Der „Islamische Staat“ ist am Ende. Das ist eine gute Nachricht, doch Vorsicht: Gemeint ist lediglich das protostaatliche Gebilde namens „Islamischer Staat“, jenes Kalifat, das sich in Syrien und im Irak gebildet hatte. Gemeint ist nicht die Terrororganisation „Islamischer Staat“. Die existiert weiterhin, wie auch Al-Qaida immer noch existiert. Und sie ist dadurch, dass sie sich nun nicht mehr auf Landkarten verzeichnen lässt, keineswegs ungefährlich geworden. Daher ist die Debatte um die Rücknahme der IS-Kämpfer, die US-Präsident Donald Trump in der ihm eigenen Art angestoßen hat, von erheblicher Bedeutung.
Diese deutschen Dschihadisten – es sollen rund 800 sein – befinden sich derzeit in kurdischen Händen. Es geht auch um Frauen, die mit ihnen gelebt haben, und um Kinder. Die Kurden wollen – und können – sie nicht einfach freilassen, denn sie dürften gefährlich sein. Darum fordern die Kurden unter anderem Deutschland auf, seine Staatsangehörigen zurückzuholen. Mir ist nicht bekannt, dass diesen Menschen ihre Staatsangehörigkeit aberkannt worden wäre. Das bedeutet tatsächlich, dass sie weiterhin Deutsche sind, auch wenn sie sich mit Haut und Haaren einer menschenverachtenden Ideologie verschrieben und möglicherweise sogar Kriegsverbrechen und Terrortaten begangen haben. Gerichtsverfahren in Deutschland wären dann unausweichlich. Häufigster Anklagepunkt, auch gegen die Frauen, dürfte die Mitgliedschaft in einer terroristischen Vereinigung sein, für die es bis zu zehn Jahren Haft geben kann. Doch das werden keine einfachen, klaren Verfahren, denn die Beweisaufnahme ist in Auslandsfällen generell kompliziert. Es kommen viele erschwerende Faktoren hinzu bis hin zur Gefahr, dass diese Dschihadisten keine reuigen Rückkehrer sind wie andere, die bereits wieder nach Deutschland gekommen sind. Diese Kämpfer mögen im Kampf besiegt sein, aber deswegen müssen sie ihr eklatantes Fehlverhalten noch lange nicht erkannt haben.
Auf die deutsche Justiz kommen also riesige Probleme zu. „Kurze Prozesse wird es nicht geben“, sagt der Präsident des Hessischen Oberlandesgerichts, Roman Poseck. Doch dürfte es vielleicht ein internationales Straftribunal sein? Etwa nach dem Vorbild des beispielgebenden Kriegsverbrechertribunals in Den Haag, das die Kriegsverbrechen des Jugoslawienkrieges beispielhaft und völkerrechtlich einwandfrei aufgearbeitet hat? Es sind immerhin nicht nur Deutsche unter den Dschihadisten, und die islamistische Ideologie, welche den Terror des IS und den „Islamischen Staat“ begründet, ist keine in Deutschland entstandene Ideologie, sondern eine, an deren Bildung und Stärkung die ehemaligen Kolonialstaaten Großbritannien und Frankreich einen sehr viel größeren Anteil hatten als Deutschland. Nicht zu vergessen die USA, die mit ihrem irrsinnigen „war on terror“ den fruchtbaren Grund, aus dem Islamisten wachsen, nachhaltig und stetig beackert und neue Terroristen heranzüchtet. Auch fundamentalistische Regierungen wie die in Saudi-Arabien oder im Iran haben den Islamismus gestärkt, ebenso einflussreiche Geheimdienste wie die CIA oder der pakistanische ISI, jeweils in dem Glauben, dass der Feind ihrer Feinde ihr natürlicher Freund und Verbündeter sei.
Islamismus und islamistischer Terror ist ein internationales Problem und gehört daher vor ein internationales Gericht. Dies allerdings existiert bisher nicht. Falls die internationale Gemeinschaft sich nicht dazu aufrafft, solche Strukturen zu schaffen, wird Deutschland „seine“ Dschihadisten wohl oder übel zurücknehmen müssen, um ihnen hierzulande nacht rechtsstaatlichen Regeln den Prozess zu machen. Die andere, internationale Lösung ist unrealistisch, zumal mit einem Präsidenten der USA, der von solchem Multilateralismus nichts hält.
Leserbriefe
Axel Raue aus Bad Homburg:
„Deutsche Politiker/innen denken darüber nach, wie man mit IS-Kämpfern umgehen soll, die aus der Kriegsgefangenschaft nach Deutschland überführt werden. Meiner Auffassung nach ist hier eine Denkblockade im Spiel, die auf der Weigerung beruht, den IS als Kriegspartei anzuerkennen. Natürlich sprechen gute Gründe dagegen, eine Verbrecherhorde sprachlich aufzuwerten. Andererseits ergäbe sich daraus ein überzeugender Ansatz zur Problemlösung. Der IS beansprucht, nicht nur in bestimmten Kriegsgebieten Krieg zu führen, sondern auch mit weltweiten Terroranschlägen. Unter diesem Gesichtspunkt ist der IS eine Kriegspartei, die einen Krieg gegen Deutschland führt. Für den Umgang mit gegnerischen Kriegern gibt es Präzedenzfälle, man denke etwa an Großbritannien im 2. Weltkrieg. Beim Googeln erfuhr ich, dass es ein britisches Freikorps gab, eine (kleine) Einheit der Waffen-SS, die aus britischen Staatsbürgern bestand. Hier sehe ich eine Parallele zu deutschen Staatsbürgern, die für den IS kämpfen. Der Lösungsansatz, den ich vorschlage, ergibt sich aus der Beantwortung folgender Fragen: Wie ging Großbritannien mit gefangengenommenen gegnerischen Kämpfern um? Wie ging Großbritannien mit britischen Staatsbürgern um, die zu den gegnerischen Kämpfern gehörten? Wie gingen die USA nach dem Ende des 2. Weltkriegs mit Kriegsgefangenen um? Hinrichtungen feindlicher Akteure, die seinerzeit üblich waren, kommen für die Lösung der aktuellen Probleme natürlich nicht in Frage. Gefangenenlager und Umerziehungsprogramme sollte man aber meiner Auffassung nach durchaus in Betracht ziehen. Der Vorteil bestünde darin, dass man die Bevölkerung vor Feinden schützt, unabhängig davon, wie weit die strafrechtlichen Ermittlungen gegen diese Personen fortgeschritten sind.“
Robert Wolff aus Bad Vilbel:
„Seit mehreren Jahren haben sich jüngere Deutsche dem IS angeschlossen. Zunächst nur ideologisch in der Heimat, dann aber auch radikalisiert vor Ort im Irak und in Syrien. Nach Schätzungen sind demnach mehrere hundert Deutsche „ausgewandert“ und haben sich ohne Wenn und Aber in den Dienst des IS gestellt. Inzwischen hat sich herausgestellt, dass es sich nicht um verblendete,unreife junge Männer und Frauen handelt. Nein, sie hatten sich intensiv mit der Ideologie des IS auseinander gesetzt und wollten dabei sein, wenn der IS die Weltherrschaft anstrebt. Dabei würden sie auch ihr Leben hergeben und ohne Skrupel Andersgläubigen das Schlimmste zufügen.
Und jetzt, wo der IS fast am Ende ist und sich hunderte Deutsche, auch junge Frauen mit Kleinkindern, in provisorischenm kurdischen oder anderen Gefangenenlagern befinden, würden viele gern wieder zurück nach Deutschland kommen, so als wäre ihre fehlgeschlagene „religiöse Auslandserfahrung“ zu Ende. Und da beginnt das Problem, das offensichtlich von der Bundesregierung noch nicht behandelt wurde in der Hoffnung: Die werden nie mehr zurück kommen. IS-Kämpfer, die zurück kommen, stellen ein brisantes Gefahrenpotenziel dar. Niemand weiß, wie diese Leute ihre Ideologie auch mit Anschlägen in Deutschland weiter verfolgen.
Deutsche Staatsbürger zu sein, beinhaltet eine Reihe von Rechten, wie sie eben in einer guten Demokratie üblich sind. Aber es gibt auch einige Pflichten, an die sich jeder Staatsbürger zu halten hat. Wenn wie hier geschehen deutsche Staatsbürger ihr Heimatland als ideologischen Gründen verlassen und sich radikalisieren, geben sie aus ganzer Überzeugung die deutsche Staatsbürgerschaft auf und haben die des IS nicht nur symbolisch angenommen.
Und nun die große Frage: Haben diese IS-Kämpfer nicht auch in Kauf genommen, ihre Staatsbürgerschaft zu verlieren? Hat es die Bundesrepublik versäumt, diesen IS-Kämpfern die Staatsbüregrschaft abzuerkennen? Für eine Rückholung ist allein aus Sicherheitsgründen bei der Bevölkerung wohl keine Mehrheit zu erreichen. Kommen sie doch zurück, entstehen hunderte Gerichtsverfahren mit vielen Gefängnisstrafen. Doch was passiert nach der Strafverbüßung? Ist dann der Saulus zum Paulus geworden?“
Anita und Franz Osterloh aus Frankfurt:
„Es ist schon erstaunlich was manch, namhafter Politiker für ein Rechtsempfinden an den Tag legt Sobald die Rückführung der deutschen IS -Kämpfer sich schwierig gestaltet, wird versucht, kurzerhand dessen Nationalität zu entziehen und somit, auf billigste Weise, das Problen aus der Welt zu schaffen. Die Kurden sollen zusehen wie sie mit dem Problem fertig werden.
Ohne sich dessen bewusst zu sein, hat sich Herr Dobrindt eine Steilvorlage an die Anti-Abschiebe-Industrie geleistet. Dem Beispiel der BRD folgend, könnten solche Länder wie Afghanistan, Marokko, Algerien etc. auf die Idee kommen deren Bürger, die sich illegal in der BRD aufhalten die Nationalität zu entziehen und somit sich die lästige Rücknahme ihrer Landsleute ersparen. Oder will man verfahren nach dem lateinischen Spruch „quod licet lovi,non licet bovi“ ? Was dem Jupiter erlaubt ist, ist dem Ochsen nicht erlaubt. So eine Arroganz unterstelle ich nicht mal einem Herrn Dobrindt.“
Im Artikel wird Herr Alexander Dobrindt zitiert, der den Entzug der deutschen Staatsangehörigkeit für IS-Kämpfer fordert. Nun ist Herr Dobrindt sicherlich nicht die hellste Kerze auf der ohnehin schwach erleuchteten CSU-Torte, aber weiß er wirklich nicht, in welche Nähe er sich begibt?
Meines Wissens haben beide Demokratien auf deutschem Boden (Weimar, Bonn/Berlin) keine derartigen gesetzlichen Bestimmungen gekannt, die Hitlerei hat aber dann die Gesetzeslücke flugs geschlossen. So konnte man im Deutschen Reichanzeiger Nr. 198 vom 25. 8. 1933 lesen:
„Auf Grund des § 2 des Gesetzes über den Widerruf von Einbürgerungen und die Aberkennung der deutschen Staatsangehörigkeit vom 14. Juli 1933 erkläre ich im Einver-
ständnis mit dem Reichsminister des Auswärtigen folgende Reichsangehörige der deutschen Staatsangehörigkeit für verlustig, weil sie sich durch ein Verhalten, das gegen
die Pflicht zur Treue gegen Reich und Volk verstößt, die deutschen Belange geschädigt haben.“
Anschließend wurden die Namen von 1 Frau und 32 Männern mitsamt Geburtsdatum aufgelistet, darunter Sozialdemokraten wie Ph. Scheidemann, O. Wels und Dr. R. Breitscheid, Kommunisten wie W. Pieck und W. Münzenberg, der ehemalige Berliner Polizeipraesident A. Grzesinski sowie sein Stellvertreter B. Weiß und eine Reihe von Literaten wie Dr. K. Tucholski, Dr. A. Kerr, H. Mann und L. Feuchtwanger. Insgesamt findet sich eine große Anzahl von Juden auf dieser Liste.
Die Bekanntmachung unter der Rubrik „Allgemeines endet mit den Sätzen:
„Das Vermögen dieser Personen wird hiermit beschlagnahmt. Die Entscheidung darüber ,inwieweit der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auf Familienangehörige ausge
dehnt wird, bleibt vorbehalten. …… Der Reichsminister des Inneren J. B. Pfundtner.“
Ich kann mir nicht vorstellen, daß Herr Dobrindt (s.o. … Kerze etc.) diesen Sachverhalt kennt, aber es zeigt, wie heutzutage populistische Stammtischmanöver schon in Bereiche vorstoßen, die wir uns vor einigen Jahren nicht vorstellen konnten.
Übrigens war die oben zitierte Bekanntmachung nur die erste von einer ganzen Reihe von Ausbürgerungen, so daß sich 1945 ein Großteil der politischen und literarischen Elite im Exil sich mit diesem Zustand abzufinden hatte. Viele von ihnen haben übrigens danach auch nicht mehr die deutsche Staatsangehörigkeit beantragt, u. a. Dr. H. Brüning, Prof. A. Einstein, Prof. H. Ahrendt, Dr. T. Mann, C. Zuckmayer, E.M. Remarque, T. Plivier und viele andere…
Zunächst sei Herrn Neemann gedankt für die Klarstellung, in welche Tradition die Forderung Dobrindts nach Aberkennung der Staatsbürgerschaft für deutsche Terroristen namentlich in Deutschland einzuordnen ist. Ähnlich auch die richtigen Hinweise von Anita und Franz Osterloh.
In Zusammenhang mit Forderungen an andere Länder, ihre „Terroristen“ zurückzunehmen- auch wenn der Nachweis gar nicht erbracht ist, lässt dies eine kaum zu übertreffende Heuchelei erkennen: Politik nach dem Sankt-Florians-Prinzip.
In der Einführung weist Bronski zu Recht darauf hin, dass das Problem nur durch einen Internationalen Gerichtshof in angemessener Weise behandelt werden könnte. Nicht nur wegen der internationalen Ursachen des Konflikts. Auch, weil ein Abschieben auf die bilaterale Ebene dem von Trump geforderten Recht des Stärkeren entgegenkommt.
Auf diese Weise bleiben z.B. amerikanische Kriegsverbrechen bis heute ungesühnt.
Doch mit der bloßen Feststellung bleibt auch Bronski auf halbem Wege stehen.
Wenn ein Internationaler Gerichtshof unrealistisch erscheint, ist zumindest zu fordern, dass den internationalen Aspekten Rechnung zu tragen ist.
Das bedeutet konkret, die mehr als berechtigten Anliegen der Kurden zu respektieren und ihnen zu entsprechen.
Es waren die Kurden, die an vorderster Front ihren Kopf hingehalten und vor allem dem Westen einen unschätzbaren Dienst im Kampf gegen den IS erwiesen haben. Die nun, als „Dank“ dafür, von einem verantwortungslosen US-Präsidenten den Obsessionen und Rachegelüsten eines türkischen Despoten überantwortet werden. Ein „Verrat“, den sie in ihrer leidvollen Geschichte nicht das erste Mal erleben.
Es wäre den Kurden nach ihren Erfahrungen nicht zu verdenken, wenn sie realisieren würden, was ein Trump in seiner unfassbaren Selbstüberhebung den Europäern angedroht hat: die Terrorhelfer auf sie loszulassen (über die er überhaupt nicht verfügt).
Dass die Kurden eben dies nicht tun, dass sie sich verantwortlich zeigen, damit Menschenrechtsverbrecher auch zur Rechenschaft gezogen werden, dafür verdienen sie mehr als nur Respekt.
Sie verdienen nicht nur, dass ihrem Verlangen in der Frage der inhaftierten IS-Kämpfer entsprochen wird. Sie verdienen auch politische Unterstützung in ihrem seit über einem Jahrhundert dauernden berechtigten Kampf um Selbstbestimmung und politische Unabhängigkeit.
Erst einmal sollte man einen Blick in unser Grundgesetz werfen. Das verbietet die Ausbürgerung, wenn der Staatsangehörige dadurch staatenlos wird.
Ich habe zwei Ausnahmen gefunden: Hat sich jemand die deutsche Staatsbürgerschaft durch falsche Angaben erschlichen, kann er sie wieder verlieren. Das Gleiche gilt für jemanden, der Mitglied der Streitkräfte eines gegnerischen Staates wird. Das trifft aber auf IS-Kämpfer nicht zu, weil der IS nicht als Staat anerkannt wird.
Besitzt jemand noch eine andere Staatsbürgerschaft, kann er leichter ausgebürgert werden.
Ganz abgesehen davon bin ich der Meinung, dass wir unsere Staatsbürger selbstverständlich bei uns aburteilen müssen, so schwierig das wegen des Problems der Zeugenfindung und -vernehmung auch ist. Die Kurden haben doch gar nicht die nötigen gerichtlichen Kapazitäten, um allen europäischen IS-Kämpfern bei sich den Prozess zu machen.
Besonders wichtig finde ich auch, dass wir uns um die Kinder der IS-Mitglieder kümmern. Diese auszuweisen würde der Sippenhaft gleichkommen. Für sie hat der Staat eine besondere Verantwortung. Wenn ihre Eltern hier vor Gericht gestellt werden, haben die Kinder ja immerhin die Chance, von Verwandten aufgenommen zu werden bzw. anderweitig in geordneten Verhältnissen aufzuwachsen.
@Axel Raue:
Guantanamo lässt grüßen…