Etwas weniger Selbstgerechtigkeit

Beate Klarsfeld wird bei der Bundespräsidentenwahl als Kandidatin der Linkspartei gegen Joachim Gauck antreten. Sie hat keine Chance, aber sie nimmt die Kandidatur als Anerkennung ihrer Arbeit. Einen Großteil ihres Lebens hat sie einer Aufgabe untergeordnet: den Aufstieg einstiger NS-Größen in offizielle Ämter der Bundesrepublik zu verhindern. Sie wurde bereits zweimal (von Israel) für den Friedensnobelpreis vorgeschlagen. In Frankreich – sie lebt mit ihrem Mann in Paris – ist sie Mitglied der Ehrenlegion; das ist die höchste Auszeichnung, die Frankreich zu vergeben hat. An Anerkennung für Klarsfeld mangelt es in anderen Ländern nicht. Nur aus Deutschland kam davon bisher wenig: Sie wurde zweimal für das Bundesverdienstkreuz vorgeschlagen, zweimal wurde der Antrag abgewiesen.

Beate Klarsfeld hielt der im Wegsehen und Stillschweigen geübten Wirtschaftswundergesellschaft immer wieder den Spiegel vor. Sie ließ dem Land keine Ruhe, in dem NS-Verbrecher wie der einstige Chef der Gestapo in Paris, Kurt Lischka, der für die Deportation von 76000 französischen Juden verantwortlich war, nichts zu fürchten hatten. Sie fand ihn im Telefonbuch, Lischka lebte unbehelligt in Köln. Die Klarsfelds brachten ihn vor Gericht. Nazi-Jägerin nennt man sie deswegen.

1966 arbeitete sie als Sekretärin im Deutsch-Französischen Jugendwerk. Als Kurt Georg Kiesinger, NSDAP-Mitglied der ersten Stunde, Bundeskanzler wurde, veröffentlichte Klarsfeld einen Artikel in der französischen Zeitung Combat, in der sie die Vergangenheit des Juristen zur Sprache brachte, der nach einer steilen Karriere in Ribbentrops Außenministerium für die Auslandspropaganda zuständig war. Darauf wurde ihr fristlos gekündigt. Damals nahm sie den Kampf auf, der sich mit jener legendären Ohrfeige, die sie Kiesinger verpasste, schnell zuspitzte. Ein Jahr Gefängnis bekam sie dafür, in der Berufung wurde das Strafmaß auf vier Monate zur Bewährung herabgesetzt.

Sie ist bis heute eine Persönlichkeit, die die Deutschen spaltet. Das spiegelt sich auch in den Leserbriefen wider, die mich erreichen. Gerhard Grassl aus Pforzheim hat eine Menge Fragen an Klarsfeld:

„Da wird in den Medien die „Nazi-Jägerin“ Klarsfeld zur Freiheitsheldin hochstilisiert. Dies wirft eine Menge Fragen auf, z.B.: Hat Frau Klarsfeld damals auch den Drang verspürt, Ulbricht und dessen stalinistische Mittäter zu ohrfeigen bzw. zu „jagen“? Wie kann sie sich heute von einer Partei vorschlagen lassen, die institutionell mit der stalinistischen Kaderpartei von 1946 identisch ist? Weiß Frau Klarsfeld nicht, dass diese Linke/PDS/SED auch heute noch nach „Wegen zum Kommunismus“ sucht?
Aber vor allem: Wie kann sich Frau Klarsfeld und ihre ganze Gesinnungsgenossenschaft aus der 68er-Szene so sicher sein, dass sie in den 30er Jahren nicht NS-Anhängerin geworden wäre, wenn man bedenkt, dass die Deutschen im Siegerdiktat von Versailles ausgegrenzt (aus dem Völkerbund), diskriminiert („nicht fähig, Kolonien zu verwalten“), ausgeplündert (durch nicht bezahlbare Reparationen), schutzlos Massenarbeitslosigkeit und Hunger ausgesetzt, um das Selbstbestimmungsrecht (in den meisten abgetrennten Gebieten) betrogen worden waren?
Woher weiß sie (wie die selbstgerechten Moralprediger von „1968“) so sicher, dass sie nicht wie Kiesinger als 29-Jährige 1933 der NSDAP beigetreten wäre, um als junge Rechts-Assessorin eine berufliche Karriere zu ermöglichen? Hätte sie 1933 vorausgesehen, was Hitler anstellen würde? Hätte sie nach 1933 das Heldentum aufgebracht, gegen ein totalitäres System Widerstand zu leisten und damit nicht nur sich, sondern auch ihre Familie zu gefährden? Und wenn ja: Kann sie von der großen Masse dieses Heldentum erwarten? Haben die „68er“ nicht verwerflicher gehandelt, als sie sich in den verschiedenen „K-Gruppen“ für kommunistische Regime begeisterten, obwohl sie deren verbrecherische Vergangenheit kannten? Weiß Frau Klarsfeld nicht, dass ihr damaliger Geldgeber, die schändliche SED, den Mörder Benno Ohnesorgs „geleitet“ hat? Weiß sie nicht, dass diese Mutterpartei der Linken die RAF-Mörder finanziell und logistisch unterstützt und bis zum Ende 1989 versteckt hat?
Hat Frau Klarsfeld kein Glaubwürdigkeitsproblem, als Angehörige der (französischen) „Großbürgerklasse“ mit Nähe zu Präsident Sarkozy in Deutschland für die ideologischen Gegner dieser „Klassenfeinde“ zu kandidieren?
Zusammenfassende Frage an Frau Klarsfeld: Wäre nicht mehr Information über die Tragödie der Deutschen in der Zeit vor der NS-Katastrophe angebracht – und daraus folgend etwas weniger Selbstgerechtigkeit und Selbstgefälligkeit gegenüber der damaligen Generation – und mehr Ehrlichkeit und Glaubwürdigkeit – als Grundvoraussetzung für die Kandidatur zu einem hohen Staatsamt?“

Karsten Kühn aus Waldems dagegen:

„Das Verhalten konservativer Politiker gegenüber Frau Klarsfeld ist meiner Ansicht nach verdeckter Antisemitismus. Angefangen von der schroffen Abfuhr des Präsidenten des Bundesnachrichtendienstes, Gerhard Schindler, im Café Einstein in Berlin gegenüber der Nazijägerin, über die Polemik aufgrund der Annahme von 2000 DM von der SED mangels staatlicher Unterstützung durch die BRD für weitere Forschungen nach Alt-Nazis (hierzu sei auf den treffenden Kommentar von Holger Schmale „Klarsfelds Ohrfeige sitzt“ verwiesen) bis hin zu den gehässigen Äußerungen des CDU-Generalsekretärs Hermann Gröhe und des CSU-Generalsekretärs Alexander Dobrindt zu dieser finanziellen Unterstützung.
Hierzu passt auch die Blindheit der Rechtskonservativen gegenüber den Aktionen der Neo-Nazis. Sobald jedoch auch nur die geringste Kritik an Israels Politik laut wird, ereifern sich die gleichen Politiker sofort über die angeblich antisemitischen Äußerungen. Dies kritisieren inzwischen auch mehrere jüdische Schriftsteller und Historiker in ihren auch in Deutsch erschienenen Publikationen.
Die Polemik gegenüber Frau Klarsfeld ist schlicht und einfach nur peinlich für einen demokratischen Staat.“

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65 Kommentare zu “Etwas weniger Selbstgerechtigkeit

  1. Beate Klarsfeld ist eine würdige Gegenkandidatin zu Joachim Gauck, den ich sehr schätze und für einen geeigneten Kandidaten für das Amt des Präsidenten halte.

    Durch ihre Aufstellung als Kandidatin wird ihr Engagement bei der Aufspürung belasteter NS-Verbrecher und ihrer Zuführung zu einer Strafverfolgung gewürdigt. Ihre Ohrfeige gegen Kanzler Kiesinger gab dem Lebensgefühl ihrer Generation Ausdruck, die gegen das systematische Verschweigen und Ableugnen der Verstrickungen hochgestellter Personen in Politik und Wirtschaft in das NS-System aufbegehrte.

  2. Was erwarten wir von Frau Klarsfeld als Bundespräsidentin? Dass sie ihre Lebensaufgabe, die Demaskierung und Verfolgung von NS-Verbrechern und -Mitläufern fortsetzt oder ausweitet auf z.B. islamische Diktatoren? Wären wir wirklich einverstanden, wenn sie als Bundespräsidentin Herrn Ahmadinedschad oder König Abdullah ohrfeigt? Oder erwarten wir von ihr, dass sie sich im Amt anderen Aufgaben zuwendet und anders verhält? Ich sehe in ihrer Nominierung nur eine leere Provokation.
    Herr Wulff hat mit dem Thema Integration ein aktuelles und überaus wichtiges Thema gesetzt und dazu ein gültiges Beispiel gegeben, in Wort und Tat. Was haben die beiden Kandidaten in dieser Beziehung vorzuweisen?

  3. 2. Versuch, nachdem sich im ersten einige Fehler eingeschlichen hatten. (Die „Vorschau“ scheint nicht mehr zu funktionieren, oder?)

    Nachdem ein Schnäppchenjäger mit einer ordentlichen Abwrackprämie und allen militärischen “Ehren” verabschiedet wurde, erwartet uns nun ein neoliberaler und calvinistischer Prediger, welcher Attackies, Occupyler und S21-Gegner in ihrem Widerstand mit dem Prädikat “albern” belegt. Da paßt Frau Klarsfeld, bei aller Anerkennung ihrer Verdienste als Nazi-Jägerin, durchaus ins Bild. Ist sie doch in ihrer Ausrichtung bei der Verfolgung von Altnazis genauso einseitig aufgestellt wie Herr Gauck mit seiner einseitigen, wohl nur mit der DDR-Herkunft erklärbaren, Ausrichtung auf die Freiheit. Beide scheinen vergessen zu haben, daß, frei nach den Idealen der frz. Revolution, Freiheit ohne Gleichheit und Brüderlichkeit, neudeutsch Gerechtigkeit und Solidarität, eine leere Hülse bleibt. Und von Frau Klarsfeld habe ich nichts gehört in Bezug auf das Widererstarken des Nationalsozialismus, der oftmals im Gewande des Rechtskonservatismus und Populismus daher kommt. Ist das Recht Israels höher zu werten als das der Palästinenser? Was unterscheidet einen strenggläubigen Juden von einem strenggläubigen Muslim? Was passiert innerhalb der Globalisierung? Wie läßt sich der Finanzkapitalismus zügeln? Gehört die Demokratie den Märkten oder müssen die Märkte nicht für die demokratischen Regeln danken, weil wir ohne Regeln nur noch Dschungel und Anarchie überall hätten?

    Und was wollen beide der jungen Generation sagen und vermitteln, außer Vergangenheit? Für mich war die Nominierung von Frau Klarsfeld ein gigantischer Fehlgriff – da wär Butterwegge die idealere Besetzung gewesen. Und wenn schon Moralisierer: dann eher Georg Schramm for President – da schimmert wenigstens das durch, was wir am wenigsten in der Politiklandschaft finden: Ethik.

    PS: Ich hätte auch mit Petra Roth, Klaus Töpfer oder Margot Käßmann leben können.

  4. Beate Klarsfeld hat unter erheblichem persönlichem Risiko viel gutes für die Demokratie in Westdeutschland getan. Dass jetzt versucht wird, dies kleinzureden zeugt von unerträglicher Blasiertheit. Vielleicht können die Kritiker und Links=Rechts-Pauschalisierer einmal ihre eigenen Verdienste im entlarven von Massenmördern in Machtpositionen offenlegen. Ich mag die Linkspartei/SED auch nicht, aber Beate Klarsfeld ist eine mutige und kluge Frau.

  5. Grundsätzlich halte ich das Amt, was vorgeblich mit Respekt und Würde ausgestattet ist, für mehr als nur entbehrlich. Aus diesem Grunde halte ich auch nix von KandidatInnen für dieses Amt, ganz egal um wen es sich dabei handelt. Das Amt sollte in Ruhe und respektvoller Würde in die ewigen Jagdgründe eingehen, wo es keinen Schaden mehr anrichten kann. Außerdem könnten die eingesparten Mittel für erheblich Sinnvolleres verwendet werden. Leider sind wir aber noch nicht so weit. Der Staatszirkus wird am Sonntag mit der Wahl seinen Höhepunkt haben, wobei ich gar nicht an die Medien- und Talkshowverwurstung denken darf. Es wird sicherlich wieder schlimm. Wenn ich mich jedoch für einen KandidatIn entscheiden müsste, würde ich Frau Klarsfeld dem Herrn Gauck in jedem Fall vorziehen. Gründe:

    Frau Klarsfeld stellt nicht, wie Gauck, die DDR mit dem Naziregime auf eine Stufe, womit, aus meiner Sicht, der menschenverachtende, barbarische Terror der Nazis in eklatanter Weise verharmlost wird.

    Frau Klarsfeld spricht meines Wissens nach dem Holocaust nicht die Singularität ab, wie Gauck, auch wenn er es noch so verschwurbet tut. Frau Klarsfeld relativiert und verharmlost damit dieses singuläre Menschheitsverbrechen ausdrücklich nicht.

    So viel wie ich weiß, bewundert Frau Klarsfeld auch nicht Schröders Agenda, wie es Gauck ohne wenn und aber tut. Ich habe auch nicht gehört, dass Frau Klarsfeld Kapitalismuskritik für albern, den Afghanistankrieg für erträglich und gerechtfertigt, den Finanzterrorismus wohlgesonnen ist, den rassistischen und biologistischen Thesen Sarrazins Mut bescheingt, oder immer nur wieder die gleiche Freiheitsplatte auflegt, ohne z.B. auf den Zusammenhang von Freiheit und sozialer Sicherheit einzugehen. Frau Klarsfeld hat auch nicht, wie Gauck, vom Erschlaffen einkommensschwacher Teilen in der Bevölkerung schwadroniert. Eine Menge Gründe, die eindeutig für Frau Klarsfeld sprechen. Es wird natürlich am Sonntag anders kommen, der großen „bürgerlichen“ Koaltion aus CDU/CSU/SPD/FDP/Grüne sei es gedankt. Passt ja auch ganz gut, neben der marktkonformen Kanzlerin steht in Kürze der marktkonforme, sogar marktüberkonforme Präsident. Wenn gerade die marktkonforme Kanzlerin Herrn Gauck allen Ernstes für einen „Demokratielehrer“ hält, ist das nicht nur anmassend lächerlich, sondern zeigt überaus deutlich, welche Demokratie gemeint ist. Eine Demokratie, die man/frau sich leisten können muss. Allerdings dürfte es ab Sonntag feierlichen und triefenden präsidialen Pathos ohne Ende geben, und das ist ja schließlich auch schon mal etwas. 😀

    Ein kurzes Wort sei mir noch an @sulaika gestattet. Danke. Liebe sulaika, Ich hatte Ihnen umfassend in dem anderen Thread geantwortet. Als ich meinen Beitrag abschicken wollte, musste ich feststellen, dass das Thema bereits geschlossen war. Meine Antwort wurde, wegen mangelnder Themanausrichtung, in diesem Thread nicht zugelassen, was ich verstehen kann und auch muss. Deshalb auch nur ganz kurz. Ich bin von Ihrer „furchtlosen“ und auch emotionalen Argumentation erneut sehr beeindruckt. Ich habe absolut nichts gegen Emotionen, ganz im Gegenteil, zumal die Zeiten, in allen Bereichen des täglichen Lebens, leider, leider, täglicher emotionsloser werden. Kälte, Eiseskälte und Schlimmeres beherrschen zunehmend die „Szene“. Behalten Sie bitte Ihren sehr kraftvollen Stil bei, und lassen Sie sich bloß nicht beirren. Was gesagt werden musste, haben Sie klar, deutlich und unmissverständlich auf den Punkt gebracht. Ich habe nichts gefunden, wo ich Ihnen nicht zustimmen könnte.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  6. „wie Gauck, die DDR mit dem Naziregime auf eine Stufe“

    Nein, das tut er nicht. Ihr fortwährendes Beharren auf dieser Unwahrheit macht sie nicht wahrer.

  7. @ Jutta Rydzewski, Standort

    Ich bitte Sie, den Nachweis anhand des oder der Originalzitats/-zitate zu führen.

  8. @ Jutta Rydzewski

    Die weitgehende Funktionslosigkeit des Präsidenten ist sicher diskussionswürdig. Durch die Ausgestaltung des Amtes sollte ein neuer Hindenburg verhindert werden. Vorbild sollte gewissermaßen der britische Monarch sein.

    Die Frage ist, ob dies heute noch zeitgemäß ist. Der britische Monarch ist deshalb völlig entmachtet, weil er (oder sie) über keine demokratische Legitimation verfügt. Dies ist beim Bundespräsidenten nicht der Fall. Er verfügt sogar über eine noch stärkere demokratische Legitimation als der (oder die) Bundeskanzler(in). Denn der Bundespräsident wird nicht „nur“ von den Mitgliedern des Bundestages gewählt, sondern zusätzlich von einer gleich großen Zahl von Wahlmännern und -frauen aus den Bundesländern. Es ist an der Zeit, dass das Amt des Bundespräsidenten über das eines reinen „Anti-Hindenburg“ hinauswächst. Gerrade in einer Zeit, in der sich die Parteien den Staat zur Beute machen, könnte der Bundespräsident sinnvoll im Sinn von „checks and balances“ eine Kontroll- und machtbegrenzende Funktion gegenüber dem Bundestag oder dem Bundeskanzler ausüben. Dies ist Stoff für eine Verfassungsreform.

    Was nun die Person des zu wählenden Kandidaten angeht: Der Bundespräsident ist das Staatsoberhaupt aller Bürger und Bürgerinnen. Deshalb wird von ihm zu Recht politische Zurückhaltung und ein Heraushalten aus den tagespolitischen Querelen erwartet. Dies heißt aber nicht, dass der Bundespräsident keine eigene Meinung haben darf oder soll, oder er es allen recht machen soll. Und es ist auch das legitime Recht der Mehrheit der Mitglieder der Bundesversammlung, einen Kandidaten zum Präsidenten wählt, der ihnen nahestehende politische Ansichten vertritt.

    Entscheidend und maßgeblich ist daher nicht, welche Äußerungen der Kandidat für das Präsidentenamt in der Vergangenheit gemacht haben soll, sondern wie er sein Amt nach der Wahl ausüben wird. Gauck, sollte er am 18.03.2012 gewählt werden, hat eine faire Chance verdient.

  9. Sulaika hatte in # 8 ursprünglich den gesamten Blogbeitrag des geschätzten Kollegen Jakob Jung hier hereinkopiert. Der Link muss reichen, schon aus urheberrechtlichen Gründen. Ich bitte um Verständnis. Klicken Sie bitte auf den von Sulaika gegebenen Link und scrollen hinab bis zu „Der Anti-Kommunist Gauck“.

    Gauck gibt in seinen von Jakob Jung auszugsweise zitierten Texten Denkanstöße zur Totalitarismustheorie. Das ist kompliziertes Terrain, wie auch schon ein kurzer Blick auf die Begriffsdefinition bei Wikipedia zeigt.

  10. Hallo, Frau Rydzewski,
    Ihrer Einschätzung bezüglich des geeigneteren Präsidentschaftskandidaten stimme ich zu, im Falle von Frau Klarsfeld hätte ich auf jeden Fall deutlich weniger Bedenken, wenngleich mir Einiges auch an dieser Kandidatin missfällt.Ihr kompromissloses Engagement gegen die in der BRD übliche „Verschwurbelung“ und Ihr Engagement bei der Verfolgung von NS-Verbrechern, die in der BRD unbehelligt lebten und teilweise in höchste Ämter gelangten, hat den größten Respekt verdient. Meine Bedenken beziehen sich v.a. auf das Engagement für Sarkozy, auf die m.E. vollzogene Ausblendung der Menschenrechte auch der Palästinenser und darauf, dass Frau Klarsfeld zu Recht die NS-Vergangenheit zu ihrem Lebensthema machte, aber m.E. im Hinsicht auf die Gegenwart, in der rechtsextremistisches Gedankengut und Rassismus mittlerweile bis in die Mitte der Gesellschaft vorgedrungen sind, weitgehend stumm geblieben ist.

    Herr Gauck ist auf jeden Fall der falsche Präsident, nach meiner festen Überzeugung und sein Freiheit über alles, bei der er vollkommen ausblendet, dass Freiheit untrennbar mit sozialer Sicherheit und einem Mindestmaß an wirtschaftlichem Auskommen verbunden ist, seine Ignoranz gegenüber den verheerenden Folgen der Spekulation, seine Gleichsetzung von Kommunismus und NS-Diktatur und vieles andere mehr, sind unerträglich. Dies ist kein Präsident für die Bürger, dies ist ein Präsident der Besserverdienenden, der dem menschenverachtenden neoliberalen Zeitgeist noch mehr Auftrieb verleihen wird, als er sowieso schon hat. Lesenswert ist der Gastbeitrag von Albrecht Müller in der FR

    http://www.fr-online.de/gauck-folgt-wulff/gastbeitrag-von-albrecht-mueller-gauck-ist-der-falsche-praesident,11460760,11897302.html

    Und nachdem die Einschätzung von Albrecht Müller unbeanstandet Einzug in die FR gefunden haben, hoffe ich, dass ich meine Einschätzungen über diesen Kandidaten nicht mit Zitaten untermauern muss.

    Gauck, der unentwegt von der Freiheit schwadroniert, kann sich in keinster Weise in die Lage von Menschen versetzen, denen es in der neoliberalen Raffke-Gesellschaft und im Raubtierfinanzkapitalismus schlecht geht, sehr schlecht sogar. Dass ein Hartz-IV-Empfänger nicht frei ist, ja dass dieses Freiheitsgeschwafel für Menschen, die zum Opfer dieses neoliberalen „Gesellschaftsmodells“ wurden, wie Hohn klingen muss, dass hat Herr Gauck, der sich über bürgerliche Protestbewegung lustig macht, nicht einmal ansatzweise begriffen. Und es steht leider zu befürchten, dass er es auch nicht einmal ansatzweise begreifen will oder wird.

    Ein kurzes Zitat von Albrecht Müller, Herr Bronski, mit Quellenangabe ist das m.E. in Ordnung:

    „Er wird nur der Präsident der Besserverdienenden, wenn er nicht schnell versucht, die Lebensverhältnisse der Mehrheit unseres Volkes besser kennenzulernen. Er wird der Präsident eines Landes mit über 800.000 Leiharbeitern, mit 1,36 Millionen sogenannten Aufstockern und unzähligen jungen Menschen, die sich von Praktikum zu Praktikum hangeln müssen. Kann er deren Lebenswirklichkeit noch begreifen?“

    Nach allem, was ich bisher von diesem Kandidaten gehört und gelesen habe, kann er es nicht und vor allem will er es auch nicht können. Er interpertiert die Welt und die Gegenwart alleine auf der Basis seiner eigenen persönlichen Erfahrungen und seinem Kommunistenhass und kann und will sich nicht in die Lebensverhältnisse anderer Menchen, der Mehrheit in diesem Lande, hinein versetzen. Die Gleichsetzung der NS-Diktatur mit dem Kommunismus ist unerträglich in meinen Augen. Ehrlich gesagt, einen noch schlechteren Kandidaten ausfindig zu machen, das dürfte m.E. seeeehr schwierig sein.

  11. Jutta Rydzewski: Nur eine kurze Frage, Frau Rydzewski: Was Frau Klarsfeld alles nicht gesagt hat, nehme ich zur Kenntnis. Mir fehlt jedoch bei dieser Dame, die seit 40 Jahren das Geschehen in der BRD nur von Ferne, aus Frankreich, verfolgt, irgendein Hinweis, w a s sie und wann gesagt hat – zu den Dingen, die Sie aufführen. Irgendwie habe ich große Probleme damit, zusammen zu bringen, was Sie – angeblich – nicht gesagt hat, und warum sie dann für Sarkozy, einen bekennenden Neoliberalen und Merkel-Freund ist, und nicht z.B. für Hollande. Können Sie mir diese Einstellung und Entscheidung erklären?

    Aber vielleicht verstehe ich wieder mal nicht die Quadratur des Kreises. Vielleicht gibt mir der Treff mit einigen unabhängigen Linken hier im Kreis demnächst Aufschluß, was hier die Linke geritten hat. Heute, auf einer Familienfeier meiner Frau, fand ich zumindest etliche, die auf Unverständnis zur Nominierung von Klarsfeld reagiert haben. Und was an der Dame für unsere Jetztzeit zukunftsweisend sein soll, ebenso wie beim Gauck’schen Unverständnis moderner Protestkultur, erschließt sich mir ebenso wenig. Alles für mich eine einzige Gauckelei.

    Sagte der Heinrich Heine nicht sinngemäß: „Denk‘ ich an Deutschland in der Nacht, bin ich um den Schlaf gebracht.“? Aber höchstwahrscheinlich ist es sowieso egal, in Anbetracht der kommenden Katastrophen und sozialen Verwerfungen, wer irgendwann mal irgendetwas zu vergangenen Geschehnissen gesagt hat. Entscheidend ist die klare Haltung zur Zukunft. Und eine solche, kritische und selbstkritische, finde ich weder bei G. noch bei K.

    Da kann ich als Hesse dann nur sagen: „Gut Nacht, Sannsche.“

  12. Wahrscheinlich ist es aufgrund der Gegebenheiten, und der Macht des Faktischen, völlig o.k., wenn am Sonntag J. Gauck mit 90% der Stimmen der Bundesversammlung gewählt wird. Wir verdienen es nicht anders, weil wir inzwischen alle Gauckler geworden sind. Gauckler, Illusionisten, Zauberer, Magier, Selbst-Bespiegler, Selbst-Beweihräucherer, die ihre nicht oder nur rudimentär vorhandenen sozialen Kontakte nur im Netz ausleben und sublimieren können, und erlittenen Frust dann kübelweise über andere Blogger ausgießen. Und damit dann sich ganz, ganz weit von dem Thema und sachlicher Argumentation entfernen; weil Ihnen das Ausleben ihres Frustes wichtiger geworden ist als die themenbezogene Kommunikation mit Anderen. Da tut mir Bronski dann leid, er bekommt den Müll ab.

  13. Herr Jacob Jung, Herr Bronski, geht in seinem Artikel auch auf zahlreiche andere an Herrn Gauck zu kritisierende Aspekte ein, genauso, wie zahlreiche andere Kommentatoren in öffentlichen Medien, die hier bereits eingestellt wurden. Und genau wie Frau Rydzewski und ich betrachtet Herr Jung die von Gauck vorgenommene Gleichsetzung von Kommunismus und NS-Diktatur als eine Form der Argumentation, die zwangsläufig zu einer Verharmlosung des Holocaust führt. Auch wenn man diese Meinung nicht teilt, sie zu vertreten ist absolut legitim (…).

    (…) Passage gelöscht, Anm. Bronski

  14. Schon im Verlauf der Debatte um Wulff wurde Kritik laut, dass die Anforderungen an den Inhaber des Präsidentenamtes ins Maßlose überhöht werden.

    Liest man den Beitrag von sulaika101 (# 11), kann man den Eindruck bekommen, dass der Kandidat Gauck für alle sozialpolitischen Mißstände in Deutschland die Verwantwortung trägt, und als wenn es seine Aufgabe im Falle seiner Wahl wäre, all diese Mißstände in fünf Jahren zu beseitigen.

    Man sollte sich an dieser Stelle noch einmal in Erinnerung rufen, welche Aufgaben und Kompetenzen der Bundespräsident hat: Er macht Staatsbesuche oder empfängt ausländische Staatsoberhäupter, er ernennt (oder entlässt) den vom Bundestag gewählten Bundeskanzler, Bundesminister (auf Vorschlag des Bundeskanzlers) oder hohe Bundesbeamte (auf Vorschlag des Kanzlers oder anderer Amtsträger) und er unterschreibt Bundesgesetze, wobei sehr umstritten ist, ob und in welchem Rahmen er hierbei das Recht hat, Gesetze auf ihre materielle Verfassungsmäßigkeit zu prüfen. Die wohl herrschende Meinung unter den Verfassungsjuristen bestreitet dies. Kompetenzen, bei denen er ein eigenes Ermessen ausüben kann, hat er nur ganz wenige (etwa nach einem Mißtrauensvotum des Bundestages gegen den Bundeskanzler) und auch hier darf er nie aus eigenem Antrieb tätig werden, sondern immer nur auf Antrag anderer. Ach ja – Orden verleihen darf er auch noch.

    Gewiss, er kann bei diversen Anlässen besinnliche Reden halten, wird er dabei jedoch zu konkret oder fühlt sich jemand „auf den Schlips getreten“, wird ihm schnell Überschreitung seiner Kompetenzen und Einmischung in die Politik vorgeworfen.

    Vergegenwärtigt man sich die Bescheidenheit der Kompetenzen des Bundespräsidenten, wird deutlich, wie unsinnig die von Einigen betriebene, quasi-inquisitorisch anmutende Durchleuchtung der Kandidaten für das Amt ist. Maßgeblich kommt es darauf an, dass der (oder die) Kandidat(in) geeignet ist, die dem Amt durch Gesetz und Verfassung zugewiesenen Aufgaben wahrzunehmen. Solange der (oder die) Kandidat(in) auf dem Boden der grundgesetzlichen Ordnung steht, ist seine (oder ihre) politische Einstellung nachrangig.

    Von daher sind sowohl Gauck als auch Klarsfeld geeignete Kandidaten.

    Nur dass Gauck bei der Wahl wahrscheinlich die Mehrheit erhalten dürfte. Ein gewählter Präsident ist jedoch kein „falscher“ Präsident, wie sulaika101 (# 11) meint. Denn dann müsste man auch von einer „falschen“ Mehrheit in der Bundesversammlung sprechen. Es ist aber gerade Sinn einer demokratischen Wahl, dass der (oder die) Gewählte das Vertrauen der Mehrheit genießt.

    Um es noch einmal zu wiederholen: Es ist das legitime Recht der Bundesversammlung, einen Präsidenten zu wählen, dessen politische Ansichten ihr am ehesten zusagen. Die Wahl spiegelt die Mehrheit nur wieder. Wem der politische Standort der Mehrheit nicht passt, muss sich um eine Änderung der Mehrheitsverhältnisse bemühen. Was hingegen sulaika101 fordert, läuft auf eine Forderung nach Verfälschung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse hinaus.

  15. @12 Wolfgang Fladung

    Gerne nehme ich Ihre Frage auf. Vielleicht ist mein Beitrag @5 im Hinblick auf Ihre Frage auch etwas undeutlich. Grundsätzlich bin ich für die Abschaffung der Veranstaltung Bundespräsident. Wenn ich aber zwischen Herrn Gauck und Frau Klarsfeld entscheiden MÜSSTE, dann würde ich mich für Frau Klarsfeld entscheiden, obwohl ich die Skepsis von Ihnen und auch von sulaika, die dafür unter @11 einige Beispiele genannt hat, teile. Allerdings verdient die große Lebensleistung von Frau Klarsfeld, die kompromisslose Verfolgung von NS-Verbrechern, in der Tat allerhöchsten Respekt. In diesem Zusammenhang verwende sogar ich gerne den Begriff Respekt, was ich ansonsten möglichst vermeide, genauso wie den Begriff Würde. Beide Begriffe sind so enorm überstrapaziert, ja regelrecht verwurstet worden, dass der damit eigentlich verbundene große Wert nahezu unkenntlich geworden ist. Zusammengefasst: Möglichst das Amt völlig abschaffen. Wenn es NUR die Wahl zwischen Gauck und Klarsfeld gebe, dann Frau Klarsfeld. Allerdings hätte ich z.B. sowohl Herrn Töpfer als auch Herrn Lammert Frau Klarsfeld vorgezogen.

    @7 Bronski

    In einem Beitrag zur deutschen Ausgabe des „Schwarzbuchs des Kommunismus“ gelangt Gauck über die Totalitarismustheorie implizit zur Gleichsetzung von DDR-Regime und Nazi-Diktatur. Sozusagen in einem Atemzug setzt Gauck, was genauso falsch ist, die DDR-Diktatur explizit mit der Terrorherrschaft Stalins gleich. Aus meiner Sicht ist das größte Problem mit Gauck sein völlig überzogener Antikommunismus. Ausschließlich daraus leitet er auch seinen Freiheitsbegriff ab, und das ist natürlich völlig unzureichend. Symtomatisch ist für Gauck schon seine eigene Einordnung, wonach er Linker, Liberaler, Konservativer sei. Damit wirft er eine seiner typischen Nebel- bzw. Schwurbelkerzen, nach dem Motto: Seht her, ich bin die freie Auswahl -wünsch euch was. Gauck ist aus meiner Sicht, einiges hatte ich in meinem Beitrag dazu konkret genannt, ein neoliberaler Rechtskonservativer mit Neigung zum Rechtspopulismus. In diesem Zusammenhang möchte ich auf ein Interview mit Friedrich Schorlemmer unter http://weltnetz.tv/video/271 verweisen. Darin kritisiert Schorlemmer u.a. Gaucks individualistischen Freiheitsbegriff. Gauck verstünde Freiheit vor allem als Ausdruck für kämpferischen Antikommunismus. Schorlemmer ist wirklich das, was Gauck nie war: Ein Bürgerrechtler der sich jahrzehntelang aktiv in der ehemaligen DDR engagiert hatte. Auszug aus Wikipedia:

    Bereits 1968 beteiligte sich Schorlemmer an Aktionen gegen die neue Verfassung der DDR und den militärischen Einmarsch in der Tschechoslowakei. Von den siebziger Jahren an war er Mitglied der Friedens-Menschenrechts- und Umweltbewegung. Auf dem Kirchentag 1983 in Wittenberg fand auf dem Lutherhof unter seiner Verantwortung die symbolische Umschmiedung eines Schwertes zu einer Pflugschar statt, obwohl DDR-Behörden bereits vorher die öffentliche Benutzung des Slogans Schwerter zu Pflugscharen für illegal erklärt hatten. Diese Aktion wurde als Symbol zu einem Hoffnungszeichen für die Friedensbewegung in der DDR, die sich für atomare und konventionelle Abrüstung in Ost und West einsetzte und für konsequente Entspannungspolitik, für Frieden – in und zwischen den Ländern – wirkte.

    @9 Carsten Neumann

    „Entscheidend und maßgeblich ist daher nicht, welche Äußerungen der Kandidat für das Präsidentenamt in der Vergangenheit gemacht haben soll, sondern wie er sein Amt nach der Wahl ausüben wird. Gauck, sollte er am 18.03.2012 gewählt werden, hat eine faire Chance verdient.“

    Natürlich hat Herr Gauck eine faire Chance verdient. Ich wäre froh, obwohl ich wenig Hoffnung habe, wenn er sich bemüht dazuzulernen. Dazu wird er, wie ich befürchte, jedoch viel zu eitel sein, zumal er sich für das Maß aller Dinge hält. Dazu äußerst sich übrigens auch Friedrich Schorlemmer in dem oben verlinkten Inteview. Allerdings halte ich es auch nicht nur für legitim sondern für dringend geboten, einen Mann, der sich um das Amt des Bundespräsidenten bewirbt, auch dahingehend „abklopfen“ zu dürfen, was er bisher so von sich gegeben hat. Wonach sollte man/frau ihn denn sonst beurteilen?

    mfg
    Jutta Rydzewski

  16. @ Jutta Rydzewski

    Ich habe das „Schwarzbuch des Kommunismus“ und den Gauck-Text nicht gelesen und finde ihn auch nicht im Netz. Haben Sie ihn gelesen? Es wäre besser und der Situation auch angemessen, über den Originaltext zu sprechen als darüber, was andere Publizisten über Gauck gesagt haben und wie andere Publizisten seine Aussagen bewerten. Ich gebe hier einen Link zur „Zeit“ von 1998, zum Text „Das Ritual der Antifaschisten„, mit dem Gauck auf die Kritik am Schwarzbuch reagierte.

    Um das klarzustellen: Ich nehme Gauck nicht in Schutz. Er steht meines Erachtens zu Recht in der Kritik, weil er manches gesagt hat, was er besser nicht gesagt hätte. Allerdings hat Gauck meines Wissens nie von sich selbst behauptet, Bürgerrechtler zu sein. Brigitte Fehrle schreibt dazu in ihrem heutigen „Essay“ in der FR: „Der Westen hat ihm dieses Etikett aufgedrückt, wie allen, die nicht alles falsch gemacht hatten in der DDR.“ Sie, Frau Rydzewski, möchten Gauck vorwerfen, dass er kein Schorlemmer ist? Na gut. Er ist noch einiges andere nicht.

    Ich habe mal im FR-Archiv zum Stichwort „Schwarzbuch des Kommunismus“ recherchiert und bin dabei auf einen Text von Christian Geulen gestoßen, der am 14. März 2000 erschienen ist. Geulen ist heute Professor für Neuere und Neueste Geschichte und ihre Didaktik an der Uni Koblenz/Landau. Es geht um die Totalitarismus-Debatte, und der Text ist meines Erachtens auch auf die aktuelle Diskussion über Gauck anwendbar. Hier kommt er in voller Länge:

    Wer „Totalitarismus“ sagt …

    Hannah Arendt gegen ihre Verächter und Liebhaber verteidigt

    Wer A sagt, muss auch B sagen“ . Der zwingenden Logik dieser Volksweisheit scheint man sich weder als Befürworter noch als Gegner des Begriffs “ Totalitarismus“ entziehen zu können. Wer – so kann man als Fürsprecher argumentieren – “ Totalitarismus“ sagt, um die gemeinsamen Merkmale von Gewaltregimen zu kennzeichnen, der muss diese Regime zum Zwecke des Vergleichs zunächst auf eine Ebene stellen. Als Gegner kann man freilich ganz genauso argumentieren: Wer “ Totalitarismus“ sagt, muss entscheidende Differenzen unter den Tisch kehren, er muss den Holocaust den stalinistischen Massenmorden angleichen und ihn damit relativieren. Gegner und Befürworter kommen also paradoxerweise darin überein, dass der Totalitarismusbegriff systematisch einen Regimevergleich verlangt, die Geister scheiden sich nicht an der Bedeutung des Begriffs, sondern an der Frage, ob die mit ihm implizierte Gleichsetzung angemessen ist. Das zeigt sich auch an den wesentlichen Inhalten dessen, was man allgemein “ die“ Totalitarismustheorie nennt. Nach Carl Friedrichs klassischer Bestimmung weisen totalitäre Regime sechs Hauptmerkmale auf: eine verbindliche Ideologie, eine nach dem Führerprinzip organisierte Einheitspartei, eine zu allem legitimierte Geheimpolizei, ein Kommunikationsmonopol des Staates, ein Waffen- und Gewaltmonopol und schließlich eine zentral gelenkte Wirtschaft.

    An diesen Kriterien gemessen, kann wohl niemand daran zweifeln, dass die Staaten Hitlers und Stalins einander sehr ähnlich waren. Und auch an der politisch-moralischen Intention des Modells, Strukturmerkmale bereitstellen zu wollen, an denen sich Totalitarismen und totalitäre Tendenzen erkennen (und dann hoffentlich auch verhindern) lassen, ist kaum etwas aussetzen. Auf der anderen Seite fallen aber auch die Schwächen dieses Modells schnell ins Auge, vor allem sein Mangel an Differenzierungskriterien. War der Kommunismus Stalins in der gleichen Weise “ verbindliche Ideologie“ wie der Antisemitismus Hitlers? Oder muss man eher von “ Marxismus“ und “ Rassismus“ sprechen? Je allgemeiner man von “ einer“ Ideologie als Kriterium totalitärer Herrschaft spricht, desto mehr geraten die konkreten Ideologeme, in deren Namen Völkermorde begangen wurden, aus dem Blick. Diese Schwäche der Totalitarismustheorie wurde schon früh erkannt und besonders mit Blick auf den Nationalsozialismus durch differenziertere Analysen ersetzt, die das innere dynamische Chaos des nur nach außen als “ total“ auftretenden NS-Regimes freilegten. Und eben diese Kritik am Begriff des Totalitären wird seit kurzem – überzeugend – auf den Fall des Stalinismus übertragen (vgl. auch FR vom 1. Februar 2000); mit dem paradoxen Effekt, dass die daraus resultierende Verabschiedung des Totalitarismuskonzepts seine Kernaussage bestätigt: Wenn hüben wie drüben das innere Chaos herrschte, dann sind Nationalsozialismus und Kommunismus wiederum vergleichbar.

    Angesichts dieser zirkulären Debatte lohnt sich ein Blick zurück auf eine andere Quelle des Totalitarismusbegriffs, die zwar häufig genannt, aber selten bedacht wird: Hannah Arendts Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft. In dieser Studie ging es Arendt nämlich nicht nur darum, “ das Wesen totalitärer Herrschaft zu verstehen, sondern in ihm auch die Grundzüge jener Krise zu entdecken, in der wir heute alle und überall leben.“ Dem entspricht ein Begriff des Totalitären, der bei Arendt weniger politische Systeme als vielmehr eine bestimmte Herrschaftslogik kennzeichnet. Diese Logik besteht im “ Selbstzwang eines deduzierenden Denkens“ , das sich um die “ Erschaffung einer widerspruchsfreien Welt“ bemüht. Obwohl Arendt in ihrem Buch Stalinismus und Nationalsozialismus regelmäßig in einem Atemzug nennt, geht es ihr nur sekundär um den Vergleich gerade dieser beiden Herrschaftssysteme. Vielmehr werden diese als verschiedene Symptome eines ganz anderen Moments verstanden, nämlich der historischen Herausbildung einer “ neuen Staatsform“ . Diese Form besteht Arendt zufolge aus einer noch nie dagewesenen Kombination von Ideologie und Terror. Entscheidend ist nicht, dass diese Elemente gemeinsam auftreten, sondern die besondere Art und Weise, in der sie sich verbinden. Denn Terror ist nichts anderes als die konsequente Umsetzung von Ideologie, die Form der Anpassung von Realität an ideologische Forderungen. Dienten die Ideologien im 19. Jahrhundert der Legitimierung von Herrschaftsverhältnissen, so zeichnen sich Arendt zufolge die totalitären Regime des 20. Jahrhunderts dadurch aus, dass sie diesen Ideologien keine neuen Inhalte hinzufügten, sondern “ ihre Aussagen buchstäblich ernst nahmen“ und in eine neue Herrschaftswirklichkeit umsetzten. Die kommunistische Ideologie sprach von “ absterbenden Klassen“ , die sozialdarwinistische von “ parasitären Rassen“ – und als eben solche wurden die jeweiligen Opfer der totalitären Systeme behandelt. In dieser deduktiven Logik, die Natur und Geschichte zwingende Bewegungsgesetze unterstellt, um diese Gesetze dann im wörtlichen Sinne zu vollstrecken, sah Arendt das eigentlich totalitäre Moment. Die Radikalität und Aktualität dieses Totalitarismus-Begriffs liegt nicht in einer Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus, sondern in der viel tiefer gehenden und beide Systeme historisierenden Diagnose eines zerstörerischen Potenzials eben jener Denkungsart des modernen Menschen, die das Gesetzhafte von Natur und Geschichte erkennen und es an die Stelle der wirklichen, nicht gesetzhaften Welt rücken will. Dieses Hinwegsetzen einer sich selbst zwingenden Logik über Wirklichkeit und Erfahrung trägt zur Erklärung totalitärer Systeme und ihrer Entstehung nicht zuletzt deshalb bei, weil es auch in anderen Systemen nicht völlig unbekannt ist. In hohem Maße bestimmen so genannte Sachzwänge oder politische Notwendigkeiten, die sich oft genug als selbstproduziert herausstellen, auch in unserer Gesellschaft politisches Handeln, Wirtschaftsprogramme und Kriegseintritte.

    Vor diesem Hintergrund wirkt das sich quasi-automatisch aus dem Totalitarismusbegriff ergebende und immer noch kontrovers debattierte Problem der Vergleichbarkeit von Kommunismus und Nationalsozialismus auf merkwürdige Weise vordergründig. Denn so lange man diese Debatte führt, bleibt der Totalitarismus, ob man ihn für nur ein Terrorregime reservieren oder mit ihm zwei verschiedene gleichsetzen will, in jedem Fall das ganz Andere der liberalen Gesellschaft, in der wir leben. Arendts Analyse aber richtete sich gar nicht auf zwei geschlossene totalitäre Herrschaftssysteme und die Frage ihrer Vergleichbarkeit, sondern auf die Geschichte und Entstehungsbedingungen “ totaler Herrschaft“ als einer dritten, in den beiden Regimen zum ersten Mal in Erscheinung getretenen Form von Herrschaft, die in modernen Gesellschaften möglich geworden ist und bislang unbekannte Gewaltpotenziale freisetzte. Arendts Totalitarismusbegriff verweist auf etwas, das weder in den Inhalten noch in den Strukturen der jeweiligen politischen Systeme aufgeht und eben deshalb auch uns betrifft. Jener Gewaltüberschuss, der das “ Zeitalter der Extreme“ prägte und heute, jenseits der politisch-ideologischen Fronten, als ein eigenes Phänomen erkennbar wird, scheint auch in einigen anderen jüngeren Diskussionen eine Rolle zu spielen. Goldhagens Versuch, ihn durch eine spezifisch deutsche Tradition des “ Eliminatorischen“ zu erklären, scheint genauso von diesem Problem um- und angetrieben wie der Aufrechnungsversuch im Schwarzbuch des Kommunismus. Trotz ihrer Hilflosigkeit legten beide Bücher den Finger präzise auf eine Leerstelle in jenem alten, aber immer weiter geführten Diskurs über Intentionalismus und Strukturalismus, über Vergleichbarkeit und Singularität. Denn sie stellten nicht mehr die Frage “ Wie konnte es zum Nationalsozialismus oder zum Stalinismus kommen?“ , sondern: “ Wie konnte es zu den Formen der Gewalt kommen, die im Namen dieser Systeme praktiziert wurden und die über politische Inhalte, Intentionen, Strukturen und auch Vergleichbarkeiten ja gerade hinausschießen?“ Mit anderen Worten: Sie stellten, wie unbeholfen auch immer, die Frage nach “ totaler Herrschaft“ . Eine Totalitarismusforschung, die hier ansetzte, ohne gleich nach alles erklärenden Formeln zu suchen, und in diesem Sinne noch einmal bei Hannah Arendt beginnend nach den “ Elementen und Ursprüngen“ jenes Gewaltpotenzials in den modernen Herrschaftslogiken fragte, wäre gerade nicht mehr automatisch gezwungen, politische Systeme gleichzusetzen, ja nicht einmal sie zu vergleichen. Vielmehr könnte sie in genau dem Maße die Vergleichbarkeitsdebatte sinnvoll hinter sich lassen, wie sie das, was dort nur verglichen wird, zu einem eigenen Untersuchungsgegenstand erhebt, dessen Geschichte weit vor Hitler und Stalin beginnt und vor allem: noch lange nicht abgeschlossen ist.

  17. Herr Neumann,
    ich habe den Herrn Gauck weder für alle sozialpolitischen Missstände verantwortlich gemacht, noch habe ich behauptet, es sei seine Aufgabe, alle diese Missstände in fünf Jahren zu beseitigen. Da legen sie mir Ihren „Eindruck“ in den Mund und für Ihren persönlichen Eindruck bin ich nicht verantwortlich. Ich habe Herrn Gaucks Einstellung zu den sozialpolitischen Missständen, seinen Freiheitsbegriff und einiges andere mehr kritisiert und im Gegensatz zu Ihnen bin ich nicht der Meinung, es wäre ausreichend, wenn ein Präsident in der Lage ist, Empfänge zu gestalten, Ernennungen und Entlassungen durchzuführen und was Sie sonst noch an rein gesetzlichen Aufgaben nennen. Ich halte Herrn Gauck aufgrund der genannten Kritikpunkte für einen Präsidenten, der die Gesellschaft spaltet und der nicht in der Lage ist, gesellschaftliche Impulse zu geben, welche den gesellschaftlichen Fragen der Gegenwart angemessen sind, der immer größer werdenden Kluft zwischen Unten und Oben, den Problemen des Finanzkapitalismus, der Integration, des wieder erstarkenden Rechtsextremismus beispielsweise. Und das ist nun mal auch die Aufgabe eines Präsidenten, auch wenn sie nicht in Gesetzen ausdrücklich festgehalten ist. Ich habe im Übrigen auch nichts „gefordert“, sondern meine Meinung zur Eignung des Herrn Gauck für das Präsidentenamt dargelegt. Es wäre also nett, wenn Sie mir nichts in den Mund legen würden.

    Dasss Herr Gauck der falsche Präsident ist,der zu einem gesellschaftlichen Ausgleich aufgrund der bekannten Positionen nichts beitragen, sondern die Gesellschaft weiter spalten wird, diese Meinung wird von vielen Kommentatoren, beispielsweise auch von Herrn Müller, Herrn Jung, Herrn Schorlemmer vetreten und ausführlich begründet, es ist somit nicht allein meine Meinung. Ich bleibe dabei: Nach meiner Meinung ist Gauck ein Kandidat, wie er fälscher eigentlich nicht sein kann und um Missverständnisse auszuschließen: Ich fordere mit dieser Meinung keineswegs zu einer „Verfälschung der bestehenden Mehrheitsverhältnisse auf“, möchte Sie aber im Sinne einer sachlichen Diskussion bitten, von solchen völlig aus der Luft gegriffenen falschen Anschuldigungen freundlicherweise zukünftig Abstand zu nehmen. In einer Demokratie sollte auch der seine Meinung frei äußern dürfen, der die Ansichten der „bestehenden Mehrheitsverhältnisse“ nicht teilt.

    Ich halte im Übrigen unter diesen Aspekten den bisherigen Präsidenten für geeignetER, das Amt auszuüben, Herr Wulff hat während seiner Amszeit die von Gauck zu erwartende Spaltungspolitik nicht betrieben und wenn ich einen Präsidenten nennen darf, der für dieses Amt BESTENS geeignet war, dann war das nach meiner Meinung Gustav Heinemann.

    Frau Rydzewski, es wundert Sie vermutlich nicht, wenn ich mich Ihren Ausführungen unter 16 in weiten Teilen anschließe und ich hoffe, es ist mir gestattet, meine Freude auszudrücken, hier wieder Ihre kenntnisreichen, engagierten, absolut unverschwurbelten, klaren und gerne auch emotionalen Beiträge lesen zu dürfen.

  18. @ sulaika

    „In einer Demokratie sollte auch der seine Meinung frei äußern dürfen, der die Ansichten der “bestehenden Mehrheitsverhältnisse” nicht teilt.“

    Gewiss. Daran hindert Sie auch niemand. Es darf aber auch festgestellt werden, dass diese Position nicht den Mehrheitsverhältnissen entspricht. Inwiefern diese Position dazu in der Lage ist, die Mehrheitsverhältnisse zu verfälschen, kann Carsten Neumann uns ja vielleicht noch erklären.

  19. Die Freischaltung meines Kommentars (#15) hat sich mit dem von Frau Rydzewski „gekreuzt“, deswegen möchte ich zu ihrer Frage noch kurz Stellung nehmen:

    Gauck ist Ausdruck der bestehenden Mehrheitsverhältnisse in der Bundesversammlung, die getragen werden neben CDU/CSU und FDP vom rechten SPD-Flügel, weiten Teilen der Grünen (die von den vorgenannten Parteien heute praktisch nichts mehr unterscheidet) und den Freien Wählern aus Bayern. Diese Parteien und Gruppen haben eine klare Mehrheit in der Bundesversammlung und sie werden einen Kandidaten zum Präsidenten wählen, der ihren eigenen politischen Anschauungen nahe kommt. (Man darf nicht vergessen: Gauck war ursprünglich Kandidat von SPD und Grünen und wurde Merkel jetzt aufgezwungen.) Auch Köhler und Wulff waren nun nicht gerade ein „Anti-Kapitalisten“ und wäre Gauck nicht als Kandidat nominiert worden, hätten sich seine jetzigen Unterstützer in der Bundesversammlung auf einen anderen Kandidaten mit zumindest ähnlichen Ansichten verständigt. Es hat daher keinen Zweck, Gaucks angegriffene Äußerungen als sein „persönliches“ Problem anzusehen. Er vertritt nur die Auffassungen der Mehrheit(en) in den politischen Organen.

    Deswegen bleibt abzuwarten, wie Gauck sein Amt ausüben wird. Da sehe ich bei ihm keinen Hinweis, warum er gegen seine Amtspflichten verstoßen sollte oder anderes, was ihn als Präsidenten untragbar macht (wobei auch hierüber letztlich die Mehrheit befindet). Wir haben schon Präsidenten von ganz anderem Kaliber gehabt: Einer war Mitglied der NSDAP gewesen, ein anderer hatte 1933 als Reichstagsabgeordneter dem sog. „Ermächtigungsgesetz“ zugestimmt, zu einem Zeitpunkt, als es noch möglich war, mit „Nein“ zu stimmen (was die sozialdemokratischen Abgeordneten taten). Heute wird dieser Präsident „über den grünen Klee“ gelobt und als „Glücksfall“ für Deutschland angesehen.

    Ich denke, auch als Gegner Gaucks sollte man seine (voraussichtliche) Wahl mit Gelassenheit sehen.

    P.S.:

    Ich hoffe, dass Frau Klarsfeld zumindest mit einem respektablen Ergebnis unterliegen wird und nicht nur von den von der Partei „Die Linke“ gestellten Wahlmännern und -frauen gewählt werden wird.

  20. Ohne auf Ihren Hannah Ahrend-Einschub im Einzelnen und detailliert einzugehen, Herr Bronski – Hannah Arndt setzt keines wegs den Kommunismus mit dem Nationalsozialismus gleich, sie beschreibt den Nationalsozialismus und den STALINISMUS als totalitär. Und insoweit sich der Herr Gauck in seiner Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus immer wieder auf Hannah Arendt beruft, unterschlägt er hier das Wesentliche. Frau Arendt hat die DDR beispielsweise nicht in die totalitären Systeme eingeordnet. Herr Gauck dagegen tut das. Originalzitate von Gauck, die das untermauern, sind Übrigens in dem von mir eingestellten Jung Text mehrfach enthalten gewesen, der wurde ja leider von Ihnen gecancelt.

    Insofern führt m.E. die Diskussion um Hannah Arendt und die Totalitarismustheorie am Thema vorbei, auch wenn der Herr Gauck sich immer wieder auf Hannah Arendt beruft. Denn der STALINISMUS ist mit dem Kommunismus und beispielsweise der DDR nicht gleich zu setzen und Hannah Arendt hat das auch nicht getan.

    Im Übrigen, Herr Bronski, wundere ich mich, dass Sie bemängeln, Frau Rydzewski hätte nicht den Gauck-Originaltext eingestellt und es besser fänden, über den Originaltext als über die Ansichten anderer Publizisten über Herrn Gauck und das Schwarzbuch Kommunismus zu sprechen. Um dann selbst postwendend die Ansicht eines Publizisten zu Hannah Arendt und zur Totalitarismustheorie einzustellen.

    Mir erschließt sich nicht wirklich, was dieser Text mit Herrn Gauck und der ihm vorgeworfenen Gleichsetzung von Nationalsozialismus und Kommunismus (nicht Stalinismus) zu tun haben soll. Oder gar, weshalb Frau Rydzewski Originalquellen einstellen sollte, während Sie Ansichten von Publizisten zur Totalitarismustheorie und zu Hannah Arendt einstellen. Das ist m.E. ziemlich unlogisch und ich sags mal mit einem alten Sprichwort: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“

  21. Es darf von mir aus gerne festgestellt werden, dass diese Position nicht die Position der Mehrheit ist, es darf aber nach meiner Meinung nicht festgestellt werden, dass der, der die Mehrheitsposition nicht teilt zu einer angeblichen „Verfälschung der Mehrheitsverhältnisse auffordern“ würde. Und der gravierende Unterschied zwischen diesen beiden Aussagen, Herr Bronski, der sollte eigentlich problemlos verstehbar sein.

  22. Ich habe mit dem Text ein Beispiel dafür gegeben, dass die Totalitarismusdebatte kompliziert und vielschichtig ist und dass sie ein Prozess ist, in dem sich der Stand der Diskussion naturgemäß ändern kann. Und als Herr dieses Blogs werde ich sowas gelegentlich auch wieder einstellen und damit Input geben, wenn es passt.

    Der Text von Jakob Jung wurde nicht gecancelt, sondern ist über den Link jederzeit erreichbar.

    „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt“? Wollen Sie mir das bitte erklären?

  23. @ # 8 In dem verlinkten Text finde ich lediglich die Einschätzung von Jacob Jung, wonach „Joachim Gauck für eine historische Gleichbehandlung von NS-Diktatur und DDR-Regime“ eintreten würde. In den dort aufgeführten Zitate Gaucks geht es aber um unzureichende Erinnerung an die Verbrechen des DDR-Regimes bzw. deren unzureichende Aufarbeitung. Eine Forderung nach einer „historischen Gleichbehandlung“ der beiden Diktaturen kann ich dort nicht erkennen. Ich kann diese auch nicht in der früher diskutierten, von Gauck mit unterschriebenen „Prager Erklärung“ finden, aber da ist Heinrich wohl anderer Meinung, die er noch begründen wollte.

    Ein Beleg dafür, dass Gauck „die DDR mit dem Naziregime auf eine Stufe“ stellt, habe ich in dem verlinkten Text nicht gefunden. Es ist mir auch kein Zitat bekannt, mit dem Gauck die stalinistischen Verbrechen (die auch in der DDR begangen wurden) dazu verwenden würde, Nazi-Verbrechen zu relativieren.

  24. Hier ein Originalzitat Joachim Gauck, Schwarzbuch des Kommunismus:

    „Schon 1998 hat Gauck im „Schwarzbuch des Kommunismus“ über die DDR geschrieben, man habe dort in den letzten Jahren vor 1989 einen Kommunismus erlebt,

    „der nicht mehr mordete und folterte. Dankbare Zeitgenossen haben deshalb allerlei euphemistische Bezeichnungen für die Ära ersonnen. Eine nüchterne Betrachtung der politischen Verhältnisse wird dennoch zu einem Urteil gelangen, DAS DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO SO TOTALITÄR EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS.“

    Dagegen Hanna Arendt:

    „Im 1966 erschienen Vorwort zu ihrer Studie „Elemente und Ursprünge totaler Herrschaft“ schreibt sie:

    „Ich erwähnte bereits den Abbau totaler Herrschaft, der nach Stalins Tod einsetzte. […] Dass man die Sowjetunion im strengen Sinn des Wortes nicht mehr totalitär nennen kann, zeigt natürlich am deutlichsten das erstaunliche und üppige Wiederaufblühen der Künste in den letzten zehn Jahren.“

    Und Hannah Arendt wird noch deutlicher:

    „Müsse man doch – so Arendt im Blick auf die UdSSR – feststellen,

    „dass die totale Herrschaft, die furchtbarste aller modernen Regierungsformen […] mit dem Tode Stalins in Russland nicht weniger ihr Ende gefunden hat als in Deutschland mit dem Tode Hitlers“.

    Hierzu Michael Brumlik, Professor an der Johann-Wolfgang-Goethe-Universität:

    „Ihr damaliges Urteil sollte eine Warnung vor jeder undifferenzierten Verwendung des Begriffs der „totalen Herrschaft“ sein, vor allem aber vor der schludrigen Gleichsetzung des despotischen Polizei- und Sozialstaats DDR mit dem Stalinismus.“

    Aus einem Kommentar von Micha Brumlik in der TAZ

    http://www.taz.de/!88441/

    Und wenn Herr Gauck sich in seinen Ausführungen immer wieder auf Hannah Arendt beruft, so ist dem zu entgegnen, dass Herr Gauck entweder die Aussagen der Hannah Arendt missinterpretiert, was mir kaum vorstellbar erscheint, (denn die Aussagen Hanah Arendts sind völlig andere als die des Herrn Gauck und m.E. gibt es da nichts zumindest in dieser eklatanten Weise misszuverstehen)oder, schlimmer noch, Hannah Arendt missbraucht, um seinen eigenen Kommunistenhass zu rechtfertigen. Hannah Arendt hat an keiner einzigen Stelle die DDR mit einem totalitaristischen System, dem Stalinismus oder dem Nationalsozialismus, gleich gesetzt, Herr Gauck tat das wiederholt. Ganz im Gegenteil hat sie den Totalitarismus auf Stalin und Hitler eindeutig eingegrenzt.

    Denn Hannah Arendt stellte im Gegensatz zu Herrn Gauck fest,

    „dass die totale Herrschaft, die furchtbarste aller modernen Regierungsformen […] mit dem Tode Stalins in Russland nicht weniger ihr Ende gefunden hat als in Deutschland mit dem Tode Hitlers“.

    Gauck dagegen stuft den Kommunismus in der DDR als „EBENSO SO TOTALITÄR EIN[…] WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS.“

  25. Nicht nur angebliche „Schweinejournalisten“ machen gegen Joachim Gauck mobil, auch 11 namhafte Vertreter der kirchlichen Oppositionen in der DDR,sozusagen die echten Freiheitskämpfer, machen gegen Gauck in einer gemeinsamen Erklärung mobil.

    Übrigens wird Herr Gauck in zahlreichen Porträts unterschiedlichster Medien als „Prediger und Freiheitskämpfer“ betitelt – obwohl er nachweislich nie ein Bürgerrechtler oder gar Freiheitskämpfer war. Die Wahrheit ist nämlich: Gauck ist einfach nur ein fanatischer Antikommunist, der die DDR mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt (ich hoffe, das nun wirklich sehr eindeutige Zitat aus dem Schwarzbuch Kommunismus reicht jetzt mal, um diese Tatsache zu belegen) und rechtsnationale Positionen vertritt. Der echte Freiheit, die untrennbar mit sozialer Sicherheit einhergeht, mit der Freiheit der Eliten verwechselt.

    http://www.publikative.org/2012/03/09/welche-freiheit/

    „Mit Schaum vor dem Mund geifern die Gauck-Fans aus allen fünf Nominierungsparteien derzeit gegen kritische Stimmen: Gegen die vermeintlichen Online-Dilettanten, die nicht richtig zitieren können und alles aus dem Kontext reißen, weil ihr Gehirn nur noch in Twitter-Textlängen denke.“

    „Die Kritik an Gauck ist weder neu, noch kommt sie einzig aus dem scheinbar ominösen Internet – wie linksliberale Politiker von Rot bis Grün und gönnerhafte Zeitungskommentare von „Frankfurter Rundschau“ bis „Süddeutscher Zeitung“ derzeit gerne glauben machen wollen. Die Wahrheit ist: Die Kollegen und ihr politisches Spektrum sind verärgert, weil sie in ihrer Begeisterung für den Kandidaten Gauck dessen für ihre eigene Klientel teilweise hochgradig problematischen Positionierungen schlichtweg übersehen, verdrängt, vergessen haben.“

    Ein ganz hervorragender Kommentar zu diesem Thema und dem Geifer, mit dem derzeit aus allen Kanälen gegen die Gauck-Kritiker geblasen wird, zur Lektüre empfohlen!

    von Andrej Reisin: http://www.publikative.org/2012/02/24/noch-mehr-schweinejournalismus/

    Dass die Junge Freiheit, national-konservatives Sprachrohr derer, die sich rechts von der CDU sehen, in regelrechte Begeisterungsstürme ausgebrochen ist, ob Gaucks Präsidentschaft, nur noch am Rande.

    Und hier noch ein Zitat:

    „Einheimischen wie Vertriebenen galt der Verlust der Heimat als grobes Unrecht, das die Kommunisten noch zementierten, als sie 1950 die Oder-Neiße-Grenze als neue deutsch-polnische Staatsgrenze anerkannten.“

    Wegen ähnlicher reaktionärer Äußerungen wurde Erika Steinbach nicht in den Stiftungsrat des Zentrums gegen Verteibungen berufen.Dass die Oder-Neiße-Grenze nicht nur von den Kommunisten anerkannt wurde, lässt der Herr Gauck elegant unter den Tisch fallen. „Auf den Antrittsbesuch eines Bundespräsidenten Gauck beim polnischen Nachbarn dürfte man gespannt sein.“

    http://www.jungewelt.de/2012/02-22/106.php

  26. Noch eine kurze Anmerkung zu Beate Klarsfeld, deren Kandidatur bald Geschichte wird:

    Meiner Einschätzung nach gibt es zwischen ihr und Gauck nur wenig Unterschiede; für beide ist die Aufarbeitung der Vergangenheit bisher wichtiger als z.B. soziale Themen gewesen. Frau Klarsfeld zeichnet aus, dass sie nicht gelehrige Aufsätze über die Singularität des Holocaust geschrieben hat, sondern ihr die Singularität eines jeden Opfers des NS-Rassenwahns wichtig ist. Ihr und ihrem Ehemann Serge verdanken wir z.B., dass wir die Namen der Kinder von Izieu kennen.

    In meinen Augen betreibt die Linke mit der Kandidatur von Frau Klarsfeld einen politischen Missbrauch, weil sie in keiner Weise ihr politisches Programm repräsentiert. Wäre Gauck nicht der Kandidat der Anderen, wäre die Linke nie auf die Idee gekommen, Frau Klarsfeld die Kandidatur anzutragen.

  27. Dieses Thema sollte man nun wirklich ad acta legen. Es lenkt nur davon ab, Mechanismen und Entwicklungen zu entdecken, die zur Unterdrückung führen.

  28. Den Original-Gauck-Text aus dem Schwarzbuch zum Kommunismus findet man hier:

    http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-7893552.html

    Hier noch ein Originalzitat:

    „Selbst unter Berücksichtigung dieser Tatsachen fällt sofort die Unterschiedlichkeit der Ideologien ins Auge. Auch der Vergleich der Staatsformen, der Staatsorgane und des geschriebenen Rechts ergibt größere Differenzen als Übereinstimmungen. Wer jedoch die konkrete Herrschaftstechnik vergleicht, die dienstbare Rolle des Rechts und den permanenten Einsatz von Terror, der findet genauso Ähnlichkeiten wie bei der Untersuchung der Folgen staatsterroristischer Herrschaft auf die Bürger. Ins Auge fallen die Einschränkungen von Individualität und eine starke Entsolidarisierung. Angst um den Erhalt des Lebens oder die Aufstiegsmöglichkeiten trennt die anpassungsbereiten Mehrheiten von Minderheiten, die anders denken und leben und im Extremfall als Feinde, Abweichler oder Schädlinge ausgegrenzt, ja massenhaft eliminiert werden.“

    Auch hier vergeleicht Herr Gauck den Kommuunismus an sich (ausdrücklich nicht den Stalinismus!)und die Verhältnisse in der DDR mit dem Nationalsozialismus – und seiner Ansicht nach wurden in beiden Systemen (im Kontext auch in den Jahren vor 89!) Abweichler „massenhaft eliminiert“. Die Unterschiede in der „Ideologie“ etc. erwähnt er beiläufig am Rande, um dann auf den Kern seiner Aussage zu kommen: Demnach waren die „Einschränkungen von Individualität und eine starke Entsolidarisierung“, die „Angst um den Erhalt des Lebens oder Aufstiegsmöglichkeiten“ die wesentliche Kennzeichnung beider Systeme, die ihre weitestgehende Gleichsetzung rechtfertigen.

    Dass die Nationalsozialisten Millionen von Menschen fabrikmäßig ausrotteten, allein aufgrund Ihrer Rasse oder ihrer Religion, ihrer sexuellen Prägung oder anderer angeblicher „Minderwertigkeit“, Menschen, die auch bei größtmöglicher „Anpassung“ ihrer fabrikmäßigen Vernichtung nicht entgingen, blendet Herr Gauck vollkommen aus, das ist ihm keine Zeile wert. Die Herrschaftstechnik der Nationalsozialisten bestanden eben nicht allein in der Verfolgung oder Bespitzelung nicht anpassungswilliger Minderheiten und es ist geradezu ungeheuerlich, das „System des Kommunismus“ in der DDR in Sachen „massenhafter Eliminierung“ mit dem Nationalsozialismus auf eine Stufe zu setzen (beide Systeme, wie Herr Gauck schreibt, betrieben „massenhafte Eliminierung“.) Und Herr Gauck spricht hier ausdrücklichn nicht vom Stalinismus, sondern vom Kommunismus in der DDR (auch in „den letzten Jahren vor 1989“), den er, im Gegensatz zu Hannah Arendt, in Sachen „Totalitarismus“ mit dem nationalsozialistischen Sysztem gleichsetzt und wo er Unterschiede in der „massenhaften Vernichtung“ nicht entdecken will. Und das betrachte ich als eine unerträgliche Relativierung und Verharmlosung der NS-Diktatur und der massenhaften Vernichtung „unwerten“ Lebens.

  29. Mir wurde von Seiten der Linkspartei kundgetan, das mein – und Lafontaines – Wunschkandidat Butterwegge eine Kandidatur abgelehnt hatte. Warum die Linke dann als eine Art Notnagel Frau Klarsfeld nominierte, entzieht sich – noch – meiner Kenntnis. Als Alternativen hätte sich der Verzicht auf eine eigene Kandidatenaufstellung, oder ein „Nein“ zu Gauck, oder einfach Stimmenthaltung, ebenfalls angeboten. Jetzt gehen die Clowns eben mit dem morschen Schiff unter – Wählerstimmen gewinnt mensch anders, oder? Vielleicht finde ich es noch heraus. Jedenfalls war die Kandidatinnenkür höchst unprofessionell. Aber warum sollten die Luschen nur in den anderen Parteien sitzen, und nicht eben auch in der Linken? Einige hatten sich hier wohl gedacht, sie könnten Merkel und Co. ans Bein pinkeln, und übersehen, daß das Bein sich genau in der Windrichtung befand. Diese Unprofessionalität zeigte sich ja auch in NRW, im Schießen eines Eigentors. Aber Politiker, oder Politik-Darsteller sind halt mal so: Der Wunsch ist der Vater des Gedankens, aber die Realität als Mutter muß das Kind dann austragen.

    Aber ab morgen ist ja dann Schluß mit der Gauckelei. Und wir können dann in 5 Jahren vielleicht alle singen: Wir wollen unsern Kaiser Joachim wiederham.

  30. Ich finde, es ist an der Zeit, wiedermal eine ernsthafte Diskussion über den Sinn, den Inhalt und die Wirkungen des Präsidialamtes zu führen.

    Die überhöhte Erwartung, der Präsident müsse zu den wichtigen Menschheitsfragen Antwort geben, ist schon beinahe religiös verbrämt und zu sehr politisch vereinnahmt. Die Drohung oder Befürchtung, man fände in Gauck einen Ersatzpapst, sollte entkräftet werden.

    Er (der nächste) Präsident sollte nur zu den Fragen Antwort geben, die durch die zuletzt gescheiterten Präsidenten und die gescheiterte Kandidatenkür an unsere Demokratie gestellt wurden.

    Nicht er muß Antwort geben, was wir auf die Menschheitsfragen antworten, das müssen wir schon selbst tun. Er muss lediglich den Prozeß moderieren und die Ergebnisse auf deren Verfassungskonformität überprüfen.

    Wir können ungehindert diskutieren, ob das Ergebnis aber letztendlich als Gesetz ausgefertigt und wirksam wird, entscheidet der Präsident.

    Man sollte diese kleine Einschränkung der persönlichen Autorität akzeptieren, um die Freiheit der Diskussion zu erhalten.

  31. „Entscheidend und maßgeblich ist daher nicht, welche Äußerungen der Kandidat für das Präsidentenamt in der Vergangenheit gemacht haben soll, sondern wie er sein Amt nach der Wahl ausüben wird. Gauck, sollte er am 18.03.2012 gewählt werden, hat eine faire Chance verdient.“ (Carsten Neumann, # 9)
    „Grundsätzlich halte ich das Amt, was vorgeblich mit Respekt und Würde ausgestattet ist, für mehr als nur entbehrlich.“ (Jutta Rydzewski, #5)
    Ich habe mich aus der Diskussion im Internet um Gauck bisher herausgehalten, die m.E. anfangs durchaus geeignet war, die kritische Sicht zu schärfen, sich aber ausschließlich auf (interpretatorisch ermittelte) inhaltliche Positionen bezog und dabei zunehmend beckmesserisch wurde. Vor allem wurde der Maßstab aus den Augen verloren, nach dem die Prüfung des Kandidaten Gauck zu erfolgen hat, nämlich seine Qualifikation in Bezug auf den Aufgabenbereich eines Bundespräsidenten. Diesbezüglich schließe ich mich im Wesentlichen den Ausführungen von Carsten Neumann in #15 wie auch dem obigen Zitat aus #9 an.
    Zwar erscheinen auch mir bestimmte Äußerungen Gaucks bedenklich, doch stehen diese in einem Kontext, die mit seinem künftigen Aufgabenbereich wenig oder nichts zu tun haben. Bedenklich ist daher auch, in einer Art Extrapolation daraus auf wahrscheinliches künftiges Verhalten zu schließen, bestimmte „linke“ Positionen vorauszusetzen. Eben dies ist ja (mit umgekehrtem Vorzeichen) der Präsidentenmacherin Merkel vorzuwerfen. Fasst man (vereinfacht ausgedrückt) die Rolle des Bundespräsidenten über Repräsentation hinaus als eine Art Moderatorenrolle im Parteienstaat zusammen, so kommt es nicht auf bestimmte inhaltliche Positionen an, sondern auf die Fähigkeit, diese in sachlicher und fairer Weise auszuüben. Dazu sind bei der ganzen Diskussion aber keine schlüssigen Argumente aufgetaucht, die zu Zweifeln in dieser Hinsicht berechtigen würden.
    Zu Jutta Rydzewskis Meinung, ein Bundespräsident sei überhaupt überflüssig. Ich halte das für falsch. Abgesehen von seiner verfassungsmäßigen Rolle im Krisenfall und dem Hinweis auf Weimarer Erfahrungen: Mir erscheint seine Rolle beim Zusammenhalt eines Staates auch dann bedeutsam, wenn ideologisch bedingte Haltungen auseinanderdriften, zu Staatsverdrossenheit führen oder das Land zu spalten drohen. Wenn es auch etwas pathetisch klingt: Johannes Raus Wort vom „Versöhnen statt spalten“ erscheint mir da durchaus angebracht. Und ich möchte auch auf Gustavs Heinemann Rolle in der emotional aufgeputschten Atmosphäre der Studentenbewegung verweisen, als er die hasserfüllten Angriffe auf die Studenten gehörig in die Schranken verwies, indem er das Bild der Hand benutzte, deren ausgestreckter Zeigefinger sich mit Vorwürfen auf andere richtet, während zugleich drei andere Finger auf den Ankläger zurückverweisen. Ich habe bisher nichts Schlüssiges gehört, warum Herr Gauck zu Ähnlichem nicht auch in der Lage sein sollte.
    Und wenn man (mit aller Vorsicht) mit politischen Systemen anderer Länder vergleichen will, bietet sich wohl am ehesten die Rolle des Königs im Nachbarland Belgien an. Die meisten politischen Kommentatoren sind sich wohl in der Einschätzung einig, dass dieses Land, bei der explosiven Mischung aus sprachlichen, kulturellen, sozialen und politischen Divergenzen ohne die Institution des Königs schon längst auseinandergeflogen wäre.
    Nun, in wenigen Stunden kann die Diskussion neu beginnen, und ich halte es für durchaus angebracht, sich dann auch für neue Argumente und Erfahrungen offen zu halten.
    Ich wünsche allen einen schönen Sonntag.
    Mit freundlichen Grüßen
    Werner Engelmann

  32. Das Suchen in Gaucks Biographie nimmt schon Züge an, und die Frage: „Also ist er der richtige Präsident?“ (FR, S.3) mit Einschränkungen zu versehen, ist Heuchelei.
    Im Gegensatz zu Karl Carstens, Mitglied im Sturm 5/75 der SA seit 1934 und Mitglied der NSDAP seit 1940, der trotzdem Bundespräsident werden konnte, ein Präsident, den man nicht zum Staatsbesuch nach Israel schicken konnte, hat Gauck allein schon durch sein Wirken in der „Gauck-Behörde“ mehr für Deutschland getan als Carstens in seinem ganzen Leben. Ecken und Kanten sind gut, aalglatt ist widerlich.
    Und das seine private Beziehung 2012 noch eine Rolle spielt ist erschütternd. Wir haben die Trennung von Kirche und Staat und ob er einen Ehering trägt hat mit dem Amt nun wirklich nichts zu tun.

  33. Erwartungsgemäß wurde Joachim Gauck zum neuen Bundespräsidenten gewählt, mit 991 Stimmen. 108 Enthaltungen, 126 für Beate Klarsfeld, drei Stimmen mehr, als die Linke Stimmen in der Bundesversammlung hat. Nun schauen wir mal, was er in seiner Rede sagt.

  34. Na dann verschwindet hoffentlich endlich das Thema. Was diese Person die ein völlig überflüssiges Amt besetzt sagt halte ich nicht wirklich für intressant. Als ob wir sonst keine Probleme hätten

  35. @30 Werner Engelmann

    Ich hatte bereits Herrn Neumann, dem Sie, Herr Engelmann, nach eigenem Bekunden ja im Wesentlichen zustimmen, gefragt, was denn dagegen einzuwenden ist, einen Kandidaten bzw. Bundespräsidenten danach „abzuklopfen“, was er, in Wort oder Schrift, VOR seiner Kandidatur öffentlich verlautbart hat? Eine andere Möglichkeit gibt es doch gar nicht. Oder soll ich so tun, als ob ich von einem Herrn Gauck erst heute, nach seiner Wahl, erstmalig gehört habe? Was ich auch nicht verstehe, Herr Engelmann, Sie schreiben, „es kommt nicht auf bestimmte inhaltliche Positionen an, sondern auf die Fähigkeit, diese in sachlicher und fairer Weise auszuüben.“ Tut mir leid, verstehe ich nicht. Natürlich, so meine ich, hat es mit dem Aufgabenbereich eines Bundespräsidenten sehr viel zu tun, wie er z.B. über Krieg und Frieden, Arbeits- Sozialpolitik, deutsche Geschichte usw. denkt. Ich möchte keinen Moderator bzw. Grüßaugust als Bundespräsident, wenn mir schon einer verordnet wird, sondern einen Präsidenten, der zumindest klare (gesellschafts)politische Positionen vertritt und deutlich macht, auch wenn bzw. gerade weil er keine politische Macht hat. Wofür soll er denn sonst überhaupt da sein? Übrigens, glauben Sie, Herr Engelmann, eigentlich ernsthaft, dass Herr Gauck, nachdem er nun Präsident ist, wirklich bereit sein wird, über die Punkte, die ich weiter oben angesprochen habe, noch einmal nachzudenken, oder dass er sogar bereit ist dazuzulernen? Ich habe da erhebliche Zweifel, obwohl meine Mama immer sagt, man wird so alt wie ne Kuh, und lernt immer noch dazu. 🙂 So schön wie es wäre, ich traue es diesem Mann nicht zu, dass er seine neoliberalen, rechtskonservativen Ansichten, die aus meiner Sicht auch eindeutig belegt sind, bereit ist zu hinterfragen oder gar, wo es Not tut, zu verändern.

    In der Tat, ich halte das Präsidentenamt für überflüssig, insbesondere nach den Erfahrungen der letzten drei Jahre. Früher hat mich das Amt gar nicht besonders interessiert, die jeweiligen Amtsinhaber fand ich gut, besonders Johannes Rau, oder auch weniger gut. Wenn die Präsidentenkandidaten allerdings zwischen Parteivorsitzenden beim Frühstück oder in irgendwelchen Hinterzimmern ausgekungelt, fast hätte ich gesagt, ausgewürfelt werden, und dabei ausschließlich parteitaktisches Machtgeschachere im Spiel ist, dann hat das alles weder mit Würde, noch mit Respekt, noch nicht mal etwas mit Anstand zu tun. Das Amt mag früher mal eine erhebliche moralische Bedeutung gehabt haben, davon ist aus meiner Sicht, und das aus guten Gründen, nix mehr da.

    Johannes Rau z.B. hat bei seinem Amtsantritt, wenn ich richtig erinnere, davon gesprochen, der Präsident aller, die in diesem Lande leben und arbeiten, zu sein, ob mit oder ohne deutschen Pass. Herr Gauck soll kürzlich im ZDF gesagt haben, ab Sonntag sei er nicht mehr Bürger sondern die ganze Republik. So ändern sich nicht nur die Zeiten sondern auch die Präsidenten. Ich halte diesen Mann für unberechenbar, für eitel bis zur Selbstverherrlichung, und bei seinem triefenden Pathos dreht sich mir der Magen um. Aber vielleicht ist es ja an der Zeit, mal über einen neuen Kaiser nachzudenken. Kaiser Joachim der Erste, hört sich doch ganz gut an. 😀

    mfg
    Jutta Rydzewski

  36. Hallo Frau Rydzewski,

    Sie schreiben: „Herr Gauck soll kürzlich im ZDF gesagt haben, ab Sonntag sei er nicht mehr Bürger sondern die ganze Republik.“ Das ist, so wie Sie es formulieren, erst einmal nichts weiter als ein Gerücht. Ziehen Sie dem doch bitte einen Boden ein, nachdem so viel darüber gestritten wurde, was Gauck alles gesagt oder nicht gesagt hat, und belegen Sie das.

    Die Gauck-Rede, die er nach der Wahl zum Bundespräsidenten hielt, habe ich bisher nur als Video gefunden. Inzwischen habe ich sie einfach abgeschrieben.

  37. Für mich persönlich ist es kein überzeugendes Argument, das irgendwie FÜR Gauck sprechen könnte, dass es vor ihm auch schon „schreckliche“ Präsidenten gab, NSDAP-Mitglieder, nicht nur einer Übrigens und anderes mehr. Und die Argumente, Herr Neumann, die Sie nennen, weshalb ein Bundespräsident nicht überflüssig sei, das sind genau die Argumente, die gegen Gauck sprechen. Ich halte es nach dem, was Gauck bisher von sich gab, für weitestgehend ausgeschlossen, dass Herr Gauck, wie Gustav Heinemann, „die hasserfüllten Angriffe auf die Studenten gehörig in die Schranken [verweisen würde]“,ich halte es für weitestgehend ausgeschlossen, dass er überhaupt in der Lage ist, auch nur ansatzweise zu versöhnen, statt zu spalten. Dazu wurden nun schon so unglaublich viele Argumente aus dem, was Gauck alles gesagt hat und wofür er steht, vorgetragen, dass ich sie nicht mehr wiederholen will. Nur auf seine Aussage zum Kommunismus in den letzten Jahren der DDR möchte ich noch einmal hinweisen, scheint untergegangen zu sein:

    “Schon 1998 hat Gauck im “Schwarzbuch des Kommunismus” über die DDR geschrieben, man habe dort in den letzten Jahren vor 1989 einen Kommunismus erlebt,

    “der nicht mehr mordete und folterte. Dankbare Zeitgenossen haben deshalb allerlei euphemistische Bezeichnungen für die Ära ersonnen. Eine nüchterne Betrachtung der politischen Verhältnisse wird dennoch zu einem Urteil gelangen, DAS DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO SO TOTALITÄR EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS.” Die Quellenangabe hatte ich oben schon eingestellt.

    Gauck ist in meinen Augen und nach der Beurteilung vieler anderer, besonders auch vieler, die ihn gut kennen, kein Versöhner, sondern ein Spalter, jetzt ist er gewählt und ich bin ziemlich überzeugt, mit diesem Präsidenten werden wir noch unser blaues Wunder erleben. Auch in Sachen Nachbarschaft zu Polen – in der Hinsicht hätte man m.E. genausogut Erika Steinbach zur Bundespräsidentin wählen können. Und da ich die unsäglichen Gauck-Zitate in Sachen Oder-Neiße-Grenze und überhaupt über die Kriegsfolgen bezüglich des Verlustes der Deutschen Ostgebiete bereits eingestellt hatte, werde ich sie nicht noch einmal wiederholen. Ich gewinne langsam den Eindruck, es sei den meisten hier völlig egal, was ein Präsident sonst so verkörpert, Hauptsache er ist in der Lage seine gesetzlichen Pflichten irgendwie zu erledigen. Ich teile diese Auffassung nicht, aber ein „Grüßaugust“, Frau Rydzewski, wäre mir immer noch lieber als Herr Gauck, ein Grüßaugust kann wenigstens keinen Schaden anrichten.

  38. @sulaika
    Das schlimmste Verbrechen ist, die eigenen Verbrechen mit denen der anderen zu kaschieren.

    Lassen Sie nun endlich davon ab, den Warner als Täter zu diffamieren, stellen sie sich der verbrecherischen Vergangenheit des Kommunismus, ohne Vergleiche zu ziehen. Sie selbst bemühen und mißbrauchen den Vergleich, nicht Gauck.

    Wenn die angeblichen Linken nicht den Mut haben, sich den Verbrechen ihrer Leitfiguren zu stellen, sind sie der Tod der linken Ideen.

    Sie versuchen, vom Versagen der linken Leitfiguren abzulenken. Das gelingt nicht: Die Leitfiguren haben gemordet, gelogen und versagt.

    Wir brauchen ernsthafte Gestalter, keine Schönreder.

  39. @ Standort

    Bitte stellen Sie klar, wessen „eigene Verbrechen“ Sie meinen, die nicht mit denen „der anderen“ kaschiert werden dürften. Sie wollen doch sicher nicht sagen, dass sulaika101 Verbrechen begangen habe, oder?

  40. @bronski

    Natürlich ist niemand persönlich gemeint. sulaika ist bloss ein Nick, so wie Standort bloss ein Nick ist. Es geht um Meinungen, Ansichten, nicht um Personen.

    Es geht um die falsche Methode, Verbrechen gegen die Menschlichkeit hinter Ideologien, „notwendigen Übergängen“ oder anderen Verbrechen zu verbergen.

    Auch wenn es einen „singulären Zivilisationsbruch“ gegeben hat, so darf dieser nicht den Blick auf die „multiplen Zivilisationsbrüche“ verstellen.

  41. @ Standort

    Verbrechen gegen die Menschlichkeit wurden oft genug IM NAMEN VON Ideologien begangen.

    Hinter den Nicknamen Sulaika wie Standort stecken Menschen. Auch Sie haben Ihre Empfindlichkeiten, wie ich genau weiß …

  42. @ # 39

    Dem Zitat von Gauck entnehme ich, dass er „DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO SO TOTALITÄR EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS“. Darüber, wie über die Totalitarismustheorie kann man gut streiten. Das Zitat besagt aber nicht, dass Gauck den DDR-Kommunismus und den Nationalsozialismus gleichsetzt. Ebenso totalitär bedeutet nicht gleich totalitär. Auch zwischen totalitären Staaten und ihren Verbrechen gibt es Unterschiede, die meines Wissens Gauck nie in Frage gestellt hat.

    Sicherlich würden Sie sich, Sulaika, dagegen wehren, wenn man Ihre Abwehr, den totalitären Charakter der DDR anzuerkennen, als Verhamlosung der dort begangenen Menschenrechtsverletzungen bezeichnen würde. So wie Sie den Anspruch auf eine differenzierte Behandlung Ihrer Äußerungen haben, kann man auch von Ihnen erwarten, bei der Bewertung von Gauck zu differenzieren.

  43. @30 und @39 sulaika101

    Eine hervorragende, in sich stimmige Analyse, mit der exakt richtigen Schlussfolgerung. Davon will natürlich die Gauckgemeinde, der Mainstream- Kampagnen- Talkshowverblödungsjournalismus und das sonstige „Expertentum“ nix wissen. Auch in diesem Fall hat sich Herr Gauck sozusagen um Kopf und Kragen geschwurbelt. Spielt aber alles keine Rolle, ab heute hat es gefälligst nur noch zu heißen: Wir sind Gauck!!! Wenn auch an der einen oder anderen Stellen sehr zugespitzt, so trifft es im Kern zu, was unter http://ad-sinistram.blogspot.de/2012/03/in-eigener-sache.html zu lesen ist.

    @38 Bronski

    Wie ich gerade in einem Telefongespräch erfahren habe, soll sich Herr Gauck tatsächlich so geäußert haben, sagt kein Geringerer als Herr Jauch in seiner Sendung, die wohl soeben auf Phoenix wiederholt worden ist. Selbst habe ich mir diese Sendung natürlich nicht angetan, aber wenn es sogar Herr Jauch sagt, dann muss es ja wohl stimmen. 🙂 Übrigens, die telefonische Information habe ich von einer guten Bekannten, die keinen Grund hat, mir Unsinn zu erzählen. Aber Sie werden das ja sicherlich selbst noch recherchieren.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  44. @ Jutta Rydzewski

    Ich finde dieses Zitat bisher nirgends. Da Sie es hier eingebracht haben, möchte ich Sie bitten, eine Quelle dazu beizusteuern.

    Und warum hat es ab heute „gefälligst nur noch zu heißen: Wir sind Gauck!“? Haben Sie den Eindruck, dass beispielsweise das FR-Blog oder auch die FR in Jubelarien ausbrechen? „Rechts? Links? Gauck!“, titelt die FR heute. Und wenn ich mir die übrigen Schlagzeilen der Tageszeitungen so ansehe, so bleiben die doch eher verhalten.

  45. Natürlich entscheidet Jutta Rydzewski, was die „stimmige Analyse, mit der exakt richtigen Schlussfolgerung“ ist. Da zählen dann vom „Mainstream-Kampagnen-Talkshowverblödungsjournalismus“ präsentierte „Experten“, wie Hans-Jochen Vogel, nichts, auch wenn diese ihre Einschätzungen nicht wie Frau Rydzewski Telefongesprächen mit guten Bekannten, sondern langjährigen Begegnungen mit Gauck verdanken.

  46. @47 Bronski

    Jetzt muss ich mich aber doch etwas wundern, dass Sie sich bzw. die FR (wenn auch mit Fragezeichen) bei meiner Aufzählung mitangesprochen fühlen. In erster Linie meine ich die Öffentlich-Rechtlichen, gerade wird wieder vom Gauck-Fieber geschwärmt, die immer mehr zu einer Art Staatsrundfunk – fernsehen verkommen. Dann natürlich die BILD und entsprechenden Unterabteilungen wie Focus, Spiegel usw.. Eine Formulierung hat mir in der FR, ich glaube es war ein Kommentar von Frau Fehrle in den letzten Tagen, sogar besonders gefallen: Er (Gauck) ist stets präzise im Allgemeinen und schwammig im Konkreten. Anstatt schwammig hätte auch gut schwurbelig gepasst. 🙂

    Was nun die strittige Gaucksche Äußerung anbelangt, werde ich es mir wohl gelegentlich antun müssen, die Sendung in der Mediathek anzusehen. Aber vielleicht kann mich davor noch jemand bewahren, der die Jauchsendung gesehen hat, und entweder bestätigen oder nicht bestätigen kann, was ich an Information erhalten habe. Ein Hinweis auf andere Blogs, wo die Äußerung Erwähnung findet, dürfte wohl nicht ausreichend sein.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  47. Ich habe keine Lust, Herr Abraham, mit Ihnen Wortklaubereien zu betreiben, nur soviel: Wenn Herr Gauck geschrieben hätte, Der Kommunismus in der DDR, war, ebenso wie der Nationalsozialismus, totalitär, dann könnte man dieser Aussage entnehmen, dass beide Systeme totalitär waren, wobei noch nicht unbedingt etwas über den „Schwweregrad“ des Totalitären gesagt wäre.

    Bei der Formulierung, die Gauck gewählt hat, sieht das schon völlig anders aus, und den Unterschied zwischen: „Der Kommunismus [in den Jahren vor der Wende in der DDR] war ebenso totalitär, wie der Nationalsozialismus“ und „Ebenso, wie der Nationalsozialismus war auch der Kommunismus ([n der DDR] totalitär“ muss ich doch wohl nicht erklären? Ersteres bedeutet eine Gleichsetzung, letzteres nicht zwangsläufig. Und wenn Herr Gauck das anders und nicht als Gleichsetzung gemeint hätte und nicht gleichsetzen wollte, dann wäre auf jeden Fall erforderlich gewesen, den gravierenden Unterschied zwischen beiden Systemen, die fabrikmäßige Ausrottung von Millionen „unwerter Leben“ aus rassistischen Gründen, die es in der DDR zu keinem Zeitpunkt gab, KLAR UND VERSTÄNDLIH zu benennen. Davon habe ich von Herrn Gauch noch nichts gehört und an keiner Stelle ist oder war von ihm zu lesen oder zu hören, was diese beiden Systeme NICHT gleichsetzbar macht.

    Und last not least kann Herr Gauck sich nicht auf Hannah Arendt berufen, wie er das immer wieder macht und damit Nebelkerzen streut. Hannah Arendt hat ausdrücklich NUR den Stalinismus und den Nationalsozialismus als totalitäre Regime eingestuft und eine klare Abgrenzung zu nicht-totalitären Systemen gezogen. Nach Hannah Arendt endeten die totalitären Systeme mit dem Tode Hitlers und Stalins und nach Hannah Arendt war die DDR, zumindest nach dem Tode Stalins, NICHT totalitär.

  48. @ Jutta Rydzewski

    Sagen wir mal so: Ihre Formulierung (ab jetzt habe es gefälligst nur noch zu heißen) war mir ein bisschen zu präzise im Allgemeinen. 😉
    Kleiner Scherz am Rande.

  49. # 50 Sulaika, aber das von Ihnen eingeführte Zitat besagt, dass Gauck „DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO SO TOTALITÄR EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS“. Das „ebenso“ bezieht sich auf „totalitär“, also diejenige Formulierung, von der Sie selbst schreiben, sie sei nicht zwangsläufig eine Gleichsetzung. Aber es kommt wohl auf die Brille eines Vorurteils an, mit der man den Satz lesen will.

    Hannah Arendts Diktum, wie Sie es wiedergeben, die DDR sei, zumindest nach dem Tode Stalins, nicht totalitär, kann man durchaus in Frage stellen, zumal unser Kenntnisstand heute ein anderer ist als zu dem Zeitpunkt, als Arendt ihre Totalitarismus-Studie veröffentlicht hat. Wir wissen, dass die stalinistischen Kräfte in der DDR und den anderen von der UdSSR beherrschten Staaten weiter gewirkt haben. An diesem Punkt würde es sich lohnen, weiter zu diskutieren, wenn Bronski es erlaubt.

    Über Gauck können wir weiter streiten, wenn er zeigt, wie er als Bundespräsident seine Schwerpunkte neu setzt. Selbst die Linken-Chefin Gesine Lötzsch war bei Jauch bereit, Gauck diese Chance zu geben.

  50. @ all

    Auch ich halte die Debatte über das, was Gauck 1998 im „Schwarzbuch“ geschrieben hat, jetzt für ausgereizt und fände es spannender, über die Entwicklung der Totalitarismus-Debatte seit Hannah Arendt zu sprechen. Was Gauck betrifft, schlage ich vor, dass wir uns weiter darüber unterhalten, wenn er erstmals eine Rede als Bundespräsident gehalten hat. Das wird wohl beim offiziellen Amtsantritt geschehen.
    Außerdem möchte ich an das eigentliche Thema dieses Threads erinnern: Klarsfeld.

  51. Ja, Frau Klarsfeld hat einen ehemaligen Nazi geohrfeigt, der aber inzwischen Demokrat geworden war. Wichtiger ist daran zu denken, wen sie nicht geohrfeigt hat: Die zahlreichen ehemaligen Nazis, die im Staats-Apparat der DDR ein warmes Plätzchen gefunden hatten. Zu schweigen von den Undemokraten, die aus Moskau eingeflogen wurden. Die Nazis mussten keine Demokraten werden, sie konnten umstandslos von einer in die andere Diktatur wechseln. Aber die zu ohrfeigen wäre teurer geworden.

  52. Herr Grassl bezweifelt in seinem Leserbrief Frau Klarsfelds Grundvoraussetzung für die Kandidatur, da sie sich von der Partei „Die Linke“ habe nominieren lassen. Er ergibt sich in gewiss schweren Verfehlungen der DDR und schimpft im besonderen Maße auf die 68er. Dann geht er geschichtlich zurück bis zum „Siegerdiktat von Versailles“, einer merkwürdigen Wahl der Diktion. Bei seinem Hass auf ‚links’ glaubt er wahrscheinlich auch noch an die „Dolchstoßlegende“. Er beklagt den Verlust der Kolonien und spricht von „abgetrennten Gebieten“ nach den Kriegen. Herr Grassl hat offenbar die deutschen Niederlagen der beiden Weltkriege noch nicht verkraftet. Anschließend versucht er aufgrund der kruden, altbekannten Argumentation Nachsicht für die – am Beispiel Kiesingers – zu erheischen, die in die NSDAP eingetreten waren. So einfach kann Herr Grassl die Geschichte aber nicht schreiben. Man muss sie schon ganz erzählen. Sie beginnt nämlich schon vor 1914. Soll man hier wirklich einmal alles aufzählen, was große Kreise des Bürgertums in diesem Land seit jener Zeit bis 1945 zu verantworten hatten? Sollen wir hier die Opferzahlen der DDR und der RAF einmal mir den Opfern beider Weltkriege vergleichen? Also, bitte, Herr Grassl, lassen sie die geschichtlichen Abfolgen und Kausalitäten nicht außer Acht. Wenn die Machthaber der DDR gemeint haben, mit denselben Mitteln zurückschlagen zu müssen, denen sie in der NS-Zeit selbst ausgeliefert waren, war das sicherlich ein schwerer Fehler. Was aber die 68er angeht, darf ich Herrn Grassl etwas sagen. Ich war damals 14 Jahre alt und was danach folgte war die beste Zeit meines Lebens. Ohne die 68er nicht zu denken. Ich hätte, nur ein kleines Beispiel, meiner Tochter auf keinen Fall eine solche Schule gewünscht, wie ich sie noch erlebt habe. Nazi-Lehrer, Herrenmenschen, Kasernenhofton, Zählappelle eines ehemaligen SS-Mannes in der Aula, etc., etc. Sicher wurden auch von den 68ern Fehler gemacht. Wer etwas verändern will, macht auch Fehler. Zugegeben, da sind die konservativen Menschen fein raus. Aber wer von uns möchte denn in einer bundesdeutschen Gesellschaft, wie sie z. B. 1965 noch war, wirklich leben?

  53. @48 Abraham

    Zunächst einmal biete ich Ihnen (erneut) an, sich direkt an mich wenden zu dürfen, wenn Sie zu meinen Anmerkungen etwas sagen möchten. Keine Angst, ich beiße nicht. 😉 Das von mir erwähnte Telefonat bezog sich auf einen einzigen Punkt, und den hatte ich deutlich gemacht. (…) Was Sie dagegen in dieses Telefonat „hineingefriemelt“ haben, ist etwas völlig anderes. Übrigens, es mag sein, dass der Herr Vogel Sie beeindruckt hat, dennoch erlaube ich mir auch zukünftig weiterhin mit meinem eigenen Kopf zu denken, und Sachverhalte so zu bewerten, wie ich das für richtig halte. Weder ein Herr Vogel, noch sonst wer auf dieser Welt oder in diesem Blog, wird mich vom eigenständigen Denken abbringen. Sie erinnern sich doch sicher noch: Sapere aude.

    Bevor Bronski die Themenausrichtung anmahnt, möchte ich ganz allgemein anfragen, ob es eigentlich aufgefallen ist, dass die Frau Klarsfeld grundsätzlich als Nazijägerin, während der Herr Gauck, in aller öffentlich-rechtlicher Regel, als Stasiaufklärer bezeichnet wurde. Und wenn ja, warum?

    mfg
    Jutta Rydzewski

    PS: Obwohl die „Schwarzbuch“diskussion für beendet erklärt wurde, was wohl auch sinnvoll ist, möchte ich noch einmal unterstreichen, dass sulaika in diesem Zusammenhang durch die Beiträge @30 und @39 eine hervorragende, in sich stimmige Analyse, mit der exakt richtigen Schlussfolgerung „abgeliefert“ hat.

    (…) Passage gelöscht, Anm. Bronski

  54. Ich möchte mich eigentlich nicht so oft mit eigenen Beiträgen hier einschalten, aber wahrscheinlich ist die Sache mit der Moderation (und wie sie läuft) für alle Beteiligten, auch für mich, noch zu neu; da muss sich noch einiges einspielen, auch bei mir. Daher der Hinweis: Ich habe die Debatte über die „Schwarzbuch“-Zitate nicht „für beendet“ erklärt, sondern Vorschläge gemacht, in welche Richtung die Diskussion weiterlaufen könnte. Wenn Sie, Frau Rydzewski, oder jemand anderes noch etwas Neues zur „Schwarzbuch“-Debatte sagen möchten, wäre das in Ordnung. Mein Eindruck ist allerdings, dass das Thema, wie ich auch schon sagte, ausgereizt ist. Und zu Ihrem PS, Frau Rydzewski: Das haben Sie schon im #46 gesagt. Die Wiederholung war überflüssig. Meine Vorschläge zum Diskussions-Codex haben Sie aber sicher schon gelesen.

  55. @ Abraham

    (…) „Ich hätte angeblich behauptet, in der Vokabel totalitär sei nicht zwangsläufig eine Gleichsetzung zu sehen“, es ging nämlich bei meiner Erklärung ausschließlich um den Gebrauch des Wortes „ebenso“ im Satzgefüge. Aber deutsche Sprache, schwere Sprache. Den Rest, den ich geschrieben hatte, haben Sie leider wieder einmal gar nicht an „sich herangelassen“, obwohl meine Argumentation ja durchaus „überzeugend“ war. Und wenn Sie in diesem Zusammenhang behaupten, es käme auf die Brille eines Vorurteils an mit dem man den Satz lesen wolle (…) Ich habe weder Vorurteile, noch will ich den Satz anders lesen, als er da geschrieben steht (…)

    Und um noch einmal auf Herrn Gauck zu kommen: Da Herr Gauck ja nun gewählt ist, wird er sicher seine Chance bekommen. In seiner Antrittsrede war zu vernehmen, er wolle sich jetzt ja auch mit „anderen“ Themen befassen (außer seinem speziellen Freiheitsbegriff). Dem wäre zu entgegnen: Er hat sich bereits mit anderen Themen befasst, und zwar auf eine Weise, die wenig Gutes erahnen lässt. Belegt durch zahlreiche Zitate, die wie jedes Zitat aus dem Zusammenhang gerissen, aber nicht sinnentstellend wiedergegeben wurden. Und darauf allein kommt es an, beim Zitieren. Die Mainstream-Medien, die den Kritikern „Schweinejournalismus“ vorwarfen, dürften m.E. über die Zitierregeln und worauf es beim Zitieren ankommt, im Bilde sein. Somit betreiben nicht die „Schweinejournalisten“, sondern die Mainstream-Medien eine unlautere Berichterstattung.

    Die Mainstream-Medien wurden und werden ja auch nicht müde, Herrn Gauck zu einem Bürgerrechtler und Freiheitskämpfer hochzujubeln, obwohl er nie einer war. Erst gestern wieder, in der Spätausgabe der Tagesschau und in unzähligen Porträts und Interviews. Wenn der Herr Gauck über das Maß an persönlicher Integrität verfügen würde, das ich persönlich bei einem höchsten Repräsentanten eines Staates für notwendig erachte, dann würde er die Richtigstellung nicht Herrn Schorlemmer und anderen überlassen. Und bei seinen eitlen Auftritten weiter an dieser Legende stricken. Es kann dahin gestellt bleiben, ob er das diese Begriffe jemals wörtlich so gesagt hat, er lässt sich jedenfalls bei seinen Auftritten unentwegt mit fremden Federn schmücken und stellt das nicht richtig.

    Und dass die Mainstream-Medien unentwegt weiter diese Legende verbreiten, obwohl sie ja nun mehrfach und von vielen eindeutig widerlegt wurde, während diejenigen, die das und anderes richtig zu stellen wagen, sich dem Vorwurf des „Schweinejournalismus“ ausgesetzt sehen, belegt allenfalls, dass die Mainstream-Medien das, was sie den Kritikern zu Unrecht vorwerfen, selbst fortgesetzt und unentwegt betreiben.

    (…): Passage gelöscht, Anm. Bronski

  56. Zu 52:

    Herr, Abraham,
    meine Erklärung bezog sich auf den Gebrauch des Wortes „ebenso“ im Satzgefüge und ich hatte NICHT geschrieben, wie Sie es behaupten, die Formulierung „totalitär“ sei keine Gleichsetzung. Ich war der Meinung, meine Erklärung sei unmissverständlich – und wenn es auch recht mühsam ist, letztlich auch noch den Sinngehalt eines Satzes beweisen zu sollen, ich mach das jetzt mal ausnahmsweise, anhand des Dudens:

    Bedeutung des Wortes „ebenso“ im Satzgefüge, Sinnbedeutung jewils in Klammern):
    Originalzitate:

    „er hätte ebenso gern (nicht weniger gern) etwas anderes gegessen“

    •er hat ebenso häufig (nicht weniger häufig) gefehlt“

    Synonyme: „in ebenderselben Weise, in der gleichen Weise, geradeso [sehr], genauso [sehr]“

    Und somit bedeutetd der Satz. […]
    “ […] DAS DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO SO TOTALITÄR EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS.” folgendes:

    „DAS DIESEN KOMMUNISMUS ALS EBENSO TOTALITÄR (nicht weniger totalitär) EINSTUFT WIE DEN NATIONALSOZIALISMUS.”

    Und damit ist jetzt hoffentlich endlich bewiesen, dass Herr Gauck den Kommunismus in der DDR in den Jahren vor der Wende in Sachen Totalitarismus mit dem Nationalsozialismus gleichsetzt und für genau so sehr, nicht weniger totalitär hält.

    Quelle: Online-Ausgabe des Dudens

    Und des Weiteren ist Herr Gauck der Meinung, dass in totalitären Systemen, [also auch in der DDR in den Jahren vor der Wende,die er für nicht weniger totalitär hält, als den Nationalsozialismus] „im Extremfall Menschen als Feinde, Abweichler oder Schädlinge ausgegrenzt, ja MASSEDNHAFT ELIMINIERT werden.”

    Ich finde diese Behauptung ungeheuerlich.

  57. @Bronski

    Obwohl es fast an Körperverletzung grenzte, habe ich mir die Jauchsendung auf Einsextra angeschaut. Ca. 12 Minuten vor Ende der Sendung wendet sich Jauch mit der in Rede stehenden Äußerung Gaucks an Herrn Rösler.

    @sulaika

    Nachdem die Debatte nun doch nicht beendet wurde, möchte ich Ihnen noch einen, wie ich meine, hoch interessanten Hinweis geben. Unter http://www.taz.de/!89802/ erklärt der Leiter des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem, Efraim Zuroff,
    warum er Gauck für den falschen Bundespräsidenten hält. Es geht dabei um Gaucks Deutung des Holocausts, im Zusammenhang mit der Prager Erklärung.

    mfg
    Jutta Rydzewski

  58. @sulaika #50

    Was sie sagen stimmt nicht. Die angeblichen (es waren keine!) kommunistischen Systeme haben „fabrikmäßig“ gemordet. Ihre Relativierungsdebatte gerät zur Relativierung von Morden unter Zuhilfenahme der Naziverbrechen.

    Sie beschädigen fortgesetzt die Opfer, nicht nur die der Nationalsozialisten, sondern auch die anderer Täter.

  59. @ Standort

    „Das schlimmste Verbrechen ist, die eigenen Verbrechen mit denen der anderen zu kaschieren.

    Lassen Sie nun endlich davon ab, den Warner als Täter zu diffamieren, stellen sie sich der verbrecherischen Vergangenheit des Kommunismus, ohne Vergleiche zu ziehen. Sie selbst bemühen und mißbrauchen den Vergleich, nicht Gauck.

    Wenn die angeblichen Linken nicht den Mut haben, sich den Verbrechen ihrer Leitfiguren zu stellen, sind sie der Tod der linken Ideen.

    Sie versuchen, vom Versagen der linken Leitfiguren abzulenken. Das gelingt nicht: Die Leitfiguren haben gemordet, gelogen und versagt.

    Wir brauchen ernsthafte Gestalter, keine Schönreder.“

    Ihre Behauptung, ich würde den Vergleich „missbrauchen und bemühen“, bitte ich Sie, mittels Originalzitaten zu belegen und zwar konkret. Ebenso bitte ich Sie, zu belegen, wo und mit welcher Äußerung ich angeblich vom „Versagen der linken „Leitfiguren“ abzulenken“ versucht habe.

    Mir ist nicht bewusst, dass ich zu „linken Leitfiguren“ auch nur ansatzweise etwas geschrieben hätte, im Übrigen habe ich auch an keiner Stelle mitgeteilt, ob und gegebenenfalls welche linken Leitfiguren ich habe. Wenn Sie hier den Eindruck gar erwecken wollen, im Kontext Ihrer Aussage, ich würde „meine eigenen Verbrechen“ (oder auch die meiner angeblichen linken Leitfiguren“ ( die nur Ihrer Phantasie entsprungen sein können) mit denen anderer „kaschieren“ wollen, empfinde ich das als beleidigende Unterstellung. Weder meine angeblichen Leitfiguren noch deren angebliche Verbrechen waren oder sind Thema dieses Threads. Vielmehr habe ich mich ausschließlich zu den Vergleichen des Herrn Gauck geäußert und eigene Vergleiche unterlassen, weil es nach meiner Überzeugung hier nichts zu vergleichen gibt.

    Ich möchte Sie auch bitten, meine angeblichen linken Leitfiguren zu benennen, die gemordet, gelogen und versagt haben und nachzuweisen, dass die von Ihnen genannten Personen meine linken Leitfiguren sind. Das dürfte Ihnen naturgemäß schwer fallen, da Ihnen aufgrund des völligen Fehlens diesbezüglicher Aussagen meinerseits meine „Leitfiguren“ mit Sicherheit nicht bekannt sein können.

  60. @ # 60 Jutta Rydzewski

    Danke für den Link zu dem TAZ-Beitrag von Efraim Zuroff. Nun ziehe auch ich es vor, mit dem eigenen Kopf zu denken, statt mich durch die Autorität des Leiters des Simon Wiesenthal Centers in Jerusalem blenden zu lassen.

    Seine Bewertung, die Prager Erklärung sei „das Manifest einer Kampagne, die die Geschichte des Zweiten Weltkrieges und des Holocaust neu schreiben will“, belegt Zuroff nicht. Er konzentriert sich auf die Folgen einer Gleichsetzung von Kommunismus und Nationalsozialismus. Diese würde „vor allem den postkommunistischen Länder helfen, die Rolle zu verschleiern, die etliche Bürger osteuropäischer Länder beim Massenmord an den europäischen Juden spielten“, schreibt Zuroff.

    Seine Kritik, dass die öffentliche Erinnerung an die Verbrechen des Kommunismus in manchen Ländern des früheren Ostbocks (Zuroff nennt Beispiele aus Lettland und Litauen) dazu benutzt werden, die Erinnerung an NS-Verbrechen zu verdrängen und die eigene Beteiligung an diesen Untaten unter den Teppich zu kehren, teile ich. Die Autoren und Unterzeichner der Prager Erklärung müssen sich wohl vorhalten lassen, sich in dem Text nicht klar genug von solchem Missbrauch abgegrenzt zu haben. In der Erklärung selber findet sich meiner Einschätzung nach eine solche Gleichsetzung nicht – was noch zu diskutieren wäre. Der öffentliche Umgang mit den Themen z.B. in der Tschechischen Republik und auch in Polen zeigt jedenfalls, dass gleichzeitig eine intensive Beschäftigung mit dem „Erbe“ des Kommunismus und eine intensive Auseinandersetzung mit der eigenen Verstrickung in der NS-Zeit möglich sind.

    Eine „widerspruchsfreie“ Betrachtung der europäischen Geschichte des 20. Jahrhunderts wird uns nicht gelingen. Der Anteil Stalins an der Befreiung von der NS-Tyranei ist genauso eine historische Tatsache wie seine Verantwortung für Massenmorde; die Rote Armee ist die Befreierin von Ausschwitz und gleichzeitig der Garant der nachfolgenden Unterdrückung der Länder des Warschauer Pakts.

    „Als einstiger Menschenrechtsaktivist in der DDR und späterer Leiter der Stasi-Unterlagenbehörde sucht Gauck nach einer größeren Beachtung der kommunistischen Verbrechen – ein ehrenwertes und legitimes Ziel, das Unterstützung verdient“, stellt Zuroff fest. Seine Befürchtung, Gauck würde „jene Stimmen stärken, die die Bedeutung des Holocaust in der deutschen Geschichte herunterspielen und das Bewusstsein davon kleinhalten wollen“, halte ich für unbegründet. Immerhin ist Gauck in Nachfolge von Hans-Joachim Vogel Vorsitzender des Vereins „Gegen Vergessen – Für Demokratie“, der wirklich nicht für eine Verharmlosung von Holocaus steht.

  61. @ all

    Noch eine Anmerkung zur Moderation: Mit manchen Kommentaren muss ich mich länger auseinandersetzen als mit anderen, so dass diese erst später freigeschaltet werden können. Dadurch kann es zu Veränderungen in der Durchnummerierung der Kommentare kommen. Ich werde aber versuchen, Ihre Adressierung, wenn Sie Kommentarnummern benutzen, nachträglich anzupassen.

    @ sulaika

    Fassen Sie doch bitte Repliken auf Ihre Kommentare nicht immer gleich als beleidigende Unterstellungen auf oder unterstellen Ihrerseits, Ihre Argumentation werde verdreht.
    Standort wird seine Kritik jetzt sicher begründen.

  62. @bronski

    Ich hatte bereits gesagt, daß ich nicht von Personen rede.

    Die falschen Interpretationen der Gauck – Zitate, so wie sie noch immer und auch nach seiner Wahl verbeitet werden, haben für mich den Charakter einer Kampagne, die anscheinend einem Feindbild folgt.

    Die Interpretationen halte ich für widerlegt, der „verdächtigte“ Kandidat ist jetzt unser (aller) Präsident und es ist eine andere Art und Weise der Diskussion notwendig, nämlich eine, die weder das Amt, noch den Amtsinhaber in unzulässiger Weise kritisiert.

    Welche Funktion dieser „Vergleichsstreit“ hatte, ist hier ausreichend dargestellt worde, es nicht notwendig, die Diskussion von vorn zu beginnen.

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