Ist es Zufall, dass die SPD, abgesehen von Willi Brandt, stets nur mit Spitzenkandidaten zur Regierungspartei gewählt wurde, die eher ihrem rechten Flügel zuzuordnen waren? Altkanzler Gerhard Schröder wird sich was dabei gedacht haben, als er den Genossen kürzlich eindringlichst riet, die politische Mitte nicht preiszugeben. Sicher ist er der Meinung, die SPD dorthin geführt zu haben. Denn in der Mitte werden, so das Credo, die Wahlen gewonnen. Allerdings kriegt die SPD damit ein Problem links von sich. Verdammt!
FR-Autor Christian Schlüter hat dieses Problem in einem Essay durchleuchtet. Seine These: Wir alle sind heute mehr oder weniger Sozialdemokraten. „Das Problem: Die Sozialdemokratisierung scheint vollendet, aber mittlerweile ohne SPD stattzufinden.“ Wenn sich das ändern solle, müsse die SPD 5 Punkten folgen:
1. Die SPD wird ihr Verhältnis zur Links-Partei entkrampfen müssen.
2. Die Ausgeschlossenen sind das vordringliche Thema.
3. Gegen das global agierende Kapital hilft nur internationale Solidarität.
4. Die SPD braucht eine neue Ideologie.
5. Sie muss den Liberalismus wieder als das Freiheitsversprechen auf eine menschenwürdige Zukunft begreifen.
Dazu FR-Leser Sigurd Schmidt aus Bad Homburg:
„Christian Schlüter hält der SPD eine Grabrede. Vielleicht ist sie aber im Gegenteil gerade am Anfang, nämlich sich definitiv von ihrer proletarischen Herkunft zu befreien? Zu offensichtlich ist, dass die konservativen und neoliberalen Kräfte die SPD auf ihre Herkunft festklopfen wollen. Gerhard Schröder hat jedoch mit der alten Ideologie einer Klassenpartei gebrochen und die moderne SPD im Leistungszentrum der Gesellschaft neu verortet. Die SPD hat inzwischen bereits eine ’neue Ideologie‘: die Selbstqualifikation durch Bildung/Weiterbildung als zentrales Motiv der deutschen Erwerbsgesellschaft zu verankern.
Es ist naiv anzunehmen, dass man mit ‚internationaler Solidarität‘ die Wertschöpfungsfaktoren Kapital und Technologie einhegen könnte. In der Wissensgesellschaft ist die Eigenverantwortung für Bildung der entscheidende Hebel, um den Faktor ‚menschliche Arbeitskraft‘ gegenüber dem Kapital wettbewerbsfähig zu halten. Auf keinen Fall lässt sich heute parteipolitisch punkten, indem man etwa für eine ‚oziale Hängematte‘ für die Unterqualifizierten eintritt. – Was die Linkspartei anbelangt, muss man sehen, dass diese in Ost-Deutschland eine Art regionale CSU darstellt, die man dort im politischen Tagesgeschäft nicht ausgrenzen kann. In Westdeutschland ist die Linke demgegenüber vorläufig noch sehr heterogen. Die SPD muss dem in ihren programmatischen Aussagen bis auf weiteres Rechnung tragen.“
Michael Lange aus Hamburg:
„Ein richtiger und wichtiger Kommentar, der einen deutlichen Überblick gibt über die gesellschaftliche Situation in Deutschland, für die hauptverantwortlich die SPD mit ihrer Agenda 2010 zu benennen ist. Hunderttausende sind 2004 wegen der zu befürchtenden sozialen Verwerfungen jeden Montag auf die Straße gegangen. Bereits damals hätte die SPD auf das Volk hören und mit ihm ins Gespräch kommen müssen. Stattdessen wurde mit der Basta-Methode auf Biegen und Brechen eine Massenverelendung mit Hartz IV durchgesetzt. Das hatten wir am Ende der Weimarer Republik schon einmal, mit schlimmen Folgen für Deutschland. Nur ist man bei der SPD einfach nicht lernfähig, auch dann nicht, wenn dabei eine über 140 Jahre alte Partei zugrunde geht. Tschüss SPD, das war’s dann, wer zu spät kommt, den bestraft das Leben.“
Hermann Krüger aus Frankfurt:
„Die Feuilleton-Doppelseite ist von großer Bedeutung für die Richtungsdiskussion nicht nur in der SPD. Schadenfreude bei den anderen Parteien ist völlig unangebracht und eher ein Ausdruck eigener Verwirrung. Christian Schlüter markiert das Ende einer Entwicklungsphase der Nachkriegszeit, die eine Neubestimmung der (alten) programmatischen Aussagen aller demokratischen Parteien notwendig macht. Bei der Suche nach neuen Antworten sind die richtigen Fragen bereits ein Teil der Antwort.
Am Ende des zweiten Weltkrieges gab es bis weit ins bürgerliche Lager hinein Übereinstimmung in der Frage: Nie wieder Krieg und Faschismus. Die Ausrottung der Wurzeln von Krieg und Faschismus war nicht nur ein Kriterium für das kapitalistische System, sondern auch für das sozialistische System, das bis dahin vom sog. realen Sozialismus repräsentiert wurde. Die Beschlüsse von Jalta und Potsdam legten dafür wichtige Grundlagen fest. Leider wurden diese Grundlagen im Westen sehr bald zugunsten einer Restauration verlassen. Mit dem kalten Krieg (bes. nach ungeprüfter Ablehnung der Stalin-Note vom 10. März 1952) trat an die Stelle antifaschistischer Gemeinsamkeit wieder die alte Konfrontation Sozialismus oder Kapitalismus. Nachdem die Westmächte mit Bildung der Bizone, Gründung der BRD und Wiederaufrüstung und Westintegration (etwa bis 1954) den Vorwand lieferten, folgte die Sowjetunion als Reaktion darauf mit denselben Fehlern der Fortsetzung der alten Konfrontation. So wurde die antifaschistisch-demokratische Gemeinsamkeit durch die Konfrontation des kalten Krieges unter der falschen Frontstellung Kapitalismus oder Sozialismus abgelöst. Beide Seiten erwiesen sich als reformunfähig.
Mit dem Zusammenbruch des Ostblocks erwies sich der Kapitalismus nicht als die Antwort auf die ungelösten Fragen der Vergangenheit. Auch heute ist die Frontstellung nicht ‚Sozialismus oder Kapitalismus‘, sondern Krieg oder Frieden, Demokratie oder Faschismus. Dass sich links von der SPD eine neue Linke gebildet hat, ist vor allem auf das Versagen der SPD in diesen Grundfragen zurückzuführen. Nur wenn die Überlebensfragen als gemeinsam zu lösende Fragen erkannt werden, lassen sich weitergehende programmatische Fernziele herausarbeiten. Das System, dass diese Fragen lösen kann, wird zukunftsfähig sein.“
Horst Müller aus Hamburg:
„Die SPD schmiert in der Wählergunst ab – zu Recht, denn ihre Politik hat die Massen in Deutschland viel zu viel gekostet und enttäuscht. Was lernt die alte ‚Tante SPD‘ daraus? Viel – aber ‚Tante SPD‘ braucht wieder einmal viel Zeit, wie schon so oft in ihrer Geschichte. Während ‚Grün‘ flexibel und munter ins rechte Lager marschiert, tabuisiert die SPD ‚Links‘, und so wird sie erst bei der Bundestagswahl 2013, wenn überhaupt, fähig sein, mit ihren Abspaltungen ‚Grün‘ und ‚Links‘ volksnahe Politik zu formulieren und zu machen. Das geht aber nur, wenn aus ‚Grün‘ bis dahin nicht unumkehrbar ‚Schwarz‘ geworden ist … und wenn die SPD Schröder vergessen hat.“
Uwe Ostendorff aus Berlin:
„Eigentlich bringt Christian Schlüters Artikel keine neuen Erkenntnisse. Doch die Ereignisse der vergangenen Wochen lehren uns, dass es eines solchen Artikels, der die Dinge kurz und knapp auf den Punkt bringt, bedarf.“
Ich kann dem Essay von Christian Schlüter nicht ganz so viel Positives abgewinnen. Gewiss, er stellt einige interessante Thesen und Ideen im Zusammenhang der prekären Lage der SPD zusammen, bündelt sie aber nicht wirklich, weder zu einer echten Kritik, noch zu einer wirklichen Verteidigung auch nur einer der Strömungen innerhalb der SPD. Wenn er der SPD rät, sich auf DIE LINKE zubewegen zu müssen, da „nur auf diesem Wege links von der Mitte in nennenswertem Umfang Wähler zurück zu gewinnen“ seien, gleichzeitig aber der CDU Merkels bescheinigt, daß diese „zurzeit alles richtig“ mache, so stiftet er mehr Verwirrung, als daß Klarheit einkehrte. Die CDU macht einiges, aber sie bewegt sich bestimmt nicht auf die LINKE zu, was ja , beide sind „zurzeit“, praktisch voneiander nahezu ununterscheidbar, Volksparteien, für sie, die CDU, dann auch „richtig“ sein müsste. Da bleibt der Leser ratlos. Bräuchte er nicht, denn das Primat wird durch den gemeinsamen Willen zur großen Koalition gesetzt und daraus erklärt sich doch noch etwas. Da hat nämlich der FR-Kommentator Gerhard Ziegler in seinem Kommentar “Partei in der Zerreißprobe“ schon am 22.03.1968 im Anschluß an den Parteitag 1968 der SPD in Nürnberg genauer sagen können, wie es bei der SPD unter solchen Bedingungen funktioniert. Ziegler beschreibt die „taktische Formel“ der (so füge ich hinzu: nicht nur) damaligen SPD-Führung so:
„Ob es uns- paßt oder nicht, die Große Koalition zahlt sich für uns (=die SPD) nicht aus. Der Wähler honoriert unseren Opfergang zur Rettung aus dem Chaos der Erhard-Regierung nicht. Hoffnungen auf eine kleine Koalition mit der FDP sind auch illusorisch. In die Opposition zurück wollen wir aber auch nicht. Folglich müssen wir uns auf eine Fortsetzung der Ehe mit den Unionsparteien einstellen. Deshalb: nicht die CDU verärgern. Zum Abreagieren innerparteilichen Ärgers genügt es, das Unionsschwesterchen, die CSU, zum Sündenbock zu machen. Da dürfte es kaum möglich sein, die Rückbesinnung auf die linke Tradition der Partei in praktische Politik umzusetzen; denn sie wurde gegen den Willen der Führung durchgebracht.“
Ersetzten wir „Erhardt-Regierung“ durch „Kohl/Schröder-Erbe“, „Unionsschwesterchen CSU“ durch „Abtrünnigentruppe DIE LINKE“, dann klingt die Passage schon ganz aktuell und treffend. Dann scheint es da aber einen kleinen Unterschied zu geben. Ziegler konstatiert damals, daß die Parteibasis einen Linksruck gegen die Parteiführung erzwungen hätte, doch, wie er später weiter schreibt „dürfte es kaum möglich sein, die Rückbesinnung auf die linke Tradition der Partei in praktische Politik umzusetzen; denn sie wurde gegen den Willen der Führung durchgebracht“ Die herrschende Meinung sagt heute, es hätte keinen Linksruck nirgendwo gegeben, Beck habe das im Angesicht Ypsilantis, die ja doch gescheitert sei, als schweren politischen Fehler sinnlos versucht und zahle jetzt mit Ansehens- und Autoritätsverlust, ja habe seinen Kanzlerkandidatur in 2009 selbst torpediert. Ich kann mir vorstellen, daß Beck persönlich tatsächlich das wollte, was er Ypsilanti signalisierte, die Basis und der sogenannte linke Flügel der SPD auch. Aber bisher scheitert diese Strömung an den SPD-Regiierungsmitgliedern, der Fraktionsführung, den Funktionären der obersten Ebene, Netzwerkern und Seeheimer Kreis. Also letzlich doch wieder dieselbe Lage wie im März 1968.
Da nützt es eben nichts, wenn Schlüter der SPD auch in seinen 5 Thesen auf der einen Seite immer wieder einen Linkskurs empfiehlt, was objektiv wahrscheinlich sogar richtig ist, ihr sogar, verwegen, verwegen den Antritt des Erbes der historisch obsoleten FDP empfiehlt, wenn er auf der anderen Seite an keiner Stelle diskutiert, welche Strategie er für die Linke in der SPD konkret sähe, die unheilige Allianz von rechter SPD, CDU/CSU, schwarzen Grünen und den heute nur noch Wirtschaftsliberalen (damals, 1968, Linksliberalen) in der FDP und dem Kapital aufzubrechen, um damit zur Wählerschaft DER LINKEN vorzustoßen und das Linksprojekt verwirklichen zu können.
Sollte der Schlüter-Artikel ein Anfang sein, in der FR einen Dokumentationsreihe zu eröffnen, die auch wieder genuin linke Autoren im Blatt zu Wort kommen ließe, um der SPD und DER LINKEN dabei zu helfen, würde es mich freuen.
Ich bin gespannt.
Zur Blogüberschrift selbst:
Bronski titelt, wie fast immer, ohne Fragezeichen:
SPD ist keine Klassenpartei mehr
Da stelle ich doch ganz verwegen mal gleich zwei Fragen dagegen:
Wer sagt, mit welchen Gründen, dass unsere Gesellschaft keine Klassengesellschaft mehr sei?
Daraus abgeleitet gleich die zweite Frage:
Könnte es nicht sein, wenn die erste Frage zur Antwort führte, dass es eine, wie immer auch seit Maxens erster Analyse modifizierte, aber herrschende Klassengesellschaft noch gäbe, der entscheidenen Fehler der SPD wäre, sich des daraus resultierenden gesellschaftlichen Widerspruches nicht mehr anzunehmen, sich ihm nicht mehr annehmen kann, da sich nicht mehr als Klassenpartei begreifend, und deswegen politisch mehr und mehr bedeutungslos werden wird?
@ Uwe
Warum sollte ich hinter die Überschrift ein Fragezeichen setzen? Sie fasst die Kernaussage des Leserbriefs von Sigurd Schmidt zusammen; Sigurd Schmidt setzt da kein Fragezeichen.
Aber du hast da eine interesante Frage aufgemacht: Sind wir noch eine Klassengesellschaft?
Ich stelle fest:
1. Das Zeitalter der Nationalökonomien ist endgültig vorbei. Im Zeitalter der Globalisierung müssen „Klassen“ global definiert werden. Das globale Proletariat, wenn es denn eines gibt, besteht dann wohl eher aus den Ärmsten der Armen, sprich: den Hungernden in aller Welt.
2. Auch Akademiker sind hierzulande nicht davor gefeit, in Hartz IV abzurutschen. Ich habe hier einen Leserbrief veröffentlicht, der das sehr gut veranschaulicht. D.h. auch gute ökonomische Voraussetzungen, die zu einer guten Ausbildung führten, garantieren die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Klasse nicht mehr. Die Klassen, wenn es sie noch gibt, sind durchlässig geworden.
3. Die Gruppe der Wechselwähler ist größer denn je, d.h. viele Wähler fühlen sich herkömmlichen Partei-Ideologien – und damit auch ökonomischen Klassen – weniger stark verbunden als früher. So hat die SPD im hessischen Landtagswahlkampf überraschend viele Stimmen von Selbstständigen und Freiberuflern bekommen, obwohl sie einen linken Wahlkampf geführt hat. Klassische FDP-Klientel kann also SPD wählen – vermutlich weil sie Koch weghaben wollte. Auch dies ist ein Indiz dafür, dass die Unterschiede zwischen den Klassen verwischen.
@ Bronski
Falls ich sie nicht falsch verstanden habe, gehen Sie in einer modifizerten Form – bezogen auf heute „globale“ nicht mehr „nationale“ Verhältnisse – auch noch davon aus, dass unere Gesellschaft „irgendwie“ doch noch einen Klassengesellschaft sei.
Ihr Argument, dass der Akademiker heute auch nicht mehr davor sicher ist , ökonomisch abzusteigen ist natürlich richtig. Ob damit ein Klassenwechsel verbunden ist, ist aber noch lange nicht ausgemacht. Die Klassengrenze verläuft nicht an der Linie „arm“ – „reich“, sondern an der Grenze „Verfügungsmacht über den Einsatz der Produktionsmittel und Zugriff auf den abzuschöpfenden Profit“ und „abhängig beschäftigt Sein“. Selbst der C3-Professor ist im strengen Sinne abhängig von Alimentation und gewährten Drittmitteln. Das eigene Unternehmen zur Vermarkung seiner „eigenen“ Ideen ist nicht seine eigentliche Existenzgrundlage – von Ausnahmen abgesehen.
Selbst, wenn ein klassischer Unternehmer, auch der o.a. Professor „pleite“ geht, obwohl er marktmäßig offenbar alles „richtig“ gemacht hat, folgt dies den Gesetzen der Kapitalakumulation und -konzentration, heute „Globalisierung“ genannt. Ob ein dann „armer“ akademisch gebildeter Unternehmer, sein Bewußsein hinsichtlich Klassenzugehörigkeit ändert ist noch nicht einmal sicher, wohl für die Form der Auseinandersetzung zwischen Kapital und Arbeit von Bedeutung, nicht aber für dessen weiter bestehenden Charakter und dessen realer Wirkung in der Welt.
Das zuletzt Besagte bezieht sich dann auf Ihr zweites Argument, von den jeweils in den unterschiedlichen „Köpfen“ vorhandenen „Ideologien“, bzw. deren Bindungen daran. Das die genannte Grenze im Bewußtsein der Menschen auf beiden Seiten „verwischt“, ist unbestreitbar, aber eben nicht entscheidend für den Befund der die Frage „Klassengesellschaft ja, oder nein?“ – soweit möglich – objektiv beantwortete.
Bisher konnte meines Erachtens kein gesellschafts- oder ökonomiethoretischer Entwurf den bestehenden Gegensatz von Kapital und Arbeit, der fundamental verschiedene Lebenswelten für die Betroffenen produziert und erhält als nicht mehr existent beweisen.
Sicherlich haben wir immer noch, oder besser, schon wieder, eine Klassengesellschaft. Nur fährt der arbeitslose Akademiker nicht mehr mit dem klapprigen Rad zu seinem Agentur-Betreuer, sondern mit dem älteren, aber gepflegten, Audi.
Und er trägt Anzug. Nur hat er, als sich Jahre sicher fühlender Angehöriger der Mittelschicht jetzt starke Probleme, eine politische Heimat zu finden. Die SPD kann es nicht mehr sein, nach den Klimmzügen und Wirrungen der letzten 10 Jahre, zumal diese Partei recht gerne, Schröder allen voran, daß Lied der Besserverdiener, sprich Leistungsträger und der Großindustrie gesungen hat. Hier ist es den Nachfolgern der ostelbischen Junker, die sich heute im Mercedes der Oberklasse und nicht mehr in der Kutsche bewegen, prima gelungen. durch permanente Einflüsterung, Beieinflussung der Medien, gekaufte „Wirtschaftsweise“ und anderes Störfeuer bis tief in die Parteiengremien, allem voran die SPD, zu verankern, daß die unaufhaltsam marschierende Globalisierung nur dadurch begleitet werden könne, daß die Bevölkerung auf soziale Standards verzichte und einzig durch Gürtel-enger-schnallen die schlimmsten Folgen gemildert werden könnten. Hat ja auch eine Zeitlang funktioniert, bis die – lt. Politker falsch informierten und unaufgeklärten – Wähler bis tief in die Mittelschicht hinein gemerkt haben, daß hier eine gigantische Verarsche und Abzockerei ablief, nur schön verpackt und verbrämt. Durch die immer unverhüllter ablaufenden Geiz-ist-geil, Ich-bin-mir-selbst-der-nächste und „Stiftung“ kommt von „stiften gehn“-Prozesse, verbunden mit dem sehr realen Eindruck, daß die Prediger des „Gürtel-enger-schnallens“ nie den eigenen gemeint haben, sind Parteimitglieder und Wähler jetzt hellwach geworden, und stinksauer, und verabschieden sich zunehmend von der Tante SPD. Viele davon in Richtung Linkspartei, weil diese, wenn auch – als Opposition durchaus legitimiert – es recht populistisch angeht. Aber das Bäbberle „Gerechtigkeit“, welches früher auf jedem SPD-Plakat prangte, paßt halt besser zu Lafontaine, Gysi und Co. als zu Steinbrück, und Struck, vor allem aber Schröder und Clement, und auch, bei allen Verbiegungen, zum St.-Nimmerleinstag-Kanzlerkandidaten Beck.
Ob eine Partei bei der sich in die Minderheit begebenden „Mitte“ wirklich noch Chancen auf dem Politmarkt hat, auf dem sich ja, bis auf „die Linke“ auch alle anderen Parteien tummeln, wage ich stark anzuzweifeln. Einen Ausweg gäbe es, wenn wir uns von einem Parteienstaat zu einem Bewegungsstaat mit mehr Volksbefragungen und Volksentscheiden entwickeln könnten und würden. Da wäre dann in der fiktiven neuen „Sozialen Deutschen Bewegung“, jenseits der „Seeheimer Partei Deutschlands“ Platz für Ströbele, Blüm und Geissler mit allen Attributen der Kath. Soziallehre, Dreßler und Schreiner, möglicherweise auch Gysi und, wenn er den, oft wohl nur zur Provokation benützten verbalen Rechtsausleger mal lassen könnte, auch dem Saar-Napoleon Oskar. Letzter hat wohl Chancen, demnächst Ministerpräsident an der Saar zu werden, aber das ist wieder ein anderes, weites, Feld.
Beim Durchlesen meines Beitrages habe ich den Eindruck, bezüglich „Klassengesellschaft“ noch einige Bemerkungen anfügen zu müssen. Wir tragen ja gerne noch das Klischee mit uns herum: Arbeiterklasse = abgetragene Kleidung und Schiebermütze, bestenfalls Hauptschule. Doch ich glaube, es am Beispiel des Putzfrauensohnes Gerhard Schröder festmachend, daß gerade der Wunsch, dieser mit allen Attributen von arm und rückständig behafteten Schicht zu entkommen, dann zu Brioni-Anzügen, Cohibas und dem Pakt mit den Bossen geführt hat. Vergessen hat der Gerhard dabei, wie dieses Paktieren bei denjenigen ankommt, die nicht das Glück seines Aufstiegs zu teilen. Ich lasse mich gerne eines Besseren belehren.
Und zu den Klassen: Es wäre zu einfach, die Unterschiede am Finanziellen allein fest zu machen. Geld ist hier nur ein Mittel, allerdings zu guten und schlechten Zwecken, letzteres, falls nicht vorhanden.
Wer wohnt an Durchgangs- und Ausfallstraßen, atmet feinstaubbelastete Luft ein, plagt sich mit Lärm, scheut Arztbesuche, weil Geld für Zuzahlungen fehlt, kann seine Kinder nicht mit auf Klassenfahrten (auch wenn’s nicht die Toskana ist) schicken? Wer hat kein Geld für Markenklamotten, Bio-Lebensmittel, zusätzliche Nachhilfe, für Schulkinder-Mittagessen, für Urlaub, und wenn es nur ein Feriendorf im Bayernwald ist, für ein neueres, spritärmeres Auto, für Theaterkarten, für Kinderschuhe nicht von Aldi & Co.?
Und wer sitzt in Vorstandsetagen, wessen Kinder werden im Zweifelsfall bei Versetzungsfragen durchgewunken, wer wohnt in Villen-Siedlungen im Grünen, gut-gesichert und privat bewacht? Wer wird bei Einstellungen ab mittlerem Management, trotz gleicher Qualifikation, bevorzugt, ohne Vitamin „B“?
Wer geht bei Strafverfahren, egal ob STGB oder BGB, möglicherweise mit einer Bewährungsstrafe nach Hause und wer muß einsitzen?
Die SPD war bis in die 80er Jahre die Partei, bei unde von der sich der Wähler mehr Gerechtigkeit, Durchlässigkeit und Abbau der Klassenunterschiede versprochen hatte – traditionsbewußt, gewerkschaftsnah und gerne als „vorgestrig & rückständig“ gescholten. Auch wenn Schröder später Brioni trug, war mancher Malocher trotzdem weiterhin stolz auf seinen Blaumann.
Inzwischen macht sich aber auch bei den Blaumännern das Bewußtsein breit, das auch ein Mindestlohn viele Alleinverdiener nicht einmal auf Hartz-IV-Niveau heben würde. Und bei allen wird die Einsicht genährt, daß bei der derzeitigen Inflationsrate – im Energiesektor auch kräftig gepäppelt durch die enge Versippung von SPD-Granden und Großstromern zwecks Entlagerung abgebrannter Genossen – jedwede Gehalts- und Rentenerhöhung nur einen Tropfen auf den heißen Stein bedeutete, zumal die Steuerprogression schon recht früh unbarmherzig zuschlägt.
Wenn ein Mittelschichtler, der allein Frau und 2-3 Kinder ernährt, 200 Euro brutto mehr erhält, und davon dann netto nur 100 übrig bleiben, ist dies halt nicht vergleichbar mit dem Millionär gleichen Familienstandes, dem nach Abzug von 42-45 % (so überhaupt gezahlt)immer noch 580.000 – 550.000 Euro übrig bleiben.
Es ist nicht die Unterschicht, welche der SPD fern bleibt – diese hat sich schon längst ins linke oder rechte Lager verkrümelt oder bleibt, wohl mehrheitlich, Wahlen ganz fern.
Es ist die Mittelschicht, die der SPD wegbricht, und dies müßte für „die“ angebliche Volkspartei der (linken?) Mitte alle roten Lampen angehen lassen.
Die SPD ist schon seit 1959 keine Partei mehr,die den Anspruch hat eine Partei der „Arbeiterklasse“ zu sein.Dies ist nicht erst seit Gerhard Schröder so.
Mit Abschied von der marxistischen Theoriebildung (praktisch hat die SPD von Kapitalismuskritik ja auch vorher nicht viel gehalten), wurde dann in der SPD jedwede theoretische Gesellschaftsanalyse obsolet und bestenfalls durch eine Art „Gefühlssozialismus“ ersetzt.
Der aufkommende Neoliberalismus der 70er Jahre wurde somit viel leichter als wirkliche „Alternative“ empfunden, da ein eigenes wirkliches Gesellschaftsmodell fehlte.
In diesem Zusammenhang sollte man vielleicht darauf hinweisen, dass es nicht die Agendapolitk der Regierung Schröder war, die den Neoliberalismsu durchgesetzt hat,sondern die die sozialdemokratische Bundesregierung Ende der 70er Jahre.
Übrgens waren es in vielen Staaten dieser mit starker sozialdemokratischer Tradition, eben solche formal „arbeitnehmerfreundlichen“ Regierungen, die eine Politk zugunsten eines finanzmarktgetrieben Kapitalismus durchsetzten (als Beispiel: England, Frankreich, Australien, Neuseeland).
In der Politik ist es wie in der Wirtschaft:
Wenn die Werbung nichts mehr nützt muß man die Ware ändern.
Schröder hat das perfektioniert und der Lindenstraße den Rang abgelaufen als der größte Schauspieler nach Ronald Regen über den wir alle gelacht haben!
Er hat einen volkswirtschftlichen Schaden angerichtet von dem wir uns lange nicht erholen werden.
Die Genossen werden lange an dieser Last zu tragen haben.
@ All
Solange aus Unternehmersicht der abhängig Beschäftigte zu viel Lohn erhält, wird sich nichts ändern. Der Widerspruch, dass sich sobald der Arbeitnehmer das Betriebstor verlasen hat, dieser sich wandelt in einen mit unbegrenzten Mitteln versehner Konsument will oder kann die ?PD nicht lösen. Das aber war einst ihr Kapital, mit dem Willy Brandt wuchern konnte. HIV, Rentenkürzungen und Angriffskriege werden die Wählerschaft dieser Partei weiter reduzieren.
Sigurd Schmidt verwendet formelhafte Wort-Ungetüme wie: „Moderne SPD im Leistungszentrum …“, Selbstqualifikation „als zentrales Motiv der deutschen Erwerbsgesellschaft“, „Wertschöpfungsfaktoren Kapital und Technologie“, „Faktor ‚menschliche Arbeitskraft’ gegenüber dem Kapital“, „die Unterqualifizierten“ usw.- Begriffe und Formulierungen, die für sich genommen ein bedingtes Recht haben, werden zu oberlehrerhaften Hülsen einer gestanzten Sprache, die atmosphärisch die Unausweichlichkeit eines strikten, gerade vor sich gehenden Heilsgeschehens vermitteln soll. Dies gehört zur militanz-sprachlichen Inszenierung im Rahmen von Agitation und Propaganda eng gefasster Interessen. Einförmige, auf Durchrationalisierung bedachte Logik eines ominösen Kapitals und seiner Technik, in der aktuellen Gestalt der Vermarktung und Verwertung von allem und jedem, nicht zuletzt auch von Bildung, Wissen, zivilgesellschaftlicher Sphäre und Privatsphäre.
Eine blickfeldmäßige Verengung des Verständnisses von gesellschaftlichem Werden offenbart sich. Diese durch kapitalgetriebene Technik und Naturbeherrschung vermittelte Logik hat zum Ziel, der Gesellschaft gleichsam ihr Fleisch zu rauben, es auszuweiden, ohne Rest schließlich zu entsorgen. In der Endkonsequenz wäre Gesellschaft in der Gänze zu eliminieren, da mit ihren unkalkulierbaren Willensbestrebungen allzu quer und sperrig zu einem gottähnlichen Kapitalprozess liegend.
Grundfaktoren des Kulturprozesses sind indes nicht allein Kapital und Technik, die Natur als Objekt, sondern Leben und Lebendigkeit des Menschen, der flexibelsten Intelligenz, Unterschicht eingeschlossen. Kapital und Technik sind systemisch-instrumentelle Agenzien, die, je nach Zeitpunkt und Lage, begrenzen, steigern, aufbauen, zerstören, korrigieren, aber eben nur vermittelnde Entitäten, d.h. bloß Krücken, die auf uns als Mängelwesen verweisen.
Je nach dem, was zeitpunkt- und standortabhängig gerade so in die Agenda gelangt als Folge von Unsicherheiten, Formen der Verzweiflung, der Panik, des Triebs zur Herde, der Begierden, Erwartungen und niedrigen Beweggründe, verrichten unsere Krücken ihr Hilfswerk zum Wohl und Wehe von uns allen. Und wir machen nolens volens mit.
@ Fladung
Ihnen scheint die Ausdrucksweise wichtiger zu sein als die Hilfe für diejenigen, die sich Tag für Tag abrackern. Ich sags jedem – auch denen, die es nicht mehr hören wollen – nur Menschliche Arbeit schafft Mehrwert. Ich habe nämlich noch in keinem Betrieb Geld arbeiten sehen.
11. Barney Gerölleimer
Richtig Barney „nur Menschliche Arbeit schafft Mehrwert“. – (Nebenbei: Hat Herr Fladung das bestritten?)
Die Frage aber, wer, wie in welchem Maße über diesen Mehrwert verfügen darf, ihn abschöpfen, ausgeben, investieren kann, darf, soll, kurz die berühmte „Systemfrage“ wird durch Deinen Satz „Ich habe nämlich noch in keinem Betrieb Geld arbeiten sehen.“ nicht beantwortet, jedenfalls nicht im Sinne und zum Wohle der Menschen, die den Mehrwert, ganz so, wie Du es sagtest tatsächlich schaffen.
Oder worauf wolltest Du hinaus?
@ Barney Geröllheimer
Manchmal juckt es mich, bei Ihren Beiträgen mit „Fred Feuerstein“ zu antworten, geht aber leider nicht.
Irgendwie haben Sie mich da falsch verstanden, was auch Uwe Theel aufgefallen ist. Würden Sie ältere Beiträge von mir kennen, wüßten Sie, daß ich schon seit Jahren kritisiere, daß Geld selbst nicht arbeiten gehn kann, sondern hinter jeder Kapitalvermehrung ein Mensch oder eine Sache stecken, z.B. Ressourcen, die mehr oder weniger gnadenlos um der Sache willen, also der Kapitalvermehrung, ausgebeutet werden. Ich bin übrigens ein Anhänger der sich gegen die kapitalistische Zinzeszins-Schöpfung wendenden Humanwirtschaft (die gleichnamige Zeitschrift, Herausgeber Olbrich/Seltmann) wurde leider eingestellt), basierend auf den Thesen von Silvio Gesell. Wir erleben ja derzeit den stückweisen Zusammenbruch des Finanzsystems, weil eben vergessen wurde, daß sich Gewinnmargen von 20% und mehr nicht aus dem luftleeren Raum zaubern lassen.
Gerne diskutiere ich darüber.
Es grüßt
W. Fladung