Der Bundesgerichtshof hat ein Urteil gefällt, das eine Menge Kritik auf sich gezogen hat: Fußballfans müssen auch dann mit einem Stadionverbot leben, wenn sie unschuldig in Ausschreitungen von Hooligans hineingeraten sind, ihre Unschuld aber nicht beweisen können. Dieses Stadionverbot setzt, so das Grundsatzurteil, nicht voraus, dass ein Zuschauer wegen gewalttätiger Ausschreitungen verurteilt wurde. Begründung. Zum einen hätten die Vereine die Pflicht, im Interesse aller Zuschauer für einen gewaltfreien Ablauf der Fußballspiele zu sorgen. Zum anderen könnten sich die Organisatoren auf ihr Hausrecht berufen und bei einem begründeten Verdacht Störern den Zutritt verweigern. FR-Kommentator Jürgen Ahäuser hält das „reflexartige Gejammere der sich arglos gebenden Fan-Lobbyisten“ dementsprechend für „unerträglich“ und fordert ein entschlosseneres Vorgehen der Polizei.
Dazu Gerd Weimer aus Darmstadt:
„Der Autor kratzt mit seinen Ausführungen nur an der Oberfläche des Problems. Statt sich polemisch über das vermeintlich unerträgliche, „reflexartige Gejammere der sich arglos gebenden Fan-Lobbyisten“ zu beklagen, hätte er den Kern des Themas herausarbeiten sollen: Der Bundesgerichtshof schafft nämlich mit seinem Urteil nach Meinung kundiger Juristen eine Art Nebenstrafrecht, Sippenhaft inbegriffen. Zusätzlich kehren die Karlsruher Richter die Beweislast um, wenn sie, wie in der Pressemitteilung zu lesen ist, argumentieren: „Die Zugehörigkeit zu dieser Gruppe, mit der der Kläger in Gewahrsam genommen wurde, rechtfertigt die Annahme, dass er sich bei Fußballveranstaltungen in einem zu Gewalttätigkeiten neigenden Umfeld bewegt und von ihm deshalb künftige, Dritte gefährdende Störungen zu besorgen sind; auf den Nachweis, er habe sich an den aus der Gruppe heraus begangenen Gewalttätigkeiten beteiligt, kommt es nicht an.“
Ein fiktives Fallbeispiel mag dies verdeutlichen: Der Fußballanhänger YZ spaziert vom S-Bahnhof, ohne sein Wissen in unmittelbarer Nähe zu gewaltbereiten Zeitgenossen, Richtung Stadion. Aus der Gruppe heraus kommt es zu einer Attacke auf Polizeibeamte. Die Ordnungshüter setzen die komplette Gruppe fest, stellen die Personalien fest, der Staatsanwalt ordnet ein Ermittlungsverfahren gegen die gesamte Gruppe einschließlich YZ an. Der Verein X verhängt ein Stadionverbot gegen sämtliche Personen, gegen die ermittelt wird. YZ wehrt sich juristisch gegen die Willkür, kann aber seine Unschuld wegen fehlender Zeugen nicht beweisen. Die Staatsanwaltschaft verfügt dann über folgende Optionen: Einstellung des Verfahrens wegen mangelndem Tatverdacht oder wegen Geringfügigkeit.
Diese beiden Varianten unterscheiden sich immens in den Folgen für YZ: Wird das Verfahren nach Paragraf 170 der Strafprozessordnung (mangelnder Tatverdacht) eingestellt, kippt auch das Stadionverbot. Die Staatsanwälte aber neigen weniger zu einer solchen Einstellung, weil sämtliche Prozesskosten vom Staat getragen werden müssen. Strafrechtlich eleganter ist für die Behörde die Einstellung des Verfahrens wegen Geringfügigkeit. Der Prozess wird vermieden, die Kosten werden aufgeteilt. In diesem Fall bleibt es dem Verein X überlassen, ein Stadionverbot aufrecht zu erhalten.
Klartext: Die BGH-Richter legen fest, dass künftig jeder Stadionbesucher der Gefahr ausgesetzt ist, für nicht begangene Taten belangt zu werden, indem nur aufgrund eines Verdachts der Zutritt zu jedem deutschen Stadion verwehrt wird. Es mag aus der Mode gekommen zu sein, auf Grundrechte wie die Unschuldsvermutung zu pochen. Mein Rechtsempfinden aber wird durch solche Urteile erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Ich will nicht glauben, dass die freiheitliche Ordnung eine derartige Praxis toleriert. Das Bundesverfassungsgericht muss als letzte Instanz einschreiten.“