Wir haben längst Klassenkampf von oben

Arbeitsministerin Bärbel Bas, die auch Vorsitzende der SPD ist, wurde auf dem Arbeitgebertag für ihre Aussage zum Thema Rente ausgelacht: „Wir finanzieren diese Haltelinie aus Steuermitteln. Sie belasten damit die Beitragszahler nicht.“ Ein erstaunlicher und irritierender Vorgang, denn es stimmt, was Bas sagte.

Doch die Geschichte geht noch weiter. Wenige Tage später spricht Bas auf dem Bundeskongress der Jusos in Mannheim. Dort erzählt sie von ihrer Erfahrung auf dem Arbeitgebertag, auf dem sich die Vertreter der großen Wirtschaftsverbände in versammelt hatten. Sie nannte diese Erfahrung ein „Schlüsselerlebnis“. Ihr sei besonders deutlich geworden, „gegen wen wir eigentlich gemeinsam kämpfen müssen.“ Weiter: „Da saßen sie, ich sag’ das jetzt mal ganz offen, die Herren, ja, meistens waren es Männer, in ihren bequemen Sesseln, der eine oder andere im Maßanzug, und die Ablehnung war deutlich zu spüren. Während sie lachten, habe ich allerdings an die Menschen gedacht, die auf unsere Solidarität angewiesen sind. Menschen, die ihr Leben lang gearbeitet haben, oft körperlich hart, oft schlecht bezahlt, oft bis an die Grenzen ihrer Kraft.“ Der Moment habe ihr gezeigt, „wo die Linien in diesem Land wirklich verlaufen“: nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen „Arm und Reich, zwischen denen, die Sicherheit brauchen und denen, die sie für verhandelbar halten“.

Das ist nun nicht unbedingt neu. Eine lange Reihe von Armutsberichten legt bereits seit vielen Jahren Zeugnis ab von dem, was da so plötzlich über die Ministerin gekommen sein soll. Die Arbeitgebertage waren in der Vergangenheit noch nie Heimspiele für Arbeitsminister:innen von der SPD. Allerdings hatten die Herren bisher noch genügend Anstand, eine gewisse Haltung zu wahren. Im Anschluss an den Juso-Kongress haben sie die Sache dann weiter eskaliert und einen Brandbrief geschrieben. Woher dieses großmögende Auftreten? Glauben diese Leute womöglich, in Zeiten aufkommender KI bald nicht mehr auf menschliche Arbeitskraft angewiesen zu sein? Von Sozialpartnerschaft haben sie mehrheitlich schon in der Vergangenheit wohl nicht viel gehalten, trotz aller Beteuerungen, die vor dem aktuellen Hintergrund wie Lippenbekenntnisse wirken.

Aber es ist immer gut zu wissen, wo man steht. Auch für eine Ministerin. Wenn dieser Vorfall dazu beitragen sollte, dass die SPD ihre Stammklientel wiederentdeckt, dann hätte die Sache wohl etwas Gutes.


Die Sozialpartnerschaft wird hintertrieben

Bärbel Bas (SPD) hat Recht: Die Spannungsfelder verlaufen nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen Arm und Reich. Die Arbeitgeber haben den Klassenkampf nach der “Rheinischen Republik” ab den 80/90iger Jahren längst eröffnet und treiben ihn immer weiter voran. Sie argumentieren mit Sozialpartnerschaft und verlassen diese immer mehr. Ein Unternehmer nach dem anderen tritt aus der Tarifgemeinschaft aus. Sie wollen freie Hand über Löhne, Arbeitszeit, Arbeitsschutz etc. Wettbewerbsfähigkeit und Profitmaximierung gehen Hand in Hand. Für eine solidarische Reform der Sozialversicherungen (SV=RV, KV, AV, PV) sind Schritte in Richtung Erbschaftssteuer, Vermögens- und Kapitalsteuer sowie höherer Spitzensteuersatz unabdingbar. Die 4 Punkte von Stephan Hebel bilden die Basis für eine Strukturreform nicht nur der Rentenversicherung. Ein einheitliches System, eine Bürgerversicherung für alle (incl. Abgeordnete, Beamte, Selbständige) ohne Beitragsbemessungsgrenzen, aber mit einer Obergrenze bei der Rentenauszahlung wird mehr soziale Gerechtigkeit herstellen. Das wären auch Schritte gegen den Rechtsextremismus. Auch wenn dies in einer Regierung mit CDU/CSU oder FDP nicht zu machen sein wird, muss die SPD auch in der Regierung dafür stehen und Schritte dahin entwickeln! Diese Ideen zu einer solidarischen Sozialversicherung sind nicht neu, sie sind vor der Rentenreform 1957 und verstärkt in den 1970iger Jahren diskutiert worden. Ebenso alt sind die teils umgesetzten Ideen, ganze Berufsgruppen und Vermögende zu schonen und Ihnen eine private Altersvorsorge steuerlich schmackhaft zu machen, Kapitalfinanzierung statt Umlagefinanzierung, allein die Arbeit als Basis zur Finanzierung der SV zu nehmen und nicht Mieten, Kapitalerträge etc. Fazit: Die Spannungsfelder verlaufen nicht zwischen Jung und Alt, Gesund und Krank, Arbeitende und Arbeitslose sondern zwischen Arm und Reich.

Jörg Kramer, Uelzen


Systembedingte Gegensätze

Die Reaktion aus Wirtschaft und Politik auf Bärbel Bas´ Äußerungen im Kontext des Rentenstreits beim Juso-Kongress macht deutlich: Der unsichtbare Elefant im Raum ist der Kapitalismus. Dessen Wahrheiten haben an den Schalthebeln der Macht und auch in den allermeisten politischen Redaktionsstuben nichts zu suchen.

Solange aber das Ziel unseres Wirtschaftssystems ist, in der Konkurrenz Profit zu erwirtschaften, sind Löhne und Sozialausgaben der Logik nach „Un“-Kosten – ob sie nun auf betrieblicher oder gesamtwirtschaftlicher Ebene anfallen. Das ist systembedingt ein faktischer Gegensatz. Die Ergebnisse dieses Klassenkampfes um diesen Gegensatz sprechen eine super deutliche Sprache in Hinblick auf die Kräfteverhältnisse. So auch die Rentner:innen-Armut. Es ist abwegig, das Rentenproblem als Generationenkonflikt darzustellen – aber der Wirbel darum lenkt gut ab.

Eine „Sozialpartnerschaft“ wäre dann möglich, wenn das Wirtschaftsziel einer Marktwirtschaft der Beitrag zum Gemeinwohl ist – nicht aber der Profit. So aber wird nur eine hässliche Realität schön geredet. Man kann Bärbel Bas etwas anderes entgegen halten. Sie klagt nicht diesen systembedingten Gegensatz an, sondern setzt ein Feindbild von hämischen Wirtschaftsbossen in die Welt. Die Bosse „in den weichen Sesseln“ sind jedoch nur Charaktermasken, die ihre systembedingten Aufgaben erfüllen. Wenn sie denn könnten, täten sie was anderes.

Joachim Reinhardt, Hüttenberg


Der Kanzler als Sprachrohr der Arbeitgeber

Endlich spricht mal eine führende Sozialdemokratin Klartext. Mehr davon… Recht hat Bärbel Bas, wenn Sie aufzeigt, wo die Linien in diesem Land wirklich verlaufen: „Nicht zwischen Jung und Alt, sondern zwischen „Arm und Reich“.

Wo blieb das Gezeter aus dem Arbeitgeberlager, als Bundeskanzler Friedrich Merz erst jüngst von ArbeitnehmernInnen forderte, mehr zu arbeiten? Wo wurde da die mangelnde Sozialpartnerschaft kritisiert? Die Neutralität eines Kanzlers der diese nicht wahrte, sondern sich zum Sprachrohr der Arbeitgeberverbände machte und macht.

Wir haben keinen Klassenkampf von Unten, aber zunehmend einen von Oben, von denjenigen im Arbeitgeberlager und in der Politik, die nicht mehr wissen oder wahrhaben wollen, dass wir nach unserem Grundgesetz noch immer ein Sozialstaat sind.

Harald Fiedler, Oberursel


ES gibt also noch Sozialdemokraten in der SPD

Danke Bärbel Bass. Es gibt also noch Sozialdemokraten in der SPD. Unser Motto sollte sein: Klassenkampf statt Rassenkampf.

Heinrich Mesch, Attendorn


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2 Kommentare zu “Wir haben längst Klassenkampf von oben

  1. Ja, wir haben längst Klassenkampf von oben, wie Bronski richtig schreibt. Wer die Geschichte der Bundesrepublik Revue passieren lässt, kann etwa den langen Weg der Gewerkschaften betrachten, etwa in den Sechzigerjahren für die 40-Stunden-Woche, und wird auch andere soziale Errungenschaften registrieren können. Die Aktivitäten insbesondere der DGB.Gewerkschaften machen deutlich, wie wichtig eine Gewerkschaftsbewegung ist, die die Interessen von lohnabhängig Beschäftigten, aber auch von Rentnern und Empfängern staatlicher Transferleistungen ist. Insofern ist das, was Bärbel Bas auf dem Arbeitgebertag erfahren hat und dann auf dem Mannheimer Juso-Bundeskongress erzählt hat, vollkommen einleuchtend. Die Bundesrepublik litt immer darunter, dass es eine grosse klaffende Lücke zwischen dem Verfassungsgebot des Sozialstaates oder der Sozialpflichtigkeit des Eigentums und der Verfassungswirklichkeit gegeben hat. Wer die ungerechten Vermögensverhältnisse in unserem Lande betrachtet, wird bestätigen, dass diese Lücke noch lange nicht geschlossen ist und wir alle daran arbeiten müssen, dass die Verfassungsnormen des Grundgesetzes auch wirklich umgesetzt werden. Insofern sind grosse Teile der Arbeitgeberverbände keine eindeutigen Verfassungspatrioten, sondern ihr Gebaren erinnert an Verfassungsfeindlichkeit. Erst wenn die Einkommengerechtigkeit und die Verteilungsgerechtigkeit zwischen Arm und Reich zugunsten der Mehrheit der Menschen gelöst ist, wird der Sozialstaat vollendet sein. Das erfordert den ständigen gewerkschaftlichen und politischen Kampf in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung der Bundesrepublik. Das, was sich die Ministerin Bärbel Bas bei den Arbeitgebern anhören musste, wirft ein bezeichnendes Schlaglicht auf grosse Teile der organisierten Arbeitgeberschaft und muss noch weiter thematisiert werden. Es zeigt die Notwendigkeit einer intensiven Arbeit der Sozialdemokraten. Die Agenda 2010 Gerhard Schröders hat meine Partei, die SPD, schon einmal ins Unglück gestürzt und darf keine Wiederholung erfahren. Ja, wir brauchen Sozialreformen, aber solche, die die Lage der Menschen verbessern und bei ihnen nicht noch mehr Ängste auslösen. Dem Klassenkampf von oben muss eine solidarische soziale und menschliche Reformagenda gegenübergestellt werden.

  2. Eigentlich will ich gar nicht zu so vielen Themen gleichzeitig schreiben, aber dieses Thema schreit förmlich nach einer Ergänzung. Das im Westen vorherrschende Marktwirtschaftlich/ Kapitalistische System stand Jahrzehnte lang im Wettbewerb mit der Planwirtschaft im Osten. Dieser Wettbewerb war für D. mit der Widervereinigung entschieden. Es gab kein konkurrierendes System mehr. Das hat die Spielregel komplett verändert. Bis zu diesem Zeitpunkt war den Arbeitgebern klar das ihre Beschäftigten deutlich besser aufgestellt sein müssen als ihre Kollegen im Osten. Das wurde akzeptiert. Reformen waren immer Verbesserungen. 30 Tage Urlaub, Lohnfortzahlung, 35 Stundenwoche u.s.w. Seit dem der Gegner zusammengebrochen ist sind Reformen meist Kürzung und der Klassenkampf hat begonnen. Nach meiner Meinung ist das auch der Hauptgrund warum die Arbeitnehmer in den neuen Bundesländern immer noch nicht das Lohnniveau des Westens erreicht haben. Es gibt sicher viele Arbeitgeber die es gerne sehen würden wenn der Westen sich dem Osten anpassen würde nicht umgekehrt. Das verhindert derzeit der Fachkräftemangel.

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