Wenn die CSU in Klausur geht, kann Deutschland sich warm anziehen. Und die Merkel in Berlin, die mit ihrem „Wir schaffen das“, erst recht. Dachte sich wohl der Seehofer Horst, trommelte seine Truppe im oberpfälzischen Schwarzenfeld zusammen und ließ sie über ein „Grundsatzpapier“ beraten. Das Ergebnis ist ein Forderungskatalog, der vor allem auf Härte, also auf Abschreckung setzt. Damit ist kein einziger neuer Lehrer eingestellt, kein weiterer Deutschkurs angeboten, keine neue Wohnung gebaut, keine Kita neu eingeweiht, kurz: Keine einzige der Forderungen hat die Integration der Flüchtlinge im Blick. Es geht einzig und allein darum, den Zugang von Flüchtlingen nach Deutschland zu begrenzen. Was mit den Menschen passiert, sobald sie im Land sind – und das ist ja derzeit das eigentliche Problem -, interessiert die Strategen von der CSU offenbar nicht. Der Verdacht liegt nahe, dass ihr Forderungskatalog mehr auf die Gemütslage der Biodeutschen bzw. der Biobayern zielt. Die CSU meint, sich mit harten Positionen profilieren zu können. Dabei interessiert es anscheinend niemanden in der Partei, dass Positionen der AfD übernommen werden, wie Burhan Kesici es formulierte, der Vorsitzende des Islamrats, der das Papier der CSU diskriminierend und kontraproduktiv nannte. Unverhohlen betreibt die CSU das Geschäft mit der Angst. Und redet dabei auch noch von Leitkultur!
FR-Autorin Daniela Vates hat mal aufgelistet, was an den Forderungen der CSU eigentlich dran ist. Die Partei fordert „Transitzonen“ an den Grenzen und eine Obergrenze für den Zuzug von Menschen. Beides ist verfassungsrechtlich fragwürdig. Ferner will man den Begriff „Leitkultur“ in die bayrische Verfassung aufnehmen, scheint aber selbst nicht genau zu wissen, was das eigentlich ist: „Freiheit und Demokratie, die Wirtschaftsordnung und die Lebensweise des Landes“ heiße es aus der CSU, schreibt Vates. Dann gibt es Passagen, in denen nichts Neues zum geforderten Burkaverbot und zu Badezeiten in deutschen Schwimmbädern steht. „Kinderehen, Mehrehen und Zwangsehen werden nicht geduldet“, schreibt die CSU. Richtig: In Deutschland darf erst mit 18 Jahren geheiratet werden, in Ausnahmefällen mit 16 Jahren. Die rechtliche Grundlage, um gegen Kinderehen vorzugehen, existiert also bereits. Nichts Neues gibt es auch zum Thema Straftäter unter den Flüchtlingen: „Wir wollen keinen Import von Kriminalität.“ Wer will das schon? Die rechtlichen Grundlagen, um straffällig gewordene Zuwanderer auszuweisen, wurden bereits verschärft.
Das größere Integrationshemmnis
So weit, so ausgetreten. In Maßen interessant dürfte eine Debatte darüber werden, ob die doppelte Staatsbürgerschaft ein Integrationshemmnis ist oder nicht. Zu vermuten ist allerdings, dass die Forderungen der CSU, die allein auf Strafen setzt, das größere Integrationshemmnis bedeuten. Vor allem da sie noch nicht begriffen zu haben scheint, dass Zuwanderung aus jenen Weltregionen geschieht, in denen Kriege toben, und nicht aus dem „christlichen Abendland“, aus dem die CSU Zuwanderer bevorzugt aufnehmen möchte. Zudem dürfte eine Selektion nach Religionszugehörigkeit ebenfalls verfassungswidrig sein. Immerhin erhält man auf diese Weise ein Indiz, was die CSU unter „Leitkultur“ versteht: Bei aller Unschärfe ist sie auf jeden Fall christlich. Damit zeigt sich wiederum, dass die CSU mit dem Grundgesetz auf dem Kriegsfuß steht, denn die dort formulierten Werte einschließlich der Religionsfreiheit sind säkulare Werte, die in hohem Maße gegen den Widerstand des Christentums erkämpft wurden, auch wenn heutige Christen und ihre Würdenträger sich damit identifizieren.
„Integration ist zuallererst eine Bringschuld“, schreibt die CSU in ihrem Papier. Das ist ein interessanter Satz, vielleicht der interessanteste des ganzen Papiers, weil er glasklar und einseitig Verantwortung zuweist. Ebenso glasklar dürfte allerdings auch feststehen, dass die Voraussetzungen dafür, dass die Zuwanderer ihre Bringschuld einlösen können, vom deutschen Staat geschaffen werden müssen, sprich: Deutschkurse, Wohnungen, Arbeitsplätze etc. Es spricht Misstrauen gegenüber den Zuwanderern aus diesem Satz: Die wollen sich eigentlich nicht integrieren, sondern sie wollen hier ihre Parallelgesellschaft ausbauen, die wir hier und da schon heute beobachten können. Auch in diesem Punkt gilt: Die CSU formuliert in ihrem Papier keine einzige Maßnahme, die helfen könnte, die Bildung oder Weiterentwicklung dieser Parallelgesellschaften zu verhindern. Dass die Polizei personell verstärkt wird, ist schon seit längerem beschlossene Sache, aber wo bleiben beispielsweise Streetworker-Programme, mit denen womöglich wirkungsvoll etwas erreicht werden könnte? Kein Wort davon im „Strategiepapier“ der CSU, das also bei Lichte betrachtet reichlich schwachbrüstig daherkommt, auch wenn der Seehofer Horst sich mal wieder ziemlich breitschultrig hingestellt hat, als er die Nachricht verkündet hat.
Deutschland war völlig unvorbereitet
Etwas anderes hingegen finde ich hochinteressant: Die CSU macht einen Unterschied zwischen Zuwanderern und Flüchtlingen. Zwar ist sie diejenige Partei, die sich von je her dagegen gewehrt hat anzuerkennen, dass Deutschland ein Einwanderungsland ist und daher ein Einwanderungsgesetz braucht, um diese Entwicklung steuern zu können. Also ist sie mit Schuld daran, dass Deutschland im vergangenen Herbst auf dem Höhepunkt des Flüchtlingszustroms völlig unvorbereitet war. Ihr – und ihrer Schwesterpartei CDU – ist es anzulasten, dass Einwanderungspolitik in Deutschland mit den Mitteln des Asylrechts gemacht werden musste. Es ist gut, wenn die CSU nun einsieht, dass Deutschland mehr braucht. Noch besser wäre es allerdings, wenn die CSU – anstatt in populistischer Weise Forderungen aufzureihen, die bereits erfüllt sind – zu den Werten dieses Landes stehen würde. Sie könnte schlicht sagen:
Es verstand sich von selbst, dass wir vor einem Jahr all die Flüchtlinge aufgenommen haben, denn dies war ein notwendiger humanitärer Akt, mit dem wir gezeigt haben, dass wir es ernst meinen mit den westlichen Werten. So, und jetzt genug gelabert – packen wir es endlich an und gestalten wir unsere gemeinsame Zukunft mit den Flüchtlingen.
So was wird man aus der CSU natürlich niemals hören, denn dann könnte sie ja auch gleich sagen: Wir schaffen das.
Leserbriefe
Jürgen Kinkel aus Maintal meint:
„Nicht die Burka und das Kopftuch, sondern die aggressive Sepplifizierung der Bundesrepublik ist eine Bedrohung für die Vielfalt der deutschen Leitkultur. Ich fordere deshalb ein Lederhosen- und Dirndlverbot außerhalb des Gebietes Altbayerns, selbstverständlich auch ein Verbot der Lockangebote und des billigen Verkaufs solcher gefährlicher Accessoires durch die Discounter. Ungefestigte junge Leute könnten sonst leicht in einer dumpfen Welt der Provinzialität, des Besserwissens, des falschen Stolzes, des Eigennutzes, der Hartherzigkeit, des Bierdunstes und der Jodlmusik versinken und so ihre Zukunft verspielen. Die Folgen der Versepplung kann man an der 1806 vom Königreich Bayern annektierten fränkischen Stadt Nürnberg beobachten. Ich sage nur: Söder!
Über eine Pflicht zu Sprachkursen für CSU-Mitglieder, die im übrigen Deutschland arbeiten wollen (hochdeutsch zu sprechen ist eine Bringschuld), denke ich noch nach.“
Manfred Schulz aus Herford:
„Zwar versucht die CSU mit ihren Aussagen zu Leitkultur und Einwanderung deutlicher Position zu beziehen, aber irgendwie bleibt das alles schwammig und löst Fragen aus. Wenn die CSU 200.000 Flüchtluinge pro Jahr ins Land lassen will, was macht sie, wenn der zweihundertausendunderste an der Grenze steht? Der Seehofer Horst hat ja mal gesagt, dass er sich bis zur letzten Patrone gegen eine Zwanderung in die deutschen Sozialsysteme sträuben will. Steht er dann als Rambo an der Grenze und ballert rum?
Und was heißt Leitkultur für die Partei? Sich an die Gepflogenheiten, die Lebensweise des Landes halten, heißt es? Wenn man sich vor Augen führt, wie gerne CSUler angetrunken Auto fahren, wird das schwierig werden für dem Alkohol doch häufig kritisch gegenüberstehende Moslems. Aber vielleicht wird „Saufen“ Teil der Integrationskurse.
Die doppelte Staatsangehorigkeit wird abgelehnt. David McAllister von der CDU und EX-Ministerpräsident von Niedersachsen hat jetzt sicher schlaflose Nächte, was aus ihm wird: Er hat auch die britische Staatsangehörigkeit.
Bei einem Aspekt sehe ich allerdings keine Probleme: Die CSU betont die Verwurzelung im christlich-abendländischen Kulturkreis und will aus ihm stammende Migranten bevorzugen. Ich lasse jetzt einfach mal den christlichen Kolonialismus und die christliche Sklaverei unberücksichtigt. Aber 2000 Jahre christlicher Antisemitismus sind etwas, mit dem so mancher muslimische Flüchtling kompatibel sein dürfte.
Und übrigens: Menschen nach einem Kriterium (hier wohl die Religion) auszuwählen, nennt man Selektion. Die CSU ist eben eine sehr deutsche Partei.“
Und wer schützt uns vor einem Söder, der die EU-Kommission deswegen kritisiert, weil sie ausnahmsweise mal das Richtige tat, nämlich von Apple die notwendigen Steuern zu verlangen.
Es ist längst an der Zeit, der politischen Sondertruppe aus dem Süden das direkte Mitspracherecht in Berlin zu verweigern.
Die beiden Schwesterparteien sollten sich voeinander lösen und auf eigene Rechnung in den Bundesländern agieren.
Toll, endlich mal wieder so ein paar Multikulti – Integrations – Befürworter. Lange nichts mehr von denen gehört. Heute gibt es keinen Kommentar von mir, sondern nur den Verweis auf Literatur zum Thema, insbesonders zu dem, was Herr Schulz so zum Besten gibt (ja, so wie Sie es mit anderen Worten sagen Herr Schulz: der Islam ist faschistoid und ja, er ist antisemitisch und hatte sehr, sehr eng mit den deutschen Faschisten zusammengearbeitet und wie ihren Herrn Mohamed verehren Sie auch heute noch einen gewissen Herrn Hitler (nahezu gleichberechtigt) und trotzdem wollen Sie diese Menschen integrieren, die vom Islam zwingend angehalten sind, so zu leben? Das ist verfassungsfeindlich und unterliegt der strafrechtlichen Verfolgung verehrter Herr Schulz). Die von Abdel-Samad, einem insbesonders von der deutschen Bundesregierung als Sachverständigen hochgeschätzten Muslim mit dem Titel: „Der islamische Faschismus“ (erschienen bei Droemer) und die Augabe des Briten Harry Richardson, der seine Ausführungen im Wesentlichen auf die Studien des Bill Warner basieren lässt mit dem Titel: „Mohammeds Geschichte entschleiert den Islam“ siehe hierzu u.a. : https://islamentschleiert.wordpress.com Beide zeigen – unabhängig voneinander – auf, dass der Islam weder mit demokratischen Strukturen vereinbar noch deren Befürworter in ein System integriert werden kann, das nicht Islam heisst (Es ist Arbeit Herr Schulz (es sind 216 und 130 Seiten zu lesen) aber man wird in den Argumenten mit überprüfbaren Beweisen ein klein wenig zurecht gerückt, wenn man glauben machen will, dass der Islam etwas Tolles sei – ist er leider nicht.
Zu dem vorangegangenen Kommentar von bun erfolgt hier eine klare Distanzierung. Es nervt mich als Agnostiker immer wieder, Religionen verteidigen zu müssen, aber in meiner Funktion als Autor und Moderator dieses Forums tue ich dies natürlich trotzdem im Bewusstsein der Tatsache, dass die Religionsfreiheit ein vom Grundgesetz geschütztes Gut und damit ein Teil der westlichen Werte ist.
Klarstellung: Thesen wie „Der Islam ist faschistoid“ sind nichts anderes als blanke Hetze und zudem rassistisch, da sie ein Etikett, das für Teile islamischer Gesellschaften und Denkweisen durchaus gelten mag, für den gesamten Islam und alle Muslime als gültig erklären. Die Verehrung, die gewisse Muslime unleugbar Hitler entgegenbringen, erklärt sich mehr aus dem aktuellen Nahost-Konflikt als aus den Schriften Mohammeds. Unerträglich sind Worte wie diese von bun:
„Beide [Autoren] zeigen – unabhängig voneinander – auf, dass der Islam weder mit demokratischen Strukturen vereinbar noch deren Befürworter in ein System integriert werden kann, das nicht Islam heisst.“
Hier im FR-Blog wurde oft genug über „den Islam“ gestritten. Bei aller Uneinigkeit dürfte Einigkeit darüber bestehen, dass es „den Islam“ nicht gibt. Wie in allen Denksystemen gibt es unter Muslimen Liberale, Gemäßigte, Konservative und Extremisten. Es gibt Schiiten, Sunniten, Ahmadiyya, Alawiten und noch etliche Strömungen mehr, die sich teilweise spinnefeind sind und sich gegenseitig umbringen. Das Schlimmste an solchen apodiktischen Aussagen wie denen, die bun da widergekäut hat, ist aber, dass sie einer Erkenntnis der Aufklärung widersprechen und damit voraufklärerisch und quasi selbst totalitär sind: Der Mensch ist lernfähig.
Einer Gruppe von Menschen die Fähigkeit zu lernen und sich weiterzuentwickeln grundsätzlich abzusprechen, weil sie in einem bestimmten Denksystem verhaftet ist, ist Hetze.
Bereits die Vorgängerpartei der CSU während der Weimarer Republik zeichnete sich durch folgenschwere Sondergänge aus:
So votierte sie bei der Reichspräsidentenwahl 1925 gegen den Kandidaten ihrer Schwesterpartei Zentrum, Wilhelm Marx, und unterstützte den senilen Paul von Hindenburg, der auf eine Restaurierung der Monarchie und Ausschaltung der Sozialdemokratie hinwirkte, später mit Notverordnungen ein Präsidialregime installierte und schließlich Hitler zum Reichskanzler ernannte.
@Peter Boettel
Bei der Reichspräsidentenwahl stimmten («votierten») die Bürger und nicht die Parteien. Die Wahlempfehlung der Bayrischen Volkspartei hätte für eine Wahl P. von Hindenburgs wohl nicht gereicht. Dazu bedurfte es auch der Weigerung antiklerikaler Liberaler und SPD-ler den Katholiken W. Marx zu wählen sowie die unsinnige Aufrechterhaltung der Kandidatur E. Thälmanns durch die KPD.
@ bun/ Bronski
Bronski zitiert als „unerträglich“ vor allem folgenden Satz aus buns Beitrag:
„Beide zeigen – unabhängig voneinander – auf, dass der Islam weder mit demokratischen Strukturen vereinbar noch deren Befürworter in ein System integriert werden kann, das nicht Islam heisst.“
„Beide“ bezieht sich dabei u.a. auf den von bun verlinkten Kommentar zu Harry Richardson, “Mohammeds Geschichte – entschleiert den Islam” (https://islamentschleiert.wordpress.com)
Zur Klärung sei der Äußerung von bun ein Zitat aus diesem Kommentar gegenübergestellt:
„Es geht an keiner Stelle darum, die Gläubigen zu bewerten, sondern immer um den Islam als Glaubenssystem selbst.“
In der oben zitierten Äußerung tut bun exakt das, was der Kommentator ausdrücklich zurückweist, nämlich aus der Kritik an einem abstrakten Glaubenssystem (das im Falle des Islam in solcher allgemeingültigen Form gar nicht existiert) eine verallgemeinernde Bewertung aller Muslime abzuleiten. Und er meint darüberhinaus, apodiktisch auf deren konkretes künftiges Verhalten schließen zu können (Unfähigkeit zur Integration).
Wer auch nur mit elementarsten Regeln der Argumentationslehre vertraut ist, weiß, dass solche Schlussfolgerungen schon rein logisch unzulässig sind – von der Menschenverachtung, die sich in solchen Denkweisen ausdrückt, nicht zu sprechen.
Lieber Bronski, ich meine, dass solche Selbstentlarvung eines Denkens, das für Rechtspopulisten charakteristisch ist, durchaus der Diskussion in diesem Blog dienlich sein kann.
@ Bronski
Zu Ihrer Kritik an bun:
Sie sollten aufhören, mit der Rassismuskeule um sich zu schlagen. Eine Kritik am Islam – so undifferenziert sie auch sein mag – ist kein Zeichen von Rassismus, weil Rassismus von Rasse kommt, die etwas mit einer bestimmten genetischen Disposition zu tun hat, während es sich beim Islam um eine Religion handelt, also ein gedankliches Konstrukt,das von Angehörigen der verschiedensten Rassen (eigentlich widerstrebt es mir, diesen Begriff überhaupt auf Menschen anzuwenden), z.B. auch von sogenannten Bio-Deutschen, vertreten wird. Einigen wir uns doch bitte auf den korrekten Begriff „Islamfeindlichkeit“ oder neutraler „Islamkritik“. Von jemandem wie Ihnen, lieber Bronski, dessen sprachliche Kömpetenz sich ansonsten so positiv von der Menge der beklagenswerten fehlerhaften journalisischen Äußerungen abhebt, erwarte ich eine solche Differenzierung.
Natürlich ist es ein alter Hut, dass es „den Islam“ nicht gibt. Und man sollte auch nie die Hoffnung aufgeben, dass auch Menschen, die sich von irrationalen und menschenfeindlichen Ideologien verdummen lassen (da sollten wir dann die AfD-Wähler mit einschließen), lern- und veränderungsfähig sind. Leider habe ich jedoch während meines langen Lebens die Beobachtung machen müssen, dass sich in der islamischen Welt, ob es sich nun um die schiitische, sunnitische, wahabbitische, muslimbrüderliche oder salafistische Ausformung dieser unter dem Begriff „Islam“ subsumierten Glaubensrichtung handelt, die Entwicklung der Aufklärung sowie der Menschen- und Frauenrechte eher rückwärts bewegt, was man in der einstmals laizistisch geplanten Türkei deutlich sehen kann, aber auch im deutschen Straßenbild, in dem sich die Anzahl der Kopftuchträgerinnen, verglichen mit den 70er und 80er Jahren, stetig vervielfacht. Hat denn die Tatsache, dass von den islamisch dominierten Staaten bis heute kein einziger wirklich als Demokratie bezeichnet werden kann – die Türkei hat sich ja von dieser Staatsform nun auch verabschiedet – nichts mit den Ideen zu tun, die von den meisten Muslimen auf der Welt vertreten werden, zum Beispiel mit dem Prinzip der Scharia? Und werden nicht die wenigen Professoren, die an europäischen Universitäten einen liberaleren Islam lehren, massiv seitens der von den Ursprungsländern gesteuerten Islamverbände unter Druck gesetzt? Auch wenn ich selbst voll hinter dem in unserer Verfassung verankerten Asylrecht stehe, kann ich das Misstrauen, das in Europa den verschiedenen Richtungen des Islam entgegengebracht wird, gut verstehen und die Sorge, die diesbezüglich in der Bevölkerng umgeht, durchaus nachvollziehen.
Liebe Frau Ernst,
vielen Dank für Ihre Anmerkungen. Es ist richtig, dass der Begriff Rassismus hier nicht richtig am Platz ist. Ich habe ihn dennoch bewusst benutzt, um die Dimension des Problems klar zu benennen. Die plakative Zusammenfassung aller Muslime erfolgt bei bun durchaus in einem rassistischen Sinn, da er eine Gruppe von Menschen bezeichnet, ohne auch nur die geringsten Unterschiede zwischen ihnen zu machen. Für ihn ist es völlig egal, ob die angesprochenen Menschen – die er offenbar gar nicht als Inidividuen, sondern eben nur als bedrohliche Gruppe sieht – aus Afghanistan oder Marokko kommen oder welche Unterschiede es zwischen ihnen noch geben könnte. Das einigende Kriterium, das es ihm ermöglicht, sie alle über einen Kamm zu scheren, ist der Islam, und diese Haltung ist im Kern rassistisch, auch wenn sie nicht biologisch determiniert ist.
Zum zweiten Absatz Ihres Kommentars: Ich glaube, das gehört nicht unbedingt hierher. Eine konstruktive (!) Islamkritik sollte sich tatsächlich mit der Frage beschäftigen, warum es in den meisten islamischen Ländern ein erkennbares Demokratiedefizit gibt. Da bin ich bei Ihnen. Übrigens formuliere ich auch hier bewusst, wenn ich von den „meisten islamischen Ländern“ schreibe, denn das größte islamisch dominierte Land mit rund 200 Millionen Muslimen, nämlich Indonesien, ist sehr wohl eine funktionierende Demokratie. Ob das von Ihnen wahrgenommene Problem also wirklich mit dem Islam zu tun hat und nicht eher mit Eigenheiten des arabischen Raums und der arabischen Kulturen? Aber damit entfernen wir uns doch sehr weit vom Thema dieses Threads, das der Rechtspopulismus hier bei uns ist. Dazu gehört zweifellos, dass wir die Probleme benennen, die es mit Muslimen bei uns gibt. Aber dann sollte als nächstes die Frage kommen, warum unseren Politikern — und hier vor allem der CSU, deren Verhalten Anstoß zu diesem Thread war — so wenig Konstruktives zur Gestaltung von Integration einfällt, während sie mit Strafen und Sanktionen ganz schnell bei der Hand zu sein scheinen.
@Bronski
„Eine konstruktive (!) Islamkritik sollte sich tatsächlich mit der Frage beschäftigen, warum es in den meisten islamischen Ländern ein erkennbares Demokratiedefizit gibt.“
Aus diesem Satz schließe ich, dass Sie das Buch von Hamed Abdel-Samad “ Der islamische Faschismus“ nicht gelesen haben. Liege ich richtig?
Die Frage, warum es in den meisten islamischen Ländern ein erkennbares Demokratiedefizit gibt, ist so banal, wie die Frage, warum es in Deutschland ein Defizit an Säuglingen gibt, die fließend Chinesisch sprechen.
@Brigitte Ernst
Vielen Dank. Sie sind mir Ihrem Beitrag zuvorgekommen und so brauche ich meinen nicht mehr abzuschicken.
Die CSU ist eine christliche Partei. Was vertritt so eine Partei? Wenn es eine moslemische Partei wäre, würden wir im Koran nachschauen. Schauen wir also mal in der Bibel nach und was finden wir?
«Denn als ich Hunger hatte, habt ihr mir zu essen gegeben; als ich Durst hatte, gabt ihr mir zu trinken; als ich fremd war, habt ihr mich aufgenommen; „ (Matthäus 25,35)
Da wird doch die AfD als Verteidigerin des christlichen Abendlandes nicht hintenanstehen wollen.
@ Lutz Herzer
Sie haben recht, ich habe Abdel-Samad bisher nicht gelesen. Eine Lücke, ich weiß. Ich habe allerdings „Allahs Narren“ von Boualem Sansal (und andere) gelesen. Daher speist sich meine Einschätzung, dass viele Muslime vor allem ein Bildungsdefizit haben, nicht nur was den Westen betrifft. Da ich, wie gesagt, daran glaube, dass der Mensch lernfähig ist, interessieren mich politische Theorien nicht sonderlich, die apodiktisch feststellen, dass etwas so und so und keinesfalls wandelbar ist. Das war schon meine Kritik an den Thesen von Samuel P. Huntington. Abdel-Samads Buch formuliert eine solche These. Damit hat er einen streitbaren Diskussionsbeitrag geliefert, mehr aber auch nicht. Mal sehen, ob ich mir in der ruhigen Zeit zwischen den Jahren die gute Laune damit verderbe. Eher nicht, vermute ich.
Und noch einmal der Hinweis: Der Islam ist hier nicht das Thema, sondern das Thema ist Rechtspopulismus. Über den Islam haben wir in diesem Blog so oft diskutiert, dass ich ab jetzt strikt darauf achten werde, dass dieser Thread nicht ebenfalls wieder in diese Richtung gleitet. Wir sollten über die Verhältnisse in unserem Land reden, nicht über die in anderen Ländern. Darum möchte ich alle TeilnehmerInnen von Herzen bitten.
@ Bronski
Mit Indonesien habe ich mich tatsächlich bisher wenig beschäftigt. Wenn dort eine funktionierende Demokratie herrscht, wäre das in meinen Augen ein beruhigendes und hoffnungsvolles Zeichen.
Auch mich interessieren politische Theorien erheblich weniger als das, was in bestimmten Ländern und in unserer eigenen Gesellschaft tatsächlich gelebt wird, nach dem Motto der Bibel: An ihren Früchten sollt ihr sie erkennen. Und da fällt, wie schon oben erwähnt, bei den deutschen Muslimen die zunehmende Hinwendung zu einem eher konservativen und buchstabengläubigen Islam auf, unter anderem zu erkennen am vermehrten Tragen des Kopftuches und, was in Frankfurt mittlerweile ebenfalls relevant wird, des Niqab auf. Ich gehe seit mehr als 40 Jahren regelmäßig im Nordwestzentrum einkaufen, und die Zunahme der Kopftuchträgerinnen seit den 1970er Jahren ist wirklich eklatant. Selbst zu einer Frauengeneration gehörend, die sich ihre Rechte hart erkämpft hat, beobachte ich diese Entwicklung mit großen Bauchschmerzen. Und ich kann auch den Behauptungen dieser strengen Musliminnen nicht glauben, diese Form der Frauenverhüllung habe etwas mit Freiheit zu tun. In meinen Augen ist das die Freiheit der Sklaven, sich für die Unterjochung durch den Sklaventreiber zu entscheiden, oder auch, anders ausgedrückt, Selbstverleugnung pur. Aber klar, in einer Demokratie hat man auch das Recht, sich selbst zu verachten!
@ Henning Flessner
Da sprechen Sie durchaus ein Dilemma an, in dem sich Menschen befinden, die sich christlichen Werten verpflichtet fühlen (zu denen ich mich durchaus zähle, obwohl ich nicht kirchlich gebunden bin). Dem verfolgten und leidenden Nächsten muss geholfen werden, auch wenn seine Werte sich von den eigenen stark unterscheiden. Dieser Spagat ist nicht immer leicht zu bewältigen.
In dem evangelischen Kirchenblättchen, das mein Mann bezieht, las ich neulich die Aufforderung, die Muslime in unserem Land müssten mehr Möglichkeiten zur Mitgestaltung unserer Gesellschaft erhalten. Hätte das zur Folge, dass z.B. in den Schulen mehr Gebetsräume eingerichtet, die Geschlechter stärker getrennt würden und mehr Rücksicht auf die labile körperliche Verfassung der Kinder und Jugendlichen während des Ramadan genommen werden müsste? Ich muss zugeben, dass mir vor einer solchen Entwicklung graut.
@Bronski „Daher speist sich meine Einschätzung, dass viele Muslime vor allem ein Bildungsdefizit haben, nicht nur was den Westen betrifft.“
Bildung ist das eine, Aufklärung das andere.
Betrachten wir zwei bekannte Persönlichkeiten der Gegenwart, Richard Dawkins und Ex-Papst Benedikt XVI. Beide sind auf ihre Weise hochgebildet, würden die Welt jedoch in verschiedene Richtungen drehen. Für Anhänger der Aufklärung dürften jedoch nur die Erkenntnisse von Richard Dawkins von Bedeutung sein. Ginge es nach dem Vatikan und Benedikt, befänden wir uns zweifelsfrei wieder im Mittelalter.
Ich vertrete die Ansicht, es müsse möglich sein, auch schwach- und ungebildete Menschen aufzuklären noch bevor man ihnen Sprachunterricht erteilt. Dies würde nur leider daran scheitern, dass eine damit verbundene unausweichliche Religionskritik von staatlicher Seite nicht stattfinden wird. Dafür würden dann schon die Kirchen, Zentralräte und der Vatikan sorgen.
Aber schön, Sie wollten ja zurück zum Thema, zur Sepplifizierung. Dazu von mir ein paar bierernste Vorschläge an die CSU:
1. Die CSU spaltet sich (wie schon von BvG weiter oben vorgeschlagen) von der CDU ab und agiert von nun an bundesweit. Personalprobleme wären wohl kaum zu erwarten, da mindestens 50 % der CDU-Mitglieder außerhalb von Bayern in der Gunst der Stunde die Flucht vor Angela Merkel antreten und geschlossen zur CSU übertreten würden. In den neuen Parteizentralen wird es also erstmal ein herzliches Servus, Grüezi und Hallo geben. Auch von der AfD und der SPD würden wahrscheinlich einige altbekannte Gesichter zur CSU wechseln.
2. Kanzlerkandidat soll 2017 Joachim Herrmann werden und gegen Merkel oder wen auch immer antreten.
3. Söder wird damit vertröstet, 2018 den Landesvater Seehofer beerben zu dürfen. Zuvor muss er allerdings Dobrindt aus dem Ring wuchten.
Ignoriert die CSU meine wertvollen Ratschläge und hält 2017 Frau Merkel wieder die Steigbügel, wird sie ein blaues Wunder erleben.
Zurück zu „Sepplifizierung“. (Ich stütze mich im Folgenden auf den Forderungskatalog der CSU nach der Aufstellung von Daniela Vates, vgl. Link Bronski.) Dies lässt sich, vereinfachend, beschreiben als „AfD light“. Hauptmerkmale: Projektion, Vermengung, Verdrängung.
– Verdrängung von Empathie, der Bedeutung des „C“ im eigenen Namen; Verdrängung der eigenen Mitschuld, dass die Situation so ist, wie sie ist (Bronski hat einleitend darauf verwiesen): durch Verhinderung eines Einwanderungsgesetzes mit der Folge, jetzt Einwanderung über Aufweichung des Asylrechts steuern zu wollen/ zu müssen.
– Vermengung von Asyl- und Einwanderungsproblematik („Obergrenze“), von Identität („Leitkultur“, „Multikulti“, „Doppelpass“), Religion und Geschichte („christlich-abendländischer Kulturkreis“), Grenzsicherung und Kriminalität.
– Projektion eigener Ängste auf Menschen/Menschengruppen mit anderen/breiteren Erfahrungen (doppelte Staatsbürgerschaft: „Diener zweier Herren“, „Import von Kriminalität“, Integration als „Bringschuld“).
Zum Thema „Projektion“:
Reden ÜBER andere Menschen, die man nicht oder nur sehr vage kennt, statt MIT ihnen. Die man nur als Gruppe und als Fremde, aber nicht als Individuen wahrzunehmen vermag. Mit der Folge, sich in eigene (überwiegend medial erzeugte) Ängste hineinzusteigern statt zu lernen, mit ihnen umzugehen. Nicht mehr zwischen eigener Wahrnehmung und objektiven Fakten unterscheiden zu können. (Die Diskrepanz zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung in AfD-Kreisen bietet hier reichlich Anschauungsmaterial.)
Wenn AfD-Kreise ständig ihre „Ängste“ beschwören, sollte man meinen, sie müssten konkrete eigene Erfahrungen benennen können, die solche „Ängste“ begründen oder rechtfertigen. Bezeichnend, dass davon so gut wie nie die Rede ist. (Beleg: „Ängste“ sind da am größten, wo die geringsten Kontakte bestehen, z.B. Sachsen, Mecklenburg-Vorpommern) Die Nachfrage, diese klipp und klar zu benennen, sollte man m.E. niemandem ersparen. Nur so können Projektionen erkannt und durchstoßen werden.
Auch ständiges Abgleiten in eine verallgemeinernde „Islam-Debatte“ offenbart m.E. problematische Ansätze von „Projektion“. In dem hier gegebenen Zusammenhang kann diesbezüglich bestenfalls vom Umgang und von Erfahrungen mit in Deutschland lebenden Muslimen die Rede sein, nicht von „dem“ Islam in anderen Ländern. Dementsprechend verbieten sich auch (weitgehend in diese hineinprojizierte) Prognosen über deren künftiges Verhalten (wie „Demokratie-Unfähigkeit“) ohne konkrete und signifikante Belege.
Zu meinen eigenen gegenwärtigen Erfahrungen:
Ich leite seit einiger Zeit ein integratives Theaterprojekt von Einheimischen (Viertel sozialer Wohungsbau) und Flüchtlingen, durchgehend Muslime (Afghanistan, Iran, Syrien) und Muslima (Albanien, Kosovo), teilweise aus dem „Dschungel von Calais“. Darüber hinaus Kontakte zu Muslimen mit Kleinkindern aus Südsudan, Libyen. Zum Theaterprogramm gehören auch Körperkontakt. Der Umgang untereinander ist überwiegend geprägt durch Natürlichkeit und z.T. Herzlichkeit. Toleranz und Anpassungsfähigkeit (z.B. bei Begrüßung oder nach meinem Hinweis, dass ich „Ramadan“ nicht als Begründung für Unzuverlässigkeit gelten lasse) erscheinen recht hoch. Ebenso sehr unterschiedlich die religiösen Einstellungen. (So etwa löste das ständige Fragen der Libyerin beim Einkauf nach „halal“ bei einigen Afghanen Heiterkeit aus.) Besonders erstaunlich die Aufgeschlossenheit der sudanesisch-lybischen Kleinkinder (2 und 4 Jahre), die nach Aussagen der Mutter durch die Flucht über Lampedusa schwer traumatisiertworden waren.
@Brigitte Ernst
Ich stiess vor ein paar Tagen auf alte Fotos aus den 60er Jahren. Alle(!) Frauen auf den Fotos trugen Kopftücher. Seit den 70er Jahren hat das Tragen von Kopftüchern dramatisch abgenommen. Heute traut sich praktisch keine Frau mehr ein Kopftuch zu tragen.
Ich bin als Protestant auf eine katholische Volksschule gegangen. Am Beginn und Ende des Unterrichts mussten wir uns hinter unseren Stuhl stellen, uns in Richtung des Kreuzes wenden und zur Jungfrau Maria beten. Ich war der einzige, der sich nicht bekreuzigt hat. Das war wirklich grauenhaft. Einen Gebetsraum hätte ich mir gewünscht.
Zu der von Herrn Engelmann angesprochenen Bedeutung des „C“ im eigenen Namen (der CSU):
In der Tat ist die Bedeutung dieses Buchstabens der CSU wohl irgendwann einmal abhanden gekommen. Das dürfte mitunter daran liegen, dass in der gesamten abendländischen Welt die sogenannten christlichen Werte, wie Nächstenliebe und Barmherzigkeit, über einen längeren Zeitraum zur hohlen Phrase verkommen sind. Diesen Verfallsprozess schreibe ich allerdings in der Hauptsache den christlichen Kirchen selbst, insbesondere der Katholischen Kirche und dem Vatikan, zu. Dort sind im Laufe der Zeit gigantische Vermögen zusammengerafft worden, von denen nur ein Bruchteil für karitative Zwecke verwendet wird. Die Wahl des Papstes Franziskus beim letzten Konklave dürfte also weniger der Anwesenheit des Heiligen Geistes als der Notwendigkeit eines symbolkräftigen Aushängeschildes für Bescheidenheit geschuldet gewesen sein.
Im erzkatholischen Polen lässt sich der Bedeutungsverlust christlicher Werte im Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gut von außen beobachten. Man begnügt sich offensichtlich mit Frömmigkeit innerhalb der nationalen Grenzen. Das war’s dann auch.
Auf die Innenpolitik übertragen müssten christliche Werte zum Begriff der sozialen Gerechtigkeit führen. Die einzige mir bekannte Partei, die sich für soziale Gerechtigkeit noch überzeugend einsetzt, ist DIE LINKE. Es handelt sich dabei ausgerechnet um die Partei mit der geringsten Nähe zum kirchlichen Bereich.
In der Flüchtlingspolitik schlägt die CSU interessanterweise zum ersten Mal einen deutlich anderen Ton als die christlichen Kirchen an. Sollte das zu einem Zerwürfnis führen, bin ich sehr gespannt, was am Ende dabei herauskommt. Vielleicht lernt die AfD daraus, dass es vielleicht doch besser ist, das Hochhalten christlicher Werte den anderen zu überlassen, einschließlich Frau Göring-Eckardt.
Fragen:
Wie soll das in der Politik eigentlich gehen, nicht einige Leute über den gleichen Kamm zu scheren?
Politische Entscheidungen sind immer Entscheidungen, die Gruppen betreffen, und sich deshalb, was die Eigenschaften dieser Gruppen angeht, an Verteilungen und Häufigkeiten bestimmter Ausprägungen orientieren müssen und nicht nur an der Bandbreite. Wenn hier also jemand sagt, dass man doch immer den Einzelnen sehen müsste, dann hat der absolut recht, wenn es um die persönliche Begegnung mit diesem Einzelnen geht. Was diese Bemerkung aber in einer politischen Diskussion zu suchen hat, habe ich immer noch nicht verstanden.
Was sind eigentlich christliche Werte? Wessen Exegese der Bibel zählt da?
Wir haben z.B. in Afrika momentan Staaten mit großem katholischen Einfluss, in denen zur Schwulenhatz aufgerufen wird – die Katholiken sind die verbreitetste christliche Sekte. Im Lauf der Geschichte war auch schon Sklavenhaltung, Kreuzzüge, Hexenverbrennungen usw. mit christlichen Werten vereinbar – auch das dritte Reich war bis auf wenige Abweichler schon von der Beteiligung der Kirchen her eine ziemlich christliche Veranstaltung, ganz abgesehen davon, dass die Beteiligten zu ca 98% christlich sozialisiert waren.
Wäre es nicht sinnvoller, von humanistischen Werten zu sprechen?
Unser Staat fußt auch nicht auf dem Christentum, das sich erst anschließend in die Demokratie eingeklinkt hat, nachdem man gemerkt hat, dass mit „Seid untertan der Obrigkeit, denn sie steht im Dienste Gottes“ (frei nach Römer 13) kein Blumentopf mehr zu gewinnen war.
Auch Nächstenliebe, Feindesliebe usw. ist alles nichts genuin Christliches, es handelt sich um Varianten der goldenen Regel, die es im Prinzip, wenn auch meist weniger missverständlich, in jeder Kultur gibt. Weniger missverständlich bedeutet, dass dieses „Was Du nicht willst, dass man Dir tu, das füg auch keinem anderen zu“ selbstverständlich immer nur für die eigene Gruppe galt – anders wäre 1. das Verhalten im Christentum der ersten 1950 Jahre kaum zu erklären, 2. lässt sich diese Intention auch im NT selbst nachlesen, wenn da ein Herr Jesus dauernd erklärt, dass alles, was er sagt, selbstverständlich nur für die Juden zu gelten habe, also für seine Gruppe, die Stammsekte des Christentums.
Um zu erkennen, dass auch der Koran mit seinen Freundlichkeiten genau so und nicht anders gemeint ist, dazu bedarf es auch keiner bestimmten Exegese, es reicht die Kairoer Erklärung der Menschenrechte im Islam, von der hoffentlich niemand behaupten wird, sie sei Ausdruck einer Minderheit.
Das Barmherzigkeitsgebot oder die Nächstenliebe, von der hier regelmäßig die Rede ist, ist also keineswegs christlich, sondern es handelt sich und die christliche Aneignung des geschichtlich relativ jungen humanistischen Versuches, die Goldene Regel nicht mehr nur auf die eigene Gruppe, sondern auf die Art Mensch allgemein anzuwenden. Dieser Versuch fand ersten Niederschlag in der allgemeinen Erklärung der Menschenrechte, und lange genug wurde er von den christlichen Kirchen ignoriert. (Wenn jetzt jemand auf die Virginia Declaration of Rights verweisen möchte, in der diese Rechte auch noch als gottgegeben bezeichnet werden, sollte er bitte den geschichtlichen Zusammenhang im Auge behalten: Diese Rechte galten selbstverständlich nur für die europäischen Einwanderer.)
@Frank Wohlgemuth „Das Barmherzigkeitsgebot oder die Nächstenliebe, von der hier regelmäßig die Rede ist, ist also keineswegs christlich, sondern es handelt sich und die christliche Aneignung des geschichtlich relativ jungen humanistischen Versuches, die Goldene Regel nicht mehr nur auf die eigene Gruppe, sondern auf die Art Mensch allgemein anzuwenden.“
Im Hinblick auf das Gleichnis vom barmherzigen Samariter würde ich da jetzt keinen Streit anfangen wollen, ob es sich bei Barmherzigkeit und Nächstenliebe um christliche Werte handelt oder nicht. Als Atheist bin ich da gerne großzügig und lasse diese Werte beim Christentum. Umso besser kann man nämlich dessen Vertreter am Maß ihrer Selbstbindung an diese Werte beurteilen. Alleine das Sich-Bekennen kann nicht reichen, zumal wenn reichlich vorhandene Möglichkeiten zum Handeln ungenutzt bleiben und die eigene Lebensweise auf leidenschaftliche Selbstliebe schließen lässt.
@Frank Wohlgemuth
Politische Entscheidungen sind immer(!?) Entscheidungen, die Gruppen betreffen,…
Sind Sie sich da sicher? Natürlich betrifft der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Bücher Analphabeten nicht, aber gibt es nicht auch Entscheidungen, die alle Bürger betreffen?
@ Henning Flessner,19.09., 11.08 Uhr
Wie es in den 60er Jahren in Deutschland zuging, wissen alle, die damals schon auf der Welt waren. Heute haben wir aber das Jahr 2016, also 50 Jahre später, und zum Glück hat sich bei uns sowohl bezüglich der Bedeutung und des Einflusses von Religion als auch bezüglich der Stellung der Frau und ihrer Rechte einiges zum Positiven verändert. In der muslimischen Welt dagegen beobachte ich eine Rückwärtsbewegung. Und bei dem, was Sie zum Kopftuch äußern, scheint es mir, als würden Sie sich absichtlich dümmer stellen, als Sie wirklich sind. Sie haben sehr wohl verstanden, dass meine Kritik nicht dem Kopftuch gilt, das früher von Bäuerinnen auf dem Feld (und heute noch von Queen Elizabeth) getragen wurde und wird, um den Kopf vor Sonne oder Kälte zu schützen, oder, z.B. in der Ära von Brigitte Bardot, als modischen Accessoire. Sie wissen genau, dass ich das Kopftuch meine, unter dem sich in islamischen Ländern Frauen verstecken müssen, weil sie als Menschen zweiter Klasse – oder auch als teuflische Verfüherinnen – angesehen werden, die in der Öffentlichkeit nicht sichtbar sein sollen.
@ all
Ist es nicht völlig schnurz, wer die Idee von der Nächstenliebe erfunden hat? Auf jeden Fall stellen wir fest, dass katholische und evangelische Kirchenvertreter derzeit mit CSU-Politikern wegen deren Unchristlichkeit und rassistischer Äußerungen hart ins Gericht gehen, siehe die heutige Kritik von Kardinal Marx an Scheuer (oder war es Söder, ich kann die zwei schwer auseinanderhalten).
@ Frank Wohlgemuth
Etwas mehr Differenzierung bezüglich der Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und dem Nationalsozialismus würde ich mir schon wünschen. Warum sind denn die überzeugten Nazis alle aus der Kirche ausgetreten?
Und wo im NT steht, dass Jesus gesagt habe, das, was er sage, habe nur für Juden zu gelten? Genaue Bibelstellen bitte.
@ Brigitte Ernst
„Etwas mehr Differenzierung bezüglich der Beziehung zwischen den christlichen Kirchen und dem Nationalsozialismus würde ich mir schon wünschen. Warum sind denn die überzeugten Nazis alle aus der Kirche ausgetreten?“ (Brigitte Ernst)
Sind die das? Mir ist das nicht bekannt. Die, die ich kannte, einschließlich meiner Mutter, sind alle drin geblieben – aber das ist natürlich nur anekdotisch und kein Argument.
Aber Hitler war wohl auch relativ überzeugt und ist bekanntermaßen dringeblieben, und Neopangane wie Himmler galten als Sektierer.
Warum hätten sie auch austreten sollen ? In seinem öffentlichen Aufruf durch das Radio vom 1.2.1933, der auch über öffentliche Anschläge und die Zeitungen verbreitet wurde, hatte Hitler zu diesem Thema versichert: „Sie (die Reichsregierung) wird das Christentum als Basis unserer gesamten Moral, die Familie als Keimzelle unseres Volks- und Staatskörpers in ihren festen Schutz nehmen.“ (Diese Formulierung kam zwar von von Papen, galt aber dann als vom Führer verkündet. Quelle http://germanhistorydocs.ghi-dc.org/pdf/deu/DEST_APPEAL1933_GER.pdf ) Die Gleichschaltung unter der Deutschen Reichskirche hat zwar nicht wirklich geklappt, aber große Austrittswellen, etwa mit der heutigen vergleichbar, hat es nie gegeben, 1945 waren m.W. noch über 95% der Deutschen Mitglied der katholischen oder der evangelischen Kirche.
Ansonsten zeichnet die Geschichtsforschung in den letzten Jahren ein zunehmend düsteres Bild der Kirchen im dritten Reich, das nur noch wenig damit zu tun hat, wie sich die Kirchen lange selbst dargestellt haben; auch die Bekennende Kirche war nicht nur zahlenmäßig eher vernachlässigbar, sie stand mehr im religiösen als im politischen Widerstand. Nur mal ein ganz kleines Guckloch auf die evangelische Kirche: http://www.spiegel.de/einestages/kirche-im-nationalsozialismus-a-946648.html
Aber bitte belehren Sie mich eines Besseren.
„Und wo im NT steht, dass Jesus gesagt habe, das, was er sage, habe nur für Juden zu gelten? Genaue Bibelstellen bitte.“ (Brigitte Ernst)
Nur mal so aus der Lamäng 😉
Matthäus 10 5-6
„Diese Zwölf sandte Jesus aus, gebot ihnen und sprach: Geht nicht den Weg zu den Heiden und zieht in keine Stadt der Samariter, sondern geht hin zu den verlorenen Schafen aus dem Hause Israel.“
Matthäus 15 22-24
„Und siehe, eine kanaanäische Frau kam aus diesem Gebiet und schrie: Ach Herr, du Sohn Davids, erbarme dich meiner! Meine Tochter wird von einem bösen Geist übel geplagt. Und er antwortete ihr kein Wort. Da traten seine Jünger zu ihm, baten ihn und sprachen: Lass sie doch gehen, denn sie schreit uns nach. Er antwortete aber und sprach: Ich bin nur gesandt zu den verlorenen Schafen des Hauses Israel.“
Selbst die Evangelisten legen erst dem toten Jesus, also dem nach der „Auferstehung“, die Worte in den Mund, die sie wahrscheinlich im Ohr haben:
Lk. 24, 46-47
„und sprach zu ihnen: So steht’s geschrieben, dass Christus leiden wird und auferstehen von den Toten am dritten Tage; und dass gepredigt wird in seinem Namen Buße zur Vergebung der Sünden unter allen Völkern.“
Das ist aber unter Theologen nicht strittig, das brauchen Sie von keinem Atheisten zu übernehmen, das kann Ihnen auch Ihr Pfarrer bestätigen.
„Politische Entscheidungen sind immer(!?) Entscheidungen, die Gruppen betreffen,…
Sind Sie sich da sicher? Natürlich betrifft der reduzierte Mehrwertsteuersatz für Bücher Analphabeten nicht, aber gibt es nicht auch Entscheidungen, die alle Bürger betreffen?“ (Henning Flessner)
@ Henning Flessner
Ich verstehe Ihre Frage nicht so ganz: Eine Entscheidung die alle betrifft steht in keinem Gegensatz zu meiner Aussage, sie betrifft die größte aller möglichen Gruppen. Ein Widerspruch zu meiner Aussage sind Einzelfallgesetze, die es tatsächlich, aber nur sehr selten, gibt. Die werden dann in den Kommentaren auch meist abfällig nach dem Gegenstand oder der Person benannt, auf die sie zugeschnitten sind – gern in diesem Zusammenhang zitierte Fälle sind das „VW-Gesetz“ (Das Gesetz über die Überführung der Anteilsrechte an der Volkswagenwerk Gesellschaft mit beschränkter Haftung in private Hand) oder die „Lex-Naumann“ (die ’99er Änderung im Gesetz für Parlamentarische Staatssekretäre).
@Frank Wohlgemuth
Wenn Sie „immer“ schreiben, schliesst das für mich andere Fälle aus.
Wenn Sie jedoch sagen, dass alle Menschen auch eine Gruppe bilden, vermute ich, dass ich als einzelner auch eine Gruppe bin und damit wird das Wort Gruppe bedeutungslos.
@Frank Wohlgemuth (20. September 2016 um 10:59)
Hitler arrangierte sich mit der Kirche, da sie ihm zu mächtig und zu groß war. Das lässt auf seine Haltung und Loyalität der Kirche gegenüber jedoch ungefähr so weit schließen wie der Pakt mit Stalin. Sein Plan war, nach der Endlösung mit den Juden und dem Endsieg auf dem Kontinent mit der Kirche abzurechnen. Diesbezüglich ist er von Himmler bedrängt worden, der dies kaum erwarten konnte. Die Nazis hätten den Holocaust später auch an weiteren Teilen der Bevölkerung fortgesetzt, auch das war geplant. Spätestens an diesem Punkt wäre die Kirche dann im Weg gestanden. Und darin liegt auch der Grund für die Zwillingsforschung, die Josef Mengele in Auschwitz betrieb. Man war sich darüber im klaren, dass die ausgedünnte Bevölkerung möglichst schnell wieder aufgezüchtet werden müsse. Herausgekommen wäre allerdings keine reine arische Rasse, sondern ein Anstieg von Degeneration und Erbkrankheiten.
@ Henning Flessner
Meine Aussage, um die es sich hier dreht ist diese hier:
„Politische Entscheidungen sind immer Entscheidungen, die Gruppen betreffen, und sich deshalb, was die Eigenschaften dieser Gruppen angeht, an Verteilungen und Häufigkeiten bestimmter Ausprägungen orientieren müssen und nicht nur an der Bandbreite.“
Wenn Sie also eine Einzelfallbeschreibung zu einer statistischen Untersuchung erheben wollen, tun Sie das ruhig, aber unterstellen sie diesen Unsinn nicht mir.
Worauf ich mich bezogen habe, war der Gegensatz zwischen der Aussage zu Gruppen und der zum Einzelnen – dabei ist eine Obergrenze der Gruppe oder Eigenschaft der Gruppe als Teil einer größeren auch nicht implizit enthalten; Sie versuchen hier eine Nonsensdiskussion.
Dass es in der bundesdeutschen Rechtsgeschichte Ausnahmen zu meiner Aussage gegeben hat, habe ich eingeräumt, wenn Sie viel Aufwand treiben wollen, finden Sie vielleicht noch mehr als ich aufgezählt habe.
@ Lutz Herzer
Was Sie schreiben, war wahrscheinlich so, aber warum schreiben Sie das an meine Adresse?
Meine Aussage betrifft das sichtbare Verhalten der Christen und der christlichen Kirchen im dritten Reich. Gab es da einen Fehler drin?
@Frank Wohlgemuth „…warum schreiben Sie das an meine Adresse?“
Sie schreiben: „Aber Hitler war wohl auch relativ überzeugt und ist bekanntermaßen dringeblieben,…“
Daher meine Anmerkungen. Ich möchte Ihre Auführungen nicht widerlegen, sondern lediglich die Sache aus einem anderen Blickwinkel betrachten.
@ Frank Wohlgemuth
Ich bin Jahrgang 1946 und in meinem Umfeld gab es eine ganze Reihe von alten Nazis, die im Dritten Reich aus der Kirche ausgetreten waren, darunter mein Onkel, mein Schwiegervater und einige Nachbarn. Da sie dann nach dem Krieg doch nicht ohne Religion auskamen, schlossen sich einige von ihnen freikirchlichen Gemeinden wie z.B. den Unitariern an.
Zum Verhalten der katholischen Kirche während des Natinalsozialismus muss auch auf die Enzyklika von Papst Pius XI „Mit brennender Sorge“ aus dem Jahre 1937 hingewiesen werden, die sich scharf gegen das nationalsozilistische Regime ausspach. Darauf folgte unter regimetreuen Katholiken eine Austrittswelle.
@Frank Wohlgemuth
Ich verstehe Sie nicht. Lassen wir es bitte dabei.
@ Brigitte Ernst
Zu der Austrittswelle:
In Wikipdedia>Gottgäubigkkeit finden wir dazu:
„Zahlreiche Nationalsozialisten, wenn auch nicht Hitler und Goebbels selbst, traten aus der Kirche aus und bezeichneten sich als gottgläubig. Beispielsweise gehörten drei Viertel der Abgeordneten des Großdeutschen Reichstages von 1943 keiner christlichen Kirche mehr an. …..“
Klingt so ganz viel, aber wenn man sich das in den Gesamtzahlen ansieht, nicht mehr so: Es gab 1933 und 1939 Volkszählungen – in beiden kamen die katholischen und protestantischen Kirchen zusammen auf ca 95%.
„Zur Volkszählung 1939 bezeichneten sich von den verbleibenden 5 Prozent etwa 3,5 Prozent als gottgläubig und circa 1,5 Prozent gaben an, glaubenslos zu sein. In die Restgruppe von rund 0,1 Prozent (86.423 Personen) begaben sich Personen, die „Angehörige einer Kirche, Religionsgesellschaft oder religiös-weltanschaulichen Gemeinschaft“ waren. Dazu zählte wiederum die „deutschgläubige Bewegung“.“
So eine richtige Austrittswelle lässt sich damit nicht belegen, auch wenn das in Ihrer direkten Umgebung anders aussieht – wegen der sehr bedingten Aussagekraft der zwangsweise auf einen engen Umkreis beschränkten eigenen Beobachtungen hatte ich denen aus meiner Umgebung auch gleich das Prädikat anektdotisch angeheftet, das Ihre Beobachtungen da auch haben.
Da die zweite Volkszählung 39 war, sind in ihr auch die Folgen der „Brennenden Sorge“ von 37 ablesbar – sie können insgesamt nicht sehr groß gewesen sein. Der Vatikan ist so freundlich, den Text zur Verfügung zu stellen:
http://w2.vatican.va/content/pius-xi/de/encyclicals/documents/hf_p-xi_enc_14031937_mit-brennender-sorge.html
Dieses „Dokument des Widerstands“ ist inhaltlich im Wesentlichen als ein Protest gegen die Verletzungen des Konkordats zu beschreiben, stellt also, auch wenn die katholische Kirche sich anders zu verkaufen versucht, keine Auflösung der Kooperation mit dem dritten Reich dar.