Leben und Arbeiten in Zeiten der Pandemie
Mein zweiter Tag im Homeoffice. Es gibt viel zu tun, aber die Abläufe sind mir immer noch nicht ganz klar. Am Morgen bekomme ich die Ansage, dass wir unsere Seiten möglichst früh abgeben sollen. Ich bin darauf vorbereitet. Allerdings hatte ich mich gestern am späten Abend nicht ins Redaktionssystem einloggen können. Heute weiß ich warum: Die IT hat über Nacht einen zusätzlichen Server in Betrieb genommen. Gestern hat es also wohl doch ziemlich „geruckelt“. Trotzdem haben wir eine anständige Ausgabe der FR hinbekommen, der man kaum anmerkt, unter welchen Bedingungen sie entstanden ist. Darf es also künftig mehr Homeoffice sein?
Bronskis Homeoffice-Tagebuch – Tag 2
Mittwoch, 18. März 2020
Der neue Server macht sich gut. Heute ruckelt nichts mehr. Jedenfalls nicht bei mir, und ich höre auch nichts dergleichen aus der Redaktion, mit der ich via Microsoft Teams ständig verbunden bin. Diese Software ist quasi ein virtueller Großraum, in dem man allerdings nicht spricht, sondern chattet. Geht also!
An diesem Tag springt die Zahl der Menschen, die an Sars-CoV-2 gestorben sind, weltweit auf über 8000. Das Virus verbreitet sich rasend schnell und immer schneller. Die Maßnahmen, die in Deutschland bisher dagegen unternommen worden sind, kommen mir halbherzig vor, und ich bin gespannt, was das nachher für ein Gefühl sein wird, wenn ich raus und in die Stadt gehe. Das muss sein, ich brauche bestimmte Medikamente. Mein Mann hat mir heute aus Frankfurt vom Hausarzt das nötige Anschlussrezept mitgebracht.
Homeoffice ist nicht dasselbe wie häusliche Quarantäne. Die wird über nachgewiesenermaßen Infizierte verhängt. Ich bin trotzdem froh darüber, dass mein Mann und ich für unseren Haushalt einen Notvorrat angelegt haben, der knapp drei Wochen halten dürfte, denn ich bin mir keineswegs sicher, dass uns das mit der häuslichen Quarantäne nicht noch bevorsteht. Nicht weil wir uns infiziert hätten, sondern weil häusliche Quarantäne als äußerste Vorsichtsmaßnahme, ohne die wir das Virus nicht in den Griff bekommen, in den hot spots der Ausbreitung verhängt werden könnte. Das ist unwahrscheinlich, aber nicht ausgeschlossen.
Um 14.07 Uhr gebe ich meine Seite Leserforum für morgen ab. Danach beschäftige ich mich mit dem Blog und bereite die Veröffentlichung der Leserbriefe auch dort für morgen vor. Es wird sich bestimmt noch eine Weile sonderbar anfühlen, diese Arbeit hier zu machen statt in der Redaktion, aber ich stelle fest, dass ich hier tatsächlich konzentrierter und schneller arbeite als dort. Abgesehen von den Phasen, in denen Max und Paul Radau machen. Dann ist es hier in meinem Schreibzimmer wesentlich lauter als im Großraum an der Mainzer Landstraße in Frankfurt. Aber nach ein paar Minuten haben sich die beiden Vögel normalerweise wieder beruhigt und beschäftigen sich damit, Schuhkartons und Clementinenkisten zu zerlegen. Sie wirken dabei recht zufrieden. Die Welt kann so einfach sein.
Der Aliceplatz in Offenbach am 18.3. gegen 17:30 Uhr. Links: halbwegs richtig. Rechts: falsch.
Der empfohlene Sicherheitsabstand liegt bei zwei Metern. (Foto: Lutz „Bronski“ Büge)
Offensichtlich ist sie das auch für viele menschliche Zeitgenossen. Gegen 17 Uhr beende ich meine heutige Arbeit (gegen 23 Uhr werde ich sie fortsetzen), um in die Stadt zu gehen und die Medikamente zu besorgen. Obwohl in der Offenbacher Innenstadt viele Geschäfte geschlossen haben, sind eine Menge Menschen unterwegs, von denen etliche offenkundig noch nichts davon gehört haben, dass man jetzt einen Abstand von 1,5 bis – besser! – zwei Metern zum nächsten Menschen halten sollte. Darunter sind auch welche, die Husten haben. Husten kann ein Hinweis auf eine Infektion mit Sars-CoV-2 sein. Muss aber nicht. In Offenbach gibt es bisher fünf Infizierte, bei denen das Virus nachgewiesen wurde. Die Zahl sei stabil, heißt es.
Also muss ich selbst ein bisschen besser aufpassen. Als gewiefter Radfahrer, der regelmäßig auf dem Mainuferweg in Frankfurt unterwegs ist, habe ich einen Instinkt dafür entwickelt, welche Fußgänger sich wann plötzlich und unerwartet in eine andere Richtung drehen und möglicherweise auf mich zukommen. Die Ausweichmanöver gelingen. Unter denen, die die Zwei-Meter-Regel offenbar noch nicht so richtig verinnerlicht haben, sind auffällig viele Kopftuchträgerinnen und junge Männer aller Hautfarben. Die fühlen sich von der Ansteckungsgefahr anscheinend nicht betroffen. Sind sie vermutlich wirklich nicht, aber sie können das Virus trotzdem weitertragen und andere Menschen in Gefahr bringen.
Ein türkisches Café in der Offenbacher Innenstadt
ist geschlossen. (Foto: Lutz „Bronski“ Büge)
Dieses Verhalten ärgert mich. Nur gut, dass ich heute nicht in den Supermarkt muss. Schon gestern haben wir beschlossen, unsere Einkäufe zu Tageszeiten zu tätigen, in denen bei unserem Supermarkt erfahrungsgemäß wenig los ist.
Am Abend wird die TV-Ansprache von Angela Merkel ausgestrahlt. Sie sagt es noch einmal in aller Klarheit: Halten Sie Abstand. Die Lage ist ernst. Bitte nehmen Sie sie ernst. Es ist das erste Mal, dass die Kanzlerin sich in einer Krise direkt an uns Deutsche gewandt hat. Bisher hat sie sich auf eher präsidiale Festtagsansprachen beschränkt. Das verdeutlicht noch einmal: Die Lage ist wirklich ernst. Merkel hat offenbar auch begriffen, dass sie unsere Unterstützung braucht. Das war in anderen Krisen wie etwa der Eurokrise nicht der Fall, da konnte sie über unsere Köpfe hinweg regieren. Nun aber muss sie uns gewinnen. Sie macht alles in allem eine gute Figur als Krisenmanagerin, aber es bleibt doch die Frage: Warum erst jetzt?
Weiter zu Tag 3: Donnerstag, 19. März 2020
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