In Frankfurt am Main gibt es im Augenblick einen bemerkenswerten Vorgang: Die Stadt will die traditionsreiche Galopprennbahn, die vor 150 Jahren nach dem Vorbild des Hippodrôme de Vincennes in Paris gebaut wurde, am 1. Januar 2016 dem Deutschen Fußballbund übergeben. Der will dort eine Elite-Akademie für Fußballnachwuchs aufbauen und einen Betrag von 89 Euro dafür investieren.
Die Bürger Frankfurts und auch aus der Umgebung toben: Denn während die Galopprennbahn der Öffentlichkeit zum Besuch offen steht – ein FR-Leser schreibt rund 100.000 Besucher nutzten das im Jahr – wäre die DFB-Akademie eine geschlossene Gesellschaft. Und auch ein geplanter Bürgerpark auf einem Areal von circa neun Hektar Land tröstet die wenigsten Menschen über den Verlust hinweg. Möglich, dass das jetzt daran scheitert, dass ein früherer Mitbesitzer der Rennbahn die Übertragung seines Anteils von 49 Prozent des Areals an die Stadt Frankfurt rückgängig macht. Aber allein das Projekt selbst gibt zu denken. Darf die Stadtregierung, die aus gewählten Volksvertretern besteht, eben diesen Wählern den öffentlichen Raum so beschneiden? Und wie weit darf die Macht des DFB gehen, der sich ja auch aus öffentlichen, wenn auch recht undurchsichtig verteilten Geldern finanziert? Eins hat die Protestbewegung schon erreicht: Am 21. Juni gibt es erstmals in der Stadt Frankfurt einen Bürgerentscheid – zum Verbleib der Galopprennbahn.
FR-Autor Harry Nutt hat in seiner Analyse „Auf dem Rücken der Perde“ (Titel online: „Die Frankfurter Rennbahn stirbt langsam“) geschrieben:
„Der nahe Tod der Frankfurter Rennbahn ist aber nicht allein wirtschaftlicher Natur. Der mächtige und reiche Deutsche Fußball-Bund (DFB) hat seine Begehrlichkeiten artikuliert. Auf dem stadt- und flughafennahen Areal in Niederrad soll künftig ein DFB-Leistungszentrum entstehen, das wohl auch dazu geeignet sein wird, die Zuwendungsempfänger der Fifa zu beeindrucken. Der DFB will protzen, da können ein paar Pferde nicht mithalten.
Vordergründig geht es bei dem Volksentscheid, den die Bürgerinitiative Pro Rennbahn überraschend mit knapp 14.000 Unterschriften durchgesetzt hat, um Pachtzahlungen, Quadratmeterpreise und eine mögliche Bevorteilung des DFB durch die Frankfurter Lokalpolitik. Aber wie immer bei solchen Angelegenheiten geht es natürlich um mehr. Und es ist schon eine besondere Pointe, dass ausgerechnet der DFB nun einer der ältesten deutschen Sportstätten den Todesstoß versetzen könnte, die lange die Menschenmassen angezogen hat, bevor überhaupt öffentlich Fußball gespielt wurde.“
Parallel dazu ist die oben genannte Fifa gerade von einem Korruptionsskandal erschüttert worden. Bei der Vergabe des Austragungsortes der Fußball WMs der Jahre 2018 und 2022 an Rußland und Katar gibt es erhebliche Ungereimtheiten. Dass da etwas dran ist, beweist die Rücktrittserklärung von Fifa-Präsident Sepp Blatter, der mittlerweile auch als Sonnenkönig tituliert wird. Das lässt die Emotionen hochkochen, gerade wenn man an die skalvereiähnlichen Bedingungen denkt, unter denen Arbeiter, die an der WM-Vorbereitung in Katar beteiligt sind, gehalten werden. Oder an Franz Beckenbauer, der dergleichen Zustände nicht gesehen haben will bei seinem Besuch.
Das ist alles gelinde gesagt, nicht so schön. Etwas deutlicher ausgedrückt: Es stinkt zum Himmel. Folgt nach dem Sommermärchen der WM von 2006 nun scheibchenweise der Absturz? Fällt uns der Fußballhimmel auf den Kopf?
Hier einige Leserstimmen zum Fifa-Skandal:
Michael Maresch aus München schreibt:
„Seit vielen, vielen Jahren sind sich alle Journalisten, alle Medien einig: Die Fifa ist wie das IOC ein vollständig undemokratischer, korrupter Verein. Jeder darf das ungestraft laut sagen. Jeder weiß das. Es ist so.
Korrupt aber ist nicht nur der, der den Vorteil annimmt oder gewährt, korrupt ist auch der, der die Korruption deckt. Der sie kennt, aber nicht verfolgt. Handelt es sich dabei um Politiker, ist die Schwere der Schuld besonders hoch. Ohne das Schweigen des Gesetzgebers ist Korruption gar nicht möglich.
Von dieser Warte aus gesehen, Frau Merkel, Herr Zwanziger, Herr Beckenbauer, die Damen und Herren im deutschen Parlament, alle Staatsanwaltschaften, die europäische Kommission usw. tut es mir leid, feststellen zu müssen: Sie haben Jahrzehnte lang geschwiegen und schweigen immer noch. Sie haben das System Blatter gedeckt, haben sich angewanzt. Sie sind alle korrupt.
Dann sind Sie alle auch noch von Ihrer Macht korrumpiert. Macht, die wir Ihnen eigentlich verliehen haben, damit Sie uns vor den Blatters dieser Welt schützen. Treten Sie also alle, zusammen mit Herrn Blatter, zurück.“
Klaus Philipp Mertens aus Frankfurt schreibt:
„Bei der Aufarbeitung des Fifa-Korruptionsskandals könnte die Stadt Frankfurt am Main ein unübersehbares Zeichen setzen. Indem sie erstens von der Veräußerung der Rennbahn im Stadtteil Niederrad an den Deutschen Fußball-Bund absieht und die eingesparten Fördermittel für das geplante DFB-Leistungszentrum in die schrittweise Errichtung eines Bürgerparks an gleicher Stelle investiert. Eine an den Feudalismus erinnernde Pferderennbahn passt nämlich ebenso nicht mehr in die Zeit.
Und indem sie zweitens bei der zuständigen Finanzbehörde beantragt, die Gemeinnützigkeit des DFB mit Hinweis auf die Vorwürfe gegenüber der Fifa, deren Mitglied der DFB ist, zumindest bis zu deren Klärung aufzuheben. Allein der damit verbundene Fortfall des Umsatzsteuerprivilegs und des Rechts auf Ausstellung von Spendenbescheinigungen würden die Opportunisten im DFB auf den Boden der Tatsachen führen. Und sie zu dem veranlassen, was sie längst hätten tun müssen: Nämlich Sepp Blatter das Misstrauen auszusprechen, trotz und wegen seiner neuerlichen Wiederwahl. Der Fall Fifa ist eine Herausforderung der demokratischen Gesellschaften. Diese sollten den Kampf gegen Korruption und Spekulation aufnehmen.“
Herbert Ochs aus Schwalbach am Taunus schreibt:
„Einmal abgesehen davon, dass der Profisport im Allgemeinen mit seiner kapitalistischen Ausprägung längst in den Wirtschaftsteil gehört, ist es einigermaßen unerheblich, wer an der Spitze der Fifa steht. Der Verband ist in sich korrupt. Dementsprechend spielt es ebenso wenig eine Rolle, ob, beziehungsweise wer abgestraft wird.
So lange der Massenmensch sich für den Leistungssport genauso instrumentalisieren lässt wie für jede andere Art von Ideologie (denn insbesondere der Profi-Fußball ist bereits zu einer Art religiöser Sekte mutiert), wird sich wenig ändern. So wenig wie in der katholischen Kirche der Missbrauch von Kindern, oder in der (Partei-) Politik der Volksbetrug jemals ein Ende nehmen wird, ohne dass die Masse sich abwendet.
Das heißt mit anderen (und geschlechtsneutralen) Worten: der Einzige, der hier wirklich für eine entsprechende Abkehr dieser Missstände sorgen könnte, ist der einzelne Bürger schlechthin, beziehungsweise sein konsequentes Verhalten mittels jeder Art von Boykott. Wären wir Bürgerinnen und Bürger uns wirklich über unsere wahre Macht im Klaren und hätten auch noch den Mut und die nötige Selbstdisziplin, sie wirkungsvoll einzusetzen, könnten wir solche Strukturen bereits im Keim ersticken.
Aber der Durchschnittsmensch ist nicht der, für den er sich gerne hält. Er ist nicht so etwas wie die Krone der Schöpfung. Er ist schwach, feige und unfähig für eine obrigkeitsüberflüssige Lebensführung. Wie sagt der Volksmund? „Der Mensch (oder die Menschheit) will belogen werden“. Und aus der Römerzeit stammt das bekannte Zitat sinngemäß: Gebt dem Pöbel ‚Brot und Spiele‘ – damit er nicht aufmuckt.“
Weitere FR-Lesermeinungen zur geplanten Schließung der Galopprennbahn:
Hans Lutz aus Frankfurt schreibt:
„Daran, dass von den Parteien inkompetente „Volksvertreter“ in gut dotierte Ämter gehievt werden, die dort ihre Amtsgeschäfte dilettantisch wahrnehmen und sich dabei auch noch blöd anstellen, so Kommentator Göpfert , sind wir selbst schuld, weil wir sie wählen.
In der Angelegenheit der Fußballakademie gegen dei Pferderennbahn wird das wieder einmal besonders deutlich. Die Stadt will die Pferderennbahn weg haben und versucht das mit der Ansiedlung der Fußballakademie zu verschleiern. Die Vorbereitung dafür war ausgesprochen schlampig und die Herren Cunitz, Becker und Prinz zu Löwenstein bekleckern sich bei der Umsetzung mit ihrem Gehabe wirklich nicht mit Ruhm.“
Harald. R. Pescht aus Frankfurt schreibt:
„‚…doch die im Dunkeln sieht man nicht…'(B.Brecht).
Will denn niemand erkennen, was da läuft? Die wenigen Pferdenostalgiker, einige Amateur-Golfspieler und die vermeintlichen Rennbahn-Absahner sind vermutlich die sehr gut gesponsorten „Bauern auf dem Schachbrett“. Sie werden vorgeschoben, noch dazu demokratisch legimentiert durch den Bürgerentscheid, um Stadt und DFB zu verunsichern, zu entzweien, ja den DFB vielleicht nach Köln zu vertreiben.
Wenn das passiert ist, ist spätestens neun Monate später der Rennbahnbetreiber pleite und es greift Plan X: Die Schubladen der Investment-Immobilien-Gesellschaften in Frankfurt, London und New York werden geöffnet und heraus kommt – auf dem Turf entsteht ein neuer Stadtteil! Wohnen, Arbeiten, Relaxen im Stadtwald, natürlich auch mit First-Class- Hotels, Seniorenresidenzen, SPAs und 60-Stock-Häusern mit Blick auf Main, Taunus und Commerzbank-Arena!
Lassen Sie doch „die im Dunkeln weiter munkeln“ und alle anderen weiter „blattern“. Die sogenannten Befürworter für den Erhalt der Pferderennbahn werden bald ausgedient haben!
Wie heißt es doch in einem grossen deutschen Drama: Der Mohr kann gehen, der Mohr hat seine Schuldigkeit getan.“
Konrad Mohrmann aus Frankfurt schreibt:
„Im alten Rom, als alle Prachtbauten errichtet waren und viele Leute arbeitslos wurden, mussten diese unterhalten werden. Brot und Zirkusspiele wurden subventioniert. Und heute?
Der größte Zirkus heute ist der Fußball und die „Events“, es heißt auch nicht mehr panem et circensis (Brot und Zirkusspiele, die Gladiatoren gibt’s in den Playstations), sondern Tittytainment. Das ist eine Wortbildung aus dem Englischen: titty (Slang für Busen) und entertainment (Unterhaltung). Der Begriff steht für die Vermutung, dass auf Grund steigender Produktivität zukünftig ein großer Teil der Weltbevölkerung (80 Prozent) von der Produktion von Dienstleistungen und Güter entbunden sein wird und dann von Transferleistungen leben muss. Um diesen Teil der Bevölkerung ruhigzustellen, wird er durch die Medien berieselt werden. Und dafür muss man doch Vorsorge treffen!
Da trifft es sich doch gut in Frankfurt eine Filiale der FIFA zu errichten. Geld haben die, Bildung nicht so sehr und korrupt sind sie auch. Und viele Bürger strömen in den Fußballarenen, überwiegend von den Kommunen sowieso schon bezahlt, zur Randale. Da ist es erlaubt, und zum Entertainment, titty – Sex liefert die Boulevardpresse, die Zwangsprostitution und TV und Internet. Wenn man sich doch nur nicht immer so blöd anstellen würde, könnte alles so schön sein!“
Klaus Schwab aus Dreieich schreibt:
Ein jahrelanger solventer Mieter des Rennbahninnenareals, der sich noch nie etwas zu Schulden kommen ließ, der seine Pacht zahlte und alle Auflagen der Stadt erfüllte. Mit ihm haben Herr Frank und Herr Cunitz bis heute noch nicht darüber gesprochen, dass er ab dem 1.1.2016 das Grundstück verlassen muss, geschweige denn, dass sie bisher eine Kündigung ausgesprochen hätten. Gibt es keine Kündigungsfristen und weiß der DFB, dass dies noch nicht geschehen ist? Auf Herrn Franks Hinweis während der letzten Podiumsdiskussion, man könne über alles reden, z.B. Abfindung und dergleichen., ist seither nichts erfolgt. Wann will er anfangen?
Herr Frank, wollen Sie wirklich rund 100 000 Gäste und Bürger dieser Stadt, die diese wunderschöne Golf- und Rennanlage seit Jahrzehnten nutzen und pflegen einfach rausschmeißen für ein paar Kunstrasenplätze, Verwaltungseinrichtungen und andere Gebäude für den reichsten Sportverband der Welt? Möchten Sie wirklich für maximal 800 sporttreibende Personen im Jahr ein Trainingsgelände dieser Größenordnung bauen lassen?
Die sogenannte Elite kommt nicht nur aus Frankfurt, sondern aus ganz Deutschland. Also für etwa 800 Ortsfremde wollen Sie als Sportdezernent dieser Stadt 100 000 oder gar mehr Bürger unserer Heimatstadt und näheren Umgebung kommentarlos vor die Tür setzen? Ich sage da nur „Pfui Teufel.“
Ingrid Krumm aus Frankfurt schreibt:
„Mit Begeisterung habe ich Herrn Nutts Analyse gelesen. Seine Ausführungen kann ich nur unterstützen. Am 21.6.2015 haben die Frankfurter Bürger die Gelegenheit, den Fußballwahn in Frankfurt zu stoppen. Auf der Pferderennbahn, die in den letzten Jahren nicht mehr Zuschüsse von der Stadt bekommen hat, als diverse Fußballvereine, will der DFB ein Fußball-Leistungszentrum errichten. Ein Prestigeobjekt, das in Frankfurt niemand braucht.
Kein anderer Sport bekommt soviel Aufmerksamkeit wie der Fußball. Basketball, Handball, Volleyball und andere Ballsportarten werden immer mehr ins Abseits gedrängt. Der reichste Sportverband soll nun auch noch das Gelände der Rennbahn fast geschenkt bekommen. Das passt ja wieder in das Bild der korrupten Fußballfunktionäre und deren politischen Handlanger.
Die Bürgerinitiative „Pro Rennbahn“ ruft zur Volksabstimmung auf. Eine 150 Jahre alte Tradition steht auf dem Spiel. Bei allen Pferderennen geht es friedlich zu. Es gibt keine Ausschreitungen, Polizeieinsätze sind nicht erforderlich und belasten den Steuerzahler nicht. Rennbahnbesucher reisen ohne böse Absichten an, randalieren nicht in S-Bahnen und Bahnhöfen. Warum sollte man dieses friedliche und einzigartige Event nicht weiterhin unterstützen? Es bleibt nur zu hoffen, dass alle Bürger ihr Wahlrecht nutzen und dem Wahn ein Ende machen!“
Den Ausführungen von Herrn Kirsch (Leserbrief) kann ich mich nur anschließen. Wird die Rennbahn geopfert, ist ein weiterer Schritt zur Monopolisierung der Sportvielfalt getan. Es ist schon schlimm genug, dass man in den Zeitungen montags zehn Seiten Fußball vorgesetzt bekommt und vom Deutschen Derby ein vierzeilige Randnotiz. Das ist einseitige Meinungsmache. International ist der Rennsport immer noch von Bedeutung, und Frankfurt will doch international sein.
Tim Wolf von den Grünen kann ich nur raten – was Tierquälerei betrifft –, sich mal beim Springreiten und Vielseitigkeitsreiten umzuschauen. Er weiß wohl nicht, was die natürlichste Fortbewegungsart von Pferden ist. Was Brutalität betrifft, geht es beim Fußball ja auch nicht gerade zimperlich zu, Körperverletzung ist üblich – heißt hier „natürliche Härte“.
Warum bemüht man sich nicht, ein neues Modell für die Akademie an einem anderen Platz in Frankfurt vorzustellen? Der DFB sollte so fair sein, und bei allem Widerstand, der sich regt, und allen Ungereimtheiten, die seitens der Stadt zutage treten, seine Planung ändern und Rennbahn und DFB-Akademie ermöglichen.
Am 21. Juni werde ich für die DFB-Akademie stimmen, aus einem einfachen Grund: Das, was auf der Rennbahn geschieht, halte ich für eine riesige Tierquälerei. Nicht dass ich Pferde besonders mag, aber es ist mir doch lieber, wenn sich auf dem Gelände Menschen freiwillig, ohne Not und für viel Geld selbst schinden oder planen, wie man sich noch effektiver schinden kann, als dass diese Schinderei wehrlosen Kreaturen angetan wird.
Sport, Wettbewerb und Profit gehören nunmal nicht zusammen.