Das müde Lächeln der Weltöffentlichkeit

„Es mag begründete Einzelfälle geben, etwa wenn ein Prostituierter ein Kondom verwendet, wo dies ein erster Schritt zu einer Moralisierung sein kann, ein erstes Stück Verantwortung, um wieder ein Bewusstsein dafür zu entwickeln, dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will.“

Dieses herausgegriffene Zitat aus einem Interview, das Papst Benedikt XVI. dem deutschen Autor Peter Seewald gab, hat in aller Welt für Aufsehen gesorgt, wurde es doch als Indiz eines Umdenkens in der katholischen Kirche gedeutet, was Empfängnisverhütung und HIV-Prävention betrifft. Eine Zeitenwende? Weit gefehlt: „Begründete Einzelfälle“, „Schritt zu einer Moralisierung“, Entwicklung eines Bewusstseins dafür, „dass nicht alles gestattet ist und man nicht alles tun kann, was man will“ – das klingt nun wirklich nicht nach einer Wende. Der Papst sieht Kondome aber jetzt offenbar als Mittel zur Bewusstseinsänderung.

Mal weg davon, dass Benedikt noch immer weit entfernt ist von der Anerkennung der Lebenswirklichkeit vieler, sehr vieler Menschen in aller Welt, mal weg davon, dass er das Kondom, wie er weiter sagt, nicht für „die eigentliche Art“ hält, „dem Übel der HIV-Infektion beizukommen. Diese muss wirklich in der Vermenschlichung der Sexualität liegen.“ Ich frage mich vor allem, warum er ausgerechnet männlichen Prostituierten das – eingeschränkte – Recht auf Benutzung von Kondomen einräumt. Es gibt diese männlichen Prostituierten natürlich, nicht nur unter Schwulen. Aber sind sie das Problem? Ist das Problem nicht viel eher, dass gerade in der schwulen Community wieder mehr „bare sex“ – also ungeschützter Sex – gemacht wird und dass damit das Risiko neuer HIV-Infektionen auch in Deutschland wieder steigt? Ist das Problem nicht viel eher, dass weibliche Prostituierte vielfach zu ungeschütztem Sex genötigt werden? Und natürlich ist das Problem die hohe Zahl der HIV-Infektionen in Afrika. Dazu sagt der Papst nichts. Er spricht nur von männlichen Prostituierten. Wie kommt er darauf? Woher hat er das? Gewährt er damit etwa einen verschleierten Einblick in ein eigenes verhuschtes Sexualleben? Räumt er das Recht auf Kondombenutzung ein, um selbst geschützt zu sein? Das wäre natürlich ein höchst moralischer Akt.

Die FR-Leser haben für Benedikts Worte nur Kritik übrig. So meint Lothar Waetke aus Krefeld:

„Herr Ratzinger alias Benedikt XVI. will nun Kondome für männliche Prostituierte zulassen, wohl kaum aber um diese zu schützen. Vielmehr will er jetzt nach öffentlichen Debatten über den uralten Brauch des Missbrauchs in der katholischen Kirche und die dadurch ausgelösten Einschränkungen seine ihm unterstellten Kleriker vor Aids schützen. Die weitaus größere Zahl der weiblichen Prostituierten und Zwangsprostituierten hingegen bleiben außerhalb katholischer Nächstenliebe ungeschützt: es bleibt bei ungebrochener zynischer Frauenverachtung.“

Bernhard Becker aus Frankfurt:

„Statt der allseits zu hörenden Jubelrufe ist ein Aufschrei der Empörung angebracht, offenbart der Vorstoß des Papstes in Wahrheit doch erneut den ganzen Zynismus der katholischen Sexualmoral: in Ausnahmefällen soll für männliche Prostituierte nun das Kondom erlaubt sein, Weibliche sind dagegen nicht gemeint. Warum? Weil das Kondom bei Homosexuellen eben gerade keine empfängnisverhütende Wirkung hat. Bei Heterosexuellen dagegen mag zwar die eine oder andere Hure ohne Kondomgebrauch AIDS zum Opfer fallen. Bis dahin hat Sie aber vielleicht manch‘ gesundes Schäfchen in den Schoß der Kirche geboren. Schließlich ist die Überbevölkerung in der dritten Welt der Wachstumsmotor nicht nur der katholischen Kirche. Geht es noch menschenverachtender?
Zurecht wird im Zusammenhang mit dem Islam in der letzten Zeit verstärkt die Diskussion um die universelle Geltung der Menschenrechte geführt. Dies muß für alle Religionsgemeinschaften, auch für die katholische Kirche gelten. Diese würde sowohl als Karnickelzüchterverein (§ 27 BGB) wie auch als politische Partei (Art: 21 GG) bei uns zurecht nicht zugelassen werden, weil sie nicht demokratisch, sondern nach dem Führerprinzip aufgebaut ist: der Papst wählt seine Wähler, die Kardinäle, selber. Er ist keiner irdischen Instanz Rechenschaft schuldig und beansprucht (kurioserweise erst seit dem ersten Vatikanum 1870) die Unfehlbarkeit in dogmatischen Fragen – ein Schlag ins Gesicht der Aufklärung. Auch kein Priester oder Bischof wurde je von seiner Gemeinde formal legitimiert.
Dazu wird das Grundrecht der Gleichberechtigung der Frau mit Füßen getreten: weder für leitende Funktionen, noch für das Priesteramt sind Frauen zugelassen – sie sind mithin noch rechtloser gestellt, als ihre männlichen Glaubensgenossen.
Schließlich rundet das weltweite Phänomen der systematischen Deckung krimineller Handlungen in den eigenen Reihen und damit die Negation des Primats des Staates in strafrechtlichen Fragen das Bild auf besonders unappetitliche Weise ab.
Religionsfreiheit bedeutet zwar auch die Freiheit, Dinge zu glauben, die Andere -und seien sie in der Mehrheit- für Unsinn halten. Jedoch muß die Ausübung der Religion in einem säkularen, den Menschenrechten verpflichteten Staat ihre Grenzen in eben diesen Menschenrechten finden. Dass eine Religionsgemeinschaft, die wie die katholische Kirche so offen zentrale Grundwerte unseres Staates ablehnt, von unserem Staat auch noch jährlich mit Milliarden öffentlicher Zuschüsse gefüttert wird, war, ist und bleibt auch und gerade angesichts der angeblch so ganz neuen Postion des Papstes zum Kondomgebrauch ein Skandal.“

Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:

„Rom darf sich nicht wundern, wenn in der Weltöffentlichkeit die „Kehre „ von Papst Benedikt XVI nur mit einem müden Lächeln quittiert wird. Die Katholische Lehre hat sich speziell in der Sexualethik eine Normensetzung für individuelles Verhalten angemaßt, das ihr nicht zusteht. Im entscheidenden Punkt gibt Rom auch gar nicht nach: der einzelne Sexualakt hat ausschließlich der Fortzeugung oder zumindest der Intention hierzu zu dienen. Sexualität nur als Ausdruck der körperlichen Zuneigung zueinander oder Sexualität als Selbsterfahrung seiner eigenen Persönlichkeit sind weiterhin Fremdworte für die Katholische Kirche.“

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3 Kommentare zu “Das müde Lächeln der Weltöffentlichkeit

  1. Welch ein Theater um diese Äußerung aus Rom. Wer glaubt denn im Ernst daran, dass sich ein Katholik danach richtet, ob der Papst ein Kondom erlaubt oder nicht. Ausser es ist vielleicht der Dorfpfarrer in einem bayrischen Dorf, der nicht unbedingt seine Haushälterin schwängern will. Wir sind doch eine freie Gesellschaft, die nach dem Grundgesetz lebt und nicht wie es einem alten Mann in Rom gefällt. Ausserhalb des Vatikan ist das Mittelalter längst vorbei.

  2. Ach wie ist das schön!!

    Was zur Hölle, Du lieber Himmel, ist denn in der sexuellen Begegnung zweier Menschen kein „begründeter Einzelfall“?

  3. Immer wieder Pabst auf den vorderen Seiten der FR. Man könnte meinen, ein katholisches Kirchenblatt in den Händen zu haben.
    Und was für ein weltumspannendes Thema.
    Und dann noch ein Gespräch mit einem Journalisten, der endlich im „reifen“ Alter zum „wahren“ Glauben „zurückgefunden“ hat.

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