Ein Beben geht durch die Fraktion der Regierungspartei CDU/CSU: Der langjährige Fraktionsvorsitzende und Merkel-Vertraute Volker Kauder (CDU) wurde abgewählt. Der Neue heißt Ralph Brinkhaus und ist kein unbeschriebenes Blatt, aber auch nicht erste Reihe. Zu lange, so scheint es, hat die Kanzlerin ihre Fraktion durch Kauder auf Linie zu trimmen versucht. Da war mal ein kleiner Aufstand fällig, um der Kanzlerin zu zeigen: Wir sind eigenständige Abgeordnete. Ein Verhalten, das man sich eigentlich viel häufiger im Bundestag wünschen würden, nicht nur dann und wann, wenn Rebellion angesagt ist oder wenn Abstimmungen freigegeben werden wie etwa bei der Ehe für alle. Aber da gibt es so etwas wie Fraktionszwang, das eines der Mittel fü Kanzlerinnen und Kanzler ist, ihre Macht zu organisieren. Diese Organisation hat in der CDU in der hergebrachten Form nicht mehr funktioniert. Merkel gilt als angezählt, aber sie will nicht von der Macht lassen. FR-Chefredakteurin Bascha Mika fragt schon: „Schafft sie das?“ Sinkende Umfragewerte, ein Innenminister, den sie nicht zu bändigen vermag, zwei anstehende Landtagswahlen, die im Desaster zu enden drohen – Merkels Stern droht zu sinken. Es wäre Zeit dafür. Angela Merkel hat dieses Land lange genug auf Sicht gefahren, hat Politik organisiert, statt sie zu gestalten. Die Bayernwahl könnte das politische Ende von Horst Seehofer (CSU) bedeuten, die Hessenwahl das von Angela Merkel. Danach könnten die Karten neu gemischt werden. Das wäre gut für dieses Land.
FR-Leser Alfred Kastner aus Weiden setzt sich auf seine Weise mit dieser Thematik auseinander – in einem Leserbrief, der mal wieder viel zu lang für die Veröffentlichung im Print-Leserforum war. Dort war nur Platz für eine stark gekürzte Version. Hier kommt die gesamte Zuschrift als Gastbeitrag im FR-Blog.
Jägermeisterin der Macht
Von Alfred Kastner
.
„Wasch mich, aber mach mich nicht nass“, so könnte man die Abwahl von Volker Kauder als Fraktionsvorsitzender der Union und das resultierende angebliche Misstrauensvotum gegenüber Angela Merkel deuten.
Kauder war bei einigen Fraktionsmitgliedern aufgrund seiner kritiklosen Loyalität gegenüber der Kanzlerin nicht sonderlich beliebt. Seine Abwahl gleich als „Merkel-Dämmerung“ zu deuten, erscheint jedoch abwegig. Stünde heute Angela Merkels Wiederwahl zur Parteivorsitzenden der CDU an, würde sie mit einer deutlichen Mehrheit wiedergewählt. Einige Abgeordnete wollten ihr über Kauders Abwahl lediglich einen kleinen Denkzettel verpassen. Mehr kann man in diese Wahl des Fraktionsvorsitzenden nicht hinein interpretieren. Bezeichnend war der relativ verhaltene Beifall für Brinkhaus, denn die wenigsten Abgeordneten wollten sich als dessen Anhänger outen, zumal sie fürchten müssten, sich den Unmut ihrer Chefin zuzuziehen.
Es gibt ein rätselhaftes und zugleich seltsames Paradox in Deutschland namens Angela Merkel. Selbst nach der haushoch verlorenen Bundestagswahl verfolgt Merkel ohne eine Spur von Demut und Einsicht weiter das Ziel des puren Machterhalts um jeden Preis. In der Öffentlichkeit ist Uneitelkeit ihre Waffe, mit der sie die Sympathien der Bevölkerungsmehrheit einheimst. Seit Jahren führt sie nahezu unangefochten die Liste der beliebtesten Politiker an. Ob Punkrocker oder hohe Kirchenvertreter – ihre Beliebtheit kennt offenbar keine gesellschaftlichen Grenzen.
Selten hat eine Bundesregierung jemals ein derart desolates Bild abgegeben wie die derzeitige Große Koalition unter Führung von Kanzlerin Merkel. Aber auch die früheren Koalitionen unter Führung von Merkel hinterließen häufig keinen guten Eindruck. Normalerweise müsste nun das Ende ihrer Kanzlerschaft absehbar sein. Und doch steht Merkel auf wundersame Weise über dem Ganzen, so als ob sie mit all dem nichts zu tun habe. Das ist die seit nunmehr 18 Jahren bestens bewährte „Methode Merkel“. Diese Frau geht mit einer Unbeirrtheit ihre Wege, als laufe sie auf feinstem Asphalt.
Wer glaubt, dass Angela Merkel sich von der Abwahl ihres Fraktionsvorsitzenden beeindrucken lässt, unterschätzt ihre Kampfkraft und ihren machtpolitischen Willen. Merkel verfügt über eine einzigartige machtpolitische Intelligenz. Bezeichnend für Merkel ist, dass sie sich zu ihrem 50.Geburtstag einen Hirnforscher als Hauptredner gewünscht hat. Sie ist die „Jägermeisterin“ der Macht. Wer sich mit ihr anlegt oder es wagt, ihr zu widersprechen läuft Gefahr, als politische „Jagdtrophäe“ an ihrer Wand zu enden. Demnächst vielleicht auch Ralph Brinkhaus. Denn dieser ist machtpolitisch relativ unerfahren. Sollte er den Erwartungen seiner Unterstützer nicht gerecht werden, könnten Merkel und ihre Gefolgschaft im Kalender den 25. September 2018 als ein sehr gutes machtpolitisches Datum dick unterstreichen. Denn nicht die Kanzlerin, sondern Merkels Gegner in der eigenen Partei wären in diesem Fall deutlich geschwächt. Am Ende wäre allerdings eine Spaltung der CDU und eine weitere Schwächung der etablierten Parteienlandschaft nicht mehr undenkbar.
Angela Merkel liebt die Essenz der Macht, die schiere Macht. Und sie versteht es strategisch äußerst geschickt, diesen Machtanspruch dauerhaft zu behaupten.
Meine Generation der Anfang der 1960er-Jahren geborenen bzw. davor werden unter diesen Gegebenheiten wahrscheinlich keine andere Kanzlerschaft mehr erleben können. Manchmal stirbt die Hoffnung aber zuletzt. Darum sende ich regelmäßig ein Stoßgebet gen Himmel: „Lieber Gott, ich weiß, ich bin ein Ferkel, aber bitte: Schenk mir ein Leben nach Merkel“.
@Alfred Kastner
Wunderbares Stoßgebet!
Für mich stellt sich eher die Frage, warum Sie immer wiedergewählt wird.
Denn Machtwille hin oder her, er würde ihr nichts bringen, wenn der Wähler nicht mitspielt.
Sie ist, bis auf wenige Ausnahmen wie die Abkehr von der Atomenergie, berechenbar oder vielleicht besser vertraut, bis zu einem gewissen Punkt vorhersehbar.
Ihrem ungebremsten Willen zur Macht hatte innerhalb ihrer Partei, kaum jemand den Mut sich entgegenzustellen. Herr Brinkhaus ist der Versuchsballon, sozusagen „sanfte Revolution“.
Bekanntermaßen scheut der Mensch Veränderungen auch wenn das Vertraute weh tut. Besonders in unruhigen Zeiten wie diesen und da drängelt ja auch noch die AfD an die Macht, auch wenn sie nichts zu bieten hat und unwaehlbar ist, also lieber das Bekannte unterstützen. Da weiss man doch, was man hat!
In der letzten ZDF Umfrage hat man die Zustimmung für Merkel irgendwo bei 50% gesehen. Also die Frage ob sie in 4 Jahren immer noch Kanzlerin ist würde ich mit einem eindeutigem ja beantworten. Man muss sich sogar die Frage stellen ob das nicht auch gut so ist. Denn wer sollte es alternativ machen?