Es ist eigentlich nichts Neues: Das Leben ist nicht gesund. Man braucht nur vor die eigene Haustür zu gehen und kommt an dieser Binsenweisheit schon nicht mehr vorbei. Jedenfalls vor meiner Haustür nicht. Da dröhnt und dieselt der Verkehr, da werden Radler von Autos umgenietet und Fußgänger von Radlern, und einmal pro Stunde schrillen die Sirenen der Rettungswagen oder die Martinshörner von Polizei im Eileinsatz. Wieder ein Notfall, wieder ein Mord. Betritt man, nachdem man die halsbrecherische Radtour zur Arbeit unversehrt überstanden hat, die heiligen Hallen der Arbeit, umfängt einen sofort stressgesättigte Betriebsamkeit. Zeitdruck überall, und bloß keine Fehler machen! Hat man den Redaktionsschluss eingehalten, bleibt vielleicht gerade noch Zeit, ein paar Briefe an Leser zu schreiben oder Mails zu beantworten. Das Gewissen ist schwer angesichts zahlreicher Kontaktwünsche, die unberücksichtigt bleiben müssen. Und wenn man dann so gegen 20 Uhr nach Hause geht – wo das Blog der weiteren Überwachung harrt -, folgt schon der nächste Stress, denn jetzt soll man sich zielgerichtet entspannen.

Nun, mir geht es dabei natürlich immer noch vergleichsweise gut. Ich habe Arbeit, immerhin, und die macht auch noch Spaß. Ich bin außerdem weitgehend gesund. Aber ich spüre, wie dieses Leben mich formt. Es macht etwas anderes aus mir, als ich ursprünglich im Sinn gehabt habe. Es hat schon längst etwas anderes aus mir gemacht. Trotzdem – ich bin zufrieden. Im Vergleich zu vielen anderen, die dazu keinen Anlass haben. Und damit meine ich nicht diejenigen Steuerhinterzieher, die derzeit aus Angst vor anhängigen Verfahren schier krank werden (sollten).

Die Zahl der psychischen Erkrankungen in Deutschland steigt kontinuierlich. Die Klassiker Krebs- sowie Herz-Kreislauf-Erkrankungen haben sie bereits abgehängt, was die Zahl der im Krankenhaus verbrachten Tage betrifft. Männer mit akuten psychischen Problemen (meist im Zusammenhang mit Alkohol) verbrachten 2007 fast 20 Tage jährlich pro Fall im Krankenhaus, Frauen (vor allem wegen Depressionen) gar 25 Tage. Dabei haben sich die Krankenhausaufenthalte in den vergangenen 15 Jahren generell verkürzt: von durchschnittlich 13 Behandlungstagen (1992) auf nur noch 8,8 im Jahr 2007. Besonders auffällig: Arbeitslose verbrachten 2007 mehr als doppelt so viele Tage im Krankenhaus wie Beschäftigte.

Bei Bekanntwerden der Studie, aus der diese Zahlen stammen (federführend dabei das Institut für Sozialmedizin in Hannover) wurden natürlich sofort Rufe laut, dass die Krankenkassen sich mehr um Erwerbslose kümmern müssten, da diese offenbar häufiger in Gefahr sind, psychisch zu erkranken. Stichwort Prävention. Meines Erachtens müssten entsprechende Bemühungen woanders ansetzen. Hinweise gibt ein Leserbrief von Steffen Andreae aus Kaufungen, den ich am 18. Juli in der FR veröffentlicht habe:

„Dieses Leben macht krank, nicht das Leben. Dass Armut krank macht, ist schon lange klar. Ein Kampf gegeneinander um den letzten Euro macht unzufrieden. Ein System, welches die Individualisierung lobt, muss sich nicht wundern, wenn sich die Menschen in ihren Zimmern alleine fühlen, da sie alleine sind. Die Alten sperren wir weg, sie liegen uns auf der Tasche und auf dem Gemüt. Krank macht ein politisches System, welches mehr der Wirtschaft als den Menschen dient. Krank macht ein kapitalistisches System, welches weiter und weiter dazu beiträgt, dass die Reichen reich und die Armen noch ärmer werden. Nur: Die Reichen erbleichen dabei eben nicht mehr.
Zur Gesundung müssten wir erst wieder eine Systemkritik zulassen. Wir würden vieles hinterfragen. Neue Antworten liegen parat. Doch wir wollen ja weiter wachsen und es soll uns besser gehen und wir wollen auf der Leiter nach oben. Jeder für sich und ohne den anderen. Natürlich macht das krank. Und dass die großen Tageszeitungen sich eben nicht mehr trauen auf der Titelseite zu schreiben: Dieser Kapitalismus macht krank! – auch das macht krank.“

Jürgen Lindemann aus Ratingen geht die Systemkritik von anderer Warte aus an:

„Der Leserbrief von Herrn Andreae veranlasst mich, auf den nur in Bezug auf die Überschrift relevantesten Aspekt Ihres Artikels einzugehen. Die Aussage, dass Krankenhausaufenthalte von Arbeitslosen erheblich länger dauern, bezieht sich auf alle Krankenhausaufenthalte, nicht nur auf die psychischen Erkrankungen, die inzwischen die Spitzenposition der Behandlungstage einnehmen. Diesen Aspekt behandelt der Leserbrief von Herrn Andreae nicht.
Nach meiner Einschätzung sind diese Erkrankten zum großen Teil Berufstätige, bei denen die Arbeit immer mehr verdichtet wird, so dass sie sich in den Alkohol flüchten oder unter der Arbeit zusammenbrechen, depressiv werden (Burn-out-Syndrom). Ein Beispiel: Im öffentlichen Dienst – dies kann ich am besten überblicken – werden ständig nach bestimmten Prozentsätzen Arbeitsplätze abgebaut, indem frei werdende Stellen nicht neu besetzt werden. Allem Gerede von Privatisierung, Aufgabenverlagerung und Arbeitsablaufoptimierung zum Trotz wird die Arbeit allgemein nicht weniger. Trotz erheblicher Überstunden bleibt Arbeit liegen. Und oft sind es die Engagiertesten, die darüber krank werden, die es nicht verwinden können, dass Arbeit liegen bleibt. Sie suchen die Schuld nicht im unmenschlichen System, sondern bei sich. Sie haben verinnerlicht, dass Mitarbeiter des öffentlichen Dienstes bei normaler Begabung ihre Arbeit innerhalb der Dienstzeit schaffen müssten, ja, eigentlich viel zu wenig zu tun haben – siehe auch die Witze über den öffentlichen Dienst. Und so häufen sie Überstunden auf Überstunden, schaffen eine neue Legitimitätsgrundlage für weiteren Stellenabbau – es geht doch irgendwie! – und brechen eines Tages zusammen. Und die, die am lautesten über zu viele Stellen im öffentlichen Dienst reden, sind oft diejenigen, die ständig neue Initiativen zur Belastung der Bediensteten ersinnen. Solange dieser Wahnsinn der Arbeitsplatzverdichtung weitergeht, werden die psychischen Erkrankungen ihre Spitzenstellung immer mehr ausbauen.“

Dieses Leben macht krank. Warum? Was meint ihr?

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21 Kommentare zu “Das Leben macht krank

  1. Was wirklich krank macht, steckt meist in den Köpfen der Betroffenen: wer halbwegs mit sich und seinem Umfeld „im Reinen“ ist, wird weniger anfällig sein für derartige Attacken.
    Auch das kann man nicht verallgemeinern, aber in vielen Fällen trifft es schon zu, dass es nämlich in unserer ach so schönen Republik, in der „Milch und Honig fliesst“ (Herrschaften, das ist IRONIE!) es sich viele Menschen auch einreden, wie ach so schlecht es ihnen doch geht.

  2. Ich möchte noch einmal darauf hinweisen, wie auch Jürgen Lindemann es schon tat, daß die Tatsache, daß Arbeitslose durchschnittlich pro Jahr länger in Krankenhäusern weilen als Beschäftigte, wenn sie denn so festgestellt wird, nicht bedeutet, daß die Arbeitslosigkeit unmittel- oder mittelbar Grund für die Krankenhausaufenthalte ist. Wenn man eine statistische Häufung einer Koexistenz von A und B feststellt, dann muß A beileibe nicht Ursache von B sein oder umgekehrt. Genausogut kann nämlich eine Tatsache C der Fall sein, die sowohl A als auch B nach sich zieht.

    So ist ja bekannt, daß ungesundes Leben zu Krankheiten führt. Des weiteren ist bekannt, daß Bildungsschwache ganz besonders ungesund leben, also z.B. besonders stark rauchen, mehr Alkohol konsumieren und auch häufiger noch weitere Drogen. Alleine schon in den Gesundheitsstatistiken über Jugendliche ist dies erkennbar, wo Hauptschüler regelmäßig weit häufiger obige ungesunde Verhaltensweisen aufweisen als Gymnasiasten. Des weiteren ist klar, das Bildungsschwache auch häufiger arbeitslos sind als Bildungsstarke. Hier haben wir also die Ketten:

    Gesundheit hängt ab von Lebensführung hängt ab von Bildung

    sowie

    Mangelnde Bildung/Kompetenzen -> Arbeitslosigkeit

    Deren Zusammenwirken zu verkürzen auf: „Wer arbeitslos ist, wird deswegen (wegen der Arbeitslosigkeit) öfter krank“ ist einfach falsch, passt aber natürlich manchem ganz gut in den politischen Kram, und wird daher gerne und immer wieder kolportiert.

    Was allerdings Herr Steffen Andreae schreibt, ist teilweise völlig, teilweise ziemlich falsch. So kann ich nicht erkennen, daß „das System die Individualisierung fördert“, wie er behauptet, sondern es sind doch die Menschen selber. Sie scheuen die Verantwortung, sie scheuen die Mühen der Zwei- oder Vielsamkeit, sie scheuen den Aufwand, auf andere einzugehen oder zumindest Rücksicht nehmen zu müssen, mit andern Worten, die Menschen scheuen (zunehmend) DIE EINSCHRÄNKUNGEN IHRER PERSÖNLICHEN FREIHEIT, die mit einem Zusammenleben mit Anderen natürlich einhergehen. Das ist doch der Hauptgrund für die um sich greifende Vereinsamung mit den bekannten psychopathologischen Folgen. Jene aber einem „System“ anzulasten ist in meinen Augen absurd.

    Kampf um den Lebensunterhalt macht übrigens nicht per se krank. Im Gegenteil, der Mensch ist eine biologische Maschine, die einen Großteil ihrer Fähigkeiten von der Natur NUR DESWEGEN erhalten hat, um für ihren Lebensunterhalt zu kämpfen in der Lage zu sein. Das hat ja Zig Tausende Jahre gut funktioniert. Eine besondere Häufung psychischer Erkrankungen z.B. in Dritte-Welt-Ländern, weil der Kampf ums Dasein dort ganz besonders hart geführt werden muß, ist mir nicht bekannt, ganz im Gegenteil, die Menschen dort sind sicher ernährungsbedingt sowie wegen mangelhafter medizinischer Versorgung kränker als hierzulande, bloß handelt es sich nicht um psychische Erkrankungen, wie sie in den entwickelten Ländern geradezu schon epidemisch grassieren.

    Was Ärger Bedürftiger mit Behörden angeht und daraus resultierende Frustrationen, so ist meine persönliche Feststellung, daß ganz häufig, wenn nicht eigentlich immer, eine (in meinen Augen) völlig falsche Einstellung der Hilfebezieher dahintersteht. Statt die Solidarleistungen anderer primär als DEREN Leistung zu sehen, und daher Verständnis aufzubringen für deren und daher der Behörden Interesse an Regelung, die Mißbrauch, Verschwendung usw. verhindert, wird stattdessen die Hilfestellung der Gesellschaft primär gesehen als etwas, was einem zusteht, Ende. Dankbarkeit gibt es keine, denn was einem zusteht, dafür braucht man ja nicht dankbar sein, Punkt. Letztere Haltung gebiert dann natürlich oft völliges Unverständnis gegenüber Verwaltungsnotwendigkeiten, und nun schon gar, wenn diese auch nur leise den Prüfungswunsch andeuten, ob die Hilfestellung vielleicht gar nicht vonnöten sei. Die Anspruchshaltung und völlig fehlende Dankbarkeit der Gesellschaft gegenüber, die man ja schon an dem verbreiteten Gemecker über Leistungshöhen vieler Betroffener erkennt, MACHT KRANK. Sowie das Gemecker selber und die gesamte Geisteshaltung, die dahintersteht. Man erkennt hier auch schon die bekannte Gleichung, nach der eine Rolle spielt, wie man denn eine unbefriedigende Lage auffasst, nämlich ein halb gefülltes Glas… als halb leer oder halb voll… wer es halb voll sieht, lebt sicher gesünder.

  3. Fazit: Ein wirklicher Lebenskünstler ist bereits glücklich ,wenn er nicht unglücklich ist.

  4. @Wedell

    Der flache Darwinismus in Ihren Ausführungen ist absurd.
    Der Mensch ist die erfolgreichste Art, weil er in der Lage ist, geistig / psychisch besondere Menschen zu verstehen und deren Beitrag zur Entwicklung zu nutzen.

    Gerade diese „Spinner“ haben dazu beigetragen, daß der Kampf um’s Dasein nicht mehr ein Kampf um’s halbvolle Glas ist.
    Es ist nämlich egal, wie man es sieht, trinken kann man nur die Menge, die da ist.

    Wie man aber das Glas wieder voll kriegt, oder gar ein Fass baut, das haben die Spinner herausbekommen, als sie mit Hunger im Bauch das Denken wichtiger fanden als das Essen.

  5. @Wedell

    Nochwas , mit Unmut zur Kenntnis:

    Es sind nicht die Bildungsschwachen, die besonders viel Alkohol, Tabak und andere Drogen verkaufen.

  6. Insgesamt geht mir diese blöde Trennung von „Fressen und Moral“ (Brecht hatte Unrecht) und die Trennung zwischen „Handwerk und Intellekt“ und der Mythos der „Bodenständigkeit“ ziemlich auf die Nerven.

    Das Eine ist nichts ohne das Andere. Alle Menschen haben beides. Die „biologische Maschine“ benötigt beides, um zu funktionieren.
    Auch Bakterien sterben an Sinnverlust.

  7. Auch ich mag die sozialdarwinistischen Ansichten des Herrn Wedell nicht so stehen lassen. Bronski, ich bin sehr froh, das Du dieses Thema mal angeschnitten hast. Ich meine mich erinnern zu können, das ich bereits vor geraumer Zeit einmal einen ähnlichen Themenvorschlag gemacht habe. Jetzt hat es Dir wahrscheinlich auch gestunken, weil da einige Erbsenzähler auch noch über Deine Freizeit – z.B. Radfahren – verfügen wollten. Manche scheinen Dich eben als öffentliche Person zu sehen, welche Tag und Nacht zur Verfügung zu stehen hat.

    Aber zurück zum Thema: Es stimmt vieles mit unserer Lebensart nicht mehr. Nicht umsonst gibt es immer mehr Bewegungen, die kritisch sich unseres Lebenswandels annehmen, sei es Foodwatch, Slowfood, oder andere. Ja, unser Leben wird immer mehr von außen strukturiert.
    Ich erlebe es täglich auch hautnah mit und bei meiner Frau. Diese fährt mit öffentlichen Verkehrsmitteln täglich zur Arbeit nach Bad Homburg, einfacher Weg: 1 3/4 Stunden über Ffm. Sie geht morgens um 6.00 aus dem Haus und kommt abends um 19.30 heim. Lebensqualität – gleich Null. Auf dem Arbeitsplatz ist dann Arbeitsverdichtung angesagt, Arbeitsplätze wurden abgebaut, bzw. „weg rationalisiert“, und in den lächerlichen 30 Min. Mittagspause wird dann durchgearbeitet, um alles auf dem Schreibtisch einigermaßen abzuarbeiten. Am Wochenende ist sie dann groggy, lehnt Treffs mit Freunden und Bekannten oft ab, weil sie sich erholen will, und keine Lust hat, auch noch zu kochen, Betten zu beziehen und aufzuräumen.

    Ich habe es gut, ich bin Rentner, mache den Haushalt, aber auch ich spüre den Streß, direkt und indirekt. Ich engagiere mich bürgerschaftlich, nehme Tagestermine und Abendtermine wahr, mache den Haushalt, mache die Finanzen, prüfe auf günstige Versicherungen, günstigen Strom, Heizung, etc.
    Ich schlage mich damit herum: gehe ich in 4 Geschäfte einkaufen, um die Angebote zu nützen, oder kaufe ich alles im selben Markt, um Sprit, und Zeit, zu sparen. Natürlich sollte ich mich informieren: welches Produkt wird regional erzeugt, welche Labels kleben auf der Fischkonserve, welche (Konservierungs-)Schadstoffe sind im Produkt, was steht auf der Verpackung, usw.? Habe ich ja auch ganz viel Zeit für! Ich besuche die demenzkranke Mutter im Heim, koche, wasche, putze, mache das Geschäftliche für meine Mutter, und frage als engagierter Bürger meine Info-Mails ab, die ich natürlich auch lese. Täglich die FR schaffe ich nicht, ich schaffe es auch nicht, täglich 5 gesunde Mahlzeiten zu mir zu nehmen, geschweige denn, zuzubereiten, mit dem täglichen frischen Einkauf aller Zutaten, wie es mir die Krankenkasse, die Ärzte und die Gesundheitstipps empfehlen. Auch mit der täglichen Bewegung hapert es, und ich frage mich, wie das alles Berufstätige hin bekommen.

    Immer wieder fragen Freunde und Verwandte: Warum hast Du dich denn so lange nicht gemeldet? Hast Du das schon gelesen, diese Musik gehört, diesen Film gesehen, dir dieses Theaterstück angeschaut?

    Ich habe inzwischen einen ganz dicken Hals, wenn ich immer die tollen Ratschläge lese, wie wir unser Leben gestalten sollen, uns gesund bewegen, essen, trinken, uns engagieren, in Parteien oder anderen Organisationen, mit unserem Partner uns austauschen, Freunde und Verwandte kontaktieren, vielleicht auch mal eine Bedienunsanleitung lesen eines der neuen elektronischen Wundergeräte, regelmäßig Vorsorgeuntersuchungen machen, Auto und Fahrrad fit halten, und neuerdings

    – uns umweltbewußt verhalten, beim Einkauf darauf achten
    – mit Strom und Heizung sparsam umgehen, und uns informieren, wie das geht
    – Literatur lesen, wie wir unser Leben umgestalten
    – uns über Parteiprogramme informieren, damit wir wissen, welche Partei unseren Vorstellungen am nächsten kommt –
    und natürlich immer froh, fit, gelassen und positiv gestimmt sein.

    All dies sind schon Berge, die sich für mich, der ich nicht mehr berufstätig bin, auftürmen.
    Und da frage ich mich: Wie macht und bewältigt all dies jemand, der voll berufstätig ist?

    Und ich frage alle Mitdiskutanten: Erschlagen und erwürgen und erdrücken wir uns nicht eigentlich mit dieser tollen Luxus-Zivilisation? Wenn ich durch die Straßen gehe, sehe ich recht wenige frohe Gesichter, aber vielleicht habe ich auch einen Knick in der Optik.

  8. @Fladung

    Lieber Wolfgang,
    eigentlich haben wir Politiker dazu, damit sie dafür sorgen, daß wir gedankenlos einen Schalter umlegen, einen Einkauf erledigen, ein Kind großziehen können und bei alledem sicher sein können, daß es gerecht, umweltfreundlich und sinnvoll zugeht.

    Aber sie schaffen es nicht, sie schaffen es nicht…

    Sie verkaufen das Öl und sind Sand im Getriebe.

  9. was für ein thema! was soll ich da sagen? ich arbeite in der gastronomie. heute, dienstag, war früh schluss. keine ahnuing warum. schulferien in hessen sind rum. wahrscheinlich haben sich die leute in den ferien rund ums mittelmeer einen wanst gefressen und mmüssen jewtzt erstmal abspecken

    aber egal. als jemand, der selbst schon ein paarmal hart an arbeitslosigkeit vorbéigeschrammt ist, sage ich: max wedell, scheiße!

    max, teilweise hast du recht. natürlich hängt einkommen mit bildung zusammen. und bikldung, hat neulich einer geschrieben, ist eine geisteshaltung. ich kenne einen haufen einfacher menschen mit vernünftiger geisteshaltung, die zugleich nicht besonders gebildet sind. sie denken aus dem bauch heraus. das kann man ihnen vorwerfen, aber das ist zumindest nix was krankmacht. sie haben ihre probleme, aber sie finden irgendwie auch immer wieder einen grund zum feiern. hinwiederum kann ich mir nicht vorstellen, dass max wedell feiern kann

    max, du verdankst dankbarkeit dafür, dass diese gesellschaft diesen leuten das zur verfügung stellt, was grundgesetzlich eigentlich für ein leben in würde selbstgverständlich ist. ich habe mehrere fälle von hartz iv in meiner unmittelbaren umgebung. leute, die sich nicht mehr in den vordergrund trauen, weil sei sich abgeschoben fühlen. die leisten keinen beitrag mehr, denn keiner will sie mehr, die flüchten in die depression. du kannst mir nicht erzählen, dass da kein zusammenhang besteht. der zusammenhang könnte tatsächlich kaum direkter sein

    unsinn, max, alles unsinn

  10. Seit Jahren predigt uns die herrschende Politik, dass die Lohnnebenkosten – hat sich eigentlich schon mal jemand gefragt, wer diesen Begriff in die Disk gebracht hat – zu hoch seien. Einhergehend mit dieser Behauptung erfolgte die Arzt- und Zahnarztpraxismaut, die höheren Zuzahlungen bei Arzneien, Zahnersatz und physiotherapeutischer Behandlung. Da war es nur eine Frage der Zeit, dass diese Sparmaßnahmen auf die Kosten der Krankenkassen durchschlagen. Demnächst bestimmt nicht mehr die Krankenkasse, welche kosten sie übernimmt sondern der „Gemeinsame Bundesausschuss“, in dem die Versicherten bzw die Patienten nicht vertreten sind. Die Zahler haben also ab 1.1.2009 keinen Einfluss mehr auf die Behandlung. Es steht zukünftig zu befürchten, dass wegen der Deckelung – Festbeträge pro Mitglied – eine Zweiklassenmedizin ensteht. Es wird zukünftig noch mehr Fälle geben, dass Menschen länger im Krankenhaus verbringen müssen. Verschleppte Krankheiten sind eben immer teurer als frühzeitige Behandlung. Wer von den Versicherten weiss denn, dass dem „Gemeinsame Bundesausschuss“ praktisch gesetzgeberische Funktionen zustehen. Da passt es nämlich nicht, dass die Beitragszahler auch noch mitbestimmen wollen.

  11. @BvG, ich hingegen finde es absurd, wenn Sie (und manch anderer) Erklärungen für bestimmte Gegebenheiten nur deswegen ablehnen oder ignorieren, weil Sie meinen, daß sie die Betroffenen nicht unbedingt als gänzlich hilflose Opfer dastehen lassen, was aber ihrer Meinung nach scheinbar unbedingt der Fall sein muß. Dabei habe ich ja gar kein Wort darüber verloren, welche Gründe ungesunde Lebensweisen und deren stärkere Verbreitung in den Prekariaten haben, ich habe sie einfach nur konstatiert.

    „Früher glaubten wir, die Lebensformen der Unterschicht seien die Folge ihrer Armut. Das Gegenteil ist richtig: Die Armut ist Folge ihrer Verhaltensweisen, eine Folge der Unterschichtskultur“ zitierte gestern die taz die Grünenpolitikerin Künast. Durch welche Faktoren sich die spezifischen Eigenheiten der Unterschichtskulturen ausbilden, wäre eine weitere Diskussion, in der ich aber garantiert weder ihre Haltung einnehme, daß die Ursachen sämtlich ausserhalb der Betroffenengruppen liegen, noch die Haltung, die sie mir unterstellen, daß die „Schuld“ ausschließlich bei den Betroffenen selber liegt.

    Über den Menschen als „erfolgreichste Art“ habe ich überhaupt nichts gesagt; was ich sagen wollte, gilt ja überhaupt für alle Ausformungen der Biosphäre, von der Amöbe bis zum Mensch, nämlich: Die natürlichen Herausforderungen der vorgefundenen Welt führen zur Ausbildung von Fertigkeiten, mangelnde Herausforderungen führen nicht nur zur Atrophie dieser Fähigkeiten, sondern, das ist mein Verdacht, zu einer ganzen Bandbreite von psychopathologischen Nebenerscheinungen. Das geht über ein „deprimiert, weil ohne Gefühl, gebraucht zu werden“, das es in Einzelfällen sicher auch gibt, hinaus.

    @thomas, als ich von Bildung redete, meinte ich nicht, „den Goethe zu kennen“, oder den Satz des Pythagoras zu wissen. Aber was die „artgerechte Ernährung“ für den Menschen ist, sollte Teil der Bildung sein, und ebenfalls eine minimale Fähigkeit zur Selbststeuerung sowie auch das Erlernthaben einer minimalen Autonomie gegenüber Fremdbestimmung, bzw. diese überhaupt erst mal erkennen, analysieren und in seinen Motiven verstehen zu können.

    Was die Dankbarkeit angeht, hast du mich auch mißverstanden. Ich will doch nicht mich selber „therapieren“, indem ich Dankbarkeit von andern „verlange“, sondern die Anempfehlung einer dankbaren Grundhaltung war ein Therapievorschlag für Andere. Ich selber brauche diese Dankbarkeit nicht.

    Aus meiner Kritik an Drogenkonsum aller Art zu schließen, ich könnte nicht „feiern“, ist wirklich gewagt. Ich habe aber vielleicht eine andere Art zu feiern, das primitive Unterschichten-„Paaaahdy machen“ mit besinnungslosem Zudröhnen ist tatsächlich nicht mein Ding. Aber für die Diskussion hier ist das gänzlich irrelevant.

  12. Natürlich wäre es zu kurz gesprungen, die innerhalb der Unterschicht sich zeigenden falschen Verhaltensweisen einzig über „selbst dran schuld“ zu definieren. Nur scheint mir hier ein Fehler im System zu stecken, vor allem in all dem, was wir allgemein mit „Bildung“ definieren. Wenn Prekariats-Erwachsene wiederum Prekariats-Kinder zeugen und großziehen, und sich die Abstände zwischen den Klassen und Ständen nicht nur verfestigt haben, sondern die Klassen weiter auseinander driften, kann dies nicht nur an der Ignoranz der Unteren, sondern wohl in der Hauptsache am sich Abschotten und dem wiederauferstandenen Gutsherrn- bzw. Junker-Denken derer „oben“ liegen.

    Warum gibt es bei uns in den Schulen kein Fach, welches sich mit der Erzielung von Lebenstüchtigkeit im Allgemeinen befaßt, und nicht nur die einzelnen Bausteine wie Natur- und Geisteswissenschaften. Natürlich ist es schön, wenn jemand seitenweise aus dem Faust zitieren kann, aber optimaler wäre es, wenn er wüßte, wie er sein Einkommen optimiert und vor allem, damit auskommt, und welche Fallen die Konsumgesellschaft überall für ihn aufstellt.

    Ich habe allerdings seit geraumer Zeit schon den schlimmen Verdacht, das es den Junkern gar nicht darum geht, echte Chancengleichheit herbei zu führen, und allen, ohne Frage nach der Herkunft, gleiche Aufstiegschancen zu ermöglichen. Wer profitiert denn vom Prekariat, wenn diese – Entschuldigung – alles kaufen, fressen, saufen, jeden Mist glotzen, sich überschulden, jeden Drecksjob machen, der Oma vom Junker im Pflegeheim für 7 Euro den Arsch abwischen? Über all dem körperlich und seelisch krank werden, zwar die Krankenkasse strapazieren (auch wenn die Zuzahlungen die letzten Ersparnisse auffressen), aber dann die Rentenkasse durch „sozialverträgliches Frühableben“ wieder entlasten?

    Wenn ich Geld habe, kann ich viele der Forderungen, welche die Gesellschaft an mich stellt, kaltlächelnd „outsourcen“, an irgendwelche Hiwis, die für mich kochen, einkaufen, sich um meine Finanzen kümmern, meinen Kindern Nachhilfe geben (wenn nicht sowieso Internat angesagt ist), meine Eltern pflegen, sich, da privatversichert, sofort und gleich um meine Gesundheit kümmern, und wenn es mal Probleme gibt, weil eben nicht nur Bier und Doppelkorn, sondern auch Proseccho und VSOP-Cognac auf die Leber gehen, wissen Spezialisten Rat oder gibt es spezielle Trockendocks. Natürlich konsumieren auch die Junker, aber natürlich nicht so profanen Kram wie DVD-Player von ALDI, sondern es wird in Kunst und Kultur gemacht, man(n) ist ja schließlich gebildet. Während die Unterschicht sich Zombie-Filme reinzieht, gehen Junkers ins subventionierte Theater.

    Von der Politik ist keine Hilfe zu erwarten, weil diese über die Lobby-Verbände genau mit jenen verbandelt ist, welche davon profitieren, das die unten auch unten bleiben.
    Die diversen Bemerkungen über das faule, arbeitsscheue Gesindel und die Sozial-Schmarotzer der letzten Jahre zeigt ja, woher der Wind weht.

    Da trägt man lieber durch allerlei Gefälligkeiten den „Leistungsträgern“ (die Leistung besteht oft nur im Herumheben der Geldkoffer) noch mehr dazu bei, das die Leistungsträger nicht zuhauf, wie immer wieder verkündet, oder besser, gedroht wird, abwandern, was in den letzten 10 Jahren in die -zig Milliarden ging, als genau dieses Geld für ein besseres Bildungssystem zu verwenden, in welchem das Hilfsarbeiterkind die gleichen Chancen bekommt zu studieren, ohne Gebühren, wie das der Gutverdiener- und Akademiker-Familie.

    Nebenbei, das ganze Gesülze und Gejammere über die fehlenden Fachkräfte und die ach so unwilligen und doofen jungen Menschen, die einen Ausbildungsplatz suchen, haut in die gleiche Kerbe. All diese Probleme gäbe es nicht, oder nur marginal, wenn es wirklich gleiche Chancen für alle gäbe. Menschen gibt es genug, man muß ihnen nur ihre Würde lassen, statt ihnen diese zu rauben.

  13. Wer so mit dem Schwanz „Wedellt“,sollte mit dem was er hier lostritt über die eigene Bildung etwas mehr nachdenken.
    Bildung ist vor allem die Fähigkeit sich alles anzuhören und dabei weder die Selbsbeherschung noch das Selbsvertrauen und Achtung zu verlieren.
    Ps. Intelektuell und gleichzeitig Doof sein ist kein wirklicher Wiederspruch.
    Beispiele sind jeden Tag in den Medien oder kann man in einem oder andern Blog nachlesen.
    Lieber Herr Wedell,es ist schon eine Frechheit wie Sie Mill.Menschen beurteilen als wären Sie über alles Unglück erhaben,was Sie schon mogen treffen kann.
    Gott schütze Sie vor der Wirklichkeit.

  14. Ps. Je mehr Verbote und Einschränkungen,je ärmer ist ein Volk und je mehr Gesetze und Vorschriften,je mehr Räuber und Diebe gibt es:-)
    Und was haben die Armen und benachteiligten (z.B) Harz 4) für ein Glück: „Sie brauchen so wenig!!Und merkwürdig ist auch in dieser Gesellschaft:angeberisch und ausländerfeindlich,draufgängerisch,dreist,arogant,lästig und langweilig darf man sein,nur arm sein ist verboten.
    Und Herr Wedell,bezeichnen Sie eine Trümmerfrau mit 400 EU Rente als Undankbar und Schnorrer.
    Eine Entschuldigung in diesem Blog wäre fällig!!

  15. hallo alterbutt:
    Vielleicht sollte man Trolle einfach nicht mehr füttern. Ich gebe Dir ja Recht, aber glaubst Du wirklich, dass Deine Einwände ankommen (oder gar verstanden werden)?
    Zu Deiner Anmerkung @14: „Je mehr Verbote und Einschränkungen,je ärmer ist ein Volk und je mehr Gesetze und Vorschriften,je mehr Räuber und Diebe gibt es“ ist eine Binsenweisheit, denn wenn Diebstahl und Raub nicht verboten sind, gibt’s keine Räuber und Diebe ;-).
    Gruss
    Hajo

  16. Jau Hajo,aber auf eine Binsenweisheit mehr oder weniger kommt es auch nicht mehr an.
    Im übrigen ist es nicht so wichtig ob was ankommt,es ist wie mit der Lüge:Etwas bleibt immer hängen:-D
    Gruß
    Jörg

  17. @alterbutt,

    „Verstehen“ ist ja immer relativ, graduell usw. Mein Eindruck ist, daß Sie mich überhaupt nicht richtig verstanden haben, komplett mißverstanden also (das soll kein Vorwurf sein, vielleicht habe ich mich nicht sorgfältig genug ausgedrückt), und dann irgendwelche Dinge behaupten, die keinen oder wenig Bezug zu meinen Äußerungen haben.

    Z.B. Ich setzte mangelnde Bildung und ungesunde Lebensführung in Bezug. thomas verstand mich nicht richtig, ähnlich wie sie, und bildete sich wohl ein, ich wollte die Betreffenden als irgendwie „doof im Kopp“ denunzieren, worauf er ein Loblied des „gesunden Menschenverstandes“ sang. Daraufhin habe ich versucht zu verdeutlichen, welche Art von Bildung relevant wäre, um ungesunde Lebensweisen überwinden zu können, nämlich „Kenntnis ‚artgerechter‘ Ernährung (versteht sich ja von selbst, weswegen es zunehmend jetzt sogar schon in Kindergärten vermittelt wird), minimale Fähigkeit zur Selbststeuerung (um den Willen aufbringen zu können, gesundheitsschädliche Verhaltensweisen abzulegen) sowie auch das Erlernthaben einer minimalen Autonomie gegenüber Fremdbestimmung (z.B. um Gruppendruck bzgl. Drogenkonsum jgl. Art standhalten zu können)“… darauf kommen sie wieder mit „intelektuell kann auch doof sein“, und ich sollte mal meine eigene Bildung untersuchen, sowie „Bildung ist vor allem die Fähigkeit sich alles anzuhören und dabei weder die Selbsbeherschung noch das Selbsvertrauen und Achtung zu verlieren“, mit anderen Worten, die in unzähligen Studien festgestellte statistische Korrelation ungesunder Lebensführung mit mangelnder Bildung könnte dann durchbrochen werden, wenn die Menschen lernten, „sich alles anzuhören, dabei weder die Selbsbeherschung noch das Selbsvertrauen und Achtung zu verlieren“, d.h. dann würden die Leute schon gesündere Verhaltensweisen annehmen… glauben Sie das wirklich, oder verstehen sie einfach das von mir Gesagte nicht richtig?

    Genau dasselbe gilt für die von mir vermutete Korrelation zwischen krankmachender Unzufriedenheit und einer Haltung immer nur fordernder Undankbarkeit. Da habe ich mich aber vielleicht auch ungenau ausgedrückt. Ich schrieb: „meine persönliche Feststellung ist, daß ganz häufig, wenn nicht eigentlich immer, eine (in meinen Augen) völlig falsche Einstellung der Hilfebezieher dahintersteht.“ Ich möchte ausdrücklich noch einmal klarstellen, daß sich meine PERSÖNLICHE FESTSTELLUNG natürlich nur auf Menschen bezieht, die ich persönlich kenne. Ich kenne aus persönlichen Gründen recht viele Hartz IV-Empfänger, und die von mir beschriebene Haltung der Undankbarkeit gekoppelt mit Forderungshaltung beobachte ich bei nahezu allen von ihnen. Über Personen, die ich nicht kenne, d.h. nahezu alle andern Hartz IV-Empfänger kann ich auch keine PERSÖNLICHE FESTSTELLUNG treffen. Es würde mich nur sehr wundern, wenn die nahezu durchgehend im Kreis der bekannten Personen beobachtete Haltung anderswo NIRGENDS oder nur GANZ SELTEN aufträte, obwohl natürlich im streng wissenschaftlichen Sinne das mir bekannte Sample garantiert nicht repräsentativ ist (Die von ihnen erwähnten Trümmerfrauen fehlen z.B.).

    Im Übrigen kann mich das Unglück quengelnder und fordernder Unzufriedenheit bei Hartz IV-Bezug gar nicht befallen, wie sollte es das? Ich kann doch andern Menschen für eine bestimmte Lebenssituation keine Haltung anempfehlen, die ich nicht selber in dieser Situation hätte. Und so wäre ich, sollte ich in die Situation der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, natürlich selbstverständlich erst einmal dankbar gegenüber der Gesellschaft und nicht chronisch unzufrieden.

    Ich hoffe ich habe ich das jetzt so deutlich ausgedrückt, daß es nicht mehr mißverstanden werden kann.

  18. „…so wäre ich, sollte ich in die Situation der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, natürlich selbstverständlich erst einmal dankbar gegenüber der Gesellschaft und nicht chronisch unzufrieden.“

    Habe es nochmal gelesen, das kann ja immer noch mißverstanden werden. Es sollte natürlich heißen:

    „…so wäre ich, sollte ich in die Situation der Langzeitarbeitslosigkeit kommen, natürlich selbstverständlich erst einmal dankbar gegenüber der Gesellschaft für ihre Unterstützung durch Hartz IV und nicht chronisch unzufrieden.“

    Sorry.

  19. @Fladung, #7

    „Erschlagen und erwürgen und erdrücken wir uns nicht eigentlich mit dieser tollen Luxus-Zivilisation?“

    Vielleicht liegt hier ein Wahrnehmungsproblem zugrunde. Der Mensch nimmt subjektiv und in der Rückschau Zeiten der Muße vielleicht als kürzer wahr als sie eigentlich waren bzw. „vergisst“ sie schneller.

    Kürzlich war ich in der glücklichen Lage, 2 1/2 Monate Urlaub zu machen. Über die reine „Abwesenheit“ der beruflichen Arbeit hinaus ergaben sich weitere, teils erzwungene, teils gewollte Einschränkungen bzgl der gängigen „Zeitfresser“ (z.B. kein Internetzugang = GEWOLLT!).

    Ich habe die Zeit, als ich sie durchlebte, sehr genossen. Aber noch nie in meinem Leben waren 2 1/2 Monate so schnell vergangen. Ich würde nicht von einer Reizarmut in dieser Zeit sprechen (nein, ich war nicht im Knast :D), aber es gab schon ein (voll beabsichtigtes) Zurückgeworfensein auf einfache Dinge, auf Unkompliziertes, Genuß der Natur, lesen, Sport, usw. weswegen jetzt, in der Rückschau, ich mich frage, was ist in der Zeit eigentlich genau passiert? Ich habe den Verdacht, mich in einem Jahr nicht mehr an dieses Jahr zu erinnern als das 3 Monatsurlaubsjahr, sondern halt ein Jahr, in dem man ackerte wie jedes Jahr.

    Positiv erlebte Mußezeiten brennen sich wohl nicht so ein wie die negativ erlebten stresserfüllten Zeiten, mit dem Resultat, daß man schnell glaubt, erstere gar nicht zu erleben, letztere aber in Hülle und Fülle.

    Und dann gibt es ja noch die, die mit einem übervollen Terminkalender ein wenig protzen wollen… aber das will ich Ihnen natürlich nicht unterstellen.

  20. Max Wedell, No. 19: Um die Diskussion vom Kopf auf die Füße zu stellen, hätte ich vielleicht hinzufügen müssen: Wieviel Zeit muß ich fremdbestimmt verbringen, was ist (noch) selbst- bzw. eigenbestimmt? Ich gehöre nicht zu denen, die mit vollem Terminkalender protzen. Das haben Sie mir ja auch nicht unterstellt. Nur, in dem Moment wenn ich als gesellschaftlich agierender und aktiver Mensch mich entschieden habe zu leben, erhalte ich natürlich auch Termine „von außen“. Ich kann diese natürlich nicht wahrnehmen, muß mich dann aber fragen, und fragen lassen: Warum engagierst Du dich eigentlich? Und eine demenzkranke Mutter gehört für mich auch zu außenbestimmten Terminen – ich kann das Besuchen natürlich auch sein lassen, und sagen: sie weiß sowieso nicht mehr, wann ich das letzte Mal da war. Wir leben ja inmitten von guten und weniger guten Ratschlägen: Tue dies, lies das, gehe ökologisch einkaufen, kaufe regionale Produkte, informiere dich über gesunde und verantwortungsvolle Lebensweise, bewege dich, treibe Sport und Gymnastik, ernähre Dich richtig und gesund (wozu dann wiederum auch Informationen von Medien-Ratgebern zählen). Da weiß ich manchmal nicht so recht, wie ich es richtig mache, Ignoriere ich alles, lebe ich in den Tag rein, mache ich es wie Diogenes in der Tonne? Täte ich dies, hätte ich z.B. auch kein Internet, würde nicht emailen, nicht bloggen, und müßte konsequenterweise auch auf Fernsehen, Radio und Telefon verzichten. Am TV oder Radio gibt es noch An- und Ausschalter, am Telefon kann ich den Stecker ziehen, tue dies aber nicht, weil öfters Anrufe bezüglich meiner Mutter kommen, in Fragen der Betreuung z.B. oder weil das Taschengeldkonto aufgefüllt werden muß.
    Auch Freunde rufen ja an, dafür ist das Telefon eine sinnvolle Kontakt-Einrichtung, und manchmal auch zu Zeiten, in denen ich mich gestört fühle oder eigentlich etwas anderes mache oder machen will.

    Ich betrachte es inzwischen als puren Luxus, einmal einige Tage ungestört zu verbringen, also mit selbstbestimmter, selbst eingeteilter Zeit. Als Rentner hört sich dies sicherlich etwas seltsam an und ich frage mich, wie das Vollzeit-Berufstätige schaffen, die möglicherweise auch noch längere Zeit für den Fahrweg aufbringen müssen.

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