Das K-Wort soll hier nicht diskutiert werden. So gehört sich das nämlich für das K-Wort, das nämlich nicht diskutiert gehört. Und weil das so ist und man nämlich nicht über das K-Wort diskutiert, habe ich einst die Diskussion über das K-Wort überhaupt eröffnet. Dies mal als Vorwort für diejenigen, die meinen, hier würden nämlich Diskussionen unterdrückt. Das K-Wort soll nämlich nur diskutiert werden von Mitmenschen, die was davon verstehen. Da wäre an erster Stelle natürlich Gesine Lötzsch zu nennen, die Linken-Vorsitzende, die die Diskussion nämlich anstieß; vermutlich hatte sie gerade nichts besseres zu tun. An zweiter Stelle wären zu nennen K-Wort-Experten wie der CSU-Generalsekretär Dobrindt, für den allein schon die öffentliche Nennung des K-Worts ein Grund ist, nach dem Verfassungsschutz zu rufen. Und gleich an dritter Stelle kommen die Blog-Userinnen und -User. In zitiere Kommentar # 51 von Jutta Rydzewski aus der oben bereits verlinkten K-Wort-Debatte:
„Zunächst sei mir zum Begriff Kommunismus noch ein grundsätzliches Wort erlaubt, womit ich auch gleichzeitig meine Auffassung von der wunderschönen philosophischen Seite des Kommunismus, als Ideal und Utopie, erneut unterlegen möchte. Sobald Kommunismus in die politische Arena einzieht, egal in welcher Form und von wem, wird diese wunderschöne Philosophie, diese(s) Ideal und Utopie, pervertiert und Schlimmeres, und hat mit der wunderschönen Philosophie absolut nix mehr zu tun. Ich war aber ziemlich sicher, dass das, insbesondere weil es sich hier doch vorgeblich um ein intellektuell anspruchsvolles Blog handelt, aus meinen bisherigen Einlassungen sehr deutlich herauszulesen war, sofern man(n) und frau dann wollte.;-) Es wird aber immer dann besonders schwierig, wenn nicht gelesen, sondern im “gewünschten-personenbezogenen” Sinne interpretiert wird. Doch das ist hier ja nix Neues, und in meinem speziellen Fall “partiell” sogar uralt.;-)
Es ist doch geradezu peinlich, was aus diesem dümmlichen Lötzschquatsch medial gemacht worden ist, und im Rahmen eines sich selbst zunehmend lächerlich machenden Talkshowjournalismus immer noch gemacht wird. Kommunismus in der politischen Arena heißt Diktatur, Menschenverachtung und Massenmord. Dass andere Ideologien nicht weit davon entfernt, wenn auch subtiler, u.U. sogar noch verderblicher sind bzw. sein können, will ich hier nicht weiter vertiefen. Ein wenig ist Hans in seiner Zuschrift @48 darauf eingegangen. Das so genannte kapitalistische System, insbesondere der Finanzbereich ist krank, faul, morsch und menschenverachtend. Wenn auf Not und Elend gewettet werden kann, ist das im höchsten Grade verbrecherischer Terrorismus. Es hat sich, nach der so genannten Wirtschafts- und Finanzkrise, auch nix geändert. Alles “jodelt” ja schon wieder von XXL und ähnlichem Blödsinn. Es wird sich auch nichts ändern, weil die Politik gar nicht mehr die Möglichkeiten dazu hat, auch wenn sie es wollte. Erst wenn die ganze “Klamotte” kolabiert, und der Tag wird kommen, könnte sich aus den Trümmern etwas wirklich Neues entwickeln, wobei offen bleibt, ob das dann besser ist. Übrigens, so ähnlich und noch dramatischer hat sich heute ein guter Bekannter geäußert, der in zwei Tagen seinen Job bei der Deutschen Bank im Investmentbereich antritt. Damit auch das klar ist, ich möchte keineswegs, dass der ganze Laden zusammenbricht; wer weiß, was dann entsteht. Aber den Unsinn mit diesem K-Wort, nur weil eine völlig überforderte Parteivorsitzende etwas daher geschwatzt hat, sollte doch nun wirklich nicht zum Anlass genommen werde, die ganze Republik in Kommunismusangst und -schrecken zu versetzen. Das ist doch schlicht lächerlich, und nur ein weiteres Armutszeugnis für die politische und mediale Kultur in diesem Lande.
@50 Abraham
“Eine Bereitschaft zu dieser Auseinandersetzung, der Du dich stellst, finde ich bei Jutta Rydzewski in ihrer von mir als patzig empfundenen Antwort an maat nicht.”
Nun gut, ich verzichte darauf mit Ihnen darüber zu streiten was patzig ist. Ich bin einfach nicht dafür, über sieben Ecken, unterschwellig, vage, oder gar “hinterrücks” über meine BlogspartnerInnen “herzufallen”, sondern “kämpfe” grundsätzlich mit offenem Visier. Ich rede auch grundsätzlich nicht über sondern mit anderen. Dabei bin ich auch ständig bemüht, was mir vielleicht nicht immer gelingt, die Dinge nicht zu ernst zunehmen, und “behafte” sie (die Dinge) deshalb manchmal auch mit einer Prise Ironie. Mag sein, dass Ihr Schutzbedürfnis für andere TeilnehmerInnen dem zuwider läuft, aber mit “Patzigkeit” hat das wohl weniger zu tun.;-)
@49 Heinrich
“Was Jutta dagegen hat, etwas Persönliches einfließen zu lassen, verstehe ich nicht. Solange die Diskussionen nicht auf ein privates Geplänkel herabsinken, was man von dieser wohl schlecht behaupten kann, fügt das doch den abstrakt-anonymen Beziehungen im Netz eine menschliche Note hinzu.”
Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn Persönliches einfließt, zumal ich es ja selbst hin und wieder tue, auch in dieser Zuschrift. Schließlich steckt ja hinter einem so genannten Usernamen (ich verwende meinen wirklichen) kein Kühlschrank, Fahrrad oder Ofenrohr, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Allerdings ist Persönliches, in einem anonymen Forum oder Blog, eine außergewöhnlich problematische Angelegenheit. Einerseits, und da gebe ich Ihnen recht, kann dadurch eine menschliche Note hinzugefügt werden, anderseits, aber ich glaube das wissen Sie selbst auch, wird in aller Regel mit Persönlichem eher unangemessen umgegangen, zumal das, was an Persönlichem einfließt, sein kann, aber eben nicht sein muss. Und wenn Menschen im “Schutze” der Anonymität “loslegen”, naja, da wird jeder seine eigenen Erfahrungen schon gemacht haben. Okay, das soll es gewesen sein. Ich habe also nix gegen Persönliches, es sei denn, der/die “KontrahentIn” wird herabgewürdigt oder Ähnliches, wobei ich hoffe, dass Patzigkeit nicht dazu gehört.;-)
mfg
Jutta Rydzewski“
Heinrich frug darauf:
„Liebe Jutta,
das Patzige, das Abraham in Ihrer Antwort an maat sieht, könnte er nur selber erklären. Ihr Stil hat etwas Expressives, ich weiß nicht, ob er das vielleicht meint, mir gefällt das jedenfalls, zumal etwa im Vergleich zu meinen drögen Abhandlungen. Jedenfalls findet sich in Ihrem Kommentar eine Argumentation, welche immer die Möglichkeit des Widerspruchs eröffnet und also jedenfalls eine Auseinandersetzung überhaupt erst ermöglicht.
Diese Möglichkeit zur Auseinandersetzung, geschweige denn die Bereitschaft dazu, kann ich hingegen in maats Beitrag nicht erkennen, der zu einem Viertel aus apodiktischen Setzungen und zu drei Vierteln aus sibyllinischen Vorhersagen besteht. Diese wie jene sind einer Auseinandersetzung prinzipiell nicht zugänglich, ihnen ist mit Argumenten schlechterdings nicht beizukommen.
So sehr können also die Urteile über die Qualität (= Beschaffenheit) von Kommentaren divergieren.
Was mir aber an Ihren wiederholten Aussagen unklar geblieben ist, und bevor ich ggf. noch näher auf die Frage eingehe, ob denn nun der Kommunismus Utopie sei und wenn ja, in welchem Sinne: was genau meinen Sie mit “eine wunderbare Philosophie, ein Ideal, eine Utopie” das sind auch von Ihrer Seite apodiktische Setzungen und lauter Begriffe, die nur scheinbar eindeutig sind und der Erläuterung bedürfen, und was führt Sie zu der Gewissheit, dass der Kommunismus “nur eben nie mit den Menschen zu machen” sei?
Grüße
Heinrich“
In Juttas selbstgeschaffenem Pandämonium wimmelt es nur so von Schmierfinken, Unfähigen, Korrupten, Lügnern, Rassisten, Verrätern, Schwätzern, Volksverdummern und verkorksten Ideologen. Und nachdem sie diesen Popanz erfolgreich aufgebaut hat, reitet sie in schimmernder Rüstung auf ihrer elektronischen Rosinante tapfer dagegen an. Auf ihrem hohen Ross sitzend und sich an ihren Worten selbstberauschend (Heinrich nennt dies „expressiv“) merkt sie leider nicht, dass sie meist herablassend, oft herabsetzend und manchmal gar herabwürdigend zu Felde zieht.
Damit ist sie in „guter“ Gesellschaft, denn das ist ja das christliche oder ganz allgemein das religiöse Erbe: da wird ein Popanz aufgebaut – z.B. der Teufel und die ewige Verdammnis – um sich selbst sodann als Retter anzubieten.
Da sind mir Heinrichs „dröge“ Beiträge doch lieber, will sagen: durch die faktengestützte Argumentation lasse ich mich gerne an die Grenzen meines Wissens führen – und genau das macht den Spaß an der Lektüre aus. Diesen Lustgewinn ziehe ich übrigens auch aus den Beiträgen von Abraham oder Max Wedell oder zuletzt aus dem BvGschen Geniestreich der „reziproken Retrospektive“. Dabei sind es meist gerade die Beiträge, bei denen ich spontan am meisten die Stirn runzele, die mich auf dem Weg zu einer eigenen Meinung weiterbringen.
Dieses Blog steht übrigens allen offen, die sich – unter Anerkennung der Blogregeln – in irgendeiner Form äußern wollen: Diskutanten, die in Rede und Widerrede Gedanken entwickeln wollen; Hinweisgeber und Linklieferanten; Kommentatoren und Dampfablasser; Zwischenrufer und Polemiker. Auch „apodiktische Setzungen“ und „sibyllinische Vorhersagen“, selbst wenn sie einer „Auseinandersetzung prinzipiell nicht zugänglich“ sollten, wie Heinrich selber apodiktisch festlegt, haben hier ihren Platz.
@ Anna
„Denn da sich der Mensch laut Darwins Theorie immer weiter entwickelt, müßte sich dementsprechend auch einmal die Erkenntnis durchsetzen, dass es sich unter egalitären Lebensbedingungen für alle Menschen angenehmer und friedlicher leben lässt.“
Es hieße Darwin gründlich misszuverstehen, wenn man glaubte, die Evolution – biologisch wie kulturell – unterläge einem linearen Trend hin zum Besseren/Komplexeren/Höherentwickelten. Vielmehr handelt es sich um einen fortschrittsblinden „Zickzackweg auf dem schmalen Grat des Lebens“[1] [2].
Produktbeschreibung zu [1]:
„Evolution, gleich ob die biologische oder die soziokulturelle gemeint ist, wird oft mit „Fortschritt“ ineinsgesetzt. Lebewesen entwickeln sich im Laufe der Jahrmillionen scheinbar „höher“, von Kulturen hört man die Behauptung, die Moderne etwa sei weiter entwickelt als das Mittelalter oder gar die Antike. Franz Wuketits widerspricht diesen Vorstellungen vehement.
Evolution ist kein geradliniger Prozess, kein gerichteter Pfeil, der vom Einzeller zum Homo sapiens führt, oder von der Barbarei zur sozialen Utopie. Vielmehr gleicht Evolution einem Zickzackkurs. Manchmal geht es in Richtung mehr Komplexität, manchmal aber auch nicht. Biologische wie soziale und kulturelle Geschichte ist vielmehr eine Abfolge von Katastrophen, Arten sterben aus, Ökosysteme brechen zusammen, Kulturen gehen unter, Kriege unterminieren wieder und wieder den Wohlergehen der Menschheit.
Das Buch gliedert sich in zwei Teile. Der erste Teil behandelt die Genese der Fortschrittsidee in der biologischen Evolutionstheorie und ihren Widerhall in sozialen und kulturellen Fortschrittsmodellen. Der zweite Teil widmet sich der Relativierung, der Kritik und letztendlich der Verabschiedung der Idee eines universellen Fortschritts.“
Hierin liegt eine weitere fundamentale Kränkung der menschlichen Selbstverliebtheit („Krone der Schöpfung“) [3]. Aus einer naiven Fortschrittserwartung hätte auf das Zeitalter der Aufklärung doch niemals ein Tausendjähriges Reich folgen können: Kant hatte den „ewigen Frieden“ versprochen, gekommen war Auschwitz. El Andalus hätte im Lauf der Jahrhunderte bis heute der Welt Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit und eine universelle wissenschaftliche und wirtschaftliche Blüte bescheren müssen, statt sich zu einem weltumspannenden verknöcherten Unterdrückungssystem zu entwickeln. Karl Marx hatte das „Reich der Freiheit“ heraufbeschworen, gekommen war der Archipel Gulag.
Man denke auch an das Werk von Horkheimer & Adorno „Dialektik der Aufklärung“, in dem die beiden (1944!) die Frage zu klären versuchten, „warum die Menschheit, anstatt in einen wahrhaft menschlichen Zustand einzutreten, in eine neue Barbarei versinkt.“
Wer heute
* ein logisch konsistentes (d.h. widerspruchsfreies),
* mit empirischen Erkenntnissen übereinstimmendes (d.h. unserem systematischen Erfahrungswissen entsprechendes) und
* ethisch tragfähiges Menschen- und Weltbild
entwickeln möchte, muss notwendigerweise auf die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung zurückgreifen. Mit der Entzauberung des Menschen [3] sind auch die diversen von Menschen geschaffenen Gottesvorstellungen, die damit verbundenen metaphysischen Heilserwartungen sowie schwärmerische irdische Fortschrittserwartungen obsolet geworden.
[1] Siehe z.B. Wuketits, Franz M.: Evolution ohne Fortschritt, Das Ende einer Illusion, Alibri-Verlag 2009
http://www.buecher.de/shop/fachbuecher/evolution-ohne-fortschritt/wuketits-franz-m-/products_products/detail/prod_id/23906373/
Probekapitel: http://www.alibri-buecher.de/docs/probe040.pdf
[2] Wuketits, Franz M.: Evolution: Die Entwicklung des Lebens, C.H. Beck 2009
http://www.amazon.de/Evolution-Entwicklung-Franz-M-Wuketits/dp/3406447384
[3] Siehe hier im Blog (Sarrazin2-Thread) unter http://www.frblog.de/sarrazin2/#comment-29194, wo ich eine Reihe der „fundamentalen Kränkungen der menschlichen Selbstverliebtheit“ aufgezählt habe.
@ Schnippsel
Natürlich folgt die biologische wie kulturelle Entwicklung der Menscheit keinem linearen Trend, sondern ist ,wie die Geschichte zeigt, ein eher holpriger, durch Rückschläge gekennzeichneter Weg. Entscheidend ist aber, dass es „wunderbare“ Ideale und Utopien gibt, an denen wir uns orientieren können, um immer wieder zurück auf die Wege zu finden, die zu einer „höheren“ Entwicklung führen.
@ Schnippsel am 3. Februar 2011 um 01:34:
Wenn Heinrich einen Stil expressiv nennt, dann deshalb, weil der Stil expressiv ist. Die Bedeutung lässt sich im Wörterbuch nachschlagen, und das enthält kein Urteil über den Inhalt des entsprechenden Textes. Das gilt entsprechend auch für den Hinweis, dass apodiktische Urteile und prophetische Vorhersagen inkommensurabel, d.h. einer Auseinandersetzung – gemeint natürlich einer diskursiven – prinzipiell nicht zugänglich sind. Letzteres ist alles andere als ein apodiktisches Urteil, sondern eine sachliche Charakterisierung der Grenzen solcher Sprechakte, als solche durchaus einer, im Prinzip ausgesprochen erwünschten, Auseinandersetzung zugänglich.
Als geradezu infam empfinde ich es allerdings, durch die Aufzählung von subjektiv Lustgewinn verschaffenden Beiträgen und durch den Hinweis, das Blog stehe allen offen, mir mittelbar zu unterstellen, ich würde irgendjemandem, zu dessen oder deren Kommentaren ich kritische Anmerkungen mache, die Berechtigung absprechen wollen, hier zu kommentieren.
Dagegen muss ich mich nicht verteidigen, das muss ich nicht haben, und eine solche Diskussion darf gerne ohne meine weitere Beteiligung fortgeführt werden.
Heinrich
@ Jutta/Heinrich
Nun, da Bronski freundlicherweise und „rapp-zapp“ einen Fortsetzungs- Thread zu „Ideologische Schmuddelecke“ eröffnet hat, ist ja wieder Raum für die „längeren Antworten“, die ihr hoffentlich noch immer in petto habt … (?)
@ Heinrich @ Anna
Nachdem Bronski nun keine zeitlichen und sonstigen Mühen gescheut hat (allerdings sind Annas Bitten auch nur schwerlich abzulehen);-), die „zweite Staffel“ der ideologischen Schmuddelecke aufzulegen, nehme ich gerne die Gelegenheit wahr, zu @53 und @54 aus der „ersten Staffel“ Stellung zu nehmen.
@Heinrich
Ein unterschiedlicher (Schreib)Stil ist doch sozusagen das Salz in der Diskutiersuppe, und in jedem Fall eine Bereicherung. „Dröge Abhandlungen“ würde ich Ihren Stil allerdings nicht nennen. Sie argumentieren wissenschaftlich, historisch, gehen dabei u.U. in die Jahrhunderte zurück, sind offenkundig sehr belesen, während ich mich eher „mitten auf das Leben“ beziehe, also auf das, was täglich einfach so geschieht. Wenn beide Stilrichtungen nicht gegeneinder sondern miteinander konkurrieren, so meine ich, kommt „hinten“, mit hoher Wahrscheinlichkeit, auch etwas Brauchbares heraus.;-)
Nun nochmal zu Ihren „Kommunismusfragen“, obwohl ich mich weitgehend wiederholen muss. Grundsätzlich bin ich gegen jede Ideologie im politischen Raum. Ideologien, egal welche, tragen auch immer Ungerechtigkeiten, Ungleichheiten und Schlimmeres in sich. Ich lebe, so weit wie nur irgend möglich, meine eigene Ideologie. Politik, Politiker, das versammelte und stetig wachsende ExpertenUNwesen sehe und „begleite“ ich mit erheblichem Misstrauen. Eigentlich wäre es an der Zeit, jeden „unabhängigen Experten“, der z.B. im Fernsehen auftritt, zu fragen, von wem er oder sie bezahlt wird. Schamgrenzen, angefangen bei einem ehemaligen Bundeskanzler und Außenminister, scheint es gar nicht mehr zu geben. Öffentliche Vorbilder Fehlanzeige. Frau oder Herr Schnippsel wird das jetzt wohl wieder „Juttas selbstgeschaffenem Pandämonium“ nennen.;-)) Apropos Frau oder Herr Schnippsel. In @1 belieben Sie auf Ihrer „elektronischen Rosinante“ mir vorzuwerfen, dass ich „herablassend, oft herabsetzend und manchmal gar herabwürdigend zu Felde ziehe“. Ohne Ross und Reiter zu nennen, finde ich diese Unterstellung sicher nicht tapfer sondern schlicht und ergreifend link, wohlbemerkt nicht links sondern link. Tut mir leid, Anna und Heinrich, aber dieser kleine Schwenker war vonnöten.
Der Kommunismus, die „reine Lehre“ (ich bin sicher keine Marx und Engels Expertin), will doch eine gerechtere Gesellschaft, insbesondere im sozialen Bereich, eine klassenlose Gesellschaft ohne Ausbeutung, Verteilungsgerechtigkeit, gleiche Bildungschancen usw. usw.. Was dagegen stattfindet ist doch eher das Gegenteil. Die Welt, auch die deutsche, wird ständig ungerechter, das Grundgesetz geschliffen, der Sozialstaat zurückgefahren. Die „reine Lehre“ ist mit den Menschen nicht zu machen, dafür ist er wohl nicht geschaffen. Habgier (Gier will ich mal noch durchgehen lassen), Hass, Hetze, maßloser Egoismus, Lügerei, Betrügerei, Heuchelei, usw. usw. gehören zur menschlichen Grundaussattung, und deshalb wird die „reine Lehre“ auch nur eine wunderbare Philosophie, ein Ideal, eine Utopie bleiben (müssen). Das hört sich zwar nach „apodiktischen Setzungen“ an, ist aber wohl ernsthaft nicht zu bestreiten. Ich bin zwar sicher, dass der weitaus größte Teil der Menschheit gerne im „wunderbar philosophisch kommunistischen“ Sinne leben möchte, aber (insbesondere) eine kleine Handvoll so genannter Mächtiger, wird immer wieder etwas dagegen haben, wird die Menschen missbrauchen, und der weitaus größte Teil wird sich auch immer wieder missbrauchen lassen. Nehmen Sie alleine die Frage von Krieg und Frieden. Eine kleine erbärmliche Clique findet immer wieder Mittel und Wege, die Menschen aufeinander zu hetzen. Ich glaube, nach dem 2.Weltkrieg sind bereits wieder weit über 200 Kriege geführt worden bzw. werden immer noch geführt. Auch „wir“ ballern ja mittlerweile, an vielen Orten der Welt „munter“ mit, beteiligen uns an verbrecherischen, völkerrechts- und grundgesetzwidrigen Kriegen, und an der BW-Spitze steht „folgerichtig“ ein vorgeblich schneidiger und schnittiger Adelsmann (übrigens, ich kann bei Flummi-Guttenberg nix Schneidiges erkennen), der Begriffe wie Stolz, Ehre, Tapferkeit, Heldenmut, den ganzen Blödsinn rauf und runter, wieder aufleben lässt. Dieser Mann ist in seinem Amt völlig überfordert, wird aber dennoch medial zum neuen Messias hochgejubelt. Seit über zehn Jahren findet eine „kontinuierliche“ Militarisierung der deutschen Außenpolitik statt, wobei gerade Rot/Grün 1998 sozusagen die Avantgrade war. Wie Sie sehen, schon eine friedliche Welt wird es mit den Menschen nie geben. Nichts ist mit gerechter, sozialer, zumal mit Kriegen, der höchsten Form von Terrorismus, auch immer Gewalt, Verfolgung, Vertreibung, Vergewaltigung, Folter, Mord, Totschlag, Hunger, Not und Elend einhergehen. Alleine das macht deutlich, dass es, nach menschlichem Ermessen, nur bei der wunderbaren Philosophie, dem Ideal und der Utopie bleiben wird.
@ Anna
Auch wenn „wir“ es sicher nicht erleben werden, möchte ich gerne Ihre Hoffnung teilen, dass Mensch irgendwann einmal „vernünftig“ wird, auch wenn erst in 5000 oder 10000 Jahren. Vielleicht ist das aber erst dann möglich, wenn sich Mensch selbst abgeschafft hat. Natürlich entwickelt sich der Mensch, teilweise sogar mit rasender Geschwindigkeit. Allerdings „entwickeln“ sich auch die negativen Eigenschaften mit, von denen ich weiter oben einige beschrieben habe, so dass Mensch letztlich doch immer Mensch bleiben wird. Was z.B. früher beim Kriegführen Pfeil und Bogen waren, ist heute die Atombombe. Eine rasante Entwicklung, in der Tat. Was ich für besonders alarmierend halte, dass sich Mensch emotional nicht weiter sondern eher zurückentwickelt. In diesem Zusammenhang erinnere ich an „Deutsche Zustände“ von Wilhelm Heitmeyer. Ein Umstand, der sich besonders auf die junge Generation verheerend auswirkt. Die Jugend ist einerseits extrem ausgrenzend, andererseits extrem anpassungswillig, oder, auf schlecht deutsch, nach unten treten, nach oben buckeln.
Hoffentlich war meine „rapp-zapp-Antwort“ nicht zu lang.;-)
mfg
Jutta Rydzewski
@ #2, comment-31647, Schnippsel am 03.02.2011 01:37
„Produktbeschreibung zu [1]:“ — Hallo: Darauf folgt die Wiedergabe eines doch längeren Textes von der Website [[www buecher.de]]. U.U. ist die Einholung der Zustimmung des Rechteinhabers ratsam bzw. erforderlich, dann kann man im Anhang „Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung des/der…“ einfügen. Länge und Einbindung eines Zitats unteriegt dem sog. Zitatrecht im Rahmen des UrhR. Solche UrhR-Probleme betreffen nicht nur den (zitierenden) Autor, sondern auch den Abnehmer — Verleger, Redakteur, Blogmaster usw. — seines Texts. Dieser Hinweis versteht sich als ein konstruktiver Beitrag zum Blog-Leben.
(nicht-klickbare Links in [[+]]-Klammern, wg. FR-spam-Schutz)
@ Jutta Rydzewski
Danke Jutta, für die umfassende und sehr interessante Ausführung, die nochmal sehr deutlich macht, wofür Sie sich einsetzen und worauf Sie aufmerksam machen wollen. In diesem Sinne hoffe ich, hier weiterhin Ihre „engagierten und expressiven“ Beiträge lesen zu können.
Viele Grüße
Anna
@heinrich #4
Ach Heinrich, daß Du sehr geradeheraus aber auch sehr empfindlich bist. das weiß man ja nun.
Gründe seien dahingestellt und sind auch privater Natur, die man gar nicht diskutieren kann.
Trotzdem dies persönliche Wort: Der Blog lebt nunmal von Spruch und Widerspruch, und was man braucht und geniesst, das soll man auch aushalten. Dies Medium ist nunmal nur schriftlich und unpersönlich, da ist es schwer, niemals verletzend zu sein.
Du bist nun schon seit den Anfängen dabei und hast viel Zuspruch erhalten, mehr Zuspruch als Kritik, schau doch bitte etwas generöser über die allfälligen Mißverständnisse hinweg.
Gruß BvG
@ BvG
„Der Blog lebt nunmal von Spruch und Widerspruch“
Das ist wohl richtig, aber ich glaube nicht, dass Heinrich darauf hingewiesen werden muss, denn gerade darin ist er ja ein Meister.
Das was Schnippsel aber zum Besten gegeben hat, hat nichts mit Widerspruch im Sinne von Gegenargument zu tun, sondern mit Fehleinschätzung und „Böses“ unterstellen.
Mit Empfindlichkeit oder mangelnder Großzügigkeit hat das für mich gar nichts zu tun.
Ich fände es deshalb großartig, wenn Schnippsel sich dafür entschuldigen würde.
Zur Utopie des Kommunismus:
Wenn ich hier einige Blogteilnehmer verstehe, stellen sie sich unter Kommunismus eine paradiesgleiche Gesellschaftsform vor, in der
1) jeder weiß, welche Verhaltensweisen der Gesellschaft nützen,
2) welche Güter der Gesellschaft nützen und
3) jeder das nach seinen Möglichkeiten entsprechende dazu beiträgt.
Wie sollte das (die egoistische Natur des Menschen einmal ausblendend) denn vor sich gehen?
Es sind ja gerade die Marktgesetze (Angebot und Nachfrage) die 2) ziemlich regeln.
Es wird – Evolution hin oder her immer mehr oder weniger begabte Menschen geben; wer wird den weniger Begabten erläutern, wie die Gesellschaft funktioniert bzw. was sie beitragen sollten?
Es dürfte doch jedem einleuchten, dass eine Gemeinschaft, die jeder versteht und in die jeder sich entsprechend einbringen nur sehr einfach strukturiert und zahlenmäßig überschaubar sein muss.
Möglich ist das vielleicht bei – in Familienverbänden oder kleinen Dorfgemeinschaften lebenden – Naturvölkern.
Gerade die Vorstellung, die Internationale sei hier besonders geeignet, scheint mir besonders abwegig.
@ Anna
Hier also doch, wie zugesagt, der Text zur Anthropogenese und zur philosophischen Anthropologie, in Vertiefung und Aktualisierung des Textfragments von Engels. Damit hole ich scheinbar ein wenig weit aus, jedoch erscheint mir das hier verhandelte Problem fundamental im Umgang mit den gängigen ideologischen Mustern. Insofern folgendes vorab:
1. Ob man „Postkapitalismus“, Sozialismus oder Kommunismus nun als Utope ansieht, worauf ich ggf. nach zu sprechen kommen werde, oder als „wissenschaftlichen Sozialismus“, wie Marx und Engels das ansahen, indem sie die Struktur des Kapitalismus im Verein mit der bürgerlichen Gesellschaft analysierten und daraus meinten, allgemeine Entwicklungsgesetze der Geschichte ableiten zu können, ist hierfür weniger von Belang als die vielfältig vertretene Auffassung, der Kapitalismus sei die beste aller möglichen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen, und mit ihm sei die Geschichte an ihr Ende gelangt. Und überhaupt seien darüber hinaus gedachte Gesellschaftsformen, die auf einem ein Mehr an Gleichheit, Glück und Zusammenhalt beruhen, dem Wesen des Menschen nicht gemäß, was die einen als Apologie für den Kapitalismus ins Spiel bringen und wovon sich die anderen, die darauf noch einen bedauernden Blick richten, infizieren lassen, indem sie sagen: das ist eine schöne Philosophie, aber mit den Menschen nicht zu machen.
Man kann sich hier von Marx ganz nebenbei einige Denkmuster aneignen, die einem Orientierungshilfe bei der Beurteilung von Ideologien geben können. Das eine ist: „Die herrschende Ideologie ist immer die Ideologie der Herrschenden“, die sich auf verschiedenste Weise im gesellschaftlichen Bewusstsein manifestiert bzw. dort manifestiert wird. So ist es zum Beispiel völlig ausgeschlossen, dass über tausend Jahre eine Gruppe von dreißig- oder fünfzigtausend Menschen ein Millionenvolk beherrscht und ausgebeutet haben, ohne dass in diesem der GLAUBE daran fest verwurzelt war, dass es sich bei den Adeligen, also „Edlen“(!) um eine von der Natur oder von Gott bestimmten höherwertigen und daher zur Herrschaft bestimmten Menschenart handle als beim „gemeinen“ (!) Mann. Mit Schwertern und Musketen allein lässt sich solche Herrschaft allenfalls in Krisenzeiten, wie den Bauernkriegen, aufrecht erhalten, in denen das System zu kippen droht, nicht aber über die Jahrhunderte von auf allgemeiner Anerkennung beruhender Klassenherrschaft.
(Um eine solche Krisenzeit der (kapitalistischen) Klassenherrschaft handelte es sich auch zur Zeit des Faschismus, und von dessen Blutspur, wie auch von der, die die BW, die US-Army und die Nato hinter sich herzieht bei der Verteidigung „unserer Freiheit“ die die weltweite Freiheit von Öl-Schürf- und Importrechten und von Absatzmärkten unserer Produkte ist, schweige ich bislang hier).
Die zweite Orientierung fürs Denken ist, sich von der schlichten Frage leiten zu lassen: „cui bono?“, „Wem nützt es?“. Wem nützt es, wenn ein Biologe Primaten beobachtet, bei den weiblichen Tieren ein bestimmtes Hormon feststellt (Ocytocin), das vor allem bei weiblichen Säugetieren vorkommt und angeblich evolutionsgeschichtlich für die Entstehung von Empathie und mütterlicher Fürsorge verantwortlich ist und dies auf die Menschen überträgt? Was helfen da wohlmeinende Appelle an die Männer, in einer „postpatriarchalen“ Gesellschaft das Ihre zur „Brutfürsorge“ beizutragen, wenn in zyklischen Abständen immer wieder kluge Bücher auf den Markt geworfen werden, in denen „belegt“ wird, dass solches leider nicht in ihrer Natur liegt?
Und, analog dazu: wem nützt in einer Gesellschaft, die in ihrer ganzen Struktur auf dem Konkurrenzprinzip aufgebaut ist, die Rede von einer angeblichen „egoistischen Natur des Menschen“? Wem nützt es und woher kommt es, dass seit einiger Zeit in biologistischer Manier die Rede von „Alphatieren“ schon derart Fuß gefasst hat, dass sich niemand darüber mehr empört? Dass, sozialdarwinistisch, das „Recht des Stärkeren“ fröhliche Urständ feiert, womit Machtgefälle, Abhängigkeiten, Einkommensuterschiede, Ausbeutung, als „natürliche“, und das heißt unabänderliche Gegebenheiten im gesellschaftlichen Bewusstsein manifestiert werden? Wem nützt das alles?
Setzt man nicht dagegen besser auf den Satz von Marx, der im Zweifelsfalle doch ganz anderen Menschen und Kräften nützt und eine prägnante und, wie ich finde, geradezu herzergreifende Zusammenfassung seiner gesamten gesellschaftlichen „Utopie“ darstellt, nämlich auf den „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“?
Fragt mit schönen Grüßen der
Heirnich
2. Exkurs.
Einer, der früh den Aspekt der nicht festgelegten Menschennatur hervorhebt und mit dem Begriff der Würde des Menschen (lat. dignitas hominis) in Verbindung bringt, ist der des Marxismus naturgemäß unverdächtige Renaissance-Philosoph mit dem wohlklingenden Namen Giovanni Pico della Mirandola aus dem 15. Jh.. Die Würde des Menschen gründet nach Pico darauf dass, zugespitzt formuliert, die Natur des Menschen darin liegt, dass ihm keine Natur eignet, dass, mit anderen Worten, er die Freiheit hat, sein Wesen selbst zu schaffen.
Den Schöpfer lässt Pico zu Adam sagen: „Keinen bestimmten Platz habe ich dir zugewiesen, auch keine bestimmte äußere Erscheinung und auch nicht irgendeine besondere Gabe habe ich dir verliehen, Adam, damit du den Platz, das Aussehen und alle die Gaben, die du dir selber wünschst, nach deinem eigenen Willen und Entschluss erhalten und besitzen kannst. Die fest umrissene Natur der übrigen Geschöpfe entfaltet sich nur innerhalb der von mir vorgeschriebenen Gesetze. Du wirst von allen Einschränkungen frei nach deinem eigenen freien Willen, dem ich dich überlassen habe, dir selbst deine Natur bestimmen.“
Eine interessante, wenn auch – für mich – sehr akademische Debatte, welcher ich aufgrund meines nur teilweise mit Wissen – aufgrund fehlendem Studiums – gefütterten Verstandes nicht oder nur schwer folgen kann.
Ich versuche es mal aus meiner eigenen, subjektiven, Erfahrung, und aus 40 Jahren politischer Arbeit in SPD, Grünen, WASG, Gewerkschaft, Bürgerinitiativen, Dritt-Welt-Gruppen etc., anzugehen.
Es scheint allgemeine Übereinkunft zu sein, daß der Kommunismus zwar eine gute Idee war, aber schlecht ausgeführt bzw. umgesetzt wurde. Gestritten wurde/wird darüber, warum das so war. Die einen sagen: Der böse Kapitalismus hat uns nicht gelassen, Pragmatiker sagen: Der reale Sozialismus mußte sich zwangsläufig kapitalistischen Spielregeln unterwerfen.
Das ein Mensch zwar gute Gedanken haben kann, diese auch in Kleingruppen entwickelt und umsetzt, aber, sobald irgendwelche selbsternannten Weisen oder Führer die Deutungshoheit an sich reißen und mehr oder weniger drakonisch durchsetzen, und damit das Ganze den Bach runter geht, kennen wir ja auch aus anderen .ismen. Ur-Christentum und Kreuzzüge, Judenprogrome und Zwangs-Christianisierung… Man kann dieses „Und willst Du ein Christ nicht sein“, durchaus durch andere Begriffe ersetzen, wie Kommunist, Faschist, Kapitalist usw. usf.
Allen diesen .ismen liegt zugrunde, daß wir eben Menschen mit Fehlern, Schwächen, Macken, Vorurteilen und Egoismen sind, die im Sinne der Darwinschen Entwicklung Haken geschlagen haben, und wo „ex oriente lux“ eben neben den Hexenverbrennungen steht. Es gab wohl nie „gute“ Staaten, genauso wenig wie „gute“ Herrscher. Für mich war z.B. der Anarchismus ein Versuch, das Urchristentum wieder zu beleben. Aber, was in der Kommune klappt (auch der Kibbuz ist ja ähnlich konzipiert), muß auf Staatsebene scheitern.
Das wir inzwischen wissen, daß Menschen in Gesellschaften mit weniger schichtspezifischer Ungleichheit (siehe Skandinavien) glücklicher sind als die in solchen mit ausgeprägten Klassenunterschieden, hilft nicht sehr viel weiter, noch nicht mal als Trost.
Was mich aber maßlos aufregt, ist dieses Einprügeln, sobald mal wieder das „K-Wort“ auftaucht, bzw. jemand, von Liberalen wohl „naiv“ genannt, es benützt, und in – irgendeinen – Zusammenhang stellt. Wir erleben seit Jahrzehnten, wie unser kuscheliger rheinischer Kapitalismus zurück gefahren wird, und uns ein ungezügelter Manchester-Kapitalismus als der wahre Jakob verkauft wird. Wir erleben wieder wachsende Klassenunterschiede, Bildungsarmut, Altersarmut, hemmungslose Ausbeutung von Mensch, Natur und Ressourcen – und alles wird etikettiert, oder noch besser, umbenannt. Aus Zuzahlungen wird „mehr Eigenverantwortung“, aus Mülldeponien werden „Entsorgungsparks“, aus Abzockern „Leistungsträger“, aus Atomkraftwerken „Kernkraftwerke“. Neben einem Kernkraftwerk wohnt sich’s ja fast so gemütlich wie neben einer Apfelweinkelterei, wegen den „Kernen“.
Menschen wie Frau Ypsilanti werden sofort in die Schmuddelecke gestellt, wenn sie den – im SPD-Parteiprogramm von 2007 immer noch festgezurrten – Begriff des „demokratischen Sozialismus“ benützen.
Leider haben wir Wutbürger in unserem Anspruchsdenken nichts gelernt, noch nicht einmal aus der friedlichen Revolution in unserem eigenen Land von 1989. Wir machten uns lustig über die Brüder und Schwestern, die erst „Wir sind das Volk“, und dann „Wir sind ein Volk“ riefen, weil wir wußten: Die wollen nur die D-Mark, um sich Bananen zu kaufen.
Aber die reale Bananenrepublik hatten wir da schon, oder, Achtung Wortneuschopfung, den BANANISMUS. Ich weiß nicht, wie dreckig es uns noch gehen muß, um wirklich alle „uff die Gass“ zu gehen, und zu schauen, was geht. Es würde sicherlich keine islami(sti)sche Republik, aber auch keine DDR-Neuauflage. Aber womöglich würden sich vorher erst Arbeitskreise bilden, um zu debattieren, wie man den Automat bedient, der die Bahnsteigkarten ausspuckt.
Lieber Heinrich,
schön, dass du den Text gepostet hast.
Schon beim ersten Durchlesen habe ich mehrere Aha-Erlebnisse, über die ich aber noch etwas tiefer nachdenken muss, bevor ich mich dazu evtl. noch mit weiteren Fragen äußere.
Jedenfalls sind beide Texte höchstspannend und sehr erhellend wie gut die kapitalistische Gehirnwäsche funktioniert. Bitte mehr davon 😉
Liebe Grüße
Anna
Auch, wenn ich nicht so viel zum Thema beitragen kann, eine kleine Ergänzung zu #12. Es ist schon ziemlich skurril, dass diese angebliche Erblichkeit, mit Darwin begründet wird, denn Darwin hat genau dem widersprochen:
“Dabei weiß die Biologie seit der Widerlegung Lamarcks durch Darwin, dass erworbene Eigenschaften nicht vererbt werden. Davon unbeeindruckt gehen viele Psychologen und mit ihnen das kollektive Wissen davon aus, dass Intelligenz, Genialität, (…), angeboren sind.” (Klaus Hansen, Kultur und Kulturwissenschaft)
und damit dann auch bestimmte Fähigkeiten, z.B. Entscheidungen zu treffen bzw. zu „herrschen“.
3. Tatsächlich stellt auch Engels mit seinem Text zentral in Frage, dass man Aussagen über eine unveränderbare „Menschennatur“ überhaupt seriöserweise treffen könne. Denn die wesentliche Einsicht, die der Text vermittelt, ist die, dass der Mensch kein anthropologisch konstantes Wesen mit festgelegten Eigenschaften ist, nicht im gleichen Sinne wie die Tiere biologisch determiniert ist, sondern ein gesellschaftlich-historisches Wesen.
Die klassische idealistische philosophische Definition des Menschen, schon von Aristoteles formuliert: der Mensch ist das „zoon noun echon“ (das „vernunfthafte Lebewesen“ – wobei der Wortbestandteil „-haft“ dasselbe wie „habend“ bedeutet) wird von Engels materialistisch gewendet zum „tool making animal“, wobei die Produktion von Werkzeugen immer schon in gesellschaftlicher Kooperation geschieht. Man kann also zugespitzt sagen: der Mensch ist gar nicht als biologische Spezies fassbar, sondern immer schon nur als das gesellschaftlich produzierende Wesen.
Diesem Umstand trägt die Paläanthropologie z.B. dadurch Rechnung, dass Knochenfunde nach dem „Prinzip der sparsamsten Erklärung“ nur dann als menschliche anerkannt werden, wenn sie zusammen mit eindeutig von Menschenhand gefertigten Gegenständen ausgegraben wurden. Die Menschen stammen ja nicht direkt von Affen ab, wie Engels noch annahm, sondern Menschenaffen und Menschen haben einen gemeinsamen Stammbaum, von dem jene sich vorzeitig abgetrennt haben. Die tierischen Vorfahren des Menschen sind die „Australopithecinen“, die physiologisch, z.B. durch Lauffüße statt vier Kletterhänden, bereits an ein Leben in der Steppe statt im Biotop des tropischen Regenwaldes angepasst sind.
Hier ein Link zum Thema, in dem u.a. auch die Bedeutung der Fleischkost für die Anthropogenese (Entstehung des Menschen) ganz im Sinne des frühen Textes von Engels bestätigt wird:
http://www.kleio.org/de/geschichte/menschheit/kap_5.html
Die Australopithecinen bilden ein „Tier-Mensch-Übergangsfeld“, d.h. bestimmte Formen sind noch als Tiere anzusehen, bestimmte aber bereits als Menschen, da sie Werkzeugherstellung und -gebrauch kannten, obwohl sie nicht der spezies homo sapiens zugehören, ebenso wenig wie der sieben Kilometer (!) von meiner Heimat entfernt herstammende Neanderthaler, der einen Seitenzweig der Entwicklung repräsentiert, schon das Feuer im Gebrauch hatte und sich mit dem Homo sapiens vermischt haben soll. Sei’s drum!
Vom Auftreten des Homo sapiens sapiens an findet die Entwicklung aber eben nicht mehr als biologische Evolution statt, sondern nur mehr als historisch-gesellschaftliche. Die Menschen eignen sich die Natur durch zweckgerichtete Arbeit an und verändern dadurch ihre Umwelt und in diesem Zuge auch sich selbst. Das gilt für die gesellschaftlichen Verkehrs- und Zusammenlebensformen, die jeweils dem Entwicklungsstand der Produktion korrespondieren, wie auch für die Verhaltensdispositionen und Empfindungsweisen der Menschen.
Mit anderen Worten: Es gibt nichts, was nie mit den Menschen zu machen ist, ob Kommunismus oder sonst etwas, bzw. besser: was die Menschen in der Zukunft nicht entwickeln könnten, auch und gerade an Formen gesellschaftlicher Organisation.
Ein lateinisches Sprichwort, einem fränkischen König und römischen Kaiser aus dem vorletzten Jahrtausend (!) zugeschrieben, sagt: „Tempora mutantur, et nos mutamur in illis“. – Die Zeiten ändern sich, und wir Menschen ändern uns mit ihnen.
Grüße
Heinrich
@ Brinski
Ich versuche seit etwa 14.30, den 3. Teil meines Kommentars zu posten, aber er ist irgendwie in der Moderationsschleife hängen geblieben. Hast du dafür eine Erklärung bzw. könntest du den Kommentar bitte freischalten?
Gruß
Heinrich
@ Heinrich #4
1. Sehen Sie bereits den Unterschied zu meinem Beitrag #1 ? Dort wende ich mich ganz allgemein an die Blog-Leser, hier wende ich mich an Sie. Und daraus ergeben sich entsprechende Konsequenzen.
2. Wenn Sie sich einen Schuh anziehen, der gar nicht für Sie persönlich gedacht war, sich aber anschließend beschweren, dass er drückt, dann ist das zunächst einmal Ihr Problem. Eine Intention, Ihnen auf die Füße treten zu wollen, herauszulesen finde ich – zumal wegen meines vorausgehenden „Lobes“ an Ihre Adresse – reichlich übertrieben. Ich bedaure natürlich, dass mein Beitrag #1 bei Ihnen ein derartiges Missverständnis produziert hat, aber das war’s dann auch schon.
3. Zum Inhalt: Sie setzen gegen das Wort „patzig“ Ihr Wort „expressiv“ und „argumentieren“ damit auf einer völlig anderen Ebene, so als würde jemand bei der Beschreibung des Wetters „heiss“ und „regnerisch“ gegenüberstellen. Ich will mich mit Ihnen nicht über das Wörtchen „expressiv“ und all seine möglichen Ausdeutungen streiten – nach meiner Alltagsdefinition bedeutet „expressiv“ so etwas wie „ausdrucksstark“ oder „wortgewaltig“.
Ich hatte darzulegen versucht, dass ich J.R.s Beiträge ebenfalls auf der Patzigkeitsebene verorte, wofür ich allerdings die Begriffe „herablassend, herabsetzend, herabwürdigend“ verwendet habe. Was stört Sie daran, dass ich nicht auf Ihre Lobhudelei gegenüber J.R. eingestiegen bin?
4. So wie ich es verstanden hatte, hielten Sie maat vor, ihre „apodiktischen Setzungen“ seien schlechterdings nicht diskutierbar. Auch hier bediene ich mich meines Alltagswissens (obwohl dies doch schon sehr weit in den Bildungswortschatz reicht) und übersetze dieses Fremdwort mit „letztgültig, unumstößlich, nicht hinterfragbar“. Und daraus zog ich den Schluss: Ihre Aussage, maats Ausführungen seien nicht diskutierbar, ist ebenso „apodiktisch“.
Was genau Sie mit „… dass apodiktische Urteile und prophetische Vorhersagen inkommensurabel, d.h. einer Auseinandersetzung – gemeint natürlich einer diskursiven – prinzipiell nicht zugänglich sind.“ meinen, verstehe ich nicht so recht. Aber das Recht, etwas nicht zu verstehen, bleibt mir ja unbenommen.
Immerhin scheinen wir uns dahingehend einig zu sein, dass „…Sprechakte, als solche durchaus einer, im Prinzip ausgesprochen erwünschten, Auseinandersetzung zugänglich.“ sind oder sein sollten. Selbstverständlich sind alle menschlichen Aussagen hinterfragbar und diskutierbar, selbst dann wenn sie sich auf göttliche Offenbarungen stützen. Ob sie es wert sind, diskutiert zu werden und ob eine solche Auseinandersetzung fruchtbar sein kann oder gar wird, ist hingegen eine andere Frage.
5. Mein Alltagswortschatz übersetzt das Wörtchen „infam“ mit „böse, niederträchtig, ehrlos, gemein“. Und das, da von Ihnen unmittelbar an mich gerichtet, finde ich nun meinerseits tatsächlich unter aller Kanone.
Meine Aussage lautete schlicht und einfach, dass dieses Blog allen offensteht, nicht nur pensionierten Oberstudienräten. (Sollten Sie ein solcher sein: ich meine nicht Sie persönlich!). Ich persönlich habe nicht die Zeit, mir neben dem Blog auch noch zu allen möglichen Artikeln die Kommentare rauszufischen. Statt also einer Diskussion im Umfeld der FR an zwei verschiedenen Stellen zu folgen, hätte ich nichts gegen die belebende Teilnahme der „normalen“ Kommentatoren an diesem Blog. Zudem weiss ich aus jahr(zehnt)elangen Usenetdiskussionen, dass es eine Menge Mitleser gibt, die sich nicht äußern (neudeutsch: „Lurker“), weil sie sich dem hochgestochen-akademischen Ton nicht gewachsen fühlen. Auch an diese war der Hinweis gerichtet, den ich nachfolgend gerne wiederhole:
Es ist keine zwingende Voraussetzung, sich druckreif ausdrücken zu können. Es ist keine zwingende Voraussetzung, stringent argumentieren zu können und dafür auch noch entsprechende Verweise zu liefern. Auch ein Drei-Wort-Satz wie „Geiz ist Scheisse!“, ganz platt und apodiktisch, hat hier seinen Platz. Wer argumentieren will, argumentiert; wer nicht argumentieren will, argumentiert halt nicht. Wer eine persönliche Anrede und eine Grußformel verwenden will, tut es. Wer einen Nickname benutzen will, tut es, auch wenn J.R. ständig daran rummäkelt. Wer nur mal kurz Frust zum Thema abladen will, tut es. Wer auf einen Beitrag antworten will, tut es; wer’s nicht will, lässt es – und zwar ohne sich von J.R. bevormunden zu lassen, wie die Antwort zu erfolgen hat.
So einfach ist die Chose, Heinrich. Also kein Grund, da irgendeine Infamie hineinzugeheimnissen oder die beleidigte Leberwurst zu geben.
So, und nun werde ich mich – nachtschichtgeplagt – langsam daranmachen, den anwachsenden Thread aufzuarbeiten.
@ Heinrich
Lieber Heinrich, aus irgendeinem Grund, den ich nicht erkennen kann, ist Dein Kommentar im Spamfilter hängengeblieben, ebenso wie ein anderer Kommentar von I.Werner. Beide habe ich natürlich freigeschaltet, sobald ich das gesehen habe.
@19 Schnippsel
Beim Aufarbeiten, Frau oder Herr nachtschichtgeplagte(r) Schnippsel, sollten Sie wirklich mal über Ihren eigenen Stil nachdenken, bevor gerade Sie hier weiter die Oberlehrerin/den Oberlehrer in Stilfragen mimen. Insbesondere sollten Sie (was ich hiermit zum zweiten Mal anmahne), nachprüfbare und begründete Belege bringen, wonach mein Schreibstil „herablassend, herabsetzend, herabwürdigend“ ist. In meiner ersten Anmahnung @6 nannte ich das Ross und Reiter nennen. Wenn Ihnen diese drei Begrifflichkeiten in Ihrer Bedeutung nicht bekannt sein sollten, lassen Sie es mich wissen. Ich werde mir dann die Zeit nehmen, um Sie darüber aufzuklären, was Sie damit hier für einen infamen Unsinn verbreiten. Übrigens, „herablassend, herabsetzend, herabwürdigend“ dürfte auch nicht mit den hier geltenden Regeln vereinbar sein. Sie scheinen offenkundig unter einer J.R.-Phobie zu leiden. Anders lässt es sich nicht erklären, dass Sie ständig über mich faseln, anstatt sich direkt mit mir ins Benehmen zu setzen. Versuchen Sie es ruhig mal, Sie brauchen keine Angst zu haben, ich bin auch schwierige Fälle gewöhnt.;-)
mfg
Jutta Rydzewski
PS: Übrigens, ich mäkle nicht an Nicknamen herum, sondern habe lediglich darauf aufmerksam gemacht, dass ich meinen echten bzw. wirklichen Namen verwende. Jeder so wie er oder sie möchte. Allerdings heiße ich nicht J.R. sondern schlicht Jutta Rydzewski, Frau oder Herr Schnippsel.;-)
@17 Heinrich
„Es gibt nichts, was nie mit den Menschen zu machen ist, ob Kommunismus oder sonst etwas, bzw. besser: was die Menschen in der Zukunft nicht entwickeln könnten, auch und gerade an Formen gesellschaftlicher Organisation.“
Deshalb habe ich ja auch „hoffnungsfroh“ in @6 angemerkt (Anna sieht es offenbar so ähnlich), „… dass Mensch irgendwann einmal „vernünftig“ wird, auch wenn erst in 5000 oder 10000 Jahren“. Bis dahin darf bzw. muss Mensch eben von der wunderschönen philosophischen Seite des Kommunismus, als Ideal und Utopie, weiterträumen.
mfg
Jutta Rydzewski
Die Art, als Blogger miteinander umzugehen, verbunden mit Hinweisen, Rechtfertigungen, Anklagen, Verteidigungen, vermeintlichen Zuweisungen scheint eine größere Rolle zu spielen als das Thema an sich. Eben, wie ich schon schrieb, äußerst akademisch. Stellen Sie sich doch mal vor, Sie lesen diese Kommentare einem einigermaßen gutwilligen Hörerkreis vor, z.B. in einer Buchhandlung, aber die Anwesenden erwarten eigentlich ein Referat zum Thema. Zielführend? Ich sage nein. Jedenfalls toll, daß wir, in unserer Fehlentwicklung, diese zumindest auf höchstem Niveau ausleben. Also dann, falls noch jemand mitliest, a guads Nächtle.
@ Cassionetta #16
Ich weiß nicht genau, worauf du dich hier abzielst. Die „Deszendenztheorie“, nach der sich in der Naturgeschichte die Arten aus einigen Grundformen entwickelt haben, stammt ja schon von Lamarck und wird im Prinzip von Darwin übernommen, nur geht dieser im Gegensatz zu Lamarck nicht von der Akkumulation erwünschter und zweckmäßiger Eigenschaften aus (die Giraffen entwickeln im Laufe der Zeit lange Hälse durch die hoch hängenden Baumzweige), sondern von der Selektion von nicht überlebensfördernden Eigenschaften. Bei Engels finden sich Momente, wo er sich nah am Lamarckismus bewegt, noch Siegmund Freud ist stark von Lamarck beeinflusst.
Diese Hinweise mögen genügen, um es hier nicht allzu akademisch werden zu lassen. für meine Fragestellung ist der Unterschied auch nicht so zentral, hier geht es nicht um biologische Evolution, ob nun durch Vererbung oder durch Selektion, sondern um die historisch-gesellschaftliche Ausweitung der menschlichen Potenziale, sei es in technischer, in sozialer oder in mentaler Hinsicht.
@ Wolfgang Fladung #14
Danke für den erhellenden Beitrag, den ich in seinen wesentlichen Zügen nur unterstützen kann. Also stell‘ dein Licht mal nicht kokett unter den Scheffel! Ob studiert oder nicht: Wissen füllt nicht den Verstand, sondern das Gedächtnis, wogegen der Verstand das Organ des Denkens ist, an dessen Fähigkeit du erkennbar keinen Mangel leidest. Was mir natürlich besonders gefällt und was ich ebenfalls pflege, ist das Gegen-den-Strich-Bürsten der schöngefärbten Begriffe, um deren wahren Bedeutungs- (nicht: Atom-) kern zu rekonstruieren.
Das „Menschen in Gesellschaften mit weniger schichtspezifischer Ungleichheit (siehe Skandinavien) glücklicher sind als die in solchen mit ausgeprägten Klassenunterschieden“ gilt im übrigen nach neueren Untersuchungen auch für die relativ Wohlhabenderen. Es bringt ja auch wohl eine hochgradig entfremdete Lebensweise mit sich und ist das Gegenteil von Freiheit, welche die Menschen im Prinzip anstreben, in ummauerten und von Security-Leuten bewachten Gettos mit noch so luxuriösen Villen zu wohnen, wenn man sich nicht einmal sorglos mit seinem Jaguar oder Ferrari da herausbewegen kann.
Grüße
Heinrich
@J.R. #21
Parodie Anfang
„Der gute Herr Schnippsel hat im übrigen, auch wenn Sie das nicht verstehen wollen, mehr oder weniger geehrte Frau R., den Herrn Heinrich überhaupt nicht beleidigt oder gemeint, im Gegenteil, er hat ein Absatz zwischen die Sätze gesetzt, was, wie Sie wohl nicht wissen, als Hinweis verstanden werden darf, daß ein neuer Gedanke beginnt.
Sie haben sich aber leider in keiner Weise an die von mir mehrfach angemahnte Höflichkeit gehalten oder auch nur den Ansatz von Einsicht bezüglich Ihres aggressiven Stils gezeigt, was mir, vorsichtig ausgedrückt, zumindest unverständlich ist, oder aber den Schluß zuläßt, daß Ihnen die normale Höflichkeit ganz unverständlich ist.
Viel eher aber darf man wohl der subjektiven Sicht anhängen, die ich hier schon früher formulierte: Sie wollen hier bloss rumholzen, von Argumenten oder Nachdenken keine Spur, aber, wenn es Sie glücklich macht, nur weiter. Sie sollten aber versuchen zu verstehen, daß Späne ! fallen sollen, wo gehobelt wird, nicht die Balken.
Aber gegen manches kämpfen Götter selbst vergebens.“
Parodie Ende
Jetzt habe ich mich zu dieser nachtschlafenden Stunde doch noch mal aufgerafft, um ein bißchen Gehirnschmalz abzusondern. Ich glaube, daß wir schon sehr homozentriert, humanzentriert – wie sagt man richtig: ausschließlich auf den Mensch bezogen – sind. Sind wir die Krone der Schöpfung, oder nur eine Mißgeburt derselben, eben ein Haken in der Linie, ein Ausrutscher? Was wurde da „geschöpft“? Wale kriegen es hin, über Hunderte von km sich nicht nur über Fischschwärme auszutauschen, sondern auch über Gefühle, Veränderungen innerhalb der Familie, und noch mehr. So etwas kriegen wir noch nicht mal mit Handy oder Satelliten-Tel. hin, und sind noch ganz am Anfang, was andere Tier- und Pflanzenarten noch an Überraschungen parat halten. Ob diese auch über .ismen debattieren, oder ganz einfach das tun, was uns oft verloren zu gehen scheint – leben. Leben, so wie es uns gut tut, und allen anderen nicht schadet oder diese in ihrer Lebensart beeinträchtigt. Und wenn wir dem Ganzen irgendein Etikett mit einem .ismus dran aufkleben wollen, weil wir uns drüber freuen und stolz drauf sind – bitteschön.
Noch etwas zur Realität: All die lupenreinen Demokraten, welche permanent auf das K-Wort und all die, die es im Munde führen, einprügeln, sind und waren sich nicht zu schade, mit den erbärmlichsten und brutalsten Ünterdrückern und deren Staaten gemeinsame Sache zu machen, und diese hoch zu stilisieren, wie in den letzten Jahrzehnten Herrn Mubarrak. Strauß setzte sich Pinochet und Franco auf den Schoß, vor den Chinesen machen wir unsere Kotaus, ein Armleuchter und eine Karikatur wie Berlusconi wird nicht zum Outlaw, und Saudis kriegen Sonder-Flug-Erlaubnisse an 9/11. Ja, prima Demokraten, und Maschmeyer kriegt demnächst das Bundesverdienstkreuz, und die Freiheit der Drogenbarone und Warlords, 90% des weltweit produzierten Heroins am Hindukusch zu erzeugen, muß verteidigt werden, solange der Haargel von unserem Super-Duper-Gutti aus den Meinungsumfragen trieft.
@25 BvG
Was Frau oder Herr Schnippsel im Hinblick auf Herrn Heinrich beabsichtigt hat oder nicht, ist eine Sache zwischen Frau/Herrn Schnippsel und Herrn Heinrich. Wenn Sie dabei den Schiedsrichter mimen möchten, bleibt Ihnen das unbenommen. Über den „Spielstand“ müssen Sie mich aber zukünftig nicht mehr unterrichten.
Mit dem „Geschnippsel“, was Sie Parodie nennen, wollten Sie mir wohl eine Freude machen. Für diese gute Absicht gebührt Ihnen zunächst einmal ein dreifach kräftiges: Löbchen! Löbchen! Löbchen! Allerdings empfehle ich Ihnen ganz dringend, es eventuell mal mit Märchen und Kindergeschichten zu versuchen, viel schlechter kann das auch nicht werden. Neben den Göttern, die Sie ja quasi schon selbst angerufen haben, deren Hilfe Sie auf Ihren zukünftigen „Parodieweg“ sicherlich auch bedürfen, möchte ich Ihnen noch einen aufrichtig gemeinten Rat mitgeben: Üben, üben und trainieren, dabei niemals den Mut verlieren.
mfg
Jutta Rydzewski
@JR
Ja war schon klar, daß nicht mal auf diese Art begreifen, wie abstoßend Ihre Sprache ist.
Liebe DiskutantInnen,
es gibt Diskussionen, die bei allen Beteiligten (aktiv und passiv) den Horizont erweitern, und es gibt Diskussionen, in denen genau das Gegenteil passiert. Diese Diskussion scheint mir eine vom zweiten Typ zu sein. Vielleicht hat eine automatische Schließung der „Arena“ nach einer gewissen Zeit doch ihren Sinn? Fragt sich ein Mitleser, der von allen DiskutantInnen in anderen Zusammenhängen schon bessere Beiträge gelesen hat.
@ dreas # 29
„… ein Mitleser, der von allen DiskutantInnen in anderen Zusammenhängen schon bessere Beiträge gelesen hat.“
Tut mir leid, ich habe eben meine Höhen und Tiefen, ging diesmal wohl nicht besser.
Anders als Dreas sehe ich schon die Möglichkeit der Horizonterweiterung gegeben, wenn hier darüber nachgedacht wird, ob der Kapitalismus wirklich „die beste aller möglichen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen“ ist. Desgleichen gilt, wenn in diesem Zusammenhang hinterfragt wird, wie „naturgegeben“ und unveränderlich bestimmte menschliche Eigenschaften tatsächlich sind, die aber möglicherweise nur bewusst gefördert werden, um „das System“ am Laufen halten zu können.
Ausserdem ergeben die Erkenntnisse daraus eine ganze Menge Ansatzpunkte, was für eine Politik wir von unseren Volksvertretern einfordern müssten, um in einer gerechteren, weniger gespaltenen Gesellschaft leben zu können, wo nicht zum Nutzen einiger Weniger, Menschen ständig gegen einander ausgespielt werden.
Meines Erachtens hat sich die Debatte zu weit entfernt vom eigentlichen Ausgangspunkt, welcher die Äußerung Gesine Lötzschs war. In ihrem umstrittenen Text plädierte sie dafür, die verschiedenen Wege zum Kommunismus einfach „auszuprobieren“. Klingt in meinen Ohren eher nach experimentellem Aktionismus als nach tragfähigem politischen Konzept. Aber das stellt lediglich ein Geschmacksurteil dar und ist daher für manche nicht diskutierbar. (Zumindest für die Kunst gilt: „Über Geschmack lässt sich streiten, vorausgesetzt das man welchen hat“) Ansonsten enthält der Text Ausführungen über Rosa Luxemburg, das Kaiserreich und die Novemberrevolution, was einem im Allgemeinen ja bekannt ist, wenn man in der Schule aufgepasst hat. (Immerhin scheint Frau Lötzsch diese Kenntnisse bei ihren Lesern nicht vorauszusetzen.) Was aber für mein Verständnis zu kurz kommt, ist die Auseinandersetzung mit der DDR. Man könnte fast meinen, der Kommunismus habe mit der DDR nichts zu tun, eine Ansicht, die ja auch in diesem Blog von manchen Personen vertreten wird. Ich sehe das anders und mit mir auch viele Menschen, die in der DDR gelitten haben und gerne hätten, dass eine Politikerin, wenn sie vom Kommunismus schwärmt auch von der DDR spricht. Wenn also Frau Lötzsch fordert, man müsse die Wege des Kommunismus durch Ausprobieren finden, dann denken genügend Menschen in diesem Land nicht ohne Grund: „Ach, ehrlich gesagt: die Wege, die schon ausprobiert wurden, reichen mir. Mach’s alleine.“
Davon abgesehen wird aus dem ganzen Text nicht klar, warum Lötzsch das, was ihr vorschwebt überhaupt als „Kommunismus“ bezeichnet. Irgendwo im Text findet sich unter dem Stichwort „Eigentumsfrage“ Ideen, die vorrangig um die –eher harmlos zu nennende Idee- der Verstaatlichung von Banken kreisen und nicht um die Verstaatlichung sämtlicher Betriebe, wie es ja das Konzept des Kommunismus vorgeben würde. Daher ist der ganze Text von Lötzsch äußerst verwirrend, da sie mit Begriffen hantiert, die offensichtlich etwas anderes suggerieren als sie meint. Wieso aber dann der Begriff „Kommunismus“ überhaupt? War sie zu faul sich ein neues Wort zu überlegen?
Desweiteren findet man in den Text Passagen über Klima-Krise und andere menschheitsbedrohende Szenarien, die genauso gut vom Clube of Rome, den GRÜNEN oder Angela Merkel stammen könnten. Was hat das bitte mit Kommunismus zu tun- oder im Sinne Lötzschs mit Kommunismen? Versteht die LINKE unter Kommunismus lediglich
Ein Konzept KONSENS PLUS (Damit meine ich den Konsens über die menschheitsvernichtende Katastrophe, wenn alles so weitergeht wie bisher plus Verstaatlichung der Banken und mehr Hartz IV)
Der andere umstrittene Punkt bezieht sich darauf, dass sie sich gemeinsam mit einer ehemaligen RAF-Mitglied und der DKP-Vorsitzenden auf ein Podium begeben wollte zwecks Diskussion, was ich äußerst befremdlich finde und mich frage, wieso sie denn ausgerechnet im Gespräch mit diesen Personen ein erkenntnisbringendes, politisches Konzept erörtern möchte. Innovation stelle ich mir anders vor, aber vermutlich ist das auch nur ein Geschmacksurteil, das nicht diskutierbar ist. Wenn Frau Lötzsch tatsächlich davon ausgeht, dass die Zusammenhänge, die sie bewusst oder unbewusst herstellt, niemanden irritieren, dann ist sie mindestens naiv. Sie ist aber sicher kein Opfer irgendwelcher böser Medien, welche die arme Frau und ihre Kommunismen verunglimpfen. Eins steht auf jeden Fall fest: Sie animiert die Menschen auf diese Weise garantiert nicht, der Linken ihre Stimme anzuvertrauen. Das kann man auch ohne sibyllinische Fähigkeiten erkennen.
@Anna
Es mangelt nicht an Aufklärung oder Horizonterweiterung. Über viele Probleme gibt es mittlerweile einen breiten öffentlichen Konsens. Das Problem liegt daran, dass die Handlungen nicht daran ausgerichtet werden. Man weiß im Grunde, wie es besser ginge, handelt aber anders. Dazu ist erhellend von Sloterdijk: „Kritik der zynischen Vernunft“.
Dieser Zynismus, der auf der (wissentlichen) Diskrepanz zwischen Wissen und Handeln beruht, hat mit Bequemlichkeit zu tun.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass sich diejenigen, welche die Konzepte des Kommunismus in Frage stellen nicht notwendigerweise überzeugte Kapitalisten sind. Diese Polarität stammt aus dem kalten Krieg und ist überholt. Warum in diesem Blog bei Debatten über den Kommunismus, wenn es um seine Schwachstellen geht, grundsätzlich immer das Versagen des Kapitalismus zelebriert wird, kann ich nicht nachvollziehen. Genauso wenig verstehe ich warum Heinrich bei dem Thema immer wieder auf den Nationalsozialismus kommt.
Abschließend möchte ich darauf hinweisen, dass nicht jede Kritik an der derzeitigen Wirtschaftsordnung dem Kommunismus zuzurechnen ist. Es gibt auch alternative Konzepte ohne Karl Marxens Beistand.
@ maat
Ich komme zwar nicht ganz dahinter warum, aber mir scheint, dass du für Marxs Theorien gar nicht wirklich offen bist. Du hälst sie offensichtlich schlicht und einfach für überholt. Da hat es dann auch wenig Sinn zu widersprechen, das ist dann halt so. Ich finde dazu kann jeder auch voll stehen – das bräuchte nicht mit allen gängigen negativen Klischees begründet zu werden.
Und klar hast du Recht damit, dass diejenigen, die den „Kommunismus in Frage stellen nicht notwendigerweise überzeugte Kapitalisten“ sind.
Im übrigen finde ich deine Meinungen, Standpunkte und Geschmacksurteile sehr lesenswert und größtenteils auch äusserst sympathisch.:-)
@ maat
PS: Willst nicht noch was zum Thema „Postpatriarchat“ schreiben – das gehört doch mit zu deinen Spezialgebieten, oder nicht?
@Heinrich #30
Verzeihung, es ist das Problem kurzer Einwürfe, dass sich dabei Pauschalisierung schwer vermeiden lässt. Die Ausführungen zur philosophischen Anthroposophie und zum Verständnis gesellschaftlicher und politischer Vorgänge hätten durchaus Anlass geben können zu einer den allgemeinen Horizont erweiternden Diskussion. Leider sind die Vorlagen meiner (unmaßgeblichen) Einschätzung nach nicht so recht aufgegriffen worden, sondern es blieb in den folgenden Beiträgen meist bei Allgemeinplätzen. Dies mag vielleicht daran liegen, dass bei einer Einbettung des Philosophierens über die menschliche Natur in eine allgemeine Gesellschaftsphilosophie (mit einer darauf aufgebauten politischen Zielrichtung) die große Gefahr besteht, bei den Aspekten, die das Menschsein ausmachen, weniger um Erkenntnis an sich als um Deutungshoheit über die echte oder auch vermeintliche Erkenntnis zu streiten.
Plakativer ausgedrückt: So, wie es einerseits falsch ist, eine prinzipielle „Unmöglichkeit“ des Kommunismus (oder gar einen Kapitalismus als „Ende der Geschichte“) basierend auf „anthropologischen Konstanten“ zu postulieren, so ist es andererseits auch verkehrt, eine vermeintliche Irrelevanz der biologischen Seiten menschlicher Natur zur Grundlage einer Gesellschaftsphilosophie zu machen. Wer sich mit den Menschen auf einen Weg zum Kommunismus machen möchte, sollte folglich wissen und anerkennen, dass er/sie dabei immer auch dass biologische Erbe des Menschen mitnehmen muss.
Abgesehen davon bin ich allerdings dankbar für den Verweis auf die von Marx herausgearbeitete Erkenntnis dass die herrschende Ideologie immer die Ideologie der Herrschenden ist – und mehr noch für das Zitat, des „kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“ Daran muss sich messen lassen, wer die Marxsche Idee vom Kommunismus umsetzen will, aber erst recht, wer es nicht will.
Nochmals Verzeihung, dass auch dieser Beitrag sich nicht allzu sehr über das Niveau von Allgemeinplätzen heraushebt. Mir fehlt die Zeit für mehr, weswegen ich mich eigentlich aufs Mitlesen beschränkt hatte. Ich hoffe allerdings, mit dem Geschriebenen zumindest ein paar Ansatzpunkte fürs Weiterdenken geliefert zu haben.
Es unterscheidet Marx von den „utopischen Sozialisten“, dass er die Überwindung des Kapitalismus nicht in einer moralischen Läuterung der Menschen sieht, sondern in einer Veränderung der politisch-ökonomischen Bedingungen, zu denen die Vergesellschaftung der Produktionsmittel als die Voraussetzung der Abschaffung der Klassenherrschaft des Kapitals gehört. Wenn Sie, Jutta Rydzewski, den Kommunismus als „schöne Philosophie“ oder als „reine Lehre” bezeichnen, die „mit den Menschen nicht zu machen“ ist, so unterstellen Sie Marx einen „idealistischen“ Standpunkt, von dem er sich immer scharf abgegrenzt hat. Eigentlich müsste Heinrich Ihnen dafür mit Verweisen auf die Schriften von Marx den Kopf ordentlich waschen.
Meiner Meinung nach hat maat Recht, dass es bei der politischen Diskussion nicht um den Kommunismus als den Endzustand der paradiesischen „klassenlosen Gesellschaft“ geht, sondern um die konkret angestrebten politischen Veränderungen, also die „Wege zum Kommunismus“. Dabei ist es mehr als berechtigt zu fragen, welche Konzepte dazu „Die Linke“ oder die ihr angehörende „Kommunistische Plattform“ anbieten wollen. Die Frage ist für mich nicht, ob am Ende eine Gesellschaft entsteht, in der „der Mensch nicht mehr des Menschen Wolf ist“, sondern ob dieser Weg über die „Diktatur des Proletariats“ führt, die Lenins Terror und Stalins Massenmorden gebracht hatte.
Wenn aber „Die Linke“ die Aufhebung der kapitalistischen Produktionsweise nicht mehr über die „Diktatur des Proletariats“ anstrebt, was ist dann ihre Strategie? Worin unterscheidet sie sich von Bebels Sozialdemokratie, die Revolution gepredigt, und Reformismus praktiziert hat? Wo bleibt das politisch-ökonomisches Modell des „demokratischen Sozialismus“, das ich auch bei der SPD vermisse?
Wer diese Fragen stellt, muss nicht, liebe Anna, davon ausgehen, dass der Kapitalismus „die beste aller möglichen Wirtschafts- und Gesellschaftsformen“ ist. Er stellt sich womöglich genauso ernsthaft wie Sie die Frage, wie soziale Kälte, Spaltung der Gesellschaft und Ausbeutung überwunden werden können.
@abraham
…was ja mit meinem Beitrag einhergeht, daß Marx sich die Welt so herrichten wollte, daß sie zu seiner Analyse und seinem Ziel passt, da die „Veränderung der politisch-ökonomischen Bedingungen“ ja nur ein bloßer Entwurf, im besten Falle Futurologie war.
Auf empirische Daten hat Marx ja nicht zurückgreifen können, da entsprechende Systeme zu der Zeit nicht bestanden.
Nein, BvG, so simpel kann man Marx nicht abtun. Er hat durchaus, nach intensiven empirischen Studien, bahnbrechende methodische Ansätze entwickelt und damit zutreffend die Wirtschaftmechanismen seiner Zeit beschrieben. Die Frage für mich ist, ob seine für den politischen Kampf formulierten Sätze wie „Sein bestimmt das Bewustsein“ oder „Der herrschende Staat ist das Instrument der Herrschenden“ (Heinrich möge mir nachsehen, dass ich aus dem Kopf und damit ungenau zitiere) nicht mehr die Rezeption „des Maexismus“ beeinflusst haben als die durchaus differenzierteren Ausführungen in den Schriften von Marx. Dies machte und macht immer noch seine „Anhänger“ blind dafür, dass es auch eine Entwicklungsgeschichte des Kapitalismus gibt und dass sich damit auch die sozioökonomischen Gesellschaftverhältnisse verändert haben. Ist z.B. in einer demokratischen Gesellschaft der Staat weiterhin nur das Instrument der „herrschenden Klasse“ oder ermöglicht er auch eine Kontrolle der wirtschaftlichen Macht (so unzureichend diese auch immer wieder umgesetzt wird)? Der „späte“ Engels scheint unter dem Eindruck der Erfahrungen mit dem zunehmenden Einfluss der Sozialdemokratie in den durch allgemeines Wahlrecht bestimmten Parlamenten durchaus Sympathien für reformistische Ansätze entwickelt haben. Dazu hat vor einigen Tagen die SZ eine interessante Besprechung kürzlich veröffentlichter Engels-Schriften veröffentlicht, die ich online nicht gefunden habe.
@abraham
Bezüglich der Beschreibung der Wirtschaftsmechanismen seiner Zeit will ich nicht widersprechen, aber empirische Beobachtungsmöglichkeiten bezüglich Sozialismus und Kommunismus hatte er wohl nicht, und mußte deshalb die Entwicklung quasi vorausdenken. Also mindestens ab dem Übergang zum sozialistischen System war Marx auf Ableitungen angewiesen.
Dem Rest des Beitrags stimme ich zu. siehe auch
http://www.frblog.de/kwort/#comment-31609
@ Abraham # 39
„Ist z.B. in einer demokratischen Gesellschaft der Staat weiterhin nur das Instrument der “herrschenden Klasse” oder ermöglicht er auch eine Kontrolle der wirtschaftlichen Macht (so unzureichend diese auch immer wieder umgesetzt wird)?“
Ist das was Sie in Klammern gesetzt haben, nicht die eigentliche Gretchenfrage? Nämlich WARUM es der Politik/dem Staat auch in unserer demokratischen Gesellschaft nur so unzureichend gelingt, die wirtschaftliche Macht zu kontrollieren? Für mich liegt nahe darauf zu antworten: „…weil die Politik nur das Instrument der „herrschenden Klasse“ ist.“
Womit wir wieder „back to sqaure one“ sind, nämlich bei Marx. – Oder sehe ich das zu einfach?
@37 Abraham
„Wenn Sie, Jutta Rydzewski, den Kommunismus als „schöne Philosophie“ oder als „reine Lehre“ bezeichnen, die „mit den Menschen nicht zu machen“ ist, so unterstellen Sie Marx einen „idealistischen“ Standpunkt, von dem er sich immer scharf abgegrenzt hat“.
Ich unterstelle Herrn Marx gar nix, sondern habe mir, und das nun schon zum x-ten Male, lediglich erlaubt, meinen EIGENEN Standpunkt, sozusagen meine eigene Ideologie zu erläutern. Deshalb ist es mir auch ziemlich egal, von wem oder von was sich Herr Marx abgegrenzt hat oder nicht. So gut es Herr Marx, im Hinblick auf seine „wunderschöne“ Philosophie, auch gemeint haben mag, seine „Lehre“ ist mit dem Menschen nicht zu machen, und wird demzufolge ein Ideal, eine Utopie bleiben. So oder so ähnlich habe ich mich nun mehrfach in beiden „Staffeln“ dieses Themas eingelassen, und so steht es u.a. ausführlich in der Einleitung zu „Ideologische Schmuddelecke II“. Wenn dennoch immer wieder über J.R. (was ich ja wohl sein soll) herumgemosert, in diesem Zusammenhang gar vorgebliche „Parodien“ und ähnlicher Unsinn verbreitet wird, so dürfte das, zumal der Unterhaltungswert für derartige Spielchen mittlerweile auch gleich Null ist, Gründe haben, wie ich sie in @21, unter dem Stichwort J.R.-Phobie, zum Ausdruck gebracht habe. Wenn hier z.B. in @25 „geklagt“ wird – „Sie wollen hier bloss rumholzen, von Argumenten oder Nachdenken keine Spur“ – so ist das nicht nur dreist und unverschämt sondern schlicht unzutreffend. Sowohl in der Einleitung, als auch in mehreren längeren Beiträgen habe ich mich umfassend, detailliert, klar, deutlich und unmissverständlich zum Thema eingelassen. Wer dennoch diesen zitierten Unsinn behauptet, hat offenbar mit sich selbst größte Probleme. Wie auch immer, ich habe einfach keine Lust mehr mich ständig wiederholen zu müssen oder zu sollen, zumal das auch irgendwann nur noch langweilt. Gleiches gilt für Verlautbarungen, bei denen lediglich diverse Phobien oder andere Verklemmungen durchschimmern, ansonsten aber kein Bezug zum Thema erkennbar ist.
Zusammengefasst: Was aus dem Lötzschgequatsche gemacht wurde und wird, ist schlicht lächerlich und macht erschreckend deutlich, auf welch einem jämmerlichen Niveau sich die so genannte mediale und politische Klasse in diesem Lande befindet. Besonders tut sich dabei mal wieder die ultrarechte Hessen-CDU, bei der Beschwörung des Kommunismusgespenstes, in Verbindung mit Frau Ypsilanti hervor. Ein gewisser Christean Wagner, der bereits vor einigen Jahren als Justizminister den „innovativen“ Vorschlag gemacht hatte, nicht nur Strafgefangene, sondern auch Drogenahängige und Langzeitarbeitslose mit Fußfesseln „auszustatten“, haut mal wieder besonders heftig auf die Kommunismuspauke. Marx hin, Lötzsch her, meine eigene Ideologie fürs praktische Leben, leite ich nicht vorrangig aus wunderschönen, philosophischen Theorien, sondern aus der Charta der Vereinten Nationen, wobei in der Präambel alles Wesentliche zusammengefasst ist, und aus dem Grundgesetz, in Sonderheit den ersten 19 Artikeln, ab. Je mehr Mensch bemüht ist, Inhalt und Geist der Charta und des Grundgesetzes gerecht zu werden, danach zu handeln, zu wirken und zu leben, umso mehr ist die wunderschöne philosophische Seite des Kommunismus entbehrlich. Verheerend würde es sein, und leider sieht es immer öfters danach aus, wenn die Charta der VN und das Grundgesetz, anstatt (einklagbare) Lebenswirklichkeit, auch nur noch Ideal, Utopie und wunderschöne Philosophie wäre. Dann kann Mensch allerdings endgültig einpacken.
„Eigentlich müsste Heinrich Ihnen dafür mit Verweisen auf die Schriften von Marx den Kopf ordentlich waschen“.
Obwohl eigentlich schon wieder eigentlich eine Einschränkung ist, so können Sie davon ausgehen, dass weder Heinrich, noch sonst wer aus der Bloggemeinde, meinen Kopf so ordentlich wäscht, wie ich es gewöhnt bin und haben möchte.
mfg
Jutta Rydzewski
Wenn ich diese nicht völlig falsch verstehe, dann neige ich eher den Ansichten von Frau Rydzewski zu. (Zu?) banal ausgedrückt, würde ich sagen: Marx, tolle Idee, aber schlechte Ausführung durch die meisten derer, die sich auf ihn beriefen. Nur kann man den Charlie nicht für das Unheil verantwortlich machen, das seine (vermeintlichen) Nachfolger wie Stalin oder die Kims angerichtet haben. Er hatte halt eine gute Grundidee einer gerechteren und sozialeren Gesellschaft. Aber diese Idee müssen wir eben, was auch schon geschrieben wurde, im zeitlichen Kontext sehen. Vor ihm Hegel, mit ihm Engels, Proudhon als Zeitgenosse, die ersten Anarchisten – alle machten sich Gedanken, wie es besser laufen könnte.
Ich weiß und kenne zuwenig von Marx, inwieweit die Erkenntnisse von Darwin in seine Überlegungen mit eingeflossen sind. Er verfügte auch noch nicht über die neuen Erkenntnisse der Biologen, Genetiker, Soziologen, das menschliches Verhalten sowohl vererbt als auch durch Umwelteinflüsse bestimmt wird. Der Streit geht derzeit wohl nur noch darüber, welche Faktoren einen höheren Anteil haben.
Um es vereinfacht an einem Beispiel auszudrücken: Irgendwann in der Altsteinzeit merkten unsere Vorfahren, daß die Hirschkeule über einem vom Blitz getroffenen brennenden Ast gebraten besser schmeckte als roh, und daß sich mit brennendem Holz in kalten feuchten Höhlen bald eine kuschelige Wärme breit machte. Wer Holz und Hirschkeulen mitbrachte, durfte da bleiben. Alle anderen, so nicht Clanmitglieder, mußten draußen bleiben. Und daran hat sich bis heute nichts geändert.
Wir wissen, oder glauben zu wissen, daß wir an die Grenzen des Wachstums angelangt sind. Natürlich wird versucht, weil wir eben gerne „glauben“, daß ein qualitatives Wachstum anstelle eines bloß quantitativen weiterhin prima funktionieren würde. Wir haben ja auch als Steinzeitler daran geglaubt, daß der Fortschritt des Höhlenfeuers zum Nulltarif zu haben ist.
Allen, nicht nur Neoliberalen, aus den Partei-Richtungen CDU, FDP und SPD klarzumachen, das wir nur Überlebenschancen haben, wenn wir schrumpfen und nicht wachsen, ist wohl vergebliche Liebesmüh – wer will schließlich verzichten? Dies gilt auch für gestandene Gewerkschaftler. Wenn überhaupt, sehe ich hier nur Chancen bei den Überlegungen einiger undogmatischer ganzheitlich denkender (ökologischer?) Zeitgenossen, wie ich sie eher auf dem Feld des demokratischen Sozialismus orte, einem Feld ohne Denkverbote und Denken in alle Richtungen. Attac-Mitglieder wie Heiner Geissler gehören für mich nicht dazu, sie laufen als eine Art menschlicher Etikettenschwindel durch die Gegend. Stuttgart 21 Plus ist eben nur das Mäntelchen für den Cayenne, mit dem beim Bio-Bauern eingekauft wird.
Aber das alles ist wohl wieder ein anderes Thema.
@ Anna
Wollen Sie behaupten, dass unsere Arbeits- und Sozialgesetzgebung, des Umweltrecht und vieles andere ausschließlich nach den Interessen der Wirtschaft geregelt sind? Ist Ihre Bewertung nicht zu sehr von der „Tagespolitik“ beeinflusst? Wer die Entwicklung seit dem 19. Jahrhundert im Auge behält, wird wohl zu einer anderen Bewertung des Staates in demokratischen Gesellschaften kommen.
@ Jutta Rydzewski
„Ich unterstelle Herrn Marx gar nix, sondern habe mir, und das nun schon zum x-ten Male, lediglich erlaubt, meinen EIGENEN Standpunkt, sozusagen meine eigene Ideologie zu erläutern.“
Wenn Sie nur Ihren Standpunkt als relevant ansehen und sich nicht einmal im Ansatz dafür interessieren, was Marx wirklich geschrieben hat, worüber diskutieren Sie dann?
@ Anna # 41:
Können Sie mir mitteilen, aus wem sich – Ihrer Ansicht nach – in Deutschland die herrschende Klasse zusammensetzt?
@45 Abraham
„Wenn Sie nur Ihren Standpunkt als relevant ansehen und sich nicht einmal im Ansatz dafür interessieren, was Marx wirklich geschrieben hat, worüber diskutieren Sie dann?“
Unabhängig davon, dass wohl nichts dagegen einzuwenden ist, eher ganz im Gegenteil, wenn sich Mensch, so auch ich, EIGENE Gedanken macht, EIGENE Auffassungen und Überzeugungen vertritt, also mit dem EIGENEN Kopf denkt, anstatt sich lediglich nur aufs Nachplappern -schnattern oder -klappern zu beschränken, lässt sich Ihr unzutreffender Vorhalt, dass ich nur meinen Standpunkt als relevant ansehe, am besten mit einer Passage aus der Einleitung zu diesem Blog-Thema beantworten:
“ … Es wird aber immer dann besonders schwierig, wenn nicht gelesen, sondern im „gewünschten-personenbezogenen“ Sinne interpretiert wird. Doch das ist hier ja nix Neues, und in meinem speziellen Fall „partiell“ sogar uralt.;-)
In diesem Sinne noch einen schönen Abend.
mfg
Jutta Rydzewski
PS: Ach, ja, wenn Sie nun immer noch nicht wissen, worüber ich diskutiere, dann kann ich Ihnen auch nicht helfen, so leid es mir tut.
@ Abraham
Ich will gar nichts behaupten, Abraham. Ich kann mir auf diese Art lediglich erklären, weshalb z.B. so viel Geld in die Bankenrettung gesteckt wurde, warum es eine „Riester-Rente“ gibt, warum der Arbeitgeberanteil in der gesetzlichen Krankenversicherung eingefroren wurde …
@Jutta R.
Erstens nenne ich Sie J.R., weil Sie mich an diesen erinnern, und zweitens, weil Ihr Name allzu unbequem zu schreiben ist.
Sie sagen in #47
„Es wird aber immer dann besonders schwierig, wenn nicht gelesen, sondern …“
Dazu: Es ist fast unmöglich, Ihre Texte zu lesen, weil Sie durch Ihre „expressive“ Art jedes unvoreingenommene Lesen unmöglich machen.
Natürlich hat jeder so seine Art, ein bißchen Pfeffer in die Soße zu geben, aber was Sie da so für Würze halten, produziert ein Gefühl der Übelkeit.
Halten Sie es den hier Anwesenden zugute, daß Ihre Expressionen noch immer ernstgenommen werden und daß „sich ausdrücken“ nicht mit dem assoziert wird, was Sie selbst so gern als „Herausgepresstes“ oder „Herausgeplumpstes“ betiteln.
Wenn Sie sich außerdem die unehrlichen, nur scheinbar ironischen Floskeln sparen könnten, wäre viel geholfen. Sie geben ja selbst vor, geradeheraus zu sprechen. Tun Sie’s.
@ # 48 Anna
Wer würde bestreiten, dass die Wirtschaft mit Erfolg Einfluss auf die Politik ausübt und mit Propagandamitteln sowie mit Geld die Parteien oder Politiker unterstützt, die in ihrem Sinne wirken? Aber auch die jetzigen Regierungsparteien können sich nicht nur nach den Wünschen der Wirtschaft orientieren. Wäre der Staat lediglich das Instrument des Kapitals, hätten wir Kündigungsschutz, Koalitionsfreiheit etc.?
@ # 47 Jutta Rydzewski
Es ist Ihnen unbenommen, sich Ihre eigenen Gedanken über Gott und die Welt zu machen. Mir ist unbenommen, Sie darauf hinzuweisen, dass Ihre „eigene Gedanken“ über Marx nur wenig damit zu tun haben, was dieser vertreten hat. Wenn Sie dieser Widerspruch nicht interessiert, weil Sie eine „eigene Ideologie“ haben, dann werden wir weiterhin aneinander vorbei reden. Daraus entsteht keine Diskussion.
@Abraham
Sehr bereichernd für mich Deine Kommentare in diesem Thread und ich stimme Dir vollkommen zu!
@DREAS
Du meinst wahrscheinlich „philosophische Anthropologie“, nicht Anthroposophie, oder?
Falls es kein Versehen war, würde mich interessieren, was Du unter „philosophischer Anthroposophie verstehst?!
@Maat
Ähem, ja es sollte in der Tat „philosophische Anthropologie“ heißen, wie im angesprochenen Beitrag #12 von Heinrich. Da ist mir leider versehentlich das Wort zur Weisheit mutiert (was im Allgemeinen ja nicht verkehrt, hier jedoch sinnentstellend ist). Ich hoffe, dass der Rest der Botschaft dennoch verständlich war. Danke auf jeden Fall für den Hinweis.
@ Jutta Rydzewski # 47:
zu
… Es wird aber immer dann besonders schwierig, wenn nicht gelesen, sondern im “gewünschten-personenbezogenen” Sinne interpretiert wird. Doch das ist hier ja nix Neues, und in meinem speziellen Fall “partiell” sogar uralt.;-)
Mit Ihnen wird immerhin noch kommuniziert; beschweren Sie sich also nicht.
Meine Fragen oder Anmerkungen sind hier offensichtlich niemandem – auch Ihnen – einen Buchstaben wert.
Deshalb bemerke ich hier nur am Rande (immerhin ging es ja um den Kommunismus als Endprodukt des Sozialismus):
Der Generalsekretär der Sozialistischen Internationale hat Ende Januar den Ausschluss der ägyptischen Regierungspartei NDP aus der Sozialistischen Internationale bekannt gegeben.
Dem Generalsekretär der NDP schrieb er:
„Mit Wirkung vom heutigen Tag heben wir die Mitgliedschaft der NDP auf, bleiben jedoch entschlossen, WEITERHIN mit allen Demokraten Ägyptens zu kooperieren, die einen offenen, demokratischen, inklusiven und säkularen Staat anstreben.“
@Katja #11
Sie schreiben in #11, die Blogteilnehmer stellten sich den Kommunismus als „paradiesische Gesellschaftform“ vor.
So naiv ist eigentlich keiner und die Diskussion geht ja gerade nicht um die Utopie, sondern um die Realitäten.
Vielen Menschen wird einsichtig sein, daß der Mensch lernen muß, in einer bestimmten Gesellschaftsform zu leben.
Viele werden aber protestieren, wenn man sagt, der Mensch müsse zum Kommunismus erzogen werden.
Zwischen diesen beiden Sätzen bewegt sich die „idealistische“ Diskussion.
@51 Abraham
Anstatt zu lesen, wollen Sie mich offenkundig wieder, und zwar ganz nach Ihren Vorstellungen, interpretieren. So kann in der Tat keine Diskussion entstehen. Nachfolgend ein paar Beispiele zu Ihrer „Diskutier-Technik“, und damit verbunden ein wenig zu den Gründen, warum wir zwangsläufig sogar aneinander vorbeireden müssen.
„Es ist Ihnen unbenommen, sich Ihre eigenen Gedanken über Gott und die Welt zu machen.“
Klar ist mir das unbenommen. Und, was ist daran denn so sensationell? Natürlich bleibt jedem Menschen unbenommen, sich eigene Gedanken zu machen. Mensch sollte sich sogar eigene Gedanken machen, zumal das Eine lediglich eine wunderschöne Philosophie, ein Ideal, eine Utopie, und in der Praxis bisher immer völlig missbraucht worden ist, während das Andere, allgemein Kapitalismus genannt, krank und morsch ist, und sich in einem bereits weit fortgeschrittenen Fäulnisstadium befindet. Hier geht es nicht pauschal um Gott und die Welt, sondern konkret, anlässlich der Äußerungen von Frau Lötzsch, um das Schreckgespenst Kommunismus. Dabei sollte, so habe ich zumindest die Themen-Einleitung verstanden, sowohl die erste als auch die zweite Staffel von „Ideologische Schmuddelecke“ doch keine Diskussion ausschließlich über Marx und „seinen“ Kommunismus sein, sondern über den Begriff selbst, und wie mit ihm in diesem schönen Deutschland umgegangen wird. Genau das habe ich mit meinen „eigenen Gedanken“ getan. U.a. habe ich die politische und mediale Debatte dazu, und den damit einhergehenden Talkshowjournalismus, mehrfach als armselig bzw. unterirdisch bezeichnet, und mit Beispielen unterlegt. Wo ist also das bzw. Ihr Problem? Natürlich kann über Marx diskutiert werden, aber doch nicht ausschließlich und quasi unter Zwang, nach dem Motto: Entweder Marx oder gar nix. Es ist auch unzutreffend wenn Sie hehaupten, dass meine „eigenen Gedanken“ über Marx nur wenig damit zu tun hat, was dieser vertreten hat. Das ist deshalb unzutreffend, weil ich diese „Gegenüberstellung“ nie vorgenommen habe, und das auch nie beabsichtigt hatte. Deshalb gibt, kann es auch logischerweise keinen Widerspruch in diesem Zusammenhang geben. Ich denke, damit soll es auch gut sein.
mfg
Jutta Rydzewski
@49 BvG
„Tun Sie’s.“
Lassen Sie`s.
@ BvG:
jetzt beziehe ich mich nochmals direkt auf Jutta Rydzewski # 56:
Sie schreibt: „Mensch sollte sich sogar eigene Gedanken machen, zumal das Eine lediglich eine wunderschöne Philosophie, ein Ideal, eine Utopie, und in der Praxis bisher immer völlig missbraucht worden ist,..“
jetzt beziehe ich rückwirkend auf Anna # 3:
„Natürlich folgt die biologische wie kulturelle Entwicklung der Menscheit keinem linearen Trend, sondern ist ,wie die Geschichte zeigt, ein eher holpriger, durch Rückschläge gekennzeichneter Weg. Entscheidend ist aber, dass es „wunderbare“ Ideale und Utopien gibt, an denen wir uns orientieren können, um immer wieder zurück auf die Wege zu finden, die zu einer „höheren“ Entwicklung führen.“
Sie hingegen antworten mir:
„So naiv ist eigentlich keiner und die Diskussion geht ja gerade nicht um die Utopie, sondern um die Realitäten.“
Ich bin mir da anlässlich der von mir zitierten Beiträge nicht so sicher!
Im Übrigen wird ja hier im blog die Utopie als erstrebenswertes Ziel genannt, das dem Jetzt entgegengesetzt wird. Da wird man sich doch fragen dürfen, wie das Ziel denn konkret aussehen soll. Die Frage ist nämlich: ist die utopie wirklich so schön?
Ich frage mal so: In welchen Ländern der Erde läßt es sich einigermaßen gut leben, im Sinne das Kant’schen kategorischen Imperativs? Wo wurde der Kapitalismus so gebändigt, daß seine Zerstörungskraft, die primär im exponentiellen Wachstum liegt (und damit genau zum Gegenteil führt), gebändigt wurde und ist? Gibt es ein sozialistisches/kommunistisches Land, in welchem die Marx’schen Idealvorstellungen verwirklicht wurden? Wohl beides nicht.
Ich beschäftige mich seit einiger Zeit mit den Ideen der von Silvio Gesell entwickelten Freiwirtschaftslehre, welche übrigens der „linke“ Ökonom Keynes recht gut fand. Trotzdem lassen sowohl die Vertreter der österr. Schule, also die heutigen Neoliberalen, als auch die Linken wenig Gutes an Gesells Ideen. Für mich enthalten seine Gedanken viele praktische Ansätze für eine Änderung bzw. Abkehr von unserem „Make money, more money, much money“-System.
Also, wer wagt es, Rittersfrau oder Knapp‘ zu tauchen in diesen Schlund?
@ Wolfgang Fladung #48:
ich hatte Ihnen in diesem Zusammenhang einmal das Buch von Helmut Creutz: Das Geld-Syndrom nahegelegt, welches mich (es ist leider lange her) sehr beeindruckt hatte.
Haben Sie es einmal gelesen?
In diesem Buch wurde auch das – auf Silvio Gesells Ideen beruhende – Wunder von Wörgl http://de.wikipedia.org/wiki/W%C3%B6rgl beschrieben.
Im Gegensatz zum Kommunismus (der ja eine zwangsweise Veränderung des Menschen voraussetzt) schien mir die Veränderung des Geldsystems nicht unmenschlich (allerdings im internationalen Rahmen auch nicht umsetzbar).
@Wolfgang Fladung
Nunja, ich finde, dass es sich in unserem Land recht gut leben lässt auch gemeinsam mit Kants kategorischem Infinitiv sogar dann, wenn man nicht den diskreten Charme der Bourgeoisie besitzt. Oder anders ausgedrückt: Auch wenn ich mich sehr für Gerechtigkeitsfragen erwärmen kann, ich sehe in Deutschland nicht überall nur Verlierer, Verzweifelte und Entrechtete. Es gibt ein schlimmeres Los als hier zu leben, selbst dann wenn man auf Hartz IV angewiesen ist.
Die Probleme, die ein System mit sich bringt, das auf Wachstum basiert, bestehen aber natürlich trotzdem. Es ist ja auch sehr lobenswert, sich über Lösungen Gedanken zu machen. Aber muss sich das jedesmal so anhören, als ob man sich gleich von der Brücke stürzen möchte?
Ich fühle mich für das Blog langsam zu lebensfroh.
Geht’s Euch allen wirklich so schlecht?
Fragt sich besorgt
maat
@katja #57
Eine Utopie als Orientierung zu nutzen und gleichzeitig die realen Bedingungen zu beachten, wie es Anna tut, ist doch eigentlich genau die richtige Vorgehensweise und blendet die Realitäten eben nicht aus.
Eine zweite Frage wäre, ob diese spezielle Utopie (oder eine andere?) wirklich so erstrebenswert ist.
Der andere Strang der Diskussion bezieht sich mehr auf die wissenschaftliche Seite des Marxismus, die eben nicht die Utopie, sondern nachweisbare Bedingungen und deren Konsequenzen aufzeigen will, nicht eine ideologische Bewegung auf ein Ziel hin, sondern eine beweisbare Ausgangslage und eine unabweisbare Entwicklung.
Inwiefern Marx und Engels das gelungen ist,wäre eine weitere Diskussion.
@ BvG:
ohne die Frage beantwortet zu haben, ob eine Idee überhaupt erstrebenswert ist,
ist es doch unsinnig, sich an ihr zu orientieren.
In diesem Thread geht es ja mit offenen und verdeckten persönlichen Angriffen sowie mit im Brustton der richtigeren Überzeugung vorgetragenen Thesen, die offenbar keiner Begründung als der des Rückzugs auf die eigene Subjektivität bedürfen, ziemlich hoch her.
Ist das hier im Blog mittlerweile der neue Standard? Hier jedenfalls der Versuch, auf das eine oder das andere mit einigen kritischen Anmerkungen rational einzuwirken:
Ich beginne mit # 42/ # 56
So geht das nicht, Jutta!
Will sagen: natürlich bleibt es Ihnen unbenommen, zu schreiben was Sie wollen und sich eigene Gedanken zu machen. Bloß: Wenn Sie in Ihren expressiven und intuitiven Brainstormings das ganze Übel der Welt in einen Topf werfen, durchrühren und anschließend lauwarm als Kapitalismus und „politische und mediale Kultur in diesem Lande“ servieren, dann sollten Sie sich nicht darüber wundern und aufregen, wenn das als Lamento über Gott und die Welt gelesen und für nicht weiter diskutierbar oder diskussionswürdig erachtet wird.
Wenn aber doch jemand Einzelaspekte da herausholt und kritisch bespricht, ist es ein Gebot der Redlichkeit, sich zu vergewissern, was man gesagt hat und sich dazu zu bekennen oder es zu relativieren oder zurückzunehmen.
Sie schreiben doch ausdrücklich in # 6:
Der Kommunismus, die “reine Lehre” (ich bin sicher keine Marx und Engels Expertin), will doch eine gerechtere Gesellschaft“, usw. und an anderen Stellen immer wieder von der „wunderschönen philosophischen Seite des Kommunismus, als Ideal und Utopie“.
Dagegen ist der Einwand von Abraham völlig legitim, denn worauf anders als auf Marx soll die „reine Lehre“ und die „philosophische Seite“ des Kommunismus bezogen sein. Da müssten Sie andersherum für eine sachliche und produktive Diskussion schon verdeutlichen: „Hier entwickle ich nichts als die reine Lehre meiner eigenen Gedanken“, dann wehren Sie sich zurecht dagegen, wenn jemand Sie auf den Marxschen Begriff einengen will. Ich glaube nicht, dass Abraham das dann im Sinn hätte.
Dass die öffentlichen Reaktionen auf Lötzsch vielfach von schrillen Tönen bestimmt sind, habe ich Ihnen bestätigt und ist eigentlich nur mit Scheuklappen übersehbar. Trotzdem wird auch diese Wahrheit nicht wahrer durch ständige Wiederholungen, zu denen Sie mit recht keine Lust haben, zu denen Sie aber auch von niemandem gezwungen werden.
Viele Grüße
Heinrich
@Heinrich
Wie meinst Du das mit den „schrillen Tönen“? Wo, Wie, Wann?
Ich bin was die Medienwelt anbelangt, nicht so auf dem Laufenden, da ich so wenig fernsehe. Also die Reaktionen der FAZ, der FAS, der ZEIT und meiner hiesigen Regionalzeitung fand ich völlig in Ordnung, in die FR habe ich auch reingeguckt- ich kann da nichts bemängeln. Ingesamt waren die Kommentare zum Teil kritisch und ironisch, aber „schrill“ fand ich das nicht. Das waren seriöse Auseinandersetzungen.
Zu anderen Medien kann ich nichts sagen.
maat
@60 maat
„Geht’s Euch allen wirklich so schlecht?“
Da Sie so ganz allgemein und besorgt in die Runde fragen, kann ich Sie, im Hinblick auf meine Verfassung, beruhigen. Mir geht es nicht schlecht, eher ganz im Gegenteil. Mal geht es etwas besser, mal etwas schlechter, aber im Großen und Ganzen bin ich zufrieden. Allerdings wird mir zunehmend schlecht, teilweise sogar kotzübel, wenn ich so um mich herum gucke. Das soziale Klima vereist z.B. mittlerweile in diesem Land. Islamfeindlichkeit, Antisemitismus, Armenverachtung, auch deutsche Arme, nimmt dramatisch zu. Sie wissen ja selbst, „Deutsche Zustände“ von Prof. Heitmeyer. Grupenbezogene Menschenfeindlichkeit, die Bürgerlichkeit verroht, entkultiviert usw. usw.. Besonders dramatisch empfinde ich was mit unserer Zukunft, der Jugend ist. Extrem ausgrenzend einerseits, extrem anpassungswillig andererseits, auf schlecht deutsch: Nach oben buckeln, nach unten treten. Das werfe ich wahrlich nicht den Kindern und Jugendlichen vor, denn so etwas ist nicht angeboren oder vererbbar, liegt also nicht in den Genen, sondern an den herrschenden Strukturen und dem, was sie (die Jugendlichen) täglich sehen und hören. Früher gab es mal öffentliche Vorbilder, heute gibt es nur noch dämliche Schwätzer, Hetzer und Rassisten, oft sogar alles in Personalunion. Das sind übrigens, auch wenn sie Millionen haben, die wahren sozialen Schwachen in diesem Lande.
Bekommen Sie davon in Ihrer Welt nix mit?
mfg
Jutta Rydzewski
Der Reihe nach, zunächst zu Katja Wolf, # 59: Ich habe mir von Helmut Creutz, auch einem der Autoren in der Zeitschrift HUMANE WIRTSCHAFT, „Die 29 Irrtümer rund ums Geld“ zugelegt, genauso wie „Die blinden Flecken der Ökonomie“ von Bernd Senf. Da liegt auch noch „Die Schock-Strategie“ von Naomi Klein auf dem Stapel, mit ungefähr 10 anderen, die ich mir zugelegt habe, aber noch nicht zum Lesen kam. Warum? Weil mich die Sachbücher mit ihrem Wissen manchmal erschlagen und ich zwischendurch ein wenig Belletristik, zur Zeit den neuesten Le Carre „Verräter wie wir“, reinziehen muß, um den Kopf frei zu bekommen. Wörgl kenne ich seit Jahren wegen den Infos aus der HUMANE WIRTSCHAFT (früher HUMANWIRTSCHAFT), weil auch ich, als Fan kommunalen und regionalen Wirtschaftens und Handelns, das Thema Regionalgeld favorisiere.
Zu maat, # 60: Wahrscheinlich bin ich da der angeblich typische Deutsche, der immer ein Haar in der Suppe findet. Für mich geht es nicht um das Klagen auf hohem Niveau, sondern um Gerechtigkeit. Ich selbst befinde mich noch in einer einigermaßen guten, abgesicherten Situation, aber ich kenne viele Hartz IV-Empfänger, denen es wirklich dreckig geht, die von ihrem Berater/Fallmanager auf der Agentur für Arbeit sich, mehr oder weniger zu Recht, verarscht fühlen, und sich dauernd was erzählen lassen müssen von „Eigenverantwortung“ und „Leistungsprinzip“ und „Anspruchsdenken“. Aber so Typen wie Maschmeyer haben wohl kein Anspruchsdenken, und sind Heilige ohne Fehl und Tadel?
Nein, wenn ich mir diese Situation, und das Gewürge um den Klimaschutz, oder um das richtige „Butter bei die Fische“-tun rund um den Handel und die Behandlung gerade afrikanischer Länder, reinziehe, dann möchte ich mich zwar nicht von der Brücke stürzen, aber gerne, trotz meiner 65 Lenze, mithelfen, solche einzureißen oder woanders andere Brücken neu zu errichten.
Wenn halt wandelnde Weinfeste wie Brüderle mir was von Aufschwung XXL vorlallen, und dann gleichzeitig andere Typen wie Kannegießer sofort reflexartig vor „überzogenen Forderungen für Lohnerhöhungen“ warnen, dann denke ich, sorry, an diese Hackebeilmaschine aus dem Frankreich von 1790 – 1793 zurück, weil ich diese Dummschwätzerei nicht ungetraft lassen möchte. Aber das wäre natürlich auch keine Lösung – da hat ja schon die RAF das Thema verfehlt bzw. falsch angegangen.
@54 Katja Wolf
„Mit Ihnen wird immerhin noch kommuniziert; beschweren Sie sich also nicht.“
Naja, ob das manchmal unter kommunizieren einzuordnen ist, dürfte zumindest zweifelhaft sein.;-) Ich habe mich auch nicht beschwert, sondern auf einen wichtigen Umstand bzw. eine weit verbreitete Unart aufmerksam gemacht. Eine den Namen verdienende Diskussion kann nur dann gelingen, wenn das eng am Text des Verfassers bzw. der Verfasserin geschieht. Beliebige Interpretationen sind dabei nicht nur nicht zielführend, sondern lassen eine konstruktive und sachliche Diskussion letztlich gar nicht zu. Wer nicht eng am Text des Verfassers bleiben will, aus welchen Gründen auch immer, muss eben den eigenen Text zur Diskussion stellen. So einfach ist, wenn man(n) oder frau dann will.;-)
„Meine Fragen oder Anmerkungen sind hier offensichtlich niemandem – auch Ihnen – einen Buchstaben wert.“
Das hört sich aber nach einer Beschwerde an.;-) Was möchten Sie denn z.B. von mir wissen, hinsichtlich Ihrer Mitteilung über den Ausschluss der ägyptischen Regierungspartei NDP aus der Sozialistischen Internationale?
Bei der Gelegenheit noch ein Wort zur Utopie. In diesem Zusammenhang fragen Sie an anderer Stelle, ob die Utopie wirklich so schön ist. Aber sicher ist sie das, im Sinne der von Anna und auch von mir herbeigewünschten Form. Selbstverständlich ist eine gerechtere Gesellschaft ohne Ausbeutung, mit gleichen Bildungschancen, sozialer Stabilität, Verteilungsgerechtigkeit usw. usw. erstrebenswert. Insofern ist Ihre Frage leicht zu beantworten. Die Realität sieht aber, sogar zunehmend, anders aus. Näheres dazu in @6.
mfg
Jutta Rydzewski
@Jutta R.
Es freut mich, dass es Ihnen im Großen und Ganzen gut geht- das meine ich ernst.
Ihre Ansichten über junge Menschen kann ich jedoch nicht teilen. Die Kinder und Jugendliche mit denen ich zu tun habe, sind sehr liebenswert und engagiert und klug. Ich freue mich jeden Tag darüber, was da doch für tolle junge Menschen heranwachsen.
@Wolfagng Fladung
Ja, vor dem Hintergrund verstehe ich Ihre Position.
maat
@ Abraham
Welchen Anlass hätte Heinrich, dir nicht nachzusehen, dass du aus dem Kopf zitierst? Wir sind hier eine Diskussionsrunde und kein wissenschaftliches Kolleg. Was Heinrich weniger versteht, ist, dass du die Ansprüche an die adäquate inhaltliche Wiedergabe der Marxschen Theorie, die du an andere (z.B. Jutta) hier stellst, nicht auch an dich stellst.
1. „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ ist kein originär für den politischen Kampf formulierter Satz, sondern das sozusagen Marx‘ in Stein gehauenes Bekenntnis zur materialistischen Weltanschauung, die sein ganzes Denken durchzieht. Ich sage bewusst „Bekenntnis“, weil Marx und Engels trotz oder vielleicht gerade wegen ihres hohen philosophischen Kenntnis- und Reflexionsniveaus nicht die arrogante Borniertheit von Zeitgenossen besaßen, die ihre weltanschaulichen Ansichten immer schon im philiströsen Brustton der richtigeren und nicht zu hinterfragenden Bewusstseins vortragen.
Der Widerstreit von weltanschaulichem Materialismus und Idealismus ist nach einem Diktum von Engels (in: Die Entwicklung des Sozialismus von der Utopie zur Wissenschaft“!) die „Grundfrage der Philosophie“. D.h. es ist demnach eine Frage der „Entscheidung“, hinter die man nicht zurück kann mit dem (vergeblichen) Versuch, den den einen oder anderen Standpunkt (!) zu beweisen.
2. „Der herrschende Staat ist das Instrument der Herrschenden”
Du siehst den Widerspruch? Entweder herrscht jemand oder etwas oder ist ein Instrument, beides zusammen geht nicht. Tatsächlich führst du hier mit Anna eine Diskussion um eine Chimäre, um eine herrschende Kapitalistenklasse, die die Strippen zieht an Politiker-Marionetten.
Die Staatstheorie ist eine der kompliziertesten Fragen der politischen Theorie überhaupt, auch der marxistischen. Das gilt schon für das ontologische Problem: wer oder was genau ist „der Staat“ eigentlich? Ist er, wie die staatstheoretischen Klassiker der Aufklärung, Locke und Montesquieu annehmen ud im Sprachgebrauch haben, mehr oder weniger identisch mit der Gesellschaft? Ist er, wie Rousseau präzisierend zugleich und abgrenzend davon annimmt, ein Ausschuss der Gesellschaft, dazu da, die divergierenden gesellschaftlichen Bestrebungen zu einem gemeinsamen Willen (Volonté générale) zusammenzufassen?
Marx schreibt hiezu in seinem „Vorwort der Kritik der Politischen Öknomomie, in Ergänzung zu deinem Zitat:
„In der gesellschaftlichen Produktion ihres Lebens gehen die Menschen bestimmte, notwendige, von ihrem Willen unabhängige Verhältnisse ein, Produktionsverhältnisse, die einer bestimmten Entwicklungsstufe ihrer materiellen Produktivkräfte entsprechen. Die Gesamtheit dieser Produktionsverhältnisse bildet die ökonomische Struktur der Gesellschaft, die reale Basis, worauf sich ein juristischer und politischer Überbau erhebt und welcher bestimmte gesellschaftliche Bewußtseinsformen entsprechen. Die Produktionsweise des materiellen Lebens bedingt den sozialen, politischen und geistigen Lebensprozeß überhaupt. Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt. (…)“
Da ist von einer Entsprechung zwischen der jeweiligen Produktionsweise mit dem „juristischen und politischen Überbau“, also dem Staat, die Rede, der wiederum korrespondiert mit bestimmten Bewusstseinsformen, also gesellschaftlich dominanten Denkweisen, welche die Verhältnisse entsprechend widerspiegeln.
Das ist nun allerdings Stoff für eine höchst komplexe und differenzierte Staatsdiskussion. Ich habe die übrigens in concreto bei Hebel schon einmal geführt anhand von unterschiedlichen Faschismustheorien. Selbst beim Faschismus, von dem ich immer wieder anfange, weil sich daran ggf. lupenreiner bestimmte Strukturen und Tendenzen erkennen lassen, lässt sich eine relative Eigenständigkeit der faschistischen Bewegungen und Staaten, zumal des NS, gegenüber dem Kapital konstatieren. Das gilt natürlich erst recht für den Regelfall des bürgerlichen Staates, die Parlamentarische Demokratie.
Ganz grob und Missverständnisse programmierend, kann man marxistisch sagen: Die Vorstellung, der Staat sei so etwas wie eine neutrale Vermittlungsinstanz zwischen den widerstreitenden Interessen verschiedener Klassen und schichten, ist eine zum System passende „gesellschaftliche Bewusstseinsform“. So etwas wie die Priorität der Interessen des Kapitals angenommen, wäre der Staat mitnichten neutral, sondern sichere in letzter Instanz den Fortbestand der kapitalistischen Produktionsweise, wobei er ausgleichend zwischen den verschiedenen Interessen der miteinander konkurrierenden Kapitalien wirkt und befriedend auf diejenigen, die auf der anderen Seite stehen.
Ein letztes: die Lohnabhängigen produzieren nicht nur, sondern müssen sich auch reproduzieren, als Individuen und eben als lohnabhängige Klasse. Diese Reproduktion, z.B. bei Krankheit, Bildung, Kinderversorgung usw. liegt ebenso im Interesse des Kapitals, wie es in seinem Interesse liegt, die Kosten auf die Allgemeinheit abzuwälzen. Wenn der Staat das übernimmt, handelt er nicht gegen, sondern für das Interesse des Kapitals.
@57 Jutta Rydzewski:
dann weiß ich nicht, ob wir aneinander vorbeischreiben oder nicht.
Es ist durchaus so, dass ich die Utopie einer Gesellschaft ohne Ausbeutung, sozialer Stabilität und gleichen Bildungschancen auch schön finde (im Gegensatz zu Ihnen finde ich letzten Punkt in Deutschland zwar nicht zu 100% aber doch recht gut verwirklicht).
Zu den Punkten Gesellschaft ohne Ausbeutung und sozialer Stabilität sieht das anders aus. Haarstreubende Ausbeutung gibt es zweifelsohne und die soziale Sicherheit sehe ich eher im Hinblick auf die Zukunft als gefährdet an.
Ich muss nun bekennen, von Karl Marx lediglich (zu meiner Schulzeit) das kommunistische Manifest gelesen zu haben. An Passagen über Bildungschancen und soziale Stabilität kann ich mich da aber nicht erinnern.
Ich erinnere lediglich an die vorausgesagte Zwangläufigkeit einer internationalen Diktatur des Proletariats als zwangsläufige Vorstufe zum Kommunismus, der nicht näher ausgeführt wurde (ich lasse mich da gerne berichtigen).
Und genau hier muss sich meines Erachtrens die Kommunismustheorie (die ja nicht als möglicher Entwurf sondern als Vorhersage erstellt wurde) messen lassen.
Bis jetzt hat es keine Diktatur fertig gebracht, in einer herrschaftsfreien Gesellschaft zu enden.
@57 Jutta Rydzewski II:
zu Ihrer Frage:
„Was möchten Sie denn z.B. von mir wissen, hinsichtlich Ihrer Mitteilung über den Ausschluss der ägyptischen Regierungspartei NDP aus der Sozialistischen Internationale?“ wissen?
Die Frage war nicht an Ihre Person gerichtet. Sie ist aber im Zusammenhang mit meinen obigen Ausführungen zu sehen, in denen ich bestreite, dass sozisalistische Diktaturen (die sich ja eindeutig auf das kommunistische Manifest beziehen) als Segen zu betrachten sind.
Aber verstehen Sie mich bitte nicht falsch – auch ich sehe die Schwachpunkte des realexistierenden (9nternational entfesselten) Kapitalismus.
@katja #62
Die Methode ist richtig, darum geht es.
Um zu entscheiden, ob diese oder jene Utopie erstrebenswert ist, müsste man wohl ausgiebiger und mit mehr Hintergrund diskutieren, als es hier der Fall ist.
@Heinrich/Abraham
Der Satz von Marx
„Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“
liest sich zwar hübsch, überzeugt mich aber nicht. Ohne Zweifel hat das gesellschaftliche Sein einen Einfluss auf das Bewusstsein, dass dieses aber jenes bestimmen soll, kann ich nicht nachvollziehen und entspricht überhaupt nicht meinem Bild vom Menschen. Der Mensch hat die Freiheit sich auch selbst zu formen- das belegen genügend Beispiele. Man denke auch an die vielen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Menschen jenseits irgendwelcher Klassengegensätze. Mir leuchtet einfach ein Menschenbild mehr ein, dass –wie die postmodernen Philosophen- dem Menschen nicht nur eine Identität über seine Klassenzugehörigkeit zuschreibt, sondern verschiedene Identitäten. Gerade die Identitätsbildung ist dermaßen vielschichtig, dass hier Karl Marx mit seiner Bewusstseinsbildung über die Kalssentheorie nach meinem philosophischem Verständnis nicht mehr zeitgemäß ist. Ich finde da Amartya Sen wesentlich überzeugender als Marx.
PS: Ich hatte deine Entschuldigung erst vorhin bei Hebelsenf gelesen und habe dir da geantwortet.
@BvG:
Diese Diskussion meinte ich bereits in #5 im vorherigen Blog
„Ideologische Schmuddelecke“ angestoßen zu haben.
@ # 68 maat
Ich teile Deine positiven Erfahrungen mit jungen Menschen und sehe, wie Du, in unserer Gesellschaft vieles Positive, auch wenn ich vor den Problemen nicht die Augen schließe.
@ # 69 Heinrich
Mein Lieber, da muss ich erst nachdenken, bevor ich Dir antworten kann. Das kann länger dauern, aber wir werden hier ohnehin nicht die Probleme der Marx-Rezeption lösen.
@ # 69 Heinrich
Lieber Heinrich, muss ich mir wirklich den Schuh anziehen, dass ich „die Ansprüche an die adäquate inhaltliche Wiedergabe der Marxschen Theorie“, die ich „an andere (z.B. Jutta)“ hier stelle, nicht auch für mich gelten lasse? Die Formulierung „für den politischen Kampf formulierte Sätze“ mag missverständlich sein, doch Du kannst unter # 39 nachlesen, dass es dort nicht um die Wiedergabe der „Marxschen Theorie“ ging, sondern um die verkürzte Rezeption einzelner Aussagen. Hierzu habe ich ausdrücklich auf „die durchaus differenzierteren Ausführungen in den Schriften von Marx“ hingewiesen.
Deshalb sehe ich mich nicht im Widerspruch zu dem, was Du in Bezug auf die „Staatstheorie“ von Marx ausführst. Dass man von dieser Ausgangsbasis zu unterschiedlichen Schlussfolgerungen bezüglich der Reformierbarkeit des Staates (oder der Gesellschaft) innerhalb des Kapitalismus kommen kann, zeigt der von mir schon mehrfach erwähnte Eduard Bernstein. Vielleich ergibt sich irgendwann die Möglichkeit, darüber ausführlicher zu diskutieren.
Auch der Satz „ Das Sein bestimmt das Bewusstsein“, den Du „das sozusagen Marx’ in Stein gehauenes Bekenntnis zur materialistischen Weltanschauung“ nennst, ist von Marx sicher nicht so platt gemeint, wie ihn viele „Vulgärmaterialisten“ gebrauchen. Das Werk von Marx selbst ist ja ein Beispiel dafür, dass die Erkenntnisfähigkeit des Menschen (also das Bewusstsein) über die materiellen Gegebenheiten hinausreicht. Ich vermute, dass die von maat vollständig zitierte Aussage mehr der Abgrenzung zum „Idealismus“ dient als der Widerlegung eines (damals wohl nur in Ansätzen erkannten) komplexeren psychologischen „Menschenbildes“, auf das sich maat (meiner Meinung nach zu Recht) bezieht.
Zu den „pseudomarxistischen“ Verkürzungen zählt für mich auch der Satz von Bertold Brecht „Erst kommt das Fressen und dann die Moral“, der so gern – auch in diesem Blog – zitiert wird, aber trotzdem falsch ist. Erfahrungen zeigen, dass sich Menschen auch in Extremsituationen sozial verhalten. Aus Erzählungen meiner Eltern weiß ich, wie wichtig für sie im KZ war, trotz Hunger zumindest ein Minimum an „Esskultur“ zu erhalten, um ihr Menschsein zu verteidigen.
@68 maat
„Es freut mich, dass es Ihnen im Großen und Ganzen gut geht- das meine ich ernst“.
Den Zusatz – das meine ich ernst, verstehe ich nicht, zumal er den Schluss zulässt, dass Sie es auch nicht ernst meinen könnten. Aber lassen wir das, kann ja auch an einer unterschiedlichen Ausdrucksweise bzw. Auffassungsgabe liegen.
„Ihre Ansichten über junge Menschen kann ich jedoch nicht teilen. Die Kinder und Jugendliche mit denen ich zu tun habe, sind sehr liebenswert und engagiert und klug. Ich freue mich jeden Tag darüber, was da doch für tolle junge Menschen heranwachsen“.
Es geht hier nicht um meine Ansichten, oder um meine persönlichen Erfahrungen mit Kindern und Jugendlichen, sondern was die herrschenden Strukturen, die gesellschaftliche und politische Denke, aus den Jugendlichen leider schon gemacht haben. In diesem Zusammenhang beziehe ich mich auf die letzte Rheingoldstudie. Eine Untersuchung über die Befindlichkeit der 18- bis 24-Jährigen, über die auch die FR berichtet hatte. Demnach handelt es sich um eine ängstliche Biedermeier-Generation. Überhaupt betrachten die Forscher die Ergebnisse als besorgniserregend: „Psychologisch verstehbar ist diese an die Ideale des Biedermeier erinnernde Lebens-Haltung nur vor dem Hintergrund einer veränderten Lebenswirklichkeit, die aus Sicht der Jugendlichen durch eine ungeheure Brüchigkeit und ständige Erschütterungen geprägt ist.“ Die Jugend 2010 legt zwar großen Wert auf Bildung, Karriere, Ansehen und ein späteres hohes Einkommen, aber nicht unbedingt weil das Spaß macht, sondern weil die jungen Leute schlicht Angst haben, Zukunftsängste und besonders Absturzängste. Das Lebensgefühl der Jugendlichen ist stark von sogenannten Zerrissenheitserfahrungen und Krisen geprägt, sowohl im gesellschaftlichen wie im familiären Bereich. Aus dem eigenen Umfeld kennt schon jeder Trennungen und Scheidungen. In intakten Familien wird häufig mangelnde Präsenz oder Verlässlichkeit der Väter beklagt.
Wie gehen die Jugendlichen nun mit diesen Ängsten um? Die ständigen Absturz-Ängste werden z.B., und das ist besonders alarmierend, damit bekämpft, indem sich Jugendliche strikt von allen Menschen abgrenzen, die bereits abgestürzt sind. „Du Loser“, „Du Opfer“ oder „Hartz IV“ sind dabei gerne gebrauchte Schimpfworte. Den Opfern und Verlierern der Gesellschaft wird nicht Mitleid oder Solidarität entgegengebracht, sondern Verachtung und Schmähung.
Damit will ich es hinsichtlich der Studie bewenden lassen. Dürfte kein Problem sein, sofern Sie interessiert sind, sich den Rest aus dem Netz zu besorgen. Und nun Hand aufs Herz: Bei allen Problemen, die für 18-Jährige normal sind, wenn Sie zurückdenken, hatten Sie mit 18 oder 20 auch DIESE Ängste? Konkret. Haben Sie mit 18 Jahren Angst vor einen gesellschaftlichen/sozialen Absturz gehabt? Oder können Sie sich vorstellen mit 20 Jahren ärmeren Jugendlichen mit Verachtung begegnet zu sein, sie ob ihrer Armut zu beschimpfen und zu schmähen? Obwohl meine 20 ca. 25 Jahre zurückliegen, so etwas habe ich nie erlebt, und so etwas war für mich auch nicht vorstellbar. Nach alle dem frage ich, hat sich etwas geändert, nein, hat sich die „Befindlichkeit“ der Jugend dramatisch verschlechtert oder nicht? Letzte Frage: An wem oder was liegt das? An einem liegt es sicherlich nicht, an den jungen Menschen selbst. Vorsorglich noch folgender Hinweis: Bevor eventuell wieder mal „wunschgemäß“ interpretiert und nicht gelesen wird, ich habe absolut nichts gegen Kinder und Jugendliche, ganz im Gegenteil, Kinder sind die Blumen des Lebens, wie es ein indonesischer guter Bekannter einmal wunderschön ausgedrückt hat. Ich bin sogar der Ansicht, so schwer wie es junge Menschen in den heutigen Zeiten haben, in jeder Hinsicht, so schwer hatten sie es noch nie. Und exakt so ist mein Vorposting @65 zu verstehen, wo ich allerdings vergessen hatte, die Rheingold-Studie explizit zu erwähnen.
mfg
Jutta Rydzewski
@ Jutta Rydzewski
Die 16. Shell-Jugendstudie „Jugend 2010“ zeichnet unter dem Titel „Eine pragmatische Generation behauptet sich“ ein deutlich differenzierteres Bild, ohne die Schattenseiten zu verschweigen (Die Shell-Jugendstudien werden seit 1953 von unabhängigen Instituten zur Lebenssituation und Einstellungen von Jugendlichen und Kindern in Deutschland erstellt):
http://www.shell.de/home/content/deu/aboutshell/our_commitment/shell_youth_study/2010/
Hier die Kapitel-Überschriften:
– Interesse an Politik steigt leicht an
– Mehr soziales Engagement und Verständnis für Ältere
– Globalisierung zumeist positiv bewertet
– Optimismus nimmt zu
– Bildung als Erfolgsfaktor für die Zukunft
– Alle sind im Internet
– Großes Problem Klimawandel
– Religion weiter im Abseits
– Pragmatisch, aber nicht angepasst
– Nicht ohne meine Familie
– Jugend unter Druck? Die Fragestellung des qualitativen Teils
@78 Abraham
Und, was soll das jetzt heißen? Weil Ihnen u.U. die Shell-Studie besser gefällt, oder weil sie bekannter ist, sind die Ergebnisse der Rheingold-Studie uninteressant, oder wie oder was? Im Übrigen scheinen Sie die Shell-Studie nur selektiv zur Kenntnis nehmen zu wollen oder zu möchten. Nicht nur die Rheingold- sondern auch die Shell-Studie stellt fest, dass sich die Kluft zwischen den sozialen Schichten vertieft, und exakt darauf wollte ich vorrangig in den beiden vorangegangenen Postings @65 und @77 aufmerksam machen. Nach der Shell-Studie blickt nur jeder dritte Jugendliche aus sozial schwachen Familien zuversichtlich in seine Zukunft. (Übrigens, sozial schwach ist natürlich falsch, es müsste heißen einkommens- oder finanziell schwach. Aber das zu kapieren scheint für Professoren, und andere so genannte Leistungsträger, das öffentlich-rechtliche Fernsehen, für Politiker, Journalisten und das sonstige ExpertenUNwesen, wohl ungeheuer schwierig zu sein. Sozial schwach, sogar extrem sozial schwach ist z.B. ein Zumwinkel, der die Allgemeinheit um Millionen betrügt, obwohl er ein Millioneneinkommen hat). Doch weiter zur Shell-Studie. Der Studienleiter Mathias Albert sprach bei der Vorstellung von „sozial Abgehängten“, die zehn bis 15 Prozent der jungen Menschen ausmachten. Sie seien sowohl pessimistisch eingestellt, als auch politisch kaum engagiert, und hätten wenig Vertrauen in die Familie.
Bekanntlich hängt der Bildungserfolg von Jugendlichen in Deutschland so sehr von der sozialen Herkunft ab, wie in kaum einem anderen Land. Das beklagt seit Jahren die OECD, das ist das Ergebnis aller Vergleichstudien zu den Leistungen und Karrieren der Schüler. Die Shell-Studie fügt dem nun die Einschätzung derjenigen hinzu, die hinter den Zahlen und Statistiken stehen. Und die ist pessimistisch, wenn die sozial Benachteiligten zu Wort kommen. …
Auch hier würde ich dringend empfehlen komplett zu lesen. Übrigens, für die Rheingold-Studie führte das Institut 100 zweistündige psychologische Tiefeninterviews mit Jugendlichen zwischen 18 und 24 Jahren in Köln, Berlin, München und Hamburg durch. 40 Prozent waren Auszubildende, 10 Prozent Studenten, 30 Prozent Angestellte und 20 Prozent Arbeiter. Die Studien des Instituts gelten als sehr präzise.
Es scheint geschafft zu sein, auch bei den Jugendlichen, was der Neoliberalismus seit Jahren als Glückseligkeit predigt, und was ebenfalls seit Jahren öffentlich von den Sinns, Hüthers, Henkels, Metzgers, Clements usw. nachgeschnattert und -geplappert wird. Mittlerweile ist die Ökonomie auch immer tiefer in die Lebenswelt der Jüngeren eingedrungen. Und das war wohl von der Erwachsenenwelt bzw. den herrschenden Strukturen, wie sie seit über 20 Jahren „Platz“ gegriffen haben, auch so beabsichtigt. Nahezu alle Bereiche wurden und werden gnadenlos durchökonomisiert: Kosten-Nutzen, Wert, weniger Wert, der nächste Schritt wäre Unwert, Nützlich, Nutzlos, Gut, Böse, wobei die Anderen“ immer die Bösen sind usw. usw.. Das sehen, hören und erleben junge Menschen, und das macht ihnen auch große Angst vor dem Absturz, wenn sie herausfallen aus der Scheinwelt. Es ist schon eine große Leistung für junge Menschen, in einer solchen Gesellschaft nicht zu zerbrechen. Was „wir“ Kindern und Jugendlichen zumuten, ist teilweise verbrecherisch. Zu viel ist immer noch zu wenig wird „gelehrt“, anstatt Solidarität und Toleranz.
Auch Ihre Tabelle, mit den Kapitel-Überschriften, sollten Sie mal eingehender „hinterfragen“, was u.U. dahinter stecken könnte. Die Rheingold-Studie gibt zum Teil Antworten darauf. Ich kann Sie Ihnen aber auch geben, sofern noch welche erforderlich sind.
mfg
Jutta Rydzewski
Juttas Ausführungen und Position finden sich in einem Artikel bestätigt, der in der Tageszeitung „junge Welt“ unter dem Titel „Die Kluft vertieft sich“ erschienen war. In diesem werden die Ergebnisse der Studie tatsächlich etwas kritischer beleuchtet, was schon in der differenzierteren Überschrift zum Ausdruck kommt: „Jugendliche optimistischer – wenn sie nicht sozial benachteiligt sind“ (statt „Eine pragmatische Generation behauptet sich“)
Da der Artikel leider nur gegen Gebühr zu lesen ist, verweise ich stattdessen auf die kurze Zusammenfassung der Shell-Studie 2010 bei Wikipedia.
http://de.wikipedia.org/wiki/Shell-Jugendstudie
@ Jutta Rydzewski/Anna
Selbstverständlich stellt auch die Shell-Studie die wachsende Kluft in unserer Gesellschaft fest. Sie zeichnet aber auch das Bild einer Jugend, die nicht in ihrer Mehrheit von sozialer Kälte geprägt oder vom „Neoliberalismus“ durchdrungen ist (wie es Jutta Rydzewski einseitig beschreibt), sondern soziales Engagement und „Mitgefühl“ zeigt. Warum sollte man nicht auch diese helle Seite der Gesellschaft sehen, wenn man dabei die Schattenseiten nicht vergisst?
Sicherlich leben wir heute in einer komplexeren Welt, die viele Belastungen, aber auch neue Chancen bietet. So haben heute z.B. viele Jugendliche auch aus „Durchschnittsfamilien“ die Möglichkeit, durch mehrmonatigen Schüleraustausch die Welt kennenzulernen, was vor 20 oder 40 Jahren praktisch nur Wohlhabenden möglich war. Die materielle Situation der „Sozialhilfeempfänger“ war damals noch miserabel als die der Harz-IV-Empfänger heute (was keine Entschuldigung für Harz IV ist). Der Lebensstandard der breiten Bevölkerungsschichten ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen, trotz der Stagnation der letzten Jahre. Die Umweltbelastung ist gesunken, die Freiheitsräume des Einzelnen in der Gesellschaft haben sich erweitert. Das alles ist gegen die Konservativen erkämpft worden – und darauf darf auch meine Generation der 68er stolz sein. Warum sollten wir uns vor den heutigen Konservativen über das Übel der Welt klagend in ein schwarzes Loch zurückziehen, statt gegen das soziale Unrecht weiter anzukämpfen?
@81 Abraham
„Sie zeichnet aber auch das Bild einer Jugend, die nicht in ihrer Mehrheit von sozialer Kälte geprägt oder vom „Neoliberalismus“ durchdrungen ist (wie es Jutta Rydzewski einseitig beschreibt), …“
Es ist schier unglaublich, was Sie immer wieder hier versuchen. Nein, die Jutta Rydzewski hat nix einseitig beschrieben, und das wäre Ihnen auch aufgefallen, wenn Sie nicht wieder „wunschgemäß“ interpretiert sondern GELESEN hätten. Außerdem bezieht sich die Jutta Rydzewski auf die Shell-Studie, nachdem Ihnen die Rheingold-Studie offenbar zu negativ war. Die Shell-Studie spricht u.a. von 10 bis 15 Prozent „sozial abgehängter“ Jugendlicher, und die Jutta Rydzewski fasst das ganze Elend im vorletzten Absatz von @79 zusammen. Oder sind 15 Prozent eine zu vernachlässigende Größe, weil der Rest ja die Mehrheit von 85 Prozent ist? Wenn es um Kinder, um Jugendliche geht, ist nicht deshalb alles in Ordnung bzw. gar nicht so schlimm, weil „nur“ eine Minderheit zu den „Abgehängten“ gehören. Für ein superreiches Land wie Deutschland, wo Jahr für Jahr zig-Milliarden verpulvert und verballert werden, ist es eine Schande, wenn überhaupt so viele Jugendliche „abgehängt“ sind. Und dann wird gekräht, dass die Deutschen aussterben oder sich abschaffen, oder die Linke den Kommunismus einführen will. Das ist doch alles nur noch krank.
„Warum sollten wir uns vor den heutigen Konservativen über das Übel der Welt klagend in ein schwarzes Loch zurückziehen, statt gegen das soziale Unrecht weiter anzukämpfen?“
Ich weiß zwar nicht, wer bei Ihnen alles zu „wir“ gehört, aber gegen das soziale Unrecht weiter anzukämpfen, was Sie ja demzufolge auch für erforderlich halten, wird wenig erfolgreich sein, wenn die Verhältnisse beschönigt werden, wie Sie das zum Teil tun. Was soll das z.B. heißen:
„Die materielle Situation der „Sozialhilfeempfänger“ war damals noch miserabel als die der Harz-IV-Empfänger heute (was keine Entschuldigung für Harz IV ist)“.
Das ist doch ein Widerspruch in sich. Und was da aktuell im Hinblick auf das Hartz IV-Urteil des BVerfG an politischem Gezänk, Gekaspere und Geschachere stattfindet, ist nur noch armselig und widerlich.
„Der Lebensstandard der breiten Bevölkerungsschichten ist in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gestiegen, trotz der Stagnation der letzten Jahre.“
Aha, trotz der Stagnation, z.B. bei den Löhnen in den letzten 20 Jahren, trotz Leiharbeit, Teilzeit, Befristung, 1-Euro-Mini-Midi-Mehrfach-Jobber. ist der Lebensstandard deutlich gestiegen. Na, prima, erzählen Sie das mal den so genannten Aufstockern und Tagelöhnern. Bei der so genannten prekären Beschäftigung handelt es sich nicht nur um ein paar Tausend, das sind mittlerweile Millionen.
Trotzdem viel Erfolg bei Ihrem Kampf gegen das soziale Unrecht. Amen.
mfg
Jutta Rydzewski
@ Abraham
Wer will sich denn hier „vor den heutigen Konservativen über das Übel der Welt klagend in ein schwarzes Loch zurückziehen“ ?
Ganz im Gegenteil. Und das muss eben schon damit anfangen, dass schönfärbende Darstellungen von Studien entlarvt und kritisiert werden.
Ausserdem ist es nach meiner eigenen Beobachtung eher wenigen Kindern aus „Durchschnittsfamilien“ vergönnt, durch mehrmonatigen Schüleraustausch fremde Länder kennenzulernen. In diesen Genuss kommen auch heute noch überwiegend die Sprösslinge von „Besserverdienern“. – Aber vielleicht haben wir ja auch nur unterschiedliche Vorstellungen davon, was eine Durchschnittsfamilie ist 😉
@jutta
Sie präsentieren sich hier als „Robin Hood, Rächer der Enterbten“ oder sonstwas, als wüßte ausser Ihnen keiner um das Problem und das Leid der Betroffenen.
Ihre wütenden Weisheiten behalten Sie mal schön für sich, da sind andere schon viel weiter.
Falls Sie’s noch nicht bemerkt haben: Dies ein Diskussionsforum, da findet man nur Worte und Nachdenken, wenn Sie was tun wollen, ist es Ihnen unbenommen: Draussen, in der wilden Welt. Ihre noch so starken Worte bleiben hier nur das, was sie sind: Worte.
Was die Teilnehmer dieser Diskussion sonst noch unternehmen, entzieht sich Ihrer Kenntnis und Ihrer Beurteilung.
@Jutta, Anna, Abraham
Ich stimme Abraham zu und möchte noch hinzufügen, dass man nicht vergessen darf, dass die Jugendarbeitslosigkeit in Deutschland zu den niedrigsten in Europa gehört. Sie ist wesentlich niedriger als z.B. in den skandinavischen Ländern, welche schulpolitisch ja immer als löbliches Beispiel dargestellt werden.) Jugendliche haben heute in Deutschland wirklich gute Chancen auf einen Arbeitsplatz, vorausgesetzt sie sind qualifiziert. Das Problem besteht darin, dass so viele Jugendliche die Schule verlassen ohne ausreichende Kenntnisse zu besitzen. Dass Jugendliche, die keinen Bildungsabschluss haben, ängstlicher in die Zukunft sehen als diejenigen, die einen Abschluss haben, sagt einem der gesunde Menschenverstand. Dazu brauche ich keine Studie. Wenn ich die Ängste meiner Generation mit denen der heutigen Abiturienten in Ba-Wü vergleiche, dann kann ich keine großen Unterschiede feststellen. Unter meinen Schülern ist die Sorge um einen Studienplatz lediglich erhöht wegen der Doppeljahrgänge. Inwiefern man Ängste aufbaut, ist aber auch typabhängig. Auch schon zu meiner Zeit haben sich manche völlig verrückt gemacht wegen der NC-Studiengänge.
Allerdings kann ich nicht verstehen, dass meine Schüler sich oft Studiengänge aussuchen möchten, in denen die Arbeitslosigkeit vorprogrammiert ist.
@ Jutta Rydzewski
Nicht die Studien, sondern Sie zeichnen ein nur schwarzes Bild der Jugend, wozu nur zwei Beispiele reichen sollten (viele weitere Zitate aus Ihren Beiträgen ließen sich nachreichen): „Es scheint geschafft zu sein, auch bei den Jugendlichen, was der Neoliberalismus seit Jahren als Glückseligkeit predigt.“ bzw. „Was ‚wir‘ Kindern und Jugendlichen zumuten, ist teilweise verbrecherisch. Zu viel ist immer noch zu wenig wird ‚gelehrt‘, anstatt Solidarität und Toleranz.“ Sie gefallen sich offensichtlich darin, nur das Negative zu sehen und jeden, der ihr schwarzes Bild nicht teilt und die Welt differenzierter betrachtet, in die Ecke der „Beschönigung der Verhältnisse“ zu schieben. Wo finden Sie in meinen Postings den Beleg dafür, dass ich die bestehenden Ungerechtigkeiten negiere oder beschönige?
Falls Sie mein Hinweis auf das frühere Elend der Sozialhilfe als Beleg anführen möchten: Dieser sollte keineswegs die prekäre Lage von Harz-IV-Beziehern oder Aufstockern relativieren, sondern war nur das, wozu Sie maat aufgefordert haben: Die Situation heute mit der der vergangenen Generationen zu vergleichen. Das gilt auch für den gestiegenen materiellen Wohlstand breiter Bevölkerungskreise, der statistisch belegt ist, auch für das untere Drittel der Einkommen. Natürlich ist das kein Argument dafür, sich mit Leiharbeit, 1-Euro-Jobs oder anderen unsozialen Entwicklungen abzufinden.
@ Anna
Sicherlich haben Kinder aus Harz-IV-Familien weniger Chancen, ein Schuljahr im Ausland zu verbringen (auch wenn es solche Ausnahmen dank staatlicher Austauschprogramme gibt) und die Mehrzahl solcher Austauschschüler aus dem Mittelstand (keineswegs nur aus Familien von „Besserverdienern“) kommen. Ich kenne viele Familien (einschließlich meiner), deren Kinder ins Ausland gehen konnten, während die Eltern (ebenfalls aus der Mittelschicht stammend) diese Chance nicht hatten.
@ Abraham, maat
Ich bin mir völlig darüber bewusst, dass nicht nur das „System“ ausschlaggebend dafür ist, ob ein Mensch gewisse Dinge, wie Erfolg und Zufriedenheit, im Leben erreicht, sondern natürlich spielen dabei auch individuelle Faktoren eine große Rolle. Umgekehrt sollte aber auch nicht unterschätzt werden, wie groß der Einfluß gesellschaftlicher Gegebenheiten auf das menschliche Selbst-Bewusstsein ist. Wir alle kennen seit Max Frisch das „Andorra-Phänomen“ und wie fatal sich dieses auswirken kann. Und gerade in der Beziehung ist ja, verstärkt seit es HartzIV gibt, auch eine entsprechend negative Entwicklung zu beobachten – so wie es immer wieder von Jutta beschrieben wird.
Angesichts dessen liegt es doch nur nahe, auch darüber nachzudenken, ob ein System, das weniger auf Selektion und Ausgrenzung angelgt ist, nicht weniger „Versager“ produziert und somit mehr Menschen zu einem erfolgreichen, zufriedenen Leben verhelfen könnte.
PS: Abraham, Auslandsaufenthalte und Fremdsprachenkenntnisse sind doch inzwischen zu einem zusätzlichen Selektionsfaktor geworden und deshalb in der karriereorientierten Mittelschicht viel mehr verbreitet als das früher der Fall war.
@Jutta R.
„Und nun Hand aufs Herz: Bei allen Problemen, die für 18-Jährige normal sind, wenn Sie zurückdenken, hatten Sie mit 18 oder 20 auch DIESE Ängste? Konkret. Haben Sie mit 18 Jahren Angst vor einen gesellschaftlichen/sozialen Absturz gehabt? (…)?“
Wenn Sie mich so persönlich fragen:
Ja, ich hatte in dem Alter Ängste. Meine Ängste kreisten damals um den Gesundheitszustand meines Vaters also um Leben und Tod. Ich machte mir auch Gedanken darüber, ob ich die Aufnahmeprüfung für mein Studium bestehen würde. Dabei war es meinen Eltern nicht möglich mir eine teure Mappenvorbereitungsschule zu bezahlen. Ich musste es alleine schaffen. Die Angst vor dem sozialen Absturz kenne ich auch. Wir mussten lange Zeit äußerst sparsam leben. Mir sind auch die täglichen familiären Spannungen vertraut, die entstehen durch jahrelange Krankheit und Geldsorgen.
Dennoch ist für mich das Glas immer halb voll. Ohne eine positive Lebenseinstellung bewältigt man Probleme nicht. Meiner Meinung nach ist man auch glücklicher, wenn man sich nicht als Opfer der Verhältnisse versteht, sondern als selbstbestimmtes Subjekt, das das eigene Glück in der Hand hat.
maat
@ maat # 88
„Meiner Meinung nach ist man auch glücklicher, wenn man sich nicht als Opfer der Verhältnisse versteht, sondern als selbstbestimmtes Subjekt, das das eigene Glück in der Hand hat.“
Grundsätzlich ist das natürlich genau die richtige Lebenseinstellung, die du hier beschreibst. Und die braucht man auch, denn die meisten von uns müssen wohl irgendwann in ihrem Leben eine schwierige Zeit überstehen. Aber es geht ja hier nicht lediglich darum, in schwierigen Zeiten nicht aufzugeben. Der springende Punkt heute ist doch, dass es gar nicht mehr für alle eine Arbeitsmöglichkeit gibt – zumindest keine, von der man auch leben könnte. Und somit ist es für einen Teil von uns eben doch unumgänglich zum Opfer der Verhältnisse zu werden.
@85 maat
Für die Teilbeantwortung meiner Fragen bedanke ich mich. Sie sagen, dass Sie die Angst vor dem sozialen Absturz selbst kennen. Daran schließt sich meine weitere Frage an, zumal Sie in Ihrer Zuschrift @88 meine Fragen nur gekürzt zitiert haben: Ist es denn für Sie vorstellbar, oder haben Sie es gar selbst erlebt, dass quasi zur Kompensierung der eigenen Ängste, andere Jugendliche, die schon, aus welchen Gründen auch immer, „abgestürzt“ sind, ausgegrenzt, beschimpft oder gar verachtet werden, so wie ich es in @77 geschildert habe? Denn darin sehe ich in der Denke die Unterschiede von heute zu früher, und das halte ich für sehr alarmierend. Schließlich sollte die soziale Kompetenz von Jugendlichen ja auch noch von Bedeutung sein. Wenn Jugendliche heute so denken, so traurig es ist, werfe ich ihnen das nicht vor, denn das ist in den letzten Jahren aus den jungen Menschen gemacht worden. Näheres dazu in @79. Übrigens, in dieser Form, und auch ich bin von zu Hause nicht „auf Rosen gebettet gewesen“, auch bei mir gab es Spannungen, Probleme und Schwierigkeiten aller Art, kenne ich das aus meiner Zeit nicht. Ganz im Gegenteil, Kinder besonders armer Leute wurden nicht ausgegrenzt und Schlimmeres, es wurde ihnen ganz selbstverständlich geholfen. Es ging eben nicht nach der ökonomischen Heilslehre – zu viel ist immer noch zu wenig – sondern es herrschte Solidarität und Hilfsbereitschaft. Nun gut, wenn Sie das anders erlebt haben, nehme ich das zur Kenntnis.
„Dass Jugendliche, die keinen Bildungsabschluss haben, ängstlicher in die Zukunft sehen als diejenigen, die einen Abschluss haben, sagt einem der gesunde Menschenverstand“.
Das ist zweifellos richtig, aber diese Ängste hatte ich nicht gemeint. Übrigens, was den gesunden Menschenverstand anbelangt, vielleicht noch ein Beispiel aus der Praxis, sozusagen mitten aus dem Leben. Im Rahmen der so genannten Schulentwicklungsplanung, gem. §80 NRW-Schulgesetz, hatte der Bochumer Stadtrat, zumindest die Rats-Mehrheit aus SPD/Grüne die Absicht, eine überaus erfolgreiche Grundschule, zudem die älteste in Bochum, zu schließen bzw. ihr zunächst die Eigenständigkeit zu nehmen. Um diesen Unfug zu verhindern, bildete sich eine engagierte Elterninitiative, Sympathisanten, normale BürgerInnen, der auch ich bzw. wir uns anschlossen, nachdem wir uns sachkundig gemacht haben. Die Borgholzschule erfüllt nicht nur alle vom Schulamt aufgestellten Maximen, sondern ist darüberhinaus geradezu hervorragend aufgestellt. Die Belegzahlen stimmen, es gibt steigende Anmeldungen, die Schule hat eine solide Zweizügigkeit für alle Jahrgänge, eine überregionale Anziehungskraft, bietet eine besondere Förderung für lern- und leistungsstarke Kinder, hat geschultes Personal für Kinder ohne Deutschkenntnissse, verfügt über eine Schulbücherei mit über 1000 Büchern, ist eng vernetzt mit dem sozialen Umfeld, hat einen engagierter Rektor, engagierte Lehrer/innen und engagierte Eltern. In der Borgholzschule engagieren sich neben hoch motivierten Pädagogen 17 ehrenamtlich tätige Lesepaten und 12 Hausaufgabenmentoren, um Kindern mit Migrationshintergrund oder Kindern mit Lernschwierigkeiten Perspektiven für die Zukunft zu eröffnen. Integration findet aber auch über die Gemeinschaft der Schüler statt.
Eine solche Schule strukturell verändern, oder eventuell gar schließen zu wollen, ist der helle Wahnsinn. Allerdings ist dieser Wahnsinn – Gott sei Dank – zunächst einmal vom Tisch, dank des zivilbürgerlichen Engagements. Die Beteiligten, nicht nur die Eltern, sondern alle die sich darüberhinaus für die Schule, mit unterschiedlichen Aktivitäten und großer Kreativität engagiert haben, haben sich in den letzten Monaten immer wieder gegenseitig Mut gemacht. Auch für mich bzw. uns war das eine wunderschöne Erfahrung. Vor einigen Tagen, am 01. Februar 2011, hat der Bildungsausschuss der Stadt Bochum dann beschlossen: DIE BORGHOLZSCHULE BLEIBT EIGENSTÄNDIG!! Das heißt, auch die Zusammenlegung mit einer anderen Schule wurde abgelehnt. Übrigens, hört sich fast unglaublich an, in dieser Angelegenheit haben die Fraktionen von CDU, FDP und … die „Schmuddelkinder“, Die Linke, eng zusammengearbeitet. Auf kommunaler Ebene scheint das kein Problem zu sein, und von der Einführung des Kommunismus spricht auch kein Mensch.;-) Die entsprechende Korrespondenz mit allen Fraktionen und Gruppiereungen des Stadtrates hatte ich/wir geführt. Hoch interessant, was da alles „zu Tage“ trat. Da Sie ja Fachfrau sind, gebe ich Ihnen gerne den Link, wo Sie weitere Einzelheiten erfahren können, natürlich nur sofern Sie das möchten und die nötige Zeit haben: http://www.derwesten.de/staedte/bochum/In-Bochum-liegt-Schliessung-von-Grundschulen-vorerst-auf-Eis-id4233554.html. Auch die HP der Elterninitiative – Hier zähle ICH – würde ich Ihnen empfehlen einmal anzuschauen. Entsprechender Link ist in den Presseberichten. Und die Moral von der Geschicht? Sobald Politik „zuschlägt“, insbesondere wenn das Parteiengezänk, und die damit verbundenen Eitelkeiten, wichtiger als die Sache selbst ist (das ist leider die Regel), auf der Bundesebene ist es z.B. aktuell das jämmerliche Trauerspiel um die Hartz IV-Regelungen, hier in Bochum die Schulentwicklungsplanung, müssen die BürgerInnnen das STOPP-Schild hochhalten. Hier in Bochum hat das „wunderschön“ funktioniert, obwohl der „Kampf“ noch nicht endgültig gewonnen ist.
mfg
Jutta Rydzewski
@84 BvG
„Ihre wütenden Weisheiten behalten Sie mal schön für sich, da sind andere schon viel weiter.“
Und Sie nächtlicher Weisheitverbreiter, wie weit sind Sie?
„Was die Teilnehmer dieser Diskussion sonst noch unternehmen, entzieht sich Ihrer Kenntnis und Ihrer Beurteilung.“
Danach hatte ich auch nicht gefragt, zumal in einem anonymen Forum viel erzählt und behauptet werden kann. Es sei denn, die „Unternehmungen“ sind nachweisbar, wie z.B. das oben geschilderte Bochumer Engagement. Was „unternehmen“ Sie denn so, wenn ich mal fragen darf, außer Ihre nächtlichen „Weisheiten“ zu verlautbaren? Übrigens, mir fällt immer wieder bei Ihren mehr oder weniger merkwürdigen Einschüben auf, dass Sie sozusagen für alle BlogteilnehmerInnen meinen sprechen zu können bzw. zu sollen. Ich bin nicht sicher, ob das allen recht ist, für mich, da bin ich jedoch absolut sicher, sprechen Sie allerdings nicht, zumal ich das viel besser als Sie kann.;-)
@Anna
Es gibt den Niedriglohnsektor, der extrem ausbeuterisch ist. Davon ist ein Teil der Menschen betroffen. Und es ist dringend notwendig, dass die Politik hier endlich eingreift. An sich ist im Augenblick ein guter Zeitpunkt Arbeitnehmerinteressen durchzusetzen, da wir uns im Aufschwung befinden und händeringend Fachkräfte gesucht werden. Ich möchte darauf hinweisen, dass auch nicht alle, die in der Industrie arbeiten, automatisch ausgebeutet werden und unterbezahlt sind. Es gibt auch Leute, denen die „entfremdete Arbeit“ bei großen Automobilherstellern Freude macht und gut davon leben können.
Hier in dieser Diskussion wird allerdings der Eindruck erweckt, ganz Deutschland bestünde nur noch aus Billiglohnarbeitern oder Hartz IV-Empfängern und die Jugend hätte kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz und in diesem Land lebten nur noch Sozialdarwinisten! Das ist doch völliger Quatsch! Wer heute Ingenieur wird o.ä. hat beste Aussichten auf einen Job, mit Kunsttherapie natürlich nicht. Auch Lehrlinge werden dringend gesucht. In Süddeutschland nähern sich einige Regionen der Vollbeschäftigung an. Hart trifft es einfach diejenigen, die keine Lehrstelle bekommen, weil sie mangelnde Sprachkenntnisse besitzen oder die einfachsten Rechenaufgaben nicht hinbekommen. Diesen Menschen hilft aber Karl Marx auch nicht weiter, ihnen würde fleißiges Üben (und entsprechende Unterstützung) in Lesen und Rechnen vermutlich mehr helfen.
Ich sehe auch ein, dass der Zustand in bestimmten Regionen besorgniserregend ist wie in Ostdeutschland, wo die Arbeitslosenquote sehr hoch ist. Aber ansonsten halte ich das Gejammer hier für völlig überzogen.
@Jutta R.
„Ist es denn für Sie vorstellbar, oder haben Sie es gar selbst erlebt, dass quasi zur Kompensierung der eigenen Ängste, andere Jugendliche, die schon, aus welchen Gründen auch immer, “abgestürzt” sind, ausgegrenzt, beschimpft oder gar verachtet werden, so wie ich es in @77 geschildert habe?“
Vorstellbar ist für mich alles, erlebt habe ich das selbst noch nie. Es gibt an jeder Schule Mobbing, was furchtbar genug ist, meines Erachtens ist dieses Verhalten aber unabhängig von der sog. Schichtenzugehörigkeit, oft werden einfach sehr individuelle Kinder zum Opfer, die stark von der Masse abweichen. Ich bin selbst als Kind von den Mitschülern sehr gehänselt worden, einfach weil ich viel interessierter am Unetrricht war als die anderen.
@ maat
„Hier in dieser Diskussion wird allerdings der Eindruck erweckt, ganz Deutschland bestünde nur noch aus Billiglohnarbeitern oder Hartz IV-Empfängern und die Jugend hätte kaum Chancen auf einen Arbeitsplatz und in diesem Land lebten nur noch Sozialdarwinisten!“
Ich sehe das nicht so.In dieser Diskussion wird nur verdeutlicht, dass es starke Ansätze für solche Entwicklungen in unserer Gesellschaft gibt und diese sich zu verfestigen drohen. Deshalb wird in der Folge darüber nachgedacht, wie am besten und dauerhaftesten verhindert werden könnte, dass die Spaltung der Gesellschaft immer weiter voranschreitet.
„Hier in dieser Diskussion wird allerdings der Eindruck erweckt…“
Hier in dieser Diskussion, aber leider nicht nur hier, sondern im ganzen Land, tummeln sich eine Reihe Leute, die in einer Fantasiewelt leben. Diese Fantasiewelt wird natürlich nicht von ihnen selber herbeifantasiert, denn den Vorwurf der Geistesgestörtheit will ich niemandem machen, sondern sie entsteht in einer unheilvollen Kombination aus völlig außer Rand und Band geratener Medienindustrie und ganz normaler psychischer Eigenschaften des Menschen, wie z.B. der Neigung, von einem Einzelfall aufs Allgemeine zu schließen. Die Medienindustrie ist auf Krawall gebürstet, sie muß ständig „Aufreger“ aufspüren, etwas, was die Leser erregt. Ein geschilderter, geschickt aufs menschenerregende, menschenaufregende ausgerichtete Einzelfall/Medienbericht wird dann von vielen Lesern auf einen Zustand der Republik hin verallgemeinert. Eine besonders große Bereitschaft zu dieser Verallgemeinerung ist zu beobachten, wenn es darum geht, wie „die da oben“ „die da unten“ ausbeuten.
Ein Beispiel: Mir sind mehrere Menschen persönlich bekannt, die von Hartz IV ohne zu jammern leben können, und die völlige Einsicht haben in die Unmöglichkeit, diese Unterstützung nach dem Prinzip Wünsch-Dir-Was auszurichten. Solche Menschen tauchen aber in den Medien nie auf, d.h. für den Jammerer in seiner Fantasiewelt gibt es ihn nicht. Taucht ein Hartz IVler in den Medien auf, wird er schildern, wie unmöglich doch das Leben mit Hartz IV ist. Daher ist die Fantasiewelt des Jammerers, der seine Ideen ja aus den Medien bekommt, angefüllt mit Menschen, die schikaniert und drangsaliert werden, allen Hartz IV-Beziehern eben. Gleiches gilt für gering Qualifizierte in Arbeit.
Mehrere ständig wiederkehrende Hauptthemen in der Gedankenwelt des Jammerers sind dabei nicht eigentlich falsch, sondern einfach nur völlig falsch verstanden. Auf den wichtigen Jammerweltkomplex „Aufgehende Schere zwischen arm und reich“, daß die Zahlen dies tatsächlich zeigen, daß aber dieser tatsächliche Befund überwiegend auf die massive Armutsimmigration der letzten 20 Jahre zurückzuführen ist, und nicht, wie vom Jammerer ständig insinuiert, auf ein Reicherwerden der Reichen durch Wegnehmen von den Armen, habe ich ja schon oft genug hier geschrieben, mit entsprechendem Zahlenmaterial (Den fortgeschrittenen Jammerer, der unbedingt eine allgemeine Ausbeutung in unserm Land sehen will, werden Zahlen allerdings nicht beeindrucken, wenn sie nicht von ihm selber gebracht werden).
Ich will einmal das Stichwort „soziale Kälte“ herausgreifen, da diese ja eine Hauptrolle in der Welt des Jammerers spielt. Die soziale Kälte ist selbstverständlich wachsend, klar. Der Jammerer meint aber mit diesem Begriff üblicherweise nicht nur eine soziale Kälte im Zwischenmenschlichen, über die man tatsächlich diskutieren könnte, sondern natürlich die von SYSTEMEN, wie z.B. den Sozialsystemen. Auch hier lebt er in einer von der Selektivberichterstattung der Medien induzierten Fantasiewelt. Die von den Medien ständig präsentierten Aufreger lassen doch nur den Schluß zu, daß unsere Sozialsysteme ständig abgebaut werden. Daß die Fakten eine ganz andere Sprache sprechen, ist sowohl dem Jammerer wie dem Journalisten mit Auflagesteigerungsverpflichtung egal.
So könnte man ja einmal stutzig werden und sein Gerede von der sozialen Kälte der Systeme mal kurz anhalten, wenn man erführe, daß 1980 die Sozialquote der Bundesrepublik Deutschland (d.h. der Anteil der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt) bei 25,9% lag, sie 2009 aber bei 30,8% lag. Tolles Anwachsen der sozialen Kälte. Der Staat gibt hier viel mehr aus, aber die Menschen fühlen sich immer kühler behandelt? Ähnliches gilt für die Höhe der Sozialhilfe. So betrug der Regelsatz 1981 für einen Einzelhaushalt bis zu(!) 330 DM. Heute beträgt er bekanntlich (gleich, nicht bis zu) 359 Euro, das ist eine Steigerung um 113%. Die Verbraucherpreise erhöhten sich im gleichen Zeitraum laut Stat. Bundesamt um 65%. Der Kaufwert des heutigen ALG II-Regelsatzes liegt also weit höher als der Kaufwert des Sozialhilferegelsatzes von 1981… ein Umstand, der aber keinen der Jammerer abhalten wird, von zunehmender „sozialer Kälte“ zu reden. Und außerdem ist ja sowieso bekannt, daß früher alles besser war.
Bisweilen reden auch nüchterne, sachliche Menschen (wie z.B. Abraham) von einem Anstieg von sozialer Kälte, und jenseits der Verteilsysteme in D könnte man wirklich über ihr womöglich tatsächliches Anwachsen auf eine Art und Weise reden, die dem politischen Jammerer zuwider ist, weil sie politisch erstmal nicht so einfach ausbeutbar ist: Es geht um das Anwachsen der sozialen Kälte unmittelbar zwischen den Menschen. Dann würde man aber ganz andere Dinge diskutieren… nicht (in bewährter Schwarz-Weiß-Manier) die Schikane irgendwelcher sozial kalter, reicher Ausbeuter irgendwo da oben, sondern die Frage, was es für die Zuwendung der Menschen zueinander bedeutet, wenn Jahr für Jahr die durchschnittlichen Zeiten ansteigen, zu denen die Menschen (alein) vor flimmernden TV-Bildschirmen sitzen. Oder man könnte dikutieren, was die Verstädterung im Zusammenhang mit der Tatsache (biologisches Erbe!) zunehmender Abkapselung und Abschirmung (auch Aggressivität) des Einzelnen unter Bedingungen der zunehmenden Bevölkerungsdichte bedeutet.
Ist also das Bild unserer Gesellschaft als Ort der verbreiteten Ausbeutung, Schikane, Drangsalierung usw. perfekt, müssen Alternativen zu ihr her. Das ist die Renaissance des Kommunismus, die, mit wachsendem historischem Abstand zur bitteren Realität seiner Installierungsversuche und mit auch künftiger tatsächlicher allgemeiner Verschlechterung der Wohlstandssituation in unserm Land noch ganz andere Ausmaße annehmen wird. Lötzschs Vorstoß war nur ein erstes Signal. Der Kommunismus wird noch einmal ganz wunderschöne Philosophie für ganz viele werden, mehr, als über ihn bloß irgendwie zu wissen, daß er nach Kommune klingt, alle alles brüderlich teilen und keiner mehr ausgebeutet wird, benötigt man nicht, ums ein Fan zu werden.
@Max Wedell
Grundsätzlich trifft es ja zu, dass in einer von Massenmedien massiv geprägten Gesellschaft nicht nur echte, sondern auch vermeintliche Missstände überproportionale Aufmerksamkeit erhalten. Darauf basierend zu suggerieren, ein in den Medien stark präsenter Missstand sei deshalb in Wirklichkeit kein solcher, ist aber ebensowenig fundiert.
Ich greife den Absatz heraus, in dem Sie zunächst den Anstieg des Anteils der Sozialausgaben am Bruttoinlandsprodukt von 25,9% im Jahr 1980 auf 30,8% im Jahr 2009 als Beleg gegen die Annahme einer zunehmenden sozialen Kälte anführen. Ist diese „Sozialquote“ tatsächlich ein guter Indikator für das Sozialklima in einer Gesellschaft? Das Problem an dieser Zahl ist, dass sie nichts darüber aussagt, wofür die Mittel konkret aufgewendet werden. Die Sozialquote steigt z.B. dann, wenn (etwa als Folge einer Umverteilung von unten nach oben) zunehmend mehr Menschen soziale Leistungen in Anspruch nehmen müssen. Diesem Mehr auf der Ausgabenseite entspricht jedoch kein Mehr auf der Ebene derer, die der Leistungen bedürfen. Weiterhin umfasst die Sozialquote die Mittel, die zur Verwaltung der Sozialetats aufgebracht werden müssen. Auch hier führt eine Ausgabenerhöhung wegen steigender Fallzahlen oder steigender Ansprüche an die Verwaltung nicht zu einer Verbesserung der Lage der Betroffenen. Ergo ist eine ansteigende Sozialquote kein geeigneter Indikator für ein besseres Sozialklima in einer Gesellschaft. Man könnte genauso gut zu der Schlussfolgerung gelangen, dass eine steigende Sozialquote einen zunehmenden Bedarf an sozialem Ausgleich und damit eine Verschlechterung des sozialen Klimas anzeigt. Für eine fundierte Aussage müssen folglich mehrere Indikatoren ausgewertet werden.
Sie stellen danach den Sozialhilfesatz von 1981 dem heutigen ALG II-Regelsatz gegenüber, und legen nahe, die numerische Differenz (Steigerung um 113%) in Relation zur Entwicklung der Verbraucherpreise (Steigerung um 65 %) belege eine Verbesserung der sozialen gesellschaftlichen Situation. Ist dies eine valide Argumentation? Zunächst einmal vernachlässigen Sie hierbei die absolute Zahl der Menschen, die auf die entsprechenden Leistungen angewiesen sind. Für einen erheblichen Anteil derer, die heute das ALG II beziehen, wäre die formal korrekte Referenz nicht der Sozialhilfesatz, sondern der jeweilige Anspruch auf Arbeitslosenhilfe. Dann lassen Sie außen vor, dass der Sozialhilfesatz von 1981 auch zu jener Zeit weit davon entfernt war, die Bedingungen zu erfüllen, die das BVerfG für die soziale Grundsicherung formuliert hat. Elend verschwindet aber nicht dadurch, dass man auf größeres anderes Elend verweist. Zudem wurde der niedrige Sozialhilfesatz damals teilweise dadurch kompensiert, dass Sozialhilfeempfänger im Rahmen einer Einzelfallprüfung Zuschüsse z.B. für den Kauf einer Waschmaschine, für Winterbekleidung o.ä. erhalten konnten. Unabhängig davon, dass dies in der Praxis eine entwürdigende Abhängigkeit von der Stimmung des zuständigen Sachbearbeiters bedeutete, ist dennoch festzuhalten, dass diese Option in dem pauschalisierenden Ansatz des ALG II nicht mehr vorgesehen ist. Schon aus diesen wenigen Fakten wird ersichtlich, dass ein Vergleich des Sozialhilfesatzes von 1981 mit dem heutigen ALG II-Regelsatz keine Aussage über die Qualität der sozialen Sicherung in unserer Gesellschaft erlaubt.
Weiter oben schreiben Sie von mehreren Ihnen persönlich bekannten Menschen, „die von Hartz IV ohne zu jammern leben können, und die völlige Einsicht haben in die Unmöglichkeit, diese Unterstützung nach dem Prinzip Wünsch-Dir-Was auszurichten“. Was wollen Sie damit belegen? Dass es möglich ist, sich im Mangel einzurichten? Dass es möglich ist, Bedürfnisse abzutöten? Dass es möglich ist, auch unter widrigen Bedingungen nach außen das Gesicht zu wahren? Dass es Bedingungen geben kann, unter denen die mit dem Angewiesensein auf ALG II verbundenen Einschränkungen z.B. durch ein familiäres Netzwerk abgefedert werden können? Welchen gesellschaftlich-normativen Wert sollte die von Ihnen so lobend herausgestellte „Einsicht in die Unmöglichkeit“ haben und warum?
@dreas,
in unserer von Massenmedien massiv geprägten Gesellschaft trifft zunächst einmal zu, daß sich die Macher auf das besonders konzentrieren, was die Menschen erregt (positiv oder negativ). Vereinzelte Mißstände bekommen da eine Priorität. Personen, die 50 Wochenstunden arbeiten und dafür 200 Euro erhalten, bekommen ihre Auftritte (oder, ganz aktuell, sehe gerade nebenher „Panorama“: 83-jähriger Rentner muß weiterarbeiten, weil die Rente nicht reicht). Der Medienkonsument, der zur prinzipiellen Systemkritik neigt, weiß dann nach Konsum des (durch Medienschaffende, die weit überdurchschnittlich zur prinzipiellen Systemkritik neigen, erzeugten) Medienprodukts, wie jämmerlich die Verhältnisse in D sind: „Da sieht mans mal wieder“. Die vorgeführten Einzelpersonen sind kein eingebildeter Mißstand, Medienkonsumenten aber, die meinen, 200 Euro für 50 Wochenstunden zu kassieren (oder mit 83 arbeiten zu müssen) wäre praktisch die gesellschaftliche Normalität in D, muß man allerdings vorwerfen, daß sie sich schon etwas einbilden. D.h. es besteht überhaupt weder die Möglichkeit, die in den Medienausschnitten gebrachten Sachverhalte auf Verbreitung, Relevanz, oder auch einfach nur Vollständigkeit hin einschätzen zu können, wenn man nie mehr macht als sich bedudeln zu lassen, wenn man nie selber nachrecherchiert. Wenn Sie im Dezember die Menschen im Land über Ägypten befragt hätten, hätten die meisten wohl gesagt: Schönes Land. Wenn Sie jetzt dieselben Menschen befragen würden, würden Ihnen viele sagen: Ein Land, in dem die Menschen ganz schlimm unterdrückt werden. Was kann man daraus schließen?
1. Menschen neigen dazu, das nachzuplappern, was Ihnen aus allen Kanälen entgegenströmt
2. Ägypten ist weder ein schönes Land, noch ein Land, in dem die Menschen generell ganz schlimm unterdrückt werden. D.h. aus allen Kanälen strömt ein falsches Bild, oder es kommt falsch verstanden an. Und leider nicht nur über Ägypten.
Ich muß Ihnen ansonsten zustimmen, daß die von mir gebrachten Zahlen natürlich keine ausreichende Beschreibung der Zustände in einem Sozialwesens sein können, die vielfältig sind, so vielfältig wie die Arten des Bezugs von Sozialleistungen. Ich wollte mit der Sozialquote nicht aussagen, daß es über alle Arten des Bezugs von Sozialleistungen hinweg nur immer steigende Mittel gegeben hat, sondern nur, daß die oft gehörte Pauschalaussage „Der Sozialstaat wird abgeschafft“, o.ä. formuliert, so einfach nicht stimmt. Ich meine, eine Abschaffung müsste doch mindestens mit einer Reduktion der Gesamtaufwendungen einhergehen. Die Abschaffung ist in den gebrachten Zahlen nicht erkennbar.
Ähnlich wie Sie zu meiner Einzelzahl berechtigt sagen „Für eine fundierte Aussage müssen folglich mehrere Indikatoren ausgewertet werden“ sage ich all jenen, die ständig von „steigender sozialer Kälte“, der „Umverteilung von unten nach oben“, der „wachsenden Ungerechtigkeit“ usw. reden, daß viele gesellschaftlich tatsächlich beobachtbaren Phänomene ganz komplexe und vielfältige Ursachen haben, und daß man alle diese Ursachen in Erwägung ziehen muß. Für fundierte Aussagen müssen sämtliche Ursachen ausgewertet werden. Das wird aber weder in den Medien noch von jenen, die diese Vokabeln freudig aufgreifen, gemacht, denn daß es sich „irgendwie“ lediglich und ausschließlich um Ausbeutungsphänomene eines wildgewordenen Kapitalismus handelt, ist hierzulande leider schon Dogma und braucht gar nicht mehr hinterfragt zu werden.
Was Ihre Kritik an den Zahlen zur Sozialhilfe angeht, so ist es natürlich bei Vergleichen schwierig, mögliche Einmalleistungen mitzuberücksichtigen. Ich gehe davon aus, daß die sich pi mal Daumen aufheben. D.h. auch heute bzw. demnächst haben wir z.B. mit dem Bildungspaket eine Leistung, die es 1981 nicht gab, wie es andere Leistungen 1981 gab, die es heute nicht gibt. Auch die jetzigen Regelungen sehen übrigens, neben dem Regelsatz, weitere Leistungen vor: Leistungen wegen Mehrbedarf, sowie Leistungen für eine Erstausstattung, zu der z.B. auch Waschmaschinen gehören können. Ihre Behauptungen, einmalige Beihilfen gäbe es gar nicht mehr, ist falsch (Lesen Sie dazu bitte § 23 III SGB II). Wenn man die Gesamtaufwendungen durch die Anzahl der Bezieher teilt, wird man allerdings auch solche Zahlungen erfassen. Die diesbezüglichen Daten recherchiere ich gerade, und hoffe, sie für 1981 auch finden zu können.
Ich habe die zeitliche Entwicklung der Sozialhilfe gebracht, um zu zeigen, daß es einfach falsch ist, wenn ständig behauptet oder insinuiert wird, die Sozialhilfezahlungen würden auch auf eine einzelne Person bezogen abnehmen, Hartz IV wäre eine noch nie dagewesene finanzielle Drangsalierung uswusf…. und nicht, um zu zeigen, daß sie schon deswegen jetzt ausreichend sein müssten, weil sie früher niedriger waren. Sie sind m.E. zwar ausreichend, aber aus anderen Gründen.
Zu Ihrem letzten Absatz:
Es ist eine Tatsache, daß es die von mir beschriebenen Menschen gibt, ich weiß es, denn ich kenne sie persönlich. In den Medien gibt es sie aber nicht. Mehr noch, es kann sie in unseren Medien nicht geben, denn wenn nur ein Betroffener dort behaupten könnte, daß es möglich ist, mit Hartz IV auskömmlich und zufrieden zu leben, wäre ja das üblicherweise erzählte Schauermärchen von der „Drangsalierung durch Hartz IV“ infrage gestellt. Dann bestünde die Frage: Warum können das andere nicht (lernen)? Zu ihren Vokabeln „Mangel“ oder „Bedürfnisse abtöten“: Hervorstechendes Merkmal der Welt ist „Mangel“. Es gibt zwar irgendwie alles mögliche, aber nie genug. Wir alle müssen daher andauernd Bedürfnisse abtöten. Auf der anderen Seite ist unsere Welt/Gesellschaft aber auch so reich an kostenfreien Möglichkeiten wie selten bisher eine Gesellschaft. Der von der Werbewirtschaft aufgeputschte Konsument übersieht das möglicherweise.
@ Katja Wolf am 4. Februar 2011 um 13:34:
“Wenn ich hier einige Blogteilnehmer verstehe, stellen sie sich unter Kommunismus eine paradiesgleiche Gesellschaftsform vor“.
– Wer schreibt das hier?
„(2) (jeder weiß), welche Güter der Gesellschaft nützen (…)
„Es sind ja gerade die Marktgesetze (Angebot und Nachfrage) die 2) ziemlich regeln.“
– Die „Gesellschaft“ ist ein Abstraktum. Es reicht, wenn jeder weiß, welche Güter ihm selber wirklich nützen. Der Markt richtet sich eben nicht nach den Bedürfnissen der Menschen, sondern nach der Profitträchtigkeit der produzierten Waren. Ein nützliches Produkt wäre z.B. gegenwärtig für mich eine passende Ersatzrippe für die abgebrochene aus meiner Waschmaschinentrommel. Das wäre ein Plastik-Artikel im Wert von schätzungsweise 2-3 Euro. Den gibt es auch noch am Markt, aber leider nur im „Paket“, wie das neudeutsch heißt. Da ist die neue Waschmaschine mit drin, und das ganze kostet dann eben 600 Euro +.
Dagegen gab es über die Hälfte der heute auf dem Markt befindlichen Produkte in den sechziger Jahren überhaupt noch nicht. Ich weiß gar nicht, wie man damals leben konnte.
Angebot und Nachfrage: von wem sollen die Produkte, die massenhaft auf den Markt geworfen werden, vorher nachgefragt worden sein? Das sind doch Kategorien aus der vorkapitalistischen zünftigen Handwerksproduktion. Und von liebdienenden Wirtschafts“wissenschaftlern“, die uns Bilder einer harmonischen Wirtschaft und Gesellschaft malen sollen und wollen.
Damals funktionierte es tatsächlich so, dass die Bedürfnisse bzw. der Bedarf der Menschen das Maß abgab für das, was produziert wurde. Die Zünfte versorgten sich gegenseitig mit den entsprechenden Produkten, es wurde nicht mehr und nicht weniger produziert als gebraucht, also nachgefragt wurde. Zu diesem System gehörte noch der Austausch von landwirtschaftlichen Erzeugnissen aus der Umgebung und städtisch-handwerklichen Produkten auf den Wochen- und Jahrmärkten. Ziel dieser Wirtschaftsweise war die Versorgung aller mit Gütern und Arbeit. (So das Modell, die tatsächlich entstehenden sazialen Differenzierungen lasse ich der Kürze und der Deutlichkeit halber weg.)
Schön, könnte man sagen, ist doch wunderbar, wieso sind die Menschen nicht dabei geblieben? Die Antwort ist: die Menschen sind dynamische Wesen. Sie streben nach Weiterentwicklung. Das System war aber über hunderte von Jahren mehr oder weniger statisch. Im Mittelalter wurden nicht weniger Erfindungen gemacht als zur Zeit der Industriellen Revolution. Bloß: damals hat ein Umwertungsprozess stattgefunden. Im Mittelalter hat man Leuten die Zunge herausgeschnitten, damit sie ihre Erfindungen nicht verraten konnten, weil Zunfthandwerker dadurch arbeitslos werden konnten. Das sollte um jeden Preis verhindert werden.
Das Umdenken brachte den bekannten Innovationssprung, oder umgekehrt. Über das komplizierte Wechselverhältnis zwischen materiellen Bedingungen und Ideenentwicklung hier nicht zu streiten. Heraus kam jedenfalls der Kapitalismus, der sich nach einem Wort von Marx „Im Schoße der alten Gesellschaft“ entwickelt und einen ungeheuren Produktivitätsfortschritt mit sich bringt, den Marx mit geradezu enthusiastischen Worten schildert, einen gesellschaftlich produzierten und privat angeeigneten Reichtum größten Ausmaßes erzeugt und zugleich Massenarmut hervorbringt.
„Es wird (…) immer mehr oder weniger begabte Menschen geben; wer wird den weniger Begabten erläutern, wie die Gesellschaft funktioniert bzw. was sie beitragen sollten?“
– Um zu wissen, „wie die Gesellschaft funktioniert“, müsste man sie theoretisch durchdringen. Das wird bei einer hoch komplexen Gesellschaftsstruktur niemand vollständig können, auch Marx natürlich nicht. Hier gibt es aber Leute, die es zumindest besser wissen als Marx, außer der Pauschalkritik an diesem aber ihr Geheimwissen für sich behalten, die würde ich mal befragen.
Wichtig ist doch die praktische gesellschaftliche Organisation und das konkrete gesellschaftliche Leben. Eine Gesellschaft ist nicht zu verwechseln mit einem Gesellschaftsspiel, wo Begabte die Regeln kennen und sie Neulingen erklären. Wie wird denn in unserer Gesellschaft den Begabten und Unbegabten vermittelt, was sie beitragen sollten bzw. könnten? Natürlich über den (Arbeits-) Markt. Da fallen dann die Unbegabten leider, leider unten durch.
In Baden-Württemberg z.B. verloren in der Autobranche zwischen März 2008 und März 2010 knapp 15 Prozent der An- und Ungelernten ihren Job, während es bei Ingenieuren einen Anstieg um fast 14 Prozent gab. Pech gehabt, sollen ein Ingenierstudium absolvieren. Bloß: dem anarchischen System der Beschäftigung enspricht ein anarchisches System der Ausbildung (mal abgesehen von den durch mangelnde Begabung gesetzten Grenzen): Wenn ich zu Zeiten, wo bestimmte Qualifikationen in der „Wirtschaft“ gefragt sind, Systemtechnik, Jura oder Medizin studiere, programmiere ich womöglich meine Arbeitslosigkeit vor, und vice versa. Nichts Genaues weiß man nicht, wenn man anfängt. Als ich Abi gemacht habe, wurde an den Schulen mit Hochglanzbroschüren (kein Witz!) für das Studium des wunderbaren und erfüllenden Lehrerberufs geworben. Als ich mit dem Studium fertig war, waren Lehrer als Naturkatastrophen-artige Landplage angesehen („Lehrerschwemme“).
Was dem historisch-materialistischen Denken und dem Kommunismus-Entwurf von Marx im Ansatz entspräche – das „K“-Wort ist doch dabei ebenso völlig gleichgültig, wie es ein selbstverständliches Erfordernis wäre, den Entwurf aus dem 19. Jh. an die Gegenwart angepasst neu zu denken, die Rede von der historischen Überholtheit von Marx ist doch für Begabte nichts als kalter Kaffee – das wäre, schlagwortartig gesprochen, die Negation der Negation:
Der Kapitalismus hat durch die Negation der ständischen Feudalgesellschaft zweifellosen Fortschritt gebracht, dabei aber auch deren soziale Errungenschaften mit dem eiskalten Bade ausgeschüttet. Wo er an die Grenzen der systemimmanenten Herstellung von im Ansatz so etwas wie sozialer Gerechtigkeit stößt, bedarf es womöglich der Negation des Kapitalismus und einer Transformation in neue Formen von Wirtschaft und Gesellschaft, in denen die früheren Errungenschaften positiv und die Kehrseiten negativ aufgehoben sind.
Die entsprechenden Gedanken öffentlich zu äußern und anzuregen, das muss Politikern und Publizisten vorurteilsfrei erlaubt sein. Darum geht es im Kern bei diesem Thema hier, und dazu bedarf es zur Klärung ggf. auch eines Rückgriffs auf die klassischen Theorien des Sozialismus und Kommunismus, wie ich es hier versucht habe.
Katja Wolf schrieb @ Anna # 41:
“Können Sie mir mitteilen, aus wem sich – Ihrer Ansicht nach – in Deutschland die herrschende Klasse zusammensetzt?
Das ist eine einfache sowohl als schwierige Frage. Das soziologische Klassenmodell ist eindeutiger als das Schichtenmodell, für das es nahezu ebenso viele Einteilungsmodi gibt wie definierende Autoren. Zur Oberschicht gehören danch ggf. Chefärzte wie Universitätsprofessoren, Fabrikdirektoren wie Starmusiker usw.
Das soziologische Klassenmodell unterteilt die Individuen nach der Stellung, die sie im Produktionsprozess innehaben. Danach bilden Kapitaleigner die „herrschende“, Lohnabhängige die „ausgebeutete“ Klasse. „Ausbeutung“ ist hier keine moralische Kategorie, sondern in dem Sinne gebraucht, wie man eine Silbermine ausbeutet. Adäquat wird die Lohnarbeit der Werktätigen ausgebeutet, dergestalt, dass daraus Gewinne erwirtschaftet werden, die vertragsgemäß dem Kapitaleigner zufließen, während die Lohnabhängigen ihre Lebenshaltungskosten in Form des Lohns erhalten. Diese Ausbeutung ist für den Unternehmer natürlich der Sinn des ganzen Unternehmens und von irgendeinem Gefühl oder Bewusstsein des Lohnarbeiters, im moralisch fragwürdigen Sinne „ausgebeutet“ zu werden, ganz und gar unabhängig.
Die Begriffe „Herrschaft“ und „herrschend“ werden hier im klassischen Sinne (z.B. bei Hegel) als ökonomische Abhängigkeit, nicht als politische Herrschaft gebraucht.
Soweit das einfache Grundmodell, das sich orientiert an der klassischen Fabrikproduktion. Schwierig wird die Sache, das ist wahrscheinlich der Hintergrund der Frage, durch die Diversifizierung der Klassen- und Schichtenzugehörigkeiten und die Auflösung der entsprechenden – bürgerlichen und proletarischen – Milieus in den letzten Jahrzehnten.
Die unmittelbar produzierenden Werktätigen, die die eigentlich wertschöpfende Arbeit leisten und noch in den 60ern des vorigen Jh. die Mehrheit der Lohnabhängigen ausmachten, bilden heute nur noch eine Minderheit im Vergleich zu denen in unproduktiven Bereichen, den sog. Dienstleistern.
Den klassischen Unternehmertypus auf der anderen Seite findet man allenfalls noch in der mittelständischen Produktion, in großen Industrie- und Handelsunternehmen ist dessen ehemalige Funktion aufgespalten in z.T. anonyme, jedenfalls nicht an der Betriebsleitung beteiligte Investoren und Manager. Diese sind formell höhere bzw. hohe Angestellte, als solche also lohnabhängig, faktisch vertreten sie aber die Interessen des Kapitals.
In diesem Sinne wird man also sagen müssen: die beiden einerseits notwendig zusammengehörigen, andererseits antagonistisch einander entgegengesetzten Seiten Kapital und Arbeit sind personell, zumindest, was die Kapitalseite betrifft, vielfach nicht mehr eindeutig repräsentiert. Das ändert jedoch nichts daran, dass Lohnarbeit, was nur ein anderes Wort für Kapitalismus ist, weiterhin das bestimmende Produktionsverhältnis ist.
Meines Erachtens würde man insofern statt von „herrschender Klasse“ genauer von „Kapitalbesitzern“ und „Kapitalagenten“ sprechen, die in verschiedener Weise und verschiedenen Funktionen das Kapital repräsentieren bzw. seine Interessen direkt gegenüber den Lohnabhängigen bzw. mittelbar gegenüber den politischen Repräsentanten vertreten.
(Das alles ist natürlich trotz der relativen Länge der beiden Kommentare notwendig verkürzt dargestellt, sorgt aber hoffentlich trotzdem für ein wenig Klarheit.)
Grüße
Heinrich
@ Heinrich:
a) Dann stelle ich meine Fragen zur Utopie einfach nochmals so:
Wie stellen sie die Blogteilnehmer eine „lebenswerte(re)“ Gesellschaftsform vor, in der
1) jeder weiß, welche Verhaltensweisen der Gesellschaft nützen,
2) welche Güter der Gesellschaft nützen und
3) jeder das nach seinen Möglichkeiten entsprechende dazu beiträgt.
b) Sie beschreiben ja gerade in ihrem Beispiel, dass jeder weiß, welche Güter ihm selber wirklich nützen (in Ihrem Fall das Waschnmaschinenersatzteil).
Mein Auto besteht mittlerweile (weil es aufgrund von einem Atomkraft-ja-bitte-Aufkleber regelmäßig beschädigt wird) aus genau zwei Ersatzteil-Außenspiegeln (der dritte links, der zweite rechts) die meine KFZ-Werkstatt vom Schrottplatz erworben hat. Schrottplätze besetzen eindeutig eine Marktlücke für relativ preiswerte Einzelteile/Ersatzteile.
So etwas könnte man sich für Spül-, Wasch- oder ähnliche Maschinen auch vorstellen
(gibt es wahrscheinlich auch).
Mein Beispiel führt nun aber wieder zu Punkt 1).
Offensichtlich sind hier Menschen am Werk, die WISSEN, dass meine Verhaltensweise der Gesellschaft nicht nützt und man erklärt es mir regelmäßig mit Demolieren meines armen, alten KFZ.
@ Katja
Was Sie da erleben, ist ein Beispiel für das segensreiche Wirken der Marktwirtschaft. Die einzelnen Kapitalien befinden sich ja in einem mörderischen Konkurrenzkampf gegeneinander. Die „Atomkraft-ja bitte!“- Aufkleber werden eigentlich von der Außenspiegel-Industrie lanciert, die durch solche mutigen Zeitgenossinnen wie Sie, die Plaketten gegen den Öko-Zeitgeist anbringen, ihren Absatz sprunghaft um 200% erhöht. Die Demolierer sind aber ihrerseits ins kriminelle Milieu abgerutschte perspektivlose Langzeitarbeitslose, die für ihre Machenschaften paradoxerweise angeworben und bezahlt werden ausgerechnet von jener Atomlobby, für die Sie mit der Plakette eigentlich werben wollen. Denn die will von Ihren Befürwortern Taten sehen und nicht nur Plaketten, sie steht ja wiederum in Konkurrenz zur Ölmafia und ist bestrebt, dass Sie irgendwann aufgeben und ihr armes, altes KFZ samt Ersatz-Außenspiegeln verschrotten. Das kommt dann in die Schrottpresse, die natürlich mit Atomstrom betrieben wird, und Sie fahren anschließend mit der Staßenbahn, die natürlich mit Atomstrom betrieben wird.
Auf diese Weise lassen Sie ihr theoretisch-propagandistisches Engagement für Atomstrom praktisch werden, und es ist fast für alle gesorgt. Die Außenspiegel-Industrie kann Extra-Profite verbuchen, was sie als Motiv natürlich verheimlicht, sie schickt stattdessen ihre medialen Exponenten zu Anne Will, die dort für 3000 €, bezahlt von unser aller Portokassenbeiträgen für die GEZ, dem staunenden Publikum ihre Unternehmungen in der Zeit allgemeinen Gejammers als leuchtendes Beispiel für die aufstrebende, Arbeitsplatz-schaffende Mittelstandswirtschaft präsentieren, Sie sparen eine Zeitlang für ein niegelnagelneues Elektro-Auto, das natürlich mit Atomstrom betrieben wird, damit haben Sie ihrem politischen Engagement Genüge geleistet. Statt „Atomkraft, ja bitte!“ kleben Sie jetzt: „Kein Schadstoff- Ausstoß!“ an die Scheibe und überlisten damit die Öko-Freaks, die nächtens Zettelchen mit Herzchen daneben kleben und Ihre Außenspiegel bewachen.
Nur die Ölindustrie hat scheinbar das Nachsehen, aber der Markt agiert international und schlägt regional zu. In den Öl-produzierenden Ländern sinkt das Volkseinkommen, die Massen erklären ihre Machthaber für schuldig und gehen auf die Straße und fordern Demokratie.
@ Heinrich,
na dann…
es ging mit hauptsächlich um die Frage, wer hat in einer Gesellschaft das Recht, für sich in Anspruch zu nehmen, die Weisheit mit Löffeln gefressen zu haben und diese Erkenntnisse dann auch (gegen die nicht Weisen) durchzusetzen?
@ Katja
na dann…
Ich hatte mich bemüht, auf Ihre Fragen einigermaßen umfassend einzugehen, in der Erwartung, diese damit aufgeklärt zu haben. Tut mir leid, wenn meine Antworten Sie nicht befriedigen, aber auf dieselben Fragen, noch einmal gestellt, werden Sie von mir auch keine grundsätzlich andere Antwort bekommen. Schließlich habe ich mir das Meine dabei gedacht. Ich habe die Weisheit nicht mit Schaumlöffeln gefressen und ohnehin nicht die Absicht, meine bescheidenen Erkenntnisse gegen Sie durchzusetzen.
Gut gebrüllt, Löwe Heinrich.Deine systematische Darstellung bereitet Vergnügen und regt zum Nachdenken an, vor allem über die Konseqenzen für eine Gesellschaft mit den fortentwickelten Vehältnissen der „Lohnarbeit“.
@heinrich
„Adäquat wird die Lohnarbeit der Werktätigen ausgebeutet, dergestalt, dass daraus Gewinne erwirtschaftet werden, die vertragsgemäß dem Kapitaleigner zufließen, während die Lohnabhängigen ihre Lebenshaltungskosten in Form des Lohns erhalten. “
Nein, das ist Unsinn.
„Ausgebeutet“ ist eine Ressource nur dann, wenn nichts zurückbleibt. Wenn aber die Lohnabhängigen eine Gegenleistung erhalten, werden sie nicht ausgebeutet.
Infrage steht hier das Verhältnis der Werte und die Qualität der Verträge. Per Definition ist „Lohnarbeit“ keine „Fronarbeit“, weil sie nicht die (Un)Freiheit der Abhängigen zur Bedingung hat, sondern deren wirtschaftliche Ungebundenheit, die, je nach Vertragssituation, eine drohende Verelendung zum Mittel der Unfreiheit oder aber die gerechte Entlohnung zum Mittel der Freiheit werden läßt.
@ heinrich:
ich hatte in meinemr Antwort auch nicht Sie gemeint, sondern in dem von mit dargestellten Fall diejenigen, die mir „regelmäßig“ Zeit und Geld entwenden, die ich aufbringen muss, um weiterhin „mit Aufkleber“ Auto fahren zu können.
Dahinter steckt die Frage, wieviel Gewalt oder Zerstörungsenergie ist erlaubt, um vermeintlich richtige Einsichten durchzusetzen.
Und da habe ich mich eben auf den Sozialismus als zwangsläufige DIKTATUR bezogen (das war ja auch der Ursprung der Diskussion – es ging um das K-Wort, die Endstufe der Diktatur des Proletariats).
@BvG,
Heinrich brachte ja selbst die Relativierung des Begriffs „Ausbeutung“, um klarzumachen, daß es hier erstmal nicht um den Kampfbegriff der Linken geht, sondern eher um eine Wertabschöpfung.
Dennoch ist die Darstellung aber natürlich einseitig, denn es wird ja unterschlagen, daß auf der anderen Seite der Kapitalist ebenfalls Werte einbringt… die ja wiederum vom Lohnabhängigen „ausgebeutet“ werden. Dazu gehört in allererster Linie zunächst einmal der Wille zum Risiko. Die Idee, in einer privaten Hand befindliches Kapital könne im Kapitalismus einfach immer nur wachsen, ist nämlich falsch… es gibt genügend Unternehmenspleiten, die das Gegenteil beweisen. Die Möglichkeit der Gewinnabschöpfung ist daher als „Lohn“ für die Risikobereitschaft zu verstehen. Kapitaleigner müssen ständig Marktchancen und -risiken bestimmter Unternehmungen bewerten, bevor sie investieren. Selbst wenn sie diese Bewertungstätigkeit an Lohnarbeiter abgeben, das letztendliche Risiko tragen sie selbst.
Ebenfalls muß man dem üblichen Eindruck widersprechen, daß es sich beim „Kapital“ lediglich um eine exklusive Gruppe reicher Herrschaften irgendwo handelt. Über die Form der Kapitalbeschaffung in der Aktiengesellschaft kann auch Tante Erna zum Kapitalisten im Marxschen Sinne werden, sie beutet dann die Lohnabhängigen über die Dividenden aus. Im Grunde ist also überhaupt nur derjenige kein Kapitalist, der kein Vermögen hat, das irgendwie Erträge (aber natürlich auch Verluste) abwerfen kann… d.h. es ist stark zu vermuten, daß auch eine ganze Reihe der forumshiesigen heftigen Kapitalismuskritiker eigentlich selber Kapitalisten sind, selbst wenn sie lediglich bei ihrem Bankberater um die Zinsprozente feilschen… d.h. den meisten Kapitalismuskritikern ist gar nicht klar, wen sie kritisieren… nämlich auch sich selber.
@ BvG, Max Wedell
Sie passen hier nach Diskussionsniveau und -Methode mit maat zusammen, ausgehend von der Voraussetzung: keine Zeile von Marx gelesen oder zumindest verstanden haben, statt sich wenigstens auf der Grundlage meiner entsprechenden Erläuterungen darüber auseinanderzusetzen, sich diesen gegenüber ignorant verhalten, aber nicht die seriöse Konsequenz ziehen, einfach davon zu schweigen, wovon man nichts zu sagen hat, wie ich das z.B. als Selbstverständlichkeit pflege gegenüber mir unbekannten Theorien, stattdessen Marx zur Unkenntlichkeit verfälschen und die Kritik an der Fälschung im Brustton des Besserwissens als Widerlegung von Marx und den „forumshiesigen (welch ein Wort!) heftigen Kapitalismuskritikern“ auszugeben.
Darauf mich weiter einzulassen, dazu ist mir die aufgewandte Lebenszeit zu schade. Nicht, dass es mir hier darauf ankäme, irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen, ich habe da persönlich keine Karten im Spiel. Ich könnte und würde entsprechende Diskussionen ebenso über die klassischen Demokratietheorien, seien sie etwa von Rousseau oder von Alexis de Tocqueville, führen, meinetwegen auch in den gegebenen Grenzen über entsprechende Darlegungen von politischen Konzepten, die ich nicht kenne, durch andere Diskussionsteilnehmer, aber natürlich nicht spekulativ auf der Grundlage von bloßen Buchtiteln.
Im übrigen geht es mir aber so wie einem guten Schachspieler: dem geht es nicht in erster Linie darum zu gewinnen (entsprechend: Recht zu behalten), sondern der ärgert sich über Fehler und Schwächen des Gegners und möchte sich stattdessen durch starke Spielpartner herausgefordert und in seinen Möglichkeiten gesteigert sehen.
Davon ist die Diskussion hier für mich weit entfernt. Abraham ausdrücklich ausgenommen, auf den ich vielleicht noch eingehen werde.
@ Katja
Da Sie mir in einer kritischen Fragehaltung begegnen, folgende zusätzliche Antwort an Sie (in Teilen auch an Abraham):
Die „Diktatur des Proletariats“ ist für die Klassiker des Marxismus eine Floskel, die nicht mehr besagte als die politische Herrschaft des Proletariats, und das bedeutete nach den damaligen Verhältnissen: der Mehrheit der Bevölkerung, also Demokratie (ganz im Sinne der Erörterungen des späten Engels übrigens, die Abraham hier anführte, des SZ-Artikels konnte ich leider nicht habhaft werden).
Was durch die leninistischen Parteiherrschaften daraus gemacht wurde, ich weiß nicht, inwieweit man das Proletariat dafür mitverantwortlich machen kann.
Weder das Proletariat noch auch die organisierte KPD kann man jedenfalls für das Schreckgespenst verantwortlich machen, das antikommunistisch hier daraus gemacht wurde, nicht zuletzt durch das äußerst fragwürdige KPD-Verbotsurteil des BVervGer. Das hat sich damals stromlinienförmig an der Adenauer-Administration orientiert, die die junge Bundesrepublik im Konnex mit alten Faschisten und gegen die alten Antifaschisten, zu denen in vorderster Front die Kommunisten gehörten, aufgebaut hat. Lange bevor die KPD offiziell verboten wurde, waren ihre Mitglieder bereits aus dem öffentlichen Dienst und zum Teil auch wieder in die Kerker geworfen worden. Als Staatsfeinde, die Massenprotreste gegen die militärische Wiederaufrüstung organisiert hatten.
Das ist konkrete politisch-historische Wirklichkeit, die weiter zu erhärten mir möglich wäre, aber hier zu weit führen würde.
Was konkret zu Ihrer Frage „wieviel Gewalt oder Zerstörungsenergie ist erlaubt, um vermeintlich richtige Einsichten durchzusetzen.“? besagen will: marxistisch überhaupt keine, schon gar nicht gegen andersdenkende Privatpersonen oder deren Eigentum. Aber auch nicht gegen staatliche Einrichtungen oder Polizei, wie es die sog. Autonomen ggf. praktizieren.Die wird ggf. ausgeübt von frustrierten fanatischen Idioten oder kriminellen Linksfaschisten, und dass Sie die so bruchlos mit dem Marxismus bzw. Kommunismus in Verbindung bringen, sagt viel über das allgemein verbreitete Vorurteil, aber gar nichts über diesen aus.
Grüße
Heinrich
@heinrich
Danke gleichfalls, Ihr Niveau ist mir auch zu schlecht und lohnt den guten Willen nicht mehr, über Ihren divenhaften Umgang mit den Blogteilnehmern hinwegzusehen, die immer dann, wenn der Beifall ausbleibt, als Banausen beschimpft werden.
@Heinrich
Das ist die grob geschätzte 50. Diskussion über Karl Marx, den Kommunismus und die Linkspartei, die in diesem Blog stattfand. Ich hatte also genügend Zeit mir eine Meinung zu bilden. Vielleicht nimmst Du einfach zur Kenntnis, dass ich einfach einen anderen Standpunkt vertrete als Du, was die Beurteilung der Linkspartei und ihre Beziehung zum Kommunismus anbelangt. Ich werde diese Meinung auch weiterhein äußern unabhängig davon, ob Dir das genehm ist. Du kannst also gerne darauf verzichten, das Niveau meiner Beiträge zu beurteilen. Wir sind hier nicht in der Schule.
maat
@ BvG
Jetzt mach‘ mal nen Punkt! Ich kenne mein Niveau ganz gut, und man muss sich nicht darauf herablassen, um aus gutem Willen mit mir zu diskutieren. Aber den Vorwurf, ich beschimpfte hier andere als Banausen, den möchte ich mir doch verbitten.
Ich hatte mich angeschickt, auf die Beiträge # 103 und # 105 zu antworten, in denen unmittelbar oder mittelbar auf meine Darlegungen geantwortet wird, allein, wie komme ich dazu, hier die elementarsten Begriffe und Zusammenhänge von Lohnarbeit und Kapital erneut zu erläutern? Ich habe mir gestern ausnahmsweise Anne Will über Hartz IV, Arbeitslose, Geringverdiener und Mindestlohn angesehen, sehr lehrreich. Wenn du meinst, Lohnabhängige seien nicht abhängig, obwohl der Name das sagt, sondern freie Wirtschaftssubjekte, dann empfiehl ihnen doch, morgens zu überlegen, ob sie sich in Freiheit an ihren Arbeitsplatz begeben oder lieber mit einem guten Buch sich aufs Sofa legen wollen! Und Max mag seiner Tante Emma empfehlen, ein paar Aktien zu kaufen, sich künftig Kapitalist zu nennen und sich auf den Bahams niederzulassen.
Das könnt ihr meinetwegen machen, wie ihr lustig seid, aber erzählt mir bitte nicht nach meinen Beiträgen hier, solches Verständnis sei „im Marxschen Sinne“! Das empfinde ich als Missachtung meiner seriösen und ernsthaften Erläuterungsversuche – ebenso wie z.B. maats verblüffende Einsicht zum Hegel-Marxschen Entfremdungstheorem, dass wohl nicht entfremdet sei, wer sich nicht entfremdet fühle, da u.a. der Zusammenhang – und darauf weiter einzugehen empfinde ich insofern als Lebenszeitverschwendung, ok.?
Soweit als zusätzliche Begründung, die Metadiskussion bin ich aber ebenso wenig fortzusetzen bestrebt.
@heinrich
Die „Metadiskusson“ beginnt bei: heinrich#106.
Im übrigen haben Sie das was ich schrieb, gar nicht verstanden, umso weniger Anlass also, mit „verschwendete Lebenzeit“ und ähnlichen Herabwürdigungen zu antworten.
maats Beiträge hier haben mir ausnehmend gut gefallen, das gebe ich gerne zu, sie mögen nicht von einem jahrelangen Studium Marxscher Ideen (unter „jahrelang“ scheint es ja nicht zu gehen) zeugen, aber sie sind ansonsten nüchtern und sehr klarsichtig in ihren Beobachtungen, egal worauf die sich im Einzelnen bei diesem Thema richten.
Daß Sie so nervös auf das Thema Kapitalistenleistungen und da „Risikoverantwortung“ reagieren, kann ich mir nur so erklären, daß Sie wohl nichts dazu von Marx bringen können. Im „Kapital“ kommt ja diese Hauptfunktion des Kapitalisten, die Risikobewältigung, nicht vor, das Wort „Risiko“ insgesamt etwa 10 mal („Die Mieten sind wöchentlich, und die Herren laufen kein Risiko“ o.ä.). Marx fertigt das ab, Risiko ist für ihn „moralisch erbaulicher Trostgrund“, mehr nicht, und muß daher nicht weiter erörtert werden. Das kritisiere ich, und wenn sie das kontern wollen, können sie das besser durch eine Darlegung, wie Marx dieses Themengebiet ihrer Kenntnis nach abhandelte und warum seine Position dazu ihrer Meinung nach richtig ist, als durch Verächtlichmachung von Diskussionsteilnehmern.
Was den zweiten Absatz meines Posts angeht, so gebe ich bereitwillig zu, daß die Wendung „Kapitalist im Marxschen Sinne“ möglicherweise von mir gedankenlos verwendet wurde. Ich ziehe das zurück und ersetze es durch „Kapitalist im Wikipediaschen Sinne“:
„Ein Kapitalist verfügt über eine Summe von ökonomischen Werten (Kapital), die er planmäßig dazu einsetzt, um eine größere Summe als zuvor eingesetzt zurückzuerhalten. Für den entsprechenden Investitionsprozess trägt er selbst das wirtschaftliche Risiko.“
Wenn Sie meinen, daß Marx das anders definierte… na gut… Es bleibt aber die eigentliche Aussage meines Posts, nämlich daß die vorgenannte Definition heute auf weit mehr Personen zutrifft als es überhaupt Personen gibt, die sich selbst „Kapitalisten“ nennen würden. D.h. es gibt eine ganze Reihe Kapitalisten, die abstreiten, welche zu sein, obwohl sie de facto welche sind. Das ist ein Fakt und jegliches Geschwafel, diese oder jene Person hätte Marx oder Heinrich überhaupt nicht richtig gelesen, kann daran nicht rütteln.
@ maat am 14. Februar 2011 um 21:17:
Mein Beitrag hat sich mit deinem Einwand überschnitten! Also doch noch Metadiskussion. Meine Schuld, dass ich sie losgetreten habe, statt einfach auszusteigen. Mal sehen, ob uns das wider Erwarten vielleicht doch weiterbringt.
Nein, es geht mir hier wie dort natürlich nicht um eine schulmäßige Benotung, die stünde mir in der Tat nicht zu. Sorry, tut mir abermals leid, wenn das so ankommt. Ich kann wohl die spezifisch gemeinte Kritik nicht adäquater ausdrücken, aber die wirst du nicht durch Abwehr los.
Und keinesfalls hast du natürlich einen Anlass, dich für deine Meinungsäußerung als solche hier mir gegenüber zu rechtfertigen und zu behaupten. Wo kämen wir denn da hin?
Es geht darüber hinaus auch von meiner Seite überhaupt nicht um unterschiedliche Standpunkte. Verstehe nicht, wie du das nach meinem Schachspiel-Beispiel und meinem Satz: „Nicht, dass es mir hier darauf ankäme, irgendjemanden von irgendetwas zu überzeugen, ich habe da persönlich keine Karten im Spiel.“ hier in den Vordergrund stellen kannst.
Du bist übrigens, wie du natürlich selber weißt, durchaus mehrfach auf mich eingegangen, und zwar in einer Art, die ich als wesentlich problematischer empfinde als – begründete – Noten, nämlich anonym, in der Form „eine Ansicht, die ja auch in diesem Blog von manchen Personen vertreten wird“, was mir nach „in gewissen Kreisen“ klingt, man weiß ja, wer gemeint ist, aber wenn der sich meldet, ist im Zweifelsfall eine anonyme Allgemeinheit angesprochen. Das Schema hatten wir oben schon einmal.
Ich werde, wie ohnehin vorgehabt, später auf einzelne deiner Äußerungen noch näher eingehen, und sofern sie als bloße Standpunkte und Meinungen erscheinen, sind sie, wie gesagt, inkommensurabel und von den eigentlichen Argumenten zu trennen.
Grüße
Heinrich
@ BvG
„Im übrigen haben Sie das was ich schrieb, gar nicht verstanden“
– Wenn ich hier was nicht verstehe, liegt es mit Sicherheit am Text und nicht an mir.
„weniger Anlass also, mit “verschwendete Lebenzeit” und ähnlichen Herabwürdigungen zu antworten“
– Herabwürdigung? Es ist eine rein subjektive Entscheidung darüber, welche Tätigkeiten ich für mich als produktiv und welche ich als sinnlos empfinde.
@ Max
Zu Ihrem ersten Absatz: Verteilen Sie bitte keine Noten, wir sind hier nicht in der Schule! Aber maat dürfte das eine große Bestätigung sein.
Das jahrelange Studium ist jedoch ein Irrtum, Marx habe ich beiher gelesen. Ich hatte ganz andere Schwerpunkte, z.B. Erkenntnistheorie. Von daher kann ich Ihnen sagen, dass Sie einem Irrtum aufsitzen, wenn Sie meinen, man könne gesellschaftliche Phänomene durch „nüchterne und sehr klarsichtige Beobachtungen“ erfassen. Dazu bedarf es der Theorie, die gibt es in Hardcore- und Lightversion und und über die strete ich mich ggf. gerne.
1. „Daß Sie so nervös auf das Thema Kapitalistenleistungen und da “Risikoverantwortung” reagieren [wo täte ich das?], kann ich mir nur so erklären, daß Sie wohl nichts dazu von Marx bringen können.“
– Da haben Sie mich kalt erwischt. Eigene Gedanken wären schön, kommen mir aber leider nur schwach und selten.
Ich versuche es trotzdem mal: Das Unternehmerrisiko kommt bestimmt bei Marx nicht vor – bei Ihnen ersetzt offenbar die „finden-ersetzen“- Funktion das jahrelange Studium – weil die Ideologen es damals noch nicht erfunden hatten.
Seit wann ist denn die „Risikoverantwortung“ die Hauptfunktion des Kapitalisten? Das ist doch (etwas verkürzt) der Einsatz von totem (Maschinen usw.) und lebendigem (Arbeitskraft) Kapital für die Produktion zum Zwecke der Erwirtschaftung des Profits.
Welches Risiko trägt denn der Arbeiter dabei und welches der Kapitalist? Das zu beantworten reicht fast die nüchterne und klarsichtige Beobachtung. Für den Arbeiter ist die Lohnarbeit die Existenzgrundlage im Wortsinn. Wenn er die verliert, ist – Sozialfürsorge ausgeklammert, seine physische Existenz gefährdet. Was für ein Risiko! Für den Unternehmer ist das Kapital die Grundlage eben nicht seiner pysischen, sondern seiner Unternehmerexistenz. Verliert er die, rutscht er im schlimmsten Falle, der selten zu beobachten sein dürfte, in die Existenz als Lohnarbeiter ab und teilt dessen physisches Existenzrisiko.
2. Kommen Sie mir bitte nicht mit Wikipedia, sonst laufen Sie noch Gefahr, mir meine eigenen Texte vorzuhalten! Aber sei’s drum! den letzten Satz mit dem „wirtschaftlichen Risiko“ haben wir ja nun als Ideologie entlarvt. Der Rest scheint sachlich korrekt, gehört aber schon wegen des Deutsch verboten („… die er planmäßig dazu einsetzt, um eine größere Summe als zuvor eingesetzt zurückzuerhalten.“) Hier ist allerdings auch der ideologische Teufel im Detail verborgen, den Marx ans Licht holt. Bei Interesse zeichne ich das gerne nach.
Die hier nicht beantworteten Fragen sind nämlich:
a) Wie genau geht denn die Wertschöpfung vonstatten? Wie wird aus „ökonomischen Werten“ Kapital? Das ist nämlich keineswegs identisch, und vor allem: hier wird einfach ein beliebiger Schnitt gemacht und vorausgesetzt, dass der Kapitalist darüber „verfügt“. Aber
b) wie kommen die Kapitalisten ursprünglich und in der Regel daran? Durch das schrittweise Ankaufen von Telekom-Akzien a la Tante Emma?
3. Die Frage, welche Personen im Vollsinne Kapitalisten sind und welche Lohnabhängige, ist doch ganz einfach beantwortet. Da müssen Sie mich doch nicht versuchen, mich mit den Waffen meiner eigenen Differenzierungen zu schlagen. Oder war nicht ich es, der in seiner Antwort an Katja den tendenziellen Diversifizierungsprozess der überkommenen antagonistischen Klassen beschrieben, zumindest benannt hat?
Trotz alledem gilt aber eben weiterhin dies: Die Klassenzugehörigkeit orientiert sich an der objektiven Stellung der Individuen im Produktionsprozess und nicht daran, wo sie sich subjektiv zuordnen. Also: Kapitalisten, die leugnen, welche zu sein, sind trotzdem welche.
Einfach gesagt gilt: Der grundlegende Klassenunterschied ist der zwischen nichtarbeitenden Kapitalbesitzern und nichtbesitzenden Arbeitern. Erstere leben davon, dass sie Arbeitskräfte kaufen und einen Mehrwert erwirtschaften lassen (ein anderer Ausdruck für: ausbeuten), letztere leben überwiegend davon, dass sie ihre Arbeitskraft verkaufen. Hier gilt ebenfalls: Lohnabhängige, die leugnen dies zu sein und sich einbilden, Kapitalisten zu sein, sind trotzdem keine, ob sie nun Sparbücher, Immobilienfonds oder Aktien besitzen, und werden dies spätestens gewahr, wenn sie ALG II beantragen müssen und das Amt ihnen ihre „ökonomischen Werte“ wieder abnimmt.
Hoffe, ich konnte die Fragen in der gebotenen Knappheit klären.
Grüße
Heinrich
@heinrich
„- Wenn ich hier was nicht verstehe, liegt es mit Sicherheit am Text und nicht an mir.“
Na ja, das ist schon etwas überheblich, oder?
„- Herabwürdigung? Es ist eine rein subjektive Entscheidung darüber, welche Tätigkeiten ich für mich als produktiv und welche ich als sinnlos empfinde.“
Auch na ja. Empfindungen zu haben und diese zu äussern, sind zweierlei Schuhe und Rausreden tut nicht not. Wenn man jemanden als unwürdigen Gegner bezeichnet, so würdigt man diesen herab,oder?
Schwämmchen drüber. Schiessen’s halt net, dann prallt nix zurück.
Aber mein schöner Satz aus #103 soll so nicht untergehen: In den „Fronarbeitern“ sind wohl leicht die Leibeigenen zu erkennen, die ausgebeutet werden können, weil sie nicht frei sind, in den „Lohnarbeitern“ die proletarischen Massen, die nicht ausgebeutet werden können, weil sie frei sind. Den ersten steht nicht das Recht zu, überhaupt frei zu sein, den anderen fehlen die Mittel, um wirklich frei zu sein. Die einen können weder die Freiheit, noch die Mittel erlangen, die anderen können vermittels ihrer Freiheit, die zur Ware wird, die Mittel erlangen.
Ich glaube nicht, daß ich Marx da so falsch verstehe. Wenn ja, dann liegt’s am Text, aber nicht an mir…:-)
Nachfolgende Hinweise nur der guten (deutschen) Ordnung halber:
@107 BvG
Hatter offenbar mal wieder gemeint, das Wort für alle Blogteilnehmer ergreifen zu sollen, zu müssen oder zu möchten, und das sogar außerhalb der Geisterstunde.;-) Nehmen Sie zur Kenntnis, dass ich mich weder als Banausin beschimpft fühle, noch Ihnen Vollmacht erteilt habe, auch für mich sprechen zu dürfen, zu sollen oder zu müssen. Näheres können Sie unter @90 (letzter Absatz) nachlesen.
@110
Gelegentlich sollten Sie den Blogteilnehmern, insbesondere denen für die Sie nicht befugt sind als Obersprecher zu verlautbaren (wie ich z.B.), erläutern, wo denn die Herabwürdigung hinsichtlich der Formulierung „verschwendete Lebenszeit“ zu suchen bzw. zu finden ist, zumal Sie immer dann mit diesen Begrifflichkeiten um sich schmeißen, wenn Ihnen zum eigentlichen Thema nix mehr einfällt, oder Sie nicht mehr so richtig wirklich mitzukommen scheinen. Ihre nächtliche Erklärung dazu in @114 ist mehr als dünn. Wenn Sie nicht wissen sollten, was Herabwürdigung oder Verächtlichmachung bedeuten, dann lassen Sie es mich wissen.
Gute (deutsche) Ordnung ENDE.
mfg
Jutta Rydzewski
@Heinrich,
„Von daher kann ich Ihnen sagen, dass Sie einem Irrtum aufsitzen, wenn Sie meinen, man könne gesellschaftliche Phänomene durch “nüchterne und sehr klarsichtige Beobachtungen” erfassen.“
Dieser Irrtum ist für mich schwer zu verstehen. Die Tautologie, daß man klare Sicht auf Gegebenheiten durch Klarsichtigkeit erhält, kann ja schonmal nicht falsch sein, sie führt allerdings auch nicht weiter. Daß hingegen ein beträchtlicher Teil z.B. der Erkenntnisse der Soziologiewissenschaften mit empirischen Methoden ermittelt wurden, hielt ich bisher für gegeben. Jetzt erfahre ich von Ihnen, daß die so gewonnenen Erkenntnisse aufgrund ihrer Ermittlungsmethoden fragwürdig sind. Interessant.
„Seit wann ist denn die “Risikoverantwortung” die Hauptfunktion des Kapitalisten?“
„Risikoverantwortung“ verstehe ich hier nicht nur als das Schultern der Konsequenz eines Verlustes der Investition, sondern es steht für eine Verantwortlichkeit bzw. das Bemühen, aus der Investition „das Beste herausholen“. In einer Marktwirtschaft bedeutet dies, daß man sich bemüht, das momentan Nachgefragte zu erkennen, und mehr noch, das künftig Nachgefragte zu antizipieren. Dieses Bemühen bedarf einer Motivation, im Falle des Kapitalisten ist es die des Eigennutzes (und wirft als Nebeneffekt die Befriedigung der Bedürfnisse der Nachfragenden ab). Unklar ist mir hingegen, woher dieses Bemühen in der kommunistischen Gesellschaft herkommen soll, wenn der „universell entwickelte Mensch“ sich, je nach momentan vorhandener Neigung, mal hier mal da an einem Produktionsprozeß beteiligt. Wenn es nur nach der reinen Neigung des Menschen ginge, könnte dann, überspitzt formuliert, die Menschheit auch irgendwann mal verhungern, weil alle Menschen bloß eine Neigung verspüren, Blumenvasen bunt zu bemalen, statt einen Pflug über den Acker zu ziehen. Es kommt nicht von ungefähr, daß in allen Kommunismusversuchen eine Tendenz zum Überfluß des Nicht-Nachgefragten und zum Mangel des Nachgefragten zu beobachten war und ist.
Bei Marx gibt es, in der kommunistischen, klassenlosen Gesellschat, neben der „Neigung“, die ja auch ein reiner Eigennutz ist, allerdings ein vom Rest der Welt abgekoppelter, dann auch noch die „Einsicht“, d.h. der Kommunist arbeitet dann auch mal gegen seine Neigung, nämlich wenn er irgendwie „einsieht“, daß die jeweilige Arbeit notwendig oder auch nur nützlich für die Gemeinschaft ist. Bei manchen Naturvölkern, lt. Marx allerersten klassenlsoen Gesellschaften, ist es beobachtbar, daß es eine solche Verantwortlichkeit des Einzelnen gegenüber der Gemeinschaft gibt… in den Kleingruppen, die dort gebildet werden (wie auch in der Beziehung Eltern-Kind und anderen Kleingruppen auch im Kapitalismus, in dem es Beziehungen des Gebens und Nebens jenseits von Eigennutzenserwägungen gibt). Ob es dieses Verantwortungsgefühl unter den Bedingungen hoher Bevölkerungsdichte und großer Bevölkerungszahlen, der modernen Vermassung, d.h. auch Massenanonymität, in ausreichendem Maß geben kann, bezweifle ich stark. Weiter oben hatte ich dazu schon geschrieben, daß ich eine kommunismusähnliche Lebensgestaltung in isolierten Kleingruppen für durchaus möglich halte, aber ab einer bestimmten Größenordnung der Bevölkerung, d.h. wenn einer den anderen nicht mehr persönlich kennt, nicht mehr.
Es ist eine der Fantasievorstellungen Marxens bzgl. der menschlichen Natur, daß ein Verantwortungsgefühl gegenüber Unbekannten, eine Liebe gegenüber allen Menschen, o.ä. dem Menschen eigentümlich ist, und wenn sie momentan nicht sichtbar sind, dann deshalb, weil die kapitalistische Ausbeutung den Menschen verbogen hat und diese wahre Natur des Menschen verschüttet hat. Der bloße Wegfall kapitalistischer „Ausbeutung“ wird diese herbeifantasierten Eigentümlichkeiten des Menschen nicht freilegen, aber wie Sie schon hier im Thread ganz richtig bemerkt haben, gibt es keine prinzipielle Unmöglichkeit, diese Eigenschaften dem Menschen nicht anzutrainieren, denn der Mensch ist eine biologische Maschine, deren Hauptmerkmal die Anpassungsfähigkeit ist… ich bezweifle aber, daß das mit weniger als massivster Indoktrination funktionieren wird… Wahrscheinlich sogar aber auch nur mit Züchtung, also modern abkürzend, wenn man nicht unzählige natürliche Generationen abwarten will, mit Mitteln steuernder Humangenetik (wozu aber noch ein gutes Stück wissenschaftlicher Vorarbeit geleistet werden muß… genauso wie es kein einzelnes Intelligenz-Gen gibt, gibt es ja auch kein einzelnes Altruismus-Gen… die komplexen genetischen Vorraussetzungen für einen bedingungslosen Altruismus werden also noch gefunden werden müssen, von weiteren notwendigen Eigenschaften mal ganz abgesehen).
D.h., lange Rede kurzer Sinn, wir haben m.E. die Wahl zwischen einer Indoktrination des Menschen hin zu einem Kunstwesen, oder einem Weiterleben mit der bisherigen Instrumentalisierung des Eigennutzes, die schon in der Praxis bewiesen hat, daß sie den Massenwohlstand erhöht… die aber natürlich überhaupt nicht frei ist von teils hochgefährlichen Auswüchsen… es sei hier als Beispiel nur die Tendenz der Ausnutzung menschlicher Eigenschaften zur Schaffung künstlicher Bedürfnisse genannt, mit all den Merkmalen des Hyperkonsums usw., die einerseits kaum zu einem Mehr an Glück und Zufriedenheit führen (teils sogar zu einem Weniger), und andererseits zu einer gefährlichen Belastung der Umwelt.
Jetzt bin ich schon zu Ihren ersten Bemerkungen ziemlich abgeschweift… zum Rest später vielleicht mehr, damit das nicht zu lang wird.
Bevor hier das Fingerhakeln, das Heinrich vornehm Metadiskussion nennt, ausufert, möchte ich einen Versuch der Klärung starten. Über Gesine Lötzschs Haltung zu den „Wegen zum Kommunismus“ kann auf unterschiedliche Weise produktiv diskutieren. Dabei kann man sich, wie es z.B. maat tut, kritisch mit dem konkreten Handeln der politischen Gruppierungen auseinandersetzen, die sich die Verwirklichung des Kommunismus auf die Fahnen geschrieben haben. Man kann aber auch versuchen, den Begriff des Kommunismus zu seinen Ursprüngen bei Marx verfolgen, wie es unter einer Klärung der Begrifflichkeiten Heinrich macht. Auch dieser Weg bietet genügend Stoff für Diskussionen und kritische Rückfragen, um die auch ich mich bemüht habe. Sicherlich ist dann auch die Frage berechtigt, ob das Marxs‘sche Begriffsinstrumentarium, mit dem er überzeugend den Kapitalismus des 19. Jahrhundert analysiert hat, auch die Verhältnisse des 21. Jahrhundert erklären und Wege zu ihrer Veränderung aufzeigen kann.
Wenig zielführend ist aber meiner Meinung nach, Marx zu diskutieren, in dem man seine Begriffe nur ungefähr zur Kenntnis nimmt. Das macht z.B. Max Wedel, wenn er die von Marx beschriebene Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital mit „marktwirtschaftlichen“ Begriffen der „Unternehmensrisikos“ aushebeln will. Nicht deshalb, weil es das Unternehmensrisiko in der Marktwirtschaft nicht gäbe, sondern weil die Analyse von Marx tiefer geht. Wie Heinrich schreibt, ist der Begriff der Ausbeutung kein moralischer. So ist auch Profit, den das Kapital im Kapitalismus anstreben muss, kein moralischer Begriff. Marx hat auch die Prozesse der Akkumulation des Kapitals ausführlich untersucht und beschrieben, allerdings mit den sozioökonomischen Begriffen seiner Zeit. Das bedeutet aber nicht, dass seine Erkenntnisse nicht mehr gültig wären. Heinrich hat zu den unterschiedlichen „Freiheiten“ der Kapitalbesitzer und der Lohnabhängigen schon einiges geschrieben. Ohne den Profit, der auf der Mehrwertaneignung beruht, gebe es auch keine Renditen im „Anlagemarkt“.
Trotzdem kann man, wie Max Wedell fragen, ob Marx die Innovationsdynamik des Kapitalismus unterschätzt hat und ob eine Wirtschaftsorganisation ohne Marktwirtschaft eine bessere Entfaltung der Produktivkräfte erreichen kann. Damit wären wir aber wieder bei der Sach- und nicht mehr in der Metadiskussion.
P.S. Und damit es nicht gleich wieder heißt, ich würde mich nicht mit von Anderen hier gebrachtem auseinandersetzen, will ich noch auf das in #97 Gesagte eingehen, da es ja einiges des von mir eben Gesagten betrifft.
„Es reicht, wenn jeder weiß, welche Güter ihm selber wirklich nützen“
Nein. Es ist zwar nicht der Kapitalist, der Visionen entwickelt (er finanziert ihre Verwirklichung), aber der Unternehmer. Diese Visionen gehen über das, was die Konsumenten in einem bestimmten Moment nachfragen, weit hinaus. Ein Beispiel: Als Besitzer eines iPads bin ich inzwischen der Meinung, daß mein Leben ohne dieses Gerät doch einigermaßen ärmer wäre. Es ist das erste wirklich vernünftig benutzbare elektronische Buchlesegerät, und daher von mir mit etwa 5000 Büchern beladen (also mehr, als ich in Papierform besitze), sowie mehreren Zeitungen (nicht zuletzt der FR), ist mein ständiger Begleiter, eine ständig mitgeführte Riesenbibliothek. Des weiteren ist es überall mitführbarer Zugang zur Informationsquelle Internet, sowie zu den Informations- und Unterhaltungsquellen Radio und TV (und vieles weitere mehr). Z.B. konnte ich in den letzten Tagen über ein Audio-Streaming von „Nile TV International“ eine interessante Quelle zu den Vorgängen in Ägypten überall/mobil anzapfen.
Jetzt kommt der Clou: Vor einem Jahr wusse ich gar nicht, was für eine Bereicherung ein solches Gerät für mich sein könnte. Sie haben völlig recht, wenn Sie konstatieren, daß ich das Gerät nirgends „nachgefragt“ habe, ich konnte es gar nicht nachfragen, da ich mir keine Gedanken darüber gemacht habe, was ich den mal so wollen könnte. Aber selbst wenn ich die mögliche Bereicherung durch ein solches Produkt geahnt hätte: der Eigennutz eines Einzelnen der Art: „Ein solches Gerät zu haben wäre ganz schön nützlich“ allein wird nie im Leben zur Produktion eines solchen Produkts führen können… selbst nicht, wenn sich mehrere Einzelne zusammenschließen. Die notwendigen Investitionen haben dann Kapitalisten getätigt, für die die Erwägung „Ein solches Produkt wäre für viele Menschen nützlich“ nur insoweit eine Rolle spielte, wie das Voraussetzung für Verkaufbarkeit ist… im Vordergrund der Interessen der Kapitalisten stand, wie immer, der erzielbare Mehrwert… mit letztendlich für mich sehr positiven Auswirkungen.
Natürlich haben Sie recht, daß es vor dem Besitz dieser Wundermaschine auch schon Momente des „Glücks“ in meinem Leben gab. „Ich weiß gar nicht, wie die Menschen in den Sechzigern, ohne die Hälfte der heutigen Produkte, überhaupt leben konnten“ ist da aber wenig hilfreich… denn im Grunde ist ja ein solcher Sarkasmus beliebig in die Vergangenheit fortsetzbar. Insofern dieser Sarkasmus sich aber auf den großen Bereich der künstlich erzeugten Bedürfnisse bezieht, kann ich ihn jedoch verstehen.
@Abraham,
„Das macht z.B. Max Wedel, wenn er die von Marx beschriebene Ausbeutung der Lohnarbeit durch das Kapital mit „marktwirtschaftlichen“ Begriffen der „Unternehmensrisikos“ aushebeln will. Nicht deshalb, weil es das Unternehmensrisiko in der Marktwirtschaft nicht gäbe, sondern weil die Analyse von Marx tiefer geht.“
Wenn Heinrich z.B. schreibt, die Hauptfunktion des Kapitalisten wäre „doch (etwas verkürzt) der Einsatz von totem (Maschinen usw.) und lebendigem (Arbeitskraft) Kapital für die Produktion zum Zwecke der Erwirtschaftung des Profits.“, so klingt das nach einer Zwangsläufigkeit, daß sich aus dem Einsatz von Produktionsmitteln der verschiedensten Typen automatisch ein Profit ergibt. Das Unternehmensrisiko besteht aber doch gerade darin, daß dieser Profit nicht zwangsläufig auftritt. Noch nicht einmal der Investitionserhalt kann garantiert werden. In Nichtmonopolsituationen ist der Profit ein scheues Reh, jeder Konkurrent kann ihn zu sich wegjagen. Wer ein Produkt für 10 Euro Arbeits- und sonstige Kosten herstellt, und sich schon die Hände reibt, weil er es für 11 Euro verkaufen zu können glaubt, schaut dumm aus der Wäsche, wenn a) es plötzlich von einem anderen für 9 Euro angeboten wird (weil z.B. in höheren Stückzahlen günstiger produziert), oder b) es einfach nicht in der produzierten/kalkulierten Stückzahl am Markt verkauft werden kann oder eine von vielen weiteren Möglichkeiten eintritt. Die Akkumulation des Kapitals ist bei diesem Kapitalisten gründlich in die Hose gegangen. Ich verstehe nicht, inwieweit Marx Analyse der Kapitalakkumulation tiefer gehen kann, indem er solche Vorgänge der Kapitalvernichtung ignoriert. Können Sie mir das erklären?
Kapitalkonzentration oder -zentralisation kann ich auch nicht als so zwangsläufig ansehen. Zwar mögen große Unternehmen durch Möglichkeiten der Massenproduktion Vorteile gegenüber kleineren haben, kleinere haben hingegen den Vorteil größerer Flexibilität und Beweglichkeit und damit Innovationsfähigkeit und Schnelligkeit in der Marktanpassung.
Marx Theorie gibt für mich den Eindruck eines Planetensystems ab, in dem die Himmelskörper (Kapitalisten) ihre Kreise ziehen und vermittels der Gravitation (Ausbeutung) den Planetenstaub (das Kapital) an sich ziehen und nur immer größer und größer werden (bis zum Moment, wo die kritische Masse zum schwarzen Loch überschritten wird, was dann zum totalen Kollaps führt… bzw. bei Marx zur revolutionären Umwälzung der Produktionsverhältnisse).
Die Realität aber scheint in meinen Augen ein Planetensystem, in dem die Himmelskörper (Kapitalisten) ihre Kreise ziehen und vermittels der Gravitation (Ausbeutung) den Planetenstaub (das Kapital) an sich ziehen und dabei größer und größer werden… oft aber auch miteinander kollidieren (ein Risiko wurde falsch eingeschätzt) und dabei in kleinere Stücke zerbrechen, mit denen dann das alte Spiel des Anwachsens weiter gehen kann. Je größer der Planet, umso größer auch die Chance einer Kollision… den Großen fehlt nun mal die Manoevrierfähigkeit. Ein solches System kann ewig seine Kreise ziehen, bevor ein Schwarzes Loch entsteht.
Bitte, Abraham, erwähnen Sie als Physiker nicht die gängige Theorie der Astronomen, daß alle Himmelskörper irgendwann in Schwarzen Löchern verschwinden werden (zuerst wohl in dem des Galaxiekerns, wenn schon in keinem anderen)… irgendwo hat jede Analogie auch ihre Grenzen, wo sie dann nicht mehr stimmt. 😉
@ Abraham # 117
Lieber Abraham,
du schreibst:
„Über Gesine Lötzschs Haltung zu den „Wegen zum Kommunismus“ kann [man] auf unterschiedliche Weise produktiv diskutieren. Dabei kann man sich, wie es z.B. maat tut, kritisch mit dem konkreten Handeln der politischen Gruppierungen auseinandersetzen, die sich die Verwirklichung des Kommunismus auf die Fahnen geschrieben haben.“
Sicher, kann man. Was du jedoch im Hinblick auf unsere Diskussion unterschlägst, sind zwei wesentliche Aspekte:
1. Steigt maat selber mit einem Meta-Aspekt ein, und zwar auf eine elegante, weil scheinbar neutrale, tatsächlich aber meinen Beitrag anonym herabwürdigende Weise:
„Meines Erachtens hat sich die Debatte zu weit entfernt vom eigentlichen Ausgangspunkt, welcher die Äußerung Gesine Lötzschs war.“
Damit wischt sie mit einem Federstrich meine Darlegungen zur Anthropogenese und Anthropologie weg, die ich im Zusammenhang der Argumentation zur „menschlichen Natur“ für zweckdienlich, wenn nicht notwendig hielt. Zudem werde ich auch an anderen Stellen als anonyme Umperson gehandelt. So schreibt maat u.a.:
„Aber das stellt lediglich ein Geschmacksurteil dar und ist daher für manche nicht diskutierbar. (Zumindest für die Kunst gilt: „Über Geschmack lässt sich streiten, vorausgesetzt das man welchen hat“)“
Obwohl ich hier das Geschmacksurteil nicht in die Diskussion eingeführt habe, ist ohne weiteres klar, dass mit „manche“ ich angesprochen bin, ohne angesprochen zu werden.
Wenn du, liebe maat, mit mir diskutieren möchtest oder von mir begründet haben möchtest, welche Urteilsformen im diskursiven Sinne, also über logische Argument-Führung, diskutierbar sind, dann darfst du mich auch, einem elementaren Gebot der Höflichkeit folgend, direkt darauf ansprechen. Ich dachte aber, meine entsprechenden Hinweise seien ohne weiteres verständlich.
Im übrigen hast du hier, nach Kants „Kritik der Urteilskraft“ jedenfalls, in Bezug auf das ästhetische Urteil nicht recht, das sich danach einer logischen Begründung entzieht, stattdessen auf intersubjektiver Übereinstimmung sich gründet. Anders als über Geschmacksurteile könnten wir darüber sinnvoll streiten, auch im Zusammenhang mit dem Kant-Kritiker Adorno, jedoch fürchte ich, dass wir uns damit nun wirklich allzusehr vom Ausgangspunkt der Disakussion entfernen würden.
2. und für die Kritik an deiner Zusammenfassung wesentlich, lieber Abraham, schreibt maat, getreu deiner Charakterisierung:
„Was aber für mein Verständnis zu kurz kommt, ist die Auseinandersetzung mit der DDR.“
Es geht jedoch in der Diskussion ausdrücklich um das K-Wort. Im ursprünglichen Einleitungstext Bronskis heißt es:
„Die Diskussion darüber, ob das, was in Ostdeutschland einmal existierte, Kommunismus war, ist allerdings bereits geführt. (…) Darüber ist keine weitere Diskussion nötig.“
3. Fragwürdig und geradezu unredlich finde ich folgendes:
„Ansonsten enthält der Text Ausführungen über Rosa Luxemburg, das Kaiserreich und die Novemberrevolution, was einem im Allgemeinen ja bekannt ist, wenn man in der Schule aufgepasst hat.“
Vielleicht unterschätzt du, liebe maat, als geächtete Aufpass-Schülerin ja total, was einem so im Allgemeinen bekannt und was deshalb nicht weiter erwähnenswert ist. Jedoch unterschlägst du, dass Lötzsch, ich weiß allerdings nicht, ob in dem von dir referierten Text, aber dir bestimmt bekanntermaßen, sich eben ausdrücklich auf Rosa Luxemburg bezieht, in Abgrenzung zu Lenin. Dass sie die Leninistisch-stalinistische Tradition, und damit eben den ganzen sog. realen Sozialismus, als Fehlentwicklung ablehnt.
Das wäre, wenn man diese Diskussion überhaupt führen wollte, seriöserweise (im Sinne von ernsthaft) unbedingt zu berücksichtigen und nicht unter den Teppich zu kehren.
4. Diese, das Thema eingrenzende und ausgrenzende Kritik in dem Zusammenhang mir nicht ersparen zu können finde ich umso bedauerlicher, als maat m.e. in dem Kommentar eine äußerst treffsichere kritische Analyse der Propagierungen der Linkspartei leistet und mit dem Stichwort „Konzept KONSENS PLUS“ wunderbar etikettiert, der ich in weiten Teilen zustimme, was aber m.E. eine gesonderte, 51. Diskussion über die Linkspartei erforderte.
Außerdem ich bin ja hier nicht der Freund des argumentlosen Votings. Könnte Bronski aber vielleicht an die Kommentare zum Anklicken anfügen: „stimme zu“, „stimme nicht zu“, „weiß nicht“.
Grüße
Heinrich
@Heinrich
Lieber Heinrich,
da ich ziemlich erkältet am Rechner sitze und gleich weiterarbeiten muss, nur soviel. Das jüngste Problem, das du mit meinen Beiträgen hast, glaube ich, liegt in erster Linie daran, dass du alle möglichen Anspielungen ausschließlich auf dich beziehst. Wenn ich geschrieben habe, dass eine bestimmte Ansicht hier im Blog vertreten wurde, so habe ich lediglich festgehalten, was ich in der Diskussion mit Jutta u.a. wahrgenommen habe. Ich wollte absichtlich keinen Namen nennen, um nicht wieder eine Debatte loszutreten, wer wie was wann wie gemeint hatte. Auch wenn Bronski in diesem Thread nicht die DDR-Debatte haben möchte, kann ich es doch trotzdem befremdlich finden, dass Frau Lötzsch als Politikerin auf diesen Punkt nicht eingeht und mit Begrifflichkeiten hantiert, deren Deutung sie offen lässt. Es ist zwar ohne Zweifel interessant, dass Du diese Begrifflichkeiten aus historischer Sicht präzisierst. Was sich Frau Lötzsch unter „Wege zum Kommunismus“ vorstellt, bleibt mir immer noch ein Rätsel.
Einzig mit der Geschmacksurteil-Stelle habe ich mich auf Deinen Kommentar bezogen, in dem Du mich, wie ich finde, schon hart angegriffen hast. Zu dem Zeitpunkt hatte ich aber noch nicht Deine Entschuldigung gelesen, sonst hätte ich es gelassen. Ich hoffe, dass ich jetzt deutlich gemacht habe, dass ich keine Schwierigkeiten mit Deinen Ausführungen zu Marx habe. Ich habe lediglich Probleme mit Frau Lötzsch’ Äußerung und verstehe nicht, wieso Du das nicht verstehst und mir vorwirfst, ich würde nicht ordentlich Schach spielen. 😉
Liebe Grüße
maat
@ Max Wedell
Natürlich ist Marx nicht entgangen, dass es auch zu seiner Zeit mehr oder weniger erfolgreiche Unternehmen gab und dass auch Kapitalisten Bankrott gehen konnten. Genauso gab es geschickte und ungeschickte (bzw. besser und schlechter gebildete) Arbeiter, die unterschiedlichen Lohn bekamen. Die individuellen „Erfolge“ ändern aber nichts an der grundsätzlichen Tatsache, dass Profit auf die Aneignung des durch Lohnarbeit entstandenen Mehrwerts beruht. Diesen Profit streicht ja auch der Kapitalist ein, der sein Unternehmen durch einen angestellten Geschäftsführer betreiben lässt. Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass der Kapitalist ohne Profiterwartung keine Produktionsmittel einsetzt.
Dass Wettbewerb den Vorsprung eines erfindungsreichen Kapitalisten aufzehrt und daher zur sinkenden Profitrate führt, was wiederum das Erfindungsreichtum anspornt, ist ja die Ursache der von Marx festgestellten „revolutionären“ Entwicklung der Produktionsverhältnisse, die der Kapitalismus brachte.
Die politische Ökonomie von Marx (und Engels, dessen Beitrag man nicht unterschlagen sollte) hat grundlegende Erkenntnisse darüber gebracht, wie „Werte“ entstehen. Diese könnten uns durchaus nützlich sein, die durch Zusammenbruch von scheinbaren „Werten“ ausgelöste Finanzkrise zu verstehen. Man zwar kann feststellen, dass „Das Kapital“ kein Handbuch „Wie werde ich ein erfolgreicher Unternehmer“ ist. Nur dieses wollte Marx wohl auch nicht schreiben.
Eine andere Frage ist, ob Marx die weitere Entwicklung des Kapitalismus richtig eingeschätzt hat. Seine Schlussfolgerung, dass die sinkende Profitrate zur Bildung von Monopolen führt, war richtig. Nicht ganz überzeugend ist die Annahme, dass die Monopolisierung der Wirtschaft zu zyklischen Krisen führt, in denen die Monopole wieder vernichtet werden und das Spiel von neuem beginnen kann. Dabei hat er wohl die Innovationsdynamik unterschätzt, die auch ohne Krisen den Wettbewerb immer wieder belebt und auf neue Felder führt. In diesem Punkt teile ich Ihren Einwand.
Liebe maat,
danke für die freundliche Antwort!
Gut, dann muss ich wohl zuviel von deinen Äußerungen auf mich bezogen haben. Und Deinen Satz: „Was aber für mein Verständnis zu kurz kommt, ist die Auseinandersetzung mit der DDR“ hatte ich mit unserer Debatte hier in Zusammenhang gebracht und nicht, wie von dir gemeint und wie ich jetzt erst sehe, auf Lötzsch. Dann sind wir uns ja über weite Strecken einig, einschließlich unseres gemeinsamen großen Bedauerns darüber, dass durch Lötzschs Äußerungen Menschen davon abgehalten werden, „der Linken ihre Stimme anzuvertrauen“.
Auch noch einmal zu dem „Geschmacksurteil“: Es lag tatsächlich nicht in meiner Absicht, dich anzugreifen, sondern ich hatte regelrecht das Gefühl ins Leere zu laufen bei dem Versuch, mich mit dir über das Thema auseinanderzusetzen. Um in dem Schach-Bild zu bleiben: ja, ich wollte dir sagen: Spiel ordentlich, fordere mich heraus und ich tu desgleichen, wie wir es über die Jahre gemeinsam gespielter Partien voneinander gewohnt sind, sonst spiel ich nicht mehr mit dir!
Außerdem missfallen mir solcherart Urteile natürlich auch aus purer Eifersucht, mit denen du Abraham ständig bedenkst, wie: „Ich gebe dir voll und ganz recht“. Dagegen kann ich ja schlechterdings nicht logisch argumentieren. Andererseits, wenn ich sehe, in welche Verwirrung du den Guten damit versetzt, indem er dir im Gegenzug recht gibt, bezogen auf das Gegenteil dessen, was du gesagt hast:
„Meiner Meinung nach hat maat Recht, dass es bei der politischen Diskussion nicht um den Kommunismus als den Endzustand der paradiesischen „klassenlosen Gesellschaft“ geht, sondern um die konkret angestrebten politischen Veränderungen, also die „Wege zum Kommunismus“.“
Wo du doch gesagt hast:
Wenn also Frau Lötzsch fordert, man müsse die Wege des Kommunismus durch Ausprobieren finden, dann denken genügend Menschen in diesem Land nicht ohne Grund: „Ach, ehrlich gesagt: die Wege, die schon ausprobiert wurden, reichen mir. Mach’s alleine.“
Dann bin ich auch wieder dankbar dafür, dass du mir nicht voll und ganz zustimmst und ich dadurch wenigstens einen kühlen Kopf bewahre. 😉
Den werde ich auch versuchen walten zu lassen, wenn ich noch zwei oder drei Aspekte zu vertiefen versuche, z.T. in Anknüpfung an deine bzw. Abrahams Gedanken dazu, zumal den von Staat und Klassenherrschaft, den des Materialismus und den der Entfremdung.
Wenn irgend möglich, schreibe ich dann auch noch kurz was zur Utopie der „paradiesischen klassenlosen Gesellschaft“.
Herzliche Grüße
Heinrich
@Abraham,
„Die individuellen „Erfolge“ ändern aber nichts an der grundsätzlichen Tatsache, dass Profit auf die Aneignung des durch Lohnarbeit entstandenen Mehrwerts beruht.“
Das habe ich ja überhaupt nicht bestritten. Auch in meinem Wirtschaftsmodell „Planetensystem“ der ständigen Kollisionen ist ja die Gravitation (Ausbeutung) die grundsätzliche Wirkkraft. Ebenso gibt es aber eine Unzahl an (negativ wirkenden) Einflüssen, die jederzeit größer sein können als der Profit, und die in meinem Modell unter „kinetischer Energie“ zusammengefasst sind, die die Himmelskörper auch wieder pulverisieren können. (Eine der „Pulverisierungen“ wäre z.B., nebenbei bemerkt, die Aktienausgabe… es entstehen dann auch Mikrokörper wie Tante Emma, die ja ebenfalls der Gravitation unterworfen sind, d.h. selber (je nach Größe) Kapital anziehen).
„Gleichzeitig ist aber auch richtig, dass der Kapitalist ohne Profiterwartung keine Produktionsmittel einsetzt.“
Die grundlegende und die Stärke des K. ausmachende Tatsache… sie hätten hinzufügen können: „aus Eigennutz“. Ich füge allerdings hinzu: Die Profiterwartung zieht bei weitem nicht eine automatische tatsächliche Profitrealisierung nach sich.
„Dass Wettbewerb den Vorsprung eines erfindungsreichen Kapitalisten aufzehrt und daher zur sinkenden Profitrate führt…“
„Seine Schlussfolgerung, dass die sinkende Profitrate zur Bildung von Monopolen führt, war richtig.“
Was meint Marx denn mit „sinkender Profitrate“? Meint er damit, daß die Profitrate, d.h. der Profit pro eingesetzter Kapitaleinheit, auch negativ werden kann? Mein Eindruck ist, daß er das nicht meint, sondern von Werten ausgeht, die immer positiv sind, aber halt eben immer näher an der Null liegen, je länger der Konkurrenzkampf wirkt. Und das ist das Problem. Es gibt doch eine Plethora von Unternehmen, die seinerzeit bekannt und erfolgreich waren, die heute nicht mehr existieren. In den Wirtschaftsbereichen mit hoher Innovationsrate ist dies deutlicher erkennbar als anderswo, da hier die Zertrümmerungsprozesse schneller aufeinanderfolgen. Wer kennt heute noch Firmen wie Atari oder Commodore, strahlende Sterne am Himmel in der Anfangszeit des PC? Weg vom Fenster, Pleite.
Marx Schlußfolgerung zur Bildung von Monopolen scheint mir in Anbetracht der Realität ganz einfach falsch, oder zumindest übersimplifizierend. Das Riesenunternehmen IBM, um nur einmal ein weiteres Beispiel aus der IT zu nennen, hatte über Jahrzehnte ein Quasimonopol im Bereich der Unternehmensrechner (Großrechner), sie haben dieses nicht nur verloren, sondern sind durch eine Krise gegangen, die auch fast in der Pleite geendet hätte. Hier gab es einen ausgeprägten Entmonopolisierungsvorgang.
Ich glaube, Marx hat diese Risikodynamik deswegen nicht wahrgenommen oder unterbewertet, da es in den von ihm betrachteten Industrien (Nahrungsmittel, Kleidung, Gebrauchsgüter) damals keine großen Innovationsraten gab (was sowohl die Bandbreite an möglichen Produkten anging sowie die Möglichkeiten, sie zu produzieren). Das ist heute anders. Selbst in Bereichen wie der Nahrungsmittelherstellung, auf die sie sich wohl u.a. beziehen, wenn sie einen Trend zur Monopolisierung ausmachen, wären ja z.B. durch die Gentechnik völlig neue Marktsegmente denkbar, in denen kleine, flexible Anbieter auch wieder die großen empfindlich stören könnten. So wäre z.B. der Einsatz der Gentechniken zu anderen Zwecken als der Produktionseffizienz möglich, z.b. für Geschmacksverbesserungen oder zur Erhöhung gesundheitswichtiger Anteile in der Nahrung… was die großen Unternehmen heutzutage noch nicht angegangen sind. Die klassische Züchtung hat es ja vorgemacht. Allerdings ist dies hierzulande momentan eher nicht möglich, aufgrund der Hysterisierung gegen Gentechniken, die einen Absatz jenseits von Züchtung gentechnisch veränderter Erzeugnisse verhindert.
Eine der im wahrsten Sinne des Wortes erschütternsten Vorgänge der Kapitalvernichtung in der Wirtschaftsgeschichte liegt doch gerade hinter uns. Hunderte Milliarden Dollar/Euro flossen in die Finanzierung von Immobilien, die jetzt hauptsächlich als verrottende Haussubstanz in den USA vor sich hin schimmeln. Ich will jetzt nicht die Wirkkräfte im einzelnen diskutieren, nur so viel… eine Verfolgung des Eigennutzes erfordert einen gewissen Durchblick in die Geschäfte, die der Kapitalist tätigt… der Eigennutz ist dann ausgehebelt, wenn der Kapitalist (hier der Finanzkapitalist) den Wert der von ihm gehandelten Waren nicht bewerten kann. Kann er das nicht, wird seine Tätigkeit zum Glücksspiel. Die sich aus Glücksspiel ergebenden Profitraten sind nicht berechenbar.
Ich redete vom Eigennutz, den der Kapitalist verfolgt… daß ihm Dummheit NICHT zu eigen ist, ist weniger oft gegeben… Dummheit und Verfolgung des Eigennutzes können sich auf ganz grandiose Weise gegenseitig behindern.
Wie dem auch sei… im Zusammenhang mit der Finanzkrise wird gern von der Krise des Kapitalismus geredet. Ich persönlich würde hier jedenfalls auch von einer Krise der Theorie des Marxismus reden, was seine Vorstellungen von den Profitraten angeht…
P.S.
„Ich glaube, Marx hat diese Risikodynamik deswegen nicht wahrgenommen…“
Einen weiteren Grund habe ich noch vergessen… Marx redet auch oft vom „Bildungsmonopol“. Dieses, d.h. die Begrenzung des Wissenszugangs auf die herrschende Klasse selber existiert doch auch schon längst nicht mehr in der von Marx beschriebenen Weise. Dort, wohin das Wissen nicht vorstossen kann, wird doch weit öfter seine Annahme als die Abgabe des Wissen verweigert.
P.S.S. es musste natürlich heißen: „Die sich aus Glücksspiel ergebenden Profitraten sind nicht IM VORRAUS berechenbar bzw. einschätzbar.“ Im Nachhinein schon. Und ich glaube, selbst Marx hätte im Fall der Finanzkrise nicht mehr von „gesunkenen Profitraten“ gesprochen.
@ Max Wedell
Da ich nicht Zeit habe, genau bei Marx nachzulesen, verweise ich auf das Stichwort „Kapital“, Abschnitt „Marxsche Kapitaldefinition“ in Wikipedia. „Nach Karl Marx ist Kapital eine Wertsumme in Geldform (G), die investiert wird, um eine höhere Summe (G’) zurückzuerhalten. Kapital ist demnach eine Summe von Wert, welche nicht zum Konsum oder zur Schatzbildung verwendet wird, sondern in den Produktionsprozess zurückgeführt wird, um sie größtmöglich zu vermehren.“ Die Zirkulation des Kapitals erfolgt in der Form: Geldkapital G wird in Warenkapital W getauscht, als produktives Kapital P eingesetzt, das durch Aneignung des aus Lohnarbeit herrührenden Mehrwerts zu Warenkapital W‘ wird, das wiederum in Geldkapital G‘ getauscht wird. Der Profit p = G‘ – G, die Profitrate p‘ = p/G. Soweit Wikipedia.
Daraus folgt, in meinen eigenen Interpretation von Marx: Der Tausch der produzierten Waren in Geld erfolgt auf dem Markt im Wettbewerb mit anderen produzierten Waren. Eine (durch Wettbewerb immer tendenziell vorhandene) Überproduktion verringert das Tauschverhältnis Ware/Geld und führt zu einer im Durchschnitt aller Produzenten der bestimmten Ware zu sinkenden Profitrate und kann für den einzelnen Produzenten auch zu einem negativen Profit führen. Einen Teil des realisierten Profits wird als „Revenue“ zum Konsum und zur „Schatzbildung“ verzehrt, der Rest wiederum als Kapital angewandt (akkumuliert). Bei negativem Profit kann nichts verzehrt und akkumuliert werden, was auf Dauer zum Bankrott führt.
Mit der Unterscheidung Ware/Geld kann man auch die jüngste Finanzkrise transparenter beschreiben. Der Kauf von Immobilien oder „Wertpapieren“ gehört in den Bereich der „Schatzbildung“. Ihre „Wertsteigerung“ ist davon abhängig, dass ein potenzieller Käufer bereit ist, für diese „Anlage“ ein höheres Geldkapital zu zahlen, als der ursprüngliche Käufer „investiert“ hat. Aber auch dieses Geldkapital kann nur durch Tausch des Warenkapitals kommen, das aus dem Produktionsprozess stammt, und ist also eine Verlagerung des Profits der kapitalistischen Produktionsweise vom Käufer an Verkäufer. Ein Tausch Geld gegen Geld schafft kein Profit.
Die Kreditfinanzierung von Immobilen oder der Kauf von „Wertpapieren“ in Erwartung „ewiger“ Verkaufswertsteigerung (bei Wertpapieren „Kursanstieg“ genannt) ignoriert, dass die Rechnung aus „Geld wird mehr Geld“ durch den Tausch Geld gegen Waren geschlossen werden muss. Verliert der „Markt“ das Vertrauen zu einem solchen möglichen Warentausch, werden „Immobilienwerte“ oder „Wertpapierkurse“ zu Makulatur. So kann man, mit dem Instrumentarium von Marx, erklären, warum „Blasen“ in „Anlagenmärkten“ zwangsläufig platzen müssen.
Was den Praxistest für Marx betrifft: Seine Schlussfolgerungen, dass die Zirkulation des Kapitals zu fallenden Renditen und damit zu Bildung von Monopolen sowie zu zyklischen Wirtschaftskrisen führt, haben sich im 19. und in den Anfängen des 20. Jahrhunderts bewahrheitet. Erst die Entwicklung des Massenkonsums und der damit verbundenen stetigen Vergrößerung der Märkte hat die Krisen dämpfen und die Innovationsdynamik (die auch gegen die Monopolbildung wirkt) nochmals steigern können. Die Tendenz des Kapitalismus, sich stätig um Markterweiterung zu bemühen, hat aber Marx gesehen und sie als Ursache für Kolonialismus und Imperialismus benannt.
@ # 123 Heinrich
Lieber Heinrich, ich fühle mich weniger durch maat verwirrt als durch Deine Feststellung, meine Zustimmung zu maats stünde im Wiedespruch zu ihren Beuträgen. Was ist an meiner Aussage falsch, maat hätte sich nicht mit Kommunismus als dem Endzustand der paradiesischen „klassenlosen Gesellschaft“ auseinandergesetzt, sondern mit den „Wegen zum Kommunismus“, über die Frau Lötzsch ihren Artikel geschrieben hat?
Bitte stelle aber die Antwort zurück, Deine angekündigten Beiträge interessieren mich mehr als die „Metadiskussion“.
@ Abraham
Danke fürs Interesse, kommt alles. Das andere war doch mehr oder weniger Geplänkel. Was ich meinte:
„Ach, ehrlich gesagt: die Wege, die schon ausprobiert wurden, reichen mir“
klingt jedenfalls nicht gerade nach positivem Interesse an der Suche nach den geeigneten Wegen.
Wie angekündigt knüpfe ich im folgenden an einigen Aussagen maats und Abrahams an, nicht, um sie mit meiner Kritik zu beuteln, sondern weil ihnen jeweils mehr oder weniger typische Missverständnisse des Marxschen bzw. Engelsschen Denkens zugrunde liegen, die es verdienen durch Vertiefung aufgeklärt zu werden.
1. Ich beginne mal mit dem Satz, den Abraham als angebliche Klassenkampfparole eingebracht hat, was maat dann so aufgegriffen hat:
„Es ist nicht das Bewußtsein der Menschen, das ihr Sein, sondern umgekehrt ihr gesellschaftliches Sein, das ihr Bewußtsein bestimmt.“ liest sich zwar hübsch, überzeugt mich aber nicht.“ Das ist ja auch eine These, und Thesen sind nicht dazu da, zu überzeugen, sondern begründet zu werden. Die Begründung mag einen dann überzeugen oder nicht. Gegen den folgenden Nachsatz: „Der Mensch hat die Freiheit sich auch selbst zu formen“, hätte Marx keinesfalls etwas einzuwenden, ihn aber dialektisch-materialistisch verstanden.
Das beginnt bei der Frage, wer oder was ist „der Mensch“? – und seine Antwort lautet: das Individuum als „das Ensemble der gesellschaftlichen Verhältnisse“. Will sagen, er kann sich nicht absolut frei selbst formen, sondern immer in bestimmten vorgegebenen Rahmen, die er auch selbst setzt, aber eben nicht als Individuum, sondern als Gesellschaft.
Keinesfalls ist der Satz als Aussage über ein vermeintlich mechanistisch determiniertes Individuum zu begreifen, und davon, dass Marx und Engels dem Menschen „nur eine Identität über seine Klassenzugehörigkeit zuschreibt“ kann zudem überhaupt keine Rede sein. Der Satz beschreibt, wie gesagt, knapp und thesenartig das Programm einer materialistischen Geschichtsphilosophie.
In Erläuterungen, die der späte Engels in Briefen abgibt, nimmt sich die Theorie so aus: Zunächst wendet er sich das verbreitete mechanistische un ökonomistische Verständnis in der sozialistischen Bewegung und schreibt die Verantwortung den früheren, knapp und einseitig gehaltenen Texten zu:
„Dass von den Jüngeren zuweilen mehr Gewicht auf die ökonomische Seite gelegt wird, als ihr zukommt, haben Marx und ich teilweise selbst verschulden müssen. Wir hatten, den Gegnern gegenüber, das von diesen geleugnete Hauptprinzip zu betonen, und da war nicht immer Zeit, Ort und Gelegenheit, die übrigen an der Wechselwirkung beteiligten Momente zu ihrem Recht kommen zu lassen.“ (1890).
Dass es sich aber eben um eine Wechselwirkung nandelt zwischen den Produktionsverhältnissen und dem sog. „ideologischen Überbau“, und nicht um einen monokausalen Ursache-Wirkungsmechanismus, erläutert er in einem Brief 1894:
„Wir sehen die ökonomischen Bedingungen als das in letzter Instanz die geschichtliche Entwicklung Bedingende an … Die politische, rechtliche, philosophische, religiöse, literarische, künstlerische etc. Entwicklung beruht auf der ökonomischen. Aber sie alle reagieren auch aufeinander und auf die ökonomische Basis. Es ist nicht, daß die ökonomische Lage Ursache, allein aktiv ist und alles andere nur passive Wirkung. Sondern es ist Wechselwirkung auf Grundlage der in letzter Instanz stets sich durchsetzenden ökonomischen Notwendigkeit … Es ist also nicht, wie man sich hier und da bequemerweise vorstellen will, eine automatische wirkung der ökonomischen Lage, sondern die Menschen machen ihre Geschichte selbst,aber in einem gegebenen, sie bedingenden Milieu, auf Grundlage vorgefundener tatsächlicher Verhältnisse, unter denen die ökonomischen, sosehr sie auch von den übrigen politischen und ideologischen beeinflusst werden mögen, doch in letzter Instanz die entscheidenden sind und den durchgehenden, allein zum Verständnis führenden roten Faden bilden.“
Der letzte Satz scheint mir hier der entscheidende: Die Geschichte ist einerseits von Menschen gemacht, welche bewusst und willentlich die Welt gestalten, und doch verläuft sie nicht in chaotisch-willkürlichen Zickzack-Bewegungen, sondern sie folgt einem roten Faden, der sich als letztlich zielgerichtete Bewegung nachzeichnen lässt, natürlich nicht linear, sondern als Resultante.
Das, so denke ich, lässt die angebliche Klassenkampfparole „Das Sein bestimmt das Bewusstsein“ doch in einem etwas differenzierteren Licht erscheinen, und das war ein Abriss in dialektisch-materialistisches Denken. Das Materialistische daran: Das „Sein“ wird zuallererst als objektive Realität zugrunde gelegt als letzter Bezugspunkt der vielfältigen Aspekte und Erscheinungsformen der Wirklichkeit. Die lässt sich nicht logisch oder wissenschaftlich beweisen, sondern die kann einem nur mittelbar vermittels der Theorie einleuchten oder nicht. Da hilft weder empirische Beobachtung noch empirische Sozialforschung.
Grüße
Heinrich
Lieber Heinrich,
nicht dass ich Recht behalten möchte, aber genau das war der Sinn meines Einwurfs, nämlich dass Marx (und Engels) den Satz „Sein bestimmt das Bewusstsein“ differenzierter verstanden haben, als die daraus gemachte „Losung“ suggeriert.
Und doch noch ein „klitzekleiner“ Einwand gegen Marx/Engels: Der Ausbruch von nationalistischen (und auch antisemitischen) Emotionen in Mittel- und Osteuropa nach dem Zusammenbruch der UdSSR zeigt, dass das Bewusstsein noch über lange Zeiträume neuer ökonomischer und politischer Verhältnisse die Antagonismen (und Vorurteile) der vergangenen Epoche konserviert (unser Freund Dan Diner nennt das „kollektive Gedächtnisse“). Sicherlich kann man aber auch im Sinne von Marx sagen, dass die vergangenen materiellen Verhältnisse auch noch in den neuen nicht gänzlich aufgehoben wurden. Der Wechselwirkungsprozess hat also auch eine zeitliche Komponente, weil Vergangenheit nicht vergangen ist.
Jedenfalls vielen Dank für die Erläuterung, auf die Fortsetzung des Seminars bin ich gespannt.
„… da war nicht immer Zeit, Ort und Gelegenheit, die übrigen an der Wechselwirkung beteiligten Momente zu ihrem Recht kommen zu lassen.” (1890)“
Keine Zeit, die Welt zu beschreiben? Na denn, verändern wir sie halt…, sie wird dann schon so einseitig werden, daß man sie beschreiben kann!
Unter alten Hüten die ewig gleichen Mythen!
@Abraham,
was Sie zuletzt geschrieben haben, widerspricht meinen Auffassungen ja nicht im Geringsten. Insbesondere: “ Bei negativem Profit kann nichts verzehrt und akkumuliert werden, was auf Dauer zum Bankrott führt.“ Diese Möglichkeit besteht also (und nicht zu knapp: ich greife einfach nur mal die Zahlen für Nov. 2009 heraus, weil ich die schnell ergoogeln konnte: 2539 Unternehmensinsolvenzen, mit 3 Milliarden Euro offenen Gläubigerforderungen… allein in diesem einen Monat!).
Nehmen Sie einmal an, es würde Ihnen jemand die Geldsumme von 10 Mio. Euro (G) zur Verfügung stellen. Sie hätten folgende zwei Möglichkeiten:
a) Verkonsumierung (sie erhalten den Gegenwert von G als Waren und Dienstleistungen)
b) Unters Kopfkissen legen (Erhalt von G, wenn man mal Geldentwertungen o.ä. beiseitelässt)
c) Wandlung in Produktionskapital, d.h. Investition in Produktionsmittel
Nehmen wir weiter an, es handele sich um eine fiktive Gesellschaft, in der Mehrwertabschöpfung verpönt ist, d.h. nicht stattfände. Sowohl Profit wie Profitrate p = p‘ = 0 in diesem Fall. Da es aber immernoch eine weniger als allseitig perfekte Welt wäre, in der sämtliche Risiken vorhersehbar wären, ist mit Verlusten zu rechnen. D.h., sollten Sie irgendwann einmal im Fall c) ihr Produktionskapital, wenn es dann noch vorhanden ist, zurückwandeln wollen in Geldkapital (z.B. zur persönlichen Verkonsumierung), werden sie G – x erhalten, wobei x für Altersabnutzung sowie alle anderen Einflüsse steht, die aus Wirtschaftstätigkeit für gewöhnlich alles andere als ein totsicheres Geschäft machen.
Sie haben also mit a) und b) die Möglichkeit, den Gegenwert der 10 Mio. zu genießen, mit der Entscheidung für c) allerdings WERFEN SIE EINEN TEIL DES GELDES WEG.
Jetzt meine Frage an Sie: Wer würde unter diesen Bedingungen, d.h. unter denen eine Mehrwertabschöpfung nicht möglich ist, überhaupt Geld zum Zwecke der Güterproduktion investieren? NIEMAND außer vielleicht einem sehr altruistischen Menschen, der gerne Geld an andere verschenkt.
Mit anderen Worten, die Mehrwertabschöpfungsmöglichkeit ist nicht eine Boshaftigkeit der Kapitalisten, die sie erfunden haben, weil sie als Kapitalbesitzer Nichtkapitalbesitzer schikanieren können, sondern sie ist, wie ich ürsprünglich in #105 schon schrieb, Entlohnung für das Eingehen des Investitionsrisikos… beliebige Mehrwertabschöpfungsmöglichkeiten reichen hier übrigens nicht, sondern die konkrete Mehrwertabschöpfungsmöglichkeit muß im Einzelfall ÜBER der Risikoeinschätzung liegen. Ein in einem bestimmten Zeitraum erzielbarer Gewinn von 5 Mio. bei einer Investition von 10 Mio. mag z.B. erstmal wunderbar aussehen… wenn gleichzeitig ein 50%-iges Pleiterisiko mit Totalverlust des investierten Kapitals besteht, wird der Kapitalist vielleicht doch eher dort investieren, wo im gleichen Zeitraum 1 Mio. Gewinn erzielbar ist mit 2% Pleiterisiko. Daß die Unternehmensrisiken natürlich nur in den seltensten Fällen so genau bezifferbar sind, da sie von unzähligen, teils schwer bewertbaren Faktoren abhängen, ändert jedenfalls nichts am Grundprinzip.
Entsetzt bin ich von Ihrer und auch Heinrichs merkwürdiger Einschätzung, daß die persönliche Erschütterung, die bei einem Individuum auftritt, wenn es wg. der Pleite seiner Firma seinen Besitz von sagen wir mal 10 Mio. zur Gänze verliert, weit geringer sein muß als die persönliche Erschütterung eines Individuums, daß wegen derselben Pleite seinen Arbeitsplatz A verliert und einen Arbeitsplatz B bei einer anderen Firma annehmen muß. Dies ist sowohl bei Ihnen als auch bei Heinrich eine ziemlich erschreckende Falscheinschätzung menschlicher Befindlichkeiten. Oder haben Sie hier nicht berücksichtigt, daß es nicht um eine Pleite einer Volkswirtschaft geht (bei der ein Arbeitsplatz B ja tatsächlich nicht zur Verfügung stünde), sondern um die Pleite eines einzelnen Unternehmens?
Wie dem auch sei, von der Investition in die Produktionsmittel profitiert der Arbeiter, denn sie gibt ihm eine Einkommensmöglichkeit, als Gegenleistung wird ihm vom möglichen Lohn der Mehrwert abgezogen, denn ohne diesen Abzug käme es nicht zur Investition. In der Biologie nennt man solch ein System wechselseitigen Nutzens: Symbiose.
@ Max Wedell
In aller Kürze, weil wir aneinander vorbei reden:
Wo widerspricht Ihre Feststellung, „die Mehrwertabschöpfungsmöglichkeit ist nicht eine Boshaftigkeit der Kapitalisten“, den Aussagen von Marx, wie sie hier von Heinrich und von mir wiedergegeben wurden? Die „Ausbeutung der Arbeit“ ist keine moralische Kategorie, sondern ein Wesenszug des Kapitalismus, der nicht durch „moralische“ Kapitalisten behoben werden kann (wie es die utopischen Sozialisten meinten). Auch die „persönliche Erschütterungen“, die ein Bankrott für einen Kapitalisten bedeutet, hat hier niemand bestritten; Ihre Empörung scheint mir daher wenig angemessen zu sein. Heinrich hat nur auf die unterschiedliche Art des „Risikos“ verwiesen, den ein Besitzer der Produktionsmittel und ein Besitzloser hat. Wenn der Kapitalismus den „Menschen zu des Menschen Wolf“ macht (Heinrich, ist das ein Marx-Zitat?), gilt das doch auch für Kapitalisten untereinander.
Marx Vorstellung zur Überwindung des Kapitalismus bestand nicht in einem „Verzicht“ auf Mehrwertaneignung, sondern – verkürzt gesagt – in deren Abschaffung durch das Aufbrechen der Geld-Ware-Kette. Dies hat im Kleinen über einen Zeitraum von fast 100 Jahren in den Kibbuzim in Israel funktioniert, liegt also nicht außerhalb des Denkbaren.
Wie weit „Marx“ und sein Konzept des Klassenkampfes auf unsere Gegenwart anwendbar ist, dazu hat Heinrich einige kritische Anmerkungen gemacht und auch ich habe dazu Fragen gestellt. Eines bin ich aber sicher: Der von Marx postulierte „Grundwiderspruch“ zwischen Kapital und Arbeit lässt sich auch heute nicht durch „Symbiose“ ersetzen.
@Abraham,
der Satz von der Boshaftigkeit der Kapitalisten war nicht ein Kommentar zu etwas von Ihnen oder Heinrich gebrachten, sondern nur ein Seitenhieb gegen all jene, die nicht nur im Kapitalismus eine Bösartigkeit gegenüber der Mehrheit der Menschen sehen, sondern im Kapitalisten auch den Bösartigen. Sie haben sich solcher Wertungen enthalten, und Heinrich auch, aber andere tun das nicht. Ich habe beim Schreiben meiner Posts auch oft mehr als nur den Beitrag im Hinterkopf, auf den ich antworte, und ich gebe gern zu, daß manche sich dann ergebenden Formulierungen in einem an anderen Stellen aufeinander bezogenen Austausch irritierend sein können, weil sie in eine ganz andere Richtung zielen. Ich bitte um Nachsicht.
Ich stimme Ihnen zu, daß eine Realisierung wichtiger Prinzipien des Kommunismus in den Kibbuzim für eine gewisse Zeit geglückt schien: Gemeinsames Eigentum, gemeinschaftliche gleichberechtigte Entscheidungen und Planungen, unentgeltliche Arbeitsleistung im Austausch gegen das Erwirtschaftete und zum Leben benötigte. Ich meine überhaupt nicht, daß solche Realisierungen in kleineren Gruppen(!) undenkbar sind, und habe das auch schon hier geäußert.
Da Sie die Kibbuzim erwähnten… interessant wäre hier die Frage, woher der Trend zur Abwendung von den sozialistischen/kommunistischen Prinzipien, der ja schon seit einiger Zeit besteht, herrührt: Ist das eher eine Erosion „aus innen heraus“, oder eher eine Kapitulation gegenüber aus der umgebenden kapitalistischen Marktwirtschaft heraus einwirkenden Faktoren? Einfach bloßes mangelndes „kommunistisches Bewußtsein“, fehlendes Kollektivbewußtsein usw. würde ich hier ausschließen wollen… die Kibbuzniks suchten ja bewußt, ohne Zwang und hochgradig willens gerade diese kommunistischen Prinzipien gehorchenden Gemeinschaften auf, bzw. bauten sie anfangs selber nach ihren Vorstellungen auf, d.h. das korrekte Bewußtsein, die kommunistische Organisationsform der Gemeinschaft als allgemein vorteilhaft und anderen Formen überlegen anzusehen, war anfangs und eine gewisse Zeit lang sicher bei jedem Kibbuznik vorhanden, und es wäre interessant, einmal zu sehen, auf welche Art und Weise es in diesem besonderen Typ „Kommunismusversuch“ abhanden kam bzw. erodierte.
@Heinrich
Lieber Heinrich,
danke für die vertiefende Antwort. Es freut mich, dass Marx in diesem Punkt differenzierter gedacht hat als angenommen.
Mich würde, lieber Heinrich, zu folgenden Fragestellungen Deine Meinung interessieren.
1. Wenn Du mir darin zustimmst, dass Frau Lötzsch und Teile der Linkspartei tatsächlich ein Programm „Konsens Plus“ vertreten, wieso stellt sie dann Bezüge zum Kommunismus überhaupt her? Ich sehe da keine Notwendigkeit und keinen logischen Zusammenhang, Du vielleicht?
2. Welches ist nun das bestimmende Merkmal (oder die Merkmale) des Kommunismus, auf das (auf die) notwendigerweise nicht verzichtet werden kann, wenn man sich auf ihn beruft? Welche bestimmenden Merkmale müssten dann die Lötzschen KommunisMEN (also im Plural gedacht) auf jeden Fall aufweisen? Spiegelt sich dies- Deiner Meinung nach- in ihrem Konzept wider?
3. Inwiefern unterscheidet sich das Konzept von Lötzsch/Linkspartei Deiner Ansicht nach von der Auffassung der klassischen Sozialdemokratie? Inwiefern steht die Linkspartei dem Kommunismus (den Kommunismen) näher als die Sozialdemokratie?
4. Ist für dich Kommunismus im Plural überhaupt denkbar? Mir erscheint das als ein Widerspruch in sich.
Liebe Grüße
maat
@ maat
Eine Antwort an dich ist schon in Arbeit, aber der Gerechtigkeit halber kommt Abraham zuerst.
@ Abraham # 131
doch, du hast und hattest Recht, bei genauerem Hinsehen mehr, als ich es ursprünglich im Kopf hatte, und wo du Recht hast, sollst du auch Recht behalten. Es besteht kein Anlass, das helle Licht deiner Kenntnisse und Gedanken unter den Scheffel zu stellen.
Sehr bedenkenswert, von mir nicht als Widerspruch, sondern als Ergänzung gesehen, zumal der Aspekt der z.T. extremen Ungleichzeitigkeit der Wechselwirkung zwischen ideologischen Formen und den Verhältnissen, aus denen diese entspringen und auf welche diese zurückwirken.
Würde mich mal interessieren, ob Dan Diner ein Anhänger Freuds ist, denn in seinem Gedanken vom „kollektiven Gedächtnis“ könnte man Anklänge des von Cassionetta eingebrachten Lamarckismus vermuten, was hier nicht weiter diskutiert werden kann.
In einer Sache, die ich aber dann doch nicht angesprochen habe, hätte ich allerdings differenzierende Einwänden nämlich an deiner bruchlosen Identifizierung der „Diktatur des Proletariats“ mit „Lenins Terror und Stalins Massenmorden“ (# 137). Gerade die „Diktatur des Proletariats“ war für Marx und Engels keineswegs ein fertig formuliertes Programm, das hätte auch ihrem grundsätzlichen Konzept widersprochen, dass die Formen der revolutionären Umgestaltung nicht vorab abstrakt-theoretisch formuliert werden könnten, sondern aus den konkreten Kämpfen entwickelt werden müssten bzw. würden.
Die „Diktatur des Proletariats“, so verstehe ich das jedenfalls, ist nicht mehr als eine Leitformel, die anzeigt, dass, auch und gerade nach den Erfahrungen der Klassenkämpfe in Frankreich während der bürgerlichen Revolution, die Revolution kein singulärer Akt ist, sondern ein Prozess der Umgestaltung ist, der beständig gegen restaurative konterrevolutionäre Bestrebungen gesichert werden muss.
Demnach würde man Klassenherrschaft als solche nicht einfach mit einem Federstrich oder Staatsstreich beseitigen können, sondern es gelte vorab die Klassenherrschaft des Bürgertums – damals gab es noch keinen Max Wedell, der sie hätte belehren können, dass es sowas nicht gibt – zu brechen und vorübergehend (!) durch eine Klassenherrschaft des Proletariats zu ersetzen.
Die im Kommunistischen Manifest und in der Kritik des Gothaer Programms formulierten Maßnahmen sind insofern eben keine marxistischen Dogmen, sondern nicht mehr als in der Erfahrung gründende Überlegungen, in welchen Schritten die Errungenschaften der Revolution gegen die Konterrevolution erfolgreich würden abgesichert werden.
Marx und Engels formulieren diese Maßnahmen ausdrücklich als Erwartungen dessen, was je nach konkreter Lage in unterschiedlichen Formen zu geschehen habe:
„Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein. Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können“
Das ist nun wirklich sehr modal und alles andere als dogmatisch ausgedrückt, und daraus so etwas wie „allgemeine Gesetze des Klassenkampfs“ abzuleiten, eine fragwürdige Schlussfolgerung, die sich in der Folge in leninistischen Parteien etabliert hat.
Nur mal auf eine „Maßnahme“ zurückzukommen, die, ich glaube nicht zuletzt hier, als dem Menschenrecht auf Eigentum widersprechend vielfach kritisiert wird:
– „Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen“
Wie stehen denn denn die Kritiker zu der „Einfrierung“ der ausländischen Konten der arabiaschen Machthaber? Wobei dies ja eine verräterische Vokabel ist, denn einfrieren tut man etwas, damit es sich besser hält. Und man darf sicher sein, dass die 1,5 Tonnen Gold, mit der die Frau des tunesischen Staatschefs ins Flugzeug gestiegen und ungerührt ins Exil davongeflogen ist, nur die Spitze des Eisbergs von immensen Reichtümern ist, welche die Machthaber und natürlich zweihundert oder zweitausend weitere Teilhaber der Macht und der Vermögen sich eben noch einmal gesichert haben, nicht zuletzt unter Duldung und Unterstützung ihrer früheren westlichen Bündnispartner. Ist es da nicht eine natürliche und legitime Bestrebung, dass das entsprechende Volksvermögen im Lande verbleibt und als Grundstock einer Vermehrung des gesellschaftlichen Reichtums dient?
Als sehr wesentlich empfinde ich in diesem Zusammenhang die zumal in Briefen dargelegte Auffassung des späten Engels, an die du mich dankenswerter Weise erinnert hast, die, neben Andeutungen von Marx, zeigen, dass die Vorstellung von der Diktatur des Proletariats sich bis dahin gemäß der allgemeinen Entwicklung des Proletariats und der Klassenauseinandersetzungen bis dahin entwickelt haben, dass in jedem Fall die Erringung der parlamentarisch-demokratischen Republik eine unabdingbare Voraussetzung für die proletarische Klassenherrschaft ist, unter bestimmten Bedingungen sogar die gemäße Form der Diktatur des Proletariats sein kann. Unter der Bedingung nämlich, dass das Proletariat die Mehrheit bildet und auch – das wäre entscheidend – inhaltlich seine politischen Interessen über die demokratische Entscheidungsbildung zur Geltung bringen könne.
Das mag thesenhaft dazu reichen. Ausdrücklich, um Missverständnissen vorzubeugen, bin ich nicht der Meinung, die Geschichte des Marxismus und der leninistischen Parteien und Parteiherrschaften nach Marx sei bedeutungslos. Ich plädiere da aber, wie ich meine, aus guten Gründen, für eine differenzierende Behandlung des Themas.
Lieben Gruß von
Heinrich
P.S. Eigentlich hatte ich noch eine allgemeine Erörterung der Entfremdungstheorie vorgesehen und auch schon geschrieben, aber wenn das hier so erscheint, als wollte ich hier ein Seminar abhalten …
Lieber Heinrich,
ich hoffe auf die Fortsetzung des Seminars und meine dies ohne jede Ironie.
Ich stimme mit Dir überein, dass die leninistische „Diktatur des Proletariats“ nicht eine Zwangskonsequenz von Marx und Engels ist. Sie gehört aber, wie Du auch schreibst, zur Rezeption des Marxismus.
Also dann hier erst einmal, was ich gestern auf der Zugfahr von Bamberg nach Bremen getippt habe (- darauf kann ich dann ggf. in meiner Antwort an maat später zielgerichtet zurückgommen):
Auch die Marxsche Entfremdungstheorie wird gemeinhin viel zu flach gesehen. Marx erfasst mit ihr einen wesentlichen Zug des Umbruchs der gesellschaftlichen Arbeit im Übergang von der alten Handwerksproduktion zur kapitalistisch strukturierten industriellen Fabrikproduktion.
Ich beginne bei der Darstellung dieses Prozesses einmal mit einem persönlichen lebensgeschichtlichen Nachvollzug. Ich habe als dreijähriger Junge bewundernd neben einem Vater gestanden, der als Handwerker Holzschuhe hergestellt hat. Das war aus meiner heutigen Sicht kein besonders kompliziertes Handwerk, und doch erforderte es gerade in der einfachen Bearbeitung von Holz mit verschiedenen Schneidewerkzeugen großes handwerkliches Geschick und viel Gefühl. Unter meinen Augen wurde damals geradezu ein Wunderwerk vollbracht. Ich sah, wie unter den Händen meines Vaters aus einem morgens abgesägten Stück von einem Baumstamm, deren er mehrere, von Förstern oder Bauern erstandene vor dem Mietshaus an der Straße lagern hatte – damals besaß in unserem Viertel kaum jemand ein Auto -, bis zum Abend ein fertiges Paar Holzaschuhe wurde. Und ich konnte beobachten, wie der Vater abends befriedigt sein gelungenes Werk betrachtete und habe dabei etwas gespürt, was ich damals nicht so ausdrücken konnte wie jetzt: dass er es als ein veräußertes Stück seiner selbst erfahren und begriffen hat. Das drückt entsprechend schon die aristotelische Unterscheidung von Dynamis und Energeia an, lat. potentia und Actus. Die Dynamis ist die im Hersteller ruhende Möglichkeit, Potenz, des Herstellungsaktes, bestehend aus den entsprechenden erworbenen Fähigkeiten und Fertigkeiten. Indem er die Herstellung realisiert, vergegenständlicht er sich im Wortsinn, d.h. das Produkt ist eine materielle Vergegenständlichung seiner in ihm schlummernden Wesenskräfte. Umgekehrt bildet er seine Fähigkeiten und Fertigkeiten erst durch die Praxis aus und vervollkommnet sie dabei.
Die individuelle Geschichte meines Vaters ging den Gang, wie die gesellschaftliche Geschichte ihn hundertfünfzig Jahre zuvor begonnen hat und wie er bis heute sich fortsetzt: Im weiteren Verlauf wurde sein Handwerk, wie viele andere auch, durch die Industrie niederkonkurriert und er ward gezwungen, in der Fabrik zu arbeiten. Da war er vierzig und eigentlich ein gebrochener Mann. Mir ist im Leben kaum ein Mensch begegnet, der auf Geld und Konsum so wenig gegeben hätte wie er, aber eben umso mehr darauf, Befriedigung und Anerkennung zu erreichen durch seine Arbeit und deren produktive Ergebnisse selber.
Als ich etwa zehn war musste ich ihm mittags Essen in einem Henkelmann ins Werk bringen. Ich sah ihn da – das würde Kindern heute wohl nicht mehr erlaubt, auch wenn es eine kleine Maschinenfabrik war, – an einer Maschine arbeiten, in die er immer die gleichen Metallschienen hineinsteckte und in die die Maschine dann immer die gleichen Schlitze stanzte. Für ihn, der handwerklich alles vermochte und der zudem ein hochintelligenter lesender Arbeiter war, muss dies eine absolut nervtötende Arbeit gewesen sein. Ein lesender Arbeiter war er jedoch nicht im klassenbewussten Sinne der Fragen Brechts, sondern im Sinne des Hängens an einer individuellen Utopie: Er, der praktisch nie über das rheinisch-westfälische Industriegebiet hinausgekommen ist, las mit Vorliebe Bücher über Entdeckungsreisen und kannte sich in Geografie aus wie irgendwer, da er die Reisen virtuell alle in einem Atlas nachvollzog.
Im hohen Alter hat er dann seine Kinder laufend mit irgendwelchen Bastelprodukten zu beglücken versucht, ganz offenkundig ein Surrogat für das, was ihm an wesenhaft Menschlichem in seinem produktiven Leben vorenthalten worden war.
Das wesenhaft Menschliche besteht nämlich darin, dass der Mensch, wie dargelegt, das Wesen ist, das seine Bestimmung gattungsmäßig und individuell in der produktiven Arbeit findet. Die „Entfremdung“ von diesem seinem Menschenwesen findet in dem beschriebenen Umbruch auf mehrfache Weise statt:
1. Der vorindustrielle Handwerker ist im Besitz der Produktionsmittel (Werkzeuge, Rohstoffe, Werkstatt, menschliche Arbeitskraft) und von daher auch des fertigen Produkts. In der Industrie ist er von den dinglichen Produktionsmitteln getrennt, sie treten ihm als „fremde Macht“ in Form des sachlichen Kapitals gegenüber. Ihm gehört nur noch seine Arbeitskraft, die er nun, von den sachlichen Produktionsmitteln enteignet, an den Eigentümer dieser verkaufen muss. Beides, die Entfremdung von den Produktionsmitteln sowie die Ausbeutung, Aneignung des von ihm geschaffenen Produkts durch den (dinglichen) Kapitaleigner sind objektive Tatbestände und nicht abhängig vom Gefühl des arbeitenden Produzenten. Das schließt ein und nicht aus, dass die Individuen subjektiv das ganz unterschiedlich wahrnehmen und verarbeiten.
2. Im Gegensatz zum Handwerk, wo der Produzent ein ganzes Produkt erstellt, ist die Fabrikproduktion hochgradig arbeitsteilig. Dadurch wird der Arbeiter auch von seinem Produkt entfremdet. In dem Kesselwerk, in dem ich seinerzeit eine Maschinenbau-Lehre gemacht habe, arbeiteten tausend Leute in der Produktion, zweihundert im technischen und ebensoviele im kaufmännischen Büro. Mein Chefingenieur schätzte, dass davon nur eine Handvoll das ganze Funktionssystem der komplizierten, aus zahlreichen Rohrsystemen und Sammlern bestehenden Kesselanlage durchschauten. Die Werkstücke, die ich an der Drehbank gefertigt habe, kannte ich nur der Form, nicht aber der Funktion nach. Sie kamen in Metallkisten und wurden zur Weiterproduktion irgendwohin abgefahren. Der einzige Stolz, der mir blieb, war der, passgenau gearbeitet und keinen Schrott produziert zu haben. Ich konnte mich nicht einmal als Produzent diesen oder jenen Teils erfahren, geschweige denn einer Kesselanlage. Selbstverständlich kann man auch trotzdem eine gewisse Befriedigung und Bestätigung in der Arbeit erleben, ohnedies kann man das m.E. psychisch gar nicht heil überstehen. Da gibt es tausend Strategien, deren inhaltsleerste die Arbeit „gegen die Zeit“ ist. Aber das alles ist nichts im Vergleich zum beschriebenen Erlebnis der Vergegenständlichung im Produkt.
3. In dem Zuge, in dem der Produzent von seinen Produktionsmitteln und von seinem Produkt entfremdet wird, entfremdet er sich auch vom Akt der Produktion, seine eigene Tätigkeit wird ihm fremd und äußerlich, er steht ihr gleichgültig gegenüber, da ihm der Sinnzusammenhang abgeht. Er ist auch gar nicht mehr Herr über seine Arbeit, denn er hat seine Arbeitskraft an den Unternehmer verkauft, der sie folglich nach seinem Belieben einsetzen kann und einsetzt. Daran ändert der Umstand nichts, dass dieser Einsatz ggf. nach einer rationellen Logik erfolgt. Es ist nicht seine Logik, sondern die des Betriebes, er hat darauf keinen oder nur sehr bedingten Einfluss.
4. In der Konsequenz dieser Akte von Entfremdung findet eine eigentümliche Verkehrung statt: der produktive Aspekt wird vom reproduktiven oder konsumptiven überlagert. Da der Arbeiter dem Produkt seiner Arbeit interesselos gegenübersteht, wird der Lohn, und was man dafür kaufen kann, zum vordringlichen, wenn nicht ausschließlichen Ziel der Arbeit. Kurz gesagt, der Mensch lebt nicht mehr, um zu arbeiten, um die Naturstoffe zweckgerichtet seinen Bedürfnissen gemäß umzugestalten, wie es in einem alten lateinischen Sprichwort heißt („natus est homo ad laborem sicut avis ad volatum“ – Der Mensch ist zum Arbeiten geboren wie der Vogel zum Fliegen), sondern er arbeitet umgekehrt nur mehr, um zu leben. Das drückt der junge, noch erkennbar dem Hegelschen dialektischen Denken verhaftete Marx in den posthum herausgegebenen „Philosophisch-ökonomischen“ oder „Pariser Manuskripten“ zusammengefasst so aus:
„Es kömmt daher zu dem Resultat, daß der Mensch (der Arbeiter) nur mehr in seinen tierischen Funktionen, Essen, Trinken und Zeugen, höchstens noch Wohnung, Schmuck etc., sich als freitätig fühlt und in seinen menschlichen Funktionen nur mehr als Tier. Das Tierische wird das Menschliche und das Menschliche das Tierische.
Essen, Trinken und Zeugen etc. sind zwar auch echt menschliche Funktionen. In der Abstraktion aber, die sie von dem übrigen Umkreis menschlicher Tätigkeit trennt und zu letzten und alleinigen Endzwecken macht, sind sie tierisch.“
Der ganze, lesenswerte, Text hier:
http://www.mlwerke.de/me/me40/me40_510.htm
P.S. Nachdem ich so persönlich geworden, die Kindheits- und Jugenderfahrungen aus meiner eigenen proletarischen Vergangenheit einzubringen, wird mir wohl niemand mehr nachsagen, ich referierte bloß abstraktes und überholtes Buchwissen.
Grüße
Heinrich
@ Max Wedell
Es erleichtert die Diskussion nicht, wenn Sie Heinrich und mich namentlich ansprechen, mit Ihrer Kritik aber andere meinen. Jedenfalls danke für die Klarstellung.
Die Abkehr der meisten Kibbuzim von ihren Ursprungsidealen des Gemeinschaftseigentums und der Ablehnung der Lohnarbeit hat viele Ursachen, die Sie z.T. ansprechen. Sie ist aber nicht im ökonomischen Scheitern begründet, denn die wirtschaftliche Krise, die sie in den 1980er Jahren erlitten haben, ist längst überwunden. Dass der Mikrokosmos der Kibbuzgemeinschaft nie eine spannungsfreie Welt war, wie er von außenstehenden oft idealisiert wurde, kann man in Romanen von Amoz Os nachlesen. Wenn Sie oder andere wollen, könnte man die Diskussion vertiefen.
@ Abraham # 140
Lieber Abraham,
1. Danke für deine Klarstellungen gegenüber Max Wedell, vor allem auch in # 134! Dass er mir in # 133 vorhält, mich würde die „persönliche Erschütterung“ von Individuen unberührt lassen, empfinde ich als Angriff auf meine menschliche Empathiefähigkeit, der ihm nicht zusteht. Man kann die anderen auch bewusst missverstehen, du hast das ja entsprechend geradegerückt.
Nichts hinzuzufügen hatte ich auch deiner knappen, aber prägnanten Erläuterung zur Marxschen Kritik der Politischen Ökonomie, einschließlich deinem Hinweis auf die systembedingte Konkurrenz der Einzelkapitalisten gegeneinander. Was ich bei näherem Hinsehen jetzt erst gewahr werde: „Wenn der Kapitalismus den „Menschen zu des Menschen Wolf“ macht (Heinrich, ist das ein Marx-Zitat?), gilt das doch auch für Kapitalisten untereinander.“
Nein, mein Lieber, der berühmte Satz „homo momini lupus“ („der Mensch ist des Menschen Wolf“) stammt von dem englischen Philosophen Thomas Hobbes zweihundert Jahre vor Marx. Er verfasst ein staatsphilosophisches Werk mit dem Titel „Leviathan“. Das ist der Name eines Seeungeheuers aus der biblischen Mythologie, mit dem er den allmächtigen absolutistischen Staat vergleicht, den er theoretisch begründet.
Hobbes wie der Absolutismus bewegen sich im 17. Jh. sozusagen zwischen dem Feudalabsolutismus und der bürgerlichen Aufklärung bzw. dem darauf basierenden bürgerlichen Staat. Der feudale Herrscher war als eine von Gott eingesetzte Instanz dem Einfluss des Menschen entzogen, Hobbes begründet jedoch die Legitimität des absolutistischen Herrschers durch die Theorie eines fiktiven „Gesellschaftsvertrags“, den später Rousseau, nur ins Positive gewendet, ebenfalls zur Grundlage seiner Staatstheorie nimmt.
Die Grundlage ist die Annahme eines „Naturzustandes“, der nach Hobbes durch einen „bellum omnium contra omnes“ charakterisiert ist, einen Krieg aller gegen alle. Um gesichert leben zu können, geben die Menschen in der Zivilisation den Naturzustand freiwillig auf und unterwerfen sich einer starken Staatsgewalt, die den Schutz der Individuen vor Übergriffen durch die Nachbarn gewährleistet.
Es ist ohne weiteres klar, dass hier die Erfahrung der Konkurrenz der Handel betreibenden Bürger gegeneinander beispielgebend ist, ebenso wie die Vorstellung von den überseeischen „Wilden“ hier hineinspielt.
Bei Rousseau kehrt sich das Muster um, der Naturzustand wird im Vergleich zum absolutistischen Willkürstaat verklärt (der „Wilde“ wird in der Literatur des 18. Jh. zum „edlen Wilden“ stilisiert), und der Gesellschaftsvertrag dient den Bürgern als Grundlage einer friedlichen demokratischen Ordnung.
Inwieweit Marx, affirmativ oder kritisch, auf die Staatstheorien des 17. und 18. Jh., über Kant und Hegel vermittelt, zurückgreift, wäre Gegenstand einer eigenen Untersuchung (im nächsten Semester 🙂 )
2. „Dass der Mikrokosmos der Kibbuzgemeinschaft nie eine spannungsfreie Welt war, wie er von außenstehenden oft idealisiert wurde, kann man in Romanen von Amoz Os nachlesen. Wenn Sie oder andere wollen, könnte man die Diskussion vertiefen.“
Wenn du dazu ein Seminar abhalten könntest, lieber Abraham, wäre ich daran natürlich brennend interessiert. wir hatten das Thema auch vor längerer Zeit schon mal beim Wickel.
Du schriebst aber schon in # 45 im Schmuddelblog I:
„Für die Diskussion über den Kommunismus wäre es sehr lohnend, das Scheitern der Kibbuzidee von kommunistischen Inseln in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu diskutieren, aber dafür ist es jetzt schon zu spät.“
Mach‘ dir jedoch bitte klar, dass wir dafür in diesem Thread wieder nur noch zwei Tage zur Verfügung haben. Schreibe also bitte gerne noch einen zusammenfassenden Abriss der Kibbuz-Geschichte samt Reflexionen über das schließliche Scheitern zu unserer Unterrichtung, zu einer Diskussion wird es dann nicht mehr reichen, eine dritte Fortsetzung wird es hier wohl kaum geben, obwohl sich das Thema Kommunismus tatsächlich um alternative Modelle zum Marxismus ausweiten ließe, zu denen wohl auch die Kibbuz-Bewegung zu zählen ist, die sich eben, wie in dem alten Thread vermerkt, aus verschiedenen ideologischen Quellen nährte, von denen der Marxismus eine, die Narodniki eine andere waren.
Oder du bewirkst vielleicht bei Bronski, dass du einen Gastbeitrag schreiben kannst.
Grüße
Heinrich
@Heinrich
Lieber Heinrich,
Deine persönliche Geschichte aus der Kindheit gefällt mir sehr. Danke, dass Du sie erzählt hast. Ich verstehe auch Deine Position vor diesem Hintergrund.
Allerdings kommt ein Punkt zu kurz in Deinen darauffolgenden Ausführungen. Die industrielle Produktionsweise hat sich geändert im Vergleich zu der Zeit, in der Du bzw. Dein Vater dort gearbeitet hast. Den klassischen Fließbandjob gibt es kaum noch. Außerdem wird viel stärker darauf wert gelegt, dass die Arbeitnehmer eben nicht an immer gleichen Positionen verdummen und den gesamten Produktionsprozess durchlaufen. Ich persönlich bin ziemlich begeistert von Robotern, Maschinen und Industrieanlagen. Als ich in der Industrie gearbeitet habe, habe ich mich auch mit den Leiterplatten identifiziert, die ich reparieren musste. Leiterplatten haben ja auch wunderschöne grafische Muster. Meine Freundin musste mal Plastiktüten herstellen. Das war wirklich ein übler Job, außerdem gesundheitsschädlich. In dem Fall ist deine Analyse sicher zutreffend. Es gibt aber eben auch andere Beispiele und diese kommen in Deinen Ausführungen zu kurz. Ich kenne junge Männer, die in der Autoindustrie arbeiten und völlige Autofreaks sind. Die lieben jedes Schräubchen, das sie montieren.Ich sehe nicht ein, warum ich grundsätzlich jemanden bemitleiden soll, dem die Arbeit Spaß macht nur weil seine Arbeit entfremdet ist.
Liebe Grüße
maat
Lieber Heinrich,
das Kibbuz-Seminar kann ich doch nicht so locker aus dem Handgelenk schütteln. Ich denke, es wird sich noch dazu eine Gelegenheit bieten. Danke auch für den Hinweis auf Hobbes.
Liebe maat,
gerade in der Automobilindustrie ist die Fließbandarbeit durch Gruppenarbeit abgelöst worden, was die „Entfremdung“ erträglicher macht. Dabei kann sich die Arbeitsgruppe z.T. selber organisieren und ist gemeinschaftlich auch für die Qualität der Produktion verantwortlich. Trotzdem bleibt die arbeitsteilige Produktion ein Kennzeichen der industriellen Wirtschaft, zu der auch die Trennung zwischen Kopf- und Handarbeit gehört. Die Arbeitsteilung zeigt sich auch in der Spezialisierung der Zulieferer. Allerdings hat die Arbeitsteilung auch zu einer „Entfaltung der Produktivkräfte“ gegenüber der handwerklicher Fertigung beigetragen.
@Heinrich,
daß Sie „persönliche Erschütterung“ von Individuen grundsätzlich unberührt lassen würde habe ich nicht behauptet, aber daß Sie ein Zwang zum Arbeitsplatzwechsel eines Lohnarbeiters aufgrund einer Unternehmenspleite auf dem Wege der Empathie stärker miterschüttert als der Verlust eines Kapitalvermögens eines Unternehmers durch die Firmenpleite, ja daß sie letzteres eigentlich wohl ziemlich unberührt lässt, ist mein Eindruck gewesen. Das ist aber doch kein Beinbruch, sie haben ja schon angedeutet, daß Sie die Legitimität von Kapitalvermögen überhaupt anzweifeln, jedenfalls soweit es über die Aneignung des Mehrwerts zustande kam. Oder ich habe Sie mal wieder gründlich mißverstanden…
Ihre Schilderung des Wandels der gesellschaftlichen Arbeit beim „Übergangs von der alten Handwerksproduktion zur kapitalistisch strukturierten industriellen Fabrikproduktion“ war eindringlich und gut nachvollziehbar, aber ich habe natürlich Anmerkungen dazu:
Die arbeitsteilige Produktionsweise ist ab einer bestimmten Komplexität der Güter UNAUSWEICHLICH, wenn die Gesellschaft auf diese Güter nicht völlig verzichten will. Es ist einfach nicht möglich, daß ein einziger Mensch all jene Kompetenzen in sich vereint, um z.B. alleine (und auch dann noch ausschließlich mit Werkzeugen im Eigenbesitz), ähnlich wie einen Holzschuh, ein Auto herzustellen, Motor, Karosse usw., d.h. alles bis zur letzten Schraube. Abraham nennt die erweiterten Möglichkeiten der arbeitsteiligen Produktionsweise „Entfaltung der Produktivkräfte“.
Ist die arbeitsteilige Produktionsweise Quelle von Problemen für den Arbeiter, die in ihr arbeiten (die geschilderten Entfremdungseffekte), dann scheinen mir diese Probleme unabhängig von der Frage, wem die Produktionsmittel gehören. D.h. auch in einer im Kommunismus betriebenen Fabrik, in der die arbeitsteilige Produktionsweise aufgrund der Güterkomplexität ja ebenfalls notwendig wäre, würden diese Probleme auftreten. Gründlich beseitigen könnte man diese Probleme natürlich durch eine Abschaffung der arbeitsteiligen Produktionsweise, was dann aber auch eine Abschaffung der nur durch sie produzierbaren Güter bedeuten würde. Wir verzichten also alle z.B. auf Automobile und fahren alle wieder Fahrrad, denn ein Fahrrad kann man als einzelner Handwerker vermutlich zuhause noch selber herstellen (nicht eines der Qualität, die wir aus der arbeitsteiligen Produktion gewohnt sind, aber die ist vielleicht ja auch ein Luxus).
Ihre frühere Einlassung, auch mit der Hälfte der jetzt am Markt verfügbaren Güter hätte man in den 60ern gut überleben können, legt in Kombination mit ihrer ja nicht wertungsfreien Schilderung des Wandels der Arbeit nahe, daß sie diese allgemeine Rückkehr zur handwerklichen Güterproduktion gutheißen würden… aber vielleicht habe ich Sie da auch wieder gründlich mißverstanden.
Von maat, und auch von Abraham wurde schon auf den Wandel in der industriellen Produktion hingewiesen. Körperlich schwer anstrengende oder besonders gefährliche Tätigkeiten wurden weitgehend roboterisiert. Die für die restlichen, d.h. nicht automatisierbaren Tätigkeiten notwendige Ausbildung ist doch größtenteils so, daß der Lohnarbeiter eine Investition darstellt. Aus diesem Grund widerspricht es einer Gewinnmaximierung, die Menschen wie Zitronen auszuquetschen, und sie anschließend auszuwechseln. Eine wirkliche Gewinnmaximierung kann hingegen erzielt werden, wenn man den Menschen optimale Bedingungen bietet, die die Produktivität maximieren… auch über Motivation und Zufriedenheit. Die modernen Managementmethoden, die den Fokus auf den Menschen im Betrieb und seine Bedürfnisse legen (zugegeben, nicht aus Menschenfreundlichkeit, sondern aus Eigennutz), haben nicht mehr viel mit früher praktizierten Methoden zu tun… obwohl es natürlich allgemein und besonders in Einzelfällen auch immer noch Raum für weitere Verbesserungen geben wird und es immer auch Kollisionen zwischen Wunsch und Notwendigkeit geben wird (wie auch im Handwerk).
Was Ihren Vater betrifft, so existieren auch Industriearbeitsplätze, in denen er vermutlich genau richtig am Platze gewesen wäre… ich nenne einfach mal die Forschung- und Entwicklungsabteilung (z.B. eines Automobilherstellers), Unterabteilung Prototypenbau. Dort hätte er aufgrund der wohl größeren Varianz der erforderlichen Tätigkeiten vielleicht sogar eine höhere Befriedigung an der Arbeit gehabt als in seinem angestammten Handwerk, wer weiß.
Zuletzt noch dies: Marx war nicht der Letzte, der sich mit der Frage beschäftigt hat, welche Bedingungen eine Tätigkeit erfüllen muß, um vom Menschen als befriedigend empfunden zu werden. Es wäre ja ein wirkliches Manko der Psychologiewissenschaften, wenn sie dieses Feld gemieden hätten. Bemerkenswert finde ich z.B. die Forschungsergebnisse von Mihály Csíkszentmihályi auf diesem Gebiet, der Gruppen von Schachspielern, Bergsteigern, Tänzern, Sportlern, Komponisten, Lehrern und Chirurgen untersuchte, um den Wert intrinsischer, d.h. nicht durch äußere Umstände entlohnter Tätigkeiten für den Menschen zu ermitteln und damit auszuloten, was die Menschen zum Tun motiviert und im Tun befriedigt.
C. beschrieb einen inneren Zustand der Versenkung in die Tätigkeit (von ihm „Flow“ genannt), der generell als befriedigend empfunden wird, der aber bestimmter Bedingungen zu seiner Entstehung bedarf. So ist z.B. wichtig, daß die Anforderungen der Tätigkeit mit den Fähigkeiten des Tätigen korrelieren, d.h. ihn weder unterfordern, noch überfordern (im ersten Fall entsteht Langeweile statt Befriedigung (s. Heinrichs Vater, wie er ihn schilderte), im letzteren Frustration, Angst o.ä.).
Absolut NICHT notwendig für die Befriedigung im Tun ist, am Ende des Tuns ein Arbeitsergebnis zu besitzen. Das leuchtet auch sofort ein, denn auch ein Chirurg kann natürlich seine Arbeit als sehr befriedigend erleben, selbst wenn das „Arbeitsergebnis“ am Ende vom Operationstisch springt und sich laut juchzend und mit großen Sprüngen auf Nimmerwiedersehen entfernt. Nahezu alle Tätigkeiten der Kategorie „Spiele“ erzeugen kein Arbeitsergebnis und können dennoch befriedigend sein und sind es oft.
Die Frage wäre also: Ist bei jenen Tätigkeiten, die ein Arbeitsergebnis herstellen, die Befriedigung während der Herstellung größer, wenn der Tätige am Ende das Arbeitsergebnis besitzt, um es zu verkaufen (also nicht zum Eigenkonsum)? Für die eigentliche Befriedigung während der Tätigkeit, die aus dem Flow-Zustand herrührt, für die Entstehung des Flow-Zustands, spielt die Besitzfrage keine Rolle. In der Versenkung des Flow treten alle Fragen, die für den angestrebten Erfolg der Tätigkeit nicht relevant sind, in den Hintergrund. Erfolg ist in diesem Fall das Erzeugen des Produkts, und nicht das (ohnehin flüchtige) Eigentum daran. Wie gesagt, im Fall der Herstellung für den Eigenkonsum ist das natürlich anders, aber wenn ein handwerklich Produzierender seine Produkte herstellt, sind die ja auch nicht für den Eigenkonsum bestimmt, d.h. nur für einen ganz beschränkten Zeitraum Eigentum des Produzenten.
Es ist mein starker Eindruck, daß der Besitz des selbst hergestellten Produkts als notwendige Vorbedingung für die Befriedigung bei der Herstellung nicht notwendig, bzw. mindestens weit überschätzt wird.
Liebe maat,
es gefällt mir, dass dir meine persönliche Geschichte gefällt, und ich wollte dir auch längst schon einmal sagen, dass auch mir an vielen deiner Beiträgen der persönliche Zugang zum Thema gefällt. Der birgt aber ggf. die umgekehrten Tücken wie die falsche Abstraktion. Diese kann den Bezug zum Einzelnen und Besonderen verfehlen, bei jener muss man sich vor unzulässigen Verallgemeinerungen hüten.
Ich meinte, betont zu haben, dass es sich bei der Marxschen Entfremdungstheorie um Gesellschaftsanalyse handelt und nicht um Individualpsychologie. Nun finde ich zwar tatsächlich jemanden bemitleidenswert, „dem die Arbeit Spaß macht nur weil seine Arbeit entfremdet ist“, aber das ist ja nun doch ein ziemlich extremer Fall. Ansonsten ist es eine Frage der individuellen Perspektive, aber für den Tatbestand der beschriebenen entfremdeten Arbeit belanglos, ob man Leute bemitleidet oder bewundert, die „jedes Schräubchen [lieben], das sie montieren“.
In meinen Ausführungen kommt natürlich viel zu kurz, das liegt doch in der komplexen Natur der Sache. Es erweist dich als kompetent und erfahren und macht dich mir noch sympathischer, dass du auch in der Industrie gearbeitet hast. Aber ich bin vielleicht auch nicht so ganz zurückgeblieben. M.a.W. vom Postfordismus habe ich entfernt schon einmal etwas gehört, und bei den Ausmaßen, welche die Automatisierung der Produktion in den letzten vierzig Jahren genommen hat, gehe ich mal davon aus, dass die Arbeiter auch unter den Bedingungen der Diversifizierung ihrer Tätigkeiten mit ihren Handgriffen im Sinne des Taylorismus Anhängsel der Maschine sind und diese nur scheinbar ihr Werkzeug ist. Bei mir in Bremen gibt es aber, fällt mir ein, ja auch eine Produktionsstätte des Autos mit der eingebauten Vorfahrt, und ich werde demnächst einmal versuchen, über mittelbare Beziehungen zum Betriebsrat eine Werksbesichtigung zu erreichen.
Natürlich ist den Unternehmern, auch schon zu Fords Zeiten nicht verborgen geblieben, dass Arbeitszufriedenheit die Produktivität steigert, und das führt seit da, neben den angedeuteten Strategien der Arbeiter selbst, in ihrer Tätigkeit Sinn und Erfüllung zu finden, zu den verschiedensten Strategien der Unternehmer, die negativen Erscheinungsformen der entfremdeten Arbeit zu kompensieren, ohne ihr Wesen ändern zu können und zu wollen.
Heute ist es ja schon fast ein wohlfeiler Gemeinplatz, dass und wodurch die Menschen so alles manipuliert werden. In meinen jungen Jahren, vor einem halben Jahrhundert, erschien das Buch „Die geheimen Verführer“ von einem Vance Packard, welches die entsprechenden Strategien des Kapitals in der Werbung und auch der Mitarbeiter-Motivation erstmals ans Licht holte, uns die Augen öffnete und ein richtiger Renner war. Davon habe ich den Fall in Erinnerung, dass Arbeiter, die in eine Maschine, die Bälle produzierte, einen Rohstoff eingeben mussten, und die Maschine spuckte die fertigen Bälle aus, die sogleich über ein Förderband abtransportiert wurden, nach einer Zeit unter psychosomatischen Störungen litten. Der zu Rat gezogene Betriebspsychologe schaute sich die Sache an und schlug vor, die fertigen Bälle stattdessen in einen Korb neben der Maschine fallen zu lassen und den Korb jeweils abholen zu lassen, wenn er voll sei. Die Arbeiter sahen so das Ergebnis ihrer Arbeit, und die Störungen ließen nach. Eins von in der Folge vielen Beispielen für die Humanisierung der Arbeitswelt unter kapitalistischen Bedingungen.
Die Frage der Arbeitszufriedenheit ist gleichwohl ein wesentlicher Aspekt, jedoch wird die Zufriedenheit z.B. auch weitgehend über die Lohnhöhe hergestellt, was allerdings im beschriebenen Sinne eine Erscheinungsform der Entfremdung ist, wiewohl natürlich unter gegebenen Bedingungen für Mitleid gegenüber dem gut bezahlten Facharbeiter angebracht ist. Zudem stellt sich bei deinen Beispielen die Frage, wie repräsentativ die Autobauer für die Industriearbeit überhaupt sind und wie repräsentativ die qualifizierten und fest angestellten Facharbeiter noch einmal innerhalb des Werks sind. Diese werden Mittags in der Kantine einen zufriedeneren Eindruck machen als die Zeitarbeiter, die an ihren Stullen kauen, und ich kenne daneben auch Arbeiterinnen, die bei Jacobs hundertfach immer die gleichen Kaffeedosen unter immer die gleichen Abfüllmaschinen halten.
Deine Technikbegeisterung ist übrigens auch schon ein altes Motiv, das in den 20er und 30er Jahren Dokumentarfilmer zu herausragenden Werken animiert hat, in denen gerade der präzise und im Wortsinne eintönige Gleichlauf der glänzenden Ungeheuer eine ästhetische Faszination auf das Publikum ausübte.
In meinem Kesselwerk war übrigens Fließbandarbeit gar nicht möglich, die Arbeiter durchliefen nicht den ganzen Produktionsprozess, sondern dieser durchlief sie, und trotzdem verstanden sie ihr Produkt nicht. Und du wirst mir nicht erzählen wollen, dass bei Daimler die Trennung von Hand- und Kopfarbeit dergestalt aufgehoben ist, dass die Schlosser nach Durchlaufen der Produktion im Konstruktionsbüro die neuen Modelle konzipieren.
Auch die Fließbandarbeit konnte jedoch zu erhöhter Arbeitszufriedenheit führen, im Zusammenhang mit den Errungenschaften der damals noch gar nicht so heißenden „Sozialpartnerschaft“ und der „Sozialen Marktwirtschaft“ nämlich.
http://de.wikipedia.org/wiki/Fordismus
Mit diesen Überlegungen ist aber überhaupt nur ein Aspekt von dem beschriebenen Entfremdungsprozess angesprochen worden. Ein wesentlicher anderer war aber der der Enteignung des Arbeiters von seinen Produktionsmitteln und damit auch von seinem Produkt.
Mein Vater hat die letzen 15 Jahre seines Arbeitslebens an dem Auto mit der eingebauten Vorfahrt mitgebaut, aber er war danach weit davon entfernt, sich auch nur das Schlichteste der Modelle leisten und den guten Stern auf die Straße führen zu können, von den gehobeneren „Klassen“, die er ja auch mit seinen Kollegen zusammen produziert hat – wer denn sonst? – ganz zu schweigen.
Wieso nehmen wir das eigentlich als so selbstverständlich an?
@ maat # 136
Liebe maat,
ich freue mich einerseits über deine Fragen, denn mir ist, durch Meinungsverschiedenheiten und Konfrontationen hindurch, grundsätzlich am Austausch mit dir sehr gelegen.
Im Einzelnen bin ich jedoch großenteils auch auf Spekulationen angewiesen. Unter dieser Maßgabe folgender Antwortversuch:
Zunächst ist hervorzuheben, dass Marx ein analytischer Denker war, seine Leistungen vor allem im Bereich der Philosophie und der Ökonomie liegen und dass er sich zu der in letzter Konsequenz angestrebten kommunistischen Gesellschaft nur in wenigen Andeutungen geäußert hat, weil er theoretische Konstrukte darüber als Utopien abgelehnt und bekämpft hat. Nach Marx müssen die jeweils anstehenden nächsten Schritte von den konkret Beteiligten in konkreten Kämpfen und Auseinandersetzungen erarbeitet werden.
„Kommunismus“ bezeichnet so keinen Zustand, der sich begrifflich umreißen und beschreiben ließe, sondern benennt bloß das Ziel der Geschichte der Klassenherrschaften, nämlich deren endgültige Aufhebung. Seine Andeutungen – soweit mir bekannt, die ausgewählten MEW (Marx-Engels-Werke) umfassen über vierzig Bände (die berühmten „blauen“), die bezeichnenderweise MEGA heißende historisch-kritische Marx-Engels-Gesamtausgabe ist noch nicht fertig ediert und auf über hundert großformatige Bände angelegt – seine Andeutugen resultieren vorwiegend aus der Kritik an den Erscheinungen der Klassengesellschaft, wie der zitierte, sehr allgemein gehaltene Satz: „… alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist“, der übrigens bissig so weiter geht: „Verhältnisse, die man nicht besser schildern kann als durch den Ausruf eines Franzosen bei einer projektierten Hundesteuer: Arme Hunde! Man will euch wie Menschen behandeln!“
Als Zeitgenossen, die die Industrielle Revolution in England und dann in Deutschland beobachten konnten, sahen Marx und Engels beide Seiten der Entwicklung, den ungeheuren Fortschritt der Produktivkräfte und die Verwerfungen, die dies für die beteiligten und produzierenden Menschenmassen mit sich brachte. Von dem technischen und produktiven Fortschritt waren sie fasziniert und rechneten ihn sozusagen dahin hoch, dass, wenn er nicht durch die Grenzen behindert würde, die das Kapitalverwertungs-Interesse ihm ggf. setzt, in absehbarer Zeit mit immer weniger Arbeitsaufwand ein solcher gesellschaftlicher Reichtum produziert werden könne, dass die menschliche Geschichte vom Reich der Notwendigkeit (= Abhängigkeit von der Natur und der Mühsal, für die Reproduktion des Lebens arbeiten zu müssen) ins Reich der Freiheit umschlagen könnte, wo die Individuen unter Aufhebung der Trennung von Kopf- und Handarbeit in freier Assoziation statt unter Zwang ihrer je selbstgewählten Betätigung nachgehen und dabei ihre menschlichen Wesenskräfte frei entfalten können würden:
„Sowie nämlich die Arbeit verteilt zu werden anfängt, hat Jeder einen bestimmten ausschließlichen Kreis der Tätigkeit, der ihm aufgedrängt wird, aus dem er nicht heraus kann; er ist Jäger, Fischer oder Hirt oder kritischer Kritiker und muß es bleiben, wenn er nicht die Mittel zum Leben verlieren will – während in der kommunistischen Gesellschaft, wo Jeder nicht einen ausschließlichen Kreis der Tätigkeit hat, sondern sich in jedem beliebigen Zweige ausbilden kann, die Gesellschaft die allgemeine Produktion regelt und mir eben dadurch möglich macht, heute dies, morgen jenes zu tun, morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren, wie ich gerade Lust habe, ohne je Jäger, Fischer, Hirt oder Kritiker zu werden.“
(Karl Marx-Friedrich Engels, Die deutsche Ideologie)
Das ist scheinbar utopisches Denken, hat mit dessen Tradition auch gemein, dass ihm ein zutiefst humanistischer Ideengehalt zugrundeliegt, unterscheidet sich davon aber grundlegend dadurch, dass die materiellen Bedingungen reflektiert und vorausgesetzt werden, die eine solche menschliche Gesellschaft der faktischen Freiheit, Gleichheit und Geschwisterlichkeit real würden ermöglichen können.
Um von hier aus auf Lötzsch zurückzukommen: Ich würde ihren Vortrag von hier aus nicht so streng sehen wollen wie du. Sie versucht, dem Anlass gemäß, die Linken-Politik mit Rosa Luxemburg zu verknüpfen, und Ihr „Kommunismus“-Leitgedanke ist m.E. eine Verbeugung vor der Kommunistischen Plattform und deren Verbündete, auf die die Linkspartei angewiesen ist. Ich vermute, dass sie von der öffentlichen Reaktion überrascht worden ist und das „K“-Wort sonst weggelassen hätte. Sie ist ja auch in der Folge merklich zurückgerudert.
Sie sagt aber, ganz im Marxschen Sinne, über R. Luxemburg:
„Sozialismus war für sie kein fertiges Ideal, kein genial entworfener Bauplan, sondern etwas, das aus den realen Kämpfen wachsen würde“ und wendet sich zugleich kritisch gegen das auch dort versammelte linke Sektierertum:
„Wir müssen lernen, Sackgassen zu verlassen und sie nicht ambitioniert als Wege zum Kommunismus zu preisen.“
1. Zum „Konsens Plus“: Was soll sie machen, wenn die SPD und die bürgerlichen Parteien genuin linke Themen besetzen, als diese für die Linkspartei zu reklamieren? Von „Kommunismen“ lese ich bei ihr nichts, allenfalls von verschiedenen Wegen zum Kommunismus.
Da so etwas wie eine proletarisch-sozialistische Revolution durch die Geschichte aus angedeuteten Gründen in weite Ferne gerückt ist, finde ich den Verzicht auf den Kommunismus-Begriff angebracht und die Konzentration auf den „Demokratischen Sozialismus“, der mit konkretem Inhalt zu füllen wäre, den Abraham und du wie ich zurecht vermissen.
2. Die „bestimmenden Merkmale“ des Marxschen Konzepts sähe ich zumal im Abrücken von der konsumptiven Verteilungsfrage hin zur Konzentration auf eine Umstrukturierung der gesellschaftlichen Produktion und Umverteilung der gesellschaftlichen Arbeit unter Einbeziehung der globalen Aspekte. Den Konzepten des „bedingungslosen Grundeinkommens“ stehe ich insofern weiterhin kritisch gegenüber. Es widerstrebt, wie dargelegt, dem marxistischen Menschenbild, dass, Zyklus-bereinigt, ein immer größer werdender Anteil der produktiven Bevölkerung statt zu aktiven Teilhabe am gesellschaftlichen Produktions- und Reproduktionsprozess zu Alimenten-Empfängern degradiert werden. Dazu gibt es m.E. bei Lötzsch Ansätze, jedenfalls schon mal negativ: „Wir wissen gar nicht, ob die Mechanismen der Wohlstands- und Verteilungsdemokratie der
Bundesrepublik geeignet sind, solche komplexen Aufgaben zu lösen und friedlich abzuarbeiten.“
3. Wer oder was ist die klassische Sozialdemokratie? Lassalle? Bebel und Wilhelm Liebknecht? Bernstein und Kautsky? Luxemburg und Karl Liebknecht? Ebert und Scheidemann? Brandt und Wehner?
Aktuell ist die Linkspartei jedenfalls dem Kommunismus näher, als sie im Gegensatz zur SPD die „Eigentumsfrage“ stellt, z.B. die Verstaatlichung der Banken statt der Alimentierung der Banker mit Millionensummen in Betracht zieht. Zur Maßgabe des Grundgesetzes „Eigentum verpflichtet“ und zu Art. 20 (1) müsste sie sich m.E. mehr im Interesse der Arbeitenden einfallen lassen als:
„Wir haben die Umwandlung aller staatlichen Finanzhilfen für die private Wirtschaft in Anteile der öffentlichen Hand bzw. der Belegschaften an diesen Unternehmen gefordert, um so die öffentlichen und Belegschaftsinteressen »hineinzupressen« in das bürgerliche Eigentum“, z.B. extensive Mitbestimmungsrechte der Belegschaften auch an den Produkt- und Produktionsplanungen. Anteile in Arbeitnehmerhand sind alte sozialpartnerschaftliche CDU-Strategien, und Verstaatlichungen taugen nur im Zusammenhang mit wirklicher demokratischer Verfügungsgewalt der Mehrheit der Bevölkerung über den Staat. Die sehe ich im Moment überhaupt nicht.
Wie nahe die Sozialdemokratie an diese Orientierungen rücken kann, wird sich in Zukunft zeigen. Die Linkspartei ist zumindest zum Teil aus dem verfehlten Ruck zu einer ominösen (neuen sozialen Mitte) entstanden und hat ihre Aufgabe erfüllt, wenn sie die SPD gebührend nach links gezogen hat. Danach ist sie m.E. überflüssig, aber eben erst danach.
Hoffe, du kannst mit meiner Antwort was anfangen. Zu 4. vielleicht kurz später noch. Will jetzt schnell noch in die Kantine, statt auf trockenen Kniften herumzukauen.
Liebe Grüße
Heinrich
@ Heinrich
Lieber Heinrich,
herzlichen Dank für Deine Antworten, denen ich bis auf eine Passage zustimme. (Ich meine die Stelle, die sich gegen die berufliche Spezialisierung richtet.) Leider kann ich nicht darauf eingehen, da ich leider gerade sehr viel Arbeit habe. Diese ist zwar nicht entfremdet, auf Druck kreativ sein zu müssen ist aber auch ziemlich blöd. Wie auch immer. Bis ich wieder zum Schreiben komme, ist dieser Thread bestimmt geschlossen.
Liebe Grüße
maat
@ maat
Ich verstehe es aber nicht so, dass man gezwungen wäre, „morgens zu jagen, nachmittags zu fischen, abends Viehzucht zu treiben, nach dem Essen zu kritisieren“, sondern man kann auch, wenn man möchte, sich auf etwas spezialisieren und nur jagen usw.. Ich selber lebe auf diese Weise ja schon im Reich der Freiheit, hole mir, was andere gejagd und gefischt haben, beim REWE aus der Tiefkühltruhe und betätige mich ansonsten bloß als kritischer Kritiker.
Im übrigen gehe ich mit dir darin konform, dass man auch im Kommunismus die historisch erste gesellschaftliche Arbeitsteilung und berufliche Spezialisierung nicht unbedingt aufheben sollte, die zwischen Männern und Weibern. Letztere sollten bei der Feuerstelle bleiben, die Nachzucht versorgen und schön zubereiten, was die Fischer, Jäger und Viehzüchter herbeischaffen. Das bewahrt sie dann auch vor dem Zwang, auf Druck kreativ sein zu müssen. Das ist nix für sie.
@Heinrich
Nun ja, ich verstand die Textstelle auch nicht so, dass Du oder die Herren Marx und Engels (diese quasi postum), mich zum Jagen oder Fischen zwingen wollten. Da wäre mir als Vegetarierin meine kreative Feuerstelle entschieden lieber. Aber meines Erachtens würde ein Szenario von Montagsfischern, Dienstagsärzten, Mittwochsmalern nebst Donnerstagsquantenphysikern sowie Freitagskantianern, Samstagsbriefträgern und Sonntagsgeigern ein Volk von Dilettanten beschreiben. Selbstverwirklichung ist schon schön, aber allein wenn ich mir so vorstelle wer sich alles berufen fühlen würde, Kunst zu unterrichten wird mir angst und bange.
@ Heinrich
„Zunächst ist hervorzuheben, dass Marx ein analytischer Denker war, seine Leistungen vor allem im Bereich der Philosophie und der Ökonomie liegen und dass er sich zu der in letzter Konsequenz angestrebten kommunistischen Gesellschaft nur in wenigen Andeutungen geäußert hat, weil er theoretische Konstrukte darüber als Utopien abgelehnt und bekämpft hat.“
Sicherlich stimmen wir darüber überein, dass uns die „Methodik“ von Marx hilft, die gesellschaftlichen Verhältnisse zu analysieren und die oft verschleiernden Begrifflichkeiten der „Volkswirtschaft“ (laut derer das Kapital arbeitet und an Börsen Wertsteigerungen erzielt werden) zu „sortieren“. Ein Ersatz für das eigene Denken oder gar eine „Anleitung“ zum politischen Handeln ist Marx nicht.
@ Max Wedell
Ich sehe das, was Sie über Arbeitspsychologie schreiben, nicht als Widerspruch zu dem von Marx geprägten Begriff der Entfremdung; dazu hat Heinrich schon einiges geschrieben. Allerdings habe ich den Eindruck, dass manche Arbeitspsychologen sich der „materiellen Grundlage des Produktionsprozesses“ nicht bewust sind oder diese ausklammern.
# 149 maat
Liebe maat,
auch wenn ich das „Seminar“ zur Kibbuzbewegung verweigert hat, kann ich deren Erfahrung anführen, um Deinen Einwand zu bestätigen. Um die Folgen der Arbeitsteilung zu kompensieren, gab es in den ersten Jahrzehnten in den Kibbuzim eine Rotation der Tätigkeiten. Diese wurde aber immer mehr eingeschränkt und – vor allem mit zunehmender Spezialisierung auf hochwertige landwirtschaftliche Produkte und noch mehr mit der Aufnahme industrieller Produktionen – gänzlich abgeschafft. In den Kibbuzschulen haben aber von Anfang an (sobald es solche Schulen gab) ausgebildete Lehrer unterrichtet.
Mit der Kunst war es allerdings anders: die wurde als Freizeitbeschäftigung von vielen intensiv betrieben. Für junge Leute, die professionelle Kunstausbildung angestrebt haben, war es aber außerordentlich schwierig, dafür die Zustimmung des Kibbuz zu bekommen.
@ Abraham # 150
Deinen Einwand verstehe ich nicht recht. Ich hatte darauf verwiesen, dass MARX bestrebt war, die realen Verhältnisse theoretisch zu analysieren statt spekulative utopische Modelle zu erdenken.
Dass die Marxschen Analysen kein „Ersatz für das eigene Denken oder gar eine “Anleitung” zum politischen Handeln“ sind, das musst du doch mir nicht erzählen. Wer wollte den das behaupten?
@ # 151, @ maat #149
Was du vom Kibbuz erzählst, sind ja wohl voluntaristische Versuche, die Aufhebung der Arbeitsteilung aus ideologischen Motiven übers Knie zu brechen. Ich habe das auch nur referiert, ohne dass ich meinerseits eine Lanze dafür meine brechen zu müssen.
Und jedenfalls liebe maat, sind wir uns einig, dass die Rede vom Fischen und Jagen ein Bild ist. Dass beim gegenwärtigen Entwicklungsstand qualifizierte und produktive gesellschaftliche Arbeit nur mittels Arbeitsteilung und Spezialisierung möglich ist, das ist doch klar. Ebenso klar ist aber auch, dass die Trennung von Hand- und Kopfarbeit schon seit den alten Ägyptern mit Hierarchisierungen zusammenfällt, die funktional waren und sind im Zusammenhang mit Herrschaftsstabilisierung. Wenn diese Funktion einmal wegfallen sollte, geht Qualifikation, die natürlich immer nötig sein wird, aber sehr viel demokratischer nach dem Prinzip: jeder nach seinen Fähigkeiten. Und wo die spezifischen Fähigkeiten der Menschen liegen, da liegen gemeinhin auch ihre spezifischen Interessen. Ich habe das bei Hebel verfolgt, dass du die Herkunfts-unabhängigen Möglichkeiten von Bildung und Weiterbildung in unserer Gesellschaft sehr viel rosiger siehst als ich, habe mich in diese Diskussion aber nicht eingemischt. Ein andermal vielleicht.
Und damit verabschiede ich mich aus dieser Diskussion. War anstrengend, aber fruchtbar für mich. Wird dennoch Zeit, dass der Thread geschlossen wird. Muss mal wieder was anderes machen als kritische Kritik. Was mit den Händen, ein Musikinstrument bedienen, mit Mörtel die Außenfassade meines Hauses oder mit dem Lötkolben ein Elektrogerät reparieren. Darüber nachdenken, wieso ich eigentlich Intellektuelle kenne, die mit Stolz verkünden, dass sie keinen Nagel in die Wand schlagen können, aber keine Handwerker, die selbstbewusst verkünden, dass sie theoretisch ungebildet sind. – Aber das führte dann ja wieder zur kritischen Kritik.
Schöne Grüße
Heinrich
@ Abraham, #151,
Sie mögen recht haben, dass manche Arbeitspsychologen die “materiellen Grundlagen des Produktionsprozesses” in ihren Untersuchungen zu Motivation, Zufriedenheit, Selbstverwirklichung nicht berücksichtigen… wenn die “materiellen Grundlagen des Produktionsprozesses” keinen Einfluß auf Motivation, Zufriedenheit, Selbstverwirklichung haben, wäre das noch nicht einmal ein Fehler.
In meiner reichhaltigen iPad-Bibliothek habe ich auch ein Buch von Amos Oz gefunden (Danke für den Hinweis auf diesen Autor): Wie man Fanatiker kuriert. Es geht darin um das Juden/Palästinenser-Problem, Fragen von Krieg und Frieden, aber eine Anekdote aus dem Kibuzzleben bringt er auch, die vom in Ihrem letzten Satz gebrachten Sachverhalt handelt:
„Schriftsteller sind keine richtigen Landmenschen. Intellektuell zu sein, das ist ja alles ganz schön und gut, aber haben solche Leute wirklich ein Gefühl für körperliche Arbeit und für egalitäres Leben? Und so kam es, daß ich mir erst, nachdem ich zwei oder drei Kurzgeschichten in Zeitschriften veröffentlicht hatte, die Frechheit herausnahm, vor dem Kibbuz-Komitee zu erscheinen und pro Woche einen freien Tag für mein Schreiben zu beantragen.“
Ein Teil des Komitees hatte nun schon die Marxsche Vorstellung vom „Jeder nach seiner Neigung“ verinnerlicht, ein anderer, nicht unerheblicher Teil argumentierte aber so:
„Nein, nein, so einfach ist das nicht. In einer sozialistischen Gemeinschaft kann sich jeder Künstler nennen. Und es ist nicht am Komitee, zu entscheiden, wer ein Künstler ist und wer nicht. Am Ende ist womöglich jeder ein Künstler, und wer will dann draußen auf den Feldern arbeiten?“
Mit anderen Worten, Oz wurde von manchen der Drückebergerei verdächtigt.
„Nach einer langen Debatte kam es zu einer Abstimmung, und sie haben sich entschieden, mich einen Tag in der Woche von der körperlichen Arbeit freizustellen, um schreiben zu können, wenn ich an den restlichen Tagen doppelt so hart arbeiten würde. […] Aber das lustige Ende davon ist, als meine Romane zu einer Einkommensquelle für die Kibbuzgemeinschaft wurden, kam der Schatzmeister sehr vorsichtig auf mich zu und sagte: »Schau, da deine Bücher nun be-
trächtliches Geld einbringen, denkst du, daß wenn wir dir zwei ältere Mitglieder des Kibbuz, die nicht länger draußen auf dem Feld arbeiten können und bei schlechter Gesundheit sind, zur Seite stellen würden, um dir ein wenig zu helfen, denkst du, daß das die Produktion ein wenig steigern könnte? […] Und dann ging ich in den gemeinschaftlichen Speisesaal und habe mich dafür geschämt, etwas zu essen. Hier waren Menschen, die Quadratkilometer von Land bestellt, die Hunderte von Kühen gemolken hatten, Menschen, die eine Wand gemauert hatten, und sie aßen zu Mittag – und ich hatte vier Zeilen
geschrieben und fünf gelöscht, wie konnte ich es wagen, zu essen?“
Die Anekdote finde ich deshalb interessant, weil einiges an die Verhältnisse in anderen, unabhängig und unter ganz anderen Bedingungen entstandenen Kommunismusversuchen erinnert (Die Obsession, Nichtlandwirte in der Landwirtschaft zu beschäftigen, und dann wieder die umgekehrte Haltung, die sich ebenfalls um Neigung oder gar Talent nicht besonders schert… na, die Bauern, die in der Landwirtschaft nichts mehr beitragen können, kann man die dann nicht in der Bücherproduktion unterbringen?), und weil sie mir zeigt, daß es offensichtlich nicht ausreicht, eine Gesellschaft paradiesischen Verhältnissen näherzubringen, indem nur alles Eigentum in Gemeinschaftseigentum überführt wird und ansonsten alle gemeinschaftlichen Angelegenheiten durch ein basisdemokratisch gewähltes Komittee entschieden werden…
@Heinrich,
„Wieso nehmen wir das eigentlich als so selbstverständlich an?“
Je höher die Komplexität des in Arbeitsteilung geschaffenen Produkts ist, d.h. desto kleiner der Einzelbeitrag des Arbeiters, desto schwieriger möglich wird es, daß alle Beteiligten am Erstellungsprozeß am Ende sich das Produkt leisten können. Auch das ist keine Schwäche der kapitalistischen Produktionsweise, sondern liegt in der Natur der Sache. Wenn also z.B., um die Komplexität mal auf die Spitze zu treiben, Arbeiter am Bau einer Saturn V-Rakete mitarbeiten, werden Sie ja auch nicht fragen: „Wieso nehmen wir das eigentlich als so selbstverständlich an, daß sich am Ende nicht jeder der Arbeiter eine Saturn V-Rakete kaufen kann, um damit auf den Mond zu fliegen?“
Was die Autos mit der eingebauten Vorfahrt angeht und den HEUTIGEN Möglichkeiten ihres Erwerbs, so empfehle ich zusätzlich zur Werksbesichtigung (die in Bremen übrigens für Interessierte auch ohne Beziehungen zum Betriebsrat möglich sind, da sie täglich mehrfach stattfinden), einmal sich an den Werksparkplätzen bei Schichtbeginn anzuschauen, mit welchen Automarken der Arbeiter heute überwiegend vorfährt… Kommunismus kann erst am Ende einer langen Entwicklung stehen, aber vom Kapitalismus erwartet man sofortigen Wohlstand aller Menschen… klingt irgendwie unfair.
Um der angeblich irrtümlichen Auffassung von der Entfremdung als einem individualpsychologischen Problem noch besser entgegenzuwirken, hätten Sie vielleicht die Entfremdung anders erklären müssen als über die individualpsychologischen Probleme Ihres Vaters.
@ Max Wedell
Sehr aufschlußreich über das Kibbuzleben finde ich Amos Oz’s Roman „Ein anderer Ort“. In einem Kibbuz spielt auch sein Buch „Der perfekte Frieden“.
@ 152 Heinrich
Da hast Du mich mißverstanden: das war kein Einwand gegen Dich, sondern eine Bekräftigung unserer – so verstehe ich es – gemeinsamer Position für die Mitleser.
„Was du vom Kibbuz erzählst, sind ja wohl voluntaristische Versuche, die Aufhebung der Arbeitsteilung aus ideologischen Motiven übers Knie zu brechen.“ Ich denke, dass es bei den Kibbuzniks mehr als nur „voluntaristischen Versuche“ waren. Warum diese nicht so funktioniert haben, wäre eine Analyse Wert. Vielleicht bietet Bronski dazu einmal die Möglichkeit zu einem Zeitpunkt, zu dem mir meine sonstige Arbeitsbelastung Zeit für ausführlichere Diskussionen ermöglicht. Was die „ideologische Motivation“ der Kibbuzniks betrifft, die steht außer Frage. Der Begriff „Ideologie“ ist in der Kibbuzbewegung allerdings positiv besetzt, wobei es viele Auseinandersetzungen um die „richtige“ Ideologie gab.
Viel Spaß bei der handwerklichen Betätigung (die auch ich als einen wichtigen Teil meines Lebens betrachte, nicht erst seit meiner polytechnischen Ausbildung in meiner tschechischen Gymnasialzeit) und vielen Dank für Deine Beiträge!
P.S.: Mit dem gleichen Unverständnis wie Du sehe ich, dass viele „gebildete“ Menschen fast stolz auf ihre Unkenntnisse der Mathematik und der Naturwissenschaften sind, jeden aber (zu Recht) für Banusen halten würden, der keine Ahnung von Philosophie oder Kunst hat.
@Abraham,
der Online-Katalog meiner Stadtbibliothek zeigt mir, daß dort „Ein anderer Ort“ verfügbar ist, neben 10 anderen Büchern von ihm. Ich werde mir das ausleihen, denn neben dem interessanten Thema hat Oz auch eine sehr angenehme, unterhaltsame Art des Schreibens… was auch andere wohl finden, denn es ist ausgeliehen, aber GottseiDank ist morgen schon Rückgabetermin.
Sie haben dort auch: „Keiner bleibt allein“. Kurzzusammenfassung: „Am Schicksal zweier jüdischer Familien und ihrer Konflikte werden Idee, Geschichte und Alltag eines Kibbuz geschildert.“… als Ergänzung, da von 1976.
P.S.
aus meiner langjährigen engen Zusammenarbeit mit den Arbeitern in der Produktion eines großen Automobilerstellers (zum Zwecke der Erstellung sie untersützender IT-Systeme) kann ich jedenfalls sagen, daß es dort schon eine gewisse Verbreitung einer Verachtung des Angestelltenbereichs gibt. D.h. man ist natürlich nicht direkt stolz auf einen eigenen Mangel an theoretischem Wissen, hält aber verbreitet den Angestelltenbereich als Personifizierung des Theoretischen für im Grunde überflüssig, eine Ansammlung von Großkopferten, die man selber, der ja die Autos baut, durchschleppen muß.
Abrahams P.S. kann ich nur unterstreichen. Erst kürzlich hörte ich einen Politiker im TV mit seinen mathematischen Defiziten prahlen. Das Lachen der anderen klang erstmal symphatisierend, mitfühlend, nach „geht uns doch genauso“… und nicht danach, daß es ein peinlich Berührtsein, was eher geboten gewesen wäre, verdecken sollte.
@ Max Wedell
Überlassen Sie es mal getrost mir, wie und mit welchen Beispielen ich die Entremdungstheorie erkläre, statt mich zu belehren: „… hätten Sie vielleicht die Entfremdung anders erklären müssen“! Das Erklären auch und gerade von komplexen Theorien ist eigentlich eine viel gelobte Stärke von mir, aber ich erhebe nicht wirklich den Anspruch, die Zusammenhänge so erklären zu können, dass Sie sie verstehen. Dazu gehörte auch eine gewisse Verstehens-Bereitschaft des Aufnehmenden, die ich bei Ihnen über weite Strecken vermisse.
Der Holzschuhmacher war ein illustrierendes Beispiel für eine allgemeine Theorie, der das klassische Handwerk als Modell dient für eine Wesensbestimmung des Menschen durch die Arbeit. Von restaurativen Vorstellungen nach Rückkehr ins vorindustrielle Zeitalter, wie sie z.T. in den 80er Jahren in grünen Kreisen gepflegt und probiert wurden, bin ich und war erst recht der fortschrittsgläubige Marx weit entfernt.
Die Tätigkeit des herstellenden Menschen, des „homo faber“, spielt nicht nur für Marx, sondern z.B. auch für Hannah Arendt, die von Marx wenig hielt und leider auch wenig verstand, in ihren philosophischen Reflexionen über die „condition humaine“ eine ganz wesentliche Rolle für die Bedingung des Menschseins, nämlich die, mit seinen Entwürfen und deren praktischer Ausführung recht eigentlich eine „Welt“ von Gegenständen zu errichten, die das einzelne Menschenleben überdauert, in die er hineingeboren wird und in der er zuhause ist und die als objektive Welt überhaupt erst die gegenständliche Welt darstellt, in der die Menschen sprechend und handelnd miteinander in Beziehung treten können.
Hannah Arendt legt da ein ganz anderes Kategoriensystem zugrunde als Marx, sie unterscheidet die drei grundlegenden Tätigkeitsbereiche der „Vita activa“ (so auch der Titel ihres Werkes): arbeiten, herstellen, handeln und untersucht sie daraufhin, welche Bedeutung diese seit der Antike für die Menschen und das Menschsein haben und konstatiert, dass in der Moderne der „homo faber“ durch das „animal laborans“ ersetzt wird, dem es nicht mehr primär um die Herstellung einer dauerhaften Welt geht, sondern primär um die Sicherung der Existenz des Lebens. Dafür sieht sie die Spur schon durch das Christentum bereitet, welches die Bestrebung des antiken Menschen, Dauerhaftigkeit und Ewigkeit in der diesseitigen Welt zu begreifen und zu sichern, in die Ewigkeit des individuellen Menschenlebens verlagert. Ebenso konstatiert und kritisiert sie die Übertragung des Zweck-Mittel-Denkens, das genuin ein Charakteristikum des Herstellens ist, in der Form des alltäglichen und philosophischen Utilitarismus auf den Bereich des menschlichen Handelns.
Das sind nur Schlaglichter auf Philosophien, die eine Welt bedeuten und ergründen, wovon Sie Ihre Schulweisheit wohl nichts träumen lässt.
Was ich u.a. sagen will: wenn man über Theorien, seien es philosophische, ökonomische oder sonstige, sinnvoll diskutieren will, muss man sich erst einmal gemeinsamer Kategorien versichern und die Dimension abstecken, innerhalb derer man das jeweilige Problem behandeln möchte. Dazu wäre ich ggf. bereit und fühlte mich auch weitgehend in der Lage, bei Ihren wild durcheinander gehenden Kategorien, wo ich z.B. zu meiner Verblüffung erst einmal als „Kapitalismuskritiker“ firmiere, was mir in dieser Eindeutigkeit selber verborgen geblieben war, dann flugs noch selber zum Kapitalisten avancierte, schien mir das schlechterdings unmöglich. Angesichts solcher Sätze, wie „… daß auf der anderen Seite der Kapitalist ebenfalls Werte einbringt… die ja wiederum vom Lohnabhängigen “ausgebeutet” werden“, stockt mir der geistige Atem, von Ihren Dreisatz- und Statistikrechnungen für Grundschüler in # 133 ganz zu schweigen.
Und natürlich zu schweigen von Ihren Vorstellungen der Arbeitswelt kurz nach dem Kriege.
Mein Vater wuchs, ohne Bildung und mit wenig Brot, in einer kinderreichen kleistbäuerlichen Familie am Niederrhein auf, schaute sich von einem Holländer das Holzschuhmachen ab, das er dort eine Zeitlang betrieb, ging ins rheinisch-westfälische Industriegebiet, wo er in der Fabrik arbeiten durfte, bis die deutschen Männer – er hatte nach dem jus sanguinis die niederländische Staatsangehörigkeit geerbt – aus dem Krieg zurückkamen und ihre alten Arbeitsplätze wieder einnahmen, machte dann aus der Not der Bauern im Umkreis, die an kein Schuhwerk kamen, eine Tugend, holte seine alten Werkzeuge hervor und fertigte Holzschuhe in einer Etagenwohnung. Packte dann mehrere Paar in einen Rucksack, fuhr mit dem Rad aufs Land und tauschte die Holzschuhe gegen Speck und Butter, weshalb wir auch leidlich über den Hungerwinter gekommen sind.
Das war Ende der vierziger Jahre, noch vor jedem Wirtschaftsaufschwung – der nach einem österreichischen Bundeskanzler kein Wunder war, denn er meinte: „die Deutschen haben gearbeitet, aber bei uns war es wirklich ein Wunder“ – wo aber die Fabrikproduktion von Schuhen und auch von Holzschuhen wieder angelaufen war und den Träumen und dem Lebensunterhalt meines Vaters ein jähes Ende bereitete. Da gab es bis in die Mitte der fünfziger Jahre nur zeitweilig Arbeit in der Fabrik für ihn von der geschilderten Art. Zwischendurch gab es nur eine dürftige Arbeitslosenunterstützung. Aber einen Ehrhard mit dicker Zigarre auf den Wahlplakaten, der Wohlstand für alle versprach.
Gerne hätte ich da das Gesicht des Personalchefs in einem Automobilwerk gesehen, wenn mein Vater als ungelernter und ungebildeter Hinterwäldler ohne rechten Schulabschluss angekommen wäre, um ihm zu erzählen: „Ich suche eine hohe Befriedigung bei der Arbeit und würde daher gerne bei Ihnen in der Forschungs- und Entwicklungsabteilung anfangen, Unterabteilung Prototypenbau“.
Ihren Einwand gegen die Erwartung, dass, wer grob gerechnet während des Großteils seines Arbeitslebens 450 Mercedes-PKWs gebaut hat (die fünf Millionen in 30 Jahren im Bremer Werk umgerechnet auf jeden einzelnen Arbeiter), sich auch selber zwei oder drei davon hätte leisten können sollen, kann ich nun besser nachvollziehen. Der Arbeiter fährt mit seinem Kadett oder Mitsubishi vom Werksparkplatz auf den Golfplatz-Parkplatz und sieht da neben den Modellen der E-Klasse, welche von Leuten genutzt werden, die sie nicht hergestellt haben, noch in der Regel irgendetwas anderes, die ganzen parkenden Saturn V-Raketen, die er sich ebenfalls nicht leisten kann, aber wohl auch nicht leisten möchte. Da bleibt er im Zweifelsfalle doch lieber hinter dem Mond, als ggf. mit einer solchen auf demselben zu landen.
@ Heinrich
„Dazu gehörte auch eine gewisse Verstehens-Bereitschaft des Aufnehmenden, die ich bei Ihnen über weite Strecken vermisse.“
Ich will gar nicht reinreden – nur ein kleiner hinweis. Überlegen Sie mal ob es überhaupt Sinn hat von einem Abgesandten der INSM Aufnahmebreitschaft zu erwarten
Lieber Abraham,
„… kein Einwand gegen Dich, sondern eine Bekräftigung unserer – so verstehe ich es – gemeinsamer Position für die Mitleser.“
– ok., einverstanden.
„Ich denke, dass es bei den Kibbuzniks mehr als nur “voluntaristischen Versuche” waren.“
– das wäre jetzt eine Definitionsfrage.
Den Begriff „Ideologie“ benutzte ich hier, wie du und die Kibbuzniks im Sinne von „geistige Anschauung“, „gesellschaftlicher Standpunkt“, nicht im Sinne von „falschem Bewusstsein“, “voluntaristische Versuche” meinte: es manifestierte sich der Wille, und er sollte zielgerichtet umgesetzt werden, die weltanschaulichen Vorstellungen zu realisieren. Das Gegenbeispiel wäre, die materiellen Verhältnisse wären von der Art, dass als Reflex darauf eine kommunistische Lebens- und Gesellschaftsform, ggf. sogar entgegen den ideologischen Anschauungen, sich durchgesetzt hätte.
Man sieht, welche Begriffsarbeit ggf. an zwei scheinbar einfachen Wortbedeutungen nötig ist, um nicht aneinander vorbeizureden.
Wie die Bedungungen nun tatsächlich waren, sowohl die materiellen als auch die ideellen, da näher einzusteigen, würde, wie gesagt, auch mich interessieren, wenn sich die Gelegenheit ergibt.
Ich denke, das offensive Vorzeigen von Unkenntnisse der Mathematik und der Naturwissenschaften beruht mehr auf einer Art Hilflosigkeit, wogegen in meinem Beispiel eine Überheblichkeit der Kopfarbeiter gegenüber den Handarbeitern zum Ausdruck kommt, die auch nur die allgemeine gesellschaftliche Wertung widerspiegelt, die man natürlich in Frage stellen und revidieren, sobald man das bewusst reflektiert.
Ich würde auch nicht so weit gehen, jemand als Banausen anzusehen, „der keine Ahnung von Philosophie oder Kunst hat“, sofern er aus sog. bildungsfernen Schichten kommt bzw. in einem entsprechenden Milieu lebt, wo er keinen Zugang dazu hat.
Ich finde nicht, dass man unbedingt Ahnung von Philosophie oder Kunst haben muss, ebenso wenig wie von Mathematik oder Naturwissenschaften. Nur: wer keine Ahnung hat soll den Mund halten oder sich offen zeigen für ihm fremde Gedanken und Ideen und ästhetische Gegenstände.
Lieben gruß
Heinrich
@Heinrich und Abraham
Also, nach meiner Erfahrung brüsten sich ziemlich viele Menschen damit, von Kunst überhaupt keine Ahnung zu haben, was sie aber leider nicht daran hindert im nächsten Atemzug lautstark ihre abfälligen Urteile darüber zum Ausdruck zu bringen. Dies ist übrigens unabhängig davon, ob sie selbst einen Nagel in die Wand schlagen können oder nicht.
@ Manfred Dehnerle # 159
Hier kann ja jeder reinreden, der möchte. Danke für den Hinweis!
@ maat
Ja, ist mir nicht unbekannt und das ist dann auch das, was ich mit philiströsem Banausentum meine.
@ all
So, habe mich nochmal hinreißen lassen zu kommentieren, jetzt ist es aber gut.
Grüße
Heinrich
@ maat
Ja, auch mir sind solche Leute bekannt und höchst suspekt.
@ Heinrich
Dass es viele „Kopfarbeiter“ gibt, die überheblich auf „Handarbeiter“ herunter schauen, darin stimme ich Dir genauso zu, wie Deiner Feststellung „Ich würde auch nicht so weit gehen, jemand als Banausen anzusehen, ‚der keine Ahnung von Philosophie oder Kunst hat‘, sofern er aus sog. bildungsfernen Schichten kommt bzw. in einem entsprechenden Milieu lebt, wo er keinen Zugang dazu hat“. Ich habe mich ja ausdrücklich auf die „Gebildeten“ bezogen. Da bin ich schon der Meinung, dass die Haltung zur Mathematik und Naturwissenshaften nicht nur auf „Unvermögen“ zurückzuführen (wobei eine interessante Frage wäre, warum dieses in unserem Bildungssystem erzeugt wird), sondern auch ein Zeichen der Ignoranz ist.
@Heinrich,
„Überlassen Sie es mal getrost mir…“ Natürlich überlasse ich Ihnen, wie sie die Dinge erläutern… aber überlassen Sie es mir, wie ich das kommentiere… Natürlich werden psychologische Befindlichkeiten Einzelner, wenn Sie in einer Gesellschaft häufig genug auftreten, dann irgendwann ein gesellschaftliches Phänomen, damit hören sie aber nicht auf, auch individuelle psychologische Befindlichkeiten zu sein… Daher hat meine Kritik an ihrer Behauptung „…dass es sich bei der Marxschen Entfremdungstheorie um Gesellschaftsanalyse handelt und nicht um Individualpsychologie.“ nichts mit mangelnder Verständnisbereitschaft zu tun, sondern die Behauptung ist manifester Unsinn… häuft man viele Steine aufeinander, ergibt das einen Turm, aber weil es jetzt ein Turm ist, hört es nicht auf, auch ein Gebilde aus Steinen zu sein… daß sie die Marxsche Entfremdungstheorie ja gerade mit den individualpsychologischen Befindlichkeiten ihres Vaters erläutern konnten, zeigt das ja.
Der Bezug von Hannah Arendts Ideen zum hier Diskutierten ist dermaßen locker, daß ich mich frage, warum sie hier so abrupt auftaucht. Sie geben aber ja postwendend die Antwort: „wovon Sie Ihre Schulweisheit wohl nichts träumen lässt.“… d.h. sie konnten Hannah Arendt dazu verwenden, mal wieder zu zeigen, was Sie für einen enormen Wissenshorizont haben, und was für ein kleines Würstchen ich bin. Ich bin mir sicher, daß Ihnen noch unzählige Philosophen mit ihren spezifischen Ideen zur Natur des Menschen, dem Zweck seines Daseins etc. einfallen… das Thema könnte dann allerdings leicht ausufern.
Wenn das wirklich so grandioser Blödsinn wäre, was ich brachte, dann müsste er doch von Ihnen mit links auf argumentativem Wege abgehandelt werden können? Je größer der Quatsch, umso einfacher sollte doch die Widerlegung sein? Aber ihre Antwort darauf erahne ich ja schon: „Dafür ist mir meine Zeit zu schade“ sowie „Sie begreifen ja doch nichts“.
Natürlich habe ich das Problem, und das verschweige ich ja überhaupt nicht, daß ich ganz sicher nicht so belesen bin wie Sie. D.h. ich bringe hier im Wesentlichen Argumente, die mir selber einleuchten, oder die ich ad hoc aus meinen eigenen Vorstellungen ableite (sowie zusätzlich natürlich die Dinge, die auf der Liste stehen, die mir die INSM zusammen mit dem Scheck schickte). Wenn mir verständlich und für mich nachvollziehbar erklärt wird, daß ich mich in einem bestimmten Sachverhalt irre, so akzeptiere ich das, von Ihnen habe ich aber solche Erklärungen bisher nicht erhalten. Ansonsten habe ich überhaupt keine Lust auf diese „Ich bin super, du bist blöd“-Diskussion, die Sie hier begonnen haben, und NIEMALS wird man es hier im Blog erleben können, daß ich eine solche Diskussion vom Zaun breche.
Wenn Sie wiederholt Phänomene kritisieren, die weitgehend der arbeitsteiligen Produktionsweise zuzuschreiben sind, dann ist ja der Verdacht, daß Sie „restaurative Vorstellungen“ hegen, erstmal nicht so weit hergeholt. Gut, den haben Sie jetzt ausgeräumt, aber dann bleibt natürlich die Frage bestehen, wie Sie die Probleme der arbeitsteiligen Produktionsweise lösen wollen. Glauben Sie, daß die von Ihnen geschilderten Probleme der arbeitsteiligen Produktionsweise dann schon verschwinden, wenn die Fabrik, in der arbeitsteilig produziert wird, zum Gemeinschaftseigentum der Arbeiter würde? Wenn dann aber noch die Organisation der Arbeit „nach den Neigungen des Einzelnen“ eingeführt würde, dann ist die Frage nicht von der Hand zu weisen, was und in welchem Umfang dann noch produziert würde.
„Und natürlich zu schweigen von Ihren Vorstellungen der Arbeitswelt kurz nach dem Kriege.“
Von „kurz nach dem Krieg“ haben Sie nie etwas geschrieben, sondern „als mein Vater 40 war“. Mit dem Krieg rücken Sie erst jetzt heraus. Sie verschweigen, daß ihre Schilderungen eine Situation kurz nach dem Krieg betraf, ich äußere mich zu den Schilderungen (vor dem inneren Auge meinen Vater, der 20 Jahre später als Ihrer 40 war), und anschließend machen Sie sich über meine Vorstellungen über die Lage „kurz nach dem Kriege“ lächerlich… Ich finde das irgendwie nicht fair, aber egal.
Ihre jetzigen Ergänzungen unterstreichen aber, wie wichtig die Einwände von maat und auch mir gewesen sind. Es wäre absurd, eine Notwendigkeit für einen heutigen Wandel der Verhältnisse daraus abzuleiten, daß die Verhältnisse kurz nach dem Krieg (genauer, kurz nach einem verheerenden, vernichtenden Krieg) so katastrophal waren. Nur wenn die allgemeine und verbreitete Schwierigkeit, in einer total auf den Hund gekommenen, infrastrukturell weitgehend zerstörten Gesellschaft eine befriedigende Industriearbeit zu finden, weiterwirkte in die heutige Zeit, wäre eine Notwendigkeit der Änderung der heutigen Verhältnisse daraus ableitbar. Und da werden Sie meine Zweifel daran, daß diese Verhältnisse heute in ähnlicher Form bestehen, so leicht nicht abstellen können.
Um mal die Verhältnisse bei einem führenden deutschen Automobilbauer zu schildern, die ich gut kenne: Wenn ein heutiger unqualifizierter Arbeiter gern im Prototypenbau tätig werden will (d.h. NICHT kurz nach dem Krieg, sondern heute)… dem wird gesagt: Geh erst mal ans Band! Nach mindestens 3 Jahren am Band ist dann bei entsprechendem Engagement, dem Wahrnehmen von Weiterbildungen usw. ein Wechsel in den Angestelltenbereich möglich (in den ansonsten direkt einzusteigen Akademikern vorbehalten ist), je nach Neigung in die Verwaltung, IT oder eben auch in bestimmte Abteilungen der F&E. Ich hatte mehrere Kollegen, die eine solche Laufbahn eingeschlagen haben.
Was ihre Rechnung angeht, wieviele Autos ein Arbeiter im Bremer Werk so im Laufe seines Lebens baut… zunächst mal haben Sie ausgerechnet, wieviele Autos ein Arbeiter im Bremer Werk ZUSAMMENBAUT… er bezieht dazu aus den Werken der sog. Zuliefererindustrie Komponenten, die ihrerseits von Arbeitern zusammengebaut worden sind. Für eine korrekte Rechnung müssten Sie alle am Produktionsprozeß eines Autos beteiligten betrachten, also auch die Arbeiter der Zulieferindustrie dazunehmen. Einer weitergehenden, ins persönliche mäandernde Bewertung ihrer Rechnung enthalte ich mich, es reicht ja, wenn Sie meine Rechnungen ins persönliche gehend bewerten.
Ob dann am Ende der Arbeiter einen Mercedes kaufen kann, hängt auch vom weiteren Konsumverhalten ab. Wer vom Lohn 2 mal im Jahr auf die Seychellen fliegt (allgemein gesprochen, NICHT auf die irgendjemandes Vater bezogen), bei dem wird es länger dauern mit dem Autokauf.
Und nicht zuletzt völlig mißverstanden haben Sie meinen Hinweis auf die Autos, mit denen die Schichtarbeiter in Bremen ins Werk fahren (wie ich es mehrfach vor Ort gesehen habe… nicht als selber Beschäftigter, sondern als jemand, der in der Vergangenheit einige Male während des Schichtbeginns um 14 Uhr bestimmte Parkareale zum Inlineskating nutzte). Das sind keine Kadetts, sondern das sind in ganz großer Anzahl auch genau die Autos, die sie dort herstellen. Man sieht da auch 25-Jährige, die aus Autos dieser Marke steigen. Das ist natürlich sicher auch auf besondere Verkaufspreise für Werksangehörige zurückzuführen… trotzdem ist es aber völlig falsch, zu behaupten, ein Bremer Werksarbeiter könne sich das Auto, daß er herstellt, selber nicht leisten.
@maat… wenns nicht so fern des eigentlichen Themas hier wäre, müsste man erstmal fragen, was „Ahnung von Kunst“ überhaupt bedeuten soll.
@ Max Wedell
Ok., tut mir leid, haben wir halt an einigen Punkten aneinander vorbeigeredet. Dass man denken konnte, jemand hätte nach der Naturaltauschphase vor der Währungsreform noch mit einem Handwerk gegen die Industrie konkurrieren können, darauf bin ich halt nicht gekommen. Mein Vater HAT später in der lang andauernden Prosperitätsphase bei Daimler gearbeitet und hat es tatsächlich bis zum Elektroschweißer gebracht, der im Akkord bis zum Alter von 57 geschuftet hat und dann kaputt war. Gegen die dabei entstehenden giftigen Dämpfe hat er vom Werk jeden Tag einen Liter Milch bekommen.
Das Ich bin klug und du bist blöd Schema ist jedenfalls nicht in meiner Absicht. Tut mir ebenfalls leid, wenn Sie das so auffassen. Über mich rede ich gar nicht, und wenn ich über Hannah Arendt rede oder über Marx‘ Entfremdungstheorie und Sie weder den Zusammenhang noch den wahren Charakter der Theorien erfassen, dann nehme ich mir heraus, Ihnen das zu vermitteln.
Halten wir doch einfach fest, dass ich Sie nicht verstehe und Sie mich nicht. Kein Grund für Streit.
Grüße
Heinrich