Ich fühlte mich kürzlich angesichts eines FR-Artikels an eine Szene aus meiner Jugend erinnert. Es war um 1978 herum, als meine Großeltern mal wieder zu Besuch gekommen waren. Mein Großvater, Rentner und Pächter eines Kleingartens im schleswig-holsteinischen Eckernförde, beäugte den relativen Wohlstand, zu dem meine Eltern es gebracht hatte, mit einigem Misstrauen. Das Eigenheim war seit etwa fünf Jahren bezogen und bot meinem Vater viel Raum für verschiedenste Hobbies und Ausbaupläne. Jüngst hatten die Mittel sogar für ein neues Auto gereicht, einen ziemlich dicken Ford Granada, den man heutzutage wohl unter die Straßenkreuzer rechnen müsste, jedenfalls was deutsche Verhältnisse betrifft. Mein Großvater, der in der Weimarer Zeit Mitglied der KPD gewesen war (Arbeiter in der optischen Industrie), sah dieses Auto, und es war ihm anzusehen, dass ihm etwas auf der Zunge lag. Nun war der Besuch aber nicht gerade harmonisch verlaufen, und er wollte wohl nicht wieder Öl ins Feuer gießen. Sein Kommentar zu diesem Auto fiel daher gemäßigt aus: „So gut wie heute wird es uns nicht wieder gehen. Von jetzt an geht’s bergab.“
Eine Bemerkung, die ich nicht vergessen habe und die mir angesichts des Artikels „Wie früher wird’s nie mehr“ natürlich sofort wieder einfiel. Zumal ich gerade ein paar Tage zuvor im Freundeskreis über Zukunftsängste und über die Frage gesprochen hatte, wann denn unsere, der Deutschen, beste Zeit gewesen sei. Die meisten meiner Freunde meinten: die 90er Jahre. Ich dagegen redete meinem Großvater das Wort. Überraschend jetzt für mich, dass es den meisten Deutschen ähnlich zu gehen scheint, jedenfalls wenn man dem 12. Jahrbuch des Insituts für Demoskopie in Allensbach glaubt. Dieses Jahrbuch beruht auf Befragungen der Jahre 2003 bis 2009, und es kommt zu dem Ergebnis, dass die beste Zeit Deutschlands aus Sicht vieler Bundesbürger die 70er Jahre waren.
Die Deutschen sorgen sich um die Zukunft. Viele fürchten, dass es ihnen nie wieder so gut gehen wird wie heute oder in der Vergangenheit: Deutschland könnte seinen Zenit überschritten haben. Für die nächsten zehn Jahre rechnen viele mit sinkendem Wohlstand, Einschnitten in das soziale Netz, wachsender Arbeitslosigkeit und zunehmenden sozialen Konflikten. Genau diese These hatte ich auch in jener Diskussionsrunde vertreten, in der ich jedoch zu einer Minderheit gehörte. Nun, mein Großvater lebt nicht mehr. Er war rechthaberisch genug, angesichts der Bestätigung durch Allensbach Triumph zu empfinden. Wir aber, die wir noch leben, wie gehen wir damit um? Gibt es auch noch Optimisten?
Goekhan Goeksen aus Nürnberg scheint kein Optimist zu sein, wenn er mir schreibt:
„Vorbei die Vergangenheit, nach vorne in die Zukunft blicken. Doch wohin? Nach Amerika und China? Nein, man muss gar nicht so weit gehen. Gleich unser Nachbar Schweiz macht uns vor, wie es funktioniert. Die Politik schafft gute Rahmenbedingungen, es gibt keine Dumpinglöhne, die Preise für Lebensmittel sind stabil (auf recht hohem Niveau). Die Lebenshaltungskosten sind hoch, doch werden die Löhne nicht noch weiter gedrückt. Ungleichheit gibt es auch in der Schweiz, Löhne zw. Mann und Frau sind doch stark unterschiedlich.
Wie ist das mit Deutschland? Wann ist es passiert? Bei der Wiedervereinigung? Nein es ist die Orientierungslosigkeit, die einem entgegenschwappt. Die Löhne sind sehr gesunken, die Politik unterstützt die Vorgehensweise, dass Arbeitgeber Arbeitnehmer zu niedrigen Löhne zwingen, und diese können nicht kündigen, denn sonst ist es vorbei mit dem Geld von der Arbeitsagentur. Alle drehen sich im Kreis, schieben sich die Verantwortung zu. Der Niedriglohnbereich boomt, das macht den Arbeitnehmern Angst. Am Ende geht es jedem schlechter, und wir werden alle darunter leiden. Wer weniger Geld hat, wird entweder lethargisch, denn er hat Angst vor der Armut. Und keiner spricht über die Rente, die die armen und normalen Arbeitnehmer erhalten werden. Die Angst vor der Altersarmut schieben alle in die Zukunft. Doch es wird uns alle erwischen. Außer die Reichen und die Politiker. Wir, das Volk, werden später leiden.“
Angela Scherer aus Mainz dagegen mahnt die Pessimisten:
„Was ist ein gutes Leben? Materieller Wohlstand auf Teufel komm raus – auf Kosten der Natur und billiger Arbeitskräfte anderer Länder (vornehmlich des eh schon arm gemachten Südens) als ausbeutbare Ressourcen, auf Kosten der Natur und der Schwachen auch bei uns? Im Winter Erdbeeren, für jedes Familienmitglied ein Auto, jedes halbe Jahr das neueste Händi und dreimal Ballermann pro Jahr? Dafür dann Politiker wählen, die so dilettantisch sind, dass es wehtut, was aber nichts macht, weil hinter ihnen sowieso die Konzerne unser wirtschaftliches und soziales Leben in ihrem höchst eigenen Interesse dirigieren?
Statt Krokodilstränen hinter einer Epoche des scheinbaren Saus und Braus her zu weinen, sollten sich Nostalgiker und Jammerer fragen, was das Leben wirklich gut macht und welchen Beitrag in der Gesellschaft sie dazu leisten könnten.“
Dietrich Puchstein aus Kronberg analysiert die gegenwärtige Lage:
„Das Bauchgefühl der Deutschen wird recht behalten, da es auf ganz realistischen Beobachtungen beruht. Wer das letzte Fernsehinterview mit Helmut Schmidt verfolgt hat, kam zu der Erkenntnis, dass ein ganz rational denkenden Ex-Bundeskanzler zu derselben Analyse kommt wie die Bäuche der Wähler. Die von Politikern in den letzten Jahrzehnten geschaffenen Tatsachen wie die übereilte Vergrößerung der EU zu einem immer machtloseren Staatenkonglomerat, der Beteiligung an einem völlig sinnlosen Krieg, der Abgabe von Bildungskompetenzen vom Bund an die Länder, die Zahlmeisterrolle Deutschland für Alles und Jedes in der Welt, die Übernahme von Millionen Arbeitsloser aus Anatolien und die bevorstehende Aufnahme der Türkei in die EU sowie die unverantwortliche Verschuldung der nächsten Generationen lassen wirklich keine Zeiten wie unter der DM mehr erwarten. Weitere Indikatoren wie sinkende Verdienste, wachsende Arbeitslosigkeit, Verhöhnung der sechs Millionen Hartz-IV-Empfänger dürften, wie Frau Merkel richtig bemerkt, als Frühwarnsystem für die Politik verstanden werden.“
Der Deutschen beste Zeit war der autofreie Sonntag.
Da hat Dein Großvater aber durchsaus erkannt, dass mit dem Kanzler der Wohlstand gefährdet war. Vielleicht erinnerst Du Dich noch an den jungen Westerwelle, der einst die Jungdemokraten, die Jugendorganistation der ?DP, aus der ?DP vertreiben ließ. Damals wurden dann seine Julis die Jugendorganisation der ?DP. Rückblickend kann aus dieser poltischen Vetreibung durchaus auf das Demokratieverständnis des BMÄ geschlossen werden.
Die schon bei Schmidt einsetzende Beschleunigung der Vermögensverteilung von unten nach oben erhielt mit der Wende dann erst den politischen Dampf. Die sozialen Ausgaben wurden gedrosselt. Die Millionäre bzw die Milliardäre wurden mittesl mehrerer Steuersenkungsorgien noch reicher. Das Argument Schmidt, die Gäule müssten erst saufen, ehe sie arbeiten. kam überhaupt nict zu tragen, weil das überschüssige Geld in die Spekulation gesteckt wurde.
Und wenn wir schon bei Griechenland sind: CDS sind Credit Default Swaps (Kreditrückversicherungen). Die werden mitlerweile wie Wertpapiere gehandelt, jedoch nicht an den Börsen. Und wer hats bei Griechenland erfunden? Nein, nicht die Schweizer sondern die mit Steuermitteln gerette Goldmann Sachs, bei der jetzt seit 2006 auch Otmar Issing , seinerzeit EZB-Vorstandsmitglied, eine führende Rolle spielt. Wer erinnert sich denn noch, dass seinerzeit Frau Merkel sich lobend über dessen Wechsel zu Goldmann Sachs äußerte? Ich frag mich angesichts solcher Tatsachen, ob die Kanzlerin wirklich so naiv ist, wie sie heute tut. Dann sollte sie die Konsequenzen ziehen.
Ich empfinde es auch so, dass die 70er Jahre unsere besten Jahre waren: Der allgemeine Wohlstand hatte ein angenehmes Niveau erreicht, für die Heranwachsenden war sozialer Aufstieg praktisch vorprogrammiert, Ungleichheiten wurden politisch bekämpft und von Naturkatastrophen war noch kaum die Rede. Es herrschte eine deutliche und allgemeine „es-geht-bergauf-Stimmung“, auch wenn schon damals warnende Stimmen bezüglich der all zu großen Fortschritts- und Wachstumsgläubigkeit zu vernehmen waren. Immerhin schrieb Erich Fromm schon 1976 sein kritisches Buch über „Haben und Sein“, das ich für die jetzige Krisenstimmung für sehr bedeutsam erachte.
Darin geht es im weitesten Sinne um Fragen, wie sie Angela Scherer in ihrem Leserbrief (s.o) auwirft: “Was ist ein gutes Leben? Materieller Wohlstand auf Teufel komm raus – auf Kosten der Natur und billiger Arbeitskräfte?“
Wäre schön, wenn unsere Politik und Wirtschaft nicht „auf Teufel komm raus“ an ihrem Wachstumskurs festhalten würden, damit die paar vermeintlich „rechtmäßig Privilegierten“ noch ein Weilchen ihre „spätrömische Dekadenz“ ausleben können, sondern die Zeichen der Zeit nutzen und tatsächlich eine „moralisch-geistige Wende“ anstoßen.
Die besten Jahre waren für mich die ende50-60er
Das war ein anderer Hunger
Die 70er Jahre die besten? Das Bauchgefühl hängt ja sehr von der persönlichen Situation ab. In meinem sozialem Umfeld gab es keinen besonderen Wohlstand. Außenklo auf halber Treppe war für mich Standard. Telefon, Fernseher, Auto – nein, dafür aber genug Auslastung oder extreme Anstrengung, um das Leben überhaupt in Gang zu halten. Immerhin gab´s Jobs, die das ermöglichten. Nach den heutigen Kriterien war ich damals wirklich arm. Aber die Menschen im mich herum waren auch nicht reicher. Vielleicht waren wir solidarischer. Wir kümmerten uns als Studenten um die Kinder unseres Hauses, organisierten Nachhilfe und soziale Zuwendung. Und wer das Privileg einer Badewanne hatte, ließ andere bei sich baden. Ich besaß dank meiner Mutter eine Schrankdusche in der Küche, und hatte deshalb auch zahlreiche „Duscher“ bei mir zu Gast.
Und was sonst noch alles in den 70er passiert ist, außer in meinem Privatleben?
Willy Brandt in Warschau, blutige Geiselnahme in München, Ölkrise, Schleyerfahndung, Natodoppelbeschluss, der deutsche Herbst – das steht jetzt vielleicht in den Geschichtsbüchern? Oder vielleicht auch nicht.
Unsere jetzige Armut ist anders. Sie misst sich an anderen Kriterien. Die angebliche Professionalisierung der Sozialarbeit ersetzt nicht das Engagement der nachbarschaftlichen Nähe, die wir damals aufgebracht haben. Die wir aber heute noch in unserem Haus praktiziern.
Ich kann nicht so genau beurteilen wie die 70er Jahre waren, da ich Ende der Siebziger in den Kindergarten ging und da erinnere ich mich nur noch dunkel daran, dass die Erwachsenen dauernd von dem sterbenden Wald gesprochen haben und dass wegen des toten Waldes die Tiere und Menschen sterben würden. Ich war mir als Kind sicher, dass ich nicht alt werden würde, wegen des sterbenden und bald toten Waldes und dem Atomkrieg und den Reaktorkatastrophen. Ja, ich habe viel an den Tod gedacht Ende der 70er Jahre. Es konnte deshalb nur besser kommen.
„Das Beste“ ist doch wohl immer Definitionssache. Wie wäre es mal damit: Die beste Zeit einer Gesellschaft ist die, in der sich die Kinder am wohlsten fühlen.
Ich bin Jahrgang 1955. Wir waren arm, es gab gestoppeltes (nach der Ernte auf dem Feld eingesammeltes) Gemüse und selbsgebastelte Geschenke, was ich jedoch nicht wusste. Gewohnt haben wir in einer unisolierten Baracke mit Holzdach und Küchenhexe als Heizung und Herd, das Bad hatte ein Klo und ein Waschbecken, Zugang durchs Schlafzimmer der Kinder. Im Winter an den Fenstern Eisblumen (weiss noch jemand wie schön die sind? Man kann sie durch anhauchen zu immer neuen Formen verändern, ein stundenlanges Spiel für uns Kinder) und im Bett Wärmflaschen aus Zink. Im Sommer bin ich barfuß gelaufen, hatte ein Taschenmesser und eine unzerstörbare bayrische Lederhose, für ganz schlechtes Wetter eine Keksdose voll Legosteine und das größte Bücherregal von dem ich wusste (meine Eltern haben Bücher nach Kriegsende aus zerschossenen Autowracks geborgen). Wenn ich mit meinen Kumpels unterwegs war und wir sahen Kinder, die vom Kindergarten kamen, haben wir uns manchmal gefragt, was die da machen und woher sie die Zeit nehmen- wir waren einfach ausgelastet. Dann kam die Schule, 52 Kinder im Souterrain, einschliesslich der Behinderten, mit dem Rohrstock gabs auf die Oberschenkel (wegen der Lederhosen hat das auf dem Hintern nichts gebracht) oder auf die Handflächen, bis meine Eltern das abgestellt haben.
Wie man sieht, war das also ganz und gar nicht die gute, alte Zeit, in der alles viel besser war. Und trotzdem kommen mir heute noch die Tränen, wenn ich mich daran erinnere, wie glücklich ich war. Es ist mir seitdem nie wirklich schlecht ergangen im Leben, aber so schön wird’s nicht mehr werden und ich bezweifle, dass es viele gibt, denen es heute genau so gut geht.
Wie zu erwarten war, die Rückschau auf der Suche nach der besten Zeit, ist doch sehr altersabhängig.
Die persönlichen Verhältnisse und Erfolge oder Misserfolge – für den Einzelnen natürlich immer im Vordergrund, es ist schließlich „sein“ Leben – sollten wir aber ausklammern.
Ich plädiere für die 70er Jahre. Es ging noch aufwärts, ein gewisser Wohlstnd war aber schon erreicht. Das konnte man überall
sehen. Von Altersarmut war keine Rede, an den „Kalten Krieg“ waren wir längst gewöhnt, da dieser, besonders für uns Westdeutsche, so schlimm ja nicht war. Urlaubsreisen nahmen zu, an Länge und Weite. Was wollte man mehr ? Ja, was denn eigentlich, begann man sich in nachdenklicher Runde schon mal zu fragen…
Also, die 70er Jahre waren die Besten !
Die beste Zeit ist natürlich 2010. Nur hier kann Veränderung bewirkt werden (wenn auch nur in kleinsten Schritten), alles andere ist „abgehakte“ Geschichte und damit uninteressant.
Also: Von jetzt an geht’s BERGAUF!
Vor allem gabs zu Anfang der 70er mehr offene Stellen als Arbeitslose. Wer diese Tatsache ignoriert, negiert die derzeiotige Angst arbeitslos zu werden. Damals konnte wirklich noch zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber um Lohn verhandelt werden. Wer „nur für den Tarif arbeitete“, der wurde belächelt.
Wie kommt man eigentlich als politisch Linksstehender auf die Idee, ständiges Wachstum könne es nicht geben, und es wäre langsam Zeit, davon Abstand zu nehmen usw., und schafft es gleichzeitig, die Vorstellung zu kultivieren, 2, 3, 4 oder mehr Prozent Lohnerhöhung im Jahr müssten aber drin sein, denn weniger wäre unternehmerisches Banditentum?
Hier sieht man schön: Dem ständigen Wachstum Einhalt zu gebieten ist schon in Ordnung, aber bitte nicht so, daß man selber davon betroffen ist!
Wenn deutsche Automobilhersteller Stellen abbauen, wieviele Menschen begreifen dies als Ausdruck eines begrenzten Wachstums, d.h. eines nicht beliebig steigerbaren Automobilabsatzes? Wohl kaum einer. Stattdessen sind die Unternehmer schuld, weil sie das ständige Wachstum (welches ja eigentlich unmöglich ist) mal wieder nicht hingekriegt haben.
Das aktuell gerade herausgekommene „Exit – Wohlstand ohne Wachstum“ von M. Miegel ist eine Zusammenstellung vieler unangenehmer Wahrheiten…
Das unbegrenzte Wachstum der Erdbevölkerung ist es doch schließlich, das immer mehr zu Wachstum aller Sparten anregt, ja zwingt.
Wir brauchen mehr Energie, mehr Nahrungsmittel, mehr Wasser (?) und noch mehr Müll…