaterales Investitionsschutzabkommen, das Rumänien mit Schweden abgeschlossen hatte. Vor die Wahl gestellt, sich zwischen der Kommission in Brüssel und dem Gericht in Washington zu entscheiden, wählte die rumänische Regierung Washington. Hätte sie den ICSID-Schiedsgerichtsspruch missachtet, wäre sie Gefahr gelaufen, dass die Kläger das Urteil in den USA vollstrecken und rumänisches Staatseigentum hätten pfänden lassen.

    Auch interessant: Eine Hamburger Behörde verändert auf Druck der Bundesregierung die Umweltauflagen für einen schwedischen Konzern (Vattenfall, Kraftwerk Moorbach), die zuvor von der Umweltpolitik in Hamburg in Form strenger Umweltauflagen eingeführt worden waren, weil Vattenfall Deutschland vor einem privaten Washingtoner Schiedsgericht verklagt hat. Und nun wird die Bundesrepublik deswegen wiederum von der EU-Kommission verklagt. Mit der Folge, das entweder die Auflagen wieder verändert werdern oder es drohen Strafzahlungen der EU.

    Oder: Der Tabakkonzern Philip Morris klagt gegen Australien auf Zahlung einer noch nicht exakt bezifferten Summe von mehreren Milliarden Dollar. Die australische Regierung hatte angeordnet, dass Zigaretten nur noch in neutralen Packungen ohne Markenlogo jedoch mit Konzernnamen verkauft werden dürfen.

    Wenn also ein Gemeinwesen sich bewusst für umweltfreundliche Energiegewinnung, gegen gezielt „organisierte“ Subventionen oder gegen Werbestrategien von Tabakkonzernen entscheidet, genügt ihnen nicht, Herr Flessner, Konzerne vor ordentlichen und unabhängigen Gerichten klagen zu lassen? Was befürchten sie?

    Bei der von ihnen verharmlosten, privaten Schiedsgerichtsbarkeit handelt es sich um eine Schattenjustiz ohne Rechtsmittel, ohne Berufung, ohne Revision. Bestehende, nationale Gesetze spielen keine Rolle. Schutz der Bürger oder der Umwelt auch nicht. Es zählt nur das Eigentum der Investoren.

  37. Bravo Wolfgang Geuer und danke für die Erläuterungen.

    Die von Ihnen genannten Beispiele lassen sich noch um weitere Skandale fortsetzen.

    Wann läuten endlich die Alarmglocken bei den Politikern, die immer noch glauben, TTIP, Ceta, Tisa etc. wären ein Segen für uns?

    Die Katholiken würden dazu sagen: denen ist mit einer gesegneten Kerze nicht zu helfen;
    Napoleon sagte: dagegen (Dummheit) kämpfen selbst Götter vergebens;
    und die Schwaben von den Fildern sagen: dagegen ist kein Kraut gewachsen.
    Vielleicht lässt sich der Begriff „Dummheit“ auch gegen „Korruptheit“ austauschen.

  38. Lieber Peter Boettel,

    auch ihnen Dank für ihre Erläuterungen. Drücken wir uns die Daumen, dass die berechtigte Skepsis der Bürger sich gegen die Ignoranz der EU-Kommission und der meisten unserer Politiker aber auch gegen geballte einzelwirtschaftliche Interessen durchsetzt.

  39. @ Brigitte Ernst
    Liebe Frau Ernst, es gibt in der EU vermutlich einige tausende Abgeordnete in den Parlamenten und ich kann mir nicht vorstellen, wie man die alle an den Verhandlungen beteiligen kann. Ich habe schon viele Verhandlungen in meinem Berufsleben geführt. Es ist immer ein Geben und Nehmen. Jede Seite versucht, natürlich mehr zu nehmen als zu geben. Wenn meine Kollegen unsere Verhandlungsstrategie vor den Ohren der Gegenpartei besprechen würden, bliebe uns wohl nur noch das Geben.

  40. Hallo Herr Flessner, das Ergebnis spricht jedoch nicht für private Schiedsgerichte, denn weitere Klagen unter Umgehung nationaler Gesetze stehen an z. B. gegen Uruguay. Dass sich im Falle Australiens das Schiedsgericht nicht zuständig fühlte, weil Philip Morris zu spät in Honkong ansässig wurde, ist nur dem fehlenden strategischen Geschick des Konzerns geschuldet.

    Wie heißt es treffend in der Zeit (März 2015):
    „Wenn die private Schiedsgerichtsbarkeit weiter ausgebaut wird, wird sie noch für viele teure und bizarre Rechtsfälle sorgen“. Dem könnte man nur nur noch ergänzend die grundsätzlichen Bedenken gegen private Schiedsgerichte, die nun ausreichend diskutiert wurden, hinzufügen.

  41. @ Henning Flessner

    Das Problem ist doch, wer hier überhaupt als „Partei“ angesehen wird, d.h. mit am Verhandlungstisch sitzt. Und das ist kein einziger demokratisch gewählter Abgeordneter, weder des europäischen noch irgendeines nationalen Parlaments. Wie kann ein Vertrag zwischen Völkern oder Völkergemeinschaften entwickelt werden, ohne zumindest eine Abordnung der Vertreter dieser Völker bei dessen Aushandlung zu beteiligen?

    Noch eine Ergänzung zu den Schiedsgerichten:
    Ein wichtiger Unterschied zur staatlichen Gerichtsbarkeit ist auch das Fehlen einer Revisionsmöglichkeit bei den Schiedsgerichten.

  42. @ Brigitte Ernst
    Soviel ich weiss, werden Verhandlungen in der Regel von Ministralbeamten geführt oder kennen Sie Beispiele wo Abgeordnete die Verhandlungen geführt haben?

    Ich sehe nicht, dass die fehlende Revisionsmöglichkeit ein wichtiger Unterschied ist. Im deutschen Zivilrecht gibt es die Möglichkeit der Revision praktisch auch nicht.
    „Die Revision ist im Zivilprozess nicht ohne weiteres zulässig. Sie muss im Berufungsurteil vom Berufungsgericht zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert.“ (Wikipedia)

    Ich habe übrigens nirgends gesagt, dass ich Schiedsgerichte generell vorziehe. Ich habe mich nur gegen die Schwarz-Weiss-Malerei gewandt, dass Schiedsgerichte etwas Teuflisches seien. Deutschland hat 129 Investitionsschutzabkommen abgeschlossen. Vermutlich wurden in allen Schiedsgerichte vereinbart und bisher hat niemand darin ein Problem gesehen.
    Firmen, die in internationalen Geschäften tätig sind, vereinbaren häufig den Rechtsweg auszuschliessen und einigen sich auf Anrufung von Schiedstellen z. B. die Internationale Handelskammer in Genf.

  43. Um die TTIP-Verhandlungen hat sich ein Nebel gebildet, in dem beim Herumstochern jeder nach eigenem Gusto eine Schattierung der Farbe Grau von Schwarz bis Weiß erkennen darf. Hierauf wie auch auf Herrn Flessners Totschlagargumente ist’s müßig einzugehen.

    In der Diskussion um die Schiedsgerichte verweise ich auf Art. 92 GG:

    „Die rechtsprechende Gewalt ist den Richtern anvertraut; sie wird durch das Bundesverfassungsgericht, durch die in diesem Grundgesetze vorgesehenen Bundesgerichte und durch die Gerichte der Länder ausgeübt.“

    Wer unter den Stichwörtern „ttip grundgesetz“ googelt, stößt auf die Meinungsbeiträge verschiedener Experten, deren Kompetenz ich nicht einzuschätzen vermag. Der Tenor, soweit ich überblickt habe, lautet jedenfalls, daß TTIP im Hinblick auf die Schiedsgerichte unter Zugrundelegung mehrerer Grundgesetzartikel verfassungswidrig sei.

    Ob wir uns jetzt beruhigt zurücklehnen und abwarten können, da habe ich allerdings auch so meine Zweifel. Wie leicht man die Handlungsfähigkeit eines Verfassungsgerichts einschränken kann, haben die Polen unlängst den staunenden Europäern vorgemacht. Dem einfachen Wahlvolk hierzulande kommt immerhin die Macht zu, bei der nächsten Bundestagswahl keine Parteien zu wählen, die TTIP gut finden. Ob bis dahin noch ein Sinneswandel innerhalb der Regierungsparteien stattfindet, daran darf gezweifelt werden.

  44. @ m. petersmark
    Nach Wikipedia dienen Totschlagargumente der Herabsetzung der Gesprächspartner. Ich ziehe daher meine Totschlagargumente mit dem Ausdruck des grössten Bedauern zurück und gelobe Besserung.

  45. @ Henning Flessner

    Ich hätte nicht gedacht, daß Sie die Erläuterungen, die Wikipedia zu dem Stichwort vorhält, nicht verstehen. Die richtige Konsequenz wäre, sachbezogen und auf die Zukunft gerichtet zu argumentieren.

  46. Henning Flessner:

    am 07. Februar haben Sie geschrieben, Sie würden sich aus der Diskussion verabschieden, bis Sie den Text von TTIP gelesen hätten; daher die Frage, ob Sie zwischenzeitlich den Text gelesen haben, da Sie weiterdiskutieren?

  47. Ich hatte nicht vor, weiter zu diskutieren, aber Brigitte Ernst meinte, dass ich ihr noch eine Antwort schulde. Da Sie immer höflich bleibt, hätte ich es als unhöflich empfunden, ihr nicht zu antworten.

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