Ideologische Schmuddelecke

Ein Ruck geht durch die Republik: Die Linke-Vorsitzende Gesine Lötzsch hat es gewagt, das K-Wort auszusprechen! Kommunismus! Damit, so könnte man meinen, haben wir in Deutschland doch schon Erfahrung. Die Diskussion darüber, ob das, was in Ostdeutschland einmal existierte, Kommunismus war, ist allerdings bereits geführt. Die DDR war nicht kommunistisch, sondern eine „animal farm“. Gleichheit, Gerechtigkeit und andere Werte gerannen zu Worthülsen. Sie war ein totalitärer Staat. Darüber ist keine weitere Diskussion nötig.

Wohl aber ist eine Diskussion nötig über die Frage, warum Gesine Lötzsch dieses Thema wieder nach vorn bringt. Weiß sie nicht, dass der Begriff Kommunismus negativ besetzt ist? Dass sie sich damit in die ideologische Schmuddelecke begibt? Doch, das muss sie wissen. Sie kann es zumindest. Hilft es da noch was, dass sie sich fast gleichzeitig zum „demokratischen Sozialismus“ bekennt?

Es ist eine merkwürdige Parteiführung, die die Linke sich nach Oskars Abgang zugelegt hat. Der eine Parteichef fährt gern dicke Autos und mag richtig gut Geld verdienen, die andere beginnt eine Kommunismus-Debatte. Beiden scheint jegliches Gespür für die bundesdeutsche Stimmungslage abhanden gekommen zu sein. Sie will Wege weisen, wie wir aus der derzeitigen Kapitalismus-Katastrophe wieder herauskommen – so weit, so gut. Doch mit dem Rückgriff auf die historische Utopie Kommunismus kommt sie nicht weit.

Ich vermute, dass Gesine Lötzschs wolkiges, wenig wegweisendes Traktat „Wege zum Kommunismus“ eher nach innen zielt, ins Herz einer in Wirklichkeit zerrissenen Partei Die Linke, in der Erz-Marxisten und Sozialisten irgendwie miteinander auszukommen versuchen. Die Partei führt derzeit eine Programmdebatte. Die ist längst überfällig, die Linke ist die einzige Partei im deutschen Parlamentsspektrum, die sich bisher kein Programm gegeben hat. Vielleicht gibt es dafür Gründe? War diese Nichtexistenz eines Parteiprogramms vielleicht gar dafür verantwortlich, dass Marxisten und Sozialisten es so lange nebeneinander in einer Partei ausgehalten haben, in einem irgendwie linken Wischiwaschi? Hauptsache, es ging gegen die etablierten Parteien? Nun ja, dann hat die Linke den Zug verpasst. Die Republik ist bereits weiter. Interessant ist in diesem Zusammenhang vielleicht, dass die Linke im Protest gegen Stuttgart 21 keine Rolle spielte. Sie spielt auch keine Rolle im Protest gegen den Ausstieg vom Atomausstieg. Wo sie eine Rolle spielt, das ist die Afghanistan-Politik  und Teile der Sozialpolitik. Das ist nicht genug für eine Partei, die im Osten Volkspartei ist und im Bund das Zünglein an der Waage spielen will, ohne jedoch Regierungsverantwortung zu übernehmen. Die meisten anderen Politikfelder, zu denen sie Kompetentes zu sagen hat, sind schon besetzt.

Oder wollte Gesine Lötzsch nur mal wieder in die Schlagzeilen – mit dem Anstoß zu einer Debatte, die aus ihrer Sicht nach vorn weisen soll? Sozusagen als Fortsetzung des lafontaineschen Populismus? Im FR-Interview jedenfalls konnte Lötzsch sich nicht aus der selbstgestellten Falle lavieren.

Christian Pietà aus Wendisch Rietz:

„Ich bin sehr überrascht, wie sehr man sich ‚von links bis rechts‘ über ein radikales politisches Statements aufregt, das in der Tat im Text auf mehrfache Weise nicht konsistent ist. Aber es ist ein leidenschaftliches Plädoyer für die Suche nach Lösungen von Problemen einer Welt, die von nichts weniger gelenkt, regiert, verwaltet wird als von konsistenten Politikentwürfen. Sich dabei auf Rosa Luxemburg zu berufen, ist nicht nur legitim, sondern glaubhaft, gründet doch die heutige Partei Die Linke gerade auf dem Scheitern eines sozialistischen Wegs, der sich dem dialektischen Verhältnis von Ökonomie und Freiheit mit allen Mitteln und Methoden widersetzt hat. Diese Linke hat das Erbe angenommen, um eine Verbindung zwischen den historischen Ursprüngen und der Realität der Gegenwart herzustellen, und wenn dabei am Ende der Kommunismus herauskäme – heute höchstens als Utopie zu denken –, wäre das die Morgenröte einer besseren Welt. Wieso ein CSU-Generalsekretär deshalb meint, den Verfassungsschutz bemühen zu müssen, ist mir schleierhaft. Die Verfassung verbietet an keiner Stelle den Kommunismus. In dieser Frage waren wir schon mal weiter. Aber bekanntlich ticken die Uhren in Bayern anders.“

Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt:

„Ein Gespenst geht um in einem Teil der deutschen Presse, vor allem in Spiegel Online: das Gespenst des Kommunismus. Alle gängigen Vorurteile, die aus Nichtwissen und politischem Unsinn erwachsen, werden mobilisiert, nur weil die Vorsitzende der Linken den Begriff öffentlich gebraucht hat.
Folgt man den Ausführungen seines bedeutendsten Vertreters, Karl Marx, so ist Kommunismus die endgültige Form der klassenlosen Gesellschaft, in der jeder nach seinen Fähigkeiten arbeiten kann und in der jedem nach seinen Bedürfnissen zugeteilt wird. Das klingt nach Utopie, aber was wäre das menschliche Leben ohne Hoffnung auf eine Zukunft, in der sich alle Ungerechtigkeiten und alle Widersprüche auflösen? Die christliche Religion hält eine vergleichbare Vision bereit, die sich eher auf einer metaphysischen Ebene bewegt. Und es kommt keinem Papst und keinem Bischof in den Sinn, sich bei jeder Gelegenheit für die Verbrechen des Christentums zu entschuldigen, man denke an die Inquisition oder an die soziale Entmündigung von Millionen im Obrigkeitsstaat ‚Heiliges Römisches Reich‘.
Auch als nachgeborenem Deutschen fällt mir nicht ein, mich für Hitler zu entschuldigen. Es reicht mir und der Welt, wenn ich ihm und damit der Ideologie des Unmenschen nicht folge. Und nach Möglichkeit Spiegel Online außer Acht lasse, wo sich jenes intellektuelle Mittelmaß versammelt, aus dessen Schoß die politische Dummheit täglich neu auf die Welt zu kommen scheint.“

Albrecht Hager aus Eichstätt:

„Es ist unerklärlich, warum Leute wie Frau Lötzsch, die sich so sehr nach dem Kommunismus sehnen, immer noch in diesem angeblich so furchtbaren kapitalistischen System leben wollen, wo es doch kommunistische Arbeiterparadiese wie Kuba oder Nordkorea gibt.“

Hans-Peter Piepho aus Ostfildern:

„Die pauschale Behauptung des Kommentators, Rosa Luxemburg sei antiparlamentarisch gewesen, wird mit einem Zitat aus dem Gründungsaufruf des Spartakusbund im Dezember 1918 begründet. Der geschichtliche Zusammenhang wird dabei völlig außer Acht gelassen. Im Dezember 1918 war Revolution und Gegenrevolution. Die Befürworter von Parlamentswahlen wollten im Grunde das alte monarchistische,  obrigkeitsstaatliche System und deren Machteliten retten, die den Ersten Weltkrieg hervorgebracht hatten. Der Ruf nach Arbeiter- und Soldatenräten war vor allem gegen diese restaurativen und reaktionären Kräfte gerichtet, die maßgeblich von Ludendorf angeführt wurden und die sich später tatsächlich als Totengräber der Weimarer Republik herausstellten. Große Teile der Arbeiterschaft, hauptsächlich Sozialdemokraten, beteiligten sich an Generalstreiks und gingen auf die Straße, um diese Gegenrevolutionäre zu bekämpfen und einen demokratischen Systemwechsel weg vom Vorkriegssystem zu bewerkstelligen. Dafür wurden sie Anfang 1919 von reaktionären Freikorps niedergeschossen, die Gustav Noske, der SPD-Volksbeauftragte für Heer und Marine, auf sie losgelassen hatte. Und dieselben Freikorps haben später Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht ermordet. Das ist der geschichtliche Zusammenhang, der hier komplett ausgeblendet wird, vermutlich in einem wohlfeilen antikommunistischen Reflex, der die ganze Geschichte der BRD geprägt hat und noch heute nachwirkt.
Aus der Formulierung im Gründungsaufruf des Spartakusbund auf einen generellen Antiparlamentarismus – und damit natürlich unterstellt: Antidemokratismus – bei Rosa Luxemburg zu schließen, ist völlig unhaltbar. Nachlesen kann man die genannten Zusammenhänge bei dem sicher nicht als Kommunisten verschrienen Historiker Sebastian Haffner (‚Der Verrat‘).“

Holger Eiberle aus Schöneck:

„Ob der Weg zum Kommunismus der richtige ist? Darüber möchte ich mir kein Urteil erlauben. In der kapitalistischen Zukunft werden noch viel mehr wegen unserer Dummheit und unserem grenzenlosen Egoismus sterben, als die Diktatoren der sogenannten kommunistischen Länder jemals Opfer zu beklagen hatten. Auf der ganzen Welt leiden und sterben Menschen, um unseren Wohlstand zu ermöglichen. Sei es in den Uranminen in Australien oder auf den Müllbergen in Afrika. Bitte hören Sie endlich auf, über Begriffe zu streiten und sich über Vergangenes zu bekriegen. Fangen Sie endlich an, die Zukunft zu gestalten.“

Uwe Mittelstädt aus Münster:

„Da hat Gesine Lötzsch doch tatsächlich das ganz böse Wort ‚Kommunismus‘ in den Mund genommen. Das ist ja auch das größte Problem, das wir in Deutschland haben. Dass unser Geld mit Hilfe von Rot-Grün und Schwarz-Gelb von unten nach oben verteilt wird, wen interessiert das. Dass die CDU mal wieder Gelder illegal herumschiebt, wen juckt das. Der einfache Arbeitnehmer kann von seinem Verdienst nicht mehr leben, die Firmen machen auf seine Kosten Gewinne, der Staat zahlt in Form von Aufstockungen ihren Lebensunterhalt, ist doch kein Problem. Unser Nah- und Fernverkehr funktioniert nicht mehr, weil Geld herausgezogen wurde, besonders gut zu sehen in Berlin bei der S-Bahn, ist doch normal. Hochtief geht den Bach runter aufgrund der tollen Gesetze unserer Politiker, macht nichts. Die Banken haben wieder genug Geld, um Millionen an ihre Manager zu verteilen. Da machen die Länderbanken doch gleich mit. Steuergeld ist genug da, nur nicht für Schulen und Universitäten. Da schreien wir eben nach Ausländern, die können das billig ausgleichen. Ab Mai wird denen unser Arbeitsmarkt überlassen. Die  ausländischen Arbeitnehmer haben nicht viel davon, es gibt aber sicher genug Geschäftemacher, die sich mit den Gewinnen die Taschen vollstopfen. Aber unser Hauptproblem ist Gesine Lötzsch, die hat das böse Wort gesagt.
Mit Kommunismus hatte weder das Regime der DDR etwas zu tun noch der gesamte Ostblock. Unserer Gesellschaft würde aber ein bisschen mehr Kommunismus sehr gut tun. Aber da sei Schwarz-Gelb oder Rot-Grün davor.“

Stefan Padrok aus Büdingen:

„Entscheidend in dieser Kommunismusdebatte ist nicht die ausbleibende ‚Erwähnung‘ früherer Opfer, wie Herr Gysi es ausdrückt, entscheidend ist auch nicht die ‚Eindeutigkeit‘, mit der Frau Lötzsch nur die Zukunft des Kommunismus gemeint habe, wie Frau Wagenknecht sagt. Entscheidend ist: Jeder weiß, dass der Kommunismus im Laufe der Umsetzungsversuche in unterschiedlichsten Ländern eine systemimmanente und äußerst gefährliche Anfälligkeit offenbart hat: Das äußere, dem Volk zur Schau getragene Proklamieren der universalen Gemeinnützigkeit ist immer die beste Tarnung für Sadisten und Menschenschlächter aller Art gewesen, um ihre Eigeninteressen brutal durchzusetzen – frei nach dem Motto: Wir foltern und morden zum Wohle aller und für die Gerechtigkeit des Ganzen. Wenn man, wie Wagenknecht es darstellt, die Zukunft des Kommunismus meint, dann kann ein bloßer ‚Hinweis‘ auf diese Vergangenheit sogar schädigende Wirkung haben, denn dadurch könnte der Eindruck entstehen, der Sprechende wisse um die Gefahr und würde uns in Zukunft davor beschützen. Aber wer könnte uns wirklich einen Schutz vor dieser Anfälligkeit garantieren, wenn wir uns zudem erst „auf den Weg machen“ müssen, um zu sehen, wo wir ankommen?! Hier könnten Sie, Frau Lötzsch und Frau Wagenknecht, der Idee des Kommunismus wirklich einen Dienst erweisen, indem sie nämlich eine Lösung für die Schließung der gefährlichen Schwachstelle anbieten würden.“

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55 Kommentare zu “Ideologische Schmuddelecke

  1. »Die Wege zum Kommunismus können wir nur finden, wenn wir uns auf den Weg machen und sie ausprobieren, ob in der Opposition oder in der Regierung.«
    .
    Dabei ist der inmitten einer Selbstbeschreibung der Linken befindliche und von allen aufgegriffene Satz eine universelle Binsenweisheit. Sie sagt nichts anderes als: Viele Wegen führen nach Rom. Gehen wir sie! Wie auch immer die Umstände sind.
    .
    In der heutigen Zeit ein wahrlich revolutionärer Ansatz innerhalb der Linken, könnte man ironisch hinzufügen, da gerade im Westen deutlich mehr diskutiert als gehandelt wird. Warum also die Aufregung?
    .
    Wer sich mit der Politik der Grußworte etwas auskennt (siehe auch CDU und Vertriebenenverbände in der Vergangenheit), vermutet ersteinmal folgendes Szenario: Wahrscheinlich wurde Gesine Lötsch als Rednerin angefragt und dachte sich: Mist, eine Rede für die Hardcore-Kommunisten. Na gut, mit Allgemeinplätzen kann man nichts falsch machen.
    .
    Und das ist dann schiefgegangen. Hätte man wissen können.

  2. Was ist eigentlich so verwerflich daran, wenn jemand laut nachdenkt über
    eine Gesellschaft, in der die Ausbeutung von Mensch und Natur überwunden
    ist? „Kommunismus“ meint nämlich eine Gesellschaft in der alle Menschen
    gleichberechtigt und frei sind. Dieser Begriff geht auf das lateinische
    Wort „communis“ zurück, was „gemeinsam“ bedeutet.

    Das ganze Geheul aus den Parteien und den systemkonformen Medien, das
    seit Tagen die Vorsitzende der Linken niederbrüllt, bedeutet doch: Sie
    hat ein Tabu berührt, an dem niemand rühren darf.

    Wir alle können offenbar nicht mehr anders als mit „Augen zu und durch“
    weiterzumachen mit dem globalisierten Kapitalismus. Und das heißt
    „Weiter so!“ mit weltweiten Interventionskriegen zur Sicherung der
    Rohstoffe und der Handelsströme, „Weiter so!“ mit der Vergiftung des
    Oceans, der Zerstörung des Klimas und der Vernichtung der Wälder,
    „Weiter so“ mit der Spaltung der (Welt-) Gesellschaft in Vermögende und
    Habenichtse durch den Krieg der Reichen gegen die Armen,“Weiter so“ mit
    der Vergiftung unserer Lebensmittel usw.

    Mit anderen Worten Nachdenken, Fantasieren, Träumen darüber, wie der für
    Natur und Menschheit letztendlich tödliche Kurs zu unterbrechen sei, ist
    nicht gestattet, auch wenn die Welt zugrunde geht – nach uns die Apokalypse!

    Angesichts dieses offensichtlichen Verbotes über gesellschaftliche
    Alternativen nachzudenken, erscheint es dann ja doch begrüßenswert ,
    dass Rosa Luxemburg und Karl Liebknecht am 15. Januar ermordet worden sind?

  3. Der von Christian Bommarius in seinem Kommentar „Der Irrtum“ vom 7.1. gegen Rosa Luxemburg erhobene Vorwurf des Antiparlamentarismus ist in dieser verkürzten Form unhistorisch und unzulässig. Rosa Luxemburg setzte sich auf dem zitierten Gründungskongress im Dezember 1918 gegen den mehrheitlichen Widerstand der Versammlung leidenschaftlich für die Teilnahme der neu gegründeten Partei an der bevorstehenden Wahl zur Nationalversammlung, dem Gründungsparlament der Weimarer Republik ein und zwar mit den zumindest in der historischen Literatur berühmt gewordenen Worten:
    „Genossen, ich habe die Überzeugung, Ihr wollt Euch Euren Radikalismus ein bißchen bequem und rasch machen…Es ist nicht die Reife und der Ernst, die in diesen Saal gehören…“. Dies sind Worte, die sich auch ein bestimmter Flügel der heutigen Linken zu Herzen nehmen sollte. Richtig ist allerdngs, dass Rosa, nachdem sie mit ihrer Position klar in der Minderheit geblieben war (die Abstimmung endete 62 zu 23 gegen eine Beteiligung an der Wahl zur Nationalversammlung) loyal zu den politischen Aktionen der neuen Partei einschließlich des Spartakusaufstands stand.
    Bekannt ist aber, dass sie in ihrem Buch über die Oktoberrevolution in Russland und die Rolle Lenins und der Bolschewiken das Konzept einer Kaderpartei ablehnte und bekämpfte. Ihm stellte sie in einer weiteren berühmt gewordenen Aussage die Überzeugung entgegen, dass die Kommunisten in Deutschland die Macht nur mit der unzweideutigen Zustimmung der großen Mehrheit der Bevölkerung ergreifen würden. Dies wäre also der „Weg zum Kommunismus“, den Rosa Luxemburg selbst gewiesen hat. Auch dies ins Stammbuch aller SED-Nostalgiker.
    Kritisch wird es allerdings, wenn man nachfragt, wie Rosa und ihre Gesinnungsgenoss/Innen die Ermittlung dieses Mehrheitswillens vorgestellt haben. Da gehört zwar auch der Parlamentarismus dazu, er ist aber keineswegs der Königsweg.
    Man kann Rosa Luxemburg auch nicht ohne Einschränkung als Verteidigerin der „bürgerlichen“ Meinungs- und Pressefreiheit in Anspruch nehmen. Ihr berühmtester Ausspruch: „Freiheit ist zu allererst die Freiheit der Andersdenkenden“ befürwortet nicht auch die Meinungsfreiheit von „reaktionären“ Verteidigern des Kapitalismus und anderer Unterdrückungssysteme, sondern bezieht sich in erster Linie auf die Freiheit der Diskussion innerhalb des sozialistischen und kommumistischen Lagers die Abwehr leninistischen Meinungs- und Gewissenszwangs.
    Ein heute abgegebenes Bekenntnis zu Rosa Luxemberg ist also immer auch ein Bekenntnis zum Kommunismus und nicht zu einem wie immer gearteten „demokratischen Sozialismus“. Es ist ein Bekenntnis zum Kommunismus als humanistische Utopie ohne die bolschewistischen Elemente, allerdings einer Utopie, die auf dem Weg zu ihrer Verwirklichung Gewalt als Teil eines revolutionären Prozesses nicht von vornherein ausschließt. Rosa Luxemburg vertrat die Idee eines „demokratischen Kommunismus“, ein politschen Konzept, das für die Mehrheit der politisch Denkenden und Handelnden heute ein Widerspruch in sich ist. In diesem Sinne ist Rosa Luxemburg für die verschiedenen Spielarten des „demokratischen Sozialismus“ mit ihrem politischen Gesamtkonzept heute nicht mehr anschlussfähig.
    Was sie als unerfülltes Erbe hinterlässt ist die Idee der gleichen Menschenwürde aller menschlichen Lebewesen im Sinne eines Anpruchs auf gleiche Teilhabe an den von der Menschheit geschaffenen Lebensmöglichkeiten, der von keiner Gruppierung, die sich auf die Idee des „demokratischen Sozialismus“ auch nur annähernd in die politische Praxis eingeführt,geschweige denn erfüllt worden ist. Aus diesem Grund wird der kommunistische Wunschtraum weiterhin auch in Deutschland eine gewisse Virulenz behalten.

  4. Gesine Lötzsch ist nicht vorzuwerfen, sich zum Thema Kommunismus Gedanken gemacht zu haben. Politisch grandios daneben waren allerdings Form, Kontext und Zeitpunkt – also so ziemlich alles, was man als Vorsitzende einer Partei falsch machen kann, die sich entschlossen hat, im Rahmen des parlamentarischen Systems zu agieren. Für mich völlig unverständlich ist es, wie man sich einerseits auf das von Karl-Heinz Niedermeyer in Beitrag #3 so prägnant beschriebene Erbe Rosa Luxemburgs berufen und sich andererseits prominent an einer Konferenz beteiligen kann, die einer Inge Viett ein Podium für ihre Glorifizierung der Militanz bereitstellt.

  5. Bekanntermaßen ist – nach Marx – die Vorstufe zum Kommunismus die DIKTATUR des PROLETARIATS (Sozialismus). Darauf kann ich gerne verzichten.
    Bisher hat sich weder der internationale Sozialismus noch der nationale Sozialismus als human erwiesen.

    Leider wurde der Film „The Soviet Story“ von Edvīns Šnore (im Europäischen Parlament uraufgeführt) bis heute nicht ins Deutsche übersetzt und weder die Presse noch das gebührenpflichtige Staatsfernsehen hat sich bis jetzt in Deutschland für diesen Film interessiert.

    Ganz nebenbei: Warum sollte die Linke (als Nachfolgepartei der SED) gegen den Ausstieg vom Atomausstieg protestieren? Sind die Atomkraftwerke dann sicherer, wenn sie in sozialistisch geführten Ländern betrieben werden?(Man denke an das fehlende Containment des Tschernobyl-Reaktors – Begründung: nur kapitalistisch betriebene AKW benötigen einen Schutz).

  6. Natürlich sind die beiden Vorsitzenden nicht das „Gelbe“ vom Ei. Das „Schicksal“ tragen aber alle Vorsitzenden, wenn sie erst mal Vorsitzende sind. Wer hat (vorher) gewusst, dass es nach Tollpatsch Stoiber, mit Huber und Beckstein noch erheblich tollpatschiger werden wird? Natürlich hätte auch ich mir andere Nachfolger vorstellen können. Es wäre aber natürlich für keinen NachfolgerIn einfach gewesen, Lafontaine nachzufolgen. Natürlich war es schon frevelhaft dumm, dass Frau Lötzsch in dieser Form, zu dieser Zeit und überhaupt, diese Kommunismus-Debatte angestoßen hat, zumal Kommunismus zwar eine wunderbare Philosophie, nur eben nie mit den Menschen zu machen ist. Kommunismus hat es auf dieser Welt auch noch nie gegeben, trotz der Schwätzer, hüben wie drüben, die immer, aus unterschiedlichen Gründen, das Gegenteil behaupten. Es ist ein Ideal, eine Utopie, und so wird es auch die nächsten fünftausend Jahre bleiben. Was Frau Lötzsch da fabriziert hat, konnte nur ins Auge gehen, und das hätte eine Parteivorsitzende auch wissen müssen. Und was die Dobrindts, Gabriels und Co. daraus gemacht haben, ist ein weiteres Armutszeugnis für die politische (Un)Kultur in diesem Lande. Die Parteien- aber auch die Medienlandschaft ist trotz aller „rechten“ Krisen, immer noch extrem misstrauisch gegen alles was links ist, für links gehalten wird, nach links riecht oder schmeckt, und hat den Popanz Kommunismus dankbar aufgeschnappt. Natürlich hat der Kapitalismus, wie er gerade in diesen Zeiten seine erbärmliche Fratze durch den Terror der Ökonomie, der Banken und Finanzmärkte zeigt, an Antworten für die Zukunft so gut wie nix zu bieten. Deshalb darf natürlich, ja, muss sogar über Alternativen, grundlegende Reformen und auch „systemische“ Veränderungen nachgedacht werden. Es ist doch glatte Volksverhöhnung, wenn von der Politik, den „begleitenden“ (öffentlich-rechtlichen) Medien, und dem kräftig mit verdienenden wissenschaftlichen ExpertenUNwesen, der Eindruck erweckt wird, als ob alles schon wieder vorbei wäre, gar nicht so schlimm ist, eigentlich auch gar nicht so schlimm war. Obwohl offenbar das Fundament des kapitalistischen Hauses brökelt und die ganze Bude einzustürzen droht, meint die Riege der Verantwortlichen, die weitgehend das Desaster zu vertreten hat, wenn die Fenster und Türen neu angepinselt werden ist wieder alles in Butter. Eine Debatte so führen zu wollen, wie es Frau Lötzsch versucht hat, war mehr als nur dilletantisch. Natürlich muss DIE LINKE wieder mehr Flagge zeigen, ihr eigenes Profil, besonders ihren Markenkern, soziale Gerechtigkeit, deutlich(er) machen, und sich nicht ständig mit sich selbst beschäftigen. Natürlich hätte der Zuspruch und die Zustimmung, seit der letzten Wahl, im Hinblick auf die schwarz-gelbe Chaostruppe, bei den BürgerInnen „ein bisschen mehr“ sein können. DIE LINKE war aber z.B. weder bei S21 noch bei AKW „aufgefallen“, sondern lediglich durch Querelen in den eigenen Reihen. Und dennoch liegt der Zuspruch immer noch stabil im zweistelligen Bereich. Ob das, zumindest im Westen, nach den Lötzsch-Äußerungen so bleiben wird, ist allerdings zweifelhaft, zumal sich die „guten“ und „anständigen“ Deutschen (wozu sich, sozusagen nach alter Väter Sitte, immer noch oder schon wieder eine Menge zählen) vor einem linken Gespenst mehr zu fürchten scheinen als vor einem rechten Monster. Natürlich können die Vorsitzenden jetzt auch nicht ausgetauscht werden, das hätte die totale Katastrophe zur Folge. Und natürlich werden die politischen Mitbewerber, ohne Ausnahme, und natürlich wird die vereinigte Bewusstseinsindustrie, von BILD bis Spiegel, auch weiterhin auf DIE LINKE einprügeln; eine so gute Vorlage, wie sie Frau Lötzsch gegeben hat, wird natürlich dankbar aufgenommen. Was ist also zu tun? DIE LINKE muss Alternativen aufzeigen bzw. erheblich mehr ins Bewusstsein der Öffentlichkeit rücken, zumal Alternativen vorhanden sind. LINKE Konzepte für Arbeit, Beschäftigung, Rente, für gerechte Steuern. Das sind zentrale Fragestellungen für die Zukunft, und nicht die Definition von Kommunismus. Oder wie ist mit den immer flexibler werdenden Arbeitszeiten umzugehen, dem steigenden Arbeitsdruck, mit der wild wuchernden Leih- und Zeitarbeit, mit Lohndumping, oder den modernen Kommunikationstechnologien, dem globalen Klimaschutz? Und natürlich müssen die „um sich greifenden“ Militäreinsätze, die sich bei einer zukünftigen „Freiwilligenarmee“ sicher noch weiter häufen werden, immer unter Beobachtung stehen. DIE LINKE ist die einzige Fraktion im BT, die kategorisch Kriegseinsätze ablehnt, während alle anderen Fraktionen diese Einsätze, mit mehr oder weniger faulen Kompromissformeln, stützen. Deshalb ist es nicht nur das Recht sondern sogar die Pflicht der LINKEN, in diesem Zusammenhang allen anderen Fraktionen immer wieder das Grundgesetz (Art.26(1), 115a, 87a) links und rechts um die Ohren zu hauen. Das ist sogar besonders wichtig, seit die BW unter „Führung“ des neuen Messias der deutschen Politik steht, der den guten, alten deutschen Militarismus, verbunden mit Stolz, Heldenmut, Tapferkeit, Tradition und Ordensbeschmückung, gemeinsam mit seiner im Internet auf dem Kriegspfad befindlichen Gattin, wieder zu einer erstrebenswerten deutschen Tugend machen will. Was kümmert bei diesen „hehren Zielen“ schon das Grundgesetz? Es gibt genug zu tun für DIE LINKE, sie muss nur endlich in die Offensive gehen und die Dinge anpacken. Wenn nicht jetzt, wann sollte eine LINKE Partei denn überhaupt in diesem Deutschland eine Chance haben? Porsche hin, Kommunismus her.

    Jutta Rydzewski

  7. mir geht es wie vielen beiträgern: ich verstehe den aufruhr nicht.
    der kommentar von Bommarius am 7.1.11 verkürzt Rosa Luxemburg z.B auf
    historisch nicht zulässige weise. nach 1918, nach dem kaiserreiche, war
    es durchaus zu fragen, ob eine repräsentative demokratie nicht die alten
    machteliten begünstigen würde. rätedemokratie hätte dagegen die historisch
    unterprivilegierten und unterrepräsentierten arbeiter und soldaten in nach-
    holender weise überreräsentiert. so abwegig ist die idee nicht, schon gar
    iicht im kontext der revolution von 1918, als die demokratie in deutsch-
    land erfunden werden musste.
    und der begriff kommunismus ist im 19.jahrhundert entstanden, vor allem von
    karl marx ausgearbeitet. er lebte in einem zutiefst undemokratischen deutschland,
    das er verlassen musste.
    ihn trieb die frage um, wie rechtliche gleichheit auch soziale gleichheit
    verwirklichen könnte. die frage beschäftigt uns auch heute. sie beschäftigt
    auch andrea ypsilanti. zu recht.
    die ganze hatz auf die gedankenfreiheit scheint zu bedeuten: die fr, die nach
    dem fall des neoliberalismus sich geöffnet zu haben schien, verfällt wieder in
    alte freindbilder. schade. anna stark

  8. @ Katja Wolf

    Ihr Link beinhaltet ja wirklich eine schöne Auswahl an privaten Äußerungen des Herrn Marx. Beethoven soll ja auch ein unleidlicher Mensch gewesen sein. Aber seine Musik bleibt trotzdem genial.

    Ich bin keine fundierte Marx-Kennerin, will damit nur sagen, dass man mit solchen herausgegriffenen Zitaten, die eindeutig die Absicht haben zu diffamieren, sich sich des Verdachts einer billigen Polemik aussetzt.

  9. @ I. Werner:
    nicht nur im kulturellen Bereich gibt es genügend Genies, die belegtermaßen unleidlich waren.
    Jedoch wurde/wird Richard Wagner (m. E. genial als Komponist) wegen seiner judenfeindlichen Äußerungen stark kritisiert, Marx als theoretischer Wegbereiter einer „besseren Welt“ hingegen nicht.
    Und selbst wenn es sich bei dem link natürlich um eine selektive Zitatsammlung handelt, kann sich daraus ohne polemische Absicht die Frage ergeben, ob Marx tatsächlich die Frage umtrieb, wie rechtliche Gleichheit auch soziale Gleichheit verwirklichen könnte (siehe Beitrag 7 von Anna Stark).

  10. Obwohl ich mich eigentlich dem linken Bereich (den Begriff „Lager“ möchte ich vermeiden) zugehörig fühle, sehe ich für die global auf uns zurollenden Probleme weder Lösungsansätze bei Linken, Liberalen und erst recht nicht bei den Neocons. Links will auch Wachstum, natürlich qualitatives, und vor allem sozial verträgliches. Auch Links möchte und will – auch um die Anhängerschaft nicht zu vergraulen, nicht auf den Wachstumsbegriff verzichten. Auch die internationale Solidarität mit Biobauern in Brasilien oder Geflügelfarmern in Ghana muß ja irgendwie bezahlt werden. Wer es demnach ernst meint, muß bereit sein, seinen Wohlstand global zu teilen, und auf Wachstum hier zu verzichten, damit Wachstum in der 3. Welt funktioniert, immer schön nachhaltig natürlich.

    Doch anscheinend scheint auch bei Links die Vorstellung in den Köpfen herum zu geistern, daß das Geld auf den Bäumen wächst, wenn man ins Gießwasser nur genug Marx & Engels, Liebknecht und Luxemburg hinein schüttet.

    Der Kapitalismus, auch wenn man diesen schönfärberisch bei uns „soziale Marktwirtschaft“ nennt, macht die Erde und die Menschen auf ihr kaputt, auch wenn einige Vermögende glauben, sich auf eine Insel der Seeligen retten zu können. Nur, wenn es keine Elenden und keine Sklaven mehr gibt, weil die über die Wupper gegangen sind, wer sät dann den Weizen, backt das Brot und macht auch sonst den Hiwi?

    Aber auch in vergesellschafteten, oder kommunalisierten Betrieben, herrschen die Gesetze der Ökonomie, welche sich, wie die Gesetze der Thermodynamik, nicht einfach außer Kraft setzen lassen. Dienstleistungen und Produkte, auch wenn es sich um Biomilch, Windmühlen, E-Bikes, Solarkochtöpfe o.ä. handelt, müssen hergestellt, dafür Ressourcen abgebaut, und vermarktet werden, weil Tauschhandel in unserer Welt höchstens noch regional funktioniert, und Geldscheine eben leichter als Kauri-Muscheln zirkulieren.

    Wahre Solidarität wäre, sämtliche (Trans-)Aktionen nicht nur unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit abzuklopfen, sondern diesen noch mit dem Begriff „ökologischer Fußabdruck“ zu erweitern. D.h. dann, das nicht nur bei den von Kapitaleignern gesteuerten Produktionsprozessen z.B. nach Emissionen geschaut wird, sondern auch bei denen von Gebietskörperschaften und Betrieben in Gemeineigentum. Das wir darauf achten, daß das gleiche Recht zur Verschmutzung und die gleiche Verpflichtung zur Erhaltung unserer Welt für alle gilt, weil letztendlich auch alle Hilfsmaßnahmen und Spendeaktionen für die armen Schlucker nicht nur Ausdruck unserer Hilflosigkeit, sondern unserer oftmals in Zynismus übergehenden Gedankenlosigkeit sind, müßte eigentlich, sofern noch existent, dem Begriff der HUMANITAS geschuldet sein.

    Dem Mercedes-Arbeiter und den ihn vertretenden Betriebsräten und Gewerkschaften muß klar sein, das es wenig hilft, wenn hier bei uns CO2 en gros eingespart wird, der exportierte Touareg solches aber dann en masse in China ausstößt. Die sich daraus ergebende Erkenntnis kann dann nicht darin bestehen, den Toureg mit Elektroantrieb zu versehen. Und der auch in der industriellen Fangmethode als „nachhaltig“ klassifizierte, vor den Küsten Westafrikas gefangene Fisch kann trotzdem die 2-Mann-Existenz eines westafrikanischen Fischers zerstören.

    Das von mir gezogene Resümee: Geld arbeitet nicht, sondern Menschen. Geld ist nicht Selbstzweck, sondern höchsten Tauschmittel. Und als solches gebraucht, müßten wir auf eines verzichten, was uns immer näher dem Abgrund bringt: das Mensch und Welt zerstörende Zins- und Zinseszins-System. Zins, wenn er den – sowieso schon fragwürdigen – Begriff des BIP-Zuwachses übersteigt, kann nur „erwirtschaftet“ werden auf Kosten von Gesundheit und Leben von Menschen und durch Zerstörung unserer Mitwelt.

  11. Wenn jemand von dieser Diskussion zu profitieren glaubt, dann sind es die Rechten, wie Westerwelle und Co. Aber sie glauben es wahrscheinlich selbst nicht, wenn sie von der rot-grün-roten Gefahr warnen, denn was da heraufbeschworen wird, hat doch nicht im Geringsten eine Chance, Realität zu werden, geschweige denn eine Bedrohung für unseren Staat. Die kommunistische Idee wird ein Thema für Sektierer bleiben. Lasst denen doch ihren Spaß. Dass Gesine Lötzsch sich vor ihrem Anhang profilieren wollte, spricht nicht für ihre politische Reife.

  12. Hallo,
    ein kleiner Beitrag zur Diskussion um das von Gesine Lötzsch gebrauchte und inkriminierte K-Wort:

    „… Aus Hass gegen die Anhänger des Nationalismus könnte ich schier die Kommunisten lieben. Wenigstens sind sie keine Heuchler, die immer die Religion und das Christentum im Munde führen. Die Kommunisten, es ist wahr, besitzen keine Religion (kein Mensch ist vollkommen), die Kommunisten sind sogar Atheisten (was gewiss eine große Sünde ist), aber in ihren obersten Prinzipien huldigen sie dem absolutesten Kosmopolitismus, einer allgemeinen Völkerliebe, einer auf Gleichheit beruhenden Verbrüderung aller Menschen, freier Bürger dieses Erdball. Dieses Grunddogma ist das gleiche, welches einst das Evangelium gepredigt hat, so dass die Kommunisten in Wesen und Wahrheit viel christlicher sind als unsere sogenannten germanischen Patrioten, diese bornierten Verfechter einer exklusiven Nationalität.“

    Natürlich wären heute an die Stelle der „Patrioten“ und der „Nationalisten“ andere Protagonisten der herrschenden Gesellschaftsordnung – damit ist nicht ihr demokratischer Charakter – zu setzen als damals, 1855. Und ich bin gespannt, aus welcher Ecke jetzt wieder auf den Verfasser, Heinrich Heine (!), geschossen wird.

  13. Die allfällige Doppelzüngigkeit ist es doch, die wir an Politikern ständig rügen.
    Sie sollten sich mehr der plattdeutschen Redensart befleißigen: „Do wat Du wullt, de Lüt snackt doch!“ (Mach‘, was du willst, die Leute reden doch!), also mehr ihre wahren Absichten bekunden und umsetzen, statt diese um des besseren Erfolgs beim Wahlpublikum willen zu verschleiern. Will sagen, eine kommunistisch eingestellte Politikerin sollte in einer freiheitlich-demokratischen Gesellschaft, die diesen Namen verdient, auch frei über eine so oder so geartete kommunistische Gesellschaft als Fernziel räsonieren können. Was Kritik nicht ausschließt, sondern im Gegenteil Kritik auf eine rationale statt blindwütig antikommunistische Ebene heben kann.

    „De Lüt“ reden in einem seit mehr denn hundertfünzig Jahren antikommunistischen Klima (Das „Kommunistische Manifest“ von Marx und Engels 1848 verfasst, beginnt mit den Worten: „Ein Gespenst geht um in Europa, das Gespenst des Kommunismus.“) – de Lüt reden nicht bloß doch, sondern bringen es auch noch fertig, Vertreter der LINKEN sonst nur in Dikataturen üblichen gesinnungspolizeilichen Zumutungen zu unterwerfen, wie der, sich öffentlich von dem und dem: SED-Staat, Stasi-Verbrechen usw. zu distanzieren, als würde die bescheidene Unterstützung einer rot-grünen Regierung durch ein paar gewählte Abgeordnete die „Gefahr“ einer kommunistischen Revolution heraufbeschwören.

    Wobei auch das ins öffentliche Bewusstsein implantierte Verständnis von „Revolution“ auch schon durch und durch antikommunistisch ist (es sei denn, es handele sich um solche gegen sozialistische Staaten). „Revolution“ bedeutet wörtlich „Umwälzung“ (bekannt auch durch die Revolvertrommel) , hier: der gesellschaftlichen Grundverhältnisse, und nicht „gewaltsamer Umsturz“, der geschieht in aller Regel eher durch rechte Putschisten.

    Im Kommunistischen Manifest ist übrigens auch formuliert, wie die „Diktatur (im Sinne von Vorherrschaft) des Proletariats aussehen sollte, welche die Diktatur, Vorherrschaft, des kapitalbesitzenden Bürgertums ablösen sollte, auf die Katja so gerne verzichten möchte. Der Gegenstand eines Verzichts ist aber ja gemeinhin etwas, das man eigentlich gerne hätte, sich aber aus diesem oder jenem Grunde versagt.

    Schaut man sich z.B. die Maßnahmen an, die zur „Diktatur des Proletariats“ führen sollten, man schaue etwa auf die Nummern 2., 3. 5. 8., so sind sie eigentlich immer noch hochaktuell, und ich hätte durchaus nichts dagegen, wenn sich Politiker diese zum Zwecke der Beseitigung von extremer sozialer Ungleichheit und einer finanzkrisen-geschüttelten Wirtschaft auf die Fahne schreiben würden, statt dass ich der immer weiteren Öffnung der Einkommensschere und der Stützung von privaten Banken und Bankern, die uns solche Krisen bescheren, durch den Staat etwas abgewinnen könnte.

    Auszug aus dem Manifest in einem eigenen Kommentar.

    Grüße
    Heinrich

  14. Auszug aus: Karl Marx, Friedrich Engels, Manifest der kommunistischen Partei, Teil II, Proletarier und Kommunisten:

    Wir sahen schon oben, daß der erste Schritt in der Arbeiterrevolution die Erhebung des Proletariats zur herrschenden Klasse, die Erkämpfung der Demokratie ist.

    Das Proletariat wird seine politische Herrschaft dazu benutzen, der Bourgeoisie nach und nach alles Kapital zu entreißen, alle Produktionsinstrumente in den Händen des Staats, d.h. des als herrschende Klasse organisierten Proletariats, zu zentralisieren und die Masse der Produktionskräfte möglichst rasch zu vermehren.

    Es kann dies natürlich zunächst nur geschehen vermittelst despotischer Eingriffe in das Eigentumsrecht und in die bürgerlichen Produktionsverhältnisse, durch Maßregeln also, die ökonomisch unzureichend und unhaltbar erscheinen, die aber im Lauf der Bewegung über sich selbst hinaustreiben und als Mittel zur Umwälzung der ganzen Produktionsweise unvermeidlich sind.

    Diese Maßregeln werden natürlich je nach den verschiedenen Ländern verschieden sein.
    Für die fortgeschrittensten Länder werden jedoch die folgenden ziemlich allgemein in Anwendung kommen können:

    1. Expropriation des Grundeigentums und Verwendung der Grundrente zu Staatsausgaben.
    2. Starke Progressivsteuer.
    3. Abschaffung des Erbrechts.
    4. Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen.
    5. Zentralisation des Kredits in den Händen des Staats durch eine Nationalbank mit Staatskapital und ausschließlichem Monopol.
    6. Zentralisation des Transportwesens in den Händen des Staats.
    7. Vermehrung der Nationalfabriken, Produktionsinstrumente, Urbarmachung und Verbesserung aller Ländereien nach einem gemeinschaftlichen Plan.
    8. Gleicher Arbeitszwang für alle, Errichtung industrieller Armeen, besonders für den Ackerbau.
    9. Vereinigung des Betriebs von Ackerbau und Industrie, Hinwirken auf die allmähliche Beseitigung des Unterschieds von Stadt und Land.
    10. Öffentliche und unentgeltliche Erziehung aller Kinder. Beseitigung der Fabrikarbeit der Kinder in ihrer heutigen Form. Vereinigung der Erziehung mit der materiellen Produktion usw.

    Sind im Laufe der Entwicklung die Klassenunterschiede verschwunden und ist alle Produktion in den Händen der assoziierten Individuen konzentriert, so verliert die öffentliche Gewalt den politischen Charakter. Die politische Gewalt im eigentlichen Sinne ist die organisierte Gewalt einer Klasse zur Unterdrückung einer andern. Wenn das Proletariat im Kampfe gegen die Bourgeoisie sich notwendig zur Klasse vereint, durch eine Revolution sich zur herrschenden Klasse macht und als herrschende Klasse gewaltsam die alten Produktionsverhältnisse aufhebt, so hebt es mit diesen Produktionsverhältnissen die Existenzbedingungen des Klassengegensatzes, die Klassen überhaupt, und damit seine eigene Herrschaft als Klasse auf.

    An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist.

  15. @ I.Werner #7

    „Ich bin keine fundierte Marx-Kennerin, will damit nur sagen, dass man mit solchen herausgegriffenen Zitaten, die eindeutig die Absicht haben zu diffamieren, sich sich des Verdachts einer billigen Polemik aussetzt.“

    So ist es. Zwei Gedanken bzw. Informationen dazu:

    1. Wenn man die Ideen, welche von Denkern hervorgebracht werden, nicht von den Autoren losgelöst beurteilt, kommt man in Teufels Küche. Dass Rousseau (übrigens aus finanzieller Notlage heraus) seine Kinder in einem Weisenhaus abgegeben hat, sagt, auch wenn dies ein noch so kritikwürdiger Akt gewesen wäre, überhaupt nichts aus über seine bedenkenswerten und aufgeklärten Ideen zur Erziehung.

    Als ich in Köln studierte, kursierte am philosophischen Seminar noch folgende Anekdote über den ehemaligen Nestor des Seminars, den bekannten Philosophen Max Scheler, den der damalige Oberbürgermeister Konrad Adenauer nach Köln geholt hatte. Scheler hatte sich vom katholischen Glauben losgesagt, sich scheiden lassen und neu geheiratet, nachdem er zuvor Gedanken zur katholischen Morallehre veröffentlicht hatte. Auf einem Bankett soll ihn der Kölner Erzbischof gefragt haben, wie er seinen Lebenswandel mit seinen moralphilosophischen Äußerungen vereinbaren könne. Scheler soll darauf geantwortet haben: „Haben Sie schon einmal einen Wegweiser gesehen, der in die Richtung marschiert, in die er zeigt?“.

    2. Karl Marx im Hinblick auf seine Einstellung zu Juden in einem Atemzug zu nennen wie den Antisemiten Richard Wagner, kann man nicht anders als mit dem aus dem jiddischen Stammenden Ausdruck Chuzpe bezeichnen.

    Marx stammte aus einer jüdischen Rabbinerfamilie, sein Vater hatte im Rheinland das Amt eines Justizrats inne, was ihm unter der Herrschaft Napoleons möglich war. In Frankreich waren die Juden durch die Revolution gleichberechtigte Staatsbürger geworden. Das Ziel der jüdischen „Emanzipation“ schien also erreicht. Nach der Niederlage Napoleons wurde das Rheinland aber zur preußischen Rheinprovinz, wo er sein Amt als Jude nicht hätte behalten können, weshalb er mitsamt den Kindern, Karl war damals sechs Jahre alt, zum Protestantismus übertrat. Das war damals ein gängiger ausweg von Juden, um der rechtlichen Benachteiligung und dem grassierenden Antisemitismus zu entgegen – über das Thema habe ich verschiedentlich mit Abraham hier diskutiert. Der Zeitgenosse von Karl Marx, Heinrich Heine, von dem Katrin Swoboda das schöne Zitat gepostet hat, hat erst zum evangelischen und dann zum katholischen Glauben konvertiert (oder umgekehrt), weil er meinte, die christliche Taufe sei das „„Entreebillet zur europäischen Kultur“. Jedoch musste er, wie andere Juden zu der Zeit und erst recht später, mit der Etablierung des rassistischen Antisemitismus, feststellen: Einmal Jude, immer Jude.

    Der junge, aber gesellschaftskritische Karl Marx hielt nichts von solchen individuellen Versuchen der „Emanzipation“, sondern verfasste eine Schrift „Zur Judenfrage“, in welcher er hervorhob, dass die „politische Emanzipation“ als Rechtsgleichheit im Staatnoch nicht die Gleichheit in der Gesellschaft bedeutet. Er bringt in seiner Schrift die Juden mit ihrer traditionellen Rolle zusammen, die sie in Zusammenhang mit Geld und Zins einnahmen (seit dem Mittelalter gezwungen waren einzunehmen) und spiegelt die entsprechenden Vorurteile wider, um zu dem Schluss zu kommen, dass das darin manifestierte Bild vom Judentum in Wahrheit den Kapitalismus überhaupt beschreibe.

    Soweit meine, zugegeben oberflächliche, Interpretation der Schrift, auf die sich zumal Rechte immer wieder berufen, um ihre eigene antisemitische Einstellung einem Juden selbst in die Schuhe schieben zu können (was hier natürlich keineswegs von Katja Wolf behauptet werden soll. Marx schreibt hier noch in einem interpretationsbedürftigen, an die Hegelsche Dialektik eng angelehnten Stil. In den Sätzen:

    „Das Judentum erreicht seinen Höhepunkt mit der Vollendung der bürgerlichen Gesellschaft; aber die bürgerliche Gesellschaft vollendet sich erst in der christlichen Welt.(…) Das Christentum ist aus dem Judentum entsprungen. Es hat sich wieder in das Judentum aufgelöst.
    Der Christ war von vornherein der theoretisierende Jude, der Jude ist daher der praktische Christ, und der praktische Christ ist wieder Jude geworden.“

    will er m.E. den historischen Entstehungszusammenhang zwischen der Geldwirtschaft und dem Zinskapital, welches jüdische Domäne war (Christen war das Zinsnehmen im Mittelalter verboten, und Juden war sowohl der Grundbesitz als auch das zünftische Handwerk verboten) und dem Industriekapitalismus beschreiben, der in „christlicher“ Hand war, wie das Bankenkapital übrigens, entgegen der Nazi-Propaganda, weitestgehend auch.

    Zum Schluss eine Anakdote zum Herausreißen von Zitaten aus dem Zusammenhang:

    In den fünziger Jahren verließ der Papst Rom noch nur bis in seine sommerresidenz in den Bergen, ein Relikt von Protest noch aus der Entstehungszeit des italienischen Staates, wo der ehemalige Kirchenstaat bis auf das Rumpfgebilde Petersdom und Vatikan aufgelöst wurde, und daher hatte er für Auslandsreisen einen „Außenminister“. Das war damals ein stockkonservativer Kurienkardinal, Ottaviani, der bei einem Besuch in New York von Journalisten beim Verlassen des Flugzeugs provokant gefragt wurde: „Werden Sie in New York auch leichte Mädchen besuchen?“, worauf er bissig antwortete: „Gibt es in New York leichte Mädchen?“

    Am nächsten Tag erschien in der Zeitung die Nachricht: „Erste Frage des Kardinals beim Verlassen des Flugzeugs: „Gibt es in New York leichte Mädchen?“

    Grüße
    Heinrich

  16. @heinrich
    Sachlich gefragt: Gibt es eigentlich (ernsthafte) Untersuchungen über Marx‘ Geisteszustand?

  17. Die zitierten Maßnahmen aus dem kommunistischen Manifest zeigen deutlich, daß das mehrfache jämmerliche und auch blutige Scheitern der meisten Versuche, einzelne Nationen zum Kommunismus hin zu entwickeln, schon in diesem Forderungskatalog des Manifests vorgezeichnet ist. Es sei nur einmal auf die Geisteshaltung hingewiesen, die hinter „Konfiskation des Eigentums aller Emigranten und Rebellen“ steckt… all jene, die in der kommunistischen Gesellschaft keine Kommunisten sind (also Rebellen, oder Auswanderer, die den K. nicht mehr aushalten wollen), müssen schikaniert und bestraft werden. Man sieht, wie mit Pluralität umgegangen wird… Repression in Richtung der Staatsideologie… oder die Nichtkommunisten sollen gefälligst auswandern. Wenn Dr. Kurt Dockhorn also behauptet: „“Kommunismus” meint nämlich eine Gesellschaft in der alle Menschen gleichberechtigt und frei sind.“, dann ist das sein (und anderer) Hirngespinst. In der kommunistischen Gesellschaft sind daher erstmal, wie man sieht, nur die überzeugten Kommunisten (untereinander) gleichberechtigt. Das macht aber nichts, denn die kommunistische Gesellschaft ist überhaupt so toll, daß niemand der in ihr Lebenden überhaupt noch Nichtkommunist sein möchte… wer es dennoch will, hat noch nicht das richtige Bewußtsein, ist irgendwie krank im Kopf, hat daher bei penetranter Heilungsverweigerung Schikanen und Drangsalierungen verdient (= Erziehungsmaßnahmen zum „Besseren“ natürlich), oder man gibt ihm die Möglichkeit, mit seiner Kleidung am Leibe und mehr nicht das Land zu verlassen. Tolle „Gleichberechtigung“, von der sicher jeder träumt! Gesellschaftlicher Pluralismus ist ja schön und gut, aber angesichts einer Heilslehre, die die beste nur denkbare Organisationsform des menschlichen Miteinanders beschreibt, ist er natürlich völlig überflüssig, denn wieso sollte jemand etwas anderes, also schlechteres als das Beste wollen? In diesem Ansatz steckt schon die Diktatur. Und eben auch die Oberlehrerhaltung des Kommunisten: Er weiß doch, was für die Menschen am Besten ist, und zwar alle.

    Zu den anderen Punkten könnte man auch noch vieles sagen. Wissen denn alle, die heute Loblieder auf den Kommunismus singen, daß sie „Gleicher Arbeitszwang für alle“ erwartet? Oder, wie es Engels vorschwebte, sozusagen statt Hartz IV: „Die zweite Maßregel wäre eine totale Reorganisation des Armenwesens, derart, daß die sämtlichen brotlosen Bürger in Kolonien untergebracht würden, in welchen sie mit Agrikultur- und Industriearbeit beschäftigt und ihre Arbeit zum Nutzen der ganzen Kolonie organisiert würde.“ Wer sich dem entzieht, bestiehlt die Gemeinschaft. Kaum erstaunlich, daß es in den Regimen der linken Sozialisten (wie auch der rechten) immer auch reichlich Zwangsarbeitslager gab, der logische Endpunkt, auf den sich solche Vorstellungen hinentwickeln. Arbeitslager werden erst dann impraktikabel, wenn die Arbeitsbummelei ein bestimmtes Ausmaß überschreitet, man also praktisch die gesamte Bevölkerung in Arbeitslager sperren müsste.

    Kommunismus gehört in meinen Augen, ich sagte es schon, wie Religionen, in die Kategorie der „Heilslehren“. Es ist nicht unmöglich, daß sich kleinere Gruppen so einer Heilslehre verschreiben und nach ihren Prinzipien einigermaßen dauerhaft leben. Das ist in einer Kommune ebenso möglich wie in einem Kloster. Auf der Ebene einer Nation können Gottesstaaten ebenso wie kommunistische Staaten m.E. immer nur auf Zeit bestehen, früher oder später haben ausreichend genug Menschen von der Gleichschaltung = der allgemeinen Verpflichtung auf die von der Heilslehre vorgegebenen Dogmen die Nase voll, sodaß eine Revolution der Revolution geradezu zwangsläufig wird.

  18. @ # 16 Heinrich

    Da Du Dich auf unsere früheren Diskussionen berufst, will ich trotz Zeitmangel (aber wegen diesem nur kurz) antworten. Die Schrift „Zur Judenfrage“ (http://www.mlwerke.de/me/me01/me01_347.htm), vom „jungen“ Karl Marx ist sicher nur aus ihrem zeithistorischen Kontext zu verstehen. Deiner „zugegeben oberflächlichen Interpretation der Schrift“ will ich nicht widersprechen. Mag auch sein, dass sich auf diese Schrift „Rechte immer wieder berufen, um ihre eigene antisemitische Einstellung einem Juden selbst in die Schuhe schieben zu können“.

    Das ändert nichts daran, dass Marx auch Sätze schreibt, die vollumfänglich antisemitische Vorurteile wiedergeben: „Welches ist der weltliche Grund des Judentums? Das praktische Bedürfnis, der Eigennutz. Welches ist der weltliche Kultus des Juden? Der Schacher. Welches ist sein weltlicher Gott? Das Geld.“ Zusammen mit den „privaten“ Äußerungen aus späterer Zeit lassen sie die Bewertung zu, dass Marx nicht frei von antisemitischen Vorurteilen war. Seine jüdische Abstammung exkulpiert Marx nicht; er hat von der jüdischen Religion (was sich an einzelnen Passagen der Schrift „Zur Judenfrage“ belegen lässt) keine Ahnung, von der jüdischen Tradition seines Rabbiner-Großvaters hat er sich vollständig abgewandt. Im Übrigen steht er damit im Gegensatz zu Heinrich Heine, den Du ebenfalls erwähnt hast. Heine hat sich als Mitglied der „Gesellschaft für die Wissenschaft des Judentums“ mit der jüdischen Tradition und Geschichte intensiv beschäftigt, was sich auch in seinem „Rabbi von Bacharach“ zeigt.

    Auf die Frage, ob Marx ein Antisemit war, würde ich (verkürzt) mit einem ja antworten. Das bedeutet noch keine Entwertung seiner philosophischen und sozio-ökonomischen Schriften, darin stimme ich mit Dir überein. Es zeigt aber auch, dass die „Linke“ keine Immunität gegen den Virus des Antisemitismus besitzt, wie es auch die spätere Geschichte kommunistischer Parteien belegt.

  19. @ Heinrich

    Jutta Rydzewski hat oben in # 6 geschrieben, dass sie den Kommunismus für eine „wunderschöne Philosophie“, „ein Ideal“, „eine Utopie“ hält, „die nie mit den Menschen zu machen“ sei.
    Dem stimme ich voll und ganz zu, wobei ich, wohlgemerkt, Marx’ Theorien als Kapitalismuskritik sehr wertvoll und hilfreich finde
    Ich kann mir aber nicht vorstellen, wie es jemals eine „klassenlose Gesellschaft“ geben sollte. Denn erstens gibt es dafür von unserer Spezies viel zu viele Exemplare, womit tendenziell immer eine Knappheit an Nahrung, Behausung, Energie usw. vorherrschen wird. Und zweitens wird es auch immer irgendwelche „Alpha-Tiere“ unter uns Menschen geben, welche die Macht an sich reißen und sich damit begnügen, dem großen Rest „den richtigen Weg zu weisen“, während sie selbst geflissentlich in die entgegengesetzte Richtung gehen. Dagegen ist eben leider auch der Kommunismus nicht gefeit, oder?

  20. @Anna
    Es haben vor allem diejenigen einen Blick für des Kommunismus „wunderschöne“ philosophische Seite, die ihn nicht selbst erleben mussten.

  21. Lieber Abraham,

    danke für deine Antwort, und: schön, von dir zu hören! Ich hatte mich nicht auf dich berufen, sondern daran erinnern wollen, dass wir seinerzeit die Geschichte des Antisemitismus detailliert im Blog behandelt haben.

    Nun, du hast wenig Zeit und ich habe meine Aktivitätsschwerpunkte aufgrund meiner persönlichen Situation verschoben, und eigentlich war mein Thema hier Marx und der Kommunismus, mit wenig motivierender Resonanz leider.

    Trotzdem folgende Antwort: Ich halte dafür, den Antisemitismus als konkret-historische gesellschaftliche Erscheinung zu untersuchen und ihn nicht als überhistorisch virulenten Virus anzusehen. So wirst du das nicht meinen, das will aber sagen: Marx ist nicht verantwortlich für unzweifelhafte antisemitische Entgleisungen und Fehlentwicklungen in den osteuropäischen herrschenden kommunistischen Parteien. Und auch die sozialistische Arbeiterbewegung Deutschlands war trotz des Diktums von August Bebel, dass der Antisemitismus der Sozialismus der dummen Kerle sei, nicht dagegen gefeit.

    Gleichwohl fasste der Antisemitismus dort bekanntlich deutlich weniger Fuß als in bürgerlichen und kleinbürgerlichen Kreisen.

    Was die Haltung von Marx betrifft, so muss sie in Bezug auf deine Zitate aus „Zur Judenfrage“ offen bleiben, da sie im Kontext, wie erwähnt, mehrdeutig erscheinen. Nach dem marxistischen Philosophen W.F. Haug stellten die Ausführungen von Marx „im Gegenteil einen Generalangriff auf allen christlich-bürgerlichen Antisemitismus“ dar Marx habe demnach in „Zur Judenfrage“ gar nicht den Kapitalismus mit dem Juden (und umgekehrt) identifiziert, sondern in der Sprache Bruno Bauers eben diesem seine eigenen Vorurteile zurückgespiegelt. So in dem verlinkten Text von Mathias Brodkorb.

    http://www.endstation-rechts.de/index.php?option=com_k2&view=item&id=4256:zur-judenfrage-war-marx-antisemit?&Itemid=618

    In seinen Beschimpfungen gegen Juden äußert sich m.E., so schlimm und unpassend uns das aus heutiger Sicht erscheinen mag, zeitgenössisch rabiate Formen von Konkurrenzgebaren gegen publizistische oder politische Gegenspieler. Wenn er z.B. den Ostjuden Lassale als „schmutzigen Juden“ tituliert, so ist das ein Sprachgebrauch, den er selber vielfältig und schlimmer, z.B. von Bakunin, zu erdulden hatte. Differenziertere Auseinandersetzungen mit der Frage gehen an die Sache psychologisch heran: seine Vorfahren waren über viele Generationen geachtete und z.T. berühmte Rabbiner, der Vater konvertiert aus Oppotunitätsgründen zum Christentum, der Sohn kehrt sich von der Familie ab und wird im Gefolge Feuerbachs zu einem der radikalsten Kritiker der Religion überhaupt, was m.E. fatale Folgen für die Religionspolitik seiner Adepten in der USSR und den Ostblockstaaten hatte.

    Was mich trotz seiner gelegentlichen Tiraden gegen Juden davon abhält, in Marx einen Antisemiten zu sehen, ist, dass ich getreu meiner konkret-historischen Betrachtungsweise wohl einen etwas anderen Begriff von Antisemitismus pflege. Der Antisemitismus der Zeit war im Grunde ein Reflex auf die Judenemanzipation in Frankreich und die entsprechenden Bestrebungen von Juden in Deutschland. Bildungsbürgerliche Kreise sahen in gebildeten jüdischen Zeitgenossen schlicht eine potenzielle Konkurrenz, so wie sie hundert Jahre später erfolgreich bestrebt waren, die Juden aus dem akademischen Betrieb herauszubekommen. Karl Marx hat jedoch im Gegenteil sich nicht nur von vornherein für die Emanzipation der Juden ausgesprochen, sondern ihm erschien die bloß rechtliche Emanzipation nicht weitgehend genug, seine Utopie war es, alle sozialen Unterschiede überhaupt, jenseits religiöser Differenzierungen und Diskriminierungen, in einer neuen Gesellschaft aufzuheben.

    Das schließt aber keineswegs aus, dass ich deinem Urteil aus heutiger, durch NS und Auschwitz sensibilisierter, Sicht durchaus folgen kann.

  22. Liebe Mitdiskutierende,

    ich möchte hier nicht über Antisemitismus räsonieren, ob von Marx oder sonst jemandem, ohne darauf zu verweisen, dass heute, anlässlich der Befreiung der Lager von Auschwitz durch die Rote Armee am 27. Januar 1945, der „Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus“ bzw. der „internationale Holocaust-Gedenktag“ ist.

    http://www.lpb-bw.de/auschwitz.html

    Um 14:45 Uhr wird auf Arte die sehr sehenswerte Dokumentation „Zeugnis geben über Auschwitz“ wiederholt, die gestern Abend bereits gezeigt wurde.

    Grüße
    Heinrich

  23. @ Anna

    Auch dich begrüße ich recht herzlich, schön, von dir zu lesen!

    Der so schön zornig und engagiert geschriebene Beitrag von Jutta war auch mir ein Lichtblick, allein, ihm so vorbehaltlos zuzustimmen wie du vermag ich nicht. Marx hätte sich dafür bedankt, wenn man seine Geschichts- und Gesellschaftstheorie als „wunderbare Philosophie“ betrachtet hätte, denn gerade er setzt den spekulativen Philosohischen Theorien seine abschließende These über Feuerbach entgegen: „Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kömmt aber darauf an, sie zu verändern.“

    Immerhin vermerkt sie richtig, „Kommunismus hat es auf dieser Welt auch noch nie gegeben, trotz der Schwätzer“, das schließt aber nicht aus, dass man die Theorie des Kommunismus, auch als Option von Politikern, erst einmal richtig rezipieren, vorurteilsfrei betrachten und erst asuf dieser rationalen Grundlage seriös beurteilen kann.

    Jörg Schindler und Holger Schmale gehen die Sache, im Vergleich zu so manchen anderen Medienkommentaren, erfreulich sachlich an und wundern sich zurecht über das Geschrei, das Gesine Lötzsch ausgelöst hat.

    Man kann das gelungen finden oder nicht, aber die Partei „Die Linke“ vereinigt nun einmal, bedingt durch ihre Entstehungsgeschichte, sowohl Linkssozialisten („Demokratische Sozialisten“) als auch von der SPD enttäuschte Sozialdemokraten als auch ausdrücklich Kommunisten unter einem organisatorischen Dach, letztere sogar in einer eigenen, „Kommunistische Plattform“ genannten Unterorganisation. Dass die Partei deshalb durch interne Flügel- und Fraktionskämpfe weitgehend absorbiert ist, wird von Jutta angemerkt, das gibt es bei anderen Parteien auch, und ist doch altbekannt und kein Grund für hysterische öffentliche Reaktionen.

    Aber die LINKE steckt nochmal in einem besonderen Dilemma: Kommunisten unterscheiden sich von Demokratischen Sozialisten durch eine grundsätzlich andere Zielsetzung, das lässt sich nicht verschleiern dadurch, dass man das Wort „Kommunismus“ nicht benutzt („Bodo Ramelow“).

    Bronski sieht m.E. richtig, dass Lötzsch mit ihrem Traktat „nach innen zielt, ins Herz einer in Wirklichkeit zerrissenen Partei“. Wie weit sie damit kommt, hängt allerdings davon ab, wohin genau sie zielt. Die von Bronski herabwürdigend so genannten „Erz-Marxisten“ täten m.E. gut daran, sich mit der zur Sekte heruntergekommenen DKP, die ja den Kommunismus in ihrem Namen trägt, in einer gesonderten Partei zu organisieren und mit den Linkssozialisten zwischenparteilich zu kooperieren, statt in einer gemeinsamen Partei zu versuchen „irgendwie miteinander auszukommen“. Dagegen, ebenso wie gegen einen Unvereinbarkeitsbeschluss der sozialistischen Mehrheit, stehen vermutlich zu viele kommunistisch eingestellte Sympatisanten der Ex-SED, deren Nachfolge die PDS angetreten hat und an welcher Hypothek die Linke nun zu tragen hat. Aber das sind meine Spekulationen.

    Auf die kommunistische „Utopie“ und deine Mutmaßungen über die qualitativen und quantitativen Merkmale unserer „Spezies“ gehe ich ggf. noch gesondert ein.

    Grüße
    Heinrich

  24. @ Heinrich

    Lieber Heinrich,
    erstmal vielen Dank für deine Ausführungen und die freundliche Begrüßung.
    Es scheint mir, dass es verschiedene Auffassungen darüber gibt, was Kommunismus bedeutet und worauf dieser abzielt. Viele scheinen aber Kommunismus immernoch automatisch mit dem Realsozialismus der früheren DDR gleichzusetzen und reagieren deshalb so allergisch, sobald das K-Wort fällt.
    Ich persönlich finde aber die Idee „einer klassenlosen Gesellschaft“ sowie die „Abschaffung von Privatbesitz“ rein theoretisch schon als erstrebenswerte Ziele, bezweifle aber, wie oben bereits erwähnt, ob sich die Menschheit jemals in diese Richtung bewegen wird.
    Ich hoffe sehr, dass du noch „gesondert“ auf die kommunistische Utopie und meine Bedenken bezüglich unserer Spezies eingehen wirst und bin schon ganz gespannt darauf.
    Herzliche Grüße
    Anna

  25. @ Lieber Heinrich,

    sicher spricht vieles dafür, „den Antisemitismus als konkret-historische gesellschaftliche Erscheinung zu untersuchen“, der sich im 19. Jahrhundert vor allem aus der Ablehnung der „Judenemanzipation“ speiste. Doch damit lässt sich das „Wesen des Antisemitismus“ mit seinen Erscheinungen seit der Antike bis zur Gegenwart – die auch unabhängig von der tatsächlichen gesellschaftlichen Präsenz von Juden auftreten – doch nicht vollständig fassen. Dies versuchte ich mit dem unzulänglichen Bild eines „Virus“ anzudeuten.

    Es stimmt, dass Marx ein Kind seiner Zeit und selber antisemitischen Anfeindungen ausgesetzt war, was allerdings seinen „privaten“ Antisemitismus (anders kann ich seinen Sprachgebrauch nicht nennen) nicht besser macht. Dass ein Sozialist, der sich von der jüdischen Religion abgewendet hat, eine andere Einstellung zum Judentum bewahren konnte, zeigt Eduard Bernstein.

    Lenins Terror und Stalins Massenmorde (und sein mörderischer Antisemitismus) folgen nicht zwingend aus „Marx“. Doch die Frage muss erlaubt sein, wie weit die von Marx und Engels vertretene „Diktatur des Proletariats“ die Voraussetzungen dafür schaffte. Das von Dir gelobte Diktum „Kommunismus hat es auf dieser Welt auch noch nie gegeben, trotz der Schwätzer“ ist nämlich nur die halbe Wahrheit. Immerhin hat es Länder gegeben, die sich unter Führung einer als „proletarische Vorhut“ selbsternannten Partei nach eigenem Verständnis auf den Weg zum Kommunismus aufgemacht haben. Dabei waren es die von Dir aus dem „Kommunistischen Manifest“ zitierten Punkte, die als Richtschnur dienten und zum Teil umgesetzt wurden, wenn auch möglicherweise im anderen Sinne, als es Marx vorschwebte. Kann man ihn trotzdem von einer Mitverantwortung für das Ergebnis eines menschlichen, aber auch ökonomischen Fiaskos gänzlich freisprechen?

  26. @ #23 Heinrich

    … und sicherlich findet man irgendwo auch die Rede, die heute Zoni Weisz als erster Roma vor dem Bundestag gehalten hat.

  27. @ Anna

    Ja, will ich gerne tun. Ich könnte eine halbe Doktorarbeit darüber schreiben, zu einer ganzen reicht es leider nicht mangels des erforderlichen Intellekts und der erforderlichen Zeit, denn ich bin im Ruhestand.

    1. Wenn Jutta Rydzewski die „soziale Gerechtigkeit“ als „Markenkern der Linken ansieht, so ist damit genau die Scheidelinie zwischen Sozialisten und Kommunisten markiert. Marx zielt nicht auf „soziale Gerechtigkeit“, sondern auf Transformation der kapitalistischen Produktionsverhältnisse. Er entwickelt dies zumal in seiner „Kritik des Gothaer Programms“, des Lassalleschen „Allgemeinen Deutschen Arbeitervereins (ADAV)“, der sich später mit der „Sozialdemokratische Arbeiterpartei (SDAP)“ von August Bebel und Wilhelm Liebknecht zur SPD zusammenschloss.

    In einer mustergültigen Textanalyse legt Marx die Widersprüche des Lassalleschen Programms offen und kritisiert zumal das „Gerechtigkeits“-Motiv. Was ist sozial gerecht unter den Bedingungen von Lohnarbeit, die nur die andere Seite des kapitalistischen Eigentums ist? Das Gerechtigkeitsmotiv kommt aus dem vorkapitalistischen zünftigen Handwerk, so wie sich damals ein Großteil des ADAVs aus der Gesellenbewegung rekrutierte. Ein „gerechter“ Meister, der „gerechte“ Lohn, „gerechte“ Arbeitsanforderungen“, das hieß allgemein soviel wie „gut“, ähnlich dem biblischen Sprachgebrauch. Ein irgendwie objektivierbarer Maßstab lässt sich daraus jedoch nicht gewinnen. Wie hoch dürfen sozial gerechte Managergehälter sein, wie hoch Unternehmergewinne, was wäre ein sozial gerechter Mindestlohn? Darauf können, so auch meine Erfahrung in Diskussionen, die Verfechter eines „sozial gebändigten Kapitalismus“ allenfalls willkürliche Antworten geben.

    Zudem: was Marx schon an den utopischen (!) Sozialisten und Kommunisten kritisiert, ist deren, auch bei Lassalle und den zeitgenössischen Vertretern der sozialen Gerechtigkeit wieder auftauchende Konzentration auf die Verteilungsfrage des produzierten Reichtums. Er setzt hingegen mit seiner Kritik an den Produktions- statt den Konsumptionsbedingungen an. Dem Kapitalismus, deswegen müsse er überwunden werden, ist nicht die Bedarfsdeckung der Menschen mit Gebrauchswerten das Motiv der Produktion, sondern die Erzeugung von Tauschwerten zum Zwecke der Profitbildung. Die Verwertungsbedingungen der eingesetzten Kapitalien werden aber in der Tendenz immer schlechter, das führt, so seine Prognose, irgendwann dazu, dass die Produktionsverhältnisse zu Fesseln der ökonomischen Weiterentwicklung werden. Wenn dieser Punkt erreicht sein wird, wird es im Interesse der Produzierenden liegen, als Träger der persönlichen Produktionsmittel (Arbeitskraft) auch das sachliche Kapital an sich zu reißen und es so, in Gemeineigentum überführt, zu einer produktiveren und Bedarfsorientierteren Nutzung gebrauchen.

    Voraussetzung dafür ist allerdings, daran lässt er überhaupt keinen Zweifel, dass die Produktivkräfte erst unter den Bedingungen des Kapitalismus voll entfaltet worden sind.
    In einer Übergangsphase gilt dann das Wertgesetz noch, die Produzenten können über Wertgutscheine ihr Produkt gegen gleichwertige Konsumptionsartikel eintauschen.

    „In einer höheren Phase der kommunistischen Gesellschaft, nachdem die knechtende Unterordnung der Individuen unter die Teilung der Arbeit, damit auch der Gegensatz geistiger und körperlicher Arbeit verschwunden ist; nachdem die Arbeit nicht nur Mittel zum Leben, sondern selbst das erste Lebensbedürfnis geworden; nachdem mit der allseitigen Entwicklung der Individuen auch ihre Produktivkräfte gewachsen und alle Springquellen des genossenschaftlichen Reichtums voller fließen – erst dann kann der enge bürgerliche Rechtshorizont ganz überschritten werden und die Gesellschaft auf ihre Fahne schreiben: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“

  28. @ Abraham

    In Bezug auf den Antisemitismus sind wir nicht so weit auseinander, wie es vielleicht scheint. Davon verstehst du außerdem mehr, und insofern folge ich deiner Argumentation. Von der Antike bis zur Gegenwart gibt es ohne Zweifel eine Kette von Judenfeindlichkeit und Antisemitismus, die durch Kontinuität und Diskontinuität gekennzeichet ist. Ob der Virus jeweils erneut ansteckt oder sich historisch konkret jeweils neue Aktualitäten herausbilden, ist eine akademische Frage. Wie du weißt und was du vielleicht mit mir teilst, stehe ich aber dem Topos „Der ewige Antisemit“ als Reflex auf den Topos „Der ewige Jude“ kritisch gegenüber.

    Was meine halbe Wahrheit betrifft, hatte ich ohnehin folgende Ergänzung im Sinn:

    Marx war m.E. ein Genie, und eine Reihe seiner Erkenntnisse sind noch gar nicht eingeholt, geschweige denn überholt. Dazu gehört zumal seine „Kritik der Politischen Ökonomie“. Vor einigen Jahren hat der Leiter der Londoner Staatsbibliothek die Einführung einer Benutzungsgebühr damit begründen wollen, dass, hätte es die im 19. Jh. schon gegeben, Marx sein „Kapital“ nicht hätte verfassen können. Tatsächlich war er mittellos und ließ sich von dem Fabrikantensohn F. Engels alimentieren und hat über zehn Jahre dort gesessen, um alle bis dahin verfassten ökonomischen Theorien zu studieren, bevor er sein kritisches Werk abfasste.

    Aber er war natürlich kein unfehlbarer Papst. Neben einer ganzen Reihe auch von marxistischen theoretikern revidierten sachlichen Fehlern in seinem Werk irrte er vor allem in zweierlei Hinsicht:

    1. Er unterschätzte, indem er dein Kapitalismus praktisch für am Ende hielt, total dessen Wandlungs- und Innovationsfähigkeit, die trotz aller Krisen offenbar andauert. Die Frage, die es sich zu erörtern lohnte, ist allerdings: verschärfen sich die Krisen, und welchen Preis fordert unter der Maßgabe dann die Aufrechterhaltung dieses Wirtschaftssystem von der Mwnschheit und ihrem Wohlergehen.

    2. Er überschätzte jedenfalls total die Bereitschaft oder konkret historische Fähigkeit des empirischen Proletariats der entwickelten kapitalistischen Länder, als Klasse den revolutionären Umsturz zu bewerkstelligen.

    Dass die Revolution, statt, wie erwartet und theoretisch konzipiert, nicht im entwickeltsten, sondern im rückschrittlichsten Land Europas ausbrach, ist eine Ironie der Geschichte der besonderen Art. Lenin war noch davon ausgegangen, dass die deutsche Arbeiterbewegung- und klasse sich der Sowjet-Revolution anschließen und ganz Europa mitreißen würde. Als dies ausblieb, versuchte er, nach Bürgerkrieg und Zurückschlagen der Interventionsarmeen, die zweifelsfreien Errungenschaften der Sowjetrepublik gegenüber dem Zarenreich, zu retten, gegen das das Deutsche Reich mit ähnlichen „hunanitären“ Argumenten in den Krieg eingetreten ist wie sie heutzutage für Interventionen ins Spiel gebracht werden, mit eiserner Hand einen „Sozialismus in einem Land“ zu etablieren, mit den Deformationen des kommunistischen Konzepts, wie du sie mit Recht benennst und wie sie durch den Diktator Stalin in seinem Einflussbereich verstärkt bewirkt wurden, um einen Schutzschild gegen solcherart Bedrohungen der SU zu errichten, wie sie sie durch Nazideutschland erlebt hatte.

    Marx freisprechen oder nicht, das sind da nicht meine Kategorien, sondern historisches Verstehen unter Vermeidung von wohlfeilen moralischen Urteilen.

    Was Bronski oben über die Erfahrungen Deutschlands mit dem Kommunismus gemacht hat, sind wohlfeile Verdikte. Es darf als gesichert oder jedenfalls einigermaßen wahrscheinlich gelten, dass Die DDR zu Beginn ein wichtiges, wenn nicht notwendiges antifaschistischens Bollwerk war gegen die Gefahr eines militärischen Roll Back gegen die Sowjetunion. Mit dem Bau der Mauer kehrte sich das jedoch um, und der „antifaschistische Schutzwall“ war nichts als ein defensiver Legitimationsversuch eines in politischer und ökonomischer Hinsicht verfehlten Regimes, das in einem Atemzug mit dem Faschismus „totalitär“ zu nennen ich mich jedoch scheuen würde.

    Kurz und gut zusammengefasst: ob man Kommunismus MIT den Menschen machen kann, sei dahingestellt, GEGEN die Menschen ihn machen zu wollen ist aber auf jeden Fall verfehlt und ganz bestimmt nicht im Sinne des Erfinders.

  29. Liebe Anna,

    bevor das tatsächlich noch den Umfang einer halben (Schweizer) Doktorarbeit annimmt, möglichst knapp zu den übrigen beiden Aspekten.

    Was die Exemplare der Spezies anbetrifft, so haben wir allgemein seit langem zuviel davon, es sei denn, es handle sich um solche deutscher Abstammung, die gilt es zu erhalten und zu vermehren.

    Das Überbevölkerungs-Theorem hat schon vor über zweihundert Jahren ein Mann namens Thomas Robert Malthus ins Spiel gebracht, und seinen Warnungen zuvolge hätte aufgrund des exponenziellen Bevölkerungsanstiegs im Vergleich zum linearen Anstieg der Nahrungsmittelproduktion schon längst die Katastrophe eintreten müssen. Aber es gibt ja zum Ausgleich immer wieder Menschengruppen, die Völkermorde veranstalten an anderen, vorher als nicht so genehmen erklärten Menschengruppen.

    Friedrich Engels hat damals darauf geantwortet, indem er die sog. Überbevölkerung, die damals bei der Arbeiterklasse ausgemacht wurde, heute bei den Afrikanern und Asiaten, als ein Produkt des Kapitalismus spezifizierte, was Marx später zu seiner Theorie der für das Kapital notwendigen „Industriellen Reservearmee“ ausbaute.
    Ich weiß nicht, ob Marx oder Engels das Größere Genie war, Marx war ein studierter und promovierter Mann, aber Engels hatte bloß den Realschulabschluss und hat mit den wissenschaftlcihen Geistesgrößen seiner Zeit gestritten. Er war einer der ganz Frühen, die die Bedeutung des Darwinismus erfasst und gewürdigt haben.
    Darauf baut u.a. eine sehr lesenswerte fragmentarische Schrift auf mit dem Titel: Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen auf.

    http://www.mlwerke.de/me/me20/me20_444.htm

    Darin wird der Unterschied zwischen tierischen Gesellungseinheiten und menschlichen Gesellschaften entwickelt. Im Gegensatz zu den Tieren entwickeln demnach ihre gesellschaftlichen Verkehrsformen historisch je nach Stand der Produktion weiter. So entsteht irgendwann die Arbeitsteilung zwischen Männern und Weibern und damit das Patriarchat, aber das bleibt nicht anthropologisch konstant, sondern mit der weiteren Entwicklung werden irgendwann nach Jahrtausenden aus Alphamännchen im Vergleich zu starken und ggf. mächtigen Frauen kleine Gamma-Würstchen.

    Auf diese Weise bilden sich dann auch die Klassengesellschaften heraus. Aus einer tatsächlich ursprünglich kommunistischen, aber wenig produktiven Urgesellschaft bildet sich nacheinander erst eine Sklavenhalter-, dann eine Feudal- und dann eine kapitalistische Gesellschaft. Die wird dann nach der Sichtweise von Marx, so schlösse sich der Kreis, wieder durch eine klassenlose kommunistische Gesellschaft abgelöst.

    Das muss man natürlich alles nicht teilen, aber bietet in konkreto dem Geschichts-Interessenten mehr als eine bloße fantastische Utopie zum Nachdenken und zur Erkenntnis.

    Findet jedenfalls, damit erst einmal abschließend, mit vielen Grüßen der
    Heinrich

  30. @ Heinrich

    Na, das hört sich wahrlich sehr utopisch an – darauf können wir wohl noch lange warten 😉

  31. @ Heinrich # 31

    Tja, sehr hilfreich und äusserst geistreich deine halbe (Schweizer) Doktorarbeit. Da hast du dich mal wieder selbst übertroffen 🙂

  32. @23 Heinrich

    Zunächst möchte ich mich für den Hinweis hinsichtlich des Beitrags „Zeugnis geben über Auschwitz“ auf Arte bedanken. Eine ergreifende Dokumentation, die auch während des Anschauens Zeit zum Nachdenken lässt. Wer ernsthaft der Auffassung ist, nun muss doch endlich auch mal Schluss sein, 65 Jahre danach, oder wer ähnliche Sprüche aus sich herauspresst, sollte dazu verpflichtet werden, sich diese Doku anzusehen. Eventuell ist dann noch eine Heilung möglich.

    Noch einige Anmerkungen zum heutigen Gedenktag. Bundespräsident Christian Wulff hat an die Deutschen appelliert, die Verbrechen der Nationalsozialisten an der Menschheit nicht zu vergessen. Die Deutschen seien aufgerufen, „hierfür ewig einzustehen“, sagte Wulff am Donnerstag in Auschwitz-Birkenau, am 66. Jahrestag der Befreiung des Vernichtungslagers. „Wir tragen alle dafür Verantwortung, dass ein solcher Zivilisationsbruch nicht wieder geschieht“, sagte der Präsident.

    Jedes Wort unterschreibe ich, Herr Präsident. Diese singulären Menschheitsverbrechen, für die jeder Deutsche, jetzt und für alle Zukunft, auf immer und ewig in der kollektiven Verantwortung steht, dürfen in der Tat nie vergessen, und an sie muss auch immer wieder erinnert werden. Das, was in Auschwitz-Birkennau, und in anderen Menschenvernichtungslagern geschehen ist, vermag ich nicht in Worte zu fassen, dafür gibt es auch keine angemessene Wortwahl. An diesen Orten hatte das Menschsein aufgehört zu existieren, bei Opfern und Tätern. Unvorstellbar was die Opfer erleiden mussten, aber auch unvorstellbar zu was Menschen fähig sind.

    So sehr ich alles unterschreibe, was heute von Herrn Wulff anlässlich des Holocaust-Gedenken in Auschwitz zum Ausdruck gebracht wurde, muss ich dennoch an den damaligen Ministerpräsident Wulff erinnern, der im Jahre 2008, in einer Talkshow gesagt hat: „Ich finde, wenn jemand 40 Millionen Steuern zahlt und zehntausende Jobs schafft, dann muss ich nicht gegen den eine Pogromstimmung entwickeln, sondern dann kann ich sagen, er leistet einen wesentlichen Beitrag zu unserem Land und zu unserem Gemeinwesen.“ Eine Ungeheuerlichkeit, exakt drei Tage vor dem 70. Jahrestag der Reichspogromnacht. Herr Wulff entschuldigte bzw. ließ sich zwar, auf öffentlichen Druck, durch eine Sprecherin entschuldigen, bedauerte aber lediglich die Verwendung des Wortes Pogromstimmung, während er ansonsten nichts von seinen inhaltlichen Aussagen zurücknahm. In der Sendung selbst, übrigens mit einem jüdischen Moderator, hatte er die ihm mehrfach eingeräumte Möglichkeit, das Wort zurückzunehmen, auch nicht genutzt bzw. offenbar nicht nutzen wollen. Doch unabhängig davon, wenn Herr Wulff nur ein Wort, aber nicht die Aussage selbst bedauert, hat er damit, aus meiner Sicht, seine geistige Verfasstheit sehr deutlich gemacht. Wenn er nun heute, aus gegebenem Anlass, beim Holocaust-Gedenktag in Ausschwitz, mit starken Worten fordert, denen zu widersprechen, „die die Tatsachen immer noch oder wieder leugnen oder verfälschen“, so habe ich mit der Glaubwürdigkeit von Herrn Wulff erhebliche Probleme. Und genau das ist der entscheidene Punkt, auf den es mir ankommt. Es bringt überhaupt nichts, wenn nur an Gedenktagen, je nach Amt und Auftrag, Jahreszeit und Talk-Show-Stimmung, nach Opportunität und sonstigen Befindlichkeiten, Politiker ihre „Botschaften“ hinausposauen. Wulff: „Die heutige Jugend muss die Wahrheit über das nationalsozialistische Terrorregime kennen“. Dazu passt dann aber nicht Wulffs eigene „Wahrheit“ aus dem Jahre 2008. Oder wenn so genannte Leistungsträger, wie z.B. der klügste deutsche Professor (BILD), Hans-Werner Sinn, oder der Dauergast bei den immer unsäglicher werdenden öffentlich-rechtlichen Talkshows, Arnulf Baring, über den Holocaust und die Nazizeit ihre haarsträubenden Ansichten verbreiten, dann sollte sich die heutige Jugend möglichst die Ohren zuhalten. In diesem Zusammenhang sei daran erinnert, dass Herr Sinn die Managerkritik mit der Judenverfolgung verglichen hat. Natürlich hat sich auch Sinn entschuldigt. Diese Herrschaften, die doch ständig vorgeben super intelligent zu sein, haben sich offenbar, wenn man dem folgen soll, schon bei den einfachsten Dingen nicht im Griff. Entweder sind sie dumm, was ich eher nicht glaube, oder sie meinen genau das was sie sagen, trotz „ritueller“ Entschuldigung. Herr Baring ist da noch von einem besonderen „Kaliber“. Er hält es sogar für völlig übertrieben, den Holocaust als singuläres Verbrechen zu bezeichnen. Baring hat am 09. November 2003, bezeichnenderweise gerade an einem 09. November, im Nachtstudio des ZDF regelrecht geschwärmt:

    „Der Hitler hat ja in einem Maße dieses Land in Bewegung gebracht, was man sich heute gar nicht mehr vorstellen kann. Er hat in den 30er Jahren, was bis in die 40er, 50er – man kann sagen – in die 60er Jahre weitergewirkt hat, den Leuten einen Elan vermittelt, der vollkommen von uns gewichen ist.“

    Dieser Herr, der den von Hitler vermittelten Elan offenkundig so vermisst, war am 07.September 2006 viel umjubelter Gastredner bei der Hessen-CDU, in einer Veranstaltungsreihe unter dem Motto – Was uns leitet – Eckpfeiler einer bürgerlichen Kultur – Dabei sprach er u.a. von Eindeutschung anstatt Integration, die Zeit zwischen 33 und 45 war nach Baring lediglich eine bedauerliche Entgleisung, Rechtsextreme keine Nazis sondern Jugendverwirrte, Berührungsängste mit dem Vokabular des Dritten Reiches schlicht „kleinkariert“ usw. usw.. Und dieser Mann ist wöchentlich in allen öffentlich-rechtlichen Talkshows vertreten, und unbestrittener Talkshow-„König“ mit den meisten Auftritten. Meine Nachrichten an Plassberg, Illner, Will und Co., in denen ich auf die „Verdienste“ dieses Herrn hingewiesen habe, blieben sämtlich unbeantwortet. Mir wird schlecht wenn ich daran denke, dass auch ich mit meinen Gebühren die Gage dieses Herrn mit bezahle. Nein, Herr Bundespräsident, diese zynischen und revisionistischen Ungeheuerlichkeiten sind nichts für unsere heutige Jugend, dann lieber Schweigen. Aber was soll`s, morgen ist das Gedenken wieder vorbei, und alles geht so weiter wie bisher: Schlagworte, Phrasen, Heuchelei, Lügerei, Schmiererei und natürlich, „vermittelt“ durch den neuen „Messias“ der deutschen Politik, Heldenmut, Stolz, Ehre, Vaterland, Ordensbeschmückung, alles begleitet mit unerträglichem Pathos.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  33. @ # 30 Heinrich

    „Marx freisprechen oder nicht, das sind da nicht meine Kategorien, sondern historisches Verstehen unter Vermeidung von wohlfeilen moralischen Urteilen.“
    Auch mir geht es nicht um ein moralisches Urteil über Marx als Person. Was ich – unzulänglich – ansprechen wollte, war die Frage, ob die real aufgetretenen Deformationen nicht ihren Keim in den politischen Schriften von Marx haben. Deshalb halte ich es für unzureichend, wenn wir für die aktuelle Diskussion lediglich darauf zurückgreifen, was Marx als Kommunismus verstand – wobei ich Deine Ausführungen dazu in ihrer Klarheit und Kompaktheit als Bereicherung der Diskussion betrachte.

    Welches gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Modell heute unter Kommunismus oder demokratischen Sozialismus verstanden wird, lassen meiner Meinung nach die politischen Parteien der Linken (zu denen ich die SPD tendenziell zähle) weitgehend offen.

    Es grüßt Dich herzlichst

    Abraham

  34. Lieber Abraham,

    danke, „Bereicherung der Diskussion“, welches schönere Lob könnte es hier geben? Ich hoffe, andere erfahren das auch so!

    1. Mein vorrangiges Interesse an der ganzen Diskussion gilt aber weniger der Frage, wie man den Kommunismus errichten könnte, als vielmehr der, wie man den Antikommunismus bekämpfen kann, der sich allenthalben artikuliert. Und das versuche ich eben, indem ich Information gegen Ideologie setze.
    Der Antikommunismus ist nach einem Wort von Thomas Mann, der gewiss ganz unverdächtig war, ein Linker zu sein, „die Grundtorheit der Epoche“. Die NS-Ideologie ruhte bekanntlich auf drei Säulen: dem Militarismus, dem Antisemitismus und dem Antikommunismus, und die letzten beiden gingen in der zeitgenössischen Form, unauflösbar verquickt als Kampf gegen den „jüdischen Bolschewismus“, eine unheilige Allianz ein.

    Für uns Heutige gilt es, sich klarzumachen, dass seit dem Krieg aus gegebenem schlimmen Anlass der offene Antisemitismus tabuiert ist, der Antikommunismus als Antibolschewismus jedoch unter den Bedingungen des kalten Krieges umso fröhlichere Urständ‘ feierte und weiterhin feiert, indem die gängigen antisemitischen Stereotypen bruchlos darin weiterleben. Man betrachte nur das folgende Plakat, eins von zig Varianten grundsätzlich derselben Art:

    http://www.dhm.de/~roehrig/ws9596/texte/kk/dhm/pics/b61.jpg

    So wie vordem der Jude, so greift nun der Bolschewik nach der Weltherrschaft. Die wulstigen Lippen und die Hakennase der Stürmer-Karikatur ist ersetzt durch die slawische breite Nase, die ausgeprägten Backenknochen und die asiatischen Schlitzaugen.

    Die Bilder gleichen sich. Wie die bolschewistisch-kommunistische Gefahr für die Bundesrepublik buchstäblich an die Wand gemalt wurde z.B. in einem Plakat: „Das darf nicht geschehen“ (hier nicht verlinkt, damit der Beitrag nicht in die Moderationsschleife gerät). Die Botschaft ist eindeutig: Was geschehen durfte, waren deutsche Soldatenstiefel in Leningrad und Stalingrad mit einer Hinterlassenschaft von 20 Millionen toten Sowjetbürgern. Was nicht geschehen darf, ist, dass der Soldat der Roten Armee mit der brutalen Physiognomie des slawischen Untermenschen mit seinem Bajonett aus der „Soffjetzone“ (O-Ton Adenauer), aus der schon das Blut zu uns herüberschwappt, in imperialer Manier in die Bundesrepublik trampelt, usw. usf.. Die Realität sah durchaus gegenteilig aus: Der Osten hinkte sowohl in Sachen deutsche Spaltung als auch in Sachen Wiederbewaffnung durchweg dem Westen hinterher, letzteres sogar erst, nachdem Stalin den Westalliierten 1952 ein Angebot für ein vereinigtes und neutrales Deutschland unterbreitet hatte, wie es in Österreich 1955 realisiert wurde.

    Soweit zu meinen Motiven zur Darlegung der Marxschen Theorie. Jedoch ist mir klar, so wie der Antisemit nicht zu überzeugen ist durch die Darstellung der tatsächlichen Juden und des tatsächlichen Judentums, so wird der Antikommunist nicht zu überzeugen sein durch die Darstellung des wirklichen Kommunismus nach bzw. im Anschluss an Marx in Idee und Zielsetzung. Das eine ist das Herunterbeten der gängigen und durchsichtigen Stereotypen der Ideologie, darauf gehe ich nicht ein, das andere sind zwei ernst zu nehmende Fragen, die du aufwirfst, darauf will ich später noch eine Antwort versuchen, und mehr als Versuche werden es nach dem Charakter deiner Überlegungen nicht sein können.

    Ebenfalls herzlichst
    Heinrich

  35. „mangelnde Irrelevanz“ – Ein liebenswürdiger Verschreiber. Die Problematik an sich jedoch empfinde ich als eine der wichtigsten überhaupt. Ich weiß von keiner anderen Sprachversion der Wikipedia, in der so oft steht, der Artikel müsse aufgrund von Irrelevanz gelöscht werden.

    Für mich stellte immer den größten Vorteil der Wikipedia dar, dass eben keine Begrenzung vorherrschte wie in normalen Lexika/Enzyklopädien. Dazu muss man vielleicht anmerken, dass ich zu dem Zeitpunkt der Wikipediagründung ein etwas seltsames Kind von 10 Jahren war, dass seine Zeit vornehmlich damit verbrachte, bestimmte Wörter und Phänomene in Duden und Wörterbuch nachzuschlagen, die ich mitsamt des Brockhaus damals ganz stolz auf CD-Rom besaß; Internet hatte ich zu dem Zeitpunkt keines. Schnell fällt da auf, wo die Grenzen des zweibändigen Lexikons liegen, und auch die des 12-bändigen meiner Eltern. Die Wikipedia wusste einfach mehr, weil nicht von irgendwem bestimmt wurde, wie viel Papier wofür verbraucht werden durfte, und auch nicht, dass nur bestimmte Auserwählte eine Wahrheit niederschrieben.

    Es gibt die Anekdote von einem Wissenschaftler, leider weiß ich nicht mehr von welchem, der von der Redaktion einer Enzyklopädie gebeten wurde, einen alten Artikel auf seine Aktualität und Richtigkeit zu prüfen. Der Wissenschaftler beschwerte sich, solch einen Schund habe er noch nie gelesen, das sei ja alles komplett falsch, den Artikel könne man nur neu schreiben.
    Daraufhin ging der Redakteur ins Archiv um herauszufinden, wer denn den ursprünglichen Artikel geschrieben hatte und es stellte sich heraus, dass es eben jener Wissenschaftler gewesen war, der nun so darüber gewütet hatte.

    Das Internet bietet die Möglichkeit der Demokratisierung und Wikipedia ist ein Phänomen, das es hervorgebracht hat. Aber an der Stelle, wo jeder mitreden kann, muss man eben auch um „seine“ Artikel kämpfen, weil sie eben doch nicht die eigenen sind.

    Deshalb, lieber Heinrich, kann ich deinen Ärger zwar einerseits gut verstehen (ganz abgesehen davon, dass ich davon ausgehe, dass deine Version des Artikels nur die bessere sein konnte), andererseits aber ist das nun einmal der Preis dieser großen Möglichkeit. Wenn man dort mitschreibt, muss man eben damit leben, ab und an einen kleinen Hahnenkampf auszutragen. Das ist übrigens der Grund, warum ich kein einziges Mal einen Artikel verändert habe, obwohl es mir in den Fingern gejuckt hat. Ich bin da ein bisschen egoistisch veranlagt, ich lass mal die anderen machen.

    Wozu nutze ich die Wikipedia? Vor allem dann, wenn ich etwas nicht kenne und nur grob wissen will, was das nun ist. Wenn ich wissen will, welcher Schauspieler in einem Film mitgespielt hat oder wenn ich weiterführende Links und Literatur haben möchte (Fußnoten sind dort etwas sehr Feines). Außerdem benutze ich sie, wenn ich nicht weiß, wie der Narzędnik (polnischer Instrumental) einer deutschen Stadt dekliniert wird, indem ich von der deutschen Seite dieser Stadt einfach auf die polnische wechsel und zu dem Fall gehörende Präpositionen suche – und vor allem aber als Steinbruch, als Gliederung, als Idee, wo man ansetzen könnte.

    Ansonsten ist die Wikipedia seit Beginn meines Studiums für mich tatsächlich irrelevant geworden (in der Schule war sie immer noch recht brauchbar. Will ich eine wissenschaftliche Definition, das habe ich schnell begriffen, schaue ich lieber woanders. Aber wer sagt auch, dass die Wikipedia alles können muss.

  36. @Abraham
    Lieber Abraham, vielen Dank für Deine klugen Einwände in dieser Debatte, die ich nur unterstützen kann.
    Der Kommunismus hat bisher in allen Versuchen ihn umzusetzen eine breite Blutspur hinter sich her gezogen. Und das passierte doch nicht, weil die betreffenden Regime Karl Marx falsch verstanden hätten. Auch bei einem erneuten „Versuch“, würde wieder Zwang ausgeübt werden um der guten Sache willen. Menschen, die enteignet werden müssten, würden sich dagegen wehren und im Zweifelsfall ermordet werden, die Meinungsfreiheit würde eingeschränkt werden, um die schöne Idee nicht zu gefährden usw. „Umerziehungsheime“ würden gebaut werden um den Menschen so zu formen, wie er dem Idealbild entspricht. Alles schon x-mal gehabt. Ich kann es ehrlich gesagt nicht fassen, wie man heute den „Kommunismus“ dermaßen verniedlichen kann.

    maat

  37. @ Abraham

    Hier zunächst das Plakat zum Text #36 unten!

    http://www.dhm.de/~roehrig/ws9596/texte/kk/dhm/pics/b53_1.jpg

    2. Deine Frage, „ob die real aufgetretenen Deformationen nicht ihren Keim in den politischen Schriften von Marx haben“ lässt mich einigermaßen hilflos zurück. Wenn du konkrete Anhaltspunkte aus den Schriften von Marx dafür nennen kannst, wäre ich dir dafür dankbar. Ich bin weit davon entfernt, idas umfangreiche Gesamtwerk von Marx zu kennen.

    Aber Literatur besteht ja, wie ich gelernt habe, nicht nur aus den produzierten Werken, sondern ist ein Prozess zwischen Autor und Lesern, der als integrales Moment neben der Produktionsseite auch die Rezeptionsseite enthält, die genauso substanziell dazugehört. Insofern ist mir durchaus bewusst, dass die Rekonstruktion der Bedeutung des „Werkes“ immer nur eine Teilwahrheit zutage fördert.

    Dass der Aufbau einer Marxistischen Partei im Zarenreich unter den Bedingungen von illegalem Untergrund und Exil der Führer Lenin und Plechanow geschah, blieb natürlich nicht ohne Auswirkungen auf ihr spezifisches Verständnis des Marxismus. Plechanow kam aus der Bewegung der „Volksfreunde“ (Narodniki“), die, sehr verkürzt gesprochen, das Ideal eines bäuerlichen Kommunismus propagierte und die er später bekämpfte, nachdem er die Schriften von Marx rezipiert und übersetzt hatte und damit auch Lenins Lehrmeister wurde.

    Von den Volksfreunden („Narodniki“) waren übrigens viele junge russische jüdische Intellektuelle inspiriert, die dann als „Kibbuzniks“ in Palästina Siedlungen errichteten, in denen sie die Ideen des bäuerlichen Kommunismus umsetzten und verwirklichten. Im Hinblick darauf ließe sich der Satz „Kommunismus hat es nie gegeben“ durchaus relativieren.

    Plechanow und Lenin glaubten nach den Erfahrungen mit den Narodniki nicht mehr daran, dass man den bäuerlichen Massen, die zum großen Teil noch dachten, die Erde ruhe auf vier Walfischen, über den Kommunismus auf dem Lande in die Moderne führen könne und setzten, getreu nach Marx, auf das Industrieproletariat, das aber in Russland damals leider praktisch gar nicht existierte.

    Marx und Engels schreiben im „Manifest“:
    „Die Kommunisten sind keine besondere Partei gegenüber den andern Arbeiterparteien.
    Sie haben keine von den Interessen des ganzen Proletariats getrennten Interessen.
    Sie stellen keine besonderen Prinzipien auf, wonach sie die proletarische Bewegung modeln wollen. (…)
    Die Kommunisten sind also praktisch der entschiedenste, immer weitertreibende Teil der Arbeiterparteien aller Länder; sie haben theoretisch vor der übrigen Masse des Proletariats die Einsicht in die Bedingungen, den Gang und die allgemeinen Resultate der proletarischen Bewegung voraus.“

    Darin lese ich mit meinen bescheidenen Deutungsfertigkeiten die Bestimmung, dass die Kommunisten ihre Einsichten im Proletariat und seinen Organisationen verbreiten und verankern sollen, aber nicht, dass ihnen als elitärer Führungsclique eine autokratische Führungsrolle bestimmt wäre.

    Betrachtet man aber die konkrete Situation, wie ich sie angerissen habe, so wird die Leninistische Umsetzung und Weiterentwicklung des Marxistischen Konzepts jedenfalls verständlich. Ob man diese Weiterentwicklung dann als konsequente Fortsetzung ansieht, wie es der orthodoxe Marxismus im seltsamen Einklang mit dem Antikommunismus seither tut, der eine apologetisch, der andere anklagend, oder als Deformation, ist eine Frage der politischen oder moralischen oder literarischen Interpretation von unterschiedlichen Standpunkten aus.

    Fest steht nur, dass der „Marxismus-Leninismus“, dann noch in der spezifisch Stalinschen Variante, maßgeblich wurde für das, was du, auch aufgrund deiner eigenen Erfahrungen, kritisch beschreibst.
    Die Narodniki stellten übrigens eine Bewegung von Massen junger Intellektuellen dar, die aufs Land zogen, um den Bauern ihre Theorie praktisch nahezubringen, mit dem Erfolg, dass diese die Sache den Popen meldete und diese die zaristische politische Polizei benachrichtigte. Die Bewegung spaltete sich dann in verschiedene Flügel auf, nicht nur den marxistischen und den zionistischen, sondern auch einen anarchistisch-terroristischen. So musste Lenin als 15-Jähriger mit ansehen, wie sein älterer Bruder nach einem Attentat auf den Zaren oder einen Großfürsten öffentlich hingerichtet wurde.

    Albert Camus hat mit seinem Stück „Die Gerechten“ den Anarchisten und dem Ereignis ein Denkmal gesetzt.

    Der Effekt des Attentats war bezeichnenderweise nicht die bezweckte Destabilisierung des Systems, sondern die Aufrüstung des Staates und seiner Geheimpolizei, worauf die Leninsche Parteiorganisation einen Reflex darstellte.

    Äußerst lesenswert und Verständnis-fördernd zur Gesamtsituation: das von Leo Trotzki im Exil verfasste oder zumindest herausgegebene zweibändige Werk „Geschichte der Russischen Revolution“.

    Grüße
    Heinrich

  38. @ Abraham

    3. „Welches gesellschaftliches, politisches und ökonomisches Modell heute unter Kommunismus oder demokratischen Sozialismus verstanden wird, lassen meiner Meinung nach die politischen Parteien der Linken (zu denen ich die SPD tendenziell zähle) weitgehend offen.“

    Danke für deinen klugen Einwand, lieber Abraham, den ich nur unterstützen kann!

    Inhaltlich weiß ich dem auch kaum etwas hinzuzufügen.Worum es mir, wie gesagt, geht, ist der weder demokratisch-sozialistische noch kommunistische, sondern der unserer Verfassung entsprechende schlichte liberale Grundsatz, dass die Vertreter beider Richtungen den Anspruch erheben können, ohne Diffamierungen ihre Vorstellungen vorstellen (!) zu dürfen.

    Dass aber die Vertreter und Befürworter des Demokratischen Sozialismus wie des Kommunismus es aber offenbar gar nicht mehr für nötig zu halten scheinen, statt mit inhaltsleeren Schlagworten und Gegenschlagworten das öffentliche Bewusstsein vollzumüllen und die öffentliche Diskussion zu einem oberflächlichen Talk-Show zu degradieren, ihre Konzepte und Postulate begründend zu entwickeln, natürlich auch im Rückgriff auf historische Erfahrungen, Entwicklungen und Fehlentwicklungen, das ist natürlich ein Verfall der politischen wie der Diskurs-Kultur obersten Grades.

    Was immer aber die heutigen und künftigen Propagandisten des Kommunismus sich dabei einfallen lassen werden: sie werden sich etwas ganz Neues einfallen lassen müssen. Auf das Proletariat als das revolutionäre Subjekt werden sie mangels Masse und mangels revolutionären Bewusstseins nicht setzen können, das ist vorbei. Ob als Versäumnis oder als Korrektur der Geschichte, ist heute eine ademische Frage.

    Kommunismus wird aber, wenn sie überhaupt etwas Marxistisches bewahren wollen, auch keineswegs bedeuten: auf die Belange der „kleinen Leute“ und der Benachteiligten der Gesellschaft in sozial-karitativer Perspektive zu setzen. Erstens sind Arbeitslose und Leute in prekärer Einkommens- und Lebenssituation nicht wirklich als einflussreiches fortschrittliches politisches Element in Betracht, und zweitens: wenn es überhaupt um Neuverteilung geht, müsste es im Marxschen Sinne zuvörderst um eine Neuverteilung- und Organisation der gesellschaftlichen Arbeit gehen. Natürlich nicht durch 1-Euro-Jobs und Niedriglohn-Leiharbeit.

    Die SPD hat derzeit für ihr Setzen auf eine neue „soziale Mitte“ die Quittung erhalten, die erstens eine statistische Größe war, aber kein konsistentes Milieu repräsentierte, und zweitens aus krisenanfälligen und tendenziell ins Prekariat abrutschenden Individuen sich rekrutierte. Die Abspaltung der WASG und jetzt mit ihr desolates Tief sind das vorläufige Ergebnis.

    Ob es überhaupt noch einmal möglich sein wird, auf eine verlässliche und selbstbewusste soziale Basis gestützt eine irgendwie geartete fortschrittliche Politik zu begründen, welche die Schranken, die der globalisierte Kapitalismus ihr setzt, zu überwinden vermag, frag mich was Leichteres!

    Herzlichste Grüße nochmals
    Heinrich

  39. @ Heinrich
    Lieber Heinrich,
    danke für Deinen gehaltvollen Beitrag, der bei mir die Lust weckt, manches Buch aus meiner Bibliothek herauszuholen, um das Thema zu vertiefen. Da ich – im Gegensatz zu Dir – noch auf die schnöde Erwerbsarbeit angewiesen und auch sonst eingespannt bin (ich weiß, Jutta Rydzewski interessiert diese private Information nicht), werde ich es leider nicht tun und nur aus meiner Erinnerung an das Gelesene antworten. Sicherlich kennst Du Marxens Schriften besser als ich. Mit „verdächtigen Stellen“ kann ich nicht dienen (auch wenn ich die von Dir zitierten Punkte aus dem „Kommunistischen Manifest“ als problematisch betrachte).

    Deine aufschlussreiche Beschreibung der Ursprünge der kommunistischen Bewegung in Russland ergibt noch nicht das ganze Bild. Die Bolschwiki waren ursprünglich eine Fraktion innerhalb der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung, der die Menschwiki gegenüber standen, unter denen es ebenfalls Marxisten gab (im Übrigen bekannte sich auch die deutsche Sozialdemokratie des Kaiserreichs offiziell zum Marxismus, selbst der „Revisionist“ Eduard Bernstein war ein Marx-Verehrer). Schon die Titulierung der beiden Flügel ist ein Teil der kommunistischen Propaganda: Die Menschewiki (die „Kleineren“) bildeten nämlich die Mehrheit. Es war auch nicht die bolschewistische Oktoberrevolution (1917), die das Zarenregime gestürzt hat. Der Zar wurde bereits durch die Februarrevolution (ebenfalls 1017) abgesetzt, aus der die aus Sozialdemokraten und Liberalen gebildete Kerenski-Regierung hervorging. Gegen Kerenski-Regierung richtete sich die Oktoberrevolution; die Repräsentanten dieser (demokratischen) Regierung wurden zu den ersten Opfern des Leninistischen Terrors. Aus diesem Umstand erklärt sich mit die (zeitweilige) Unterstützung der gegen die Bolschwiki kämpfenden „Weißen“ auch durch Demokraten in Westeuropa (womit der Weiße-Terror nicht beschönigt werden soll).

    Die rückständigen Bedingungen Russlands und die nach der bolschewistischen Machtübernahme erfolgte Isolation des Sowjetreichs in einer „antikommunistischen“ Welt mögen dort die „Deformation“ des Marxismus erklären. Für mich bleibt aber die offene Frage, warum der Marxismus-Leninismus (auch später in seiner stalinistischen Version) zu der leitenden Doktrin der nach dem 1. Weltkrieg gebildeten kommunistischen Parteien in Westeuropa werden konnte. Es fehlte ja nicht an Informationen und auch nicht an kritischen Auseinandersetzungen mit dem leninistischen Modell und der Realität der Sowjetunion. Alternative Interpretationen des Marxismus hatten innerhalb der kommunistischen Parteien und blieben auch außerhalb – wie die Trockisten – eine kleine Minderheit ohne großen Einfluss. Wer sich in diesem Zusammenhang, wie es „Die Linke“ gerne tut, auf Rosa Luxemburgs Lenin-Kritik beruft, sollte nicht unerwähnt lassen, dass ihre diesbezügliche Schriften nicht erst in der DDR unterschlagen, sondern auch in der KPD als „Irrtum“ einer ansonsten verehrten Märtyrerin galten. Wir wissen nicht, ob sich Luxemburg der Parteidisziplin untergeordnet hätte. Wenn nicht, wäre sie sicher als Renegatin ausgeschlossen worden.

    Auch als sich, zumindest in Westeuropa, in den kommunistischen Parteien die Kritik am Stalinismus durchgesetzt hatte, blieb die Kritik am Leninismus sehr unterentwickelt. Ansätze zur solchen grundsätzlichen Auseinandersetzung mit dem Marxismus-Leninismus hat es im Prager Frühling gegeben, doch auch diese endeten unter den Panzerketten der „Bruderstaaten“.

    Jetzt rufen die Familienpflichten; ein Nachtrag zu Deiner Nebenbemerkung zu den Ursprüngen der Kibbuzbewegung später.

  40. @21 maat

    „Es haben vor allem diejenigen einen Blick für des Kommunismus „wunderschöne“ philosophische Seite, die ihn nicht selbst erleben mussten.“

    Die wunderschöne philosophische Seite des Kommunismus hat noch niemand erlebt, so dass sie logischerweise auch noch keiner erleben musste. Die wunderschöne philosophische Seite des Kommunismus hat es weder (um dem üblichen Blödsinn schon mal vorzubeugen) in Nordkorea, noch in der ehemaligen Sowjetunion gegeben. Deshalb für Sie noch einmal ganz exclusiv: „Kommunismus hat es auf dieser Welt auch noch nie gegeben, trotz der Schwätzer, hüben wie drüben, die immer, aus unterschiedlichen Gründen, das Gegenteil behaupten. Es ist ein Ideal, eine Utopie, und so wird es auch die nächsten fünftausend Jahre bleiben.“

    Beispiel: Wenn ein geisteskranker Schwerverbrecher wie Nordkoreas Diktator Kim Jong sein staatliches „Geschäftsmodell“ Kommunismus nennt, so hat das mit Kommunismus so viel tun, wie eine Kuh mit Seilchenspringen. Wenn westliche Wertegemeinschaftler bei den Regimen von Kim Jong, Stalin, Pol Pot usw., ebenfalls von Kommunismus schwatzen, so ist das schlicht dummes Zeug und ein Mittel, die eigene (verkorkste) Ideologie als einzig Glückseligmachende zu verklären. Die Blutspur des Kommunismus, von der insbesondere die Konservativen ständig schwafeln, mit den 100 Millionen Toten, hat nicht die wunderschöne philosophische Seite des Kommunismus verursacht, sondern Schwerverbrecher, Diktatoren, Menschenverächter, ihre Helfer, Helfershelfer, willigen und unwilligen Mitmacher. Es ist nicht entscheidend wie etwas, aus taktischen oder welchen Gründen auch immer, genannt wird, sondern was Menschen konkret tun und warum sie es tun. Wenn ein Mensch z.B. einem anderen ein Leid antut, kann er sich ja auch nicht vor Gericht damit herausreden, vom Teufel besessen zu sein. So, nun nehmen Sie anstatt Teufel Kommunismus, und auch Sie werden erkennen, dass Kommunismus zwar eine wunderbare Philosophie, ein Ideal, eine Utopie ist, nur eben nie mit den Menschen zu machen ist.;-)

    Schönes Wochenende.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  41. @ Jutta Rydzewski

    Auf Ihre Aussage „Kommunismus hat es auf dieser Welt auch noch nie gegeben, trotz der Schwätzer“ bin ich in einer meinen Antworten an Heinrich (# 26) eingegangen. Dort schrieb ich, dass dieser Satz „nur die halbe Wahrheit (ist). Immerhin hat es Länder gegeben, die sich unter Führung einer als „proletarische Vorhut“ selbsternannten Partei nach eigenem Verständnis auf den Weg zum Kommunismus aufgemacht haben.“ Davon sollte man die Augen nicht verschliessen. Die Ziele einer Bewegung oder Weltanschauung kann mann nicht von derem konkreten Wirken nicht trennen.

  42. Lieber Heinrich,

    hier der kurze Nachtrag: Unter den linken russischen Zionisten, die die ersten „Chaluzim“ („Pioniere“) im osmanischen Palästina am Anfang des 20. Jahrhunderts waren und dort die ersten Kibbuzim (Kollektivdörfer) gründeten, waren nicht nur die sozialrevolutionären Narodniki, sondern genauso „klassische“ Marxisten und reformistische Sozialdemokraten vertreten. Was den „nichtzionistischen“ (oder „antizionistischen“) Teil der jüdischen Arbeiterbewegung in Russland betrifft: Bekannt ist der hohe Anteil jüdischer Intelektuellen in den bolschewistischen Führungsgremien der ersten Jahre der Sowjetunion. Doch weniger bekannt ist, dass die Massenbewegung des in Polen und Russland zahlenmäßig starken jüdischen Proletariats (zu dem auch Kleinhandwerker zählten) die jiddischsprachigen Bundisten waren. Diese, als Teil der Menschewiki, wurden nach der Revolution zur Zielscheibe der bolschewistischen Unterdrückung. Stalinistischen Säuberungen fielen dann auch nach und nach die jüdischen Bolschewiki der ersten Stunde zum Opfer. Auf der anderen Seite hat Stalin in Birobidschan als ein autonomes Gebiet das erste jüdische Staatsgebilde der Neuzeit errichtet. 1947/48 unterstützte Stalin die Gründung des Staates Israel, während er in Russland mit einer offen antisemitischen Propaganda die „Ärzteprozesse“ inszenierte.

    Für die Diskussion über den Kommunismus wäre es sehr lohnend, das Scheitern der Kibbuzidee von kommunistischen Inseln in einer kapitalistischen Wirtschaftsordnung zu diskutieren, aber dafür ist es jetzt schon zu spät.

  43. @ #41 Heinrich

    Lieber Heinrich, da treffen wir uns wieder. Wenn wir aber auf die Frage, was Kommunismus oder demokratischer Sozialismus heute als Ziel bedeuten sollen, keine Antwort finden, bleibt aber auch „die Überwindung des Kapitalismus“ eine leere Phrase.

    Gute Nacht und schönes Wochenende auch allen Mitdiskutanten.

  44. Bei alledem wird offenbar, daß Marx sich übernommen hat.
    Es kommt eben nicht darauf an, die Welt zu verändern, bevor man sie interpretiert hat.

  45. Ich habe mal so ca die letzten 10 Beiträge gelesen und möchte auch etwas dazu sagen. Einen der für mich einfachsten und richtigsten Sätze die ich je gehört habe möchte ich zittieren: Freiheit ist die Freiheit des Andersdenkenden. Ich glaube in diesem Satz liegt sehr viel Wahrheit. Es ist relativ egal aus welcher idelogischen Sicht die Freiheit eingeschränkt wird. Ob das sich Kommunismus nennt oder Kapitalismus mit Hungerlöhnen die die Freiheit einschränken oder ein Millitärregime. Das ist sich alles sehr ähnlich. Im Moment würde ich sagen in Skandinavien wird derzeit das beste Modell versucht. Es scheint mir das es da relativ Konsenz ist die Kleinen zu stützen und die Großen nicht zu groß werden zu lassen. Ich kann mich an einen Elternabend erinnern an dem ein Lehrer uns Eltern einen Film gezeigt hat über das finnische Schulsystem mit anschließender Diskussion. Ich habe mir das Ganze mit der anschließenden Politikerbeschimpfung angehört und dann gegen Ende nur gefragt ob allen Anwesenden klar ist das Finnland auch eine Demokratie ist. Ich habe das so aufgeführt um aufzuzeigen wie weit wir davon entfernt sind eine solidarische Gesellschaft zu sein. Man braucht sich doch nur die Stichworte wie privat Schule ,private Krankenvollversicherung, Mindestlohn usw in Erinnerung zu rufen um zu sehen wie sich eine Oberschicht versucht aus der Masse abzusetzen. Und das mit immer größerem Erfolg. Das wird auf Dauer die Demokratie und die Freiheit in Frage stellen. Ob diese Infragestellung nun Kommunismus oder Kapitalismus oder wie auch immer heißt ist egal.

  46. Lieber Abraham,

    du schreibst: „… da treffen wir uns wieder“. Ich sehe es jedoch nicht so, dass wir allzu weit voneinander entfernt gewesen wären, sondern so, wie du meine Beiträge als „Bereicherung der Diskussion“ wahrnimmst, so erfahre ich deine als maieutische Einwendungen, mit denen du mich von meinen produktiven Gedanken entbindest. So macht Diskutieren Freude und Sinn.
    Und natürlich stehen deine Erläuterungen, ob zur Russischen Revolution oder zu den „Chaluzim“, nicht im Widerspruch zu meinen wortreichen knappen Ausführungen, sondern ergänzen diese, und – wir diskutieren ja hier trotz persönlicher Ansprache coram publico, führen also auch Sachverhalte an, von denen wie annehmen durfen, dass sie uns wechselweise bekannt sind. Das gilt in meinem Falle natürlich auch für deine Differenzierungen der sozialistischen und kommunistischen Einwanderer in Palästina.
    Übrigens solltest du die freie Zeit nicht überschätzen, die man im Unruhestand hat, und allerdings schreibe auch ich hier aus dem Gedächtnis.
    Was Jutta dagegen hat, etwas Persönliches einfließen zu lassen, verstehe ich nicht. Solange die Diskussionen nicht auf ein privates Geplänkel herabsinken, was man von dieser wohl schlecht behaupten kann, fügt das doch den abstrakt-anonymen Beziehungen im Netz eine menschliche Note hinzu.

    Deine Antwort an sie in # 44, die in dem Satz gipfelt:
    „Die Ziele einer Bewegung oder Weltanschauung kann man von deren konkretem Wirken nicht trennen“,
    finde ich allerdings, auch gerade nach unserer vorangegangenen Diskussion, zu pauschal bzw. undifferenziert. Was genau soll heißen: „kann man nicht trennen“? Es lassen sich natürlich ganz andere weltanschauliche Bewegungen anführen, die sich von den ursprünglich gesetzten Zielen – zumindest zeitweise – geradezu ins Gegenteil verkehrt haben. So haben sich die Päpste des hohen Mittelalters und der Renaissance, haben sich Kreuzzüge und Hexenverbrennungen offenbar so sehr von den Lehren entfernt, die Jesus verkündet hat, dass so mancher deshalb das Christentum insgesamt oder gar die Religion überhaupt als menschenfeindlich verworfen hat und verwirft. Dagegen steht jeweils eine Kette von Personen und Gegenbewegungen, die versuchen, genau eine Neuinterpretation der ursprünglichen Ziele gegen das verfehlte konkrete Wirken der zeitgenössischen Adepten zu setzen. Solche Zusammenhänge sind komplexer, als dass sie sich mit einem markanten Satz erledigen ließen.

    “ Wenn wir aber auf die Frage, was Kommunismus oder demokratischer Sozialismus heute als Ziel bedeuten sollen, keine Antwort finden, bleibt aber auch “die Überwindung des Kapitalismus” eine leere Phrase.“
    Ja und nein! Ja, wenn die Phrase als nicht näher ausgeführtes und konkretisiertes Postulat in der alktuellen politischen Diskussion erscheint, nein, wenn „Utopie“ vielleicht doch mehr bedeutet als „unrealistisches“ und daher nicht näher erwähnenswertes und bedenkenswertes Zeug, als das sie die Freunde des positivistischen Denkens ansehen, oder als bloße, ebenso unerreichbare „schöne Idee“, als welche sie den Romantikern zum Träumen dient.

    Viele Grüße
    Heinrich

  47. Lieber Heinrich,

    so wie Du es formulierst, kann ich Deinen Einwand gegen meine Antwort an Jutta Rydzewski akzeptieren. Auch eine falsche Praxis widerlegt nicht die ursprüngliche Idee. Doch zurück zu dem ursprünglichen Ideal kommt man nur über die kritische Prüfung, wie diese falsche Praxis entstehen und eine große Anhängerschaft finden konnte. Erst dann kann man einen neuen Weg zu dem alten Ziel finden. Eine Bereitschaft zu dieser Auseinandersetzung, der Du dich stellst, finde ich bei Jutta Rydzewski in ihrer von mir als patzig empfundenen Antwort an maat nicht.

    Was die Überwindung des Kapitalismus betrifft, würde ich im politischem Raum konkrete Antworten begrüßen. Leider sehe ich sie nicht, nicht bei der ATAC und garn nicht bei „Der Linken“. Ich bin mir auch nicht sicher, ob es angesichts der Wandlungsfähigkeit des kapitalistischen System, der Innovationsfähigkeit der Marktwirtschaft (mit der keine andere Gesellschaftsordnung Schritt halten kann) zu der nicht sehr attraktiven Politik des „Kurrieren von Symptomen“ (wie sie die SPD, die Grünen und die Linke betreiben) eine erfolgversprechende Alternative gibt – außer eines „veränderten“ Kapitalismus.

    Marx hat uns ein sehr effektives Instrumentarium zur Erklärung der Grundfunktionen des Kapitalismus hinterlassen, seine Anpassungsfähigkeit aber unterschätzt. Zudem hat er wenige Rezepte für den Weg zur klassenlosen Gesellschaft geliefert und diese haben sich nicht als tragfähig erwiesen. Der Vorstellung, Kommunismus sei eine „Utopie“ oder „schöne Philosophie“ hätte er sicher aufs häfigste widersprochen. Landen wir vielleich doch bei Eduard Bernstein, für den das Ziel nichts, der Weg der Veränderung aber alles war? (Was nicht Prinzipienlosigkeit bedeutete, den Bernstein war einer der ersten in der SPD, der den Kriegskrediten nicht zugestimmt hat und die USPD mit gegründet hat).

  48. Zunächst sei mir zum Begriff Kommunismus noch ein grundsätzliches Wort erlaubt, womit ich auch gleichzeitig meine Auffassung von der wunderschönen philosophischen Seite des Kommunismus, als Ideal und Utopie, erneut unterlegen möchte. Sobald Kommunismus in die politische Arena einzieht, egal in welcher Form und von wem, wird diese wunderschöne Philosophie, diese(s) Ideal und Utopie, pervertiert und Schlimmeres, und hat mit der wunderschönen Philosophie absolut nix mehr zu tun. Ich war aber ziemlich sicher, dass das, insbesondere weil es sich hier doch vorgeblich um ein intellektuell anspruchsvolles Blog handelt, aus meinen bisherigen Einlassungen sehr deutlich herauszulesen war, sofern man(n) und frau dann wollte.;-) Es wird aber immer dann besonders schwierig, wenn nicht gelesen, sondern im „gewünschten-personenbezogenen“ Sinne interpretiert wird. Doch das ist hier ja nix Neues, und in meinem speziellen Fall „partiell“ sogar uralt.;-)

    Es ist doch geradezu peinlich, was aus diesem dümmlichen Lötzschquatsch medial gemacht worden ist, und im Rahmen eines sich selbst zunehmend lächerlich machenden Talkshowjournalismus immer noch gemacht wird. Kommunismus in der politischen Arena heißt Diktatur, Menschenverachtung und Massenmord. Dass andere Ideologien nicht weit davon entfernt, wenn auch subtiler, u.U. sogar noch verderblicher sind bzw. sein können, will ich hier nicht weiter vertiefen. Ein wenig ist Hans in seiner Zuschrift @48 darauf eingegangen. Das so genannte kapitalistische System, insbesondere der Finanzbereich ist krank, faul, morsch und menschenverachtend. Wenn auf Not und Elend gewettet werden kann, ist das im höchsten Grade verbrecherischer Terrorismus. Es hat sich, nach der so genannten Wirtschafts- und Finanzkrise, auch nix geändert. Alles „jodelt“ ja schon wieder von XXL und ähnlichem Blödsinn. Es wird sich auch nichts ändern, weil die Politik gar nicht mehr die Möglichkeiten dazu hat, auch wenn sie es wollte. Erst wenn die ganze „Klamotte“ kolabiert, und der Tag wird kommen, könnte sich aus den Trümmern etwas wirklich Neues entwickeln, wobei offen bleibt, ob das dann besser ist. Übrigens, so ähnlich und noch dramatischer hat sich heute ein guter Bekannter geäußert, der in zwei Tagen seinen Job bei der Deutschen Bank im Investmentbereich antritt. Damit auch das klar ist, ich möchte keineswegs, dass der ganze Laden zusammenbricht; wer weiß, was dann entsteht. Aber den Unsinn mit diesem K-Wort, nur weil eine völlig überforderte Parteivorsitzende etwas daher geschwatzt hat, sollte doch nun wirklich nicht zum Anlass genommen werde, die ganze Republik in Kommunismusangst und -schrecken zu versetzen. Das ist doch schlicht lächerlich, und nur ein weiteres Armutszeugnis für die politische und mediale Kultur in diesem Lande.

    @50 Abraham

    „Eine Bereitschaft zu dieser Auseinandersetzung, der Du dich stellst, finde ich bei Jutta Rydzewski in ihrer von mir als patzig empfundenen Antwort an maat nicht.“

    Nun gut, ich verzichte darauf mit Ihnen darüber zu streiten was patzig ist. Ich bin einfach nicht dafür, über sieben Ecken, unterschwellig, vage, oder gar „hinterrücks“ über meine BlogspartnerInnen „herzufallen“, sondern „kämpfe“ grundsätzlich mit offenem Visier. Ich rede auch grundsätzlich nicht über sondern mit anderen. Dabei bin ich auch ständig bemüht, was mir vielleicht nicht immer gelingt, die Dinge nicht zu ernst zunehmen, und „behafte“ sie (die Dinge) deshalb manchmal auch mit einer Prise Ironie. Mag sein, dass Ihr Schutzbedürfnis für andere TeilnehmerInnen dem zuwider läuft, aber mit „Patzigkeit“ hat das wohl weniger zu tun.;-)

    @49 Heinrich

    „Was Jutta dagegen hat, etwas Persönliches einfließen zu lassen, verstehe ich nicht. Solange die Diskussionen nicht auf ein privates Geplänkel herabsinken, was man von dieser wohl schlecht behaupten kann, fügt das doch den abstrakt-anonymen Beziehungen im Netz eine menschliche Note hinzu.“

    Grundsätzlich habe ich überhaupt nichts dagegen, wenn Persönliches einfließt, zumal ich es ja selbst hin und wieder tue, auch in dieser Zuschrift. Schließlich steckt ja hinter einem so genannten Usernamen (ich verwende meinen wirklichen) kein Kühlschrank, Fahrrad oder Ofenrohr, sondern ein Mensch aus Fleisch und Blut. Allerdings ist Persönliches, in einem anonymen Forum oder Blog, eine außergewöhnlich problematische Angelegenheit. Einerseits, und da gebe ich Ihnen recht, kann dadurch eine menschliche Note hinzugefügt werden, anderseits, aber ich glaube das wissen Sie selbst auch, wird in aller Regel mit Persönlichem eher unangemessen umgegangen, zumal das, was an Persönlichem einfließt, sein kann, aber eben nicht sein muss. Und wenn Menschen im „Schutze“ der Anonymität „loslegen“, naja, da wird jeder seine eigenen Erfahrungen schon gemacht haben. Okay, das soll es gewesen sein. Ich habe also nix gegen Persönliches, es sei denn, der/die „KontrahentIn“ wird herabgewürdigt oder Ähnliches, wobei ich hoffe, dass Patzigkeit nicht dazu gehört.;-)

    mfg
    Jutta Rydzewski

  49. Ist schon absurd, wieviele schon seit langem unken, daß der Kapitalismus notwendig zerbrechen muß, an sich selbst gar und an seinen Widersprüchen, allein, es ist alles andere zerbrochen, an sich selbst und an den Widersprüchen.

    Da stimmt wohl was nicht am Kapitalismus?

    Die alten Feindbilder sind ausgehöhlt, der Kapitalismus wird immer menschlicher, während Kommunismus und Sozialismus immer unmenschlicher wurden und verstarben, und nirgends, nirgends sieht man Licht.
    Es muß wohl eine bessere Theorie des Guten her, eine, die den Realitäten nicht die Stirn bietet, sondern sie erkennt.

    Mir scheint, Marx hat nur deshalb betont, daß es darauf ankäme die Welt zu verändern, weil sie nicht zu seiner Interpretation passen wollte. Anders ist wohl nicht zu erklären, daß seine Folger Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft im Orwell’schen Sinne zurechtrücken wollten.

    Ich nenne das „reziproke Retrospektive“ oder, für Laien: Weil Marx die Welt verändert hat, stimmt seine Theorie nicht mehr.
    Die Kapitalisten haben von ihm gelernt, Kommunisten und Sozialisten haben ihn nur verschieden interpretiert.

  50. @ Jutta Rydzewsk # 51

    Liebe Jutta,

    das Patzige, das Abraham in Ihrer Antwort an maat sieht, könnte er nur selber erklären. Ihr Stil hat etwas Expressives, ich weiß nicht, ob er das vielleicht meint, mir gefällt das jedenfalls, zumal etwa im Vergleich zu meinen drögen Abhandlungen. Jedenfalls findet sich in Ihrem Kommentar eine Argumentation, welche immer die Möglichkeit des Widerspruchs eröffnet und also jedenfalls eine Auseinandersetzung überhaupt erst ermöglicht.

    Diese Möglichkeit zur Auseinandersetzung, geschweige denn die Bereitschaft dazu, kann ich hingegen in maats Beitrag nicht erkennen, der zu einem Viertel aus apodiktischen Setzungen und zu drei Vierteln aus sibyllinischen Vorhersagen besteht. Diese wie jene sind einer Auseinandersetzung prinzipiell nicht zugänglich, ihnen ist mit Argumenten schlechterdings nicht beizukommen.
    So sehr können also die Urteile über die Qualität (= Beschaffenheit) von Kommentaren divergieren.

    Was mir aber an Ihren wiederholten Aussagen unklar geblieben ist, und bevor ich ggf. noch näher auf die Frage eingehe, ob denn nun der Kommunismus Utopie sei und wenn ja, in welchem Sinne: was genau meinen Sie mit „eine wunderbare Philosophie, ein Ideal, eine Utopie“ das sind auch von Ihrer Seite apodiktische Setzungen und lauter Begriffe, die nur scheinbar eindeutig sind und der Erläuterung bedürfen, und was führt Sie zu der Gewissheit, dass der Kommunismus „nur eben nie mit den Menschen zu machen“ sei?

    Grüße
    Heinrich

  51. @ Jutta Rydzewski

    Ich sehe Ihrer Antwort auf Heinrichs Frage auch schon ganz gespannt entgegen.
    Seit ich mir nämlich Heinrichs Lesehinweis in # 31 „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“ zu Gemüte geführt habe, flackerte ein kleiner Hoffnungsschimmer bei mir auf: Möglicherweise ist der Kommunismus irgendwann einmal – wenn auch vielleicht erst in 5000, 10000 oder noch mehr Jahren doch noch mit den Menschen zu machen. Denn da sich der Mensch laut Darwins Theorie immer weiter entwickelt, müßte sich dementsprechend auch einmal die Erkenntnis durchsetzen, dass es sich unter egalitären Lebensbedingungen für alle Menschen angenehmer und friedlicher leben lässt.

  52. „Am wesentlichsten aber war die Wirkung der Fleischnahrung auf das Gehirn, dem nun die zu seiner Ernährung und Entwicklung nötigen Stoffe weit reichlicher zuflossen als vorher, und das sich daher von Geschlecht zu Geschlecht rascher und vollkommener ausbilden konnte.“

    Alles Denken stehet still, wenn’s der Ideologe will…

    Aus dem Text ließe sich auch, ohne große Veränderungen, der Kapitalismus oder sonstiges herleiten. Beispielsweise die naturgegebene Herrschaft der besser Ernährten über die Darbenden…die Herleitung der Herrschaft aus der Kartoffel…

    :-))

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