Zumindest grob fahrlässig

Bei der Bahn muss anscheinend immer erst was passieren, bevor was passiert. Im Sommer 2010 hatten wir schlappmachende Klimaanlagen und quasi-gebrutzelte Fahrgäste. Im Dezember 2010 mussten nur ein paar Schneeflocken fallen, um sämtliche Fahrpläne zu anarchisieren. Und dann kam Hordorf. Zehn Tote! Auf einer eingleisigen Strecke in Sachsen-Anhalt kollidierte ein Güterzug mit einem Personenzug. Gegen den Lokführer des Güterzugs wird ermittelt, weil er wohl zwei Signale nicht gesehen, missachtet, jedenfalls überfahren hat. Gegen ihn besteht der Anfangsverdacht der fahrlässigen Tötung, fahrlässigen Körperverletzung und der Gefährdung des Bahnverkehrs. So heißt „fürchterliches Zugunglück“ in Juristendeutsch.

Es läuft also auf menschliches Versagen hinaus. Damit wird vom eigentlichen Problem abgelenkt, meinen die FR-Leser, so etwa Günter Pfeffer aus Fulda:

„In den Entwicklungsbüros der Autobauer wird mit Systemen experimentiert, die Autos ohne Fahrer steuern, dasselbe soll  bei Flugzeugen erprobt werden – bei Militärraketen wird diese Technik schon lange angewandt. Jetzt soll einem Zugführer eine ungeheure Schuld aufgeladen werden, weil er einen Moment nicht aufmerksam war? Wer sind die Verantwortlichen für die falsche Sparsamkeit? Im letzten Sommer und in diesem Winter konnten die Fahrgäste die Auswirkungen „hautnah“ erleben. Die Entscheidung, auf solchen Nebenstrecken sei Sicherheitstechnik überflüssig, weil zu teuer, hat sich grausam als „menschliches Versagen“ bei der Einschätzung von Gefahren herausgestellt. Ich solidarisiere mich mit dem Lokführer, denn bei unseren komplexen Verkehrsmitteln kann die Schuld für eventuelles Versagen nicht auf einen Einzelnen geschoben werden!“

Dieter Loerke aus Darmstadt:

„Die Schuldfrage für das Bahnunglück bei Hordorf wird verständlicherweise von Sachverständigen auch mit Hilfe der Fahrtenschreiber gelöst, und dies  sicher korrekt. Es trifft dann wohl den Lokführer des Güterzuges. Doch auch wenn ihm zweifelsfrei die Schuld zugesprochen würde: Genauso zweifelsfrei haben in diesem Fall die Herren Mehdorn und Kumpanen aus Politik und Bahnleitung diese Toten und Verletzten auf dem Gewissen, denn ihre Verkehrspolitik und Investitionsprioritäten sind verantwortlich für solch ein technisch  vermeidbares Unglück.“

Lothar Hügel aus Bad Homburg:

„Warum wird ständig nach Fehlern des Lokführers  gesucht? Liegt immer noch keine Strafanzeige gegen die Verantwortlichen von DB bzw. Eisenbahnbundesamt vor, die trotz eines Beinahe-Unfalls 2008 auf der Strecke noch keine Absicherung der Signale gegen versehentliches Überfahren eingebaut haben? PZB-Sicherungstechnik gibt es seit 1932, die dafür sorgt, dass bei Ignorieren eines Signals die Züge automatisch zum Stehen gebracht werden und menschliches Versagen weitgehend ausgeschlossen wird. Wenn aus Kostengründen an Sicherheit gespart wird, ist das zumindest grob fahrlässig, weil aus Karrieregründen Kosten für Betrieb und Unterhaltung von Strecken gespart werden sollen! Die paar tausend Euro, die eingespart wurden, werden jetzt durch den Millionenschaden, Vertrauensverlust und die getöteten Passagiere und Mitarbeiter weit übertroffen!“

Thomas Wroblewski aus Rosengarten:

„Wie es aussieht, scheint menschliches Versagen den Unfall ausgelöst zu haben. Mindestens ebenso gravierend sind aber Versäumnisse im Vorfeld. So hätte bereits vor Inbetriebnahme der eingleisigen Strecke eine Gefährdungsbeurteilung durchgeführt werden müssen. Dass die Strecke auch über 20 Jahre nach der Wiedervereinigung nicht dem Stand der Technik entspricht, stellt somit ein schweres Versäumnis der DB dar. Hier ist auch Herr Grube in der Verantwortung. Der Hinweis auf die Gesetzeslage kann nur als zynisch bezeichnet werden. Allerdings zeigt er Versäumnisse des Gesetzgebers auf. Hier muss Herr Ramsauer die Konsequenzen ziehen. Nach dem Wetterchaos in Sommer und Winter gibt es nun die ersten Toten. Wie viele Tote muss es noch geben, damit endlich in den Betrieb und die Sicherheit investiert wird?“

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2 Kommentare zu “Zumindest grob fahrlässig

  1. Was ist denn eigentlich der große Nutzen, den wir als Bürger durch die Privatisierung der Bahn genießen dürfen?
    Früher hatte ich eine Bahncard, mit der ich alle Fahrten zum halben Preis erhalten konnte. Nach ein oder zwei Reisen hatte ich den Kaufpreis der Karte wieder raus. Hinzu kommt, dass die Bundesbahn ziemlich verlässlich war. Die Züge kamen fast immer pünktlich, Pannen waren äußerst selten.

    Die heutige Situation ist dagegen ein Hohn. Bronski hat sie hinreichend beschrieben.
    Ich hätte inzwischen nichts mehr dagegen, wenn dieses Unternehmen in die alte Struktur zurückgeführt würde. Denn heute kommt es dem Versorgungsauftrag nicht mehr ausreichend nach.

  2. @ FR-Editorial am 03.02.2011
    „Im Sommer 2010 hatten wir schlappmachende Klimaanlagen und quasi-gebrutzelte Fahrgäste.“ — Das betrifft eigentlich auch den ganzen ÖPNV (Öffentlicher PersonenNahVerkehr), einschl. Fahrzeug-Hersteller und -Betreiber; hoffentlich greift die FR auch dieses Thema auf. Ob man an den Klimawandel glaubt oder nicht, auch „moderne“ 😉 Fahrzeuge haben Mängel und entsprechen nicht dem „klimatischen Ist-Zustand“. Anpassung der Fahrzeuge wäre sicherlich mit Kosten verbunden, vielleicht mindert die Masse den durchschnittlichen Aufwand, man müßte aber damit nicht warten, bis man Hitzetote zählen muß. Wurden zumindest Hitzeschläge im ÖPNV 2010 gezählt?

    @ Günter Pfeffer aus Fulda
    „Autos ohne Fahrer […] bei Militärraketen wird diese Technik schon lange angewandt“ — Vermutlich weiß der Autor auch, aber ich möchte die Sache für die Öffentlichkeit klarstellen. Militärraketen werden nicht von Piloten geflogen, sondern vom Fachpersonal (u.U. Piloten) abgefeuert. Es geht um die Automatisierung von Abschußanlagen, die auf entspr. Signale reagieren und je nach Programm selbsttätig feuern sollen.

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