Die Kompromissbereitschaft war umsonst

Die Grünen sind in einer Krise: Im Bund drohen ihre Zukunftsprojekte zu scheitern, in Landtagswahlen schneiden sie schlechter ab und fliegen aus Koalitionen, und dann wäre da noch die Basis, die nicht mehr alles mittragen will, was die Grünen in der Regierung mittragen.

Ihr Höhenflug scheint – fürs erste? – vorbei zu sein. Jene Parteifunktionäre und – funktionärinnen, die in Regierungsverantwortung in Berlin stehen, haben sich weit von der Grünen-Basis entfernt. Sie tragen Kompromisse etwa in Sachen Migration mit, die für die Basis unverdaulich sind. Vermutlich geschieht das aus dem Bewusstsein heraus, dass es neben dem zweifellos wichtigen Thema Migration andere Themen gibt – und zwar grüne Kernthemen -, die noch wichtiger sind, weil sich daran die Zukunft der Spezies Mensch auf diesem Planeten entscheidet. Auf diese existenziellen Themen möchte man sich konzentrieren. Der Weg dorthin war eingeschlagen, auch wenn die Grünen-Führung versäumt hat, ihn so zu kommunizieren, dass er auf die Menschen überzeugend gewirkt hätte. Im Gegenteil: Das Heizungsgesetz hat Ängste ausgelöst. Dieser Schuss, das muss man konstatieren, ist nach hinten losgegangen, obwohl das Unterfangen in der Sache richtig war.

Gerade haben die Grünen ihren Parteitag hinter sich gebracht, auf dem die Basis ihrem Ärger freien Lauf gelassen hat. Unterm Strich hat die „Delegiertenversammlung“, wie die Grünen ihre Parteitage nennen, den Regierungsgrünen dann den Rücken gestärkt. Ja, es ist richtig: Die Grünen können Klimapolitik nach ihren Vorstellungen nur in der Regierung umsetzen. Also müssen sie in der Regierung bleiben und das machen, was man „Realpolitik“ nennt. Dieser Begriff hat aus dem Mund mancher Grünen durchaus einen denunziatorischen Charakter, aber das ändert an der Tatsache nichts.

Und in Hessen? Dort ist nach der Landtagswahl die schwarz-grüne Koalition geplatzt. Es war ein Ende mit Ansage, denn aus verschiedenen Ecken von CDU und CSU tönte es schon seit längerem, dass der eigentliche Gegner der Konservativen die Grünen seien. Damit schwenken CDU und CSU ein weiteres Mal auf die Linie der AfD ein, welche die Grünen schon längst zu ihrem Lieblingsgegner gemacht hat.

Die hessische CDU will nun mit der SPD gehen, und die Grünen stehen nach zwei Legislaturperioden, die ebenfalls voller Kompromisse waren, wie begossene Pudel da. Sie wollen sich nun neu aufstellen. Das wird wohl tatsächlich nötig sein. Tarek Al-Wazir, bis dato noch Wirtschaftsminister, kann sich die Krokodilstränen sparen: „Wir hätten uns mehr Ehrlichkeit gewünscht“ , sagt er im FR-Interview. Das ist unfreiwillig komisch. Ehrlichkeit – in der Politik? Wo es darum geht, die eigenen Vorstellungen durchzusetzen? Das kann sich die hessische CDU offenkundig besser mit der SPD vorstellen. Die Grünen können daraus lernen: Es zahlt sich keineswegs zwangsläufig aus, wenn man sich bis zur Schmerzgrenze verbiegt, um Kompromisse hinzubekommen.

Vorwärts in die Vergangenheit

Bündnis 90/Grüne sollten als Partei die Absage der CDU zu Koalitionsverhandlungen als Auszeichnung verstehen! Mit dieser CDU gibt es bestenfalls ein „Weiter so“, eher noch ein „zurück in die 1950iger/60iger Jahre“. Bei Betrachtung der angekündigten Veränderungen bzw. angeblichen Schnittmengen zwischen CDU und SPD wird deutlich, das die „Grünen“ sich und der Öffentlichkeit die „erfolgreiche“ Politik der zurückliegenden Jahre schöngeredet haben. Nachhaltige Wirkungen wurden offensichtlich nicht erzielt. So soll es zusätzlich ein neues Ministerium für Landwirtschaft, Forst, Wein und Jagd geben, Themen die bisher in der Zuständigkeit der „Grünen“ lagen. Und die CDU mit der grünen Politik offensichtlich nicht zufrieden war. Wenn die Schnittmengen mit der SPD u. a. in den Bereichen Umweltschutz, Landwirtschaft, Verkehr angeblich größer sind, dann ist das eine deutliche Kritik an der Politik der „Grünen“. Wobei ja schon diese nur ein lindgrüne Politik war – allen Beschönigungen zum Trotz!
Ganz heftig wird’s bei der Migrationspolitik. Torsten Frei, parlamentarischer Geschäftsführer der CDU-Bundestagsfraktion: „Ein gutes Signal für Deutschland, da die Grünen bei bundesweiten Entscheidungen wie der Migrationspolitik in einer völlig falschen Richtung unterwegs sind. Mit den Grünen scheinen die großen Herausforderungen derzeit nicht lösbar.“ Jede Zeit hat ihre Herausforderungen, so der hessische Ministerpräsident. Richtig! Die Lösungen der CDU für die Fluchtbewegungen: Bezahlkarte, Harmonisierung der Sozialsätze (Absenkung?), bei Einreise aus Polen die dortigen Sätze bezahlen, Null-Leistung, Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsländer (reicht es, auf dieser Liste zu stehen, unabhängig davon, was in den jeweiligen Ländern geschieht?). Lösungsvorschläge des hessischen Ministerpräsidenten im HR-Interview vor einigen Tagen. Auf die Frage nach den Vorschlägen aus der FDP antwortete er: „Wir sollten nicht in einen Wettbewerb der Schäbigkeiten eintreten.“ Er spricht sich auch für „lagebezogene Grenzkontrollen“ aus. Ob er dabei an mögliche Klimaflüchtlinge aus dem Süden Europas (Griechenland, Italien, Spanien, Frankreich) gedacht hat? Herzlich Willkommen in der Glückseligkeit des Nationalstaates, vorwärts in die Vergangenheit. Grausamkeiten bleiben trotz der Besonnenen-Attitüde des Ministerpräsidenten Grausamkeiten! Es sind dann eben gezielte, wohlüberlegte Grausamkeiten!
Lösungen aus der CDU für die Ursachen der Fluchtbewegungen (z. B. Klimawandel, politische Verfolgung, Menschenrechtsverletzung, schädiches Wirtschaften in Ländern des globalen Südens…) – Fehlanzeige! Traurig genug, dass sich die SPD für diese Art von Politik einspannen lässt – was allerdings nach dem Wahlkampf nicht wirklich überraschend ist.

Otto Gebhardt, Frankfurt

Die Grünen sollten froh sein

Mehr Ehrlichkeit hätte ich mir von den hessischen Grünen auch gewünscht, damals, als ihr Wahlmotto lautete: „Boffier muss weg.“ Nach der Wahl haben sie dann bekanntlich eine Koalition mit der CDU gebildet und selbigen Boffier zum Ministerpräsidenten gewählt. Die Rache folgte nicht auf dem Fuß, sondern jetzt erst vom Nachfolger. Und nun werden die Grünen dafür gestraft, dass sie Realpolitik, das heißt Klima- und Umweltpolitik und Kompromisse machen wollen. Offenbar meint aber ein Großteil der Wählerinnen und Wähler, davor die Augen verschließen zu können und sich lieber mit affektgeladenen Themen wie Asylpolitik zu beschäftigen. Das wird von der CDU fleißig bedient. Umgekehrt stimmt natürlich auch, indem diese sogenannte christliche Partei für entsprechende Stimmungsmache gegen Asylsuchende sorgt. Zudem werden in dieser aufgepeitschten Stimmung mit Lagerbildungen und zunehmenden Verrohungen in der Gesellschaft Kompromisse nicht gewürdigt. Fake-News haben Hochkonjunktur. Und wer die Verbotspartei ist, erkennt man daran, wie die CDU Minderheiten behandelt, die kaum eine Lobby haben. Die Grünen sollten froh sein, mit dieser, durch ihren Bundesvorsitzenden zunehmend radikalisierten Partei nicht mehr zu regieren.

Robert Maxeiner, Frankfurt

Schwarz-Rot sollte nur im Notfall angestrebt werden

Als prinzipieller Gegner von schwarz-roten Koalitionen bin ich auch skeptisch, ob es gerechtfertigt ist, wenn CDU und SPD in Hessen jetzt Koalitionsverhandlungen für ein neues Regierungsbündnis eingehen. Schwarz-rote Koalitionen aus welchem Grund auch immer können nur dann einen Sinn haben, wenn das Land sich in einem gravierenden Notstand befindet. Das kann nicht nur in Hessen, sondern auf Bundesebene gegenwärtig so sein, wenn man sich die zunehmende rechtsextreme Bedrohung durch die AfD betrachtet. Insofern könnte aus Hessen in der Tat ein Signal für die Bundesebene ausgehen. Tatsache ist jedoch, dass sowohl in Hessen als auch auf Bundesebene festzustellen ist, dass es insbesondere in der Migrationspolitik eine schlimme Entwicklung gibt, weil sowohl in der Geflüchtetenpolitik als auch generell Migrationspolitik zu beobachten ist, dass die volksverhetzerischen Positionen der AfD sowohl im Kompromiss von Bund und Ländern und wohl jetzt auch auf der Landesebene in Hessen von einem breiten parteiübergreifenden Bündnis von Sozialdemokratie und Union umgesetzt werden. Das von Boris Rhein als christlich-soziales Bündnis bezeichnete Koalitionsvorhaben zeichnet sich zumindest in diesen beiden Punkten dadurch aus, dass Positionen, die vor Jahren noch lupenrein AfD waren, wohl jetzt verwirklicht werden könnten. Als Sozialdemokrat habe ich erhebliche Zweifel, ob ein sogenanntes christlich-soziales Bündnis das Land wirklich weiterbringen wird. Ich möchte davor warnen, dass die Identität der Sozialdemokratie hierbei bis zur Unkenntnis verstümmelt wird und originäre sozialdemokratische Politik überhaupt nicht mehr erkennbar ist. Die SPD befindet sich in Hessen seit etwa einem Vierteljahrhundert in der Opposition. Vielleicht sollte sie sich jetzt einmal auf ihre originären Positionen besinnen und die Prinzipien Solidarität, soziale Gerechtigkeit und Minderheitenfreundlichkeit öffentlich darstellen.

Manfred Kirsch, Neuwied

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4 Kommentare zu “Die Kompromissbereitschaft war umsonst

  1. Ob sich die hessische SPD als Juniorpartnerin der CDU neu aufstellen und bei der Wählerschaft wieder punkten kann oder ob sie endgültig in der politischen Bedeutungslosigkeit versinkt, diese Entscheidung sollten die Grünen doch wohl mal schön der Partei selbst überlassen. Was sie jetzt aus Schmerz über den Verlust von Privilegien und Macht der SPD vorwerfen, wurde ihnen übrigens eins zu eins 2013 selbst um die Ohren gehauen, als sich die Grünen politisch verzwergten, um mit einem alten weißen Mann ins politische Ehebett steigen zu können. Wer bringt Minister Al Wazir in Hessen eigentlich mit dem Wohnungsbau in Verbindung? Als „Groschengrab“ war der Flughafen Kassel-Calden für ihn zwar weiterhin auf dem falschen Kurs. Das hinderte ihn aber nicht daran, unverdrossen weiter auf dem Copilotenstuhl sitzen zu bleiben. In der Coronapandemie stand der eigentlich zuständige grüne Minister Kai Klose, der sich übrigens öffentlich nie zu den Gesundheitsschäden durch den Krach und den Ultrafeinstaub des Frankfurter Flughafens geäußert hat, wie der kleine Lehrbub neben Ministerpräsident Volker Bouffier, der hier für alle sichtbar die Fäden in der Hand hielt. Angesichts des Wahlerfolgs der AfD, die mit 18,4% als zweitstärkste Kraft in den Hessischen Landtag einziehen wird, bedarf es jetzt einer starken demokratischen Opposition mit einem rhetorisch herausragenden, schlagfertigen Kopf an der Spitze. Das ist die eigentlich entscheidende Aufgabe, die auf die grüne Fraktion zukommt. Seitenhiebe auf die SPD hingegen sind in dieser Gemengelage völlig fehl am Platz.

  2. Die hessischen Grüne sind im Landtagswahlkampf angetreten, den amtierenden Ministerpräsdenten Boris Rhein durch Tarek Al-Wazir abzulösen. Nach der Wahl konnten sie sich nicht entblöden, das an diesem Ziel gemessene desaströse Wahlergebnis zu ihrem historisch zweitbesten hochzujazzen.
    Vor diesem Hintergrund ist bei nüchterner Betrachtung leicht nachzuvollziehen, dass die hessische CDU die Grünen als Koalitionspartner nicht mehr ernst nehmen kann. Zumal die Entscheidung für die SPD in den größeren bundespolitischen Bezugsrahmen der Christdemokraten passt. Für den überschaubaren politischen Verständnishorizont der amtsverwöhnten grünen Mandatsträger in Hessen und im Bund sind diese einfachen Zusammenhänge jedoch anscheinend schon zu komplex.
    Es bleibt abzuwarten, ob es von Boris Rhein klug gewesen ist, den GRÜNEN auf ihrem Weg in die Opposition noch richtig einen einzuschenken. Wie handzahm die waidwund geschossene SPD sich als Koalitionspartner geben wird, hängt nicht zuletzt von den GRÜNEN ab: werden weiterhin als subalterne Politgehilfen*gehilfinnen für die hessische CDU bereitstehen, oder können sie sich zur kritischen Selbstreflexion aufraffen und denken darüber nach, was sie in der „erfolgreichen“ Zusammenarbeit mit der CDU falsch gemacht haben, dass es zu ihrem Debakel kommen konnte.

  3. Wenn die Grünen wirklich gedacht haben das die Union nicht den Koalitionspartner wechselt wenn sie es für richtig halten weil sie so nett sind dann ist das ziemlich naiv. Das Problem der Grünen in Hessen war einfach die Bilanz die sie nach 10 Jahren Regierungsbeteiligung ihren Wählern vorgelegt haben. Man kann nicht einfach jedes Jahr mit Bayern um den letzten Platz beim Ausbau der Windenergie kämpfen und sich dann wundern wenn ihre Wähler sagen das es so nicht sein kann. Sollte das als Lerneffekt jetzt eintreten dann wäre ja schon viel erreicht. Denn mehr als weitere 5 verlorene Jahre wird die neue Regierung auch nicht zur Folge haben. Beim Klimaschutz muss man damit aber rechnen. Wobei die Mehrheit der Bevölkerung ja auch nichts anderes will.

  4. Ich überlege gerade, was in diesem Land wohl los wäre, wenn die Grünen endlich einmal sagen würden: „Nein, diese Politik entspricht weder unserem Programm noch unseren Prinzipien. Das tragen wir nicht mehr mit und kündigen deshalb die Koalition auf.“ Anders ausgedrückt: „Es ist besser, nicht zu regieren, als falsch zu regieren“ (FDP-Chef Christian Lindner im Jahr 2017) Lässt sich übrigens sowohl auf die Ampel-Regierung als auch auf manche Landesregierung anwenden.

    Klar, dass dann die anderen den Grünen vorwerfen würden, politikunfähig zu sein. Dennoch stellt sich die Frage: Setzen die Grünen ihre Prinzipien besser innerhalb oder außerhalb einer Regierung NICHT durch? Und wie würde sich das auf ihre Stammwähler auswirken?

    Der Frust der Grünen-Anhänger ist jedenfalls angesichts der mitgetragenen Asyl- und Klimapolitik verständlich, dafür genügt der Vergleich mit den entsprechenden Passagen des Wahlprogramms vollauf. Früher trat die SPD bei Wahlen unter dem Ticket „Das kleinere Übel“ an, soll das heute die Essenz der früheren Protestpartei sein, die ursprünglich alles anders machen wollte? „Wir sind die Alternative zu den herkömmlichen Parteien.“ So lautete der erste Satz des Gründungsprogramms von 1980, davon sind die Grünen mittlerweile meilenweit entfernt, werden den „herkömmlichen Parteien“ immer ähnlicher.

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