Am vergangenen Sonntag war die französische Hauptstadt Paris die Hauptstadt der Welt, und die Welt ist Charlie: Beim Trauermarsch zum Gedenken an die Opfer des Attentats auf das Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ und der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt gingen allein in Paris rund 1,5 Millionen Menschen auf die Straße. Landesweit waren es knapp vier Millionen. Um sich die Größenordnung dieser Solidaritäts-Demonstrationen zu vergegenwärtigen, muss man das nur mal kurz auf Deutschland umrechnen: Etwa sechs Prozent aller Französinnen und Franzosen demonstrierten in Trauer. Sechs Prozent — das wären in Deutschland knapp fünf Millionen Demonstranten.
Die Franzosen haben damit ein beeindruckendes Signal gesetzt. Und zwar alle Franzosen, auch die Muslime. Alle Hautfarben, alle Religionen waren vertreten, um für die Freiheit des Wortes, der Meinung, der Presse zu demonstrieren. Ein machtvolles Zeichen, dem sich auch die französischen Jüdinnen und Juden anschlossen, um neben ihrer Trauer — vier der 17 Toten der Attentate waren Juden — auf die Situation von Jüdinnen und Juden in Frankreich aufmerksam zu machen. Es hatte zuletzt zahlreiche, vermutlich antisemitisch motivierte Überfälle auf sie gegeben, und viele von ihnen denken ans Auswandern oder sind schon gegangen. Am vergangenen Sonntag waren sie eins mit allen anderen Französinnen und Franzosen. Es war eine wahrhaft multikulturelle Demonstration, und wer jetzt noch sagt, multikulti sei tot, der hat die Zeichen der Zeit nicht verstanden. Multikulti ist jetzt wichtiger als zuvor. Multikulti existiert und ist lebendig. Es funktioniert, aber es gibt Probleme. Antisemitismus ist eines davon, Islamismus und Radikalisierung ein anderes.
Multikulti lebt. Das ist auch der Grund dafür, dass die Vergleiche des Anschlags auf „Charlie Hebdo“ mit 9/11, die hier und da angestellt wurden, letztlich fehlgehen. Auch nach den Attentaten auf das World Trade Center im Jahr 2001 hatte es eine eindrucksvolle Trauerfeier gegeben; Zehntausende waren damals in einem Stadion in New York zusammengekommen. In Frankreich aber waren es Millionen — und niemand forderte Rache. (Übrigens war Präsident Obama nicht gekommen.) Während in den USA damals fast sofort das große Säbelrasseln begann und binnen weniger Wochen ein Gesetzeswerk namens „Patriot Act“ verabschiedet wurde, das viele Grundrechte der US-Amerikaner beschnitt, sind die europäischen Führer, die in Paris mitmarschierten, auffallend leise. Sie wissen natürlich, das in Sachen Anti-Terror-Kampf die juristischen Möglichkeiten schon so gut wie ausgeschöpft sind, aber man kann immerhin die Zusammenarbeit der Strafverfolgungsbehörden und der Geheimdienste verbessern. Es ist der Öffentlichkeit ja auch wirklich kaum zu verkaufen, dass die „Charlie Hebdo“-Attentäter noch nach Syrien fliegen konnten, obwohl ihnen Flugverbot erteilt war. Da geht also noch was, ebenso beim Entzug des Passes und damit der Reisefreiheit bei Islamisten, die z.B. in Deutschland radikalisiert wurden und zum Dschihad nach Syrien aufbrechen wollen. Meines Erachtens sollte man Dschihadisten mit doppelter Staatsbürgerschaft die deutsche Staatsbürgerschaft entziehen, aber hier kommt der Rechtsstaat an seine Grenzen. Sehr wohltuend ist auch, dass die Wiedereinführung der Todesstrafe nicht diskutiert wird; die Todesstrafe hat sich — völlig davon abgesehen, dass sie menschliche Grundrechte verletzt — in den USA nicht bewährt, und wie soll sie Abschreckungspotenzial gegenüber Islamisten entwickeln, die bereit sind, als Märtyrer zu sterben? Und auch die Vorratsdatenspeicherung hat sich, jedenfalls in Frankreich, als untaugliches Mittel erwiesen, denn in Frankreich werden Verbindungsdaten auf Vorrat gespeichert, und dennoch konnten die Attentate nicht verhindert werden.
Europa bricht also nicht in Aktionismus aus, sondern zeigt sich vereint in Trauer, aber auch in Entschlossenheit, seine Werte nicht preiszugeben. Dieses starke Signal wird weitere Attentate zwar nicht verhindern können. Die Sicherheitsvorkehrungen mögen noch so gut sein — irgendeiner wird es immer schaffen. Aber dieser Sonntag in Paris hat klar gezeigt, dass Europa eine Idee hat. Eine positive, machtvolle Idee. Während Attentäter wie die Brüder Kouachi allenfalls für sich ins Feld führen könnten, gegen etwas — wohl zuallererst den Westen — zu sein, haben die Französinnen und Franzosen klar gesagt, dass sie für etwas sind, für eine Idee, die zu groß ist, um in solchen Attentaten umgebracht werden zu können: für Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, für die universellen Menschenrechte, von denen die Meinungsfreiheit nur eines ist.
Schade, dass die Attentäter nicht lebendig gefasst werden konnten. Ihnen hätte irdische Gerechtigkeit widerfahren sollen.
Philipp Mainz aus Mönchengladbach meint:
„In einer solidarischen Aktion haben unsere Politiker die Morde in Paris als barbarischen und feigen Terrorakt verurteilt. Solche Deklamationen alleine helfen nicht weiter. Es müssen Strategien der Verhinderung her. Kein Moslem wird als Terrorist und Gewalttäter geboren. Der Heranwachsende wird beeinflusst und gebildet durch viele Umstände. Neben der Schule sind es die religiösen Gemeinschaften, in die er hineinwächst und deren Gedankengut er annimmt. Hier muss die Politik ansetzen: Nehmt die Imame, die Ulamas, die Hodschas, die an den Koranschulen lehren, mit ins Boot. Sie haben noch den meisten Einfluss auf junge Moslems. Hassprediger dürfen in den Moscheen junge Gläubige nicht indoktrinieren, so dass diese glauben, Gewaltanwendung sei legitim.
In den Augen vieler gläubiger Muslime ist ein Christ ein Ungläubiger, der ins Höllenfeuer gehört. Auch wenn im Koran viele Suren das zum Ausdruck bringen, empfehle ich die Sprachreglung: Christen sind „Andersgläubige“. Eine sicherlich versöhnliche Formulierung, die die unheilvolle Polarisierung und Radikalisierung eindämmt.“
Anja Hallermann aus Braunschweig:
„Der Anschlag in Paris ist ein schlimmes Verbrechen, und es ist gut, dass viele Menschen mit so viel Trauer und Bestürzung reagieren. Wenn die Zeit der Trauer und die aufgeregten Debatten über ein effektiveres Überwachungssystem vorbei ist, sollten wir den Mut haben, nach den tieferliegenden Ursachen für Terrorakte in der westlichen Welt zu forschen. Ist es nicht so, dass die USA mit ihren Verbündeten spätestens seit dem Sturz des demokratisch gewählten Premierministers Mossadegh im Iran, der die Ölindustrie verstaatlichen wollte, und der Einsetzung des Schahs Reza Pahlewi eine optimale Strategie gefunden haben um Terroristen im Mittleren und Nahen Osten heranzuzüchten ?
Durch ihre Kriege, die angeblich Demokratie und Menschenrechte bringen sollten, haben sie Millionen von Menschen getötet. Ich erinnere mich an einen Bombeneinschlag in Bagdad, der eine ganze Hochzeitsgesellschaft ausgelöscht hat, und bei jedem Drohnenangriff zur Tötung „mutmaßlicher Terroristen“ ist – mit freundlicher Hilfe Deutschlands – mit Kollateralschäden zu rechnen.
Laut Amnesty International, Ärzte ohne Grenzen und anderer Menschenrechtsorganisationen sterben pro Drohnenangriff z.B. in Afghanistan 18 Zivilisten, darunter vornehmlich Frauen und Kinder. Ich würde mir wünschen, dass auch über diese unschuldigen Toten jedes Mal so ausführlich und voller Empathie in unserer freien Presse berichtet wird und dass dann auch sehr viele Menschen ihrer Trauer und Bestürzung öffentlich Ausdruck verleihen. Angesichts dieser übersehenen Verbrechen fällt mir ein Spruch aus der Bibel ein: „Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders aber nicht den Balken in deinem eigenen Auge?“ Und Peter Ustinov hat einmal gesagt: ‚Terror ist der Krieg der Kleinen – Krieg ist der Terror der Großen.'“
Peter Bläsing aus Bonn:
„Man nehme drei Kopien der Weltkarte. In die erste trage man die Verbreitung des Islams ein, in die zweite die gemäß UNO-Statistik ärmsten Länder der Erde und in die dritte die Verteilung der bekannten Ölvorkommen. Man wird feststellen, dass sich die drei Kopien sehr ähnlich sehen. Das ist die simpelste Darstellung des Problems, das zu dem geführt hat, was wir heute „Islamismus“ nennen. Es war naheliegend, dass die um ihren Reichtum betrogenen Völker des Nahen und Mittleren Ostens für ihre Revolution gegen den Imperialismus der „Wertegemeinschaft“ des Westens den Islam als einigende Kraft entdecken würden. Jede Revolution braucht eine Ideologie, um die Kräfte zu bündeln, notfalls tut’s auch eine 1500 Jahre alte Religion.
Wenn es also unsere Welt nicht schafft, eine Wirtschaftsordnung zustande zu bringen, die solche Ungerechtigkeiten beseitigt, werden wir im Westen mit Anschlägen wie in Paris leben müssen und weiter die abgenutzten Floskeln unserer Anführer zu hören bekommen. „Wir stehen fest an der Seite Frankreichs!“ Bitte, Frau Merkel, wo haben wir denn vor dem Mord an den „Charlie-Hebdo“-Redakteuren gestanden?
In der Floskelflut nach Anschlägen hat es einmal eine Ausnahme gegeben. Der damalige Bundepräsident Johannes Rau hat nach dem 11. September 2001 gesagt: „Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechtere Welt.“ Er hatte Recht, aber das hat auch nichts geholfen.“
Manfred Frenger aus Becherbach:
„Die schrecklichen Ereignisse von Paris haben bei uns sofort die Debatte entlang der gewohnten parteipolitischen Frontlinien über eine Verschärfung von Gesetzten ausgelöst, um dem Terror wirksam begegnen zu können. Einen Aspekt könnte man parteiübergreifend in Erwägung ziehen: Als gegen Ende der 80er Jahre die Holokaust-Leugner immer dreister agierten, hat der Bundestag per Gesetz die sogen. „Auschwitz-Lüge“ unter Strafe gestellt und damit diese unsägliche Geschichtsklitterung, soweit es um Äußerungen in der Öffentlichkeit geht, weitgehend unterbunden. Was spricht dagegen, in Analogie zu diesem Gesetz explizit die Propagierung des Dschihat zu einem strafbaren Tatbestand zu machen?
Roland Klose aus Bad Fredeburg:
„Jetzt ist Michel Houellebecqs umstrittener, fiktiver Roman „Soumission (Unterwerfung)“ erschienen, der den Übergang von Francois Hollande zu einer islamischen Republik Frankreich beschreibt. Damit ziert er das Cover der Satire-Zeitschrift „Charlie Hebdo“, die bereits sog. Mohammed-Karikaturen veröffentlichte. Das war wohl der Grund für einen islamistischen Terroranschlag auf „Charlie Hebdo“ und seinen Mohammed-Zeichner in Paris mit mindestens 12 Toten. Ein Anschlag auf die Presse- und Meinungsfreiheit der freiheitlich-demokratischen Republik Frankreich und der Beweis für die Islamisierung, die Verbreitung des Islams, die eine Presse- und Meinungsfreiheit nicht toleriert. Zum Vergleich: In Frankreich leben etwa 4,7 Millionen und in Deutschland rund vier Millionen Muslime, wovon laut Bundesverfassungsschutz rund 5500 Islamisten gewaltbereit sind. Samuel P. Huntingtons Kampf der Kulturen scheint Realität zu werden. Haben „Pegida“ & Co. doch recht?
Sagen Sie mal, Herr Bundesinnenminister Thomas de Maiziere (CDU): Bleibt der islamistische Terror auf Paris regional begrenzt?“
Prof. Jan Wirrer aus Spenge Leserbrief zum Interview mit Mouhanad Khochide (online nicht verfügbar):
„Die Terrormorde von Paris galten letztendlich uns allen, die wir uns den Menschenrechten und der Tradition der Europäischen Aufklärung verpflichtet fühlen. Angesichts dieser Situation setzt das Interview mit Mouhanad Khochide ein Zeichen, das hoffen lässt. Die öffentliche Diskussion zum Islam und zum Islamismus verläuft bereits seit längerem sehr unbefriedigend und oberflächlich. Behauptungen wie der Islam ist per se gewalttätig, sind naiv und bösartig, Gegenbehauptungen wie der Islam ist per se friedlich, sind demgegenüber lediglich gut gemeint, aber nicht minder naiv. Zu jedem Heilsversprechen, jedem Anspruch, im Besitz einer absoluten Wahrheit zu sein, gibt es eine andere Seite der Medaille, nämlich den Terror nach innen gegenüber seinen Anhängern und Mitläufern und meistens auch den Terror nach außen gegenüber anderslautenden Überzeugungen. Dies gilt sowohl für Religionen im engeren Sinne als auch für säkulare Religionen wie den Kommunismus mit seinem eschatologischen Weltbild. Viele Beispiele aus der Geschichte stützen diese Annahme. Monotheistische Religionen sind für terroristische Exzesse besonders anfällig (vgl. die Monotheismusthesen von Jan Assmann). Wir alle wissen, welche Verbrechen im Laufe der Geschichte z.B. im Namen des Christentums begangen wurden. Da aber Religionen, mögen diese auch mittelalterliche Formen der Unvernunft sein (Salman Rushdie), vielen Menschen Halt und Orientierung bieten, kommt es darauf an, sie im Sinne der Tradition der Aufklärung zu zähmen. Mit Ausnahme einiger randständiger Sekten ist dies bezüglich des Christentums gelungen, so dass dieses in säkularen Gesellschaften seine durchaus positiven Seiten entfalten und von einer religiösen Basis aus Kritik an herrschenden Zuständen und Trends wie dem wieder aufkommenden Casino-Kapitalismus und dem Konsumismus üben kann – ich schreibe dies als jemand, der sich keiner Religion zugehörig fühlt und aus der Sicht radikaler Islamisten zu den Ungläubigen zählt, zu dessen Freundeskreis aber auch Pastoren gehören. Der Islam befindet sich hinsichtlich seiner Zähmung noch auf dem Wege und muss – ähnlich wie zu Zeiten von Avicena und Averroës – eine Phase der zeitgemäßen Aufklärung durchlaufen. Aufgeklärte und kluge islamische Theologen wie Mounanad Khorchide leisten dazu einen erheblichen Beitrag, und es ist zu hoffen, dass diese Theologen im Laufe der Zeit eine Deutungshoheit über den Koran gewinnen. Erst dann ist ein friedliches Miteinander oder zumindest doch Nebeneinander von Muslimen mit Christen, Juden, Agnostikern und Atheisten auf der Basis einer säkular verfassten Gesellschaft denkbar und auch möglich.“
Alexander von der Nahmer aus Wiesbaden:
„Auf den Seiten 3-4 drucken Sie eine Statue Karls des Großen aus Aachen ab, dem ein Schild „Je Suis Charlie“ umgehängt ist. Ich empfinde das als Ignoranz gegenüber den wahren Sachverhalten unserer eigenen Geschichte. Hier wird auch 1200 Jahre nach der Kaiserkrönung noch ein Mann von den Geschichtsschreibern verehrt, wohl wissend, dass er im Namen des christlichen Gottes und für die katholische Kirche Kriege geführt hat. Wikipedia: „Besonders verlustreich und erbittert geführt waren die mit Unterbrechungen von 772 bis 804 andauernden Sachsenkriege. Deren Ziel war die Eroberung und erzwungene Christianisierung Sachsens. Karl griff auch in Italien ein und eroberte 774 das Langobardenreich“. Ohne weiter auf die Kriominalstatistik des Christentum einzugehen empfinde ich Ihr Bild als Affront und als eine unzulässige Verdrehung geschichtlicher Fakten wieder einmal zu Gunsten der christlichen Kirchen. Was dem Islam fehlt ist eine Aufklärung – sie hat dem Christentum auch viel von seiner Gefahr genommen leider bleibt immer noch viel zu tun.“
Claudia Wittmann aus Rauschenberg:
„Lese mit Aufmerksamkeit die Ausgaben der FR seit dem Attentat in Paris. Vielleicht habe ich nicht alle Artikel gelesen, einige jedoch schon. Dabei fiel mir wieder einmal auf, wie sehr doch immer die Reaktionen sich anhören, wie Antworten von konventionellen Ärzten. Man versucht das Symptom zu eliminieren, und fragt wenig nach dem Warum. Ich finde, „je suis Charlie“ reicht nicht, beteuern, daß der Islam nicht gewalttätig ist, daß der „Islam zu Deutschland gehört“, oder der Schrei nach der Todesstrafe, reichen nicht aus, oder sind sogar unsinnig und gefährlich. Wir müssen viel tiefer ansetzen, uns umbesinnen, anhalten, und die Richtung wechseln, umdenken!! Kein „Haben“-Denken sondern ein „Sein“-Denken ist schon lange angesagt. Das bedeutet weg vom Kapitalismus, weg vom ständigen Wachstum, hin zu einem Leben in Achtsamkeit, mit Chancen für jeden. Solange Menschen unterdrückt werden, nur weil sie anders sind, anders denken, oder einfach ihre Bodenschätze gebraucht werden, Menschen ausgenützt werden, damit andere billig essen oder sich billig kleiden können, solange wir nicht anfangen uns zu ändern und uns in Frage stellen wollen, wird sich jedoch nichts ändern. Wie soll ich von jemandem erwarten zu reflektieren, wenn er es nicht gelernt hat, wenn er nur Schläge bekam statt Zuwendung, wenn er erfahren hat, daß er mit Gewalt weiterkommt, wenn ich ausgrenze, anstatt mit einzubeziehen, wenn ich ein Gegeneinander, anstatt ein Miteinander vorlebe, wenn ich zuerst zuschlage und mich dann entschuldige, wenn ich materiellen Besitz höher stelle als geistige und psychische Werte. Man braucht nur den Bericht über „Herr Clinton baut Haiti auf“ zu lesen, um zu verstehen, wie grausam die Profitgeier sind in Wirtschaft und Politik. Dieser „Diebstahl an den Armen“ wie das Workers Right Consortium schreibt, wird dazu führen, daß die Menschen „irgendwann rebellisch werden“ , und mit Gewalt reagieren werden. Ein ruhiges, ausgeglichenes Tier wird , wenn man es immer mehr in die Enge treibt schließlich aggressiv.
Wenn sich das Fühlen, Denken und Handeln in unserer Gesellschaft nicht ändert, wenn sich der Mensch nicht ändert, dann hilft auch 1000mal „je suis Charlie“ nicht.“
Dietmut Thilenius aus Bad Soden:
„Karikaturist Til Mette schreibt: „Ich finde, man entwürdigt auf eine perfide Art die Muslime, indem man zusagt, keine Witze mehr über sie zu machen .“ …sie „können sich doch wehren“. Perfide = treulos, hinterlistisch, tückisch und auch entmündigend handeln also Kritiker, die bei Karikaturen die Würde des Menschen beachtet sehen wollen. Es gibt Witz in der Zeichnung mit erheiternder, positiv anregender Wirkung. Andererseits gibt es Karikaturen unterhalb „der Gürtellinie“, die die Menschenwürde der Verspotteten in den Dreck ziehen. Das nenne ich perfide.Deswegen der alte biblische Rat in Psalm 1, sich nicht mit den Leuten zusammenzusetzen, denen nichts heilig ist.“
Eingereicht am 15.01.2015 um 13:20
Nach und nach erreichen uns Antworten französischer Freunde auf die an sie versandte Solidaritätsbekundung. Die von einem Erwachen aus einer Schockstarre zeugen und nach Worten ringen. Oder die andere, so Jaques Brel, für sich sprechen lassen. Darunter folgender Wunsch: „Ich wünsche euch, dass ihr das Anderssein der anderen schätzt, weil Verdienst und Wert eines jeden häufig erst entdeckt werden will.“
Pauschale Verdächtigungen und Anklagen in Pegida-Manier sind nicht darunter. Welche andere zur Distanzierung und zum Handeln auffordert, dabei pseudoreligiösen Rechtfertigungen von Terroristen für Barbarei aufsitzt, der pauschalen Verdächtigung und Ausgrenzung Andersgläubiger das Wort redet und sich an der Spitze einer gesellschaftlichen „Bewegung“ wähnt. Die auf vermeintlich alleinige religiöse Ursachen starrt wie das Kaninchen auf die Schlange, das so die Gefahr zu bannen meint. Die demnach mit „Starre“ weit korrekter bezeichnet wäre.
Eine ebenso anmaßende wie naive Haltung, von Charb, dem getöteten ehemaligen Chefredakteur von „Charlie Hebdo“ schon nach dem 11. September 2011 gebrandmarkt, als katholische Integristen das Theater „Rond-Point“ besetzten, um die Aufführung des Stücks „Golgota Picnic“ von Rodrig Garcia zu verhindern. Dessen Worte nun von seinen überlebenden Kollegen in der 5-Millionen-Gedenkausgabe wieder abgedruckt sind: „Was mich ankotzt, ist, dass man sie immerfort als moderate Moslems auffordert. Dabei gibt es keine moderaten Moslems.“ „Es gibt Menschen muslimischer Kultur, die den Ramadan achten, so wie ich Weihnachten bei meinen Eltern Truthahn essen darf. (…) Sie sind Staatsbürger. Und als solche, ja, handeln sie auch: Sie kaufen ‚Charlie Hebdo‘ und demonstrieren an meiner Seite.“
Und in der gleichen Ausgabe entlarvt „Charlie Hebdo“ die verdrängte Sexbesessenheit der „Glaubenskämpfer“ in der Karikatur einer barbusigen Frau in Reizwäsche, oben mit Burka bedeckt, in dessen Innenseite mit Schweinerüsseln versehene, turbanbedeckte Männergesichter sie anstarren.
Sichtweisen, die in hiesigen, religionsversessenen Diskussionen nicht einmal in den Blick kommen, geschweige denn erörtert werden. Sichtweisen, die den unbändigen Hass verklemmter Ayatollahs auf westliche Lebensweise und vor allem Meinungsfreiheit verständlich machen, wie auch den von Diktatoren, die mit einem das gesamte Leben erfassenden Islamismus ihre Macht absichern. Sichtweisen, die aber auch Abscheu hierzulande hervorrufen, da sie zur Reflexion zwingen: über eigene bauchgesteuerte Vorurteile, über Abwehrmechanismen gegen alles Fremde und über das eigene Bedürfnis nach einfachen Weltbildern.
Nein – da hat Bronski recht: Die Attentate von Paris sind nicht gleichzusetzen mit 9-11. Vor allem nicht die Reaktion darauf.
Die Franzosen – und das ehrt sie –sind nicht der Bush-Strategie gefolgt, die das Starren auf Sicherheit zu Sicherheitswahn formierte und für den Abbau der Freiheit nutzte. Sie haben spontan und intuitiv erfasst, dass es bei weitem nicht allein um die Trauer um 17 Opfer – unterschiedlichen Glaubens – geht. (Welcher Zynismus in Kommentaren, dem Pegida-Dunst entwachsen, die Zahl der Opfer als Maßstab für Trauer anzusetzen!)
Sie haben, wachgerüttelt durch den Preis, der dafür zu zahlen ist, Bedeutung und Wert in Jahrhunderten errungener demokratischer Grundwerte wieder entdeckt, die man, um sie zu erhalten, auch verteidigen muss. Und sie haben erfasst, was allein ermöglicht, zukunftsweisende Strategien zu entwickeln: solidarisches Zusammenstehen in einer Wertegemeinschaft.
Denn die Trennungslinien laufen nicht entlang religiöser, ideologischer, parteipolitischer, ethnischer oder sozialer Unterschiede. Sie unterscheiden die gewaltige Mehrheit derjenigen, welche Toleranz praktizieren, die Menschenrechte anderer achten von denen, die diese mit Füßen treten und sich zugleich zu Richtern über andere erheben.
In Paris, auch in Berlin, wurden starke Zeichen gesetzt in Richtung auf zukunftsweisende Strategien. Es liegt an uns allen – und nicht allein an Menschen muslimischen Glaubens –, ob diese positiven Zeichen auch erkannt und umgesetzt werden oder wieder im Schlamm negativistischer Sicht und Bedürfnis nach Ab- und Ausgrenzung versinken.
Joachim Kretschmann behauptet in seinem Leserbrief, einer evangelischen Gemeinde sei auf Veranlassung eines „ortsansässigen Moslems“ ein Einladungsbanner ‚Jesus ist die einzige Rettung für dich!‘ von einem Gericht verboten worden. Trotz intensiver Suche im Internet habe ich keinen Beleg für diesen Vorgang gefunden, lediglich die von Herrn Kretschmann an mehreren Stellen wiederholte Behauptung. Schon weil es eine rechtliche Grundlage für ein solches Verbot nicht gibt, halte ich die Geschichte für erfunden.
Es gäbe allerdings gute Gründe, diesen christlich-fundamentalistischen Spruch zu kritisieren. Er zeigt gegenüber Anders- oder Nichtgläubigen die gleiche Intoleranz wie Salafisten, die Kufar (den „Ungläubigen“) nur in der Annahme des Islams Rettung versprechen.
Ich will mal ein wenig Öl ins Feuer gießen, weil ich schon seit längerer Zeit eine eher darwinistische Weltsicht habe. Was erleben wir seit Längerem? Es raufen sich Neoliberale, welche die Ausbeutung Anderer zur eigenen Gewinn-Maximierung zu einer Art Religion verklärt haben, und bei ihren ganzen Taten, oder eher Untaten, über Leichen gehen, mit anderen, die ihr Heil eher im Jenseits sehen, weil sie vom Diesseits nichts – mehr – zu erwarten haben. Diese Glaubenskriege, die da geführt werden, basieren für mich auf einer einfachen Grundaussage: Gibst Du mir und meinen Leuten nichts ab, haue ich Dir den Schädel ein. Dies mehr oder weniger verklausuliert. Egal, ob der Kapitalismus die von ihm Unterdrückten ins Elend, in die Armut und damit ins frühere Sterben treibt, zwecks Profit-Erzielung, oder eine Religion, die eher Habenichtse vertritt (jenseits der Frage, warum diese Habenichtse sind) ihren Apologeten das Heil im Jenseits verspricht – wir sind da falsch gepolt, oder eher nicht die Krone der Schöpfung, sondern eher eine abartige Mißgeburt.
Wir sind schlau genug, um uns zu entwickeln, um Zusammenhänge zu erkennen, und um Schlüsse daraus zu ziehen. Aber dann klemmt es, weil wir bei den Aktivitäten, welche wir aus der Schlüsseziehung ableiten, die Folgenabschätzung vergessen.
Und dies gilt für alle Richtungen. Der vor Gier geifernde Kapitalist begreift nicht die Folgen seiner Gier, und der darauf womöglich reagierende Aktionist bzw. Terrorist nicht die Folgen seiner Reaktion. Inhuman handeln beide, aber beide versuchen stetig Rechtfertigungen für ihre Handlungen, und für ihre Adepten bzw. Anhänger zu liefern, das alles ja Gott-, oder Allah-, oder Friedman-gefällig sei.
Ich gebe es auf, noch irgendeine Hoffnung zu haben und zu hegen.
Nun mal ehrlich, wer einen solchen Satz wörtlich nimmt, ist doch wohl auf dem Religionsverständnis eines Kindes stehengeblieben.
Ich empfehle Monty Pythons: „Das Leben des Brian“
Ich will es kurz machen. Solange der Kapitalismus noch regiert – und ich sehe nichts, was in beseitigen könnte – wird es keine Gerechtigkeit geben. Die Religionen schafften es nicht, der Kommunismus auch nicht.
@ Wolfgang Fladung, werner.h
Man kann ja viel über den Kapitalismus im Allgemeinen und im Besonderen philosophieren und wird dabei durchaus Zustimmung ernten – auch bei mir. Soll zwar nicht ganz so neu sein, ist aber immer wieder für eine Neuauflage gut.
Fragt sich nur, welche praktischen Konsequenzen sich daraus ergeben sollen –außer: abschaffen, am besten gleich morgen, oder eben die Hände in den Schoß legen.
Oder sollte sich Marx so grundlegend geirrt haben, als er die Philosophen kritisierte, welche die Welt ja nur „verschieden interpretieren“ und dem entgegensetzte: „Es kommt darauf an, sie zu verändern“?
Es wird einfacher, wenn den Kapitalisten in unser aller Köpfe verortet. Ausnahmslos, und das schon seit Anfang aller Zeiten. Selbst Franz von Assisi´s Nachfolgeorden ist vom Geist des Gewinnstrebens durchdrungen und mit einigen Finanzspekulationen in die Bredouille geraten. Der Kapitalist steckt in unser aller Köpfen, was so sicher ist wie das Amen in der Kirche. Der Unterschied ist nur, es sitzt nicht jedermann am gleichen Hebel.
Chancengeichheit ist nichts als der Anspruch darauf, im Kapitalistenrennen mitmachen zu dürfen. Ein Anspruch auf Sieg kann daraus jedoch nicht abgeleitet werden.
In der Titelüberschrift ist eine Utopie enthalten und auch ein realpolitischer Ansatz. Wer über den Kapitalismus nur jammert und anschließend seinem kapitalistischem Ego nachhechelt, darf sich immerhin rühmen, seinen Teil zum funktionslosen Gedröhn auf der Welt beigetragen zu haben. Wer es realpolitisch versucht, wird allein schon genug damit zu tun haben, die Chancengleichheit in den Schulen zu verbessern, Wert und die Rendite einer gesunden Umwelt zu fördern und nicht gegegn die grüne Energiewende zu meckern, nur weil die Stromtrasse vor seinem Haus verläuft.
Der Kapitalismus in meinem Kopf verbietet es mir, Zeit in nutzlosem Polit-, Philosophie- und Religionsgeschwafel zu verbraten.
Lieber gleich los mit der Motorsäge in der Hand und Holz für die Aufwärmung meines kapitalistischen Herzens besorgen.
Lieber V.Grebe, stünden hier die icons von facebook zur Verfügung, ich würde Ihrem Beitrag einen „Hochdaumen“ zukommen lassen.
Es könnte nützlich sein, Diskussionen aufzugreifen, die in Frankreich gerade geführt werden. Ich möchte auf einen davon näher eingehen, abgedruckt in „La Vie catholique“, 15.-21.1.2015.
Der für Le Monde tätige Zeichner Plantu verweist auf die durch Globalisierung veränderten Rezeptionsbedingungen, durch welche die Intentionen des Zeichners instrumentalisiert und pervertiert werden:
„Zeichnungen dienen dazu, die Völker aufzuwecken“
„Ein Künstler darf sich nichts verbieten; er muss das Gesicht eines jeden zeichnen können, wie er will. (…) Der Schock seit 10 Jahren besteht darin, dass gewisse Karikaturen in der Presse von Minderheiten unter Moslems in der Welt als Angriff auf ihren Glauben, ihre Religion interpretiert werden. Das muss man berücksichtigen, denn wenn man heutzutage zeichnet, findet das nicht in einem Nebensaal eines Cafés von Saint-Germain-des Prés statt, sondern man ist verbunden mit dem Planeten, über Internet, Twitter, Facebook. Meine Zeichnung wird von Menschen angeschaut, die nicht die gleiche Kultur haben wie die Leser meiner Zeitung. Wir haben mit Leuten zu tun, die manchmal keinerlei Kultur des Bildes besitzen. (…) Man muss auch wissen, dass es Leute gibt, die nur darauf warten, um danach Fanatiker mit Kalaschnikows auf die Straße zu schicken.“
Plantus Bemerkungen zeigen zunächst das Dilemma nicht nur des Karikaturisten, sondern des Kulturbetriebs generell unter den Bedingungen der Globalisierung auf: Man zeichnet oder schreibt für Menschen, die grundlegende Werte und Denkweisen mit einem teilen, und es reagieren – bildlich gesprochen – geistige und kulturelle Analphabeten aus aller Welt, die sich berufen fühlen, nicht nur alles zu verurteilen, was nicht ihren Hirngespinsten entspricht, sondern eben auch gnadenlos zu töten: Dies alles, da die eigenen Wahngebilde nichts hergeben, im Namen einer pseudoreligiösen Überhöhung. Sich dem zu beugen, bedeutet mehr als Selbstzensur: Es ist die Aufgabe jeglichen selbständigen Denkens und jeglicher Kultur – nicht nur der „abendländischen“.
Es zeigt sich hier aber auch auf ein grundlegendes Dilemma einer Weltreligion, welche – bei weltweit extrem unterschiedlichen Lebensbedingungen – universal gültige Wertmaßstäbe zu bieten verspricht. Dies mag angehen, solange sie sich mit philosophisch-geistlicher Ebene und allgemeinmenschlichen Moralvorstellungen bescheidet. In dem Maße aber, in dem sie diese Ebene verlässt, gesellschaftliche Bedingungen bestimmen will, wird sie im Gegenteil selbst von diesen bestimmt. Sie wird ihrerseits durch reale Konflikte und Machtverhältnisse formiert, deformiert und pervertiert, nimmt also unter den Bedingungen der Globalisierung notwendigerweise totalitäre Züge an.
Dies eben ist der Weg des Islamismus, der ihn fundamental vom Islam unterscheidet. Dessen vermeintlicher Universalismus zeigt sich nicht in universalen Werten, sondern in deren Pervertierung, im weltweiten Export von Hass und Menschenverachtung, von einer „Religion“ des Terrors.
Der Bischof von Angoulême, Claude Dagens, sieht darin (in der genannten Ausgabe von „La Vie“) den „radikalsten Nihilismus, auch wenn er mystische Formen annimmt“. Dies wird durch keine koloniale Vergangenheit gerechtfertigt, durch kein Gefühl, von der Weltgeschichte abgehängt und von Kapitalisten ausgebeutet zu sein (wobei sie nicht alleine stehen).
So bedrohlich Terrorismus ist, der weltweit in die Geschicke eines jeden einzugreifen droht: Mit „Islamisierung des christlich-jüdischen Abendlands“ hat das herzlich wenig zu tun. Ängste für unseren Kulturbereich, wie Pegida sie schürt, wären nur dann berechtigt, wenn dieses „Abendland“ zur Aufgabe grundlegender Werte und damit zur Selbstaufgabe bereit wäre. In Frankreich wurde zum Glück in diesen Tagen das Gegenteil bewiesen.
Dennoch ist die Frage berechtigt, warum denn gerade der Islam dafür anfällig ist, Versatzstücke für eine „Religion“ des Terrors zu liefern. Eine Antwort könnte im Verbot bildlicher religiöser Darstellung liegen, das in historischer Sicht höchst ambivalente Wirkungen zeitigt.
In Andalusien zeigten sich, in einem erstaunlich langen Zeitraum von über 800 Jahren, höchst kreative Impulse islamisch geprägter kultureller Entfaltung: Von beeindruckender Schönheit der Alcazar von Cordoba oder Sevilla, die Alhambra von Granada – Zeugnisse einer echten, tiefgehenden Spiritualität, denen das „christliche Abendland“ zur damaligen Zeit nichts Vergleichbares entgegenzusetzen hatte. Bestimmt von einer Ehrfurcht vor dem Göttlichen, menschliches Fassungs- und Vorstellungsvermögen überschreitend, aus dem der Verzicht auf bildliche Darstellung abgeleitet wurde. Dass diese religiöse Grundvorstellung prinzipiell auch von Christen und Juden geteilt wurde, hat weitgehende Toleranz, ein relativ friedliches Zusammenleben in einem kulturell begrenzten Raum über Jahrhunderte ermöglicht.
Dass die realen Bedingungen in „islamischen Ländern“ – und in deren Folge auch das religiöse Verständnis von „Islam“ – heute dem geradezu entgegengesetzt sind, hat sicher nicht nur mit fehlender „Aufklärung“ im Islam zu tun, sondern auch mit gesamtgesellschaftlichen und historischen Entwicklungen.
Unter den Bedingungen der Globalisierung ist eine weitgehend abgeschirmte regionale Entwicklung nicht mehr möglich. Unterschiedlichste historische Verhältnisse eines ganzen Jahrtausends erscheinen als ein Nebeneinander.
Die Expansion des Islam, seine Verbreitung in einer Vielzahl vor allem sozial wie politisch wenig entwickelten Ländern (dem Superreichtum arabischer Ölscheichs zum Trotz oder vielleicht gerade dadurch bedingt) scheint nun wie ein Bumerang auf ihn selbst zurückzuschlagen: Das Gefühl, von jeglicher gesellschaftlichen Teilhabe ausgeschlossen, Verlierer der Geschichte zu sein, stellt einen fruchtbaren Nährboden dar für menschenverachtenden, das Leben an sich mit allen seinen Werten negierenden Terrorismus. Dieser, als Antispiritualität und Antikultur schlechthin, verachtet zutiefst jegliche Form von Spiritualität und Kultur – egal ob christlicher, jüdischer oder anderer Provenienz. IS und Boka Haram haben hierfür erschreckende Beispiele geliefert.
Als Negation menschlicher Werte an sich, aus der seine Daseinsberechtigung nicht abzuleiten wäre, bedarf dieser Terror nichtsdestotrotz einer pseudometaphysischen Rechtfertigung für Hass und Mordlust. Und er meint diese im universalistischen Anspruch, scheinbar alle Menschen dieser Region verbindenden Islam zu finden.
In dieser Projektion tritt nun dem Islam in Gestalt des Islamismus die Fratze von sich selbst entgegen. Und das Verbot bildlicher Darstellung, ehemals Ausdruck dessen, was gläubigen Muslimen heilig ist, wird unter der Federführung von Terroristen, die nichts Heiliges kennen, zum Movens immer neuer Gewaltorgien.
Diese Fratze mit der Religion selbst zu verwechseln, ist nicht nur höchst gefährlich, es offenbart auch geistige Nähe zu eben solch fundamental negativistischem Denken.
So gesehen, erscheint der Islam als erstes Opfer eines terroristischen Islamismus. Dass weltweit zahlenmäßig islamische zu nicht-islamischen Opfern im Verhältnis 10:1 stehen – so Alfred Grosser – beweist dies in eindringlicher Weise.
Das Fehlen eines charismatischen muslimischen Führers – was der Philosoph, Koranübersetzer und Psychoanalytiker Malek Chebel „zutiefst bedauert“ (ebd.) – wirkt sich dabei verheerend aus.
Ein Circulus viciosus, der auch und vor allem friedliche muslimische Mitbürger bei uns zu erfassen droht, sie in eine wenig beneidenswerte Lage bringt.
Und es ist nicht zu erwarten, dass es ihnen gelingt, ohne Hilfe von außen, sich wie ein Münchhausen am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu ziehen.
Wie wenig hier philosophische Betrachtungen über Kapitalismus im Allgemeinen, imperiale Tendenzen im Besonderen weiterhelfen, zeigt die in Frankreich gegenwärtig dominierende Diskussion über die Weigerung muslimischer Schüler in Pariser Banlieues, den Terroropfern ihren Respekt zu zollen. Eine Haltung, die sich damit nicht erklären lässt, die auf tiefgehende ideologisch-moralische Verkrustungen bei Minderheiten verweist, auch auf gesellschaftliches wie pädagogisches Versagen im eigenen Land.
Dounia Bouzar, Soziologin französisch-algerisch-marokkanischer Herkunft, die sich seit Jahren um die Integration von jungen Menschen und deren Familien bemüht, die von Gedanken des „Djihad“ bestimmt sind, weiß, wovon sie redet. Sie wird regelmäßig von Salafisten bedroht.
Ihre letzte Veröffentlichung: „Ils cherchent le paradis, ils ont trouvé l’enfer“, Edition de l’Atelier, 2014. („Sie suchen das Paradies, sie haben die Hölle gefunden“)
„Der Kapitalismus in meinem Kopf verbietet es mir, Zeit in nutzlosem Polit-, Philosophie- und Religionsgeschwafel zu verbraten.
Lieber gleich los mit der Motorsäge in der Hand und Holz für die Aufwärmung meines kapitalistischen Herzens besorgen.“
Wer schneller sägt, hat auch noch Zeit zum Schwafeln 🙂
Seit der Kapitalismus über den Kommunismus
gesiegt hat, haben wir nur noch Mord und Todschlag. Der Kapitalismus hat aber
nicht gesiegt, er ist nur übrig geblieben.
# W. Engelmann: Danke für Ihren fundierten Beitrag. Abschaffen läßt sich der Kapitalismus nicht, genauso wenig wie der Islamismus. Er läßt sich höchstens in seinen Auswüchen beschneiden, bzw. umwandeln in eine wirklich soziale Marktwirtschaft. Und bei Islam haben Sie ja das Beispiel einer liberalen Auslegung im mittelalterlichen Spanien aufgeführt.
Die Pervertierung ist im Menschen angelegt, in seinen niederen Trieben und Eigenschaften wie Gier und Mordlust. Beides wird nur immer wieder von „schlauen“ Köpfen umgedeutet und verbrämt. Und die Empfehlung von Marx endet da, wo die niederen Triebe des Menschen beginnen, und wird daher, hinsichtlich „Veränderung“, nicht funktionieren. Wir werden es wieder erleben, wie mit dem Faschismus und dem Stalinismus, so auch beim sich verstärkenden Islamismus, wie sich hier wieder niedere Triebe und tatsächliche oder vermeintliche Unterdrückung die Hand reichen und als Entschuldigung für neue Kriege und Greueltaten herhalten müssen.
Betrachten wir die islamische Welt einmal mit ihrem Mittelpunkt Mekka, Mekka könnte doch eine Ursache für das gegenwärtige Terrorismus Problem sein.
Die heiligen Stätten in der Hand der Familie Saud, mit fundamentalistischer Rechtspflege, die jedoch mit den USA Kontakte pflegen,sogar mit den USA verbündet sind.Saudi Arabien ist gesetzgeberisch fundamentalistisch, das Land begeht damit einen Spagat zwischen Westen und Islamismus. Das halte ich für den entscheidenden Punkt im Krieg des islamischen Terrors. Schachmatt ist ein antiwestlich eingestelltes Mekka geordnet nach der Scharia und Repression.
Mekka in der Hand von antiwestlichen islamischen Fundamentalisten und nicht, wie gegenwärtig, in der Hand von Verbündeten der USA. Die Kämpfer kommen nicht an Mekka ran, Saudi Arabien ist hochgerüstet und reich, da wird sich nicht rangetraut, deswegen werden Unschuldige erschossen, deswegen hatte Europa auch bisher nichts mit 9/11 zu tun. Es ist wegen Mekka, wegen den heiligen Stätten und das die Herrschenden dort in Mekka mit den Amerikanern ein gutes Verhältnis pflegen.Die USA wurden von saudischen Attentätern angegriffen, wegen der Familie Saud und den Beziehungen der Sauds zu den USA. Schachmatt wäre ein Mekka in der Hand von Taliban Alquaeda Boko Haram IS Al Shabab,oder als weiterer player dem Iran
Mekka ist der schwarz/weisse König im Spiel
Während des arabischen Frühlings, einer kurzen Zeit ohne Terrorismus, stand Saudi Arabien, wie die meisten islamischen Nachbarländer, im Schach. Schiiten begehrten auf in Bahrein, darauf hin wurde durch Saudi Arabien in Bahrein einmarschiert, es gab in der westlichen Öffentlichkeit Empörung darüber . . . Vielleicht sollten wir nicht Brüssel zentrisch oder Washington zentrisch die islamische Welt betrachten, sondern mit den heiligen Stätten zum Mittelpunkt: Mekka Medina Jerusalem, das ist der Mittelpunkt des islamischen Denkens. (…) Nach fünf Nahost Kriegen, die gegen Israel fehlschlugen, wurde Amerika angegriffen, als sei es Israel. Ob da auch was dran ist, am gelobten Land, hier am Mittelmeer, dort auf der anderen Seite des Atlantiks, wer weiß. Amerika wurde angegriffen durch Gotteskrieger die gewöhnlich Israel entsprechend angreifen. Machtlosigkeit gegen die bestehenden Verhältnisse sind Ursache des islamischen Terrorismus gegen weiche Ziele wie Passanten oder Journalisten.
(…) Passage gelöscht, Anm. Bronski
@Werner Engelmann
„Als Negation menschlicher Werte an sich, aus der seine Daseinsberechtigung nicht abzuleiten wäre, bedarf dieser Terror nichtsdestotrotz einer pseudometaphysischen Rechtfertigung für Hass und Mordlust.“
Klar, Sie versuchen die Religion zu retten, indem Sie dem Wort „metaphysisch“ ein „pseudo“ voranstellen. Zwischen „metaphysisch“ und „pseudometaphysisch“ vermag ich keinen Unterschied zu erkennen, außer, dass der eine Metaphysiker dem anderen Metaphysiker abspricht, metaphysisch in der richtigen Weise denken zu können. Ich bin der Auffassung, die Entmythologisierung des theologischen Denkens würde dem Ziel einer Liberalisierung und Tolerierung entgegenkommen. Das Denken auf der Basis des Korans, nämlich die Verachtung der Gesetzgebung, die auf die Tradition der Aufklärung zurückgreift, wird man einem glaubenspraktizierenden Muslim nicht austreiben können. Die Welt des liberalen Kapitalismus ist für diese Religionsanhänger so fremd wie für die linksliberalen FR-Leser das tödliche Auspeitschen eines Islam-Kritikers. Deshalb werden Sätze wie „Der Islam gehört zu Deutschland“ uns in einigen Jahren besonders schwer auf die Füße fallen. Wer meint, muslimisches Denken sozialdemokratisieren zu können, ist nichts weiter als ein Gutmensch, der sich ob seiner liberalen Weltsicht, noch wundern wird. Reaktionäre Herrschaftsstrukturen, die sich auf metaphysische Erscheinungen berufen, werden durch Einhegeversuche in demokratisches Denken nicht aufgelöst.
Natürlich ist die Überschrift richtig, aber eine gerechtere Welt wird nicht so einfach kommen. Zumal sich die Welt immer noch auf den großen Kampf um die restlichen, wie man lange dachte, nötigen Rohstoffe vorbereitet. Dazu wird wieder einmal auch die Religion missbraucht. Der große Krieg ist aber abgesagt. Das haben einige noch nicht bemerkt, das die Energiewende eine Alternative dazu aufzeigt, die auch noch dezentral ist. Also gut für den kleinen Mann. Deshalb ist das die Chance das die Welt ein bisschen gerechter wird.
Link
@ W.Engelmann,
Als ich noch einige Jahrzehnte jünger war, dachte ich auch, die Welt ließe sich – zum Guten hin – verändern. Dann musste ich nach und nach erfahren, dass „das Gute“ sehr unterschiedlich gesehen wird. Was mich an der Kopfzeile dieses Threads stört, ist der Wunsch, den Terrorismus – es ist ja wohl der in der Gegenwart gemeint – mit „einer gerechteren Welt“ begegnen zu wollen. Der Satz an sich ist ja richtig, aber das Ziel ist so weit entfernt, dass es jetzt wohl nicht weiter hilft.
Eine gerechtere Welt könnte bedeuten, das der Westen sich aus den heiligen Stätten zurückzieht. Israel würde sich aber niemals aus Jerusalem zurückziehen, der Westen würde auch nicht seine Ansprüche aufs Öl zurückstellen, Ölreichtum in Saudi Arabien, im Irak, im Iran, in Libyen, in den Golfstaaten, das ganze Weltwirtschaftssystem wird mit ÖL aus den islamischen Ländern geschmiert. Ein Ende der Partnerschaft des Westens mit den Golfstaaten würde einen Kollaps der Weltwirtschaft bedeuten und alles nur für die Einführung der Scharia und einer antiwestlichen Ausrichtung des Korans. Ob ein Krieg der Kulturen oder ein Kollaps der Weltwirtschaft, beides ist nicht erstrebenswert aus der Sicht des Westens. Ich glaube, das die Frustration der Gotteskrieger, die sie zu solchen schrecklichen Taten wie in Paris treibt, auch eine Ursache in der Partnerschaft islamischer Herrscher mit dem Westen hat. Koulibaly sagte im Telefoninterview aus dem jüdischen Supermarkt, das er zum IS gehöre und der Westen kein Recht habe, gegen die Einführung der Scharia in der Levante vorzugehen. Es stellt sich natürlich die Frage, was die jüdischen Passanten im Supermarkt mit der Einführung der Scharia in der Levante zu tun gehabt haben, wieso sie also im Namen des IS sterben mussten ? Da lebt man in derselben Welt, es kommt mir wie eine fremde andere Welt vor, in der unsere moralischen Regeln nichts gelten. Moralische Regeln, wie der Schutz menschlichen Lebens, Gerichtsbarkeit, es werden die Werte und Regeln unserer Welt von den Terroristen abgelehnt. Unser Zentrum ist Washington oder Brüssel oder Berlin, das Zentrum ihres Denkens ist Mekka oder Jerusalem und dort ist die Welt für die Terroristen nicht in Ordnung.
Ich kann mir gut vorstellen das, während des arabischen Frühlings, als der Alevit Assad in Syrien die Proteste niederschlugen ließ, die Golfstaaten den IS als Oppositionsgruppe gegen Assad aufrüsteten. Ähnlich wie in Afghanistan, als die USA die afghanischen Mudschaheddin gegen die Sowjetunion päppelten, wurde der IS zuerst von den Golfstaaten gegen Assad aufgerüstet um sich dann zu verselbstständigen.
Das hat man in Afghanistan sehen können, mit der Al Kaida und nun mit dem IS in der Levante.
In der internationalen Koalition gegen den IS sind mittlerweile auch Golfstaaten beteiligt.
Der arabische Frühling stellte ziemlich alle islamischen Herrscher ins Schach.
Das war eine Maßnahme, die schon 2001 oder 2002 hätte passieren sollen, vor der Irak Invasion der USA :
sämtliche islamischen Herrscher ins Schach zu stellen.
Passiert ist es zehn Jahre später unter Barack Obama.
George W. Bush war für solche Finten einfach nicht empfänglich.
Bush wollte Zerstörung mit Zerstörung ahnden, ohne dabei die islamische Welt verstanden zu haben.
Während des arabischen Frühlings haben sämtliche islamischen Herrscher im Schach gestanden, haben sich unterschiedlich dem Schach wieder entzogen.
Koulibaly sagte im Telefoninterview aus dem jüdischen Supermarkt, das er zum IS gehöre und der Westen kein Recht habe, gegen die Einführung der Scharia in der Levante vorzugehen. Damit sind wir wieder beim IS, der fundamentalistisch sunnitisch antiwestlich ist, hervorgegangen aus der Opposition gegen Assad, gepäppelt durch die sunnitisch geführten Golfstaaten, damit der IS gegen Assad kämpft. Der IS, der sich verselbstständigt hat, Zulauf erhielt durch ausländische Kämpfer durch andere arabische Kämpfer, die sich, seit der Irak Invasion der USA, benachteiligt fühlen. Das Alles erklärt aber nicht Paris und Charlie Hebdo, weil die Beteiligten, Opfer wie Täter, Franzosen waren. Unter den Opfern fanden sich alle Glaubensrichtungen vereint mit der französischen Staatsbürgerschaft, die Täter hatten dagegen eine gemeinsame Glaubensrichtung und insgeheim ein anderes Staatsbekenntniss. Jedenfalls nicht das Staatsbekenntniss der französischen Republik, das den Staat und die Freiheit der Menschenrechte über das persönliche Glaubensbekenntnis stellt. Die Terroristen handelten nicht als französische Bürger – sie handelten wie Bürger eines fiktiven Kalifats, das gegen Angriffe verteidigt werden muss. Man könnte auch sagen, das sie ihr Bekenntniss damit verteidigten, das sie unvermutet und hinterrücks angriffen. Waren es Franzosen oder keine ? Waren es ausländische Kämpfer des IS oder der Al Kaida ? Welche Gefahr von Kriegs Rückkehrern ausgeht !
Waren es also feindliche Kämpfer – Kombattanten – mit einem französischen Pass aber schon lange nicht mehr mit einer französischen Staatsbürgerschaft ?
Ein Angriff auf die französische Gesellschaft, durch einen fiktiven Staat, in welchem die Scharia und die Repression herrschen sollten, wenn es nach den Kämpfern gehen sollte?
Ihre ursprüngliche Heimat war Frankreich, diese wurde verlassen für eine andere Welt, für ein Jerusalem unter ihrer Herrschaft. Dabei ist in ihren Augen Frankreich mit seinen Regeln und seiner Räson im Weg. Man könnte auch weiter sagen, es waren Mitglieder einer Mörderbande, die ihr Unwesen treiben, die durch nichts zu entschuldigen sind und mit einem heiligen Buch in der Hand begangen werden. Die Bibel fällt mir dazu ein, die demnach dienen würde, Taten zu rechtfertigen. Mohamed ist karikiert worden, lächerlich gemacht worden, auf die Bibel übertragen bedeutet dies, die Evangelien beispielsweise karikiert zu haben. Vor religiösem Fanatismus ist niemand gefeit, wie das beispielsweise auch Jigal Amir, der Rabin Attentäter, zeigte, mit seinem jüdischen Extremismus. Charlie Hebdo machte auch Witze über die Bibel, wieso kann darüber gelacht werden, während Koran Leser nicht über Witze ihr Buch entsprechend lachen können ?
Der Koran hat einen universalistischen Anspruch, die Welt der Gläubigen teilt sich in eine Welt des Glaubens und einer des Unglaubens, Ungläubige zu töten ist aus ihrer Sicht keine Schande. Wer nicht in ihrer Welt des Glaubens lebt, ist ungläubig und darf bekämpft werden.
Der Titel
„Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechtere Welt“
wäre zu hinterfragen.
Wird hier der Terrorismus als „Ultima Ratio“ gegen ein ungerechtes System angesehen und wird die Radikalisierung aus dem Prinzip der Notwehr hergeleitet, oder wird eine gerechtere Welt als „Immunisierung“ gegen den Terrorismus angesehen?
Hängt man eventuell einem veralteten und fälschlich romantisierten Begriff des vereinzelten „Attentäters“ nach, der aus Verzweiflung gegenüber einem empfundenen Unrecht zu ungerechten Mitteln greift, wiewohl er eine subjektiv gerechte Sache verfolgt?
Das wäre eine veraltete, eine schon naive Sicht Sicht des Terrorismus.
Je öfter Gräuel geschehen, desto mehr verschwindet die Sensibilität für das Geschehen, desto mehr stumpft man ab. Gräuel sind fast täglich zu berichten, man würde sich am liebsten entsetzt abwenden und in eine andere Welt wechseln. Es ist aber in dieser Welt, in Paris, passiert, wegen der unterschiedlichen Weltanschauung der Beteiligten. Der Koran gehört, wenn das mit dem Morden so weitergeht, bei uns in Europa auf die Liste der verbotenen Bücher. Solche Gedanken müssen erlaubt sein!
Jerusalem ist der Ort, an dem Juden friedlich leben könnten, das muß als Gedanke auch erlaubt sein.
Wo sind denn eigentlich mäßigende Stimmen Islam Gelehrter ? Wird der Terrorismus stillschweigend durch die Islam Gelehrten mitgetragen ? Will denn der Islam nicht verstehen, das er ein Glied im Weltgefüge ist, wie jedes andere Glied auch ist ? Will der Islam dieses Weltgefüge sprengen ?
Es beruht doch alles in der Welt auf einer Balance der Mächte, auf einem Gleichgewicht, das gilt auch für den Islam. Aber Jerusalem ? Jerusalem ist den Juden, das müsste der Islam nur akzeptieren.
„Je suis Charlie“. Spaltet dieses Motto nicht eher als dass es Verbindung stiftet? Muss Satire wirklich alles dürfen? Den Muslimen erschwert dieses Motto möglicherweise ein klares Bekenntnis zur Ablehnung von Gewalt im Namen Allahs abzugeben. Es erleichtert ihnen sich mit Verschwörungstheorien gemein zu machen und sich als die eigentlichen Opfer zu fühlen. Wie weit soll Satire gehen dürfen? Antireligiöse Satire bleibt derzeit im Sinne des Zeitgeistes im Rahmen der political correctness. Doch was wäre, wenn Satire sich über Behinderte, Homosexuelle, Ausländer oder über Kinder lustig machte? Oder über Naziopfer, über Juden, über Schwarze, über Widerstandskämpfer im 3. Reich? Oder über die Demokratie, oder über das Prinzip der Gewaltlosigkeit? Oder was ist, wenn Satire persönlich wird? Und Muslime empfinden Verballhornung ihres Propheten als persönlichen Angriff. Sind wir uns denn so sicher, dass diese Art von Humor sein darf? Ist das nicht Anmaßung, und zeugt es nicht von einem Übermaß an Arroganz? Satire kann auch Gewalt sein, kann Entehrung bedeuten, einen Menschen vernichten. Gehen wir doch lieber etwas vorsichtiger mit dem Motto und der Aussage, für die es auch steht, um.
Ich halte den Titel auch für wenig hilfreich. Denn eine „gerechtere Welt“ als langfristiges, wenn nicht gar utopisches Ziel taugt kaum zur Strategie gegen „Terrorismus“ als höchst aktuelles und drängendes Problem.
Statt sich damit aber lange aufzuhalten, erscheint es mir sinnvoller, konkrete Diskussionspunkte aufzugreifen. Hier erstmal einige:
@ Werner Arning
„Muss Satire wirklich alles dürfen?“
Sicher eine berechtigte Frage. Ihre konkreten Beispiele führen aber in die Irre. Sie vermischen satirische Kritik mit dem eindeutigen Straftatbestand der „Beleidigung“.
Betr. des Tucholsky-Ausspruchs „Soldaten sind Mörder“, für den Ossietzky als Herausgeber angeklagt wurde, hat bereits das Berliner Schöffengericht 1932 juristische Klarheit geschaffen.
Ossietzky argumentierte wie folgt:
„Aber es ist falsch, wenn man annimmt, dass es sich in dem ‚Weltbühnen‘-Artikel um die Diffamierung eines Standes handelt; es handelt sich um die Diffamierung des Krieges.“
Und das Schöffengericht sprach ihn mit der Begründung frei, dass der allgemeine Satz „Soldaten sind Mörder“ nicht auf bestimmte Personen ziele und deshalb keine Beleidigung sei.
Dies lässt sich auch auf die religiösen Satiren von Charlie Hebdo anwenden. Sie fallen unter die Kategorie „freie Meinungsäußerung“ und nicht unter den Straftatbestand „Beleidigung“. Auch hier lässt sich völlig schlüssig argumentieren, dass keine Person – auch nicht der Prophet Mohammed – beleidigt, sondern in allgemeiner Weise auf falschem Religionsverständnis fußende Intoleranz angeprangert wurde. Daher wurden auch alle zahlreichen Klagen der katholischen Kirche gegen das Magazin abgewiesen.
Die horrenden Reaktionen des Mobs in verschiedenen islamischen Ländern (besonders absurd gegen eine Satire mit der Inschrift „Alles ist vergeben“!) lassen sich nicht mit „religiösen Gefühlen“ erklären, sondern höchstens durch völlige Ignoranz und tiefgehenden Hass gegen jegliche Erscheinungsform westlicher Demokratie und westlicher Werte.
Dementsprechend können die abwegigen Begründungen für das Wüten kein Grund sein, aus Angst vor Terror einzuknicken.
@ werner.h
„Als ich noch einige Jahrzehnte jünger war, dachte ich auch, die Welt ließe sich – zum Guten hin – verändern.“
Ich kann Menschen nur bedauern, die eigene Erfahrungen nur negativ umsetzen können und pessimistische bis sarkastische Weltsicht als normale Erscheinungsform des Alters ansehen.
Im Übrigen habe ich mittlerweile auch schon 70 Lenze hinter mir.
@ Rudi 18. Januar 2015 10:22
„Zwischen ‚metaphysisch‘ und ‚pseudometaphysisch‘ vermag ich keinen Unterschied zu erkennen, außer, dass der eine Metaphysiker dem anderen Metaphysiker abspricht, metaphysisch in der richtigen Weise denken zu können. Ich bin der Auffassung, die Entmythologisierung des theologischen Denkens würde dem Ziel einer Liberalisierung und Tolerierung entgegenkommen.“
Nicht viel mehr als ein Wortspiel, das auf die Religionskritik des frühen Feuerbach zurückfällt, der meinte, „der religiöse Glaube habe sich überlebt, er sei des ‚denkenden Menschen‘ unwürdig.“
In „Wesen des Christentums“ (1841) korrigiert er diese Auffassung und gibt eine anthropologische Deutung der Religion: „Die Religion ist die Reflexion, die Spiegelung des menschlichen Wesens in sich selbst.“
„Pseudometaphysisch“ ist in diesem Sinne eine verzerrende und irreführende Spiegelung und damit sehr wohl von „metaphysisch‘ zu unterscheiden. „Tolerierung“ bedeutet übrigens, eine Auffassung oder Denkweise, die man für sich selbst ablehnt, am anderen zu ertragen. Antireligiöse Missionierung fällt nicht darunter.
„Wer meint, muslimisches Denken sozialdemokratisieren zu können, ist nichts weiter als ein Gutmensch, der sich ob seiner liberalen Weltsicht, noch wundern wird.“
Dann sind also „Schlechtmenschen“ im Besitz der Wahrheit?
Jede Benutzung des dümmlichen Unworts „Gutmensch“ entlarvt sich übrigens selbst. Schon seine bei Wikipedia einzusehende Genese belegt, dass es ausschließlich der pauschalen Denunziation unbequemer Meinungen dient, indem es die Person angreift und nichts mit sachlicher Diskussion zu tun hat.
@ Werner Engelmann 19. Januar 2015 2:54
Ihrer Antwort an Rudi stimme ich zu. Allerdings dreht sich die Diskussion mit ihm (wie mit den meisten selbsternannten „Islamkritikern“) im Kreise. Islamkundige belegen in Büchern und Artikeln theologisch und historisch, dass eine mit den Menschenrechten und der Achtung des Rechtsstaats kompatible Auslegung des Koran möglich ist, Vertreter der islamischen Verbände bekennen sich zu dieser Auslegung des Koran und mehrere Studien zeigen, dass glaubenspraktizierende Muslime in Deutschland in erdrückender Mehrheit den Rechtsstaat bejahen und in ihrer Lebenspraxis achten. Trotzdem unterstellt Rudi weiterhin allen Muslimen: „Das Denken auf der Basis des Korans, nämlich die Verachtung der Gesetzgebung, die auf die Tradition der Aufklärung zurückgreift, wird man einem glaubenspraktizierenden Muslim nicht austreiben können.“
Nicht ganz einverstanden bin ich mit Ihrem von Tucholsky entlehntem Diktum „Satire darf alles“. Wir sind uns doch darin einig, dass auch Kunst und Medien nicht jenseits der Rechtsordnung stehen. Die Freiheit der Satire endet nicht erst, wenn eine konkrete Person beleidigt wird, sondern auch dann, wenn sie die Grenze zum gruppenbezogenen Hass überschreitet. In Bezug auf das aktuelle Charlie-Hebdo-Titelblatt sind wir uns wohl einig, dass diese Grenze bei weitem nicht überschritten ist. Wie ist es aber mit den antisemitischen Auftritten eines Dieudonné M’bala M’bala, der in Frankreich in ausverkauften Sälen bejubelt wird?
Diese Grenzen müssen in jeder Gesellschaft immer wieder – mit friedlichen Mitteln – ausgehandelt werden, die letzte Deutung steht den Gerichten zu. Wenn sich ein Teil der Muslime durch die bildliche Darstellung des Propheten Mohamed oder durch eine bestimmte Karikatur gekränkt, beleidigt oder angegriffen fühlen dann haben sie das Recht, dagegen – auch öffentlich – zu protestieren. Sie können auch die Justiz einschalten, die (ob es uns gefällt oder nicht) in manchen Ländern zu einem anderen Ergebnis bezüglich der Grenzüberschreitung als die deutsche oder französische Rechtsprechung kommt.
Wir sind uns sicher wieder darin einig, dass die vermeintliche Kränkung des Propheten oder des Islam keine Gewalt- und Hassausbrüche rechtfertigt, wie wir sie in z.B. in Niger, Pakistan oder Gaza erlebt haben. Ich habe allerdings den Eindruck, dass auch hier die Religion als Vorwand für „antiwestliche“ Reflexe dient, die sich aus gekränktem Selbstwertgefühl speisen. Sie sind Zeichen einer tieferen Krise der „islamischen Welt“, die ihre Ursachen nicht nur in den Kriegen des „Westens“ bzw. der USA, dem Imperialismus und dem Kolonialismus hat, sondern zum erheblichen Teil auch „selbstgemacht“ ist. Dies zeigen unter anderem die Arab Human Development Reports der UN, die seit 2002 von arabischen Intellektuellen erstellt werden.
Das von Bronski gewählte Motto des Threads „Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechtere Welt“ ist deshalb nicht nur eine Herausforderung für uns im Westen, sondern genauso für die „muslimische“ Gesellschaften, auch jenseits des Religiösen.
@ all
Bezüglich der Überschrift dieses Threads möchte ich nur kurz einstreuen, dass es sich um ein Zitat von Johannes Rau handelt, das ich dem Leserbrief von Peter Bläsing entnommen habe. Die betreffende Passage lautet:
„Der damalige Bundepräsident Johannes Rau hat nach dem 11. September 2001 gesagt: ‚Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechtere Welt.'“
nh 18. Januar 2015 2:26, 18:11, 21:37
„Betrachten wir die islamische Welt einmal mit ihrem Mittelpunkt Mekka, Mekka könnte doch eine Ursache für das gegenwärtige Terrorismus Problem sein.“
„Ich glaube, dass die Frustration der Gotteskrieger, die sie zu solchen schrecklichen Taten wie in Paris treibt, auch eine Ursache in der Partnerschaft islamischer Herrscher mit dem Westen hat.“
„Ein Angriff auf die französische Gesellschaft, durch einen fiktiven Staat, in welchem die Scharia und die Repression herrschen sollten, wenn es nach den Kämpfern gehen sollte? Ihre ursprüngliche Heimat war Frankreich, diese wurde verlassen für eine andere Welt, für ein Jerusalem unter ihrer Herrschaft.“
Ein interessanter Erklärungsansatz, der freilich noch der Konkretion und der Belege bedarf. Und auch nur, wenn man nicht den pseudoreligiösen Selbstdeutungen der Terroristen auf den Leim geht, indem man sich nur damit befasst, was in den Köpfen von Terroristen vorgeht, statt damit, was sie wirklich zu ihren Horrortaten antreibt.
Mekka – und Medina – wären nicht bloß als ideologische Zentren einer Religion aufzufassen, sondern – in tieferem Sinn – als Symbole einer angestrebten Weltherrschaft. Wahnideen, die schon immer Faszination ausgeübt haben, da sie zivilisatorisch ungebändigten Instinkten nach absoluter Herrschaft freien Lauf ließen und sich am Machtgefühl der Weltherrschaft berauschten. Die den Rausch zu steigern suchten, indem sie Orgien äußerster Brutalität und der Grausamkeit zu einer Art Gottesdienst transformierten.
So im 14./15. Jahrhundert Timur oder Tamerlan, über den es bei Wikipedia heißt:
„Timur heiratete in das Haus Tschagatais, d. h. die Familie Dschingis Khans ein und wollte allem Anschein nach dessen Reich unter dem Vorzeichen des Islam erneuern. Das hinderte ihn aber nicht daran, Muslime massakrieren zu lassen oder gegen die Herrschaft der Dschingisiden vorzugehen.“ Er ließ die unterworfenen Völker – egal welchen Glaubens – massakrieren, mit Ausnahme von Architekten, die er zum Ausbau seiner „Welthauptstadt“ Samarkand (und damit zur Selbstbeweihräucherung) benötigte.
Im IS scheinen die Weltherrschaftsgelüste eines Tamerlan eine Art Wiederauferstehung zu feiern. Die Bilder der Selbstberauschung an abgeschlagenen Köpfen – für sie wohl eine Art „Gottesdienst“ – sprechen hier eine deutliche Sprache.
Geradezu naiv nimmt sich aus solcher Sicht der Versuch aus, solche Gewaltorgien und Selbstberauschung mit irgendwelchen Koransuren „erklären“ zu wollen.
Mekka weniger als religiöses Zentrum denn als Wiederauferstehung der Welthauptstadt Samarkand – mit einer solchen Deutung scheinen wir den wirklichen Ursachen für islamistischen Terror schon näher zu kommen.
In diesem Zusammenhang könnten sich auch die wütenden Hassausbrüche auf alles, was mit westlicher Kultur zusammenhängt, als Ersatzhandlungen erklären, aus Frust über die eigene Schwäche und Unerreichbarkeit des eigentlichen Ziels, über das symbolische Zentrum der Weltherrschaft zu verfügen.
Nach einer solchen Erklärung kranken alle religiösen Deutungsversuche daran, den Schein dem Wesen, den Anlass mit der eigentlichen Ursache zu verwechseln.
Jam 19.1.2015 2:54
Kopf und Bauchgefühl klaffen beim Thema „Islam“ zu weit auseinander. Unser diskriminierender Intellekt sieht sich einem tiefsitzenden Unbehagen gegenüber, das unser Sein nicht minder bestimmt als der Verstand. Dieses drückt auch die Kanzlerin aus, wenn sie in ihrer Bundestagsrede letzten Freitag die islamische „Geistlichkeit“ zu religiösen Klarstellungen aufruft. Wir alle stehen unter dem Diktat unseres „Bauchs“, ganz gleich, wo wir vor den Anschlägen gestanden haben. Das fängt an bei der Genugtuung darüber, daß Charlie Hebdo die islamischen Welt auch weiter reizt und herausfordert, wiewohl unser Kopf uns an Zurückhaltung mahnt. Es ist das Bauchgefühl, daß Muslime verletzt auf eine Karikatur von Mohammed reagieren läßt, die noch zuvor ihren Abscheu gegen die Mordanschläge in Paris bekundet haben. Es ist auch das Bauchgefühl, das französische Juden dazu bringt, das Land in Richtung Israel zu verlassen, obwohl der Intellekt sagt, daß die Flucht vor den Problemen auch keine Lösung ist.
Wir müssen also auch etwas unternehmen, um unser Bauchgefühl zu besänftigen, Argumente und Reaktionsweisen finden, die Kopf und “Bauch” gemeinsam zufriedenstellen. Und dazu gehört, daß der Islam sich deutlicher erklären muß, wie er es mit der Intoleranz hält, die in seinem Namen und in vielfältigster Weise ausgeübt wird. Der Bauch sagt uns, daß wir uns der islamisch geprägten Intoleranz solange erwehren müssen, bis der Islam von sich aus resigniert aufgibt und Mohammed in das Gewand einer sich radikal veränderten Welt steckt. Nach runden 1400 Jahren wäre es bitter nötig. Eine Welt, in der Bilder das selbstverständlichste sind, was es gibt. In der es keine Ungläubigen mehr gibt, sondern nur noch Andersgläubige, Atheisten eingeschlossen. Und wo ist der Luther, der den Islam auffrischte ? Auch diese Frage ist schon gestellt worden.
Dort, wo es nur um Bauchgefühle geht, wie bei Pegida, können wir mit Verstand, Herz und Bauch im Verein umso leichter gegenhalten. Wo das intellektuelle Defizit mit Händen zu greifen ist, bedarf es jedoch des schlichten Verisses und nicht aufwändiger Gegenkampagnen, als müsse man das intellektuelle Vakuum von Pegida noch mit Interpretationshilfen von außen auffüllen. Die Pegida-Bewegung ist erst durch das aufgeregte Durcheinander ihrer Opponenten groß geworden. Hier hat es schlicht an intellektueller Klarheit derjenigen gefehlt, die besser auf ein spontanes Abebben des Pegida-Spuks hätten setzen sollen. Und Dresden hat nun den Imageschaden. Daher sage ich, Verstand und Bauch müssen beide beachtet werden, wenn wir uns einigermaßen entspannt auf die Irrungen und Wirrungen der Welt einlassen wollen. Und auch der Islam hat sich zur Klarheit und Eindeutigkeit dort zu bequemen, wo in Teilen der islamischen Welt noch Regungen der Genuugtuung aufflackern, wenn sich Dschihadismus auf mörderische Art und Weise betätigt. Und eine von islamischen Autoritäten vogenommene öffentliche und radikale Bloßstellung und Ächtung all jener, die diesen Terrorismus noch von Staats wegen finanzieren, sollte in westlichen Ländern doch per Massendemonstrationen abverlangt werden dürfen, abverlangt werden müssen. Hat es das ? Mitnichten.
Jam, nur darauf zu verweisen, was alles schon geschehen ist, ist mir einfach zu wenig. Es könnte mehr geschehen, und es muß mehr geschehen.
Die „Gutmenschen“- Diskussion sollte man dahingehend abschließen, daß nur Provokateure dieses Unwort benutzen. Nur wer sich in seiner eigenen Dummheit sonnt, der sollte es benutzen, auch wenn sie nur schwach scheint. Er muss ja nicht mehr braun werden.
# V.Grebe
Sie schreiben: „Dort, wo es nur um Bauchgefühle geht, wie bei Pegida, können wir mit Verstand, Herz und Bauch im Verein umso leichter gegenhalten. Wo das intellektuelle Defizit mit Händen zu greifen ist, bedarf es jedoch des schlichten Verisses und nicht aufwändiger Gegenkampagnen, als müsse man das intellektuelle Vakuum von Pegida noch mit Interpretationshilfen von außen auffüllen.“
Wenn man diesen Text seiner etwas anintellektualisierten Sprache entkleidet, kommt ein Niveau zum Vorschein, das dem, was man den Pegida-Anhängern vorwirft, nicht unähnlich ist. Sie stellen fest, die Demonstrierenden seien blöd (= „Wo das intellektuelle Defizit mit Händen zu greifen ist…“) und saudumm (=“…das intellektuelle Vakuum von Pegida…“). Ich vermute, mit dieser doch arroganten Herangehensweise wird man der Sichtweise dieser Menschen nicht gerecht. Eher befürchte ich, die Islam-Gegner werden sich in ihren Gefühlen nicht ernst genommen sehen und so nicht überzeugt werden können. Zu jemandem, der mir zu erkennen gibt, ich sei ein geistiger Underperformer, bevor es überhaupt zum Gedankenaustausch kommt, finde ich nur schwer einen positiven emotionalen Zugang. Rationalisierende Aussagen, wie ich sie hundert Mal gelesen habe, der Bevölkerungsanteil der Muslime sei doch nur ein paar wenige Prozentpunkte und in Dresden auch nur ein Bruchteil des Wenigen, gehen an diesen Menschen mit Sicherheit vorbei. Denn ein Blick in den Dortmunder Norden genügt, um zu sehen, was aus Stadtvierteln werden kann. – Deshalb: Ich würde diesen Menschen keine intellektuellen Defizite unterstellen. Erst wenn man weiß, was sie emotional bewegt, hat man eventuell Ansätze gegenzusteuern. Sie fordern beispielsweise Einwanderungsgesetze wie sie Kanada seit Jahren handhabt. Ich vermute nicht, dass man den Kanadiern vorwirft, sie seien blöd und saudumm.
Man soll die Menschen schön sein lassen.
@ JaM 19. Januar 2015 12:40
Ihrem Beitrag stimme ich im Ganzen zu.
Deutliche Bedenken habe ich aber betr. Ihre Ausführungen zum Thema Tucholsky und Satire:
„Die Freiheit der Satire endet nicht erst, wenn eine konkrete Person beleidigt wird, sondern auch dann, wenn sie die Grenze zum gruppenbezogenen Hass überschreitet.“
Theoretisch spricht natürlich nichts dagegen, die vom Berliner Landgericht im Ossietzky-Urteil festgelegte und in die Justizgeschichte eingegangene Abgrenzung von Satire zu „Beleidigung“ anhand neuer Problemlagen auf den Prüfstand zu stellen. Tucholsky ging es ja nicht um Terrorabwehr, sondern um Berechtigung eines radikalen Pazifismus und Auslotung von dessen Möglichkeiten.
Praktisch allerdings ergeben sich erhebliche Bedenken. Eine irgendwie unter moralischen Aspekten laufende Einschränkung von Presse- bzw. Kunstfreiheit wäre nicht nur gar nicht kontrollierbar. Schlimmer: Es ergäbe sich automatisch eine Art Gesinnungskontrolle, also Zensur, der im Prinzip jegliche kulturelle oder literarische Äußerung, die von Klassikern eingeschlossen, anheimfallen würde.
Ihr Hinweis auf die „antisemitischen Auftritten eines Dieudonné M’bala M’bala“ ist da nicht überzeugend. Zwar kenne ich diese Auftritte nicht im Einzelnen, aber schon Ihr Hinweis auf „gruppenbezogenen Hass“ macht deutlich, dass dies eindeutig unter den Tatbestand der „Volksverhetzung“ nach § 130 Absatz 1 StGB fällt.
Als „eine Weise, die geeignet ist, den öffentlichen Frieden zu stören“, wird hier unter 1. ausdrücklich aufgeführt „wer gegen eine nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppe (… ) zum Hass aufstachelt“. Und unter 2. wird dazu ergänzt: „beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet“.
Eine Begrenzung der Meinungsfreiheit irgendwelcher Art ist also auch bezogen auf solche Fälle unnötig.
Freilich ist der Klageweg zu beschreiten. Aber das ist auch von Vorteil, denn nur so kann auf den Einzelfall eingegangen werden, was bei gesetzlichen Vorgaben unmöglich wäre.
Ein anderes Problem ergibt sich freilich in der Schwierigkeit zu verhindern, dass Bestimmungen den StGB unterlaufen werden. So hat die ausdrückliche Strafandrohung für Verharmlosung von NS-Verbrechen wie die Leugnung des Holocaust in Deutschland in den 80er Jahren (also schon in der Vor-Internet-Zeit) nicht verhindern können, dass Nazi-Propaganda über die USA oder Dänemark nach Deutschland gedrungen ist.
Durch Internet hat sich dieses Problem, dass nationale Gesetzgebung unzureichend ist, noch erheblich verschärft. Gerade im Zusammenhang mit Terrorabwehr stellt sich vor allem die Frage, wie eindeutige Straftatbestände via Internet überhaupt verfolgt werden können.
Ich verabschiede mich hiermit für einige Tage aus diesem Blog, da ich wieder unterwegs sein werde. Ich hoffe dennoch, weiter interessante Beiträge zu lesen.
„Das beste Mittel gegen den Terrorismus ist eine gerechtere Welt“
Brüder und Schwestern, es ist nicht schwer:
Ne gerecht’re Welt muß her!
Meint Johannes, genannt „Bruder“.
Und sein Vorschlag ist ein guter!
Was ist gerecht?
Das ist die Frage.
Euch geht’s gut, und uns geht’s schlecht.
Haben wir nicht Grund zur Klage!
Übt euch in Bescheidenheit
im Süden und im Osten!
Alles andre ist nur Neid
auf uns im reichen Westen.
Sind wir nicht die Besten?
Und ihr tut nur kosten!
Haben wir euch nicht von Despoten befreit,
schickten euch Waffen und Drohnen.
Jetzt kommt ihr einfach hereingeschneit,
Asylanten, bei uns wollt ihr wohnen!
Ihr seid Moslems, wir sind die guten Christen.
Aus Angst zünden wir eure Häuser an.
Ein Jeder tut halt, was er kann.
Euer Sein könnt ihr nur fristen.
Da seid ihr nun, hofft auf ein bess’res Morgen.
Wärt ihr doch daheim geblieben!
Wir täten für euch sorgen.
Und euch so richtig lieben!
Rudi 19.1.2015 21:38
Sie haben mich muißverstanden. Ich habe nicht den Demonstranten intellektuelle Armut unterstellt, sondern der Bewegung. Pegida hat kein Thema, sondern fußt nur auf etwas völlig Diffusem. Es gibt keine Islamisierung des Abendlandes, allenfalls eine De-Christianisierung. Und wer de-christianisiert, entabendlandet das Abendland, denn seine Wurzeln sind christlich-jüdisch oder jüdisch-christlich. Muslime gehören längst zu Deutschland, und irgendwann wird es auch der Islam sein, falls er das nicht schon heute ist. Pegida hat eine Schlagzeile, aber darunter fehlt der Text. Und das nenne ich ein intellektuelles Defizit. Und wenn ich heute morgen eine Zeitung lese, in der Frau Oertel-Pegida vo der versammelten „Lügenpresse“ sagt, daß es Pegida um ein anderes verhältnis zwischen Politik und Volk gehe, dann erschüttert mich die Armseligkeit einer solchen Äußerung.
Pegida war darin schlau, sich als Angebot für muntere Spekulationen anzubieten darüber, was sie denn sei, ohne aber selbst zu wissen, was sie denn eigentlich sein soll. Pegida narrt die Welt, weil es eine Possentruppe ist. Und die Welt hat sich narren lassen. Sie offenkundig auch.
@ Werner Engelmann
Auch in dem Punkt der strafrechtlicher Grenzen für Kunstfreiheit stimme ich Ihnen zu, mit „gruppenbezogenem Hass“ hatte ich tatsächlich die Straftatbestände der Volksverhetzung im Blick. Das Strafrecht darf nicht zur Zensur führen, auch darin stimme ich Ihnen zu. Wenn ich meine, dass die Grenzen immer wieder neu verhandelt werden müssen, meine ich auch, dass in einer freien, pluralistischen Gesellschaft nicht bei jeder Kränkung oder Verletzung des guten Geschmacks nach dem Richter gerufen werden sollte.
Gute Reise.
Klar sind Merkel und Co alle Charlie, für Meinungs- und Presse – aber vor allem natürlich insgesamt die FREIHEIT.
Die logische Konsequenz daher ist natürlich eine Einschränkung dieser via Vorratsdatenspeicherung und Co.
Die beiden Männer, die Charlie angriffen, sind gefährliche Terroristen und gehören .. ja, was eigentlich?
Wären sie im Jemen, könnte man sie guten Gewissens mit Drohnen ermorden.
Sie sind auf jeden Fall BÖSE.
Da können wir froh sein, dass uns Saudi-Arabien als wirtschaftlicher GUTER Freund und Partner im Kampf gegen den Terrorismus zur Seite steht.
Dass Saudi-Arabien einen Blogger gerade zu 1000 Peitschenhieben, einer Geldstrafe und Haft verurteilt hat ist zwar nicht so toll, aber was solls – es sind ja GUTE Verbündete, da darf man nicht kleinlich sein.
Wir sind in Paris Charlie, in Saudi-Arabien stillschweigende Zeugen und im Jemen, Afghanistan selbst Terroristen.
Was für eine pluralistische Gesellschaft wir doch sind!
Nicole Hinzmann,
und wo geht´s lang zur Ihrer von Widersprüchen freien Welt ? Können Sie bitte den Weg dahin zeigen ?
@ V. Grebe 19. Januar 2015 17:50
Nichts gegen Ihren Wunsch, „Verstand, Herz und Bauch“ zu versöhnen. Dazu muss aber auch der Verstand benutzt werden, falsche Bauchgefühle zu korrigieren. Wenn Ihr Bauch sagt, „daß der Islam sich deutlicher erklären muß, wie er es mit der Intoleranz hält, die in seinem Namen und in vielfältigster Weise ausgeübt wird“, dann sollten Sie prüfen, warum Ihr Verstand nicht wahrnimmt, dass genau das von Ihrem Bauch geforderte die übergroße Mehrheit der Muslime in Deutschland und Frankreich getan haben und laufend tun. Der Prozess, „Mohammed in das Gewand einer sich radikal veränderten Welt“ zu stecken, ist längst im Gange. Diejenigen, die daran beteiligt sind, unterstützen wir nicht dadurch, dass wir sie unter Distanzierungszwang stecken oder sie in Kollektivhaftung für diejenigen nehmen wollen, „die Terrorismus noch von Staats wegen finanzieren“.
Sicher muss die „muslimische Community“ mehr gegen den islamistischen Terror tun, z.B. durch bessere religiöse Bildung im staatlich reguliertem schulischen Religionsunterricht, durch Ausweitung der Ausbildung von Imamen und Religionslehrern an deutschen Hochschulen, bei der sie sich auch mit Ideen der Aufklärung auseinandersetzten, durch bessere Jugendarbeit der islamischen Verbände. Gefordert ist aber auch die gesamte Gesellschaft, die sozialen und wirtschaftlichen Ursachen der Radikalisierung junger Muslime zu bekämpfen.
@ Bronski
Bereits in meinem Beitrag vom 16. Januar 2015 habe ich Zweifel an der Geschichte angemeldet, die uns Joachim Kretschmann aufgetischt hatte, einer evangelischen Gemeinde sei auf Veranlassung eines „ortsansässigen Moslems“ ein Einladungsbanner „Jesus ist die einzige Rettung für dich!“ von einem Gericht verboten worden. Wäre es nicht die Aufgabe der FR-Redaktion, hier nachzurecherchieren oder zumindest Joachim Kretschmann zur Nennung der Quelle aufzufordern?
@ JaM
Sie hatten Recht mit Ihren Zweifeln. Der Leser hat mir inzwischen geantwortet, und die Geschichte stimmt in dieser Form nicht. Der Leserbrief wurde aus diesem Thread entfernt. Ich gehe auf diesen Vorgang in meinem neuen Artikel über verantwortete Meinung ein und bitte um Entschuldigung für die Veröffentlichung, die so nicht hätte passieren dürfen.